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Jennifer B. Wind

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Beschreibung

Kurz vor Weihnachten verliert Friedrich Stolz seinen Job. Eine schier unglaubliche Last, denn seine Frau sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl, gemeinsam haben sie drei Kinder. Um seine Frau nicht zusätzlich zu belasten, verschweigt er seine Arbeitslosigkeit. Auf dem Weihnachtsmarkt bekommt er ein Jobangebot bei einer Entrümplungsfirma. Zwei ebenfalls gekündigte Freunde haben zudem eine Geschäftsidee, schneller an Geld zu kommen und sich gleichzeitig am ehemaligen Chef zu rächen.

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Jennifer B. Wind

Last Christmas

Weihnachtsnovelle

Zum Buch

LETZTE WEIHNACHTEN Kurz vor Weihnachten verliert Friedrich Stolz seinen Job. Eine schier unglaubliche Last, denn seine Frau sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl, gemeinsam haben sie drei Kinder. Um seine Frau nicht zusätzlich zu belasten, verschweigt er seine Arbeitslosigkeit. Auf dem Weihnachtsmarkt bekommt er ein Jobangebot bei einer Entrümpelungsfirma. Zwei ebenfalls gekündigte Freunde haben zudem eine Geschäftsidee, schneller an Geld zu kommen und sich gleichzeitig am ehemaligen Chef zu rächen.

Jennifer B. Wind wurde in Leoben geboren und lebt mit ihrer Familie in Niederösterreich. Die ehemalige Flugbegleiterin schreibt Romane, Drehbücher und Kurztexte, die bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Ihr Debüt, der Thriller „Als Gott schlief“, wurde zum Bestseller. „Die Maske der Gewalt“, der Auftakt einer neuen Thriller-Serie stand mehrere Wochen auf der Bild-Bestseller-Liste. Seit 2012 ist sie Jurorin beim Zeilen.lauf und Schreib.art Literaturpreis. 2021 sitzt sie in der Jury des Friedrich Glauser Preises. Als Coach kümmert sie sich um Nachwuchsautoren. In ihrer Freizeit malt, zeichnet und singt sie, arbeitet ehrenamtlich für diverse Autorenvereine und ist aktiv in Sachen Tier- und Umweltschutz unterwegs.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

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Alle Rechte vorbehalten

Diese Kurzgeschichte erschien erstmals in der Anthologie »Von Zimsternen und Zimtzicken« 2016 im Gmeiner-Verlag

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer

unter Verwendung eines Fotos von: © KatrinDitrih / pixabay.com

ISBN 978-3-7349-9482-1

Vorwort

Liebe/r Leser/in,

Weihnachten ist das Fest der Liebe, des Friedens und der (Vor)Freude. Leider gilt das nicht für alle Menschen. Viele wohnen in Kriegs- oder Naturkatastrophengebieten, oder sind auf der Flucht. Andere leben in Armut oder am Rande des Existenzminimums. Manche Menschen sind schwer krank, einsam oder obdachlos. Viele wissen nicht wie sie ihren Kindern zu Weihnachten überhaupt ein Essen auf den Tisch bringen sollen, geschweige denn Geschenke.

All diese Menschen werden sich gerade in der Weihnachtszeit dem Mangel bewusst. Mangel an Geld, Gütern, Nahrung, Kleidung, Freunden, Wohnung, Beziehungen und Gesundheit. Und zwischen Punschständen, singenden Chören, Konsumwahn und Überfluss stehen sie: unbemerkt und ausgeschlossen.

Mit diesem Krimi möchte ich nicht nur unterhalten, sondern auch zum Dialog und zur Tat anregen, in dieser stillen Zeit des Jahres auch an jene zu denken, die leiden, hungern, und frieren. Vielleicht kennen Sie sogar in Ihrem Umfeld jemanden, dem es nicht so gut geht. Nicht immer ist es Geld das fehlt, manchmal reicht auch Anteilnahme, ehrliches Interesse, Zuhören, Zeit oder einfach eine Umarmung.

Machen Sie Weihnachten aktiv zu einem Fest der Liebe, Freude und des Friedens und reichen Sie diesen Menschen die Hände.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen spannende Lesestunden sowie ein besinnliches und freudvolles Weihnachtsfest.

Ihre Jennifer B. Wind

Prolog

Die letzten Sätze des Vorstandspräsidenten Adrian Huber verklangen, dann stieg er vom Podium, lockerte seine Krawatte und verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen, den Saal. Stille breitete sich aus, als ob die Menschen auf etwas warten würden. Musik? Gelächter? Eine Beschwichtigung? Einen weiteren Satz, der alle vorangegangenen ad absurdum führen würde? So etwas wie: »April, April!« oder »Reingefallen!« und »Die Firma ist natürlich nicht Konkurs gegangen, im Gegenteil!«. Alle würden erleichtert lachen, sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und den Firmenpräsidenten für seinen Humor loben. Danach würde Adrian Huber ihnen erklären, dass heuer alle Mitarbeiter einen Bonus erhalten würden. Schließlich war bald Weihnachten. Aber nichts dergleichen geschah. Die Stille legte sich wie Staub über den Raum. Alle Mitarbeiter hielten den Atem an. Manche blickten sich um und starrten in die Ecken, als würden sie eine versteckte Kamera suchen. Mit jeder weiteren Minute, die verstrich, wurde auch diese Hoffnung zunichte gemacht. Friedrich blickte in das Gesicht von Annemarie, die neben ihm stand. Die Augen weit aufgerissen, glasig. Akribisch biss sie sich die Unterlippe blutig. Annemarie war alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Ihr Mann war vor zwei Jahren gestorben. Sie wiegte den Kopf hin und her, als könnte sie damit das Unvermeidliche verneinen und abschütteln. »Wovon soll ich jetzt die Geschenke kaufen«, murmelte sie vor sich hin. Friedrich sah zu Egmont. Seit über 45 Jahren arbeitete er für die Firma, in vier Jahren würde er in Pension gehen. Dachte er. Egmonts Gesicht hob sich kaum von der hellen Wand dahinter ab. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, so fest, dass das Weiß der Knöchel hervortrat. Vor Friedrich stand Tatjana, das 22-jährige Lehrmädchen ohne Schulabschluss, ohne Eltern, ohne Perspektive, HIV-positiv seit ihrer Geburt. Friedrich hatte ihr vor drei Jahren die Chance gegeben, als niemand anderer sie wollte. Ihre Schultern zuckten. Aus seiner Kitteltasche fingerte Friedrich ein zerknittertes Taschentuch und reichte es ihr über die Schulter. Nickend griff sie danach und schnäuzte sich lautstark. Langsam begriff einer nach dem anderen, was er gerade gehört hatte. Als wären damit die Dämme endgültig gebrochen, setzte von allen Seiten lautes Weinen ein. Manche fluchten lautstark. Aus dem Augenwinkel sah Friedrich, wie Egmont seine Fäuste in die Verschalung des Raums bretterte. Blut spritzte auf die Wand. Annemarie schwankte. Ihre Hände zitterten. Obwohl Friedrich sie zu halten versuchte, knickten ihre Knie ein, und sie rutschte auf den Boden. Ihre Fingernägel krallten sich in seine Jeans. Den Kopf in seinen Beinen vergraben, heulte sie laut auf. Unbeholfen patschte Friedrich ihr über das Haar, während sie zwischen den Schluchzern rief: »Tu doch was, Friedel. Tu was dagegen. Der hat uns grade Weihnachten versaut. Der kann das doch nicht machen!« Er tätschelte weiter ihren Kopf. In solchen Sachen war er nicht gut. Mehrere Mitarbeiter drehten sich nach ihnen um.

»Ja, Friedel, lass uns nicht im Stich. Tu was!«, schrie Egmont und hielt sich die blutige Faust.

Tatjana drehte sich ebenfalls um und sah ihn an. Ihre Augen glänzten, das Weiß war trüb. In der Hand hielt sie das zerknüllte Taschentuch.

»Bitte. Ich weiß doch nicht, wohin! Ich will nicht wieder auf die Straße. Nicht im Winter.« Sie hob ihre dünnen Ärmchen in seine Richtung. Friedrich betrachtete die helle Haut mit den Sommersprossen auf den Unterarmen, die Narben und verheilten Einschnitte. Er konnte nichts tun, die Hilflosigkeit legte sich über ihn wie die Smogdecke über Shanghai. Konkurs. Insolvenz. Ab November kein Gehalt mehr. Kein Weihnachtsgeld. Verkürzte Kündigungsfrist. Die Worte schwirrten in seinem Kopf herum. In einem Monat würden alle Menschen im Raum arbeitslos sein, mitten in den normalerweise schönsten Wochen des Jahres, im Advent. Seine Zunge klebte am Gaumen fest. Er konnte den schalen Geschmack im Mund nicht loswerden. Sein Magen krampfte. Er blinzelte die Angst weg. Ein Rinnsal aus Schweiß lief seinen Rücken hinab und benetzte seine Unterhose. Von allen Seiten redeten seine Mitarbeiter auf ihn ein. Ein Pfeifton erklang in seinem Ohr. Die Stimmen schwollen an, kesselten ihn ein, bretterten in wildem Staccato durch den Raum, zeitweise unterbrochen von einem Klagen oder Fluchen, und hallten in seinem Kopf wider.

Tu etwas, tu etwas, tu etwas.

Der Chor der Hilflosigkeit, der Chor der Hoffnungslosigkeit. Entgegengestreckte Hände und rotwangige Gesichter verschwammen vor seinen Augen, bevor er wild um sich schlug, sich schreiend vom Mob befreite und aus dem Raum lief.

Vier Wochen später

1

Sonntag, 11. Dezember

Inmitten des Wohnzimmertisches steht auf einer weißen Mitteldecke mit Goldborte der Adventskranz. Früher habe ich jedes Jahr selbst einen gebastelt, seit drei Jahren kaufen wir die ganze Dekoration. Drei der roten Kerzen sind schon fast ganz heruntergebrannt. Ich weiß, es ist irrational, meine Angst sicher unbegründet und das Bauchgrimmen vermutlich nur auf eine Magenverstimmung zurückzuführen. Oder doch nicht? Ich schiele auf die Uhr. Ob sie falsch eingestellt ist? Vielleicht ist die Batterie leer. Hat Leo vergessen, sie auszuwechseln? Fragen kann ich ihn nicht, er ist schon vor zwei Stunden gegangen. Normalerweise muss ich danach nicht lange warten, bis mein Mann Friedrich nach Hause kommt. Aber in den letzten Wochen hat sich alles verändert. Er kommt nicht mehr nach Hause, jedenfalls nicht zu der Zeit, die ich gewöhnt bin und nach der sich auch Leo richtet. Friedrich war auch heute den ganzen Tag unterwegs. Am Sonntag! Unmöglich. Seit einer Stunde sitze ich ungemütlich in meinen eigenen Exkrementen. Ich kann es nicht spüren, aber riechen. Es wird ewig dauern, meinen Hintern zu waschen, wenn das Zeug eingetrocknet ist. Friedrich wird fluchen, schimpfen und es auf Leo schieben, der mich seinerseits aber sauber und duftend hinterlassen hat.

Mühsam schiebe ich den Zeigefinger auf den Knopf der Armlehne und fahre in die Küche. Trotz des Gestanks, der von meiner Hose ausgeht, grummelt mein Magen. Violetta hat ein Date, Lisa ist mit ihrer Skaterbande zusammen, und Toby schläft. Seit Tagen plagt ihn das Fieber. Seit seiner Geburt leidet er an einer Immunschwäche, deshalb geht er in eine spezielle Privatschule mit Kleingruppen. Trotzdem steckt er sich oft an. Heute hat sich Leo vorwiegend um ihn gekümmert, nachdem er mich versorgt hat – neuer Katheter, neuer Urinsack und frische Wäsche. Alles für die Katz. Auf die Toilette gehen kann ich nicht alleine. Jemand muss mich ausziehen und auf die Brille heben. Schön wollte ich heute sein und habe Leo extra gebeten, mir keine Windel anzulegen, weil heute der 15. Hochzeitstag ist. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass Friedrich ihn vergessen hat. Wie so vieles in letzter Zeit. Seltsam zerstreut und abwesend wirkt er, wenn er mit mir zusammen ist. In seinen Blicken suche ich Liebe, fühle aber nur Mitleid und Trauer. Er sieht mich an wie ein zerbrochenes Spielzeug, das einmal sein Lieblingsteil war, aber jetzt nicht mehr uneingeschränkt verwendet werden kann. Man stellt es also ins Regal und versucht, es so wenig wie möglich zu berühren.