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"Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise …" Ganze Generationen kennen diese magischen Worte, die jede Folge der bekanntesten Science-Fiction-Serie der Welt einleiten - Star Trek, in Deutschland besser bekannt als Raumschiff Enterprise. Kommandant des Sternenkreuzers war William Shatner alias Captain James T. Kirk. 1962 hatte er im B-Movie Weißer Terror von Roger Corman noch einen hasserfüllten Rassisten im tiefsten Süden gespielt. Nur wenige Jahre später gab er in fernen Galaxien seinem schwarzen Kommunikationsoffizier, der attraktiven Lt. Uhura, einen Kuss. Es war der erste zwischen einem Weißen und einer Schwarzen in der Filmgeschichte, und er führte in den USA zu einem Riesenskandal! In seiner warmherzigen, humorvollen und nachdenklichen Autobiografie berichtet Shatner von einem Leben zwischen den Extremen. Als einsames Kind in Montreal aufgewachsen, wurde er zum weltweiten Publikumsmagneten, den die Fans auch heute noch bei jeder Autogrammstunde belagern. Die Ikone der Popkultur führt seit langem aber auch ein Leben fernab der Schlagzeilen, wo sie sich wohltätigen Zwecken widmet: Mal unterstützt Shatner therapeutisches Reiten, dann wieder steigt er mit über 80 Jahren selbst in den Sattel einer Harley Davidson und macht sich zu einer 2.400 Meilen langen Tour durch die USA auf, um Spenden für bedürftige Veteranenkinder zu sammeln. William Shatner hat mehr erlebt und gesehen als die meisten anderen Menschen. Sein Leben wurde sowohl von traumatischen Ereignissen wie dem schrecklichen Unfalltod seiner Frau Nerine bestimmt als auch von Triumphen wie der Verleihung des "Golden Globe" und des "Emmy". Captain Kirk, wie er immer noch liebevoll genannt wird, präsentiert dem Leser in seinem fesselnden Buch originelle Gedanken zu Liebe und Leidenschaft, zu Hass und tiefempfundener Menschlichkeit. In diesem Zusammenhang tauchen dann natürlich auch die "Schlitzohr" Mr. Spock auf und Bordarzt "Pille", Kollegen, die Shatners Lebensweg maßgeblich prägten. Lebe lang ... und was ich auf meinem Weg lernte ist eine hochemotionale Autobiografie und gleichzeitig das grundehrliche Porträt eines empfindsamen und kultivierten Zeitgenossen.
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Seitenzahl: 310
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Aus dem Englischen übersetzt
von Alan Tepper
www.hannibal-verlag.de
Über die Autoren
William Shatner hat neben seiner schauspielerischen Tätigkeit als Musiker, Produzent, Regisseur und Autor gearbeitet. Besonders hervorzuheben ist seine Rolle als Captain Kirk in der Serie Raumschiff Enterprise (1966 bis 1969) und sieben Star Trek-Filmen. Für die Rolle des Denny Crane in der Serie Boston Legal gewann er einen Emmy und einen Golden Globe. Shatner lebt mit seiner Frau Elizabeth in Los Angeles.
David Fisher ist Autor von über 20 New York Times-Bestsellern, darunter auch Shatners Bücher Durch das Universum bis hierher sowie Spock und ich: Mein Freund Leonard Nimoy. Er lebt in New York.
Impressum
Titel der Originalausgabe von St. Martin’s Press, NY:
„Live Long And …“
© William Shatner 2018
Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.
Deutsche Erstausgabe 2019
Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com
Coverabbildung: © Maarten De Boer / Contour by Getty Images
Übersetzung: Alan Tepper
Lektorat und Korrektorat: Dr. Matthias Auer
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
www.hannibal-verlag.de
ISBN 978-3-85445-665-0
Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-664-3
Hinweis für den Leser:
Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.
Inhalt
1.
Ein glückliches Leben
2.
The Show Must Go On
3.
Die Leidenschaft für Leidenschaften
4.
Ein Plädoyer für Gefühle
5.
Die Grundzutaten: Gesundheit und (ein wenig) Wohlstand
6.
Die seltsame Suche nach Abenteuern
7.
Arbeit und Glück
8.
Beziehungen sind nie relativ
9.
Meine grundlegenden Ansichten
10.
Where Does Time Go?
Danksagungen
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Widmung
Ich möchte dieses Buch einem guten alten Freund von mir widmen, der nicht mehr unter uns weilt. Als ich ins Filmgeschäft einstieg, war Carmen La Via ein junger Agent in Los Angeles. Wir durchlebten viele Beziehungsformen, von Klient über Agent bis hin zum Freund. Er zog nach New York und wurde mein Literaturagent. Wir arbeiteten häufig zusammen, und viele der daraus resultierenden Projekte erwiesen sich als wirklich gut.
Um Ihnen aufzuzeigen, wie taff er sein konnte, möchte ich auf das an seiner Krankenhaustür angebrachte Schild mit der Aufschrift „Bitte nicht wiederbeleben“ hinweisen. Nachdem man ihn schon aufgegeben und ihm die Sterbesakramente erteilt hatte, war er sich selbst überlassen. Aber dieser knallharte kleine Italiener blies uns dann alle mit seiner Energie vom Hocker, als er wieder zur Arbeit erschien.
Die Angehörigen möchten ein „Ruhe in Frieden“ auf seinem Grabstein eingravieren lassen. Ich denke, „Bitte nicht wiederbeleben“ würde es eher treffen. Ich warte darauf, dass wir uns im Geiste wiedervereinen.
Lebe lang …
Ich habe ein glückliches Leben gelebt. Ich erklomm buchstäblich wie sprichwörtlich den Gipfel des Berges. Mir sind die außergewöhnlichsten Menschen begegnet, und ich habe die verblüffendsten Erfahrungen gemacht. Ich bin auf Pferden über die Prärie geritten und mit Motorrädern durch das Land gefahren, habe das Wunder des Aufwachsens meiner Kinder erlebt. Ich habe das ganze Spektrum an Emotionen empfunden, das größte Glück und den schlimmsten Schmerz, habe geliebt und gehasst, die Extreme ausgekostet, das Gefühl der Leidenschaft genossen und Ekstase erlebt. Ich kam 1931 zur Welt und wurde während meiner Lebensspanne Zeuge der flächendeckenden Verbreitung von Antibiotika und der Eliminierung gefürchteter Krankheiten. Ich habe die Erfindung des Fernsehens erlebt, des Internets und der Mikrowelle, mit Ehrfurcht das ungeheure Wachstum der kommerziellen Luftfahrt wie auch der NFL beobachtet. Mein Leben umspannt acht Dekaden voller Aufregung, Entdeckungen, Beziehungen und großen Glücks.
Und so war ich sicher nicht bereit dafür, dass es endete.
Ich habe den Tod in vielen Facetten gesehen. Ich habe ihn in der natürlichen Abfolge erlebt, als meine Eltern alterten und verstarben. Ich war mit der Tragödie eines Unfalltods konfrontiert, denn meine Frau starb bei einem wahrhaft tragischen Ereignis. Ich habe den schmerzhaften Tod enger Freunde durch Krankheiten miterlebt, meine geliebten Tiere in den Armen gehalten, während sie ihr Leben aushauchten. Mir widerfuhr der Schmerz des Verlusts, die Leere. Ich bin auf mehr Beerdigungen gewesen, als ich zählen kann, habe nach Worten gerungen, um trauernde Menschen zu trösten. Ich bin ziellos umhergewandert und habe versucht, den Tod zu verstehen, wobei ich erkannte, dass ich ihn niemals begreifen werde.
Doch 2016 hatte ich eine vollkommen andere Begegnung mit dem Tod: Ein Arzt erklärte mir, ich hätte eine unheilbare Krankheit, sagte, dass ich sterben würde.
Moment mal! Das war etwas komplett Neues. Ich war ziemlich gut darin, Mitleid zu bekunden und derjenige zu sein, der am Ende einer Trauerfeier immer nach Hause ging. Wie sollte ich nun auf die Diagnose reagieren? Wir redeten hier tatsächlich über mein Begräbnis!
„Sie haben Krebs“, teilte mir der Arzt mit.
Das muss ein Fehler sein, dachte ich. So etwas widerfährt nur anderen. Die Diagnose war das Ende einer Kette, die mit meiner Neugier begann. Durch die Lektüre eines Magazins erfuhr ich, dass Wissenschaftler entdeckt hatten, dass Krebszellen ein bestimmtes Protein bilden, mit dem man Rückschlüsse auf ihre Existenz ziehen kann. Die Forscher hatten einen Test zur Erkennung dieses Proteins entwickelt. Es ist ein hochsensibles Verfahren. Meine Frau Elizabeth und ich entschieden uns zu einer Untersuchung. Als das Testergebnis bei ihr auf Gebärmutterhalskrebs hinwies, durchlebten wir einen Monat nahe der Hysterie. Andere Ärzte wandten gründliche und bewährte Diagnostikverfahren an, fanden jedoch keine Auffälligkeiten. Man klärte uns schließlich auf, dass der erste Test noch zu ungenau sei.
Und dann diagnostizierte man bei mir Prostatakrebs. Bei mir! Mein Hausarzt sagte, dass Prostatakrebs manchmal äußerst aggressiv sei und manchmal so „harmlos“, dass man schon lange vor dem inkurablen Ausbruch an einer anderen Krankheit versterbe. Sterben! Ich? Das durfte alles nicht wahr sein. Um herauszufinden, um welche Ausprägungsform es sich handelte, nahm er mir Blut für den PSA-Wert ab, ein Tumormarker dieser spezifischen Krankheit. Bis zu dem Zeitpunkt lag er bei mir immer bei eins oder zwei, also unterhalb der bedenklichen Werte. „Er liegt bei zehn“, teilte mir mein Arzt nach Auswertung mit. „Es ist aggressiver Krebs.“ Zehn! Mein Körper hatte mich verraten.
Ich habe mich stets dem großen Comedian George Burns verbunden gefühlt, der 100 Jahre alt wurde und einfach nicht sterben „konnte“, solange man ihn buchte. Und auch mein Terminplan war viel zu voll, als dass ich Zeit für den Tod gehabt hätte.
Auf einer intellektuellen Ebene verstand ich die Diagnose. Ich hatte bereits mein Testament gemacht und damit geklärt, wem ich dies oder jenes vererben würde. Doch auf einer emotionalen Ebene war ich mir sicher, nicht zu sterben. Ich lehnte das schlichtweg ab. Ich formulierte meinen „letzten Willen“ und ging dann sofort zu einem netten Stückchen Strudel über. Der Tod? Das betraf mich doch nicht.
Bei Auftritten im Laufe der letzten Jahre bemerkte ich, dass mich immer häufiger Menschen um ein Autogramm baten. Mir war klar, was das bedeutete: Sie spekulierten auf mein baldiges Ableben, wodurch meine Unterschrift urplötzlich an Wert zunähme. Junge, Junge, dachte ich, die werde ich zum Narren halten!
Meine ersten Reaktionen auf die Diagnose glichen denen anderer Menschen: die Weigerung, diese Tatsache anzuerkennen, Angst und Wut – und auch ein Hauch des Gefühls, beleidigt zu sein. Ich bin in meinen Achtzigern, habe ein langes Leben gelebt, war aber sicher noch nicht bereit, es zu beenden. Ich entschied mich also, nicht widerstandslos in die lange Nacht hinüberzugleiten. Ich würde kämpfen! Neue Pferde sollten angeliefert werden, die ich noch einreiten musste. Auf meinem Terminplan standen verschiedene Auftritte wie auch ein Soloprogramm, und ich durfte das Publikum doch nicht im Stich lassen. Ich würde sogar noch einen Film drehen. Ein regelrechtes Meer aus Liebe ergoss sich über mich: die meiner Frau, meiner Kinder und Enkel. Ich habe immer daran geglaubt, dass in uns eine Kraft lodert, ein entschiedenes Verlangen zu leben, das alle Zellen durchdringt, und ich versuchte, es zu entfachen, versuchte, den Schalter zu finden, der das Immunsystem in den Superkiller-Modus versetzte. Keine Ahnung, ob das half oder nicht, doch ich glaubte daran, dass mein Immunsystem hochgefahren würde! Ich würde nicht so einfach sterben.
Dann las ich davon, dass in bestimmten Fällen ein Zusammenhang zwischen Testosteron-haltigen Nahrungsmittelergänzungen und Prostatakrebs bestehe. Und ich nahm solche Mittel ein! Ich fragte meinen Arzt, ob ich sie absetzen solle. „Ja“, stimmte er zu, „das könnte eine gute Idee sein.“
Ich hörte damit auf. Drei Monate später unterzog ich mich einem weiteren PSA-Test. Der Wert war auf eins gesunken. Eins! Der Arzt vermutete, dass das Testosteron den erhöhten PSA-Spiegel verursacht hatte. Nun war mir das Ergebnis des noch unausgereiften Krebstests egal, den ich natürlich nicht wiederholte. Wie die Onkologen mir und Elizabeth erklärt hatten, produzierten wir permanent Krebszellen, die vom Körper abgetötet würden. Die Killerzellen und die T-Zellen greifen an und zerstören sie. Der Organismus produziert also ständig Krebs und eliminiert ihn wieder, doch besagter Test ist so sensibel, dass er schon kleinste Anzeichen nachweist. Kombiniert mit dem PSA-Test hatte mich das davon überzeugt, dass ich sterben würde.
Obwohl es mir ein wenig leidtat, all die Autogrammjäger enttäuschen zu müssen, fühlte ich mich durch das neue Ergebnis wie berauscht. Ich kehrte zurück zur Erkenntnis, nicht sterben zu müssen. Zumindest jetzt noch nicht.
Während der drei Monate, in denen ich mich mit meinem Todesurteil konfrontiert sah, verbrachte ich viel Zeit damit, über das Leben nachzudenken, über die Lektionen, die ich gelernt habe, die Orte, die ich sah, die Wunder, die ich erlebte und all die Begegnungen und Erfahrungen, die vereint einen Energieschub namens Leben ergeben haben. Darauf basierend, will ich nun, zum allerersten Mal, mit Ihnen mein Geheimnis eines guten, langen Lebens teilen:
Sterben Sie einfach nicht.
Das ist es; das ist das große Geheimnis. Leben Sie weiter, und versuchen Sie, nicht einzurosten.
Schon viele Menschen haben ihre Geheimtipps für ein langes und glückliches Leben mit anderen geteilt: Machen Sie dieses, lassen Sie jenes. Essen Sie Mixed Pickles. Vermeiden Sie Mixed Pickles.
All die Ratschläge haben wohl geholfen – bei den jeweiligen Personen.
Andere haben die von ihnen erlangte Weisheit weitergegeben: Meditiere. Den Ärger nicht runterschlucken. Behandle andere Menschen so, wie du selbst behandelt werden willst – mit der Ausnahme, man mag eine andere Person nicht, dann behandle sie oder ihn einfach anders. All das funktioniert, oder es funktioniert nicht.
Auf den folgenden Seiten erzähle ich Ihnen von den Erfahrungen, die sich bei mir positiv auswirkten, die mein Leben bereicherten oder mir Lektionen erteilten, die den Unterschied darstellten. Hier ein erster Ratschlag: Es gibt kein universelles Konzept!
Wenn mich Menschen aufsuchen und um einen Ratschlag bitten – sie nehmen an, dass ich während meiner Lebensspanne etwas Bedeutendes gelernt haben muss –, dann gebe ich ihnen die bestmögliche Hilfestellung: Folgen Sie bloß nicht meinem Tipp. Jeder Mensch ist einzigartig. Unterschiedlich. Ähnelt niemandem. Sie hatten nicht meine Mutter! Niemand kann in meinen Schuhen mühelos gehen; den meisten werden sie nicht einmal passen. Mir wiederum passen Ihre Schuhe nicht; ich würde mir vermutlich die Zehen wundreiben. Doch warum sucht man überhaupt nach Ratschlägen? Wir beginnen jeden Tag mit einem anderen Erfahrungshintergrund. Wir sehen das Leben durch unterschiedliche Prismen. Wir unterscheiden uns körperlich, emotional und mental. Wir sehen und erleben die gleichen Situationen anders. Den Hauch des Windes, das Gefühl, wenn ich mich mit einer Creme einreibe, die Wut, die ich spüre, wenn ein anderer Fahrer mich schneidet, meine Reaktion auf einen Witz oder einen Film – das variiert alles im Vergleich zu den Empfindungen anderer.
Jemanden zu erklären, wie er sein Leben führen soll, ist der Gipfel der Überheblichkeit, nicht nur für mich, sondern für alle. Es gibt nicht den einzigen Weg oder den richtigen Weg, etwas zu machen. Führt nur ein einziger Pfad einen Berg hinauf? Kann man sich nur an eine Formel klammern, um seine Gesundheit zu erhalten? Gibt es nur einen Weg, eine Beziehung zu führen, oder gibt es viele, die sich dadurch unterscheiden, „in welchen Schuhen man steckt“? Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, vielleicht haben sie die heiligen Männer auf den Berggipfeln? Allerdings leben sie nun mal auf Berggipfeln – was können sie also schon von der Reaktion eines Trottels wissen, der einem den Weg zum Starbucks abschneidet, wo man sich die erste Tasse des frischen Morgenkaffees gönnen will? Gibt es vielleicht so etwas wie einen „Bergpfad-Ausraster“?
Ich bin der Typ, der Raumschiff Enterprise über 79 Wochen rettete und damit endete, James Spader auf einer Veranda zu küssen. Doch ich stelle immer noch Fragen. Sogar in meinem Alter versuche ich, herauszufinden, wie dieses befremdliche, wunderbare und bizarre Etwas, das man Leben nennt, am besten seinen Verlauf nimmt. Ich weiß, was bei mir funktionierte, und freue mich darüber, dieses Wissen mit Ihnen zu teilen. Nehmen Sie das für Sie Wertvolle an – was in der Realität zuerst den Preis des Buches, abzüglich eines möglichen Rabatts, bedeutet.
Mir wurde in meinem Leben außergewöhnliches Glück zuteil. Mir boten sich Möglichkeiten, die anderen verwehrt blieben. Ich glaube daran, dass wir Wissen sammeln sollten, so viel Wissen, wie wir können, ähnlich den Steinzeitmenschen, die Nahrung zusammentrugen. Aus dem großen Haufen sollten wir die Lektionen aussieben, die in unserem Leben einen Sinn ergeben.
Angeblich kommt die Weisheit mit zunehmendem Alter. Ich habe das vor langer Zeit gelesen. Nun bin ich weit in meinen Achtzigern und muss mit leichtem Bedauern zugeben, dass ich nur sehr wenig weiß. Ich habe jedoch genügend Abgeklärtheit erlangt, um den Glauben, dass Weisheit sich mit dem Alter einstellt, abzutun. Allerdings kommen mit dem Alter Beschwerden und Schmerzen! Manchmal habe ich das gleiche Gefühl wie damals, als ich zum ersten Mal im Leben die Stadt verließ und die weite Natur aufsuchte. Ich bin in Montreal aufgewachsen, einer Metropole voller heller Lichter. In so einer großen Stadt ist es kaum möglich, das ganze Panorama des Nachthimmels zu sehen. Im Alter von elf Jahren schickte man mich in ein Ferienlager für Kinder aus sozial schwachen Familien. Eines Nachts schlich ich mich aus der Hütte, setzte mich auf einen Holzstamm, schaute hoch und überblickte zum ersten Mal die unendliche Weite des Universums. Ich sah zum Himmel hinauf und fiel buchstäblich hintenüber, überwältigt vom riesigen Ausmaß des Weltraums, denn ich hatte weder ein Konzept dafür noch eine Vorstellung davon. Ich glaube, niemals diese Ehrfurcht verloren zu haben oder das brennende Verlangen, mehr davon zu verstehen, als ich bisher weiß. Mein ganzes Leben habe ich mit der Suche nach Antworten verbracht, und ich bin immer noch dabei. Nur in einer Hinsicht bin ich mir sicher: Menschen, die vom Vortäuschen dessen leben, sie hätten Antworten gefunden, haben es in der Regel nicht.
Mit Sicherheit können wir nur Veränderungen und Wandel vorhersagen. Wir wissen, dass die Erfahrungen und das Wissen, auf denen unsere Entscheidungen basieren, sich verändern werden. Man erklärt uns, viele Kohlenhydrate und wenige Proteine zu uns zu nehmen, sei gut, doch nur ein paar Jahre später wird das exakte Gegenteil propagiert. Vermeiden Sie Fette, raten uns die Experten, und dann berichtet man, dass einige Fette doch sehr gesund seien. Einstein postulierte, dass die Lichtgeschwindigkeit konstant sei und dass sie sich niemals ändere, doch wer weiß das schon? Möglicherweise findet jemand heraus, dass die Lichtgeschwindigkeit variiert? Wir haben gerade erst eine Unregelmäßigkeit im Gravitationszentrum der Erde entdeckt, die sich überall auswirkt. Vor Jahren haben Menschen vertrauensvoll ihre Zukunft geplant, einen Beruf gewählt, dafür gelernt und hart gearbeitet, nur um wenig später herauszufinden, dass diese Profession nicht mehr existiert. Die Möglichkeiten der Technologie hatten sie ersetzt. Der Weg, den diese Menschen gewissenhaft verfolgt haben, das Gebiet, auf dem sie in vielen Fällen Experten wurden, mündete in eine Sackgasse. Mit der Verfügbarkeit des Computers wurde sogar die Tätigkeit des besten Schreibmaschinenmechanikers aller Zeiten überflüssig. Für das Überleben war nun die stetige Veränderung notwendig.
Falls ich überhaupt ein bisschen weise bin, beschränkt sich mein Wissen auf meine persönlichen Erfahrungen. Ich kann mich bestenfalls an das Erlernte erinnern und Ihnen die Wahlmöglichkeit überlassen, das auszuwählen, was auf Sie zutrifft. Das ist alles, was ich anbieten kann. Dies und das ist geschehen, hier habe ich so oder so gehandelt, und jenes ist das Ergebnis. Ich kann Sie nicht belehren, nur das vermitteln, was für mich in einigen Fällen funktionierte und in anderen eben nicht.
Ich hörte einmal einen Ratschlag, der großen Eindruck in meinem Leben hinterließ. Jemand, ich bin mir nicht einmal mehr sicher, wer es gewesen war, erklärte mir: „Du verfolgst eine Karriere, und es ist deine Karriere. Es ist die Karriere, die du verdienst. Es ist, allgemein gesprochen, deine Lebensreise und …“ Meine Karriere? Meine Karriere und die damit verbundenen Pläne hingen immer vom nächsten Telefonanruf ab. Und ich wusste nie, wann – oder ob überhaupt – das Telefon läuten würde.
Wir hegen die Illusion, dass wir unseren Lebensweg wählen, doch das stimmt nicht. Die Straße ist noch nicht mal gepflastert. Während unseres Weges wird sie gerade erst geteert. Die großen Baumaschinen befinden sich nur knapp vor Ihnen – auf einem Weg, den Sie vermeintlich selbst auswählten, doch im Grunde genommen können Sie Ihr Leben kaum kontrollieren. Die Verhältnisse ändern sich stetig, und man passt sich ihnen ab. Man folgt einer sich dahinschlängelnden Straße, man fällt Entscheidungen, doch größtenteils sind wir von unkontrollierbaren Faktoren abhängig. Dinge geschehen. Ich hätte niemals damit gerechnet, Schauspieler zu werden, ein Album aufzunehmen oder Bücher zu schreiben. Ich hätte niemals damit gerechnet, Vorträge über Themen zu halten, zu denen ich recherchieren musste. All die unterschiedlichen Tätigkeiten, denen ich nachging – das Schauspielern, das Reisen, die Musik, die Beschäftigung mit Büchern, Pferden und Motorrädern –, hätte ich mir niemals erträumt. Die Möglichkeiten eröffneten sich mir, und ich habe sie beim Schopfe gepackt.
Manchmal wird von uns verlangt, wichtige und das Leben oft verändernde Entscheidungen zu fällen. Wird das notwendig, verbringen wir viel Zeit mit Grübeln, ängstlichen Vorstellungen und Kopfzerbrechen, versuchen, all das aus unterschiedlichen Winkeln zu beleuchten, um ganz sicherzugehen, die beste Wahl zu treffen. Dieser oder jener Job? Heiratet man diese Frau oder jenen Mann – oder besser doch nicht? Nimmt man das Angebot an? Welche Entscheidung führt uns zu Wohlstand oder Glück? Welche zu Verdammnis und Pech? Folgendes lernte ich: Es gibt niemals so etwas wie die richtige Entscheidung. Es gibt keine Sicherheiten, da man niemals weiß, was das Schicksal für jeden von uns bereithält.
Ich erinnere mich gut an einen Scheideweg meines Lebens, an dem ich eine Wahl treffen musste. Nachdem ich Raumschiff Enterprise fertiggestellt hatte, nahm ich – wie man es im Schauspielerjargon so schön umschreibt – eine kleine „Auszeit“, legte eine kurze Ruhepause ein. Das bedeutet aber tatsächlich, dass man kein nächstes Engagement bekommt. Ich begann im saisonalen Sommertheater zu spielen und reiste gemeinsam mit meinem Hund in einem kleinen Pick-up-Truck. Auf der Ladefläche des Wagens hatte ich einen Aufbau montiert, eine Art kleines Häuschen zum „Reinkriechen“. Statt das Geld für ein Hotel oder ein Motel auszugeben, stellte ich den Truck beim Erreichen des nächsten Theaters auf dem Parkplatz ab, schloss ihn an die Stromzufuhr an und wohnte dort für die jeweilige Spielzeit. So lebte ich drei Jahre lang.
Wenn im September die Saison endete, fuhr ich wieder nach Los Angeles zurück. Nach Ende der zweiten Spielzeit in Boston machte ich mich auf den langen Weg durch die USA, um die jüdischen Feiertage mit meinen drei Töchtern zu verbringen. Irgendwann am ersten Tag legte ich einen Stopp ein und machte das, was jeder Schauspieler tut. Ich setzte mich mit meinem Agenten in Verbindung. Nur für den Fall, dass … Das war lange vor der Zeit der Handys, und so rief ich ihn von einem Münztelefon am Rande des Rastplatzes aus an. „Großartige Neuigkeiten“, meinte er überschwänglich. „Rose Kennedy möchte dich zu einer Party auf dem Kennedy-Anwesen einladen. Dreh um, und fahr nach Boston zurück …“
Die Kennedys wollten mich zu einer Party einladen? Einerseits war das eine ganz große Sache, aber ich hatte keine Ahnung, wer dort wohl auftauchen würde. Andererseits wollte ich unbedingt die Kinder sehen. Ich war hin- und hergerissen, erklärte ihm aber schließlich: „Ich schaffe das nicht, denn ich muss nach Hause, um endlich meine Töchter zu sehen.“ Er gab sich große Mühe, mich zu überzeugen, war aber erfolglos.
Zwei Tage später rief ich ihn aus Arizona an. „Rose Kennedys Büro hat schon wieder angerufen. Bill, sie wollen dich gerne bei der Party sehen. Sie haben sogar angeboten, eine Privatmaschine zu schicken, die dich abholt und wieder nach Hause fliegt!“
Die Kennedys waren die mächtigste Familie im ganzen Land und hatten gute Beziehungen nach Hollywood. Ich hätte eigentlich antworten müssen: „Ich bin gerade in Arizona. Schickt die Maschine hierher, wir fliegen nach L.A., um die Kids abzuholen, und nehmen sie mit zur Feier.“
Das hätte ich sagen sollen. Ich antwortete jedoch: „Ich muss nach Hause, weil ich die Kinder sehen will!“ Ich musste mich entscheiden, und tat es auch. Als ich zuhause ankam, waren meine Kinder ganz aufgeregt. Ich kann mich noch exakt an ihre Worte erinnern: „Oh, hi, Dad, wir gehen jetzt raus zum Spielen.“
Wer weiß, was geschehen wäre, hätte ich mich anders entschieden und die Party der Kennedys besucht? Möglicherweise wäre ich einem Produzenten begegnet, der mich als exakt den Schauspieler erkannt hätte, den er gerade suchte? Vielleicht hätte er mich unverzüglich für einen extravaganten Film mit einem riesigen Budget gebucht? Dann wäre der Streifen ganz groß rausgekommen, und ich hätte nie wieder einen Aushilfsjob annehmen müssen und stattdessen eine lange und erfolgreiche Karriere erlebt …
Ich habe das Leben eines Schauspielers geführt. Gibt es überhaupt einen schlechter vorhersagbaren Beruf? Die Straße wird oft nur mit einem Tag Vorlauf gebaut, und manchmal muss man mit seinem Hund auf der Ladefläche eines Trucks leben und darauf warten, dass die Bauarbeiten fortgesetzt werden. In den Sechzigern erhielt Norman Corwin, einer der großen Radio- und TV-Autoren, einen Auftrag von der University of Utah. Er sollte ein Theaterstück schreiben. Ich war bereits in einigen der Fernsehsendungen aufgetreten, deren Drehbücher von ihm stammten. Corwin schrieb ein wunderbares Stück und erzählte, er habe es mit mir vor Augen verfasst, was natürlich höchst schmeichelhaft war. Ich führte das wunderbare Stück in Salt Lake City auf und erinnere mich an ein Treffen an der Universität mit einem Professor mit dem Fachgebiet „Shakespeare“. Ich erzählte ihm, dass das Stück Passagen enthalte, die Shakespeare gleichkämen. Das amüsierte ihn – bis er das Stück sah. Daraufhin erklärte er mir, dass er tatsächlich „Momente mit der Poesie und der Würde eines Shakespeare“ erlebt habe.
Das Stück wurde mit Wohlwollen aufgenommen, und es schien so, als sei der Weg zum Broadway frei. Doch dann erhielt ich einen Anruf, dass der Pilotfilm für eine TV-Serie mit dem Titel Rauschiff Enterprise verkauft worden sei. Was wäre wohl geschehen, wenn ich den Job nicht angenommen hätte und stattdessen zum Broadway gegangen wäre? Ich und auch kein anderer hätte die Zukunft vorhersagen können. Ich hätte Tage, Wochen und sogar Monate mit Grübeln und dem Hinterfragen jedes einzelnen Details dieser Angelegenheit verbringen können, jedoch ohne nennenswerte Auswirkungen.
Ich verbrachte ein glückliches Leben, war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort, was allgemein angenehmer und einfacher ist, als die „richtige“ Wahl zu treffen. Ich erhielt Rollen, bei denen der Charakter jung und gutaussehend sein musste (ich war auf jeden Fall jung), konnte den Text glaubwürdig genug vortragen und hatte den gewissen Ausdruck in den Augen, denn damals zielte die Kamera häufig auf die Augen ab. Meine Augenfarbe entsprach den Anforderungen, und Paul Newman hatte glücklicherweise keine Zeit. Solche Vorzüge sind auch bei Frauen von großer Bedeutung. Sie müssen das „richtige“ Aussehen haben, das notwendige Begehren hervorrufen und so viele Pheromone aussenden, dass Sie darauf eine Karriere aufbauen können, bis Sie nicht länger diese gewisse Attraktivität ausstrahlen. Talent spielt auch eine wichtige Rolle, sogar eine sehr wichtige, doch nur, wenn das Telefon klingelt.
Bei mir bimmelte das Telefon stets zur richtigen Zeit, was den wohl beeindruckendsten Aspekt meines Lebens und der Karriere darstellt. Mir widerfuhren schon immer ungewöhnliche Ereignisse, und der Weg wurde für mich geebnet. Brauchte ich ein Engagement, schrillte das Telefon, und ich bekam ein Angebot. Gab es ein Problem, tauchte bald eine Lösung auf. Während einer Autogrammstunde vor einigen Jahren, beschenkte mich einer der Gäste mit einer guten Flasche Wein. Und danach erhielt ich von einem weiter hinten in der Schlange stehenden Fan einen Korkenzieher!
Warum passierte das? Wer bringt denn zu einer Autogrammstunde einen Korkenzieher mit? Doch es geschah tatsächlich. Ich habe gelernt, diese Merkwürdigkeiten zu akzeptieren und sie zu schätzen.
Doch ich stelle mir immer noch die Frage nach dem Warum. Wird mein Leben von einem Plan bestimmt, den ich bisher übersehen habe? Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass es in dieser Welt viel mehr gibt, als ich verstehen kann. Hinter der bekannten Welt existiert noch eine andere. Ich habe das erlebt, habe beobachtet, wie die Zukunft zur Gegenwart und dann zur Vergangenheit wurde, habe gesehen, wie sich die Spielzeuge aus Raumschiff Enterprise zu Werkzeugen des alltäglichen Lebens entwickelten. Meine Lebensspanne erstreckt sich vom Wunder des Radios bis zum Wunder der künstlerischen Arbeit mit Hologrammen. Ich weiß, dass mich das Unbekannte endlos fasziniert, weiß aber auch, dass es darüber hinaus noch viel, viel mehr gibt.
In meinem Alter kann ich auf das Leben zurückschauen und die bedeutenden Ereignisse erkennen, das, was geschah und den Unterschied ausmachte. Ich erkenne auch die Begebenheiten, die mir zum jeweiligen Zeitpunkt wichtig erschienen, die aber keinerlei Einfluss auf mein Leben ausübten. Es ist zugleich überraschend und seltsam, wenn man sich an all die Jahre erinnert und erkennt, welche Geschehnisse sich tatsächlich auf einen auswirkten.
Wir sind alle stark von unseren Kindheitserlebnissen geprägt. Nur wenige Menschen wachsen über die Ereignisse hinaus, die uns formten. Tief in jedem von uns existieren solche kindlichen Emotionen immer noch, und wir verbringen einen Teil unseres Lebens damit, sie zu schützen und zu hegen. Die Wahl, die wir treffen, und die Entscheidungen, die wir fällen, können ursächlich meist direkt zu diesen Erlebnissen zurückverfolgt werden. Es verblüfft mich immer wieder aufs Neue, an was ich mich erinnere. Wenn ich an bestimmte Geschehnisse oder Menschen denke, kann ich das mühelos, aber das sind nicht die Ereignisse, die einen enormen Einfluss auf mein Leben darstellten.
Pausieren Sie jetzt doch für eine Minute, lehnen Sie sich zurück, und erinnern Sie sich an Ihre frühsten Kindheitserinnerungen. Halten Sie die ersten Gedanken fest, die vor Ihrem inneren Auge erscheinen. Versuchen Sie nicht, diese zu analysieren oder von den Bildern abzuschweifen. Schließen Sie die Augen, und genießen Sie die „Show“.
Das verbindende Element meines Lebens, der rote Faden, ist die Einsamkeit. Sogar als Kind gehörte ich keiner Gruppe an. Ich weiß nicht, warum. Es war keine bewusste Entscheidung. Möglicherweise lag es daran, dass ich als Jude eine mehrheitlich nicht-jüdische Schule besuchte? Ich kämpfte die ganze Zeit über um Zugehörigkeit, hatte aber nur wenige Freunde. Wenn ich die zehn Blocks zur Schule ging, sah ich all die anderen, die in Gruppen unterwegs waren. Ich hingegen lief alleine, doch ich wollte unbedingt gemocht werden. In der fünften Klasse feierten wir den Valentinstag und schickten so viele Grüße an Mitschüler, wie wir wollten. War man in ein Mädchen verknallt, ließ man ihr eine Aufmerksamkeit zukommen. Man konnte auch einen Gruß an den Freund aus dem Footballteam schicken, ihm erklären, wie toll es doch sei, in derselben Mannschaft zu spielen. Um der Demütigung zu entgehen, gar keinen Brief zu erhalten, adressierte ich sechs Valentinsgrüße an mich selbst. Schließlich bekam ich exakt diese sechs Grüße – und keinen einzigen mehr. Das erscheint auf den ersten Blick wie eine Nichtigkeit, doch ich habe das nie vergessen – wie ich auch das schreckliche Gefühl nicht vergaß, so einsam zu sein und so verzweifelt den Anschluss an eine Gruppe zu suchen. Einsamkeit: Das war die Hölle, in der ich als Kind lebte.
Dies zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich habe viele Bekannte, es gab einige Menschen, die mir etwas bedeuteten, doch ich habe nur wenige enge Freunde. Mein engster Freud war Leonard Nimoy. Wir wurden in einem Abstand von nur vier Tagen geboren und wuchsen beide in jüdisch-orthodoxen Familien auf. Während unserer Karrieren teilten wir zahlreiche Erfahrungen. Ich habe Leonard sehr gemocht, und er nannte mich seinen Bruder. Dennoch: Am Ende seines Lebens konnte ich ihn – den Grund dafür habe ich immer noch nicht in Erfahrung gebracht – nicht mehr zu meinen Freunden zählen. Ich rief ihn an, doch er nahm weder ab, noch reagierte er auf die Grüße. Er starb, und ich fühlte mich bei der Beerdigung nicht willkommen.
Die einzigen Menschen, die mich wirklich kannten, waren meine vier Frauen. Mit jeder führte ich eine grundsätzlich andere Beziehung.
Die zweite Erinnerung aus der Kindheit, die in meinem Leben einen langen und massiven Widerhall fand, betrifft meine Mutter. Oh nein, nicht schon wieder ein jüdisches Kind mit einem Mutterkomplex! Allerdings werde ich mich bis zum Tod an einen bestimmten Augenblick erinnern – nicht nur an die damals gesprochenen Worte, sondern auch an die damit einhergehenden Gefühle: Wie normal und unschuldig ich in dem Moment doch war, und wie sehr die Implikationen einem Erdbeben in meiner Persönlichkeitsentwicklung gleichkamen! Ich war nicht älter als sieben Jahre, und ich erinnere mich glasklar daran. Ich stellte die Frage, die wohl jeder kleine Junge seiner Mutter stellt: „Wen liebst du mehr, mich oder Daddy?“
Sie zögerte noch nicht einmal: „Daddy, denn er schenkt mir immer etwas.“
Und so tauchte die Psychiatrie in meinem Leben auf! Glauben Sie mir, alle Psychologen der Welt hätten mich nach dem Zwischenfall nicht mehr „geradebiegen“ können. Meine späteren Beziehungen zu Frauen lassen sich größtenteils auf diesen speziellen Tag zurückführen. Ich lebte bis zum Abschluss an der McGill University zuhause und war damals 21 Jahre alt. Ich kann mich dabei weder an negative noch positive Ereignisse erinnern, doch die Episode mit Mutter leuchtet strahlend in meinem Gedächtnis.
Ich sehe mir gerne Sportveranstaltungen an und höre Athleten, die zu ihrer glorreichsten Zeit oftmals voller Liebe über ihre Mütter sprechen. „Ich widme dir den Sieg, da du immer für mich da warst.“ Und wenn ich das höre, kehrt das Gefühl der Leere zurück. Denn ich habe das nie so empfunden, hatte niemals das Gefühl, dass meine Mutter für mich da war.
In meinem Leben gab es eine Zeit, in der ich das Gefühl der Einsamkeit mit Hilfe von Frauen vertreiben wollte. Ich erinnere mich an das erste Mal, an dem ich einer Frau einen Heiratsantrag machte. An der Universität hatte sich eine Gruppe zusammengefunden, die Theateraufführungen organisierte und sogar Musicals. Es war die einzige Gruppe, der ich damals beitrat. Ich spielte Theater, schrieb Texte und führte bei einigen Stücken sogar Regie. Zu den Mitgliedern gehörte auch eine wunderschöne studentische Hilfskraft. Sie war attraktiv und lieb, weshalb ich mit ihr ausging. Sie lebte damals in New York, wo ich sie dann besuchte. Bei einem Spaziergang im Central Park machte ich ihr einen Antrag. Ich wusste genau, warum ich mich so verhielt: Ich wollte einfach nicht allein sein. Natürlich hatte ich nicht den blassesten Schimmer, was die Ehe überhaupt bedeutet. Sie schien ein netter Mensch zu sein, war hübsch, und warum sollte ich sie nicht heiraten? Glücklicherweise sagte sie nein.
Ich war vier Mal verheiratet und habe das ganze Leben mit der Suche nach Liebe verbracht. Die fehlende Liebe stellte die Hauptantriebskraft auf meinem Weg dar. Entstand ein Vakuum, musste dies so schnell wie möglich gefüllt werden. Die Frauen mögen immer andere gewesen sein, doch der Drang zu heiraten verschwand niemals – das Bedürfnis, jemanden im Haus zu wissen, der auf mich wartet und sich meine Rückkehr wünscht.
Vor meinem geistigen Auge sah ich stets das Bild eines erleuchteten Fensters. Dieses Fenster repräsentiert alles, nach dem ich je gesucht habe. Bei einer Auto- oder Zugfahrt schweifte mein Blick in die Ferne, auf der Suche nach einem hellen Fenster. Vielleicht stand eine Lampe daneben, vielleicht leuchtete es bernsteinfarben und gelblich. Das Fenster war klar zu sehen, und das Haus sah einladend aus. Es symbolisierte für mich das Zuhause, einen Ort der Wärme und Liebe. Der dahinterliegende Raum strahlte Liebe aus, dort hielten sich Menschen auf, die mich in die Arme schlossen. Das Essen wurde als Ausdruck einer großen Zuneigung serviert. In dem Zimmer stand ein Bett, das Leidenschaft ausdrückte. All das befand sich auf der anderen Seite des Fensters.
Bei jeder Reise suchte ich nach dem Fenster, egal ob es Tag oder Nacht war.
Und es lag immer in weiter Entfernung.
Manchmal entdeckte ich ein Fenster, das einladend wirkte, und dachte: Mein Gott, könnte ich nur dorthin fahren, an die Tür klopfen und sagen: „Hey, Bill Shatner hier, dürfte ich eintreten und Sie fest in den Arm nehmen?“
Ich habe mich einen Großteil meines Lebens mit weniger abgefunden. Häufig stelle ich mir die Frage, wie oft ich – auf dem Höhepunkt des Ruhms – auf dem Weg in ein „unglückliches“ Zuhause an einem Hotel vorbeifuhr und dachte: Wenn ich mich dort nur verstecken könnte, wenn ich doch anonym wäre und dortbleiben könnte – vielleicht würde ich mich dann glücklich fühlen.
Doch ich brauchte immer meine Hunde um mich herum. Und so kehrte ich in ein anderes unglückliches Haus zurück, lebte ein unglückliches Leben, bis es sich auflöste und einer anderen Existenz wich.
Ich lernte schnell, dass der Bund fürs Leben an sich nicht ausreicht. Während der ersten Ehe hatte ich dieses erleuchtete Fenster, eine Frau, die mich liebte, und drei wundervolle Babys, die ich aufzog und vergötterte. Es war alles, wovon ich geträumt hatte – und es wurde von einer Reihe von Geschehnissen zerstört, die ich nicht verstand und gegen die ich nichts ausrichten konnte. Es reichte nicht aus, und ich war unfähig, es zu kontrollieren. Ich war kein guter Ehemann und musste sicherlich noch viel lernen. Ich fühlte mich während der ersten Ehe so unglücklich, dass alles aus dem Ruder lief. Die Schuld lag bei mir.
Viele Jahre lang stand ich vor der Kamera und spielte einen anderen Menschen. Während der Aufnahmen zu Raumschiff Enterprise sollte ich eine geborene Führungsperson verkörpern und als Schauspieler absolut überzeugen. Ich musste also vor der Kamera stehen und lügen. Tja, das machte ich auch. Ich überzeugte die Menschen, dass ich mein Leben größtenteils kontrollierte und dass ich die Entscheidungen traf. Nachdem Raumschiff Enterprise ein Kulthit geworden war und wir deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielten, als man sich jemals hätte vorstellen können, beschwerten sich einige der Schauspielkollegen, dass ich mich zurückhaltend und vermeintlich abgehoben gäbe. „Shatner ist wohl viel zu berühmt oder zu gut für uns …“
Das traf niemals zu. Ich wusste nur nicht, wie ich mich hätte anders verhalten können, wie man ein wahrer Freund ist. Im wirklichen Leben glich ich einem verängstigten Kind, das alles verloren hatte, was Schutz und Zurückgezogenheit anbelangte.
Wenn ich mich auf die Kindheit zurückbesinne, taucht noch eine dritte Erinnerung auf, eine Erfahrung, die einen deutlichen Unterschied ausmachte. Wir lebten im Westen Montreals, damals befanden sich dort die englischsprachigen Bezirke. Es war zugleich das Stadtende, sodass nur ein oder zwei Blocks entfernt ein Stall lag, der Reitunterricht anbot. Die Schüler ritten an den Feldern der Farmer entlang, die das Areal umgaben. Ich war ungefähr zehn oder elf Jahre alt und wollte um alles in der Welt reiten. Soweit ich wusste, hatte ich noch nie auf dem Rücken eines Pferdes gesessen, ein Umstand, der auch auf die Familie insgesamt zutraf. Vater schneiderte billige Anzüge, er ritt nicht, und Mutter sorgte sich ständig um ihr Aussehen, und allein der Gedanke, dass sie auf dem Rücken eines Pferdes sitzt, ist grotesk.
Die Geschichte, die ich Ihnen erzähle, handelt davon, dass ich die Ställe ausmistete, um genügend Geld für eine Reitstunde zu verdienen. Ich glaube aber nicht, dass sie exakt der Wahrheit entspricht. Irgendwie gelang es mir, das Geld zusammenzukratzen und mir ein Pferd zu mieten. In der Erinnerung sehe ich mich allein, doch ich denke nicht, dass das stimmt. Ich glaube nicht, dass die Besitzer einem Kind – welches nie auf einem Pferd gesessen hat – allein den Ausritt erlaubt hätten. Die Erinnerung ist lückenhaft, doch ich sehe mich im Schritttempo und leichtem Galopp in diesen Feldern. Am Ende der Stunde tauchten meine Eltern auf. Ich preschte auf den Platz und zügelte das Pferd.
Das aber ist wahr. Meine Mutter fragte – und das sind ihre exakten Worte: „Wo hast du denn das Reiten gelernt?“ Ich glaube, ich antwortete: „Das mache ich schon seit Jahren.“ Es stimmte natürlich nicht, doch in meiner Vorstellung ritt ich schon lange Zeit. Ich weiß nicht, warum ich diese Verbundenheit mit Pferden empfinde, aber während meines gesamten Lebens suchte ich diese Tiere auf, die mir Trost spendeten. Ich bin ein Stadtkind, ein Junge aus Montreal. Warum finde ich beim Reiten inneren Frieden?
Die Pferde stellen eine Konstante in meinem Leben dar. Zuerst ritt ich nur, doch als es mir finanziell möglich war, schaffte ich mir Pferde an und züchtete sie. In den schlimmsten Zeiten meines Lebens wandte ich mich ihnen zu und fand so etwas wie inneren Frieden. Nachdem meine dritte Frau Nerine in unserem Swimmingpool ertrunken war, fühlte ich mich von der Trauer förmlich zerrissen, völlig verloren. Nerine war Alkoholikerin gewesen, und ich hatte sie nicht retten können, hatte versagt. Zwei oder drei Tage nach ihrem Tod fuhr ich zu den Stallungen raus. Ich setzte mich auf ein Pferd, ritt in eine Ecke der Koppel und weinte. Das ist eine höchst lebendige Erinnerung. Den ganzen Nachmittag über ritt ich langsam des Weges. Die Tränen liefen meine Wangen hinunter. Tag für Tag fuhr ich die 45 Meilen zur Farm, setzte mich auf das Pferd und weinte. Für eine lange Zeit fand ich auf dem Rücken des Tieres den einzigen Trost.