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"Einer der herausragendsten Romane über das Schicksal der Juden unter den Nazis. Ich kenne keinen vergleichbaren." Philip Roth Vielleicht hätte er doch auf sie hören sollen, auf seine Růžena, als sie zu ihm gesagt hatte: "Flieh Josi, du wirst ein furchtbares Leben haben." Aber er hatte sich gefürchtet, über die Grenze zu gehen. Und jetzt saß er da, in seinem leeren Zimmer, im verlassenen Haus mit zertrümmertem Dach, in der Kälte, vor einem Topf mit Wasser, das nicht kochen will, den gelben Stern auf der Jacke. Wie schon in "Mendelssohn auf dem Dach" erzählt Jiří Weil von der besetzten Stadt Prag. In diesem ergreifenden Roman geht er dem Schicksal des ehemaligen Bankangestellten Josef Roubíček nach, der von seiner bescheidenen Existenz in der einstmals blühenden Stadt träumt und nur noch in seinem Kopf lebt. Der Tod wird ihn nicht mehr vom Leben befreien können, denkt er, das Leben hatte ihn lange vergessen.
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Seitenzahl: 391
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Die tschechische Originalausgabe erschien 1967 unter dem Titel Život s hvězdou, die deutsche Übersetzung von Gustav Just erstmals 1973 beim Verlag Volk und Welt, Berlin, DDR.
Dieser Ausgabe liegt die leicht überarbeitete Übersetzung in der Tschechischen Bibliothek, Deutsche Verlagsanstalt, München Stuttgart 2000, zugrunde.
E-Book-Ausgabe 2020
© Jiří Weil – heirs c/o DILIA
© 2020 für die deutsche Ausgabe:
Verlag Klaus Wagenbach Emser Straße 40/41, 10719 Berlin www.wagenbach.de
Covergestaltung Julie August unter Verwendung des Gemäldes »Das graue Haus« (1914) von Maurice de Vlaminck © VG Bildkunst; Bonn / Bridgeman Images. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.
Alle Rechte vorbehalten
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.
ISBN: 9783803142801
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 2825 6
www.wagenbach.de
»Růžena«, sagte ich, »die Leute setzen sich an den gedeckten Tisch zu dieser Stunde, auf den Tischen stehen Vasen mit Blumen, und es klappern die Teller, und die Suppenschüsseln dampfen, die Leute beginnen zu speisen, schneiden das Fleisch mit dem Messer und nehmen die Stücke mit der Gabel auf, sie wischen sich den Mund mit der Serviette und trinken Bier, und dann pflegen sie zufrieden der Ruhe, überall um diese Stunde, in den Restaurants und bei sich zu Hause.«
Růžena konnte mir nicht antworten, sie war nicht im Zimmer, war überhaupt nicht bei mir. Ich wußte nicht, was mit ihr geschehen war, hatte sie schon lange nicht gesehen. Vielleicht war sie überhaupt nicht mehr auf dieser Welt, vielleicht hatte sie überhaupt nie gelebt.
Aber ich sprach mit ihr, ich mußte mit jemandem sprechen, ich kochte mir das Essen auf dem kleinen Kanonenofen, mir war kalt, weil das Öfchen die Mansarde nicht erwärmen konnte, Tür und Fenster schlossen nicht dicht, vergebens hatte ich versucht, sie mit alten Socken abzudichten, zweimal hatte ich auch schon das Ofenrohr gereinigt; ich war müde, verschmutzt und verzweifelt, ich hatte Hunger, und es war die Zeit des Mittagessens.
»Růžena«, sagte ich, »jetzt trinken die Leute Kaffee, nun ja, vielleicht ist es kein echter Bohnenkaffee, aber sie sitzen im Warmen nach einem guten Mittagsmahl, und ich friere, Růžena, und habe Hunger.«
Die Mansarde war voller Qualm, vielleicht von dem Ofen, vielleicht von den Zigaretten, die ich rauchte. Ich hatte sie mir selber gedreht, aus Ersatztee, es war so etwas wie Erdbeeroder Himbeerlaub, Hopfen vertrug ich nicht, ich wurde immer schläfrig danach, und mir tat der Kopf weh.
»Růžena, jetzt zünden sich die Leute eine Zigarette an, stoßen den Rauch aus und hören Radio, das Mittagessen liegt schon lange hinter ihnen, und sie freuen sich auf die Nachmittagsjause, bald werden sie Kaffee mit Milch trinken und Hörnchen dazu essen, ach, wie lange ist es her, daß ich Hörnchen gegessen habe …«
Ich mußte mit jemandem sprechen, ich war allein, ganz allein in der eiskalten Mansarde voller Mief und Qualm, ich mußte das Feuer von neuem entfachen, ich pustete in die glimmenden Späne und fürchtete, das Feuer könnte wieder erlöschen; ich hatte nur wenige Streichhölzer, war allein hier in dem kleinen Haus in der Vorstadt in einem schmuddligen Trainingsanzug. Neben dem Ofen lag eine Matratze, an der Wand in der Nische hingen mein Mantel und mein einziger Anzug.
Ich hatte das Bett verbrannt und den Schrank, ich hatte alles Brennbare verfeuert, weil ich keine Kohlen hatte und weil ich ihnen nichts geben wollte – nein, sie würden nichts von mir bekommen, nicht einmal die alten Socken, mit denen ich Tür und Fenster abgedichtet hatte, nicht einmal die Gardinen, aus denen ich Scheuerlappen gemacht hatte, und auch nicht die Möbel, die schon längst der Ofen geschluckt hatte. Was ich mit der Matratze anfangen sollte, wußte ich noch nicht, irgendwie mußte ich ja schlafen, auf dem nackten Fußboden wäre es zu kalt. Ich wußte auch nicht, was ich mit dem Waschtisch machen sollte, er war aus hartem Holz, und ich hatte nicht mehr genügend Kraft, ihn zu zerhacken; er hatte eine Marmorplatte, die ich in den Garten geworfen hatte, damit sie zerspränge, aber sie war nicht zersprungen und erstickte jetzt das Gras unter sich. Die Matratze wollte ich erst verbrennen, wenn sie etwas mit mir unternähmen. Den Waschtisch müßte ich dann auch vernichten, und so würde schließlich nur das alte, wacklige Rauchtischchen übrigbleiben, ja, das hatte ich absichtlich noch nicht verbrannt, obwohl das ganz leicht gewesen wäre, es waren ja nur dünne Bambusstöckchen. Das Rauchtischchen mußte bleiben. Wenn sie kommen, um die Möbel zu beschlagnahmen, dann finden sie hier nur abgeblätterte Wände, eine leere Mansarde, ein Kanonenöfchen mit Sprüngen, und mitten im Zimmer wird das Rauchtischchen stehen; das einzige Möbelstück, das sich zu nichts eignet, wird Herrscher über das Zimmer sein.
»Růžena«, setzte ich das Gespräch fort, »du hörst mich nicht, wahrscheinlich stopfst du um diese Stunde gerade Strümpfe, nimmst eine Masche auf oder denkst vielleicht über den Film nach, den du gesehen hast; es ist ein dummer Film, Růžena, es lohnt nicht, an ihn zu denken, es ist ein tschechischer Film über die Liebe und einen blauen Schleier, ich habe die Plakate gesehen und mir sogleich alles übrige hinzugedacht, dann sah ich auch irgendwo in einem Schaufenster Bilder aus dem Film, ein dickes Fräulein spielt darin eine Doppelrolle, manchmal lacht sie, und manchmal weint sie. Du solltest mir lieber einen guten Rat geben, wie ich auf diesem Öfchen hier mein Mittagessen kochen soll, das Feuer will nicht brennen, schau her, warst doch immer ein gescheites Mädchen und wußtest dir mit allem zu helfen. ›Flieh, Josi‹, hast du gesagt, ›du wirst ein furchtbares Leben haben, bist doch allein auf der Welt, und solchen Menschen geht es schlecht in diesen schwere Zeiten.‹«
Ich bin nicht geflohen, fürchtete mich, über die Grenze zu gehen, hatte niemanden, der mit mir gegangen wäre, ich war allein, und niemand konnte mir einen Rat geben. Ich hatte Angst, sie würden mich an der Grenze schnappen, und außerdem wußte ich nicht, was ich in einem fremden Land anfangen sollte. Ich blies ins Feuer und schaute zur Decke auf; dort war ein feuchter Kreis, ein großer Fleck, der stetig wuchs. Zuweilen, bei starkem Regen, tropfte es von dort herunter; der Fleck war an der Stelle, wo das Dach ein Loch hatte. Ich kannte die Stelle, hatte selbst im Sommer dort mit dem Beil die Dachziegel zerschmettert, ich war allein im Hause gewesen und hatte gewollt, daß es in sich zusammenstürzte, ich hatte mir gewünscht, daß es in Trümmer fiele, bevor sie sich mit mir beschäftigten. Aber im Herbst, als es tüchtig zu gießen anfing, da war es schlimm, und ebenso im Winter, als Schnee auf das Dach fiel.
Nun, das Wasser wollte und wollte nicht kochen, es waren Knochen darin, gute, große Knochen, ich hatte sie mit dem Beil zerkleinern müssen, damit sie in den Topf paßten, und ich hatte auch reichlich Fleisch von ihnen abgeschabt, daraus wollte ich mir Gulasch kochen. Ich hatte seit langem kein Fleisch mehr gegessen, ich sehnte mich leidenschaftlich nach Fleisch, stellte mir immer wieder vor, wie ich in einen Schweinebraten beiße, er hat eine knusprige Kruste, die auf der Zunge zergeht, oder ich werde mit den Zähnen Rindfleisch zerreißen, es wird ein großes Stück sein, und es wird ganz allein mir gehören. Aber ich hatte keine Fleischmarken, ich hatte auch kein Geld, um es schwarz zu kaufen, und ich wußte auch nicht, von wem ich Fleisch ohne Marken bekommen könnte. Ich hatte also nur Blut kaufen wollen, das durfte ich, daraus hatte ich mir immer eine Suppe gekocht, Blut war eben auch so etwas wie Fleisch.
Ich hatte also vormittags im Fleischerladen gestanden, das Blut war anscheinend bereits ausverkauft, denn auf dem Block war nicht mehr der blaue Emailletopf zu sehen, aber ich blieb stehen, vielleicht hatte er doch etwas übrigbehalten, ich stand da, die Kanne in der Hand, und wartete. »Herr Halaburda«, sagte ich, »ist nicht noch ein bißchen Blut da?«
»Nein, hab alles schon am Morgen verkauft«, erwiderte der. Er hackte dabei schönes Fleisch ab, ich schaute ihm voller Gier zu, so ein schönes, rotes Stück Fleisch, wie würde das wohl schmecken, kurz gebraten, ja, das war Steak, einst hatte ich es auch gegessen, Leutchen, ich sag euch, ich habe eine Menge Steaks gegessen …
Ich lungerte im Laden herum und schaute zu, wie der Fleischer die Marken abschnitt und die Portionen verteilte. Ich wußte nicht, was ich am nächsten Tage kochen sollte, ich hatte mich auf das Blut verlassen, hatte sogar schon die Graupen gekocht, ich kann doch nicht trockene Graupen essen, wie oft hatte ich sie schon gegessen, aber jetzt, da ich mich schon so auf das Blut gefreut hatte, würde ich keine einzige Graupe hinunterkriegen.
»Herr Halaburda«, sagte ich mit heiserer Stimme, »Sie wissen doch, daß ich am Morgen nicht einkaufen darf, und ich würde so gerne Blut kaufen.«
»Wissen Sie was, ich verkauf Ihnen ein paar Knochen, Sie können sich eine Suppe draus kochen.«
Ich freute mich über die Knochen, und ich sagte mir, daß ich mir ein wahres Festessen bereiten würde, denn es waren große, schöne Knochen, und es hafteten ganze Stückchen Fleisch daran.
Ich ging nach Hause, legte die Knochen hin und machte mich ans Holzhacken. Ich mußte mir ein paar Späne abspalten, hatte mir zu diesem Zweck schon seit langem ein prasseldürres Brett vom Bett aufgehoben; es diente mir schon lange, ich hatte oftmals mit dem Beil hineingeschlagen, und dabei hatten mir die Hände gefroren, ich trug alte Wollhandschuhe, aus denen die Finger hervorlugten. Späne hatte ich aber immer gewonnen.
Dann setzte ich mich nahe an den Ofen und stellte den Wassertopf darauf. Wasser war allerdings nicht mehr da, ich hatte es verbraucht, als ich mir die geschwärzten Hände gewaschen hatte, ich mußte also zur Pumpe gehen. Das Zuleitungsrohr hatte ich zerschlagen, im Sommer, gleich nach der Geschichte mit dem Dach, ich hatte mir damals gesagt, daß die Leute vielleicht in einem zerstörten Haus wohnen, aber niemals auf eine Wasserleitung verzichten würden, sie bestimmt nicht. Das Wasser war in der Erde versickert, es war sicher viel Wasser weggeflossen, aber schließlich handelte es sich ja nicht um mein Haus, und ich zahlte auch keine Wasserrechnung.
Ich nahm die Kanne und ging an die Straßenecke zur Pumpe. Rings um sie war der Boden vereist, meine Füße gerieten ins Rutschen, und meine Hände brannten, als ich den Schwengel ergriff. Das Wasser floß langsam, widerwillig, aber siehe da, die Kanne füllte sich dennoch. Ich schleppte sie zurück, das Eiswasser schwappte auf meine Hand, ich mußte sie nachher über dem Ofen wärmen.
»Růžena, es ist halb drei, und ich hab noch immer kein Mittagessen; ich hab mich so darauf gefreut, in der Früh hab ich schwarzes Wasser getrunken und trocken Brot dazu gegessen, dann hab ich mir noch ein Stück Magerkäse abgeschnitten. Ich bin erst spät aufgestanden, du weißt, ich muß das tun, weil es kalt ist im Zimmer. Im Sägewerk haben sie mir versprochen, mir etwas Holz abzulassen, aber du weißt ja, wieviel Holz der Ofen verschlingt, und Kohle will nun mal ohne Holz nicht brennen.«
Ich erinnerte mich, daß mir noch der Rahmen von der Drahteinlage des Bettes übriggeblieben war, ich lief hinab in den Keller – soll doch das Feuer inzwischen verlöschen, aber ich muß Holz haben. Das Beil wurde gewiß schartig, als es über die Drähte glitt. Als ich zurückkehrte, war das Feuer jedoch noch nicht erloschen, ich legte ein bißchen Holz zu, und nun erst begann das Wasser zu wallen. Ich saß am Ofen, mir war warm – ich wußte, daß das Feuer wieder erlöschen würde, daß ich im Schlafsack auf der Matratze liegen würde, in der einen Hand ein Buch, und daß ich lesen würde. Wenn die Finger der einen Hand erstarren, werde ich die andere Hand herausstrecken. Ich werde so lange lesen, bis mir die Lider zufallen, und dann werde ich lange, lange schlafen.
Aber manchmal kann ich nicht einschlafen, ich wälze mich im Schlafsack hin und her, mich überfällt die Angst, sie würgt mich, ich möchte schreien vor Entsetzen. So ist es immer, wenn ich fürchte, sie holen mich.
Oder mir fällt ein, daß man mich zur Gemeinde zitieren und zur Zwangsarbeit schicken kann; ich war schon zur Musterung, damals haben sie mich nicht geschickt, aber jetzt werden sie es bestimmt tun, sie wollen ja auch ihre Haut retten, müßten sonst selbst hingehen, und einen müssen sie ja schicken, und wenn ich auch nur einundfünfzig Kilo wiege, das stört sie überhaupt nicht, sie sitzen ja im warmen Büro, und ihnen kann es gleich sein, was mit diesem Josef Roubíček geschieht, dem ehemaligen Bankbeamten, weil es von solchen Roubíčeks genug gab und gibt.
Ich kann nicht einschlafen und versuche zu lesen, aber die Buchstaben verschwimmen mir vor den Augen; ich zittere vor Kälte und vor Angst, ich wollte, daß du bei mir wärst, Růžena, in diesem Augenblick, wir haben zusammen auf der breiten Couch geschlafen, wenn du mich besucht hast, und am Morgen hast du Kaffee gebrüht, hast ihn mir ans Bett gebracht, oh, wie duftete damals der Kaffee, und wie knackten die knusprigen Hörnchen, du hast dich zu mir gesetzt, wir haben gemeinsam gefrühstückt, und dann habe ich mir eine Zigarette angezündet und noch lange im Bett gelegen, während du dich im Bad gewaschen hast. Wärest du hier, du würdest gewiß meine Angst vertreiben …
Ich schlürfte die Knochenbrühe, klaubte das Mark heraus, brockte hartes Brot in meine Suppe. Auch das Gulasch schmeckte mir, obwohl ich die Soße ohne Fett bereitet hatte und kein Fleisch zu sehen war. Ich hatte noch eine Kippe von einer echten Zigarette, mischte den Tabak mit zerriebenen Teeblättern und rauchte. Mir war warm, ich vergaß alles, ich wußte, daß ich zu Hause war, mir waren die kahlen Wände angenehm, ich liebte in diesem Augenblick sogar den feuchten Deckenfleck, denn auch er gehörte noch mir.
»Ich danke dir, Růžena«, sagte ich, »ich danke dir für die Gesellschaft, ich hatte ein gutes Essen, und jetzt ist mir warm. Es ist gut, daß ich bei dir in der Wochenendhütte kochen gelernt habe.«
Růžena antwortete nicht. Ich saß im Dunkeln, hatte keine Lust, aufzustehen und den Schalter anzuknipsen, aber im Dunkeln leuchteten die glühenden Kohlestückchen im Ofen, ich schaute sie an und rauchte das Laub, unter das ich eine dicke Kippe gemischt hatte.
An jenem Tage träumte mir vom Wald. Ich ging mit Růžena lange, lange durch den Wald, wir kannten den Weg nicht genau, hatten auch keine Karte bei uns, aber uns war das gleich, wir tappten dahin und lachten, irgendwo mußte der Wald ja ein Ende nehmen. Aber der Pfad verlor sich plötzlich, der Wald wurde immer schwärzer, wir sahen die Sonne nicht mehr, Angst befiel mich, daß wir den Weg aus dem Wald nicht mehr fänden, ich warf den Rucksack ab und legte mich ins Moos. Růžena beugte sich über mich. Sie machte mir Vorwürfe, ich verstand sie nicht, sie sprach von Töpfen und von einem Kessel, ich erinnerte mich an keinen Kessel und an keine Töpfe, und ich sagte ihr, daß ihre Freundin Manja sie hintergehe, daß sie über sie tratsche.
»Růžena«, rief ich im Traum, »du liebst mich nicht.« Auf einmal war der Kessel da, von dem Růžena gesprochen hatte, er war aus Kupfer und glänzte; so einen hatte ich einst bei der Großmutter gesehen, als ich noch klein war, und ich wollte ihn jetzt von der Wand herunterreißen; der Kessel war riesengroß, er stellte sich auf die Füße und schritt geradewegs auf mich zu. Růžena verschwand, und ich war allein im Wald mit dem Kessel, meine Beine erlahmten, und der Kessel stampfte vorwärts, jetzt verwandelte er sich in eine große Trommel, jemand schlug heftig darauf und schrie, vielleicht war es auch die Trommel selbst, die schrie, dann verschwamm sie im Dunst, löste sich irgendwie auf, und ich kam langsam zu mir und hörte jetzt mit Bewußtsein, daß jemand an der Tür meinen Namen rief: »Roubíček! Rou-bí-ček!«
Ich kam nicht so schnell aus dem Schlafsack heraus, und die Stimme an der Tür fuhr fort zu brüllen. Das mußte jemand sein, der berechtigt war, so zu schreien; ich schlüpfte also aus dem Sack, sprang endlich auf, lief hinaus und öffnete die Tür. Ich war im Trainingsanzug und brauchte mich nicht erst anzuziehen.
»Sind Sie Roubíček?« fragte der Mann an der Tür.
»Man kann sich hier totschreien, eine Klingel haben Sie auch nicht – haben Sie geschlafen oder was? Hier haben Sie ein Schreiben von der Gemeinde.«
»Bitte, Herr, wissen Sie nicht, was man von mir will?«
»Ich trage nur die Post aus.«
Ich hatte nur den Trainingsanzug an, und mir war kalt, so lief ich also rasch die Treppe hinauf und überflog unterwegs das Schreiben. Ich war für neun Uhr vorgeladen, würde mir also nicht mehr Wasser für meinen schwarzen Zichorienkaffee heiß machen können, würde mich auch nicht mehr am Ofen wärmen können, würde mich im kalten Wasser waschen und fröstelnd in den eisigen Tag hinausgehen müssen. Ich hatte keine große Lust, den Trainingsanzug auszuziehen, er war noch warm vom Schlaf, aber ich mußte mich waschen, und das Wasser brannte wie Feuer. Ich schnitt mir eine Scheibe Brot ab und ein Stückchen von dem Magerkäse.
Wenn ich eine Thermosflasche hätte, sagte ich mir, dann hätte ich mir gestern abend Wasser heiß machen können und hätte heute etwas, um mir den Magen zu wärmen. So könnte man in Prag besser Straßenbahn fahren.
Ich hatte einst eine Thermosflasche, aber sie war mir entzweigegangen; es war eine gute Thermosflasche gewesen, ich hatte sie immer auf meine Ausflüge mitgenommen und mit Moos gepolstert, aber einmal war sie mir vom Stuhl gefallen und zersprungen.
Im Anhänger der Straßenbahn zitterte ich vor Kälte, ich ging von einem Ende zum anderen, solange der Wagen leer war, dann trat ich auf der Stelle, immer von einem Fuß auf den andern, mir froren die Füße, ich hatte zerrissene Socken an und leichte gelbe Sommerschuhe. Die Kälte trieb mir die Tränen in die Augen, ich sehnte mich danach, mich wenigstens an einer Zigarette zu wärmen, aber ich besaß keine, ich hatte mir aus dem Ersatztee keine mehr drehen können. Ich konnte auch nicht in ein Automatenrestaurant gehen, um mich aufzuwärmen, denn überall war zu lesen: »Kein Zutritt«.
Ich lief durch die Straßen und freute mich darauf, daß es in den Büros der Gemeinde warm sein würde. Ich ging durch die Korridore und suchte den Beamten, der mich herbestellt hatte. Es war ein vierstöckiges Haus, voller Menschen, sie gingen treppauf und treppab, drängten sich in den Gängen und warteten an den Türen. Sie lärmten und liefen umher, keiner von ihnen konnte mir etwas über das Zimmer sagen, in das ich bestellt war, alle hatten hier etwas zu erledigen, alle waren mürrisch und gehässig, mir schien, daß sie mich feindselig musterten, weil noch einer gekommen war, der etwas fordern und verlangen würde, so daß die übrigen nicht an die Reihe kämen. Ich stieg hinauf in den vierten Stock, ging den Leuten nach, die irgendwohin eilten, und dachte: Diese Leute gehen gewiß auch in meine Kanzlei. Aber sie blieben an einem Schalterfensterchen stehen, und ich sah, daß sie dort Becher mit Tee empfingen, in dem sie mit einem Löffel rührten, der an einem Bindfaden befestigt war. Ich stellte mich an das Ende der Schlange und wartete, bis ich an der Reihe war.
»Geben Sie mir Tee«, sagte ich zu der dicken Frau, die aus einem großen Topf einschenkte. Neben ihr stand ein Mann und musterte mich feindselig.
»Abteilung?« zischte er.
Ich konnte ihm nicht antworten. Ich wußte nicht, was diese Frage zu bedeuten hatte, ich wollte nur Ersatztee, warmen, ungesüßten Kräutertee, um die Bitterkeit in meiner Kehle hinunterzuspülen.
»Verstehen Sie nicht? In welcher Abteilung sind Sie beschäftigt?«
»Ich bin hier nicht beschäftigt. Ich wollte nur ein bißchen Tee.«
»Ich sag’s Ihnen doch: Dieser Ausschank ist nur für solche, die hier beschäftigt sind.«
Die Leute hinter mir stießen mich ungeduldig an, damit ich endlich ginge, ich aber stand ratlos da, schaute auf die großen Becher mit Tee, aus denen herrlicher Dampf aufstieg, und ich schluckte meinen zähen Speichel.
»Machen Sie schon, daß Sie weiterkommen«, rief man mir zu.
Ich trat von dem Fensterchen zurück und musterte die Leute, die mich angeschrien hatten; sie sahen gut aus, waren voller Diensteifer und drängten sich vor dem Fensterchen, als erfüllten sie dort eine hochwichtige Aufgabe.
Ja, das sind Beamte, und einer von ihnen wird mir sicherlich sagen können, wo ich die richtige Tür finde.
Ich suchte mir einen aus, der langsam seinen Tee schlürfte und schon ziemlich alt war. Ihm zeigte ich meine Vorladung.
»Sie müssen in den zweiten Stock, dort ist die Registratur. Das steht doch im Erdgeschoß angeschrieben, können Sie denn nicht lesen?«
Ich stellte mich also vor einer Tür im zweiten Stock an, wo bereits eine Menge Menschen warteten, und dachte über das Wort »Registratur« nach. Fremdwörter mochte ich nicht, sie waren immer feindlich. Ich hatte schon viele Vordrucke ausgefüllt und auf einen ganzen Sack voller Fragen geantwortet, und immer hatte ich verlegen lächeln müssen, wenn ich die Frage beantworten sollte: »Wovon leben Sie?« Wußte ich denn selbst, wovon ich lebte? Einmal schrieb ich »von Unterstützung«, aber das war nicht wahr, Unterstützung hatte ich nie erhalten, und so hatte ich im letzten Fragebogen einfach geschrieben:
»So«.
Die Leute hinter mir in der Reihe waren schweigsam, sie unterhielten sich nur im Flüsterton. Ich fragte meinen Nachbarn, wie lang wir noch warten müßten.
»Das ist ’ne langwierige Prozedur, und nachher müssen Sie noch nach Střešovice.« Střešovice war das Wort, das ich am meisten fürchtete; hinter diesem Namen verbarg sich eine Behörde, der ich auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein würde, eine geheime Behörde, in deren Räume man auf Zehenspitzen ging. Viele Menschen, die dort eintraten, kehrten niemals wieder, und wer dennoch wiederkehrte, konnte nur noch liegen …
Ich hatte Hunger, aber jetzt vergaß ich ihn, nur die Bitterkeit im Munde blieb. Ich wartete still.
Růžena, sagte ich mir, ich habe auch auf dich oftmals gewartet, habe auch so still gewartet, obwohl ich nicht wußte, ob du kommst, und dennoch habe ich gewartet, denn ich habe gewußt, daß du gern kämest, wenn du nur könntest, denn du hattest mich lieb. Ich habe nichts gesehen, was sich ringsum tat, wenn ich auf dich wartete, vielleicht war ich allein auf der ganzen Straße, es kann aber auch sein, daß Menschen an mir vorbeigingen und daß Straßenbahnen fuhren. Und erst als du kamst, setzte sich alles in Bewegung, und ich gewahrte die Schaufenster der Geschäfte und die Straßenpassanten, hörte das Klingeln der Straßenbahnen und das Hupen der Autos.
Langsam rückte die Reihe voran, es wurden immer drei Leute auf einmal eingelassen, sobald drei andere herauskamen; ich bemühte mich, den schmutzigen Flur zu vergessen und ebenso die Müdigkeit.
Zum erstenmal war ich Růžena zu Silvester begegnet, ich hatte keine Gesellschaft, sondern war nur mit František Stejskal verabredet, meinem Nebenmann in der Bank; wir wollten zusammen ausgehen. Wir hatten schon mehrere Lokale aufgesucht, hatten überall nur ein Weilchen gesessen und etwas getrunken, betrunken aber waren wir überhaupt nicht, nur ein bißchen angeheitert, und ich weiß gar nicht mehr, wie wir zu »Pokorný« kamen. Das war ein Zwischending zwischen Bar und Tanzlokal, man spielte einen schlechten Jazz dort, aber es gab eine Attraktion, einen Geiger, der die Geige über die Schulter schwenkte und auf dem Rücken fiedelte; er legte sich hin, warf die Geige in die Luft und fing sie wieder auf – den Leuten gefiel das sehr.
Es war sehr voll bei »Pokorný«, ich hatte keine Lust zu bleiben, aber František entdeckte einen Bekannten. Wir setzten uns zu ihm. František sagte mir, das sei Jarka Pospíchal. Neben ihm saß eine junge Frau, František stellte sie mir als Růžena, Jarkas Frau, vor. Ich schaute sie an, wollte ihr etwas Nettes sagen, ich war in heiterer Stimmung, sie war groß und schlank, sah überhaupt nicht aus wie eine verheiratete Frau und hatte lebhafte Augen.
Ich beachtete Jarka Pospíchal überhaupt nicht, ihn hatte der Alkohol übermannt. Ich erfuhr, daß er gleichfalls Bankangestellter sei, aber in einer kleinen Sparkasse. Ich schaute Růžena an, und Jarka – als wüßte er nicht von uns – plauderte auf einmal drauflos. Ich hörte ihm nicht zu und starrte nur Frau Růžena an.
»Kommen Sie, tanzen wir«, sagte sie, als kennten wir uns schon Jahre; wir schoben uns durch die dichtgedrängte Menge, preßten uns aneinander, weil so viele Leute da waren, mir drehte sich der Kopf, und ich sagte beim Tanzen zu ihr: »Ich hab Sie gern, Frau Růžena.«
»Ich Sie auch!«
Und so, wie sie das sagte, war es die Wahrheit. Sie konnte nichts anderes sagen.
»Rücken Sie doch weiter«, rief mir von hinten jemand zu, und nun erst sah ich vor mir eine Lücke, und wieder stand ich in dem schmutzigen Flur, und wieder spürte ich die bittere Trockenheit im Munde. Ich machte einige Schritte und lehnte mich an die Wand. Ich sah Gesichter, grüne, verzerrte Gesichter. Ich war wieder allein.
Ich schaute mich um, und es gab nichts, worauf man den Blick heften konnte, der schmutzige Flur und an der Tür die Aufschrift, die wirklich kaum zu übersehen war. Ich wollte diese Menschen nicht anschauen.
Damals, beim erstenmal, waren wir zutiefst erregt von der Tanzfläche zurückgekehrt, aber František und Jarka hatten nicht auf uns geachtet.
»Růžena, Sie sind verheiratet«, sagte ich.
»Kommt es darauf an?«
»Sie sind vom Lande«, sagte ich, und ich wußte gar nicht, warum ich das sagte.
»Weil ich so grobe Hände habe?«
»Nein, so habe ich das nicht gemeint«, stammelte ich, und sie lachte.
»Übrigens haben Sie recht, ich bin vom Lande, bin dort mit Jarka zur Schule gegangen.«
Ich sagte ihr, daß ich aus der Stadt sei, aber immer allein gelebt hätte, ich erzählte ihr von mir bei all dem Lärm und der Musik, ich schilderte ihr, wie Onkel und Tante mich zu sich genommen und mir jeden Heller vorgezählt hätten und wie sie mich dann bald losgeworden seien, indem sie mir eine Stelle an der Bank besorgt hatten.
Růžena schwieg, und ich wußte nicht einmal, ob es sie interessierte, was ich da erzählte. Als sie aufstand, drückten wir uns die Hand. Dann kehrten wir in einem billigen Lokal ein, bestellten uns Kuttelflecksuppe und Kaffee; es war gegen Morgen, Leute saßen dort herum und tranken Bier, wir mußten uns zu ihnen setzen, ein Harmonikaspieler war auch da, František und Jarka stierten unter den Tisch und dösten über ihrem Glas Bier.
Ich saß neben Růžena, wir sagten nichts. Ich wollte ihr erklären, daß all dies Unsinn sei, aber irgendwie hatte ich alles vergessen, so schwieg ich lieber. Der Tag graute schon, als wir uns trennten, die Gehsteige waren voller Matsch, und von den Dächern tropfte es, ich schaute Růžena nach, als sie mit Jarka davonging, und ich war wieder allein und ging langsam nach Hause.
»Sie sind dran!« Jemand stieß mich von hinten an. Ich trat durch die Tür und übergab dem Beamten das Schreiben.
»Roubíček, Josef«, las er langsam. »Setzen Sie sich.«
Ich mußte Fragen beantworten, und der Beamte diktierte die Antworten einer Schreibkraft; es war ein langes Verhör, und mir schien, daß die Formulare nie ein Ende fänden. Auf einmal jedoch empfand ich keine Angst mehr und hätte am liebsten gelacht über all die Mühe, die man hier wegen eines gewissen Josef Roubíček verschwendete, um den sich noch nie jemand gekümmert hatte. Nun aber ist er wichtig, allzu wichtig, sie wollen jede Kleinigkeit über ihn wissen, sie messen ihn, wiegen ihn, zerren seine ganze Vergangenheit ans Licht.
»So, das hätten wir«, sagte der Beamte schließlich.
»Morgen kommen Sie um 9.50 Uhr nach Střešovice – pünktlich auf die Minute.«
Mir war nicht mehr kalt, ich hatte nur Hunger, es ging schon auf zwölf, und ich wußte nicht recht, was das lange Verhör zu bedeuten hatte. Ich fragte also:
»Vielleicht können Sie mir wenigstens sagen, was das alles bedeutet, ich wohne weit draußen in der Vorstadt und weiß von nichts. Was wird mit mir?«
»Ich weiß es auch nicht, und wenn ich was wüßte, dürfte ich nichts sagen, das ist eine Anordnung von höherer Stelle. Das hier ist eine Registrierung, sie betrifft die Aussiedlung.«
Man wird mich also aussiedeln, und ich hätte da gar keine Einwände, ich zöge gern fort, von mir aus sonstwohin, obwohl ich nicht weiß, was ich woanders machen soll, ich kann nichts anderes als an einem Tisch sitzen und Belege addieren. Ich ziehe gern weg von dem Kanonenofen, ich werde die Matratze verbrennen, meinen Schlafsack zusammenrollen und in ein anderes Land gehen.
Ich hatte keine große Lust, das Gebäude zu verlassen und wieder auf die Straße zu treten. Ich wußte, daß ich eine lange Straßenbahnfahrt vor mir hatte und daß ich zu Hause Feuer machen mußte, es dauerte bei mir immer lange, bis ich mich erwärmt und das Essen gekocht hatte, ich hatte noch einen halben Tag vor mir und wußte nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. Ich war müde, und doch wußte ich, daß ich nicht schlafen würde, weil ich an Střešovice denken mußte.
Ich stieg langsam die Treppe hinab, war schon nahe dem Ausgang, als mich jemand anrief. Ich erkannte Karel Wiener. Nein, es war gar kein richtiger Bekannter, wir waren uns nur einige Male auf Versammlungen der Bankbeamten begegnet, er war in einer vornehmen Bank beschäftigt und ging stolz einher. Ich hatte ihn nie gemocht, aber jetzt begrüßte ich ihn freundschaftlich, weil ich mich auf diese Weise wenigstens noch ein Weilchen in dem warmen Gebäude aufhalten konnte.
»Ich könnte nicht gerade behaupten, daß Sie gut aussehen, aber wer sieht heutzutage schon gut aus!«
Ich schaute Wiener an. Er trug einen schäbigen Wintermantel, war ohne Krawatte, unter dem Mantel lugten ungebügelte Hosen hervor, und an den Füßen hatte er hohe lederne Schnürstiefel. Aber alles war aus gutem Stoff, und seine Wangen waren rosig.
»Was hatten Sie hier zu tun?«
Ich sagte es ihm. Er schaute mich mit einem sonderbaren Blick an.
»Na, was soll’s, vielleicht ist es zu etwas gut. Hier weiß man nie, was man machen soll. Da denkt einer, wunder wie schlau er ist, und gerade er macht eine Dummheit. Oder er gerät in die Patsche, und gerade diese Patsche erweist sich als einziger Ausweg. Obwohl ich Ihnen aufrichtig sagen muß, daß keiner dieser Beamten nach Střešovice wandert. Die schicken lieber Leute wie Sie hin, die keinerlei Protektion haben. Na, mich kriegen sie nicht dahin, dafür haben sie mich nach Lípa geschickt.«
Ich wußte, was Lípa war, das war jenes Gut, wohin sie mich auch einmal hatten schicken wollen.
»Und der Ruda Fantl hat sich umgebracht.«
»Wie denn, umgebracht?« fragte ich. Fantl war Wieners Freund gewesen, er war in einem Exportunternehmen beschäftigt und hatte viel Geld. Wiener hatte mir einst erzählt, daß er mit ihm oft Autofahrten aufs Land unternommen hatte.
»Selbstmord hat er begangen. Seine Nerven haben nicht durchgehalten. Er bekam das Visum nach Südamerika, alles war genehmigt – da brach der Krieg aus. Er nahm Zyankali und hat nun alles hinter sich.«
»Ist Zyankali gut?«
»Das beste, was es gibt. Es wirkt wie der Blitz.«
Wir standen am Eingang, und die Leute gingen an uns vorbei, hinauf und hinunter. Vor der Pförtnerloge drängte sich die Menge, die Leute überschütteten den Pförtner, der sie seinerseits durchs Fensterchen anschrie, mit Fragen.
»Ein guter Posten, hier Pförtner zu sein. Sitzt im Warmen und schreit die Leute an. Aber dafür ist man auch gleich dran, wenn sie zu Besuch kommen … Kommen Sie, wir setzen uns irgendwo rein.«
»Ich habe kein Geld.« Ich hatte nur ein paar Kronen, die ich mir für die Straßenbahn und für Brot aufheben mußte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, ich lade Sie ein.« Wir setzten uns also in ein Lokal in der Nähe, es gab nur rohe Küchentische und klobige Stühle, und an der Tür stand die Aufschrift »Für Juden erlaubt«. Das Lokal war voller Menschen, sie drängten sich um die Tische, schauten sich furchtsam um und rutschten auf den Stühlen hin und her. Wiener bestellte Suppe und Kartoffeln mit Soße, es war kein gutes Essen, aber ich hatte Hunger, und in der Gaststube war es warm. Wiener kannte hier offenbar viele Leute, er tuschelte mit diesem und jenem, ich fing nur ein Bruchstück von dem Gespräch auf: »Auf dem Friedhof haben sie Gänse.«
Ich war müde und wollte schlafen; ich begriff nicht, wie Gänse auf den Friedhof kamen, aber mir war das gleich. Ich saß im Warmen, döste vor mich hin und merkte gar nicht, daß Wiener gar nicht mehr bei mir am Tische saß.
»Wachen Sie auf«, sagte er und knuffte mich. »Sie können doch hier nicht schlafen, und wir können auch nicht lange hier sitzen. Ich habe schon bezahlt, gehen wir.«
Ich bedankte mich bei ihm und verabschiedete mich.
»Hier haben Sie noch zwei Zigaretten für unterwegs.«
Es waren richtige, echte Zigaretten.
Zu Hause machte ich Feuer im Ofen und kochte Kaffee. Ich hatte mir ein Stück Ersatzwurst gekauft, sie sah aus wie Jagdwurst, ich weiß nicht, woraus sie hergestellt war, die Leute im Laden hatten gesagt, aus Flußkrabben, und andere wieder, aus Hefe; sie hatten das Zeug jedenfalls nicht kaufen wollen.
Mit Růžena hatte ich die ganze Zeit nicht sprechen können, sie war zu weit entfernt gewesen, man hatte sie wohl vertrieben, hatte sie mir vergrault in dieser schmutzigen Kanzlei, wo sie meinen Namen buchstabierten und überflüssige Jahreszahlen und Daten aus mir herausquetschten. Ich sprach also mit dem Tode.
Ich sitze zwischen den kahlen Wänden am gesprungenen Kanonenofen, esse schlechtes Brot und Gehacktes aus Flußkrabben. Sie schwimmen aus dem fernen China zu uns. Ich habe nichts mehr. Man hat mich hierhergetrieben, und ich kann nun nirgends mehr hin. Sie wollen mir auch dieses kahle Zimmer entreißen, in das es hineinregnet, sie wollen mir nicht einmal mehr erlauben, auf dem nackten Fußboden zu schlafen und mindestens zum zehnten Male dieselben Bücher zu lesen. Sie werden mich in ein fremdes Land verschleppen, und dort werden sie mich vielleicht umbringen. Ich glaube nicht, daß sie mir erlauben werden zu leben. Die Leute, die sich vor der Tür gedrängt hatten, waren verängstigt. Wiener hatte mich immerhin bedauert. Aus Mitleid hatte er mir ein Mittagessen bestellt, aus Mitleid hatte er mir die zwei Zigaretten geschenkt. Mein Lieber, ist es schwer, zu sterben? Růžena würde ich nicht fragen, die würde mich auslachen. Aber ich will ja nicht mit Růžena sprechen, mit wem unterhalte ich mich also? Ich spreche mit dir. Wer ist das, mit dem ich spreche? Ich rufe dich, und dennoch sehe ich dich nicht. Aber ich möchte endlich einmal ruhig schlafen. Kannst du, du Unbekannter, Schrecklicher, den Menschen süß einschläfern? Sprich! Ich habe mich in diese Wände eingeschlossen, und dennoch wollen sie mich herauszerren. Deshalb haben sie mich verhört, deshalb alles aufgeschrieben. Vielleicht glauben sie, daß auch du Belege und Rechnungen liebst. Und wenn ich nun ohne ihre Hilfe zu dir ginge, ohne ihr Geleit? Hast du einen Verlobungsring aus Zyankali für mich? Was wäre, wenn ich den Verlobungsring schluckte und brav hier liegenbliebe in meinem Schlafsack, wenn ich aufhörte, Josef Roubíček zu sein? Wie würde ich da wohl ihre Buchführung durcheinanderbringen! Aber nein, nichts würde ich durcheinanderbringen. Sie würden meine Akte aussondern. Würden mich über unsere schmale Treppe hinabtragen. Verbrennen oder verscharren. Aber ich habe nichts, weder Zyankali noch einen Verlobungsring von Růžena, noch einen von dir, du sonderbares Wesen. Wie könnte ich mir einen besorgen? Was haben sie gesagt? Das ist doch hier, das ist doch in Prag …
Ich sprach schon lange mit dem Gevatter Tod, aber er war ein sehr unaufmerksamer Gesellschafter.
Ein Land, sagte ich mir. Es wird ein solches Land geben, in dem den ganzen Tag die Sonne scheint. Ich werde durch die Straßen der Stadt gehen, vorbei an schönen Läden voller Waren, an den Tischen werden Verkäufer stehen und mir zurufen: »Kommen Sie, Herr Roubíček, suchen Sie sich etwas aus! Wir haben alles – Schinken, echten Bohnenkaffee, Anzüge aus englischem Tuch, beste Zigaretten und Erdbeeren in Schokolade!« Aber ich werde gleichgültig an ihnen vorbeigehen, ich brauche nichts mehr. Ich habe alles in meiner schönen Wohnung mit Stahlmöbeln, Zentralheizung und Bad. Ich eile zu einem Rendezvous mit Růžena und darf mich nicht verspäten. Sie erwartet mich pünktlich um 9.50 Uhr. Ja, höchstens Blumen werde ich noch kaufen, eingewickelt in Seidenpapier, und ich werde sie tragen wie ein Heiligtum. »Das ist der Roubíček«, höre ich die Leute tuscheln. »Was für ein Roubíček?« – »Na, Sie wissen doch, der Bankdirektor, der große Finanzmann, haben Sie denn nicht von seinem verwegenen Börsencoup gehört?« Ich nehme mit Růžena auf den gepolsterten Sitzen des Automobils Platz, erteile dem Chauffeur nonchalant einen Befehl. »Wohin fahren wir, Josi?« fragt mich Růžena. »Ans Meer, nach Frankreich, wir fahren über Paris, dort kannst du dir alles kaufen, was du brauchst.«
Aber das Bild wollte mir nicht geraten, ich konnte den reichen Roubíček nicht heraufbeschwören und nicht die Pariser Boulevards, ich sah Střešovice und Tiergesichter in Uniformen.
Lange warf ich mich im Schlafsack hin und her, bis ich endlich einschlief.
Ich erwachte bald wieder, der Tag graute noch nicht, so machte ich Licht und bereitete mir das Frühstück, ich mußte ja nach Střešovice und mich dort pünktlich um 9.50 Uhr melden, das hatte mir der Beamte auf der Gemeinde eingeschärft. »Man hat für Sie eine so späte Stunde angesetzt«, hatte er noch gesagt, »weil Sie so weit draußen wohnen. Aber seien Sie pünktlich um 9.50 Uhr dort, sonst ergeht’s Ihnen schlecht!« Mir schmeckte der schwarze Kaffee überhaupt nicht, auch nicht der Brotaufstrich aus chinesischen Krabben, obwohl ich wußte, daß ich in Střešovice lange warten und bestimmt Hunger bekommen würde. Aber eine Zigarette steckte ich mir an. Es war eine von Wieners Zigaretten, ich war gestern in großer Versuchung gewesen, sie aufzurauchen, aber ich hatte sie mir dann doch für den Morgen aufgehoben, vor dem Aufbruch nach Střešovice.
Ich stand vor einer großen Villa, einer gewöhnlichen Villa unter einer ganzen Menge gleicher, und dennoch war sie anders. Wir standen auf der Straße, keiner sagte ein Wort, nicht einmal im Flüsterton. Meine Beine wurden steif, als wir so lange vor dem Gartentor standen. Ich sah ihren Wachposten, er stand breitbeinig in der Tür. Er schien über uns hinwegzusehen, aber wir wußten, daß er uns beobachtete. Links war eine Garage, ich hatte von dieser Garage gehört, dort sperrten sie die ein, die sie schlagen wollten. Wir standen auf der Straße, nahe an der Garage.
In diesem Augenblick geht Růžena einkaufen … Ich stellte mir vor, wie sie in ihren Filzstiefelchen mit der Einkaufstasche in der Hand ausschreitet, in den Frost hineinlächelt und die Augen zusammenkneift.
»Siehst du, Růžena«, sagte ich, »jetzt warte ich, bis sie mich aussiedeln, ich warte vor diesem Haus des Schreckens und weiß nicht, was sie da drinnen mit mir anstellen werden. Und mit dir hatte ich nicht ins Ausland fliehen wollen.«
Wir hatten damals in einem Sommerrestaurant hoch über der Stadt gesessen, und Růžena hatte gesagt: »Packen wir unsere Sachen, Josi, fliehen wir. Wir werden uns schon irgendwie durchschlagen.«
»Und wovon sollen wir dort leben? Wir werden Hungers sterben in deiner Fremde, ich kann doch nichts, nur die Belege in der Bank zusammenrechnen, und ich beherrsche keine einzige Fremdsprache.«
»Das macht doch nichts, Josi, wir werden schon irgendwie satt werden, wozu die Angst, wir haben uns doch lieb.«
Ich hatte Angst. Unter uns lag die Stadt. Hier war ich geboren, hier kannte ich fast jede Straße, hier hatte ich mein Café, mein Kino, meinen Tabakladen und meinen Zeitungskiosk. Mir widerstrebte es, in die Fremde zu fahren.
»Aber Růžena, das geht doch nicht.«
»Ich hab’s ja gewußt, Josi, ich weiß nicht, wie ich diese Angst aus dir herausschlagen soll. Überleg es dir noch einmal, sonst kommen wir nirgends mehr hin. Jarka läßt sich nicht von mir scheiden, und ihm einfach davonlaufen kann ich auch nicht, du weißt doch, wie das zwischen unseren Familien ist, ich komme aus einem Landstädtchen, wo die Leute einander in die Suppenschüssel gucken.«
Ich ärgerte mich, weil Růžena gesagt hatte, daß ich mich fürchtete. Ich fürchtete mich, ja, aber ich wollte es nicht zugeben.
»Aber wenn wir fliehen, wird es doch das gleiche sein.«
»Nein, das verstehst du nicht. Sie ist davongelaufen, also ist sie eben weg, das Wasser hat sich über ihr geschlossen. Hier dagegen, in Prag, wenn ich hier mit dir lebe …«
Ich verstand Růžena nicht, und ich wollte sie nicht verstehen, ich wollte nicht in die Fremde ziehen, aber ich wußte selber nicht, was zu tun war. Wir hatten uns lieb, aber wir mußten uns heimlich treffen – das war schwer, das waren ewige Ausflüchte und Winkelzüge und Lügen. Es war kein richtiges Leben, zumal wir uns doch wirklich gern hatten.
»Wir werden nicht mehr darüber sprechen, aber einmal wirst du es bedauern!«
Damals erschrak ich, ich fürchtete, Růžena wolle sich von mir trennen. Sie las meine Gedanken.
»Nein, nein, trennen werde ich mich nicht von dir, aber was wird, wenn man mich zwingt …«
Aber dann küßte sie mich, und wir vergaßen alles, gingen hinab in die Stadt mit ihren krummen Gäßchen, blieben immer wieder stehen und küßten uns, hörten damit erst auf, als wir die beleuchteten Straßen erreichten …
Endlich war die Warterei zu Ende. Das Gartentor ging auf, wir drängten uns in den kleinen Hof, wohin uns ein Beamter der Gemeinde mit gelber Armbinde trieb; wir gingen gern, weil wir schon ganz durchgefroren waren, es ging an der Garage vorbei zum Hintereingang der Villa, aber dort mußten wir wieder stehen. Wir gaben unsere Vorladungen ab, und der Beamte mit der gelben Armbinde ließ die Wartenden gemäß der für sie bestimmten Uhrzeit einzeln ein. Nun krümmten wir uns noch mehr vor Kälte, wir standen bereits im Gebäude, und die Garage war nur eine Steinwurfweite entfernt. Auf dem Hof stand ein Mann in Uniform und schaute uns an.
Es begann zu schneien.
Die Schneeflocken fielen mir hinter den Kragen, es war still, niemand sprach, wir standen vor der Tür. Dahinter war der Beamte mit der gelben Armbinde, der immer je drei Mann zur festgesetzten Uhrzeit einließ. Der Soldat stellte sich unter das überhängende Garagendach und beachtete uns nicht mehr.
Ich kam um elf an die Reihe, durchgefroren und abgestumpft. Der Beamte mit der gelben Binde winkte mir zu, in die Kanzlei zu gehen. Dort saßen Leute mit gelben Armbinden, Schreiberinnen hieben in die Tasten ihrer Schreibmaschinen, ich mußte auf Fragen antworten, und die Formulare waren noch länger als die auf der Gemeinde. Ich sprach leise, das Klappern der Schreibmaschinen übertönte meine Worte, alle sprachen hier leise und bewegten sich wie auf dünnem Eis. Posten gab es nicht, vielleicht hielten sie sich im Haus verborgen, sie waren unsichtbar, konnten jedoch jeden Augenblick in die Kanzlei treten.
Dann wurden wir in ein großes Zimmer getrieben, dort saßen viele Leute an Tischen, und ich ging befehlsgemäß von einem Tisch zum anderen. »Schmuck!« bellte mich ein Beamter an. »Hab ich nicht«, sagte ich. »Gold!« krächzte der nächste. »Hab ich nicht«, sagte ich. »Depositen!« zischte der dritte. Ich ging von einem zum anderen, sie fragten mich nach Hypotheken, Lebensversicherungen, Immobilien, Bankkonten, Sparbüchern, Aktien, Lotterielosen, alles Wertsachen und Wertpapiere, wie ich sie von der Bank her kannte, aber sie schienen mir jetzt irreal und unsinnig, weil man von mir verlangte, daß ich sie hätte.
Ich ging durch das ganze große Zimmer und sagte zu allem: »Hab ich nicht.« Die Beamten an den Tischen schauten mich nicht an, aber vielleicht waren das gar keine Menschen, sondern Maschinen, deren jede zum hundertsten Male ein und dieselbe Frage stellte. Sie hatten Formulare vor sich, strichen darin etwas aus oder trugen etwas ein. Ich wußte nicht, ob ich richtig antwortete, wenn ich zu allem »Hab ich nicht« sagte, doch ich besaß wirklich nichts außer meiner Uhr, einer ganz gewöhnlichen Nickeluhr, nach der sie aber nicht fragten. Zusammen mit den anderen stand ich schließlich vor einer verschlossenen Tür, vor der wieder ein Beamter mit gelber Armbinde postiert war, und mir schien, daß vor dieser Tür noch größere Beklemmung herrschte, denn ich sah, daß sich auch der Beamte fürchtete. Wir mußten dort einzeln eintreten. Als ich hineinging, erblickte ich einen Mann in Uniform; er saß an einem durch eine hölzerne Schranke abgetrennten Tisch, hatte ein Bein übers andere geschlagen und starrte angestrengt die gegenüberliegende Wand an. Ich mußte das Formular einem Dolmetscher geben, und der reichte es weiter. Der Mann in Uniform schaute mich an, als hätte er mich vorher nicht gesehen; mir schien, daß er dies besonders scharf und lange tat, um sich meine Gestalt einzuprägen. Schließlich legte er die Akte auf den Tisch, machte ein Zeichen darauf und sagte verdrossen auf deutsch: »Fertig.«
Ich verließ die Villa durch den Hinterausgang, eilte mit anderen zur Straßenbahnhaltestelle und setzte mich in den Anhänger. Ich hörte wiederum menschliche Worte, alltägliches Gerede, und ich schnappte die Sätze auf wie: »Hanka schult um auf Näherin, und Fritz lernt Saxophon.« Das sagten Leute, die mit mir in der Villa gewesen waren, und alle lernten etwas oder wollten etwas lernen; sie sprachen voller Eifer und Erregung davon, als hinge von diesem Lernen ihr Leben ab. Ich kam mir unter ihnen vor wie ein Ausgestoßener, weil ich nichts gelernt hatte und nichts lernen wollte, sie sprachen über das Tischlerhandwerk, über das Schustern, Gärtnern, über alle möglichen Berufe, die sie ausübten oder auszuüben sich anschickten; ich beneidete sie, weil sie irgendwo mit dem Hobel über Bretter fahren oder Töpfe löten würden, während ich nichts konnte und nicht wußte, ob ich je etwas lernen würde.
»Josi, du bist aber auch wirklich ungeschickt«, hatte Růžena zu mir gesagt. »Kannst nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen.«
Früher hatte ich alles mögliche machen müssen, wenn es notwendig war – das Kanu reparieren, ein Feuer zwischen zwei Steinen entfachen, auch Kochen hatte ich gelernt –, aber ich wußte immer, daß andere das besser konnten. Nein, es war keine gute Arbeit, die ich verrichtete.
Die Leute, mit denen ich auf der Registratur gewesen war, stiegen dann einer nach dem andern aus, und ich blieb als einziger von ihnen im Wagen zurück. Drinnen saßen jetzt schon andere Menschen, sie sprachen von anderen Dingen und lasen Zeitungen. Ich achtete nicht auf sie. Es ging auf Mittag zu, alle hatten es eilig, nach Hause zu kommen, und ich mußte daran denken, angestrengt daran denken, daß Schnee fiel. Ich wünschte mir, daß es aufhörte zu schneien, der Schnee war mein Feind.
Ich mußte den Gehsteig vor dem Hause, in dem ich wohnte, vom Schnee räumen, weil Polizisten durch die Straßen gingen und mit den Augen ausmaßen, wie weit das gefegte Stück zu reichen habe. Auch sie hatten gelernt zu schreien.
Ich hatte einen alten Schneeschieber aus Holz, den ich immer wieder zusammennageln mußte, und einen abgenutzten Kehrbesen; falls es den ganzen Tag schneit und der Wind Schneewehen anhäuft, wird es sehr schwer sein, den Schnee wegzukratzen, wenn mir die bloßen Finger aus den Handschuhen gucken und mir der Magen knurrt.