Lasst  viele Funken sprühen - Horst Klaus Berg - E-Book

Lasst viele Funken sprühen E-Book

Horst Klaus Berg

0,0

Beschreibung

Die biblischen Reden verstehen sich als dialogische Texte. Sie suchen ihre Basis in einem intensiven kritischen Gespräch mit der biblischen Überlieferung. Und sie sind daran interessiert, dass die Leser und Hörer nicht Zuhörer bleiben, sondern angeregt werden, ihren Platz in dem Dialog einzunehmen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 99

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Bambu –Mit Dir denken, reden, singen

Inhalt

Vorwort

Weiter Raum

Psalm 18,37 –mit einem Bild von Sigrid Berg

„Ich werde Gott noch loben…“

Psalm 43, 4–5 - mit einem Bild aus dem „Stuttgarter Psalter“

Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang??

Psalm 111,10

Lasst los – zieht weg

Jesaja 52, 7–12

Wachsen, satt werden

Jesaja 55, 10–11

Geh in Frieden

Markus 5,34

„Dein Glaube hilft dir!“

Lukas 18,42

Predigt im Duo beim Feierabendmahl

Lebendiges Wasser

Johannes 4, 1–26

Das Weizenkorn

Johannes 12, 21–25

Sehnsucht nach Liebe

Römer 15,13

… dass uns das Große groß erscheine

Offenbarung 3,20

Vorwort

Dieser Band enthält Predigten, die in Ravensburg gehalten wurden, in den Kirchen von Weißenau und Oberhofen. Es sind Gebrauchstexte, einbezogen in den Lauf der Gottesdienste in diesen beiden Gemeinden.

Der Titel der Sammlung greift einen Ausspruch des Propheten Jeremia auf. Er bezeichnet die Kraft des Wortes Gottes so: "Ist nicht mein Wort wie Feuer und wie ein Hammer, der den Felsen zerschmettert?" (Jer 23,29)

Zwei Aspekte sind mir wichtig:

Einmal: Eine Predigt hat die Aufgabe, sich dieser Kraft auszusetzen und – wenn möglich – ein wenig davon spürbar zu machen.

Und: Jede Annäherung an das Wort hat damit zu rechnen, dass sie nicht „Felsen“ zeigen kann und darf – will sagen: unumstößliche Glaubensgewissheiten proklamieren. Bestenfalls kann sie einen „Funken“ aufleuchten lassen – mehr ist uns nicht zugänglich. Der Talmud drückt diese Überzeugung in einem wunderbaren Bild aus: Zu dem vom Propheten Jeremia gesprochenen Wort heißt es: "Was geschieht, wenn der Hammer auf den Felsen aufprallt? Funken sprühen! Ein jeder Funke ist das Ergebnis des Hammerschlages auf den Felsen, aber kein Funke ist das einzige Ergebnis. So kann auch ein einziger Schriftvers viele verschiedene Lehren vermitteln."

Jedenfalls gilt: Nur Gott besitzt die volle Wahrheit, die Menschen können versuchen, ihr durch das Zusammentragen ihrer "Funken" ein wenig näher zu kommen

Das ist die Basis der in diesem Band versammelten Reden.

Weiter Raum

Psalm 18,37 – mit einem Bild von Sigrid Berg

1. Erste Annäherung: Das Bild

Ich möchte mit Ihnen in diesem Gottesdienst eine Annäherung an den Satz aus Psalm 18 versuchen, den ich schon zum Eingang nannte:

„Du gibst meinen Schritten weiten Raum, dass meine Knöchel nicht wanken.“ (Psalm 18,37)

Als ich meiner Frau von diesem Plan erzählte, gab sie mir ein Bild, das sie vor kurzem gemalt hatte – meine Frau ist Malerin. Und sie meinte: „Ich kann mir vorstellen, dass das Bild mit dem Psalm ins Gespräch kommt“.

Jetzt war ich neugierig geworden und fing an, das Bild genauer anzusehen. Dafür braucht man ein bisschen Zeit… das ist bei allen Bildern meiner Frau so. Ich zeige Ihnen, was mir aufgefallen ist. (Damit Sie sich gut beteiligen können, habe ich das Bild für Sie als Postkarten ausgedruckt.)

Der untere Bildraum baut sich aus einer Anzahl von verhältnismäßig kleinen Flächen auf… Aber es ist kein kompakter Bau, der da entsteht. Die Farbflächen scheinen sich manchmal gegeneinander zu schieben; ich gewinne den Eindruck, dass diese Gebilde nicht sehr stabil sind, nicht einheitlich, ein bisschen irritierend. Die Bewegung der Farbflächen setzt sich am rechten Bildrand fort – hier scheinen sie teilweise zur Bildmitte hin auszufransen. Auch der linke Bildrand nimmt die Bewegung auf und setzt dort dann oben noch einmal einen kräftigen Akzent. Vorherrschend sind unterschiedliche Blautöne; aber auch grüne und weiße kleine Formen scheinen wie Spritzer auf.

Sigrid Berg, Blick ins Weite. 1913.

Die Mitte des Bildes nimmt eine große helle Fläche ein, Gelb- und Weißtöne lassen ein helles Licht ahnen. Die leuchtende Fläche wird immer wieder von dunklen Elementen bedrängt, teils spitz, teils kantig. Sie wirken aggressiv. Mir zeigt sich: Das Bild ist eigentlich nicht statisch; da ist viel in Bewegung; wenn ich lange genug vor dem Bild stehe und dem Spiel der Linien, Formen und Farben nachgehe, kann ich diese Bewegung spüren.

Es ist klar: Sigrid Berg malt nicht-gegenständlich, abstrakt.

Was fängt man mit einem solchen Bild an?

Einige, die das Bild gesehen haben, erkannten darin u.a.

eine bewegte Gebirgslandschaft

Ruhe und Unruhe

Kampf zwischen Dunkelheit und Helligkeit

Die zwei Seiten der Zukunft…

Welche Deutung ist „richtig“ – welche „falsch“? Alle – und keine – und weitere.

Ich finde am besten einen Zugang zu nichtgegenständlichen Bildern durch einen Hinweis des Lyrikers Walter Helmut Fritz. Er meint, die „höchste Leistung“ eines Kunstwerks sei, „dass es uns bei uns ankommen lässt.“ Will sagen: ein Bild kann unseren Erfahrungen und Gefühlen Sprache geben, uns behilflich sein, sie zu erkennen und uns selbst besser kennen zu lernen. Ich erkenne also nichts, was ich schon kenne: Bäume, Häuser, Menschen… aber ich habe die Möglichkeit, zu erkennen, was wirklich wichtig ist: Mich selbst.

Ich gehe darum so an ein Bild heran, dass ich frage: Wo ist mein Platz darin? Ich bleibe also nicht vor dem Bild als neutraler Beobachter stehen, sondern gehe hinein, als Angesprochener und Beteiligter.

Mir ist bald klar, dass ich irgendwo in dem Gemenge der blauen Formen meinen Ort finde… und zwar sehe ich mich ziemlich klein.

Welche Erfahrungen und Gefühle könnten hier ins Bild kommen?

Ich fühle mich an Lebenslagen erinnert, wo etwas größer, mächtiger war – oder ist – als ich. Wo ich mich beengt und hilflos fühle. Wo es keine Eindeutigkeit gab oder gibt, wo sich kein klarer Weg zeigt.

Für den einen sind solche Erfahrungen vielleicht mit Schwäche oder Krankheit verbunden, für andere mit Unsicherheit in einem Streit – oder gerade für Kinder und Jugendliche damit, dass sie Aggressionen und Mobbing ausgesetzt sind.

Das alles kann von den dunklen, unruhigen, bedrängenden Teilen des Bildes abgerufen werden.

Aber es gibt ja auch die große helle Fläche – hier ist es hell und weit. Auch hier kann ich vorkommen… der Titel des Bildes deutet es an: „Blick ins Weite“. Hier kommt die Sehnsucht nach Weite ins Spiel: Wie gern möchte ich oft heraus aus dunklen, bedrängenden Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen – hinaus in befreiende, freundliche Erfahrungen, die ermutigen und beleben.

Meine Frau hatte vorgeschlagen, dass der Psalm und das Bild ins Gespräch kommen. Jetzt sehe ich, das das Gespräch schon längst angefangen hat – ein Gespräch mit dem Bild – oder das Bild im Gespräch mit mir – oder das Gespräch mit mir selbst. Solche Begegnungen mit uns selbst will Kunst öffnen.

2. Zweite Annäherung: Der Psalm

Versuchen wir jetzt, dem Psalmwort näher zu kommen.

Der 18. Psalm, aus dem unser Vers stammt, ist einer der vielschichtigsten und bilderreichsten: Der Sänger – heute würden wir vielleicht sagen: Der Liedermacher – schildert in immer neuen Bildern Bedrängnis, Angst und Not. Dabei vermischt er offensichtlich Erfahrungen eines Königs mit persönlichen. Von gewaltigen Wassern ist die Rede, von kriegerischer Gewalt, von den Fesseln der Unterwelt, den Schlingen des Todes. Und dann unser Vers:

„Du gibst meinen Schritten weiten Raum, dass meine Knöchel nicht wanken.

So spricht einer, der etwas von Enge und Bedrängnis weiß! Gehen wir dem noch ein wenig nach.

Ich denke, Angst entsteht immer aus der Erfahrung von Enge, - die beiden Wörter gehen ja auch auf die gleiche sprachlich e Wurzel zurück! - dem Gefühl, eingefangen, eingesperrt zu sein.

Das kann durch andere geschehen, die mich nicht zur Entfaltung und damit zu mir selbst kommen lassen. Sie sind so etwas wie Gefängniswärter.

Solche „Gefängniswärter“ gibt es aber auch in uns selbst.

Wie ist das zu verstehen? Das sind Urteile, Normen, Vorschriften, die ich mir zu eigen mache und die mich auf enge Sichtweisen und Verhaltensweisen festlegen.

Beispiele: „Die Jugend“ ist oberflächlich und egoistisch! – Die Arbeitslosen sind nur zu bequem, um sich anzustrengen…

Zu den „Mauern“ gehört auch mangelndes Zutrauen zu eigenen Fähigkeiten: „Das kann ich nicht“!

Oder auch die Macht der Routine, die Entdeckungen verhindert.

Leute in meinem Alter müssen unbedingt neugierig und offen für neue Ideen und bleiben Verhaltensweisen bleiben, sonst geraten sie ins Gefängnis der Mutlosigkeit - Angst kommt auf, dass ich etwas falsch machen könnte, dass andere mich „unmöglich“ finden.

Enge, Angst gibt es auch im Glauben – vielleicht sogar stärker und eindringlicher als anderswo – in anderen Lebensbereichen.

Es ist sicher Vielen so gegangen wie mir: dass uns ein allmächtiger und allwissender Gott vorgestellt wurde, der strenge Gebote und vor allem Verbote erlässt. Wer dagegen verstößt, macht sich schuldig, sogar strafbar und zieht den Zorn Gottes auf sich. „Nur keine Fehler machen, die Gott erzürnen könnten!“. Ein solcher Gottesglaube ist zu eng – und macht Angst. Und er hat mit dem Vater, den Jesus verkündete, nichts zu tun!

Und er macht das Vertrauen zunichte, ohne das wir mit Enge und Angst, mit Mutlosigkeit und bedrückenden Erfahrungen nicht leben können.

Dies Vertrauen lässt den Psalmsänger fröhlich ausrufen: „Du gibst meinen Schritten weiten Raum, dass meine Knöchel nicht wanken.“

Er ist fest überzeugt und weiß aus Erfahrung, dass Gott ihn nicht in der Enge stecken lässt, sondern ihm die helle Weite neuer Erfahrungen öffnet.

Das ist es, was er uns heute sagen will: Du musst nicht mehr erstarren, du kannst dich auf den Weg machen!

Und wenn mein Herz mir sagt: Ich möchte das wohl glauben und annehmen… aber ich kann nicht, ich sitze fest? Dann halte ich meinem Herzen vor, was im Neuen Testament Johannes in seinem Brief schreibt:

Wenn uns unser Herz klein und mutlos macht, lasst euch sagen: Gott ist größer als unser Herz! (1.Joh 3,20)

Lasst uns im Vertrauen ein Lied singen, das dies Vertrauen wunderbar zur Sprache bringt:

1. Meine engen Grenzen, / meine kurze Sicht, bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite: / Herr, erbarme dich.

2. Meine ganze Ohnmacht, / was mich beugt und lähmt, bringe ich vor dich. / Wandle sie in Stärke: / Herr, erbarme dich.

3. Mein verlornes Zutraun, / meine Ängstlichkeit bringe ich vor dich. / Wandle sie in Wärme: / Herr, erbarme dich.

4. Meine tiefe Sehnsucht / nach Geborgenheit bringe ich vor dich. / Wandle sie in Heimat: / Herr, erbarme dich. Lied Nr 589

3. Im Gespräch

Wie sieht es nun mit dem Dialog zwischen Bild und Psalm aus? aus? Ganz gewiss denkt Sigrid Berg nicht daran, dass der Psalm nun eine „Antwort“ auf die Fragen bereit hält, die das Bild anregen mag.

Jeder Gesprächspartner bringt seine eigene Sache in den Dialog ein. Was haben sie sich zu sagen und zu geben?

Im Bild ist mir die Offenheit der Gestaltung wichtig. Sie ermöglicht mir, meine Erfahrungen und Gefühle kennenzulernen und ihnen nachzusinnen:

Was verengt meine Welt, was hält mich gefangen?

Und: Was ist meine Hoffnung auf Licht und Weite?

Auch der Psalm hat viel zum Gespräch beizutragen: Wie bei allen Psalmen bringt er eine neue Dimension ins Spiel: Der Sänger trägt seine Erfahrungen und Gefühle Gott und den Menschen zu. Er hat ein Gegenüber, an das er sich vertrauensvoll wenden und halten kann.

Er spricht Gott unmittelbar im Gebet an und schöpft daraus seine Kraft. - Aber auch die Menschen gehören dazu: Die Psalmen sind ja keine Schreibtischpoesie, sondern Gebrauchstexte, die in der Gemeinde zu Gehör kamen und die Solidarität der Freunde aktivierten.

Aus dieser Zuversicht schöpft der Sänger den Mut, sich auf den Weg zu machen: "Ich gehe," sagt er, "ich bleibe nicht stehen, gebannt von Enge und Angst, ich gehe und weiß, dass es ein Gang ins Licht ist".

4. Und praktisch?

„Du gibst meinen Schritten weiten Raum..“ Wer ist eigentlich dies DU? Wir sagen „Gott“ – und wissen, dass Gott viele Möglichkeiten hat, seine Hilfe einzulösen.

Ich weiß, dass ein Gespräch mit einem Menschen, dem ich vertraue, ein Schritt in die Weite sein kann – dass die selbstverständlich-wortlose Hilfe des Nachbarn die Enge überwinden kann – dass die liebevolle Zuwendung meines Kindes oder meiner Enkel das verdunkelte Vertrauen beleben kann… Wir alle kennen solche Weite- und Lichterfahrungen. Eins bedeutet es allerdings nicht: Dass alles, was Angst macht, mit einem Mal verschwunden ist, dass alles, was mich beengt und bedrängt, vorbei ist.

Da bleibt vieles stehen – wie auf dem Bild die spitzen, aggressiven Formen, die in den weiten Raum hineindrängen.