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Mit SUP-Board und Laufschuhen die Elbe hinunter: Erlebnisbericht einer einzigartigen Reise Sie sind Extremsportler, wie sie im Buche stehen: Philipp Jordan läuft gerne mal 100 Kilometer am Tag, Timm Kruse paddelt mit dem SUP nach Feierabend von Kiel nach Lübeck. Jetzt haben sie gemeinsam die Elbe bezwungen, der eine an Land, der andere auf dem Fluss. Jeden Tag legten sie mindestens eine Marathon-Strecke zurück und trafen sich abends am Lagerfeuer, um sich über ihre Erlebnisse und schmerzenden Füße auszutauschen. In diesem außergewöhnlichen Reisebericht können Sie die gesamte Strecke der beiden Abenteurer nachverfolgen. Von der tschechischen Grenze bis in den Hamburger Hafen sind Sie in unterhaltsamen Texten und atemberaubenden Fotos hautnah dabei. Für die Extraportion Spannung fordern sich die Sportler unterwegs gegenseitig mit actionreichen Challenge-Aufgaben heraus – so haben Sie Outdoor-Sport noch nie erlebt! • Zwei Sportler, zwei Routen, ein Ziel: Mit Laufschuhen und SUP die Elbe bezwingen • Unterhaltsamer Reisebericht über ein besonderes Abenteuer: von den Autoren der beliebten Bücher "#Fatboysrun" und "Ein Mann, ein Board" • Alles, außer langweilig: Mit spannenden Challenges Läufer gegen Stand-up-Paddler • Actionreich, bildgewaltig, adrenalingeladen: umfangreich illustriert mit über 100 großformatigen Fotos der spektakulären Reise Abenteuer Elbe: Zwei Adrenalinjunkies auf großer Tour Timm Kruse und Philipp Jordan suchen den Adrenalinkick und gehen gern bis an ihr Limit. Philipp trainierte sich vom sportabstinenten "Fatboy" zum Ultraläufer und rannte unter dem Motto "home2home" von seiner Wahlheimat Utrecht bis nach Karlsruhe. Timm verdingte sich bereits als Chauffeur für einen Guru und pilgerte den Jakobsweg – natürlich auf dem Paddling Board (Buch "Pilgern mit Paddel"). Im Mittelpunkt steht bei beiden jedes Mal die Selbsterfahrung. Sich selbst herausfordern, Grenzen sprengen und niemals aufgeben – zwei außergewöhnliche Sportler machen es vor!
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Seitenzahl: 211
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Von der tschechischen Grenze zur Nordsee
800 Kilometer entlang der Elbe in 22 Tagen
TIMM KRUSEPHILIPP JORDAN
DIE CHALLENGE:ZWEI ABENTEURER BEZWINGENDIE ELBE
1. Auflage 2021
© Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld
Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:
ISBN 978-3-667-12234-6 (Print)
ISBN 978-3-667-12339-8 (Epub)
Lektorat: René Stein
Fotos: alle Fotos © Jonas Kantz, bis auf: Philipp Jordan:
Seiten 11, 48 unten, 61 (beide oben), 67 unten, 133;
Timm Kruse: Seiten 12, 100 unten links, 126 unten links,
138 unten rechts; Lena Naumann: Seite 119; Hanno Nörenberg:
Seite 88; Bruni Prasske: Seite 100 oben; Caro Stecher:
Seiten 130, 134; Timo Tørner (Cäptn): Seiten 72, 137, 139 oben
Karte: Inch3, Bielefeld
Umschlaggestaltung und Layout: Felix Kempf, www.fx68.de
Datenkonvertierung E-Book: Bookwire - Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH
Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.
www.delius-klasing.de
Beginn der Reise bei Regen und 5 Grad Celsius.
TAG 0
SCHMILKA, AN DER TSCHECHISCHEN GRENZE.
WIESO, WESHALB, WARUM, MANCHMAL LÄUFT ES DUMM
TAG 1
SCHMILKA – DRESDEN, 55 KILOMETER
ALLER ANFANG IST TOLL …
TAG 2
DRESDEN – MEISSEN, 26 KILOMETER
EIN BLUTIGER STRAHL
TAG 3
MEISSEN – MÜHLBERG AN DER ELBE, 50 KILOMETER
EUPHORIE, OBS UND HELMUT KOHL
TAG 4
MÜHLBACH – TORGAU, 26 KILOMETER
SANDALENFILM
TAG 5
TORGAU – PRETZSCH, 33 KILOMETER
BE CAREFUL WHAT YOU WISH FOR …
TAG 6
PRETZSCH – WITTENBERG, 36 KILOMETER
IN WINDES EILE
TAG 7
WITTENBERG – DESSAU, 34 KILOMETER
NOCHMAL MIT ANNA ANNA ELBE
TAG 8
DESSAU – BARBY, 49 KILOMETER
LEBEN UND LEBEN LASSEN
TAG 9
BARBY – MAGDEBURG, 49 KILOMETER
FÜNFZEHN EINEINHALB MINUTEN RUHM
TAG 10
MAGDEBURG – ROGÄTZ, 26 KILOMETER
YOU’LL NEVER RUN ALONE
TAG 11
ROGÄTZ – TANGERMÜNDE, 38 KILOMETER
LIKE SCHMERZ IN THE SUNSHINE
TAG 12
TANGERMÜNDE – HOHENBERG-KRUSEMARK, 25 KILOMETER
AFTER THE RAIN COMES SUN, AFTER THE SUN COMES RAIN AGAIN
TAG 13
HOHENBERG – WITTENBERGE, 48 KILOMETER
ZUSAMMEN IST MAN WENIGER ALLEIN
TAG 14
WITTENBERGE – LENZEN, 35 KILOMETER
DER SICH DEN WOLF LÄUFT
TAG 15
LENZEN – WEHNINGEN, 30 KILOMETER
SCHLAPPI SCHLAPPMEYER
TAG 16
WEHNINGEN – NEU DARCHAU, 26 KILOMETER
VOLKSWANDERUNG
TAG 17
BAD DARCHAU – LAUENBURG, 35 KILOMETER
LÄUFT
TAG 18
LAUENBURG – GEESTHACHT, 25 KILOMETER
AHNMA, HAMBURG CITY, ALDA
TAG 19
HAMBURG
FISCHGERUCH UND HAFENKÄHNE
TAG 20
GEESTHACHT – ELBECAMP, 50 KILOMETER
MITTEN DURCH DIE SCHAFSTOILETTE
TAG 21
ELBECAMP – WISCHHAVEN, 35 KILOMETER
JA MANN, WIR KÖNNEN AUCH MAL JAMMERN
TAG 22
NEUHAUS – CUXHAVEN, 25 KILOMETER
IS THIS THE END?
DIE TAGE DANACH
DANKE
EPILOG
Bevor es losgeht: Fototermin mit einem Fotografen der lokalen Zeitung.
DIES IST KEIN REISEFÜHRER.
ERWARTEN SIE VON UNS BLOSS KEINE KULTURELLEN, GEOLOGISCHEN ODER WISSENSCHAFTLICHEN ABHANDLUNGEN.
HIER ERFAHREN SIE, WIE MAN ULTRALÄUFT UND ULTRASUPT, WIE MAN SICH DABEI FÜHLT UND WIE MAN ES SCHAFFT, JEDEN TAG BIS ZU 55 KILOMETER UNTERWEGS ZU SEIN UND SICH DABEI NUR GANZ SELTEN AUF DIE NERVEN GEHT.
EINE WAHRE GESCHICHTE – OB SIE’S GLAUBEN ODER NICHT.
Diese verrückte Reise begann damals so: Der Journalist und Abenteurer Timm Kruse interviewt den Ultraläufer Philipp Jordan in seinem Podcast Meilen und Zeilen und kommt aus dem Nichts mit einer Eingebung.
»Hey, ich hab’ gerade ’ne Idee. Wollen wir nicht mal was zusammen machen? Gemeinsam einen Fluss runter? Ich auf ’m Wasser per SUP, und du an Land mit Laufschuh?« Und Jordan stammelt ein schrecklich überraschtes, ängstliches, nicht nein-sagen-könnendes »Äi, ja, hey, ich find’s, hua, jaaa«, und seine Stimme überschlägt sich wegen der neuen Möglichkeit, endlich wieder in Form zu kommen – denn er hat sich ganz schön gehen lassen in den vergangenen Monaten.
Eine Woche später verschickt Kruse ein Exposé – Arbeitstitel: Laufschuh gegen SUP, der Verlag nimmt das Projekt an, und Kruse wieder: »Hey Philipp, biste dabei?« Ist er – und läuft seitdem 100 Kilometer pro Woche. Fatboysrun ist zurück in der Spur.
Und so begegnen sich die beiden im Mai 2021 am Ende des dritten Lockdowns zum ersten Mal, um gemeinsam auf eine 800 Kilometer lange Reise zu gehen. Nebenbei wollen sie ein Buch schreiben – dieses Buch und 100.000 Euro für das gemeinnützige Hamburger Unternehmen »Oll inklusiv« sammeln. Okay, eigentlich ein bisschen viel für so ein Abenteuer.
Aber plötzlich wächst diese Tour. Ein befreundeter Fotograf begleitet die beiden mit seinem vierjährigen Sohn per E-Bike, und das Hamburger Urgestein Cäptn Clepto meldet sich und sagt, er wolle die Aktion unterstützen, per Wohnmobil dabei sein und mit Fahrdiensten aushelfen.
Die Gang steht, und die Elbdorados machen sich auf einen langen Weg quer durch Deutschland.
WIESO, WESHALB, WARUM, MANCHMAL LÄUFT ES DUMM.
Ich sitze gerade auf meinem Bett und befinde mich in Schmilka, nahe der tschechischen Grenze – mein Hotelbett ist buchstäblich nur einen Steinwurf entfernt, sofern man durch Hotelwände schmeißen kann und besser schmeißt als ich. Morgen geht es endlich los. Das große Abenteuer. Zu zweit die Elbe runter. Aber wieso um alles in der Welt kommt man auf die Idee, noch einmal mit einem Ziehwagen einen Fluss entlang zu laufen? Und war das überhaupt meine Idee?
Vor einem Jahr kam mein Buch #Fatboysrun – Wie mich das Laufen jeden Tag aufs Neue rettet heraus. Coronabedingt fiel die Leipziger Buchmesse ins Wasser – keine Lesungen, keine Buchpromo, kein Blitzlicht, keine kreischenden Groupies, kein Stage Diving, nix, nada. Stattdessen hat mir der Verlag Timm Kruse geschickt, der mich für seinen Podcast Meilen und Zeilen zu meinem Buch interviewen wollte.
Drei Jahre waren vergangen, seitdem ich zwei Wochen lang jeden Tag den Rhein aufwärts mehr als eine Marathondistanz gelaufen bin. In der Zwischenzeit bin ich wieder fett geworden, oder wenigstens habe ich für einen Langstreckenläufer ordentlich Speck auf den Rippen angesammelt. Ich lief zwar noch ab und zu, aber lange nicht mehr mit der Regelmäßigkeit, lange nicht mehr mit demselben Enthusiasmus, den ich drei Jahre vorher an den Tag gelegt hatte.
Und dann passierte es. Timm fragte mich mitten im Podcast, ob ich nicht Bock hätte, mit ihm zusammen noch mal einen Fluss zu bereisen. Ich wieder zu Fuß, und er eben stehend auf einem Surfbrett. Mit Paddel. Sie kennen das ja vielleicht aus dem Urlaub, man sieht sie oft auf Badeseen, diese Menschen, die aus dem vielleicht coolsten Sportgerät des Planeten, das eigentlich für Action, Freiheit und unendliche Lockerheit steht, den wohl uncoolsten Sport der Sportgeschichte gemacht haben – SUPen.
Und jetzt die Elbe? Von der tschechischen Grenze bis ans Meer? Und ich Depp hör mich sagen: »Ja, warum nicht? Muss mal gucken.«
Eine Frage und eine Antwort, die – und ich übertreibe nicht – mein Leben komplett verändern sollte, zumindest im darauffolgenden Jahr. Zwei Wochen später dann die Mail vom Lektor, das Buch sei durchgewinkt worden. Wenn wir irgendwann im Frühling das Abenteuer starten könnten, ginge das Buch irgendwann im August in Druck.
Was? Wie? Das ging jetzt aber verdammt schnell. Ein Blick vom Computerschirm nach unten auf meine fette Wampe und wieder zurück. Oha. Auf was haste dich da eingelassen? »Ja, warum nicht?«, murmle ich laut vor mich hin. Eigentlich gäbe es da einen reich gedeckten Tisch mit genügend Gründen, warum nicht. Ich war zu dem Zeitpunkt besser geeignet, ein Buch über Sumoringen zu schreiben als über ein Laufabenteuer. Ich konnte kaum fünf Kilometer laufen, ohne keuchend fast zu kollabieren. Aber vier Wochen täglich eine Distanz nah am Marathon?
Mir saß die Angst im Nacken, aber je länger ich drüber nachdachte, desto mehr Bock hatte ich. Doch gleichzeitig stieg auch die Furcht, der Respekt, die Achtung vor so einer Strecke. Eigentlich bin ich ja der Typ, der andere überrollt. Derjenige, der andere mitzieht, überredet, ja geradezu manipuliert, Dinge zu tun, die sie eigentlich überhaupt nicht tun wollen. Und jetzt war ich auf der anderen Seite, Timm hatte meine Rolle übernommen, und da fing es an. Das Laufen wurde wieder Teil meines Alltags. 113,6 Kilogramm wog ich, und ich war nicht mal schwanger zu der Zeit, einfach nur unglaublich fett. Anfangs lief ich im Watscheltempo drei Kilometer mit einer Gehpause. Dann steigerte ich mich auf fünf Kilometer. Die Pfunde purzelten, und die Kilometer häuften sich.
Die »Elbdorados«, das sind wir: Timm, Cäptn Clepto und Philipp (von links).
Aus kurzen Runden von acht Kilometern entwickelte sich die regelmäßige Zehner-Runde. Ich durchbrach die 110-Kilogramm-Schallmauer, danach fielen die 100 Kilogramm, und praktisch im Vorbeigehen ließ ich mein Gewicht vom letzten Rheinabenteuer auch hinter mir. Inzwischen kann ich auch wieder viel laufen, und mein Monatspensum liegt bei knapp die 300 Kilometern.
Es lässt sich schwer in Worte fassen, wie viele Glücksmomente mir diese Transformation geschenkt hat. Ich könnte manchmal heulen aus tiefer Dankbarkeit. Im Gegensatz zu Timm bin ich kein spiritueller Mensch. Er glaubte einer alten Frau aufs Wort, als sie ihm erzählte, sie würde sich nur von Sonnenlicht ernähren. Er war Chauffeur für einen Guru in Indien. Ich hätte die alte Frau wahrscheinlich still und heimlich ausgelacht, den Guru als narzisstischen Betrüger abgestempelt und ihm ein Taxi gerufen. Ich bin also so spirituell wie eine Eieruhr … und das schon auf fast unsympathische Weise.
Aber in diesem Jahr, das nun hinter mir liegt, habe ich doch etwas festgestellt. Ich will es nicht direkt spirituell nennen, aber es fühlt sich doch wie eine höhere Erkenntnis an. Ich habe wieder gemerkt, dass das wahre Glück in uns liegt. Dass der Komfort und das, was wir Luxus nennen, oft pures Gift sein kann. Das kalte Glas Cola nach einem langen Lauf durch die Hitze schmeckt so gut, das kriegen Sie mit einem Champagner im edelsten Golfclub nie hin. Die harte Bank am Wegesrand, auf die man sich verschwitzt nach 30 Kilometern setzt, ist so viel angenehmer als der teuerste (und meinetwegen mit Nashornleder überzogene) Massagesessel der Welt. Und schwitzend durch die Natur laufen ist bestimmt das höchste, was ein Mensch erreichen kann. Da gehören wir hin, laufend in den Wald. Da fühle ich mich eins mit jedem Vogel, der da vor sich hin zwitschert. Im Grunde bin ich schon jetzt der große Gewinner dieser Challenge, weil ich gewichtsmäßig der größte Loser war.
Und das alles verdanke ich ja doch zu großen Teilen Timm. Diesem Typen, den ich ja eigentlich gar nicht kenne. Und doch verbindet uns etwas. Wir haben inzwischen beide unglaublich viel Lust auf dieses Abenteuer. Wir haben beide dasselbe Ziel: gemeinsam die Elbe hinunter. Von der tschechischen Grenze bis nach Cuxhaven an der Nordsee. Gegen und mit unseren Körpern den Kilometern trotzen. Gegen und mit der Natur diesen Fluss bezwingen, dem nichts egaler sein könnte, ob wir es bis ans Meer schaffen. Ich habe inzwischen sein Buch gelesen, das von seinem Paddeltrip auf dem Jakobsweg (Sie haben sich nicht verlesen!) erzählt. Jetzt habe ich noch mehr Lust auf unser Abenteuer.
Und just liege ich in Schmilka in einer malerischen Schlucht, nur wenige Meter neben einem alten Mühlrad, auf meinem Bett und freue mich nach dieser langen Zeit, morgen früh endlich starten zu können. Die letzten Tage waren hektisch. Ich schlafe unruhiger. Ich freue mich so sehr, mir meinen Ziehwagen umzuschnallen und endlich loszulaufen. Warm werden. Schwitzen. Nur noch einen Fuß vor den anderen setzen zu müssen. Dann wird aller Stress von mir abfallen. Es wird sehr anstrengend werden, es wird schmerzen, aber das macht alles so viel einfacher. Nur einen Fuß vor den anderen. Links, rechts, links, rechts. 800 Kilometer lang. Wenn doch nur alles im Leben so einfach wäre.
Schon die Anfahrt ist eine Katastrophe; so sollte ein Abenteuer nicht beginnen: Kurz vor der tschechischen Grenze fliegt uns das Getriebe um die Ohren. Unter der Motorhaube gellt ein kurzer, schriller Todesschrei auf, es folgt ein entsetzliches Röcheln, irgendein Metallteil löst sich und klimpert die Landstraße runter, der fünfte Gang streikt, und schließlich blockiert die gesamte Maschine. Und das verrückterweise 300 Meter vor unserem Hotel, im tiefsten Sachsen.
Als wir dem Mann vom ADAC erzählen, dass das Gefährt 35 Jahre alt ist und 330.000 Kilometer runter hat, zieht der gelbe Engel die Brauen hoch, sagt unerklärlicherweise »Nü«, fährt die Rampe seines Abschleppwagens aus und zieht die drei Tonnen auf Rädern hoch auf die Ladefläche.
Famoser Ausblick an der tschechischen Grenze bei miesem Wetter. Hier hat die Elbe noch eine ordentliche Strömung.
Ursprünglich war das Wohnmobil als Begleitfahrzeug für unsere Tour gedacht, als Fahrer soll uns Cäptn Clepto dienen – ein Hamburger Urgestein und Original: lang, dünn, um die 50 Jahre alt und von viel Lebenserfahrung gezeichnet, gesprächig und vom Gemütstyp her Stoiker, mit Hufeneisenbart, Antifa-Sticker, St. Pauli-Schal und Kapitänsmütze à la Jack Sparrow. Mit anderen Worten: genau der richtige Mann für so eine Tour; den bringt nichts aus der Ruhe, der findet in den elendsten Situationen noch einen abstrusen Spruch und versteht sich und das Leben als lustiges Kunstwerk, das jeden Tag gefeiert werden sollte. Sein optisches Vorbild scheint Gonzo aus der Sesamstraße zu sein; vielleicht ist es aber auch Lucky Luke mit dem Grashalm im Mund.
Dass der Cäptn jetzt in einem ADAC-Clubmobil sitzt, noch dazu einem Opel, passt so wenig zusammen wie der HSV und erfolgreicher Fußball. »Da sind wir ja in unserem Elb-Dorado angekommen«, grunzt er und wirft dem Vectra einen verächtlichen Blick zu. Im normalen Leben bewegt er sich in einem mit bunten Graffiti überzogenen Ford Transit im Hamburger Hafenstraßen-Stil. Als das Wohnmobil noch rollte, hatten wir nach fünf langen Stunden von Hamburg nach Dresden Philipp vom Bahnhof abgeholt. Wir haben bestimmt schon hundert Mal gefacetimed, unzählige Sprachnachrichten und Mails verschickt, und doch war ich überrascht, wie anders er in Natura wirkt. Fast ein bisschen schüchtern, gar nicht so draufgängerisch wie am Telefon. Ich bin extrem erleichtert, dass er mir auch bei unserer ersten Begegnung richtig sympathisch ist – fast noch sympathischer als auf dem Bildschirm.
In einem früheren Gespräch hatte er mir gesagt, dass er sehr harmoniebedürftig sei; und genau das strahlt er aus. Etwas Liebes, Wahrhaftiges. Als Tier wäre er ein Bär – vielleicht ein Tanzbär, mit Glatze und Dreitagebart. Auf seinen Armen prangen Comic-Tattoos, Zeichnungen seiner Kinder. Warum er pinkfarbene Socken und eine gelbe Brille trägt, frage ich ihn später mal.
Schon nach den ersten Sätzen wusste ich: Der Typ ist genauso irre wie ich selbst. Endlich einer, der unkonventionell denkt, der ungezügelt ist, undressiert, Locken im Kopf. Dessen Grenzen anders verlaufen, als bei den meisten Menschen in unserer Gesellschaft. Einer, der ein Künstlerleben führt, ohne ständig einen auf Künstler zu machen; ohne besonders sein zu müssen – denn er ist ja schon besonders. Der aufblüht, wenn er die ausgelatschten Pfade verlässt. Der raus muss, um wieder zu sich selbst zu finden, wenn er sich vor lauter Überzivilisation verloren hat.
Wahrscheinlich hat er seine Mischung aus freiem Künstlerleben und gesellschaftlicher Norm gefunden, um glücklich zu sein. Denn glücklich wirkt er. Und nur darum geht’s im Leben.
Am späten Nachmittag trudelt unser Fotograf Jonas mit dem E-Bike ein, im Anhänger sein Sohn Lijus und eine riesige Tasche voller Equipment. Jonas ist die halbe Strecke von Dresden ohne Akku durch den Regen gefahren und sieht nicht so aus, als hätten er und sein Sohn dabei sonderlich viel Spaß gehabt. Jonas ist schwer einzuschätzen, hält Menschen erst einmal auf Distanz und wartet ab. Genau wie sein Sohn ist er niemand, der anderen sofort vertraut oder der sich grundlos öffnet. Aber das wird schon kommen. Vielleicht ist es gut, wenn wenigstens einer von uns introvertiert ist, und nicht jedem sofort seine Lebensgeschichte aufs Ohr drückt.
Abends stehen wir vier am Ufer und schauen auf die Elbe direkt an der tschechischen Grenze. Jonas macht ein paar Bilder, der Cäptn schüttet einen Schluck Bier in den Fluss, um die Götter zu besänftigen, Philipp unterhält sich mit allen, und keiner hört zu. Und ich? Ich habe ein flaues Gefühl im Magen und weiß nicht, ob diese Reise gut enden wird. Aber das kenne ich schon von mir. Mein Optimismus verlässt mich zuverlässig, wenn ich auf dem Startblock stehe.
Irgendwann gehen wir langsam zurück ins historische Schmilka mit den Fachwerkhäusern und wohl gepflegten Vorgärten. Ich stelle mir kurz vor, in diesem schweigsamen Dorf zu Hause zu sein, und schaudere.
Der ADAC schleppt mein Wohnmobil ab – Getriebeschaden.
ALLER ANFANG IST TOLL …
Natürlich war mir schlecht heute früh. Natürlich habe ich nicht geschlafen. Und natürlich war ich so nervös am Start, als hätte ich noch nie auf einem SUP gestanden und müsste einen Tsunami abreiten.
An der tschechischen Grenze wartet ein Fotograf der lokalen Zeitung auf uns. In gewöhnlichen Situationen vermutlich ein angenehmer Typ, hier jemand, der mir mit seiner Lahmarschigkeit und fordernden Art – »Der Frühnebel ist ja jetzt weg!« – extrem auf die Nerven geht. Einer von diesen Männern, die ihren Fotoapparat mehr lieben als Menschen. Auch Philipp geht das alles viel zu langsam. Wir wollen los, es ist schon Viertel nach sechs.
»Noch ein bisschen nach rechts, weiter hoch, bitte«, dirigiert uns der Fotograf. »Das Brett mal über den Kopf heben!« Philipp stöhnt: »Hier ist überall Entenscheiße«, sagt er in seinen weißen Turnschuhen und versucht, den grünen Klecksen auszuweichen. »Das sieht man auf dem Foto nicht«, sagt der Fotograf und bestätigt meine Einschätzung.
Bevor es losgeht, umarmen Philipp und ich uns wie Kriegskameraden, die eine Schlacht zu schlagen haben. Er läuft mit seinem Ziehwagen einen kleinen Hügel hoch und überquert die grüne, tschechisch-deutsche Grenze. Ich setze mein SUP behutsam auf den Fluss, schnalle den Rucksack fest, stoße mich mit dem Paddel vom Ufer ab und werde sofort von der Strömung erfasst. Für die ersten 200 Meter paddele ich im Knien; noch traue ich der Elbe nicht. Überall blubbert sie, Strudel bilden sich quer über den Fluss, und die Strömung hat eine Kraft, dass ich Philipp sofort einhole.
Der Anfang einer langen Reise ist so intensiv, dass sich jedes Detail ins Gedächtnis brennt. Der ganze Fluss liegt vor mir, all die vielen Kilometer, die teils unberührte Natur. So viele Geschichten warten auf uns.
Jetzt, ein paar Wochen später am Schreibtisch sitzend, wünsche ich mich genau an diesen Ort und diese Zeit zurück. Ich würde das Abenteuer so gerne noch einmal erleben – dieses Mal viel entspannter, mit dem Wissen von heute. Immer wieder frage ich mich: Habe ich die Zeit auf dem Wasser genügend genossen? Geht das überhaupt? Kann man sein Leben voll ausschöpfen? Oder geht das nur im Nachhinein, weil sich im Hier und Jetzt immer auch Ängste dazugesellen?
Auf der rechten Seite fallen Sandsteinklippen steil in die Elbe ab, ihre Zinnen prangen über den Wipfeln wie versteinerte Finger eines riesigen Untiers aus der Kreidezeit. Links weiden Schafe, dahinter Kühe. Sie schauen gelangweilt auf das vorbeigleitende Männlein mit Stab. Ein kleiner Hafen zieht vorbei, ein paar Motorboote warten darauf, dass Corona endlich vorbei ist und Ausflüge wieder in Biergärten enden dürfen. Ein erster Elbkahn kommt mir entgegen, seine Bugwellen nehme ich lieber im Knien.
Philipp präpariert seinen Laufwagen, ich mein Brett. Es kann losgehen!
Durchs Elbsandsteingebirge. Der winzige Punkt unter der Brücke, das bin ich: Timm.
Noch bin ich vorsichtig auf dieser Tour, spüre jedes Zipperlein meines Körpers. Die Sehnen in den Handgelenken ziehen, mein Rücken ächzt nach den ersten zwei, drei Stunden, meine Füße schlafen ein und schmerzen trotzdem.
Wie am Anfang jeder Reise kommt die Angst hoch, ob ich für die Torturen gewappnet bin. Doch im Moment trägt mich der Strom mit fast acht Stundenkilometern an der grandiosen Landschaft vorbei.
Bei diesen Bedingungen schaffe ich die 800 Kilometer locker, denke ich noch, als sich das erste Lüftchen erhebt. Auf dieser Tour habe ich vor zwei Dingen Angst: Nazis und Gegenwind. Zweiterer schlägt mir ab Pirna voll ins Gesicht, in Böen von 30 bis 40 Stundenkilometern drückt er das Oberflächenwasser nach hinten und halbiert meine Anfangsgeschwindigkeit.
Irgendwo winken mir Menschen vom Ufer zu. Erst als ich näherkomme, erkenne ich unsere PR-Frauen Claudia und Kathleen. Sie kümmern sich um Pressekontakte, Social Media und die Spendenkampagne. Ich lande an, stapfe ein paar Schritte durch dicken Elbschlick und umarme die beiden – trotz Corona. Irgendwie konnte ich nicht anders. Einen Fotografen der DPA begrüße ich mit der Faust, beantworte die üblichen Fragen – woher, wie lange, wofür und warum. Journalismus ist so öde geworden, denke ich. Ein bestimmtes System mit dem immer gleichen Codex hat sich im Lauf der Jahre bewährt, alle schreiben im gleichen Korsett und nutzen die üblichen Floskeln in dem Wissen, dass sie nichts falsch machen können. Die Medienlandschaft besteht zum größten Teil aus einem weichgespülten Einheitsbrei.
Endlich kommt Philipp. Er hat schon dreißig Kilometer in den Knochen, mehr als ich je in meinem Leben am Stück gelaufen bin. Wir umarmen uns wieder – sind beide froh, dass der andere bis hierher ohne erkennbare Schäden durchgehalten hat.
Cäptn Clepto hat Getränke, Brötchen sowie ein paar Snacks besorgt und liebevoll am Steg aufgebaut. Der Typ könnte unsere Lebensversicherung für diese Tour werden: dauernd gut drauf, aufmerksam, stets zu Diensten, ohne sich wie ein Diener zu geben.
Drei Paddler überholen mich, einer kennt mich sogar. Sie machen Corona-Urlaub in Deutschland, fahren ein paar Tage die Elbe runter und schauen, wie weit sie kommen. Sie übernachten im Zelt, hatten heute Nacht Besuch von einem Hirsch und erzählen Horrorgeschichten von verunglückten SUPern.
Bringen mich diese Informationen weiter? Ändern sie etwas an meiner Tour? Warum erzählen mir diese Menschen nichts von kulturellen Highlights, besonders hübschen Dörfern oder großartigen Naturschauspielen? Der Alarmismus hat sich dank unserer Medienlandschaft schlimmer verbreitet, als es ein Virus je könnte – und zwar in den Köpfen.
Die letzten Kilometer ziehen sich entsetzlich. Der Wind hat noch einmal aufgefrischt. Ich muss ständig an Philipp denken. Ich schaue auf mein Handy, um seinen Live-Standort zu sichten, und sehe, dass er fast gleichauf ist, knapp zwei Kilometer hinter mir. Wie mag es ihm gehen nach mittlerweile mehr als 50 Kilometern?
Eine Horrornacht liegt hinter mir. Die angestaute Aufregung lässt mich mehrfach aufwachen, mit meiner Sextanerblase eine tödliche Kombi. Aber sowas kenne ich als Läufer. Vor allen großen und wichtigen Herausforderungen bekomme ich nie den Schlaf, den ich so nötig bräuchte.
Um 4:30 Uhr gebe ich auf und versüße mir die Dreiviertelstunde vor dem Weckerklingeln mit einem Bad. Dann checke ich mehrfach den Inhalt meines Ziehwagens und zweifle, ob das kurze Laufoutfit bei der schlechten Wettervorhersage nicht doch ein zu großes Wagnis ist. Aber was soll’s! Die Regenjacke ganz oben in die Tasche und Daumen drücken.
Wir haben uns um 6 Uhr an der Grenze verabredet. Irgendein Pressefuzzi meldet sich bei Timm per Telefon, weil er weiter vorne steht und da schon alles aufgebaut hat. Nach einigem Zetern kommt er doch zu uns rüber. Ich hasse so etwas. Ich will jetzt loslaufen. Ein Jahr lang habe ich auf diesen Moment gewartet, und jetzt bremst mich kurz vor dem großen Moment ein verirrter Schreiberling aus. Timm beruhigt mich, und wir posieren brav für das Foto für die lokale Presse. Ich verabschiede mich vom Cäptn, und los geht’s. Heute begleitet mich Georg. Ich hatte in meinem Laufpodcast und auf Social Media dazu aufgerufen, mich zu begleiten. Georg kam schon gestern Nacht hier an und schlief in seinem Auto. Wir kennen uns nur über Facebook, aber wir Läufer finden eigentlich immer sofort gemeinsame Themen. Georg ist Täglichläufer, auch »Streak Runner« genannt, der meist sogar 20 Kilometer abspult. Ich muss mir also keine Sorgen machen, dass er schlappmacht. Aber das sieht man ihm sowieso direkt an. Neben seinen Dreadlocks fällt einem direkt sein schlanker und durchtrainierter Körper auf.
Das Wetter ist super. Ich denke an die 90 Prozent, die hinter dem Regenwolken-Piktogramm meiner Wetter-App stand, und hoffe, dass uns der Wettergott noch ein wenig gnädig gestimmt ist. Wenig später gesellt sich Timo zu uns. Er kommt aus Dresden und hat den Zug in aller Früh genommen, um mich zehn Kilometer zu begleiten.
CÄPTN CLEPTO HAT GETRÄNKE, BRÖTCHEN SOWIE EIN PAAR SNACKS BESORGT UND LIEBEVOLL AM STEG AUFGEBAUT. DER TYP KÖNNTE UNSERE LEBENSVERSICHERUNG FÜR DIESE TOUR WERDEN.
Morgenstimmung auf der Elbe (oben). Der Cäptn mit seinem Maskottchen Ingo, dem FlamIngo (links unten). Morgens vor dem Start (rechts unten).
Wir verstehen uns sofort, reden übers Laufen, über Rennen und auch ein bisschen übers Leben. In Bad Schandau steht dann irgendwann noch Thorsten vor uns, der ebenfalls die knapp 54 Kilometer bis nach Dresden mitlaufen möchte.
Mein Ziehwagen wippt auf und ab, und bei jedem noch so kleinen Anstieg gehe ich eisern. Ich muss noch so viele Tage und Kilometer erfolgreich und unverletzt durchleiden, da will ich gerade am Anfang nicht schon übermütig werden.
Timm paddelt neben mir, seine Bewegungen sind ausholend. Die Strömung ist unglaublich, und da Timm ordentlich Gas gibt, werde ich diesen majestätischen Anblick wohl nicht mehr lang genießen können. Ich freue mich so sehr, dass dieser damals mir völlig fremde Typ auf die sozialen Konventionen gepfiffen und mich so direkt gefragt hat, ob ich zusammen mit ihm dieses Abenteuer bestehen möchte. Und jetzt sind wir plötzlich mittendrin. Ich habe mir oft ausgemalt, wie das alles aussehen würde, wenn wir zusammen die Elbe bereisen, aber das hier ist alles so viel schöner, als ich es mir je vorgestellt hatte. Die Sandsteingebirge um uns herum sind so malerisch, dass man sie wohl nur in der Realität ertragen kann, ohne sie sofort kitschig zu finden.