NORA UND DAS GEHEIMNIS IHRES 16. SOMMERS - Cécile Tourin - E-Book

NORA UND DAS GEHEIMNIS IHRES 16. SOMMERS E-Book

Cécile Tourin

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Beschreibung

Eine Frage, wenige Worte nur und nichts blieb im Leben von Nora Merz so, wie es bisher war, nachdem die Fünfzehnjährige den Urlauber Lars Nilsson gebeten hatte, einmal auf seiner Yacht mitfahren zu dürfen. Als dieser sich bei Noras Eltern vorstellte, geriet er mitten hinein in die großen Schwierigkeiten der Familie und beschloss spontan zu helfen. Der Mann und das junge Mädchen verbrachten danach herrliche, erlebnisreiche Ferientage auf der Segelyacht und bei tollen Ausflügen rund um den Bodensee. Es entwickelte sich eine besonders tiefe Zuneigung zwischen Lars und Nora. Sie jedoch hatte sich heftig in ihn verliebt und ließ es den erwachsenen Freund auch deutlich spüren. Am Ende der Sommerferien erklärte Nilsson jedoch völlig überraschend, dass er sofort und allein in seine Heimat zurückkehren werde. Nora war so enttäuscht und verzweifelt, dass sie ihren ganzen Lebensmut verlor. Hatte sie doch fest an eine gemeinsame Zukunft geglaubt! War es Traum oder Wirklichkeit? Sie wusste es nicht, als ihr eine mystische Erscheinung eine einzigartige Zukunft verhieß. Diese unfassbare Begegnung erfüllte Nora mit neuer Kraft und frischer Energie. Nach und nach offenbarten sich dem Mädchen dann die erstaunlichen Geheimnisse, die sich in ihrem 16. Sommer verborgen hatten und ihr Leben folgte immer wieder neuen Wegen. Während einer abenteuerlichen Reise nach Schweden machte sie in den Schären vor Stockholm eine grauenhafte Entdeckung, aber auch die Liebe begegnete ihr auf eine völlig überraschende Weise neu.

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Seitenzahl: 275

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Cécile Tourin

NORA UND DAS GEHEIMNIS IHRES 16. SOMMERS

Nur eine Frage und alles wird anders!

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Am Anfang war Mut

Ein neues Leben beginnt

Starke Gefühle

Unter Beobachtung

Dramatische Stunden

Noras Vater

Die schmerzliche Entscheidung

Und Noras Vater?

Ein stürmisches Wiedersehen

Die Nacht der Nächte

Düsteres Ahnen

Entsetzlich bitter - Der Abschied

Die mystische Erscheinung, der Brief und ein geheimnisvoller Ring

Das überraschende Geschenk

Das Leben geht weiter

Eiskalte Begegnung – Grausame Nachricht

Die Reise nach Stockholm

Das Haus am Meer

Überraschungsbesuch von Lily

Gestern noch undenkbar - Heute geschieht es

Lilys Schulfreund

Ein aufregendes Wochenende

Lilys Geständnis

Pläne schmieden

Lily reist ab

Der Tankwart

Die Lundgrens

Intrige oder Wahrheit?

Ein vertrauliches Gespräch mit Martin

Der englische Agent

Wirklich ein Verbrechen?

Der schreckliche Traum

Im Einsatz für Martin

Lily kehrt zurück

Mr. Greens Ermittlungen

Die grausame Wahrheit

Daheim in Konstanz

Zwei Ringe und ein Abschied

Von Cècile Tourin ist außerdem als ebook erschienen:

Impressum neobooks

Am Anfang war Mut

Am Anfang war Mut

Heute musste es einfach sein! Heute schafft sie es. Ganz sicher! Zweimal schon hatte sie Anlauf genommen und war dann doch wieder umgekehrt. Danach war Nora den ganzen Nachmittag wütend auf sich, weil sie sich nicht getraut hatte. Aber das passiert ihr heute nicht, nein, heute bestimmt nicht! Was kann denn schon geschehen? Vielleicht sagt er: ‚Nein‘ oder: ‚Lass mich in Ruhe‘ oder: ‚Hau ab‘ oder im schlimmsten Fall: ‚Was bildest Du Dir denn ein?‘ ‚Na und‘, beruhigte sie sich, das haut mich doch nicht um, aber dann weiß ich wenigstens, woran ich bin‘.

Es waren nur noch ein paar Meter zum Hafen und ihr wurde immer flauer im Magen. ‚Zuhause fühlte ich mich so stark und jetzt möchte ich am liebsten wieder umdrehen, aber das kommt nicht in Frage!‘

Als Nora endlich am Ziel war, räusperte sie sich und sagte leise: „Hallo.“ Sie stand jetzt oben auf dem Bootsanleger. Rot-weiße Turnschuhe, Bluejeans, geringeltes T-Shirt. Augen wie aus hellem Bernstein guckten groß und neugierig unter einem fransigen Pony hervor, lange dunkle Haare rahmten ihr Gesicht und flossen in leichten Wellen auf ihre Schultern hinunter. Den auf dem Boot sah sie ja zum ersten Mal aus der Nähe. Und der hob jetzt langsam den Kopf und schaute sie erstaunt an. „Hej.“ Unter seinem Blick wurde das Mädchen etwas rot. „Ja, ehm … ich ... ich … wollte Sie was fragen.“ „Ja dann - nur zu.“ „Fahren Sie heute wieder auf den See?“ Er musterte sie erstaunt und nickte langsam. „Mhm.“ Verlegen drehte das Mädchen auf dem Steg ihre Schultern hin und her und zeigte mit einer Hand in das Boot, als sie fragte: „Könnte ich da mal mitfahren?“

Der Mann auf dem Segelboot kniff seine Augen zusammen und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Er war sichtlich überrascht von der Frage des Mädchens. „Ich nehme mal an, Du kannst schwimmen.“ „Na klar, ich bin super gut im Schwimmen!“, strahlte sie. „Und Deine Eltern, die hast Du bestimmt auch gefragt.“ Seinem Blick ausweichend schaute sie zur Seite und sah in Richtung des Dorfes. „Mein Vater ist nicht da und für meine Mutter ist das o.k.“, stieß sie hastig hervor. „Und da bist Du ganz sicher?“ Sie nickte heftig und wurde wieder rot im Gesicht. Er bemerkte natürlich ihre Verlegenheit, zog seine Augenbrauen etwas hoch, überlegte kurz, fragte dann jedoch weiter: „Und was ist mit Schule?“ „Ist nicht, sind doch Ferien“, erwiderte sie fröhlich. „Mhm, na o.k. --- . Du kennst sicher den Hafenmeister.“ Sie nickte eifrig. „Den Fritz, na klar!“ „Dann geh` zu ihm und sag, dass Du mit Lars und Alva rausfährst, o.k.?“

„Wer ist denn Alva?“ Das Mädchen schaute sich plötzlich suchend um. Merkwürdig, ihr war so, als ob sie soeben eine Berührung, fast wie ein Streicheln oder einen überraschenden Hauch, gespürt hatte. „Das hier, mein Schiff natürlich“, lachte der Segler, während er mit einer Hand auf das Bootsdeck klopfte.

„Aha“, nickte sie und machte sich schnell auf den Weg zum Büro des Hafenmeisters. ‚Whow, das hat ja schon mal geklappt‘, jubilierte sie innerlich. Der Skipper allerdings schüttelte derweil staunend seinen Kopf. „Was ist das denn jetzt? Was passiert hier?“, sagte er laut. Es kam ja nicht alle Tage vor, dass ihn ein junges Mädchen ansprach. ‚Und diese unglaubliche Ähnlichkeit mit --- . Was hat das zu bedeuten?‘ Er wurde sehr nachdenklich.

Außer Atem kam das Mädchen da schon wieder auf den Steg gerannt. „Alles klar!“ „Hat er was gesagt?“ Sie lächelte verlegen. „Ja, wir --- wir sollen keine Dummheiten machen.“ Der Mann musste lachen. „Aha, na dann sollten wir uns auch daran halten, oder? Ich bin Lars Nilsson, verrätst Du mir auch Deinen Namen?“ „Klar, Nora - also Nora Merz.“

„Schon gefrühstückt, Nora?“ Sie blickte schüchtern vor sich auf den Steg. „Ich brauche nichts.“ „So, so, vorne beim Bäcker holst Du zwei Käsebrötchen für mich und eine Laugenbrezel, bitte.“ Er reichte ihr eine Thermoskanne. „Die hier sollen sie mit Kaffee füllen und bring für Dich auch etwas mit o.k.? Wir werden ja ein paar Stunden unterwegs sein. Sag ihnen dort einfach, es sei für Lars auf Rechnung.“

Mit schnellen Schritten ging Nora zu der kleinen Bäckerei an der Uferstraße, voller Stolz über ihren Mut, gefragt zu haben und froh darüber, dass der fremde Mann offenbar ziemlich nett war. Mit einer großen Tüte und der Kaffeekanne in der Hand kam sie zurück und lachte: „So kauf` ich natürlich gerne ein --- ohne Geld und so.“

„Prima, den Proviant hätten wir ja schon mal an Bord. Dann können wir ja ablegen. Mach die Vorleine los und wirf das Ende aufs Deck. Kommst Du mit den Knoten klar? Ja, so ist es gut, und jetzt noch die Heckleine. O.k., gib mir mal Deine Hand und jetzt mach einen großen Schritt zu mir rüber – ja genauso. Willkommen an Bord! Wir fahren zuerst mit Hilfe des Motors aus dem Hafen, denn die Segel werden draußen gesetzt. Bist Du schon mal im Segelboot mitgefahren?“

„Nein, nur mit Tretbooten und gerudert habe ich auch schon.“ „Aber mit den Seemannsknoten kennst Du Dich gut aus.“ „Ja, ein paar habe ich vorne bei Andreas im Bootsverleih geübt.“

„Normalerweise hat hier im Dorf doch schon jedes Kind einen Segelschein, oder?“ Er schaute sie fragend an. „Wir wohnen ja noch gar nicht so lange hier. Aber heute - heute könnte ich ja mal anfangen mit dem Segeln. Ich lerne schnell!“, sagte Nora überzeugend.

„Warum hast Du ausgerechnet mich gefragt, ob Du mit darfst?“ „Ich habe Sie schon oft gesehen, wenn Sie rausgefahren sind und irgendwann fing ich an, mir zu wünschen, dabei zu sein.“ „So, so und warum bei mir? Es liegen doch so viele Boote hier.“ „Keine Ahnung, vielleicht, weil Sie immer alleine waren, vielleicht die schöne alte Yacht, so richtig weiß ich das auch nicht. Aber ich träume mich so oft auf das Meer hinaus, weil - man hat das Gefühl vor einem liegt die unendliche Weite und etwas Spannendes, Neues und das da hinten, das man zurücklässt, ist ganz klein, unwichtig und vorbei.“ Während sie das sagte, blickte sie sehr nachdenklich zum Ufer zurück.

„Es wird kleiner, ja, und etwas Neues, Unbekanntes liegt vor einem, aber ganz unwichtig wird das nie, was wir zurücklassen. Von allem, was hinter uns liegt, nehmen wir einen Teil mit nach vorne in jeden neuen Tag. Zum größten Teil natürlich unbewusst. Dabei ist es egal wie weit oder wohin man geht.“ „Wie ist das eigentlich genau mit dem Unterbewusstsein?“ „Das ist wie Fahrrad fahren oder Schwimmen, hat man es erst einmal eingeübt, ist es gespeichert und dann verlernt man es nie wieder. Und nicht nur das, was wir bewusst gelernt haben, sondern alles was wir einmal sahen und erlebten. Also praktisch all` unsere Erfahrungen, Eindrücke und auch die Gefühle, die wir dabei hatten, wie Freude, Angst, Ekel oder Mitleid. Das Unterbewusstsein ist auch der Sitz unserer Kreativität und unserer Intuition, also dem sogenannten Bauchgefühl. Ein Ereignis, zum Beispiel ein Theaterstück, sehen wir bewusst. Aber das Unterbewusstsein lässt uns spüren, ob es schön, langweilig oder gar abstoßend auf uns wirkt.“ Das Mädchen hatte aufmerksam zugehört und nickte nachdenklich. „Aha.“

„Sie sind nicht aus Hagnau?“ Er musste lachen „Nein, nein natürlich nicht, ich komme aus Schweden.“ „Aus Schweden, ach ja, die Fahne hinten am Boot. Wieso sprechen Sie denn so gut Deutsch?“ „Meine Mutter ist Deutsche und mein Vater ist Schwede. Er war Ingenieur und arbeitete in einem großen Motorenwerk in Friedrichshafen. Meine Mutter arbeitete in der Stadt in einem kleinen Café, darin lernten sich meine Eltern kennen. Mein Vater bekam kurz danach ein gutes Angebot von der Firma Volvo und so zogen sie um nach Schweden. Ich wurde dort geboren und lernte von klein auf beide Sprachen. Das war meiner Mutter sehr wichtig. Und wo lebtest Du vorher?“ „Wir sind vor fast 2 Jahren nach Hagnau gezogen, wir wohnten vorher in Ulm. Mein Vater bekam dann hier eine neue Arbeit, aber jetzt --- ach Sch…. darüber wollte ich ja gar nicht reden.“

Nilsson nickte langsam und da sie inzwischen außerhalb des Hafens waren, setzte er die Segel. Das Boot nahm Fahrt auf und glitt ruhig über das grünlich schimmernde klare Wasser des Sees, dessen kleine Wellen der steile Bug nach rechts und links verteilte. Es war ein schöner, sonniger Tag. Ein leichter Wind wehte, gerade richtig, um völlig entspannt auf dem Wasser dahinzugleiten.

„Wenn man mit dem Segeln beginnt, lernt man viele neue Wörter dazu, die hat man vorher nie gehört. Zum Beispiel ist ein kurzes Seil ein Ende und ein längeres Seil eine Schot. Vorne am Schiff ist der Bug und hinten heißt es Heck. Die lustigen Dinger, die wie harte Luftballons aussehen, sind die Fender und schützen das Boot vor Kratzern beim An- und Ablegen. Vorne ist das Vorsegel oder die Fock und dies hier nennt sich Großsegel oder einfach Groß. Rechts heißt steuerbord und links heißt backbord. Kann man sich gut merken weil steuerbord hat zwei ‚r‘ wie rechts. Übrigens die Fahne, die Du vorhin erwähnt hast, heißt richtig Flagge.“ Während er ihr das erklärte, zeigte er auf die jeweiligen Teile.

Nora hatte ihm interessiert zugehört, nickte verstehend und setzte sich dann auf das Vordeck. Sie stütze sich nach hinten mit den Armen ab. Ihre dunkelbraunen, langen Haare bedeckten locker den halben Rücken. Sie blickte nach vorn und schloss die Augen. Der Mann sah sie an und dachte traurig, dass dort jetzt seine Tochter sitzen könnte. Es war ihm fast unheimlich, dass die schöne, fremde Mitfahrerin seiner geliebten Alva so sehr ähnlich war. Und noch etwas, das aber anscheinend nur er sah und den Augen des Mädchens verborgen blieb, bewegte ihn tief in seinem Herzen.

Die Yacht glitt mühelos und leicht über die Wellen vor dem Süd-Westwind und nahm Kurs auf Bregenz. Die Alpen waren an diesem Tag ungewöhnlich klar zu sehen. Oben auf den Schweizer Gletschern glitzerte der Schnee in der Sonne. Es war einfach herrlich. Mitten auf dem See drehte Nilsson das Boot in den Wind um anzuhalten, und sie begannen mit dem Frühstück. Ab und zu grüßte ein vorbeifahrender Segler freundlich zu den beiden hinüber. „Sie kennen aber viele Leute.“ „Ja, die meisten Wassersportler kennen sich hier. Viele sind sehr nett, auch einige Schweizer und Österreicher sind gute Bekannte von mir.“ „Ach - ich wünschte, diese Fahrt ginge nie zu Ende, so ein traumhafter Tag! Darf ich morgen auch wieder mitfahren? Bitte, bitte, ja?“ Nora sah ihn mit großen, klaren Augen so hinreißend an, dass er nicht anders konnte, als einfach zuzustimmen.

„Ja, klar, aber vorher will ich mit Deinen Eltern darüber sprechen und mich ihnen vorstellen. Sie müssen wissen, mit wem ihr Mädchen unterwegs ist.“ „Das brauchen Sie doch nicht, es ist alles in Ordnung so, bestimmt!“ Sie nickte eifrig. „Nora hör mal, wenn ich mir vorstelle, dass meine Tochter am Hafen einen fremden Mann fragt, ob er sie mit auf sein Boot nimmt und sie dann stundenlang mit ihm alleine auf dem See unterwegs ist, dann wäre mir, ehrlich gesagt, schon ganz anders geworden. “Nora schaute ziemlich genervt aus, als sie forsch fragte: „Haben Sie denn überhaupt eine Tochter?“ Er wandte seinen Blick von ihr weg und drehte sich zur Seite. Während er in die Ferne schaute, sagte er: „Meine Tochter heißt Alva, aber sie lebt nicht mehr in unserer Welt.“

„Oh, das tut mir jetzt Leid, Entschuldigung.“ Das junge Mädchen biss sich auf die Lippe. „Ja, mir auch, sehr sogar.“ Nora dachte über seine Worte eine Weile nach. „Warum sagen Sie das ‚nicht mehr in unserer Welt‘ glauben Sie etwa, dass sie irgendwo anders lebt?“ „Ja, ich glaube, dass Alvas Seele weiter lebt.“ „Meinen Sie im Himmel oder so?“ „Ich weiß selbst nicht so genau, wie ich es mir vorstellen soll, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es nach dem Tod des Körpers für unsere Seele irgendwie, irgendwo weitergeht.“ Nora schaute nachdenklich zu dem Mann hinüber. „Ach übrigens, wegen meiner Eltern. Meinen Vater treffen Sie sowieso nicht an.“ „Aber Deine Mutter, oder?“ „Die schon – glaub ich.“ „Na, dann ist es ja gut.“ „Willst Du über Deinen Vater reden?“ „Jetzt nicht, nein.“ Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Haare stoben.

„O.k., wenn wir gegessen haben, wende ich. In etwa zwei Stunden sind wir zurück in Hagnau.“ „Och, schon?“ „Ja, morgen ist doch auch wieder ein Tag. Und ich freu` mich darauf. Wenn Du Badesachen mitbringst, könnten wir direkt vom Boot aus schwimmen gehen.“ Das Mädchen nahm wieder ihren Platz auf dem Vordeck ein. Plötzlich schlug sie ihre Hände vors Gesicht und weinte leise. Nilsson setzte sich neben sie und legte ihr vorsichtig die Hand um die zuckenden Schultern. „Wenn Du mal reden willst, ich bin ganz gut im Zuhören“, sagte er und hielt das schluchzende Mädchen ganz fest. Nora ließ es geschehen und lehnte ihren Kopf an die Schulter des Mannes. Tief in ihrem Inneren spürte sie plötzlich wieder das warme Gefühl von Geborgenheit, das sie an glückliche Kindertage erinnerte.

„Oh nein! Was ist das denn?“ Sie erschraken durch das laute Geheule einer Schiffssirene. „Großer Gott!“ Ein Fahrgastschiff hielt direkt auf die Yacht zu! „Runter!“, schrie der Schwede und riss im letzten Moment das Steuerrad herum. Das Boot reagierte zwar langsam, aber es kam gerade noch knapp an der stählernen Bordwand der ‚Graf Zeppelin‘ vorbei. „Nochmal Glück gehabt. Dem Himmel sei Dank!“ „Der Dicke hätte uns ja auch ausweichen können! Wir waren schließlich beschäftigt!“, lachte Nora und wischte sich mit einer Hand die Tränen aus ihren Augen. „Fahrgastschiffe haben hier immer Wegerecht, so heißt die Vorfahrt auf dem Wasser. Ich war leider sehr leichtsinnig“, gab Lars zähneknirschend zu. Die Verantwortung, die er für das Mädchen so schnell und ohne weiter darüber nachzudenken übernommen hatte, indem er sie auf seinem Schiff mitnahm, wurde ihm schlagartig bewusst. Auch musste er daran denken, dass sein Verhalten sicher ein Nachspiel haben würde, wenn der Kapitän seiner Verpflichtung nachkommt, über den Beinahe-Zusammenstoß eine Meldung an die Wasserschutzpolizei zu machen.

Schweigend fuhren sie weiter. Am Hagnauer Freibad und an dem kleinen Kurpark entlang. Bei einem der äußeren Festmacher hielten sie die Yacht an, holten die Segel ein und tuckerten langsam in den kleinen Hafen, an den für die ‚Alva‘ reservierten Liegeplatz. Nilsson zeigte ihr noch die gebräuchlichsten Seemannsknoten, so dass Nora beim Anlegen und Festmachen des Bootes richtig gut mithelfen konnte.

Obwohl das Mädchen bettelte, es nicht zu tun, gingen sie gemeinsam durch das Dorf zu ihrem Elternhaus. Nilsson bemerkte die verwunderten, vielsagenden Blicke der Dorfbewohner und es kroch ein leiser Zweifel in ihm hoch, ob er das hier jetzt richtig macht oder ob er wieder einmal einen Schritt zu weit gegangen ist. Dort draußen auf dem See fühlte es sich noch sehr gut an, in der Gesellschaft dieses Mädchens zu sein. Sich hier im Ort jedoch, vor aller Augen mit ihr, die ja fast noch ein Kind war, gemeinsam zu zeigen, das war schon eine andere Liga. Dabei ging es ihm überhaupt nicht um sich, aber ihr schaden, das wollte er auf keinen Fall. In einer schmalen Nebenstraße vor einem ziemlich alten, kleinen Fachwerkhaus blieb Nora stehen. Sie war inzwischen sehr aufgeregt und das blieb ihm natürlich nicht verborgen. Im Gegenteil, es übertrug sich sogar auf ihn. Durch den verwilderten Vorgarten gingen sie zu einer offen stehenden Haustür. Leise konnte man ein kleines Kind weinen hören. Drinnen erwartete sie bereits eine zierliche Frau, offenbar Noras Mutter. Sie hatte einen bunten Kittel an, um sie herum standen einige Körbe mit Wäsche.

Als sie ihre Tochter und den Fremden sah, stemmte sie ihre Arme in die Hüften und rief: „Wo kommst Du denn jetzt her, Nora? Und wer ist dieser Mann? Hast Du etwa was angestellt? Oder was sonst haben Sie mit meiner Tochter zu schaffen?“ „Mama, das ist Herr Nilsson. Wir waren segeln.“ „Mama, das ist Herr Nilsson. Wir waren segeln“, äffte die Frau sie nach. „Sag` mal, spinnst Du total? Du gehst morgens aus dem Haus, ich weiß nicht, wo Du bist und kommst abends mit einem fremden Mann wieder, mit dem Du die ganze Zeit unterwegs warst? Das glaub‘ ich jetzt nicht!“

Das weinende Kind hatte die Stimmen gehört und schaute vorsichtig durch einen Spalt der geöffneten Küchentür zu den dreien hinüber. „Frau Merz, ich bin mitgekommen, um mich Ihnen vorzustellen und die ganze Sache zu erklären. Mein Name ist Lars Nilsson. Nora hatte mich heute Morgen gefragt, ob sie mitsegeln darf und dann haben wir uns ordnungsgemäß beim Hafenmeister abgemeldet. Ich bin hier im Ort bekannt, wohne schon ein paar Monate bei Ludwig auf dem Campingplatz. Zwischen Ihrer Tochter und mir ist absolut nichts geschehen, was Unrecht ist. Ich verstehe aber sehr gut, dass Sie sich Sorgen gemacht haben, dafür bitte ich um Entschuldigung.“ Noras Mutter war sehr ärgerlich und gestikulierte ungehalten. „Ich entschuldige gar nichts, verstehen Sie? Nora, ich bin enttäuscht von dir. Du schläfst doch auch nicht auf dem Baum und weißt genau, dass manche Kerle auf junge Mädchen scharf sind und schreckliche Sachen mit ihnen anstellen. Versprich mir jetzt sofort, dass so etwas nie wieder vorkommt!“

Nora holte tief Luft, um etwas zu erwidern, aber Nilsson hob beschwichtigend seine Hände. „Frau Merz, vielleicht sollten wir uns erst einmal besser kennenlernen.“ Noras Mutter erhöhte ihre Tonlage und trat einen Schritt vor, ganz nahe an den Mann heran. „Warum, wieso, weshalb denn? Damit Sie sich in Zukunft noch besser an meine Tochter ranmachen können? Das wäre ja nicht das erste Mal, dass man von so was hört.“ „Mama, jetzt reicht es aber. Du bist oberpeinlich! Herr Nilsson wollte einfach nur nett sein und mir einen Wunsch erfüllen. Ich habe ihn gefragt, verstehst Du? Übrigens hatte ich mich vorher schon im Ort über ihn erkundigt. In dem kleinen Laden, wo ich aushelfe, bei Andreas im Bootsverleih und bei Fritz, dem Hafenmeister. Und außerdem, die meisten Sachen vor denen Du Angst hast, passieren doch sowieso in der Familie - darüber haben wir nämlich auch schon in der Schule gesprochen! Und jede Woche steht ein neuer Fall davon in der Zeitung!“

„Nora, ich habe Dir schon auf dem Boot gesagt, dass ich als Vater dieselben Sorgen hätte, von denen Deine Mutter jetzt spricht, deshalb kann ich sie sehr gut verstehen.“

„Ja, ja, weiß ich auch, dass in den Familien viel Schlimmes passiert, aber das eine schließt ja das andere nicht aus, oder? Dass Sie im Ort bekannt sind, beruhigt mich etwas, ich will mich ja auch auf meine Große verlassen, muss ich ja auch. Einsperren kann ich sie eh` nicht. Ich denke, mein Ausrasten war wohl etwas überzogen, entschuldigen Sie bitte. Aber ich bin etwas dünnhäutig geworden in letzter Zeit und heute ist sowieso alles schief gelaufen.“ Sie strich sich die strähnigen, blonden Haare aus dem Gesicht und ihr Mund zuckte. Sie war dem Weinen nahe. „Nein, nein, bitte – Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie haben ja Recht. Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“ „Ja gerne, wenn Sie eine Waschmaschine reparieren können, dann kommen Sie gerade wie gerufen!“, sagte Sie etwas spöttisch und zeigte in den Raum hinein auf das Gerät.

Die Waschmaschine hatte offensichtlich ihre beste Zeit schon seit langem hinter sich. Bestimmt war die Pumpe hinüber oder das Lager ausgeschlagen. Möglicherweise war auch die Elektrik defekt oder alles zusammen. „Gestern ging sie doch noch!“, sagte die Frau verzweifelt, während sie mit den Tränen kämpfte. Ihre Tochter ging zu ihr und legte tröstend den Arm um die aufgewühlte Mutter. Der Mann sagte: „Nora hat mir erzählt, dass Sie mit Waschen und so Geld verdienen. Dafür brauchen Sie doch gute Geräte!“

„Ja toll, ich gehe also rein in ein Geschäft, lege reichlich Geld auf den Tisch und kaufe mir eine neue Waschmaschine, nichts einfacher als das, oder? Schön wär`s! Ich hab` ja kaum was für die Miete und Lukas kann auch nicht in den Kindergarten gehen, weil ich`s nicht bezahlen kann. Möchten Sie noch mehr wissen?“

Nilsson merkte, dass die Frau mit den Nerven völlig am Ende war. Er sagte ruhig: „Nein, nein, ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen. Ich sehe aber, dass Sie dringend Hilfe brauchen. Haben Sie einen Gewerbeschein?“ „Ich habe eine vorläufige Erlaubnis, dass ich die Wäscherei führen darf. Der Bürgermeister war so freundlich, mir dabei zu helfen.“ „Das ist ja super, dann werden Sie die neuen Maschinen leasen also mieten. Die Raten kann man nämlich von der Steuer absetzen, das ist für Sie günstiger als welche zu kaufen. Mit einer Waschmaschine allein ist es jedoch nicht getan, zwei müssen her und Sie brauchen auch einen großen Trockner und eine neue Mangel.“ Noras Mutter sah den Fremden mit offenem Mund staunend an „Sind Sie etwa Unternehmensberater oder so etwas?“

Nilsson schüttelte den Kopf. Er erzählte ihr von Siegfried Pelz, dem Installateur, den er zusammen mit einem guten Steuerberater im Frühjahr aus der Pleite gerettet hatte und der jetzt wieder Chef einer erfolgreichen Sanitärfirma ist. „Ich erfahre heute Abend, wann Sie die Maschinen bekommen werden und sage Nora morgen Bescheid. Lassen Sie sie in den Ferien bei mir ruhig etwas Spaß haben. Ich meine auf dem Boot, beim Segeln natürlich. Das Mädchen hat Ihnen doch auch das ganze Jahr über geholfen. Und jetzt sind endlich Sommerferien!“ „Ja, aber --- ! Wieso tun Sie das alles, wir sind doch fremde Leute für Sie?“ „Ich hoffe, das wird sich bald ändern. Es ist doch klar, dass Sie jetzt Hilfe brauchen, und ich sehe wirklich keinen Grund, weshalb diese Hilfe nicht von mir kommen sollte. Und ich spreche von Hilfe und nicht von Almosen. Meine Ideen und Verbindungen werden Ihnen nun beim Start behilflich sein. Eines Tages jedoch, werden Sie sehr stolz auf sich selber sein, weil Sie nach diesem Neubeginn wirklich alles andere aus eigener Kraft geschafft haben.“

„Aber --- .“ „Jetzt bitte kein aber mehr, Frau Merz. Tun Sie mir nur den einen Gefallen: Vertrauen Sie mir! All‘ Ihre Fragen werden wir später klären. Stellen Sie sich einfach vor, dass einfach alles gut wird o.k.? Am besten, damit fangen Sie sofort an! Und wegen Nora brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, großes Ehrenwort!“

Siegfried Pelz war wie erwartet froh, dass er auch einmal etwas für Nilsson tun kann und versprach, alles aufs Beste zu regeln und schnell in das kleine Haus zu liefern.

Ein neues Leben beginnt

Ein neues Leben beginnt

Am nächsten Morgen fuhr er mit Nora wieder hinaus auf den See. Zwischen Immenstaad und Friedrichshafen ankerten sie in der Nähe des Ufers. „So, jetzt kannst Du mir ja mal zeigen, was Du im Schwimmen so drauf hast.“ Er schaute das junge Mädchen dabei so neutral an, wie es ihm möglich war, denn sie trug inzwischen ihren Bikini und sah sehr aufregend aus. „Ja, da werden Sie aber staunen!“ Siegesgewiss lächelte Nora den Schweden sehr selbstbewusst an. Sie merkte natürlich, dass sie ihm gefiel und kokettierte übermütig mit ihrem mädchenhaften Charme. „Ab jetzt bitte Lars und Du, weil - Segelkameraden duzen sich überall auf der ganzen Welt.“ Er selbst kletterte über die Badeleiter hinunter in das Wasser. Da es hier schon seit Mai ziemlich warm war, hatte der Bodensee jetzt die perfekte Badetemperatur. Nora indessen sprang direkt vom Schiff in den See. Das Wasser war sichtlich ihr Element. Sie schwamm und tauchte und lachte und war sehr glücklich. Übermütig warf sie Lars Wasserpflanzen zu, die sie vom Grund mit herauf brachte.

„Hab` ich jetzt einen Hunger!“ rief Nora aus, als sie erschöpft wieder an Bord kletterte. Sie hatte sich nur flüchtig abgetrocknet, so dass bunt schillernde Wassertropfen noch zahlreich auf ihrer leicht gebräunten Haut perlten. „Es ist alles da, wir können frühstücken.“ „Krieg ich auch Kaffee? Zuhause darf ich nämlich nicht.“ „Bediene Dich, hier darfst Du. Sind doch Ferien!“

„Und was machen wir dann?“ „Hast Du Vorschläge?“ „Einfach fahren, fahren, fahren, dann wieder schwimmen und wieder fahren und essen und immer so weiter!“ „O.k., dann machen wir das doch einfach“, lachte Nilsson und freute sich, dass das Mädchen sich bei ihm so wohl fühlte. Als sie gefrühstückt hatten, zogen sie die Anker auf, stellten die Segel in den Wind und los ging es. Nora legte sich wieder auf das Vordeck und schloss die Augen. Langsam fuhr das Boot in Richtung Friedrichshafen.

„Aua!“, rief sie plötzlich „Mist, ich habe einen Splitter im Finger. Hier sind ja auch ein paar Holzlatten lose.“ „Ja leider, ich weiß. Ich werde das ganze Deck restaurieren lassen. Dies ist ein Boot aus Teakholz, schon ziemlich alt. Ich habe es hier erst im letzten Herbst gekauft. Einer der Vorbesitzer hat es selbst gebaut. Das war sicher eine Heidenarbeit. Von der Idee über die Konstruktion bis zur Fertigstellung - das muss Jahre gedauert haben. Der Rumpf ist ansonsten tadellos in Ordnung, der Motor - von Volvo, ist übrigens auch ein Schwede wie ich ha, ha - der ist perfekt, ich leider nicht. Die Decksplanken allerdings sind nicht so gut über den Winter gekommen.“ „Das wäre ja eigentlich was für meinen Vater.“ „Versteht der was von Booten?“ „Natürlich, klar, er ist doch Tischler und Bootsbauer. Nur im Moment hat er ein Problem, weil er keine Arbeit hat“, sagte sie traurig und bekam feuchte Augen. Dann wischte sie sich schnell mit dem Handrücken über das Gesicht, hob trotzig ihren Kopf und schaute wieder nach vorn. „Da ist ja schon Friedrichshafen, bitte lass uns da nicht anlegen!“ „Warum nicht?“ „Er könnte am Hafen sein mit seinen Kumpels.“ „Mhm - und Du meinst, es wäre nicht so gut ihn zu sehen?“ „Ich glaube nicht. Außerdem wäre es bestimmt auch nicht so toll, wenn er uns beide zusammen sehen würde.“ „O.k., wir drehen ab und fahren rüber nach Romanshorn an das Schweizer Ufer.“

Unterwegs erzählte Nora, dass ihr Vater damals auf der Werft in Langenargen Arbeit gefunden hatte. Ein ganzes Jahr lief alles bestens. Er war in der Woche in Langenargen und am Wochenende kam er nach Hause, nach Ulm, wenn er nicht durcharbeiten musste. Denn es gab oft sehr viel zu tun und hat er wirklich gern gearbeitet. Er liebte sein Holz und den Umgang mit den Werkzeugen und Maschinen. Später holte Merz seine Familie nach und sie zogen nach Hagnau in das alte Fachwerkhaus. Er hatte sich so darauf gefreut, es nebenbei zu restaurieren und sie waren damals eine sehr glückliche Familie.

Doch dann kam alles anders. Die Werft bekam einen neuen Besitzer und der Neubau von Holzschiffen wurde eingestellt. Es wurden nur noch Kunststoff- und Metallboote gebaut. Holzboote verkauften sich plötzlich nur noch schlecht. Sie waren einfach zu teuer und brauchten sehr viel Pflege. Drei Tischler wurden entlassen. Nur die beiden Ältesten behielt der neue Chef für Innenausbauten und Reparaturen. Bodo Merz hatte sich sofort wieder in der ganzen Bodenseeregion bemüht, eine neue Arbeit zu finden, aber er hatte kein Glück. In Bodman hatte er mal 2 Monate gearbeitet, war wieder voller Hoffnung, erhielt jedoch keinen Lohn, weil die Firma bereits pleite war, als er eingestellt wurde. Das alles ging über seine Kräfte und er war verzweifelt und missmutig, trank oft Alkohol und lernte schließlich die falschen Leute kennen. Es gab Zuhause immer öfter Streit, denn er vertrank das Geld für die Miete und sogar für das Essen.

Irgendwann konnte sie es nicht mehr aushalten und seine Frau forderte ihn auf, das Haus zu verlassen, wenn er sich nicht ändern würde. Als er schließlich weg war, begann sie mit der Wäscherei, um für sich und die Kinder zu sorgen. Und Nora musste nach der Schule Wäsche bügeln und zu den Kunden bringen. Der kleine Lukas hörte von einem Tag zum nächsten auf zu sprechen, als er merkte, dass sein Vater nicht mehr wiederkam. Nora redete sich zum ersten Mal alles von der Seele und immer wieder musste sie dabei weinen. „Hey, weißt Du was, in Schweden gibt es ein Sprichwort, das heißt: ‚Jeder Tag ist einneuer Anfang‘. Ich habe eine Idee: Wir bringen dieses Sprichwort zu Deinem Vater und lassen es durch ihn einmal wieder lebendig werden, o.k.?“ „Ich wüsste nicht, wie Du das machen könntest, Lars. Wir haben ihn nämlich schon einige Monate nicht mehr gesehen. Er ist bereits so tief gesunken.“ „Jemand hat einmal gesagt: ‚Mankann nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand‘. Und darin sind wir doch sowieso alle, oder?“

Abends segelten sie zurück nach Hagnau. Unterwegs meldete sich Siegfried auf Lars‘ Handy. Seine Installateure hatten die neuen Geräte bei Frau Merz aufgestellt und Lars soll nur noch bei Gelegenheit zu ihm kommen und die Verträge durchsehen, ob die Konditionen in Ordnung sind. Ach so, und er hätte noch nie jemand gesehen, der sich so sehr gefreut hat, wie diese Frau!

Als sie auf dem Weg zu Noras Haus waren, ertönte plötzlich eine Stimme: „Hallo Lars, heute mit Freundin?“ „Hallo Ulli.“ Ohne stehenzubleiben erhob Nilsson lässig die Hand zum Gruß. „Ist die Kleine nich ‘n bisschen jung für dich?“ „Das lass` mal meine Sorge sein!“ Sie gingen weiter und Nora lachte: „Was war das denn jetzt?“ „Ach, lass mal, Ulli ist ein alter Quatschkopf. Er trägt sein Herz auf der Zunge, das hat allerdings den Vorteil, dass man weiß was er denkt. Allein wir in unserem Kopf entscheiden, ob das Gerede anderer für uns wichtig ist oder nicht. Nur was wir in uns rein lassen, gibt den Menschen Macht, uns zu beleidigen, zu verletzen oder uns traurig zu machen. Also lassen wir es einfach draußen, oder?“ Er lächelte das Mädchen aufmunternd an. Sie nickte nachdenklich. „Ist manchmal aber nicht so leicht!“

Natürlich weiß Nilsson, dass seine Lebenshilfe-Sprüche nicht immer trösten können. Sie hin und wieder aufzusagen, fand er trotzdem allemal besser, als pessimistisch und nörgelig zu sein.

„Das sieht ja richtig gut aus, Frau Merz!“ „Whow, Mama, Du hast ja jetzt eine richtige kleine Firma.“ „Ja, ich weiß aber wirklich nicht, was ich sagen soll, ob ich lachen oder weinen möchte.“ „Lachen, Frau Merz, lachen Sie einfach, das ist immer besser, wenn man schon die Wahl hat.“ Alle drei lachten spontan. Nora und ihre Mutter umarmten sich und schauten Lars dankbar an. „Also ohne Sie ---?“ „Hätten Sie es auch irgendwie geschafft, bestimmt! Übrigens bei uns in Schweden nennen wir uns beim Vornamen, ich bin Lars.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. „Ja, äh --- und ich bin Anna.“ „O.k., ich denke, ihr kommt jetzt klar und ich gehe dann mal. Wenn ihr mich braucht, wisst ihr ja, wo ihr mich finden könnt. Nora hat ja auch meine Handynummer. Anna, wenn Sie auch einmal Lust auf eine Segeltour haben, Sie alle drei sind herzlich eingeladen. Bestimmt wäre das auch was für Lukas.“

Nora und der Schwede trafen sich danach fast täglich. Kreuz und quer segelten sie über den schönen See. Mal nach Lindau, nach Bregenz und hinüber in die schöne Schweiz. Nach Konstanz und zur Insel Mainau, ‚zu seinen adligen Verwandten, dergräflichen Familie Bernadotte‘, die ja wie er auch aus Schweden kommt, wie Nora schelmisch bemerkte. Sie lernte so ganz nebenbei die Fertigkeiten des Segelns und will in den Herbstferien ihren Segelschein machen. Sie wurde entspannter, fröhlicher und irgendwie erwachsener mit jedem neuen Tag.

Von Konstanz aus fuhren sie eines Tages mit dem Zug nach Zürich. Nora staunte nur so über die Schönheit dieser Stadt, die sie vorher noch nie gesehen hatte. Sie suchte sich dort sehr trendige, sportliche Sachen aus. Und Nilsson fand riesiges Vergnügen daran, sie beim Shopping zu begleiten. Natürlich musste er dabei an seine Tochter Alva denken, mit der er solche fröhlichen Tage leider nie verbracht hatte. Diese Gedanken schmerzten ihn sehr. Jetzt aber sollte er mit Nora, einem fremden Mädchen aus dem kleinen Hagnau diese Freude teilen dürfen. Er versuchte erst gar nicht, diesen seltsamen Weg des Schicksals zu verstehen.

Mit dem Zeppelin sind sie natürlich auch gefahren und haben sich die herrlichen Landschaften um den Bodensee herum von hoch oben aus angesehen. Sie bestaunten Sonnenaufgänge über den Weinbergen und das Farbenspiel der untergehenden Sonne im Westen des großen Sees. Sie erlebten Nebel und Stürme auf dem Wasser und waren manchmal klitschnass vom Regen. Es sollten wunderbare und unvergessliche Tage für das ungleiche Freundespaar werden.