Leben ohne Angst - Max Lucado - E-Book

Leben ohne Angst E-Book

Max Lucado

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Beschreibung

Wir können zahllose Gründe dafür anführen, warum wir uns Sorgen machen oder Angst haben. Allein der Blick in die Nachrichten genügt. Und diese Angst macht auch vor den Herzen der Menschen nicht Halt, die mit Jesus unterwegs sind. Doch was wäre, wenn unsere Haltung als Christen gegenüber dem Leben nicht länger Sorge wäre, sondern Vertrauen? Max Lucado ist überzeugt: Wir können trotz allem, was geschieht, ein Leben frei von Angst führen und vorbehaltlos dem vertrauen, der die ganze Welt in der Hand hält.

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Über den Autor

Max Lucado war langjähriger Pastor der Oak Hills Church in San Antonio, Texas. Er ist verheiratet, Vater von drei Töchtern und Verfasser vieler Bücher. Die Zeitschrift Christianity Today zählt ihn zu den bekanntesten christlichen Autoren Amerikas.

Zu seinen Bestsellern gehören u. a. „Leben ohne Angst“, „Du schaffst das“, „Leichter durchs Leben“ und „Wie man Riesen besiegt“.

Inhalt

Kapitel 1Warum haben wir Angst?

Kapitel 2Die Bewohner von Stelzendorf

Kapitel 3„Gott ist sauer auf mich“

Kapitel 4Not, verschwinde!

Kapitel 5„Mein Kind ist in Gefahr!“

Kapitel 6„Hilfe, ich gehe unter!“

Kapitel 7„In meinem Schrank ist ein Ungeheuer!“

Kapitel 8Grausamer Planet Erde

Kapitel 9Spielgeld

Kapitel 10Todesangst

Kapitel 11Ein Leben voller Überraschungen

Kapitel 12Leise Zweifel

Kapitel 13Und wenn es noch schlimmer kommt?

Kapitel 14Die einzige „gesunde“ Furcht

SchlussbemerkungenWilliams Psalm

Gesprächsleitfaden

Anmerkungen

Kapitel 1

Warum haben wir Angst?

„Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“

Matthäus 8,26 (EÜ)

Sie hätten meinen Bruder gemocht. Alle mochten ihn. Dee schloss Freundschaften, wie Bäcker leckere Brötchen backen: täglich, wie am Fließband, mit ganzer Leidenschaft. Dank seines herzlichen Händeschüttelns und seines explosiven, ansteckenden Lachens blieb niemand lange ein Fremder. Ich, der schüchterne, kleine Bruder, verließ mich immer ganz auf ihn, wenn es darum ging, neue Leute kennenzulernen. Wenn eine neue Familie in unsere Straße zog oder ein Neuling auf dem Spielplatz auftauchte, war Dee das Empfangskommando.

Aber als Teenager machte er mit jemandem Bekanntschaft, den er besser nicht hätte kennenlernen sollen – einen Mann, der Bier an Minderjährige verkaufte. Der Alkohol hatte mit uns beiden leichtes Spiel, aber während er mich bloß umgarnte, fesselte er ihn. Und die nächsten vier Jahrzehnte ertränkte mein Bruder seine Gesundheit, seine Beziehungen, seine Arbeitsstelle, seine Finanzen und sein gesamtes Leben im Alkohol – mit Ausnahme der beiden letzten.

Niemand weiß, warum man Dinge, die man sich vornimmt, manchmal tut und manchmal nicht. Jedenfalls entwickelte mein Bruder im Alter von vierundfünfzig Jahren eine ungeheure Willenskraft und erlebte noch einmal eine Zeit, in der er völlig frei vom Alkohol war. Er goss den Inhalt aller Flaschen in den Ausguss, brachte seine Ehe in Ordnung, kittete die Beziehung zu seinen Kindern und ging zu den Anonymen Alkoholikern statt in die Spirituosenabteilung des Supermarktes. Aber sein alter Lebensstil hatte seinen Tribut gefordert. Drei Jahrzehnte lang drei Päckchen Zigaretten am Tag hatten sein großes Herz ruiniert.

Eines Abends im Januar – es war die Woche, in der ich mit dem Schreiben dieses Buches begann – teilte er seiner Frau Donna mit, dass er nicht mehr richtig Luft bekam. Da er wegen ähnlicher Probleme ohnehin schon einen Arzttermin hatte, beschloss er, einfach schlafen zu gehen. Aber er schlief nicht gut, und als er um vier Uhr morgens aufwachte, hatte er solche Schmerzen in der Brust, dass seine Frau den Notarzt rief. Als die Sanitäter ihn in den Krankenwagen luden, sagten sie Donna, sie solle ins Krankenhaus kommen. Mein Bruder winkte ihr müde zu, lächelte tapfer und meinte noch, sie solle sich keine Sorgen machen. Aber als sie mit einem seiner Söhne im Krankenhaus ankam, war er bereits gestorben.

Der diensthabende Arzt überbrachte ihnen die Nachricht und ließ sie in den Raum, in dem Dees toter Körper lag. Die beiden hielten sich aneinander fest, als sie durch die Türe gingen und Dees Abschiedsgruß entdeckten. Eine seiner Hände lag auf dem Oberschenkel – Mittel- und Ringfinger gebeugt und Daumen, Zeigefinger und kleiner Finger gestreckt – das internationale Gebärdenzeichen für „ich liebe dich“.

Ich habe versucht, mir die letzten Augenblicke im Leben meines Bruders vorzustellen: Er lag in einem Krankenwagen, der in finsterster Nacht über eine texanische Schnellstraße raste, um ihn herum hektisch agierende Sanitäter, und sein Herz wurde zunehmend schwächer. Er rang um jeden Atemzug und merkte irgendwann, dass es nicht mehr viele sein würden. Aber anstatt in Panik zu verfallen, nahm er all seinen Mut zusammen.

Vielleicht brauchen auch Sie Mut. Ein Krankenwagen ist nämlich nicht der einzige Ort, an dem man tapfer sein muss. Sie haben vielleicht noch nicht den letzten Atemzug erreicht, aber dafür die letzte Gehaltszahlung, die letzte Idee zur Lösung eines Problems oder das letzte bisschen Glauben. Jeden Morgen, wenn die Sonne aufgeht, scheint es neue Gründe dafür zu geben, sich zu fürchten.

Wenn man den Fernseher einschaltet, hört man von Entlassungen, Wirtschaftskrise, Unruhen im Nahen Osten, der Geldgier auf den Führungsebenen von Unternehmen, einer Talfahrt des Wohnungsmarktes, globaler Erwärmung, neuen Al-Kaida-Terrorzellen. Irgendein geistesgestörter Diktator sammelt Atomwaffen wie andere Menschen gute Weine. Spanien-Urlauber bringen sich die Schweinegrippe mit nach Hause. Das Schreckgespenst unserer Zeit, der Terrorismus, kommt vom Lateinischen terrere, was „erschrecken“ bedeutet. Wir werden mit so vielen Schreckensnachrichten überschüttet, dass vor jeder Nachrichtensendung eigentlich der Hinweis eingeblendet werden müsste: „Achtung, die nachfolgende Sendung sollten Sie sich nur in einem Bunker auf Island ansehen.“

Wir haben Angst, verklagt zu werden, Letzter zu werden, pleitezugehen. Der Leberfleck auf unserem Rücken, die neuen Nachbarn, die Uhr, die uns mit jedem Ticken dem Ende näher bringt – alles macht uns Angst. Wir entwickeln immer ausgeklügeltere Geldanlagen und Sicherheitssysteme und wollen die Polizeipräsenz verstärken, und dabei nehmen wir gleichzeitig mehr Stimmungsaufheller als jede andere Generation. Ja, „heutzutage haben gesunde Kinder mehr Angst als Psychiatrie-Patienten in den 1950er Jahren“1.

Es scheint, als sei die Angst ins Nachbarhaus eingezogen und hätte sich dort häuslich niedergelassen. Die Furcht vor den Dingen ist überdimensional und nicht gerade nett und teilt sich den Raum in unserem Herzen nicht gern mit der Freude. Und so gibt die Freude nach. Haben Sie die beiden schon jemals zusammen erlebt? Kann man zugleich glücklich sein und sich fürchten? Oder klar denken und sich fürchten? Oder selbstbewusst sein und sich fürchten? Oder gnädig sein und sich fürchten? Nein. Die Angst ist wie die Schlägertypen in der Schule: fies, laut und unproduktiv. Die Angst macht viel Lärm, nimmt viel Raum ein, bringt aber nichts.

Die Angst hat nie eine Symphonie oder ein Gedicht verfasst, einen Friedensvertrag ausgehandelt oder eine Krankheit geheilt. Die Angst hat noch keine Familie aus der Armut geholt und kein Land vom Fanatismus befreit. Die Angst hat noch keine Ehe und keine Firma gerettet. Der Mut kann das. Der Glaube kann das. Menschen, die sich ihrer Ängstlichkeit nicht beugen und nicht auf sie hören, können das. Aber die Angst? Sie sperrt uns in ein Gefängnis und lässt hinter uns die Tür ins Schloss fallen.

Wäre es nicht großartig, wenn wir einfach herauskommen könnten?

Stellen Sie sich vor, Sie könnten ein Leben führen, das frei ist von Angst. Was wäre, wenn Sie auf Bedrohungen grundsätzlich mit Glauben statt mit Angst reagieren würden? Was wäre, wenn Sie einen Angst-Magneten besäßen, mit dem Sie auch den letzten Rest Furcht, Unsicherheit und Zweifel aus Ihrem Herzen ziehen könnten? Stellen Sie sich einen Tag vor, nur einen einzigen Tag, ohne sich davor zu fürchten, zu versagen, abgelehnt zu werden, oder die Angst vor Unheil. Können Sie sich ein Leben ohne Angst vorstellen? Genau dieser Gedanke steht hinter Jesu Frage: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ (Matthäus 8,26; EÜ).

Spontan fragen wir uns wahrscheinlich, ob Jesus das ernst gemeint hat. Vielleicht wollte er die Jünger nur aufziehen, frotzeln, einen Witz machen. So wie der eine Schwimmer den anderen fragt, warum er denn nass ist. Aber Jesus hat nicht gegrinst, er war todernst.

Genau wie die Männer, denen er diese Frage stellte. Ein plötzlich auftretender Sturm hatte nämlich aus ihrem abendlichen Segeltörn einen Horrortrip gemacht.

Einer von ihnen beschreibt seine Erinnerung daran folgendermaßen: „Jesus stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. Als sie auf dem See waren, kam ein schwerer Sturm auf, und die Wellen drohten, das Boot unter sich zu begraben“ (Matthäus 8,23 – 24).

Das sind Matthäus’ Worte. Er erinnerte sich noch sehr genau an den tosenden Sturm und das schaukelnde Boot und wählte seine Worte sehr bewusst. Er konnte nicht irgendwelche Worte verwenden, sondern holte sein griechisches Wörterbuch aus dem Regal und suchte nach einer passenden Beschreibung, die die Urgewalt der Wellen wiedergab. Er überblätterte die gewöhnlichen Ausdrücke wie „Regenschauer“, „Windbö“, „Wolkenbruch“ oder „Platzregen“. Sie gaben nicht das wieder, was er in jener Nacht gesehen und gespürt hatte: Die Erde grollte und das ferne Ufer schien zu beben. In seiner Erinnerung waren es mehr als nur ein starker Wind und Schaumkronen auf den Wellen gewesen. Er fuhr mit dem Finger die Reihe der Synonyme entlang bis zu einem Wort, das seine Erfahrung genau wiedergab: „Ah, hier haben wir es.“ Seismos – ein Beben von Himmel und Wasser. „Ein großes Seismos kam über den See.“

Das Wort hat bis heute einen Platz in unserem Sprachgebrauch. Ein Seismologe untersucht Erdbeben, ein Seismograf misst ihre Stärke, und Matthäus hatte gemeinsam mit den anderen Jüngern ein Beben erlebt, das sie bis in ihr Innerstes erschütterte. Er verwendete dieses Wort nur bei zwei anderen Gelegenheiten: als bei Jesu Tod Golgatha erbebte (Matthäus 27,51 – 54) und als bei Jesu Auferstehung die Erde am Grab bebte (Matthäus 28,2). Offensichtlich rangiert die Sturmstillung auf dem gleichem Niveau mit diesen anderen erschütternden Ereignissen und bildet mit ihnen eine Trilogie: am Kreuz der Sieg über die Sünde, am Grab der Sieg über den Tod und auf dem See der Sieg über die Angst.

Plötzlich auftretende Angst. Wir wissen, dass die Angst sie plötzlich überkam, weil auch der Sturm plötzlich aufzog. In der „Hoffnung für alle“-Übersetzung heißt es: „Mitten auf dem See brach plötzlich ein gewaltiger Sturm los.“

Nicht alle Stürme kommen so plötzlich. Farmer in der Graslandschaft Amerikas können an den Wolkenformationen schon Stunden, bevor der erste Regen fällt, erkennen, dass ein Gewitter aufzieht. Aber dieser Sturm überfiel die Jünger wie ein Löwe, der plötzlich aus dem Gebüsch springt. Gerade hatten sie noch friedlich Karten gespielt, und auf einmal schlugen ihnen die Wellen ins Gesicht.

Petrus und Johannes, erfahrene Seeleute, kämpften mit dem Segel, Matthäus, die Landratte, kämpfte mit seiner letzten Mahlzeit. Mit diesem Sturm hatte der Zöllner nicht gerechnet. Können Sie seine Überraschung zwischen den Zeilen lesen? „[Jesus] stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. Plötzlich brach auf dem See ein gewaltiger Sturm los, sodass das Boot von den Wellen überflutet wurde“ (Matthäus 8,23 – 24; EÜ).

Irgendwie hofft man auf einen fröhlicheren Satz, auf positivere Auswirkungen des Gehorsams. „Jesus stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. Plötzlich erschien ein großer Regenbogen am Himmel, ein Taubenschwarm flog über ihre Köpfe, und ihr Boot spiegelte sich in dem glasklaren Wasser.“ Ist die Nachfolge denn nicht eine einzige Kreuzfahrt durch die Karibik? Nein. Diese Geschichte macht unmissverständlich deutlich: Wer mit Jesus zusammen ins Boot steigt, kann auch mit Jesus zusammen nass werden. Jesu Jünger müssen mit rauer See und starkem Gegenwind rechnen. „In der Welt seid ihr [nicht ‚vielleicht‘ oder ‚möglicherweise‘] in Bedrängnis“ (Johannes 16,33; EÜ; Anmerkung in Klammern vom Autor).

Christus-Nachfolger bekommen Malaria, müssen ihre Kinder beerdigen, kämpfen gegen Abhängigkeiten, und deshalb erleben sie Ängste. Was uns von Menschen unterscheidet, die nicht mit Jesus unterwegs sind, ist nicht, dass es in unserem Leben keine Stürme gibt, sondern wen wir im Sturm entdecken: einen unerschütterlichen Jesus.

„Jesus aber schlief“ (Vers 24; EÜ).

Welch ein Anblick. Die Jünger schreien laut auf vor Angst und Jesus träumt sanft. Der Donner kracht, aber Jesus wird nicht wach. Er hält nicht nur ein Nickerchen oder döst so vor sich hin. Er schläft tief und fest. Könnten Sie in dieser Situation schlafen? Könnten Sie ein Nickerchen machen, wenn Sie in einer Achterbahn gerade einen Looping fahren? Oder im Windkanal? Oder neben einer Pauke? Jesus schläft, selbst wenn alle diese Dinge sich gleichzeitig ereignen würden!

Markus fügt in seinem Evangelium noch ein interessantes Detail hinzu: „[Jesus] aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief“ (Markus 4,38; EÜ). „Hinten im Boot“ und auf einem „Kissen“. Warum war Ersteres so wichtig und woher kam Letzteres?

Damals im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung verwendeten Fischer große, schwere, geknüpfte Netze. Um die Netze an Bord zu verstauen, baute man ins Heck der Boote eine Nische. Hinten auf dem Deck zu schlafen, war unpraktisch, da man keinen Platz und keinen Schutz hatte. Aber in dieser kleinen Nische unter Deck fand man beides. Es war der einzige geschlossene und geschützte Bereich an Bord. Also verkroch sich Jesus, da er von einem langen, turbulenten Tag müde war, unter Deck, um ein wenig zu schlafen.

Er legte seinen Kopf aber nicht auf ein weiches Daunenkissen, sondern auf einen ledernen Sandsack. Ein Ballastsack, wie ihn die Fischer im Mittelmeer heute noch benutzen. Sie wiegen etwa einen Zentner und dienen als Ballast oder um das Schiff zu stabilisieren.2 Hatte Jesus das Kissen mit nach hinten genommen, um zu schlafen, oder schlief er so tief, dass jemand ihm das Kissen unterschob, damit er es etwas bequemer hatte? Wir wissen es nicht. Aber eines wissen wir: Er hatte vorgehabt zu schlafen. Er war nicht unabsichtlich eingenickt. Im vollen Bewusstsein des herannahenden Sturmes beschloss Jesus, dass es Zeit war, Siesta zu machen. Er kroch in das Bootsheck, legte seinen Kopf auf das Kissen und schlummerte sanft und süß ein.

Die Jünger waren ganz aufgebracht, als sie ihn schlafen sahen. Matthäus und Markus geben ihre Reaktionen in drei kurzen Ausrufen und einer Frage wieder.

Die Ausrufe: „Rette uns! Herr! Wir gehen unter!“ (Matthäus 8,25).

Die Frage: „Lehrer, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen?“ (Markus 4,38).

Sie fragen nicht nach Jesu Macht: „Kannst du diesen Sturm stillen?“ Oder nach seiner Weisheit: „Bemerkst du den Sturm?“ Oder nach seinem Können: „Hast du schon mal Erfahrungen mit Stürmen gemacht?“ Stattdessen äußern sie Zweifel an seinem Wesen: „Kümmert es dich gar nicht …?“

Das macht die Angst mit uns. Die Angst nagt an unserem Vertrauen in Gottes Güte. Wir beginnen, uns langsam zu fragen, ob Gott tatsächlich so gut ist, wie er zu sein behauptet. Wenn Gott schläft, während in unserem Leben Stürme toben, wenn er die Augen schließt, wenn unsere vor Schreck weit aufgerissen sind, wenn er den Sturm zulässt, wo wir ihm doch ins Boot gefolgt sind – sind wir ihm dann wirklich wichtig? Die Angst löst jede Menge Zweifel aus, die uns wiederum wütend machen.

Und wir wollen schnell wieder alles unter Kontrolle bekommen. „Unternimm was gegen den Sturm!“, heißt die versteckte Aufforderung hinter der Frage. „Bring das in Ordnung oder … oder … oder mach irgendwas!“ Angst ist im Grunde nichts anderes als das Bewusstsein, dass man die Kontrolle verloren hat. Wenn im Leben alles drunter und drüber geht, versuchen wir, uns an irgendeinen Aspekt unseres Lebens zu klammern, den wir in der Hand haben: unsere Ernährung, ein sauberes Haus, die Armlehne im Flugzeug oder oft auch andere Menschen. Je unsicherer wir sind, desto gemeiner können wir auch sein. Wir knurren und fletschen die Zähne. Warum? Weil wir so böse sind? Zum Teil. Aber auch, weil wir uns in die Enge getrieben fühlen.

Martin Niemöller, der sich als Pfarrer im Dritten Reich gegen Hitler stellte, beschreibt ein extremes Beispiel dafür. Als er dem Diktator 1933 zum ersten Mal begegnete, hatte Niemöller ganz hinten gestanden und zugehört. Als seine Frau ihn danach fragte, was er gelernt habe, erwiderte er: „Ich habe festgestellt, dass Herr Hitler ein schrecklich ängstlicher Mann ist.“3 Angst macht uns zu Tyrannen.

Und sie tötet unser Erinnerungsvermögen. Die Jünger hatten allen Grund, Jesus zu vertrauen. Sie hatten gesehen, dass „er alle Krankheiten und Leiden im Volk heilte“ (Matthäus 4,23). Sie hatten beobachtet, wie er einen Aussätzigen durch eine einfache Berührung und einen Diener durch einen bloßen Befehl geheilt hatte (Matthäus 8,3.13). Petrus hatte erlebt, dass seine kranke Schwiegermutter wieder gesund wurde (Matthäus 8,14 – 15), und sie alle hatten mit angesehen, wie die bösen Geister vor ihm flohen wie Ungeziefer vor dem Licht. „Mit seinem Wort trieb er die bösen Geister aus und heilte alle Kranken“ (Matthäus 8,16).

Hätte nicht einer von ihnen auf Jesu Leistungen hinweisen oder noch einmal seinen Lebenslauf durchgehen können? Erinnerten sie sich nicht mehr an das, was Jesus vollbracht hatte? Vielleicht nicht. Angst verbreitet eine Art von geistlichem Gedächtnisschwund. Die Wunder verblassen in unserer Erinnerung. Wir vergessen, was Jesus alles getan hat und wie gut Gott zu uns war.

Und Angst fühlt sich fürchterlich an. Sie raubt uns alle Lebenskraft und Zufriedenheit, sodass wir uns nur noch wie kleine Embryos zusammenrollen. Wir sind wie alte, wackelige Schuppen, die leer und windschief dastehen, wo früher einmal in einem Haus das Leben blühte und Menschen Nahrung und Wärme fanden. Aber jetzt nicht mehr. Wenn die Angst unser Leben bestimmt, wird die Sicherheit zu unserem Gott. Und wenn die Sicherheit unser Gott wird, beten wir ein Leben an, das frei ist von jeglichem Risiko. Kann derjenige, der die Sicherheit liebt, Großes tun? Können Risiko-Hasser Heldentaten vollbringen? Für Gott? Oder für andere? Nein. Wer von Angst erfüllt ist, kann nicht von ganzem Herzen lieben. Liebe ist riskant. Sie können nicht großzügig geben, denn wer großzügig ist, hat keine Garantie, dass er auch etwas zurückbekommt. Die Ängstlichen haben keine großen Träume, denn was wäre, wenn diese wie Seifenblasen zerplatzen würden? Wer die Sicherheit anbetet, entmannt die Größe. Kein Wunder also, dass Jesus so entschlossen gegen die Angst vorgeht.

Sein am häufigsten genanntes Gebot gehört in die „Fürchtet euch nicht“-Kategorie. In den Evangelien stehen etwa 125 Gebote, die Jesus uns gegeben hat. Darin werden wir 21-mal aufgefordert: „Habt keine Angst“, „Fürchtet euch nicht“, „Seid mutig“ oder „Fasst Mut“. Das zweithäufigste Gebot besagt, dass wir Gott und unseren Nächsten lieben sollen. Es kommt nur 8-mal vor. Wenn man nach der Häufigkeit ihrer Nennung geht, dann nimmt Jesus unsere Ängste also sehr ernst.

Kinder machen sich später manchmal über die Vorschrift ihrer Eltern lustig, die diese am häufigsten erwähnen. Sie wissen noch genau, dass ihre Mutter immer sagte: „Komm nicht zu spät nach Hause“, oder: „Räum dein Zimmer auf.“ Auch Väter haben ihre Lieblingsanweisungen: „Geh gerade“, oder: „Streng dich an.“ Ich frage mich, ob sich die Jünger auch überlegten, was Jesus immer wieder zu ihnen sagte. Wenn ja, kamen sie bestimmt zu dem Schluss, dass er sie immer ermahnt hatte, mutig zu sein:

„Habt also keine Angst: Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!“ (Matthäus 10,31).

„Mein Kind, fasse Mut! Deine Schuld ist vergeben“ (Matthäus 9,2).

„Darum sage ich euch: Macht euch keine Sorgen um euer Leben, ob ihr etwas zu essen oder zu trinken habt, und um euren Leib, ob ihr etwas anzuziehen habt!“ (Matthäus 6,25).

„Hab keine Angst! Fass nur Vertrauen, dann wird [deine Tochter] gerettet!“ (Lukas 8,50).

„Fasst Mut! Ich bin’s, fürchtet euch nicht!“ (Matthäus 14,27).

„Fürchtet euch nicht vor denen, die nur den Leib, aber nicht die Seele töten können“ (Matthäus 10,28).

„Sei ohne Angst, du kleine Herde! Euer Vater ist entschlossen, euch seine neue Welt zu schenken!“ (Lukas 12,32).

„Erschreckt nicht, habt keine Angst! Vertraut auf Gott und vertraut auch auf mich!“ (Johannes 14,1).

„Erschreckt nicht, habt keine Angst!“ (Johannes 14,27b).

„ ‚Warum habt ihr Angst?‘, fragte Jesus. ‚Wieso zweifelt ihr daran, dass ich es bin?‘ “ (Lukas 24,38; Hfa).

„Erschreckt nicht, wenn nah und fern Kriege ausbrechen!“ (Matthäus 24,6).

„Aber Jesus trat zu ihnen, berührte sie und sagte: ‚Steht auf, habt keine Angst!‘ “ (Matthäus 17,7).

Jesus will nicht, dass Sie in ständiger Angst leben. Und Sie wollen es auch nicht. Sie haben bestimmt noch nie gesagt:

„Meine Ängste verleihen mir solchen Schwung.“„Ohne meine zwanghaften Sorgen wäre ich keine gute Mutter/kein guter Vater.“„Ich danke Gott für meinen Pessimismus. Seit ich keine Hoffnung mehr habe, bin ich ein besserer Mensch geworden.“„Mein Arzt hat mir gesagt, wenn ich mir meine Gesundheit bewahren will, muss ich mir mehr Sorgen machen.“

Ich kenne den Preis der Angst.

Jesu Frage war berechtigt. Er erhob sich von seinem Kissen, trat in den Sturm hinaus und fragte: „Warum habt ihr solche Angst? Ihr habt zu wenig Vertrauen!“ (Matthäus 8,26).

Nur um eines klarzustellen: Angst kann in manchen Situationen auch gesund sein. Sie ist wie der Kanarienvogel in einem Bergwerksschacht, der vor Gefahr warnt. Eine Portion Angst kann ein Kind davon abhalten, auf eine vielbefahrene Straße zu laufen, oder einen Erwachsenen davor zu rauchen. Angst ist eine angemessene Reaktion auf ein brennendes Gebäude oder einen knurrenden Hund. Angst alleine ist noch keine Sünde. Aber sie kann zur Sünde führen.

Wenn wir unsere Angst mit Wutausbrüchen, Saufgelagen, schmollendem Rückzug, Hungerkuren oder eiserner Kontrolle über andere kurieren wollen, dann lassen wir Gott bei der Problemlösung außen vor und machen alles nur noch schlimmer. Wir unterstellen uns der Angst und lassen unser Leben von ihr bestimmen. Sorgen rauben uns die Freude und Furcht macht uns wie benommen. Anfälle von Unsicherheit lähmen uns. Hysterie kommt nie von Gott, „[d]enn Gott hat uns keinen Geist der Furcht gegeben“ (2. Timotheus 1,7; Hfa).

Die Angst wird immer wieder an Ihre Türe klopfen. Laden Sie sie einfach nicht zum Essen ein, und bieten Sie ihr um Himmels willen keinen Schlafplatz an. Stärken Sie sich mit einer Reihe von Jesu „Fürchtet euch nicht“-Aussagen. Die Angst mag zwar unsere Gesellschaft dominieren, nicht aber unser Herz. Das Versprechen Jesu und die Grundannahme dieses Buches sind ganz einfach: Wir können morgen weniger Angst haben als heute.

Als ich sechs Jahre alt war, erlaubte mein Vater mir einmal, lange aufzubleiben und gemeinsam mit dem Rest der Familie den Horrorfilm „Der Wolfsmensch“ anzuschauen. Diese Entscheidung hat er bitter bereut. Nach dem Film war ich nämlich felsenfest davon überzeugt, dass der Wolfsmensch jede Nacht um unser Haus schlich, auf der Jagd nach seiner Lieblingsspeise – rothaarige, sommersprossige, kleine Erstklässler.

Meine Angst wurde schließlich zum Problem. Auf dem Weg von meinem Zimmer in die Küche musste ich gefährlich nahe an seinen Klauen und Fängen vorbei, was ich nur sehr ungern tat. Mehr als einmal wich ich ins Schlafzimmer meiner Eltern aus und weckte meinen Vater. Genau wie Jesus im Boot schlief mein Vater tief und fest. Wie kann man in so einer Situation nur schlafen?

Verschlafen öffnete er ein Auge und fragte: „Wovor hast du eigentlich Angst?“ Dann erinnerte ich ihn an das Ungetüm. „Ach ja, der Wolfsmensch“, knurrte er. Dann krabbelte er aus dem Bett, rüstete sich mit übernatürlichem Mut und begleitete mich durchs finstere Tal, um mir in der Küche ein Glas Milch einzuschenken. Dann sah ich ihn staunend und voller Bewunderung an: Was ist das nur für ein Mensch?

Vielleicht ist unsere Angst vor einer Seismos-Erschütterung für Gott ja so ähnlich wie meine Angst vor dem Wolfsmenschen für meinen Vater: „Dann stand er auf und sprach ein Machtwort zu dem Wind und den Wellen. Da wurde es ganz still“ (Matthäus 8,26b).

Auf die große Erschütterung antwortete er mit einer großen Beruhigung. Der See wurde so ruhig, als sei er zugefroren, und die Jünger fragten sich: „Was muss das für einer sein, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen!“ (Vers 27).

Ja, was für ein Mensch! Er schläft während des Sturms, stillt die Wellen mit einem einzigen Wort und gibt einem Sterbenden genug Mut, damit er seiner Familie eine letzte Botschaft hinterlassen kann. Gut gemacht, Dee! Du hattest viele Seismos-Momente im Leben, aber du bist nicht untergegangen.

Und ich bete, dass wir es auch nicht tun.

Kapitel 2

Die Bewohner von Stelzendorf

Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit

„Habt also keine Angst: Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!“

Matthäus 10,31

Stelzendorf ist ein ganz besonderer Ort (es könnte ihn sogar wirklich geben). Seine Bewohner sind recht normale Menschen, die arbeiten gehen und Familien haben. Aber sie haben einen ungewöhnlichen Brauch: Jeden Abend um Punkt sechs Uhr versammeln sie sich auf dem Dorfplatz – und dann werden Stelzen verteilt. Wer aufgerufen wird und ein Paar bekommt, der hat es gut. Er wird dadurch aus der Masse der Kleinen, Unbedeutenden, der Habenichtse und Unwichtigen herausgehoben.

Die wären natürlich auch gerne groß und bedeutend. Und so kommen sie Abend für Abend auf den Dorfplatz, zwängen sich durch die Menge nach vorn, um zu sehen, ob sie nicht auch wichtig sind, aber ihre Namen werden nicht genannt. Es sind die Coolen, die Einflussreichen, die entscheiden, wer elegant, hübsch, klug oder witzig ist. Und dafür gibt es eine Belohnung. Aber keine gewöhnliche Belohnung in Form von Geld, einem Auto oder einem Haus. Es ist etwas sehr Ungewöhnliches: ein Paar Stelzen. Und auf diesen Stelzen immer höher hinauszukommen ist das Ziel aller Bewohner von Stelzendorf. Stelzen sind ihr Statussymbol.

Die hohen Tiere stolzieren erhaben auf ihren langen, wackeligen Stelzen umher und genießen es, das Leben von oben zu betrachten. Aber nur so lange, bis einer ins Wanken gerät. Dann fällt er tief und landet hart. Ist er erst wieder im gemeinen Fußvolk angekommen, hilft ihm keiner von den Schickimickis mehr auf. Im Gegenteil, sie nehmen ihm auch noch die Stelzen weg. Von da an muss er wieder jeden Abend um sechs auf den Dorfplatz kommen, um zu sehen, ob er nicht doch bedeutend genug ist, um ein Paar Stelzen zu ergattern.

Und genau das ist doch der Kern der Sache, die eigentliche Frage, die hinter allem steckt: Sind wir bedeutend? Wir haben Angst, es nicht zu sein. Wir fürchten uns vor der Nichtigkeit, der Bedeutungslosigkeit. Wir haben Angst, uns einfach in nichts aufzulösen und in der Summe nur eine Null zu sein. Wir haben Angst, dass niemand uns vermisst, wenn wir nicht mehr da sind.

Deshalb ärgert es uns, wenn ein Freund unseren Geburtstag vergisst oder der Lehrer sich unseren Namen nicht merken kann, ein Kollege die Lorbeeren für das erntet, was wir getan haben, oder wenn wir tagtäglich wie ein Stück Vieh in den Bus gequetscht werden. Das alles bestätigt unsere schlimmsten Befürchtungen: „Keiner kümmert sich um mich, weil ich es nicht wert bin, dass sich jemand um mich kümmert.“ Deshalb sehnen wir uns nach der Aufmerksamkeit unseres Partners oder der Bestätigung unseres Chefs. In Unterhaltungen erwähnen wir beiläufig Namen wichtiger Persönlichkeiten, wir tragen Markenkleidung, polstern unseren Busen mit Silikon auf, montieren auffällige Felgen an unser Auto und wollen schöne Zähne haben. Das sind unsere „Stelzen“, mit deren Hilfe wir uns vom Fußvolk hervorheben wollen.

Modedesigner sagen uns: „Wenn du unsere Jeans trägst, bist du wer. Wenn du unser Logo auf dem Hintern trägst, bist du nicht länger unbedeutend.“ Also tun wir es. Und eine Zeitlang heben wir uns von den Unwichtigen ab und genießen unseren sozialen Aufstieg. Die Mode erlöst uns aus den Niederungen der Bedeutungslosigkeit und wir sind etwas Besseres. Warum? Weil wir ein Vermögen für eine Jeans aus Italien ausgegeben haben.

Aber dann kommt die große Ernüchterung – die Mode ändert sich, der Schnitt ist out, die Hosen sind jetzt nicht mehr eng, sondern weit, nicht länger verwaschen, sondern dunkel, und plötzlich tragen wir Jeans von vorgestern und merken, dass wir aufs Abstellgleis geraten sind. Und schon befinden wir uns wieder unter den Unbedeutenden.

Vielleicht können wir unsere Bedeutungslosigkeit umgehen, indem wir uns an die riesigen Leistungen eines anderen hängen und so unserem zwergenhaften Leben Bedeutung verleihen. Wie anders ließe sich sonst erklären, dass wir uns beispielsweise so unwiderstehlich zu Sportmannschaften und berühmten Sportlern hingezogen fühlen?

Ich will mich da auch gar nicht ausnehmen: Ich bin ein eingefleischter Fan der San Antonio Spurs. Wenn die Spurs Basketball spielen, ist es mein Spiel. Wenn sie einen Korb werfen, ist es mein Korb. Und wenn sie gewinnen, dann schreie ich gemeinsam mit den siebzehntausend anderen Fans: „Wir haben gewonnen!“ Aber wie komme ich eigentlich dazu, eine solche Behauptung aufzustellen? War ich auch nur ein einziges Mal beim Training? Habe ich schon einmal eine gegnerische Mannschaft beobachtet? Habe ich schon einmal mitgeholfen, sie zu trainieren, oder auch nur einen Schweißtropfen dafür vergossen? Nein. Ich würde es tun, wenn sie mich darum bäten. Aber ich bin zu unbedeutend, zu langsam, zu alt und zu unsportlich.

Trotzdem will ich ein Stück von diesem Kuchen namens Ruhm. Warum? Weil es mich vom gemeinen Volk abhebt. Für kurze Zeit erhebt es mich über die Masse und adelt mich.

Diese Philosophie motivierte in der vierten Klasse meinen Freund Thomas dazu, Dean Martins Zigarettenkippe in einem Glas auf seinem Nachttisch aufzuheben. Dean Martin eroberte mit seinem schmachtenden Blick in den 1960er Jahren die Herzen Amerikas. Er teilte sich den Olymp der Berühmtheiten mit Frank Sinatra und Sammy Davis jr. Das „niedere Volk“ konnte diesen „Adel“ bloß aus der Ferne bewundern. Aber Thomas konnte mehr tun. Als Dean Martin unsere kleine Stadt im Westen von Texas anlässlich eines Wohltätigkeits-Golfturniers mit einem Besuch beehrte, folgten er und sein Vater ihm, und als die Filmikone ihre Zigarettenkippe wegwarf, schnappte Thomas sie sich.

Wer könnte je den Augenblick vergessen, als wir – Thomas’ Freunde – uns in seinem Zimmer versammelten und die heilige Kippe bestaunten. Wir profitierten von den Auswirkungen des Berühmtheitsprinzips. Dean Martin war ein Star; Thomas besaß Dean Martins Zigarettenkippe; wir kannten Thomas. So fiel etwas von Dean Martins Glanz auch auf uns.

Wenn man jemand Wichtiges kennt, ist man selbst auch wichtig. Stimmt’s?

Oder man versucht, dem Leben ein Schnippchen zu schlagen und in gewisser Weise auch nach dem Tod noch weiterzuleben: Wenn der Milliardär feststellt, dass sein Leben schneller zu Ende sein wird als sein Geld, ruft er eine Stiftung ins Leben. Zweifellos spielt dabei Nächstenliebe eine Rolle, aber eben auch das Bedürfnis, etwas von Bedeutung zu tun.

Aus dem gleichen Grund bekommen wir Kinder. Kinder großzuziehen verleiht unserem Leben Bedeutung. Obgleich es eindeutig ehrenhafter ist, Kinder zu bekommen, als Dean Martins Zigarettenkippe zur Schau zu stellen, so geht es doch, zum Teil zumindest, um das gleiche Prinzip. Eines Tages, wenn wir gestorben sind, werden sich unsere Nachkommen an den „guten alten Papa“ oder die „gute alte Mama“ erinnern, und wir werden durch sie weiterleben.

Italienische Markenjeans. Dean Martins Zigarettenkippe. Stiftungen. Hinterlassenschaften – alles Wege, um zu beweisen, dass Bertrand Russell unrecht hatte. Dieser war ein fatalistischer Atheist und kam zu der Schlussfolgerung: „Ich glaube, wenn ich sterbe, werden meine Knochen verrotten, und von meinem Ich wird nichts übrig bleiben.“4

„Er muss sich irren“, seufzen wir.

„Er irrt sich!“, verkündet Jesus. Und mit den liebevollsten Worten, die je jemand gesagt hat, mildert er die Angst der Bewohner von Stelzendorf: „Kauft man nicht zwei Spatzen für einen Groschen? Und doch fällt nicht einmal ein Spatz auf die Erde, ohne dass euer Vater es weiß. Bei euch aber ist sogar jedes Haar auf dem Kopf gezählt. Habt also keine Angst: Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm Spatzen!“ (Matthäus 10,29 – 31).

Was gibt es Bedeutungsloseres als Haare? Wer macht schon Inventur auf dem eigenen Kopf? Wir zählen und messen andere Dinge: das Geld auf unserem Konto, das Benzin im Tank, die Kilos auf der Waage. Aber Haare auf dem Kopf? Niemand, nicht einmal ein Mann mit immer größer werdenden Geheimratsecken, nummeriert jedes einzelne Haar auf seinem Kopf. Wir frisieren unsere Haare, färben sie, schneiden sie … aber wir zählen sie nicht.

Doch Gott tut es: „Bei euch aber ist sogar jedes Haar auf dem Kopf gezählt.“

In dem Bericht von Lukas geht Jesus noch einen Schritt weiter: „Kauft man nicht fünf Spatzen für zwei Groschen? Und doch kümmert sich Gott um jeden Einzelnen von ihnen“ (Lukas 12,6). Zur Zeit Jesu war ein Groschen eine der kleinsten Münzen, die es gab. Mit einem Groschen konnte man zwei Spatzen kaufen. Mit anderen Worten: Jeder konnte sich ein paar Spatzen leisten. Und für zwei Groschen bekam man sogar fünf. Den fünften bekam man nämlich gratis dazu. Aber wozu? Wozu waren Spatzen gut?

In unserer Gesellschaft gibt es immer noch genügend fünfte Spatzen: unauffällige Menschen, die sich überflüssig und entbehrlich vorkommen, als seien sie keinen Groschen mehr wert. Sie bilden Fahrgemeinschaften und arbeiten in Großraumbüros. Manche schlafen unter Zeitungen auf dem Gehweg, andere unter Daunendecken in Villen. Doch was sie verbindet, ist das Gefühl der Bedeutungslosigkeit.