Lauras Wunschkind - Cécile Tourin - E-Book

Lauras Wunschkind E-Book

Cécile Tourin

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Beschreibung

Sollte eine Dreiecksbeziehung wirklich die Lösung für Lauras Kinderwunsch sein? Laura und Martin führten fast fünf Jahre lang eine glückliche und liebevolle Ehe. Als einige Freunde von ihnen jedoch nach und nach voller Stolz ihre süßen Babys präsentierten, entstand auch bei Laura eine immer stärker werdende Sehnsucht nach einem eigenen Kind. Ihre böse Ahnung, dass sie auf "normalem" Wege nicht schwanger werden könnte, bestätigte sich allerdings bitter. Und so kam es ihr wie ein Wink des Schicksals vor, als ihre Schwester Kim überraschend aus den USA zurückkehrte, um eine einjährige Auszeit in ihrer Heimatstadt Hamburg zu nehmen. Laura entwickelte einen spektakulären Plan und es gelang ihr tatsächlich Kim zu überreden, als heimliche Leihmutter für sie ein Baby auszutragen. Mit Hilfe einer befreundeten Reproduktionsmedizinerin wurden alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Gelingen geschaffen. Konnte Laura aber wirklich darauf vertrauen, dass ihre Schwester sie so selbstlos unterstützt? Beide hatten das Geschehen zwar rational perfekt kalkuliert, einen wichtigen Aspekt jedoch völlig außer Acht gelassen.

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Seitenzahl: 244

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Cécile Tourin

Lauras Wunschkind

Das Dreieck - Segen oder Fluch?

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Wirklich die geniale Idee oder nur ein Kartenhaus?

Bei Anruf Sex

Der Überraschungsbesuch

Die Fachklinik am Elbeufer

Kim erfährt es zuerst

Das Ergebnis

Auf der Suche

Im Karussell der Gefühle

Der kühne Plan

Wie sag ich`s meiner Schwester

Das Verhängnis beginnt

Max will es wissen

Die Entscheidung

Das Geheimnis der drei

Kims neue Wohnung

Es gibt kein Zurück

Wellnessurlaub? Wellnessurlaub!

Zwischenziel erreicht

Wir sind schwanger

Die Wende

Vierschattenspiel

Das Kartenhaus wankt

Nichts bleibt wie es war

Tiefe Trauer und neue Hoffnung

Das Baby Constantin

Von Cécile Tourin sind bereits erschienen:

Impressum neobooks

Wirklich die geniale Idee oder nur ein Kartenhaus?

Laura und Martin führten fast fünf Jahre lang eine glückliche und liebevolle Ehe. Als einige Freunde von ihnen jedoch nach und nach voller Stolz ihre süßen Babys präsentierten, entstand auch bei Laura eine immer stärker werdende Sehnsucht nach einem eigenen Kind.

Ihre böse Ahnung, dass sie auf „normalem“ Wege nicht schwanger werden könnte, bestätigte sich allerdings bitter. Und so kam es ihr wie ein Wink des Schicksals vor, als ihre Schwester Kim überraschend aus den USA zurückkehrte, um eine einjährige Auszeit in ihrer Heimatstadt Hamburg zu nehmen. Laura entwickelte einen spektakulären Plan und es gelang ihr tatsächlich Kim zu überreden, als heimliche Leihmutter für sie ein Baby auszutragen.

Mit Hilfe einer befreundeten Reproduktionsmedizinerin wurden alle Voraussetzungen für ein erfolgreiches Gelingen geschaffen. Konnte Laura aber wirklich darauf vertrauen, dass ihre Schwester sie so selbstlos unterstützt? Denn sie hatte das Geschehen zwar rational perfekt kalkuliert, einen wichtigen Aspekt jedoch völlig außer Acht gelassen.

Bei Anruf Sex

Als sich sein Handy mit dem nur allzu bekannten Ton meldete, zog er die Augenbrauen hoch, atmete tief durch und zog es auf dem Schreibtisch zu sich heran. Natürlich hatten sie es so besprochen, immer wenn es soweit war, sollte sie ihn anrufen, das war abgemacht. Für diese Verbindung hatte er ja auch extra einen eigenen Klingelton ausgewählt, um nicht bei jedem Anruf unnötig nervös zu werden.

„Na, Martin, ist es wieder soweit?“ War es Spott oder Mitleid, das in der Frage seines Kollegen mitschwang? Wohl eher eine Mischung aus beidem. Egal – noch einmal sog er die Luft tief ein und strich mit dem Daumen über das Display, um das Gespräch anzunehmen. „Ja, Laura? … Ist gut, ich komme, aber eine halbe Stunde wird es wohl dauern.“

Sein Gegenüber lehnte sich in seinem Bürosessel weit zurück und drehte einen Stift zwischen den Fingern, als er mit einem süffisanten Gesichtsausdruck bemerkte: „Eigentlich könnte es ja so schön sein, nicht? Bei Anruf Sex! Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich ja direkt neidisch werden.“ Martin beendete seine Arbeit auf dem Bildschirm und schaltete den Computer aus. „Ich weiß, dass du in dieser Hinsicht nicht gerade ausgelastet bist, Max, aber bitte verschone mich mit deinen Sprüchen, ja! Ich dachte wir wären Freunde!“

„Sind wir doch auch und genau deshalb erwarte ich, dass du nicht bei jedem kleinen Scherz von mir in die Luft gehst. Mensch, ich versteh dich doch, meinst du mir würde es in deiner Situation anders gehen? Nee, ganz im Gegenteil, ich wüsste gar nicht, ob ich das überhaupt so lange mitmachen würde wie du.“ Martin lächelte gequält und nickte. „Ja, ja, schon gut, mein Lieber. Drück mir die Daumen, das es wenigstens klappt und diesmal sogar erfolgreich ist. Also bis morgen, dir einen schönen Abend!“ „Danke, euch auch und grüß schön – hinterher meine ich.“

Martin zog die Bürotür hinter sich zu und ging langsam zum Aufzug, der ihn in die Tiefgarage des Bürogebäudes bringen sollte. Er wollte heute nicht besonders schnell sein, so ganz anders als noch vor einem Jahr, als es anfing, als der Kinderwunsch seiner Frau begann, in ihr übermächtig zu werden. Zuerst hatte er sich noch jedes Mal sehr beeilt, schnell nach Hause zu kommen, wenn der bewusste Anruf kam. Aber mit der Zeit veränderte sich seine Art damit umzugehen. Er brachte es zwar nicht übers Herz ‚nein‘ zu sagen, oder sein Wegbleiben mit einer Ausrede zu begründen, aber die Pflicht jederzeit bereit zu sein mit Laura zu schlafen, belastete ihn mehr und mehr.

Vor ihrer Ehe hatten sie das Thema „Kind“ eigentlich eher beiläufig besprochen, zumindest war es ihm so in Erinnerung geblieben. Als jedoch die meisten Freunde und Bekannten nach und nach geheiratet hatten oder zusammengezogen waren und ihre süßen Babys präsentierten, wurde auch Lauras Drängen immer intensiver. Zunächst hörten sie daher einfach auf, zu verhüten, sie ließen es sozusagen darauf ankommen. Als das allein jedoch ohne den gewünschten Erfolg blieb, begann seine Frau damit, sich zusätzlich über die Zusammenhänge von Eisprung und Basaltemperatur, Hormonkuren und seit Neuestem sogar im Kontext mit dem Mondkalender, gründlich auseinanderzusetzen.

Ihr Liebesleben wurde also fortan meist von sachlichen Faktoren bestimmt, und seit Laura nur noch stundenweise in der Werbeagentur arbeitete, erwartete sie wie selbstverständlich, dass sich ihr Mann auch während seiner Bürozeiten zur Verfügung zu halten habe. Die Arbeit beim Finanzamt lässt sein spontanes Fortgehen zwar meistens zu, aber Martin verlor immer mehr die Freude an dem, das er früher einmal als „Sahnehäubchen“ ihrer glücklichen Beziehung bezeichnet hatte.

Inzwischen war er in der Tiefgarage angelangt, startete den Wagen und machte sich auf den Heimweg. Etwa auf halber Strecke klingelte sein Handy erneut, und er zog es aus seiner Jackentasche. Das Display zeigte zwar eine unbekannte Nummer an, aber er nahm das Gespräch entgegen, meldete sich jedoch nur mit einem „Hallo?“ „Hallo Martin, hier ist Kim.“ Diese ihm wohlbekannte Stimme zu hören überraschte in derart, dass ihm das Handy aus der Hand glitt und ausgerechnet an der unzugänglichsten und engsten Stelle zwischen den Vordersitzen landete. Dieses Missgeschick war zum einen seinem zögerlichen Zugreifen nach dem Gerät geschuldet und zum anderen dem völlig unerwarteten Anruf. Nur noch ganz leise hörte er ihre Stimme aus dem Lautsprecher: „Hallo Martin, ist was passiert? He – was ist denn los?“ Unmöglich konnte er jetzt, während er auf der verkehrsreichen Ringstraße fuhr, nach dem Telefon zwischen den Sitzen suchen und so rief er nur: „Kim, tut mir leid, ich bin im Auto unterwegs und das Handy ist gerade heruntergefallen. Ich komme da jetzt während der Fahrt nicht ran – melde mich später, ja?“

Keine Antwort war zu hören, aber ein bestimmtes, lange vermisstes Gefühl stieg in ihm auf, ein Kribbeln, das ihm Gänsehaut machte. Dabei hatte er Kim über ein Jahr nicht gesehen, denn sie war beruflich in die USA versetzt worden und hatte sich außer zu den Geburtstagen und zu Weihnachten kaum bei ihnen gemeldet. Martin hatte sie deshalb einfach gar nicht mehr auf dem Schirm. Inzwischen war er Zuhause angekommen und stellte seinen Wagen im Carport ab. „Du kommst spät!“, rief ihm Laura schon im Flur entgegen. Ihre Stimme klang etwas gereizt. „Ja, ja, ich gehe nur mal kurz ins Bad und dann komme ich, okay?“, antwortete er genervt, während seine Frau bereits ins Schlafzimmer ging.

Martin schaute in den Spiegel und schüttelte seinen Kopf. ‚Heute klappt es nicht, ich habe es schonim Büro gemerkt‘. Am ganzen Körper fing er plötzlich an zu schwitzen, ging hinüber in das Schlafzimmer und legte sich auf sein Bett neben Laura. Die richtete sich halb auf, sah ihn forschend an und fragte: „Hey – was ist los mit dir? Heute ist der ideale Tag, ich habe seit 3 Wochen darauf gewartet. Da können wir nicht noch lange überlegen, hörst du!“ „Ich weiß nicht, ob es heute geht, irgendwie ist mir auch nicht so besonders.“ „Ach Quatsch, ich weiß schon, dass es dir in letzter Zeit nicht leichtfällt mit mir ins Bett zu gehen, aber wir haben doch schließlich ein Ziel, Schatz!“

‚Ja, du vielleicht‘, dachte er und plötzlich musste er an Kim denken. Trotzig verschränkte er seine Arme hinter dem Kopf, während Laura begann, in zu streicheln. Hingebungsvoll tat sie alles, was früher immer zu einem schnellen Erfolg geführt hatte – heute jedoch nicht. „Ich verstehe es nicht, Martin, was ist bloß los, liebst du mich denn nicht mehr?“ Diese Frage, ausgerechnet jetzt, welche Antwort erwartet eine Frau, die sie in dieser höchst emotionalen Situation stellt? Eine ehrliche Antwort, oder nur das was sie hören will? „Doch Laura, ich liebe dich, aber die Zeiten, in denen ich auf Kommando konnte, die sind vorbei. Ich weiß nicht, aber vielleicht liegt es auch an dem Druck, der im Moment auf uns lastet, dem regelrechten Zwang erfolgreich zu sein, ein Kind zu zeugen. Wir haben ja seit einiger Zeit überhaupt keinen Spaß mehr im Bett so wie früher, sondern wir handeln nur noch mechanisch in Richtung Erfolg. So fühle ich es zumindest.“

„Es macht mich echt traurig, dass du es so siehst. Ich dachte, du würdest dich auch darauf freuen, wenn wir eine richtige Familie werden würden.“ „Würde ich mich ja auch, aber nicht um jeden Preis, Laura! Es darf dabei nicht alles Andere auf der Strecke bleiben.“ Sie aber wandte sich von ihm ab und weinte bitterlich in ihr Kissen. Kaum ausgesprochen, taten ihm seine Worte schon wieder leid, und er berührte sie tröstend am Arm. Seine Frau rückte jedoch trotzig noch ein wenig weiter von ihm weg, und deshalb stand er langsam auf und zog sich wieder an. „Übrigens, ich muss noch mal weg, der Wagen machte vorhin so ein komisches Geräusch, ich fahre kurz mal rüber in die Werkstatt.“

Auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt fuhr er zu einer freien hinteren Reihe und begann nach seinem Handy zu suchen. Na toll, ungünstiger ging es nicht: Zwischen den staubigen, öligen Gleitschienen der Sitzverstellung konnte er es schließlich sehen und mühsam herausfingern. Nachdem er das Gerät mit einem Tuch gereinigt hatte, tippte er auf die Liste der eingehenden Gespräche und starrte auf die zuletzt angezeigte Nummer. ‚Kim‘, dachte er, ‚wiesomeldet die sich jetzt – ausgerechnet jetzt, gerade in dieser heiklen Situation‘. Er strich sich nervös übers Haar und überlegte unruhig, was er nun machen sollte. Doch irgendwie automatisch drückte sein Finger im Menü bereits auf „Anrufen“, der Anschluss war jedoch besetzt und so legte er wieder auf. Nun schaute er noch einmal genauer auf die ihm unbekannte Handynummer. Mit Sicherheit schien sie von einer deutschen Telefongesellschaft zu sein, wahrscheinlich war Kim also wieder im Lande. Fast wäre ihm sein Gerät vor Schreck abermals aus der Hand gefallen, als in diesem Moment ein Rufton erklang.

Bevor er sich melden konnte, sagte Kim munter: „Hallo Martin, na – alles klar, hast du dein Handy wiedergefunden?“ „Mein Handy schon, aber meine Sprache fast noch nicht, sag mal, das ist ja wohl eine Überraschung, du bist wieder in Deutschland?“ „Nicht nur in Deutschland, mein Lieber, ich bin sogar hier in Hamburg.“ „Bist du auf der Durchreise oder …?“ „Danke, mir geht es auch gut – sag mal interessiert dich das überhaupt?“ „Ach entschuldige, ja natürlich, ich – ich bin nur so perplex, weißt du, im Moment fühle ich mich irgendwie, ja ich weiß gar nicht wie, ich finde es nur komisch, dass du wieder da bist, so ganz ohne Ankündigung. Geht’s dir denn wirklich gut?“ „Ja, das sagte ich bereits, was übrigens ist daran so komisch? Ihr wusstet doch, dass ich nur für ein Jahr in die USA gehen würde, meine Auslandsmission bei ‚dpa‘ war doch genau auf diese Zeit begrenzt.“ „Ist mir jetzt gar nicht so in Erinnerung, hast du schon mit Laura gesprochen?“ „Eben zur Minute, ja – wir sehen uns heute Abend bei euch.“ Martin reagierte auf diese Nachricht nicht gerade erfreut und fragte gedehnt: „Heute Abend – aha – habt ihr euch etwa schon verabredet?“ „Klar, sagte ich doch, wir sehen uns heute Abend und ich freue mich wahnsinnig auf unser Wiedersehen, hoffentlich seid ihr beide inzwischen nicht zu alt und schrumpelig geworden und ich erkenne euch nicht mehr.“

Sie lachte fröhlich über ihre freche Bemerkung und alles schien ihm genauso wie früher zu sein, denn ihre flinke Zunge war niemals um eine Provokation verlegen gewesen. „Wieso treffen wir uns nicht in einem Restaurant? Also ich kenne da …“ Er konnte seinen Vorschlag aber nicht weiter vorbringen, weil sie ihn sogleich unterbrach. „Weil – mein Lieber – ich das ganze letzte Jahr fast nur in allen möglichen und unmöglichen Coffeebars, Restaurants, Pizzerien, Bistros und Hotels verbracht habe – genau deshalb! Ich möchte einmal wieder so etwas wie ein Zuhause spüren und deutsches Brot, deutsche Butter und französischen Käse essen, und ich will dazu einen wirklich guten Wein trinken. Und stell dir mal vor, Laura besorgt das alles sogar. Also mach dir keine Sorgen, wir sehen uns um Acht.“

Nach dieser deutlichen Ansage hatte sie einfach aufgelegt und Martin starrte sprachlos auf das erlöschende Display in seiner Hand. Im selben Moment rief Laura an. „Martin, wo bist du gerade?“ „Ich bin hier noch in der Werkstatt, es war nur eine Kleinigkeit, sie ziehen eben noch ein paar Schrauben nach.“ „Stell dir vor, wir bekommen heute Abend Besuch, Kim ist wieder zurück! Sie will aber nur Käsebrot und Wein – könntest du dich um den Wein kümmern? Du kennst dich doch da besser aus, Salat und das andere besorge ich schon – Martin? Bist du noch da?“ „Ja natürlich, das ist ja eine Überraschung, die Kim, meine Güte, ich hatte sie schon gar nicht mehr auf dem Plan. Aber okay, den Wein besorge ich gleich anschließend, wenn ich hier fertig bin, wir sehen uns dann zu Hause.“

Er ging gleich hier in diesen Laden bei dem er parkte, weil er wusste, dass der Markt auch in punkto Wein ganz gut sortiert war. Er entschied sich für einen blauen Spätburgunder vom Kaiserstuhl, einen weißen Bordeaux, den er auch schon mal probiert hatte und noch einen Chianti-Riserva. An der Käsetheke wählte er noch ein paar leckere französische Spezialitäten aus, danach machte er sich auf den Heimweg. Laura war noch nicht wieder in der Wohnung, als er nach Hause kam. Er stellte den Weißwein in den Kühlschrank und holte noch ein paar Flaschen Mineralwasser aus dem Keller herauf. Er merkte, dass er langsam nervös wurde, dieses Wiedersehen, das flößte ihm Unbehagen ein, obwohl er auch irgendwie auf seine Schwägerin gespannt war. Die beiden waren so unterschiedlich, dass niemand auf die Idee kommen würde, dass Kim und Laura Schwestern sein könnten.

Laura trug ihre dunklen Haare gerne schulterlang und hatte ein schmales Gesicht, während Kim eine eher runde Gesichtsform und hellblonde Haare hatte, aus denen sie sich stets aufs Neue pfiffige Kurzhaarfrisuren zaubern ließ. Auch vom Wesen her waren dem ersten Eindruck nach keine deutlichen Parallelen zwischen den beiden zu entdecken. Seine Laura war eher ruhig, überlegt und zurückhaltend, während ihre zwei Jahr ältere Schwester stets quirlig den Mittelpunkt suchte, in dem sie sich dann so richtig wohlfühlte. Ihr Altersunterschied war sowieso in keiner Weise zu erkennen, denn beide waren sehr attraktiv.

Und nun kommt sie also, seine Schwägerin, um sie zu besuchen. Sie war es, die ihn seinerzeit mit Laura bekannt gemacht hatte. Dies wiederum ergab sich durch ihren damaligen Freund Maximilian, der auch heute noch Martins Kollege ist. Was Kim aber nicht davon abhielt, unverhohlen durchblicken zu lassen, dass auch er ihr gut gefiel. Bald darauf trennte sie sich von Max und sie und Martin begannen eine Affäre. Nachdem er jedoch ihre Schwester Laura näher kennengelernt hatte, war es Martin überhaupt nicht mehr klar, wen er mehr gemocht hatte, aber nach kurzer Zeit entschied er sich doch für Laura, weil ihr besonnenes Wesen besser zu ihm passte, als das der umtriebigen Kim. Nie hatte er seine Entscheidung bereut, aber ehrlicherweise musste er sich eingestehen, dass er aufgrund der aktuellen etwas prekären Situation schon das eine oder andere Mal an Kim, die er ja weit weg in den USA wähnte, denken musste.

Atemlos und mit zwei großen Einkaufstüten in den Händen kam Laura nach Hause. „Mensch, was sagst du, Martin? Das ist ja wohl die Überraschung, oder? Ich bin richtig ein bisschen aufgeregt!“ „Ja ehrlich gesagt, mit ihrem Besuch hätte ich auch nicht gerechnet, so richtig bewusst war mir das auch gar nicht, dass sie nur für ein Jahr nach Amerika gegangen ist. Hast du alles bekommen?“ „Ja, ich müsste alles haben, Butter, Käse, verschiedene Brotsorten, Salat, Tomaten, Weintrauben, Gurken und frische Kräuter. Sie will mal wieder so ein richtiges deutsches Abendessen genießen – von Wurst und Schinken hatte sie nichts gesagt, wahrscheinlich ist sie immer noch Vegetarierin – an den Wein hast du gedacht?“

Martin zeigte auf die Flaschen und dann bereiteten sie gemeinsam das Essen vor. Der gedeckte Tisch am Essplatz sah inzwischen richtig gut aus. Die liebevoll arrangierte Käseplatte als Mittelpunkt, ein vielfältiger Brotkorb, frisch zubereiteter Salat und über den Tisch verteilt ein paar Teller und Schälchen mit Cherrytomaten, kleinen Gewürzgurken, Dips und etwas Obst. Bei einem Italiener hatte Laura sogar noch eine kleine, runde Tiramisu-Torte erstanden, die sie aber zunächst noch kühl stellte. Ihre Schwester hatte früher nach jedem Essen immer Appetit auf etwas Süßes, und sie wollte ihr dieses Vergnügen auch heute Abend wieder gönnen.

Der Überraschungsbesuch

Zehn vor Acht klingelte es zweimal an der Haustür und da war sie. Strahlend und mit einem riesigen Blumenstrauß in der einen und einer Flasche Sekt in der anderen Hand breitete Kim ihre Arme aus und wurde von ihrer Schwester und Martin ebenso fröhlich wie herzlich empfangen. „Mensch, ihr beide habt euch ja überhaupt nicht verändert, gut seht ihr aus! Es wurde ja auch höchste Zeit, dass wir uns einmal wiedersehen!“ Auch Martin und Laura fiel es nicht schwer, die Komplimente zurückzugeben denn Kim sah wirklich frisch und sehr natürlich und schön aus. „Sag mal, wie lange bist du denn schon hier, also von einem Jetlag merkt man dir jedenfalls nichts mehr an.“ „Ich bin schon vor ein paar Tagen angekommen, musste mich aber erst einmal regenerieren. Ich hatte noch einiges zu erledigen, erzähle euch später alles der Reihe nach. Im Moment habe ich aber nur eines: Nämlich einen Mordshunger und wie ich sehe, seid ihr bestens darauf vorbereitet.“ Mit einer ausladenden Armbewegung wies sie auf den reich gedeckten Tisch. „Ich habe mich so darauf gefreut, euch wiederzusehen! Ich verschwinde nur mal kurz im Bad und dann essen wir ja?“

Martin konnte es nicht erklären, aber er hatte das sichere Gefühl, dass durch das Auftauchen von Kim plötzlich alles viel heller und leichter erschien. Auch Laura war seit der Ankunft ihrer Schwester irgendwie gelöster und in bester Stimmung. Er entkorkte den Sekt, die Burgunderflasche und den Weißwein, während Laura begann die drei Sektgläser zu füllen. „Oh toll, lasst uns erst einmal anstoßen, auf uns ihr Lieben!“ Und damit erhob sie ihr Glas und küsste ihre Gastgeber noch einmal auf die Wangen. „Es ist so schön, wieder hier zu sein!“

Sie setzten sich an den Esstisch und als erstes bestrich sich Kim hingebungsvoll eine kleine Scheibe Landbrot mit Butter. Mit geschlossenen Augen biss sie herzhaft davon ab und spürte dem Geschmack des so lange entbehrten Genusses nach. „Ihr wisst gar nicht, wie gut es hier in Deutschland ist, mit diesem schönen Brot und all den anderen Lebensmitteln, die oft noch von kleinen Erzeugern handwerklich hergestellt werden. Ich hatte wirklich keinen Bock mehr auf die ganze Industrieware aus den amerikanischen Agrarfabriken, die ich drüben zu mir nehmen musste. Aber wenn du überleben willst, was bleibt dir anderes übrig? Danke, dass ihr das alles hier heute für mich aufgetischt habt!“ Und sie erhob ihr Weinglas. „Auf euch!“ „Kim, erzähl doch mal, wie ist es dir so ergangen in Amerika? Wir haben die ganze Zeit doch kaum etwas von dir gehört.“ „Naja, du weißt doch, ich bin ein bisschen schreibfaul und ich dachte mir, wenn ich nichts von mir hören lasse, dann werdet ihr euch schon denken, dass es mir gut geht.

Obwohl, unterschwellig habt ihr bestimmt die eine oder andere Nachricht gelesen oder gehört, ohne dass ihr wusstet, dass sie aus meiner Feder stammte. Ich war ja als Auslandskorrespondentin für die ‚dpa‘ tätig und meine Berichte fanden glücklicherweise oft ihren Weg in die verschiedenen Medien. Zitiert und nachzulesen sowohl in den digitalen Produkten der Zeitungsverlage als auch in den Printmedien und Hörfunknachrichten. Ich konnte das ja ganz gut im Internet verfolgen. Aber es ist manchmal sehr frustrierend gewesen, dass ich zum Teil tagelang über einem Thema gebrütet hatte und nichts, aber auch gar nichts davon wurde in irgendeiner Form angenommen und veröffentlicht. Aber einmal hatten sich alle Nachrichtensender und Agenturen regelrecht auf mich gestürzt, als ich im Juli 2013 quasi Augenzeuge des Boston-Marathon Attentats wurde. Mein Hotel stand genau am Ort des furchtbaren Geschehens und ich schaute nach dem ersten Knall hilflos und voller Panik auf das Grauen, das sich 10 Stockwerke unter mir auf der Straße abspielte. Glaubt mir, es ist ein Riesenunterschied, wenn du von einigen Toten und hunderten Verletzten liest, oder wenn du sie unmittelbar und life vor dir siehst, wenn du quasi mittendrin bist, versteht ihr? Ich habe die Hölle mit eigenen Augen gesehen und die entsetzlichsten Bilder haben sich in meinem Gehirn festgebrannt und werden dort vermutlich bis an mein Lebensende bleiben. Aber das soll für heute Abend wirklich nicht unser Thema sein. Was habt ihr so gemacht, wie ist es euch in der ganzen Zeit ergangen?“

„Ach weißt du“, begann Martin zögernd, „bestimmt mit sehr viel weniger Aufregung als bei dir. Ich bin immer noch beim Finanzamt und Laura bei ihrer Werbeagentur. Also mit anderen Worten, unser Leben plätschert so dahin. Aber wir sind froh, dass es uns gut geht, dass wir gesund sind und dass wir in Frieden und Freiheit leben dürfen.“ Laura nickte zustimmend und auch Kim lächelte verstehend. „Und eure Freunde, ein paar kenne ich ja, was machen die denn so, der Max zum Beispiel?“ „Och, du das Übliche halt, Insa und Thomas haben endlich geheiratet, kurz bevor ihr Paul zur Welt kam. Ja und Max arbeitet auch weiterhin mit Martin zusammen, ich glaube er ist jetzt wieder Single, nicht Martin?“ „Ja, in der Tat, er findet immer noch nicht so den richtigen Dreh bei den Mädels, glaub ich.“ Bei dem Gedanken an seinen besten Freund und an dessen Unbeholfenheit Frauen gegenüber musste Martin kurz auflachen. Laura erzählte weiter: „Lutz und Silke haben auch inzwischen ein Kind. So richtig Kontakt haben wir eigentlich alle nicht mehr, weißt du, also außer Martin und Max natürlich.“ „Und ihr, habt ihr auch Nachwuchspläne?“ Abwechselnd blickte sie ihre Schwester und ihren Schwager aus großen Augen fragend an. So kannten sie Kim, immer gerade heraus, ohne jemals ein Problem damit zu haben, ein Thema vor versammelter Mannschaft anzusprechen, auch wenn andere es lieber unter vier Augen erörtert hätten.

Laura schaute etwas verlegen zu Martin hinüber, bevor sie zögernd antwortete: „Ehrlich gesagt – naja, du sprichst da etwas an – also, ehm wir versuchen es tatsächlich, mit einem Kind meine ich.“ „Ach ja? Interessant, schon länger oder …?“ Martin wurde ein wenig unbehaglich zumute, Kims forsche Art war ihm wieder einmal viel zu direkt. Er hob die zweite Flasche Wein in die Höhe und fragte: „Wollen wir den weißen mal probieren?“ Die beiden Schwestern stimmten zu, er stellte drei neue Gläser auf den Tisch und schenkte den Bordeaux ein. „Weißt du Kim, es ist so, dass ich mich schon darauf vorbereite, ein Kind zu bekommen. Deshalb arbeite ich seit einigen Monaten auch nur noch ein paar Stunden am Tag.“ „Seit einigen Monaten – aha – aber sonst ist bei euch alles in Ordnung, oder? Äh – so rein biologisch meine ich.“ Martin wurde rot und Laura lächelte gequält. „Ja – nein, also ganz genau wissen wir das noch gar nicht.“

Martin unternahm den Versuch das ihm unangenehme Thema zu wechseln, bevor Kim noch tiefer in ihre Intimsphäre eindrang, denn das war ihr ohne weiteres zuzutrauen. „Was hast du denn jetzt vor, wirst du wieder in Deutschland arbeiten?“ „Nee, erst mal nicht, denn ich habe mich von der ‚dpa‘ für ein ganzes Jahr freistellen lassen. Ich nehme eine Auszeit, ihr Lieben, das sollte die Überraschung des Abends für euch sein!“ Laura rieb sich verwundert die Augen. „Das gibt es doch gar nicht, ich dachte, du bist mit deiner Arbeit verheiratet.“ „Genau das dachte ich auch, Schwesterherz, aber ich will mal schauen, ob das Leben vielleicht nicht auch noch etwas anderes Spannendes für mich bereithält.“ Die drei erhoben ihre Gläser und widmeten sich ein weiteres Mal den einfachen, aber vielleicht gerade deshalb so wohlschmeckenden Genüssen auf der Tafel.

Martin war sich nicht ganz sicher, war es die Wirkung des Weines oder die zunehmende und wiederauflebende Vertrautheit mit Kim, die sich langsam wieder einzustellen begann? War es nur Wunschdenken, oder spielte ihm seine Wahrnehmung einen Streich, indem sie ihn spüren ließ, dass ihre Blicke zu ihm im Laufe des Abends immer tiefer und bedeutungsvoller wurden?

„Und wie ist es bei dir so mit der Liebe? Wie sind denn die Amerikaner so?“ Jetzt blickte Laura ihre Schwester neugierig an. „Ach hör auf, das weiß ich gar nicht so genau. Abends war ich oft mit den anderen Korrespondenten zusammen, alles Einzelkämpfer, immer auf der Pirsch nach der besten Story der Welt – einige natürlich auch auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer in den Hotelbetten. Gelegenheiten hätte ich genug gehabt, doch das ist nicht so meins. Von den meisten wusste ich ja übrigens auch, dass sie verheiratet oder in fester Beziehung waren, man kennt sich ja in der Branche. Und was die Einheimischen angeht glaube ich, dass ich nicht so der Traum amerikanischer Männer bin, die fahren doch meist auf ganz andere Typen ab. Und zwischen den vielen aufgetakelten und abgedrehten Weibern, die es da drüben in Mengen gibt, fällt eine schlichte Europäerin wie ich eher selten auf.“

Laura sah das natürlich ganz anders: „Von wegen schlichte Europäerin, ich finde dich genauso hübsch wie früher, meine Liebe. Irgendwie hat dir der Aufenthalt in den USA richtig gut getan, du wirkst viel erwachsener, aber nicht etwa älter, versteh mich bitte richtig.“ „Thank you for compliments, Schwesterchen, sicher ist es so, dass mich dieses Jahr verändert hat und du merkst es vielleicht noch deutlicher, weil wir uns so lange nicht gesehen haben.“

„Ja das wird es wohl sein. Übrigens, du hattest früher doch immer Appetit auf etwas Süßes zum Nachtisch, ist das etwa noch immer so?“ „Ja, und ich habe auch auf keinen Fall vor, auf diese liebe Gewohnheit zu verzichten.“ Laura ging in die Küche und kam mit der kleinen dunklen Torte zurück. „Möchtest du dazu einen Sherry oder einen Martini trinken?“ „Ja gerne einen Martini, hey – ihr verwöhnt mich ja richtig, eine Woche bei euch und ich würde dick und rund werden.“

„Wo wohnst du jetzt überhaupt?“ „Im Novotel Hamburg City, das ist in der Nähe der Außenalster, gefällt mir ganz gut, war’n Tipp von Bekannten.“ Während Martin den süßen Wermutwein einschenkte, verteilte Laura das Tiramisu-Törtchen. Kim probierte und rief begeistert aus: „Oh himmlisch, so etwas hatte ich lange nicht mehr, echt klasse, ich danke euch sehr für diesen schönen Abend!“ Während sich die beiden Frauen weiter unterhielten, fing Martin an den Tisch abzuräumen, das Obst ließ er aber noch stehen und begann in der Küche das Geschirr in den Spüler zu sortieren.

„Sag mal Laura, ich möchte noch einmal darauf zurückkommen, äh – wäre es nicht besser, mal abzuklären woran es liegt, dass du nicht schwanger wirst?“ „Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, aber ich trau mich nicht so richtig.“ „Hast du vielleicht Angst vor dem Ergebnis der Untersuchung?“ „Ja und nein, zum einen würde es mich ziemlich treffen, wenn es an mir liegen würde. Zum anderen wäre ich ratlos, wenn bei Martin irgendetwas vorläge.“ „Was meinst du, wie würde er wohl reagieren?“ „Du, das kann ich beim besten Willen nicht einschätzen, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er in letzter Zeit ziemlich nervös ist, wenn wir miteinander schlafen wollen und – äh naja ….“ „Und – was?“ Kim beugte sich vor, weil ihre Schwester jetzt zu flüstern begann. „Ja – es ist auch schon vorgekommen, dass es bei ihm nicht geklappt hat.“

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen, sei mir bitte nicht böse, aber irgendwie tut er mir leid deswegen. Worauf ich in diesem Zusammenhang aber eigentlich hinauswollte ist, dass ich hier in Hamburg eine gute Ärztin kenne, die sich auf solche Untersuchungen spezialisiert hat. Vor ein paar Monaten hielt sie auf einem Kongress in New York einen sehr eindrucksvollen Vortrag, der enormes Interesse bei den Teilnehmern hervorgerufen hat, und selbst von der dortigen Presse ausführlich gewürdigt worden ist. Das ist in dieser riesigen Stadt, in der eigentlich jeden Tag etwas Spektakuläres geschieht sehr bemerkenswert und eine eher seltene Ehre für Europäer. Auch ich hatte damals den Auftrag, darüber zu berichten und ‚dpa‘ konnte meine Artikel sehr gut an die medizinische Fachpresse vermarkten. Die Frau heißt Cora Teske und ist Inhaberin einer Privatklinik am Elbeufer. Sie wird sich bestimmt noch an mich erinnern, denn wir wohnten im selben Hotel in NY und haben einen ganzen Abend und die halbe Nacht in der Hotelbar zusammen gesessen und echt gute Gespräche geführt. War sehr interessant mit ihr, tolle Frau. Soll ich bei ihr mal einen Termin für euch machen?“ „Nee, nee nicht so schnell, das muss ich erst mal gründlich überlegen und vor allen Dingen gemeinsam mit Martin entscheiden.“