Leben ok - Mick Tobor - E-Book

Leben ok E-Book

Mick Tobor

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Beschreibung

Das Leben ist kein Picknick… Mit unserer Geburt beginnt ein wahrlich großes Abenteuer für uns - höchstwahrscheinlich das Abenteuer schlechthin. Und da wir nicht wissen, ob wir nochmal eine solche Chance erhalten, sollten wir dieses Abenteuer artgerecht genießen. Unsere Voraussetzungen nach der Geburt könnten besser kaum sein: Unkoordiniertes Strampeln und durchdringendes Schreien funktionieren bereits, wie auch Herzschlag, Blutdruck, Körpertemperatur, Verdauung und vieles mehr. Der Rest lässt sich lernen! Dazu wird sich unser Hirn noch ein paar Jahre lang vergrößern, komplex vernetzen, unzählige Daten sammeln, analysieren, organisieren - und das alles selbständig! Damit sollte dann das Abenteuer Leben eigentlich gelingen können, eigentlich… Tatsächlich lernen wir irgendwann die sogenannte Realität kennen: Unser individuelles Lernprogramm weicht den Ansprüchen unserer Eltern (falls vorhanden) und einer in jedem Fall unbekannten Gesellschaft. Unser bisher freies Wachstum dient fortan der Maximierung unserer Leistungsfähigkeit, und unsere nicht einmal entwickelten zärtlichen Fingerspitzen werden zu Ellbogen umfunktioniert! Unsere Gefühle werden nicht entwickelt, denn sie stören eher das Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt. Wer dennoch etwas fühlen will, wirft sich Pillen, Drogen oder Therapeuten ein. Etwas Ärmeren stehen obendrein Volkshochschulkurse zur Verfügung, frei nach dem Motto "Endlos glücklich", erlernbar an zwei bis drei Wochenenden. Etwas Reichere fliegen zur siebten Erleuchtung nach Indien, und sobald wehende weiße oder orangene Gewänder angelegt sind, klappt's auch mit dem Glücklichsein. Trotz all dieser Wege zum einfachen Glück bleiben einige Menschen skeptisch - ein gutes Zeichen, dass das Hirn noch im eigentlichen Sinne funktioniert! Gratulation! Sie nehmen die wachsenden Zweifel am Selbst, am eigenen Tun, am eigenen Weg ernst und suchen nach Alternativen? Da kann ich Ihnen etwas anbieten...

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für Natascha und Juyong

Mick Tobor

Lebenok

mein Leben bin lch

© 2014 Mick Tobor

Umschlag, Illustration: Mick Tobor

Lektorat, Korrektorat: Mick Tobor

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7323-1686-1

Hardcover

978-3-7323-1687-8

e-Book

978-3-7323-1688-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Das Leben ist kein Picknick…

Mein Leben bin Ich

Das Sein im Fluss der Zeit

Die Endstation des Denkens

Die Reise zum Ich

Ihr neues Ich im Alltag

Passen Sie auf sich auf!

Denn sie fühlen nicht, was sie tun

Vom neugierigen Genie zum einsamen Roboter

Was uns verloren geht - eine kleine Auswahl

Wir bedanken uns bei…

Aktuelle, wirklich gefährliche Fallstudien

Eine stille Revolution

Eine nüchterne Würdigung zu Beginn

Endlose Kompromisse oder griechische Inseln

Erste Änderungen, die garantiert gelingen

Der Weg ist das Ziel

Das Ziel ist weg

Das Leben ist ein Festival!

Das Leben ist kein Picknick…

Mit unserer Geburt beginnt ein wahrlich großes Abenteuer für uns – höchstwahrscheinlich das Abenteuer schlechthin. Und da wir nicht wissen, ob wir nochmal eine solche Chance erhalten, sollten wir dieses Abenteuer artgerecht genießen.

Unsere Voraussetzungen nach der Geburt könnten besser kaum sein: Unkoordiniertes Strampeln und durchdringendes Schreien funktionieren bereits, wie auch Herzschlag, Blutdruck, Körpertemperatur, Verdauung und vieles mehr. Der Rest lässt sich lernen! Dazu wird sich unser Hirn noch ein paar Jahre lang vergrößern, komplex vernetzen, unzählige Daten sammeln, analysieren, organisieren – und das alles selbständig! Damit sollte dann das Abenteuer Leben eigentlich gelingen können, eigentlich…

Tatsächlich lernen wir irgendwann die sogenannte Realität kennen: Unser individuelles Lernprogramm weicht den Ansprüchen unserer Eltern (falls vorhanden) und einer in jedem Fall unbekannten Gesellschaft. Unser bisher freies Wachstum dient fortan der Maximierung unserer Leistungsfähigkeit, und unsere nicht einmal entwickelten zärtlichen Fingerspitzen werden zu Ellbogen umfunktioniert! Unsere Gefühle werden nicht entwickelt, denn sie stören eher das Wirtschaftswachstum und Bruttosozialprodukt. Wer dennoch etwas fühlen will, wirft sich Pillen, Drogen oder Therapeuten ein.

Etwas Ärmeren stehen obendrein Volkshochschulkurse zur Verfügung, frei nach dem Motto „Endlos glücklich“, erlernbar an zwei bis drei Woche nenden. Etwas Reichere fliegen zur siebten Erleuchtung nach Indien, und sobald wehende weiße oder orangene Gewänder angelegt sind, klappt’s auch mit dem Glücklichsein.

Trotz all dieser Wege zum einfachen Glück bleiben einige Menschen skeptisch – ein gutes Zeichen, dass das Hirn noch im eigentlichen Sinne funktioniert! Gratulation! Sie nehmen die wachsenden Zweifel am Selbst, am eigenen Tun, am eigenen Weg ernst und suchen nach Alternativen? Da kann ich Ihnen etwas anbieten…

Mein Leben bin Ich

Gleich vorab, Sie bekommen nichts umsonst, und sie werden sich höllisch anstrengen müssen, meinen Ausführungen kopfschüttelnd zu folgen. Und höchstwahrscheinlich werden Sie eine längere Zeit brauchen, Ihr Leben als Ihr eigenes wahrzunehmen. Zu lange schon richten wir uns nach anderen Propheten aller Art, die uns ihre Weisheit zu in der Regel deren Vorteil verkaufen wollen. Und nun plötzlich sollen Sie nichts mehr für andere tun oder zahlen, sondern sich um die eigene Entwicklung kümmern? Denn um mehr oder weniger geht es tatsächlich nicht. Sie sind Ihr Mittelpunkt, Sie sind Ihr Leben – und damit dieses gelingt, sollten Sie sich entsprechend entwickeln. Und wie – das erfahren Sie in diesem ersten Abschnitt „Mein Leben bin Ich“.

Das Sein im Fluss der Zeit

Wir sind wahrlich nicht die Ersten, die sich den Fragen rund ums Leben stellen! Rund um den Globus gab und gibt es Scharlatane und Wissenschaftler, die die wirklich wichtigen Fragen beantworten möchten – entweder im stillen Kämmerlein daheim, oder in überdimensionalen Kernforschungszentren. Es verwundert dabei nicht, dass entsprechend in jeder wissenschaftlichen Fachrichtung unterschiedliche Antworten gefunden wurden, die irgendwann durch neue Erkenntnisse überholt wurden und werden. Und wir können davon ausgehen, dass uns noch viele neue Erkenntnisse ins Haus stehen! Doch eins nach dem anderen!

Ein Knall aus dem Nichts

Der von uns erfahrbare Teil des Universums ist etwa 13,7 Milliarden Jahre alt, wenn wir der Urknalltheorie Glauben schenken. Die Größe hingegen lässt sich ganz und gar nicht bestimmen, allenfalls können wir etwas über den sichtbaren Bereich des Universums sagen: Er wäre eben diese 13,7 Milliarden Lichtjahre groß. Was noch weiter entfernt ist, wird bei Einsatz herkömmlicher Methoden unsichtbar bleiben.

Ähnlich ungewiss verlaufen alle Theorien zum Leben an sich. Physiker, Chemiker, Biologen, Philosophen entwickeln in unterschiedlichen Epochen unterschiedliche Theorien – von denen mit aller Wahrscheinlichkeit keine einzige überleben wird. Die Wahrscheinlichkeit, nach ein paar Jahren der Erforschung dieses Milliarden Jahre alten und großen Phänomens etwas Wesentliches erkannt zu haben, geht sicherlich gegen Null.

Unabhängig davon gab und gibt es interessante Ergebnisse aus allen Bereichen zu melden. Ein paar davon möchte ich Ihnen nun unmittelbar vorstellen.

Wie das Universum entstanden sein könnte

Da wir den Urknall bereits erwähnt haben, beginnen wir schlichtweg mit diesem. Wie bereits gesagt ist es eine Theorie (von mehreren), die allerdings heute eine breite Anerkennung in der Wissenschaft gefunden hat.

Der Urknall ist schlichtweg der Beginn unseres Universums, er bezeichnet die gleichzeitige Entstehung von Materie, Raum und Zeit. Es knallte also insbesondere nicht in einen Raum hinein, da dieser noch nicht bestand. Und es dürfte auch nicht geknallt haben, da Schallwellen ein Medium zur Ausdehnung brauchen.

Die Urknall-Theorie beschreibt darüber hinaus auch die ersten Gehversuche des neu geborenen Universums: Nach einem recht kurzen Luftholen (10-43 s), und sicherlich überrascht von der eigenen Existenz, dehnt sich das Universum rasch aus: der Uhrzeiger steht zwischen 10-33s und 10-30s, die Größe wuchs um den Faktor 1030 bis 1050 (das wäre etwas für unsere Masttierhaltung).

Anschließend brodelt es reichlich – Teilchen kommen und gehen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Universum bereits 10s alt. Die folgenden knapp drei Minuten nutzt das Universum, Wasserstoff, Helium und Lithium herzustellen – und sich weiter auszudehnen. Die folgenden rund 300.000 Jahre strahlt das Universum und dehnt sich weiter aus. Die Größe zu Beginn wird auf rund 10-3 der heutigen Größe geschätzt.

Und nun sind wir sozusagen bereits in der Neuzeit: Das bislang gasförmige Universum wird durchsichtig, da sich die Gasmassen in Galaxien konzentrieren – es entsteht sozusagen feste Materie der unterschiedlichsten Art. Dieser Prozess ist auch heute noch zugange, sollte auch für die nächsten Jahre andauern.

Und endlich entwickelten sich auch Strukturen, die in der Lage waren, das Alter des Universums zu schätzen: Wir gehen inzwischen von ungefähr 13,7 Milliarden Jahren aus – basierend auf der Rückrechnung der Expansion des Universums und einiger weiterer Annahmen. Etwas älter oder jünger – wir können damit leben.

Und nun kommt schwarze Magie ins Spiel

Wie Sie in der Schule leidvoll erfuhren, wird unsere Welt von Formeln und Gesetzen zusammengehalten. In der Regel gelten diese für einen gewissen Bereich des Beobachtbaren, und nicht selten schaffen sie neue Probleme – wie z.B. die Gravitationsgesetze.

Wir kennen ja unsere Galaxien hinreichend hinsichtlich derer Massen, um die Rotations-Geschwindigkeiten sichtbarer Sterne um deren Zentren zu berechnen. „Leider“ stimmen unsere Berechnungen nur in der Nähe der Galaxienzentren, in den Außenbereichen ist die Geschwindigkeit teils erheblich größer.

Was unsere Wissenschaftler dazu ermutigt, die Existenz „Dunkler Materie“ anzunehmen, deren Massen dann unsere (vielleicht völlig falschen) Gravitationsgesetze wieder ins Lot bringen. Es stört auch kaum, dass die Natur der „Dunklen Materie“ völlig unbekannt ist – dennoch vermutet man, dass es rund fünfmal mehr dunkle Materie als sichtbare Materie gibt.

Setzen wir noch eins drauf: Wie Sie in der Grundschule lernten, kann man Masse in Energie umwandeln und wieder zurück. So lässt sich schließlich das Universum als ein Masse/Energiebehälter sehen. Und jetzt kommt’s: Der Anteil „dunkler Energie“, ähnlich unbekannt wie dunkle Materie, beträgt 73 %. Es bleiben also nur rund 4,6 % des erfahrbaren Universums für unsere aktuellen Untersuchungen übrig – wahrlich nicht hinreichend, „allgemein gültige Naturgesetze“ zu postulieren.

Und es kommt nochmals schlimmer! Nach der Urknalltheorie expandierte das Universum recht zügig, mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit. Entsprechend erscheint es recht einleuchtend, dass weite Teile des Universums von uns niemals „gesehen“ werden können! Diese Brocken oder was immer es sein mögen entfernen sich ja viel schneller von uns, als dass es das Licht ausgleichen könnte. So werden wir von alldem niemals etwas erfahren - zumindest nicht mit unseren bisherigen Messmethoden, Gesetzen und Formeln. Irgendwie frustrierend, etwas Existierendes niemals sehen zu können – wir brauchen neue Formeln, die sicherlich auch kommen werden!

Handfeste Materie - ohne handfeste Beweise

Unser Wissensstand und dessen Verlauf hinsichtlich des „Großen“ findet Analoges im „Kleinen“! So untersuchten und untersuchen bis heute Wissenschaftler aller Herren Länder Materie und deren Aufbau.

Die alten Griechen begannen recht einfach: Alles war aus nur einem Element aufgebaut – infrage kamen sowohl Feuer, als auch Wasser, als auch Luft. Wir können das nachvollziehen, musste doch ein solcher Grundstoff hinreichend vorhanden sein.

Tiefere Analysen in Griechenland und anderswo konstruierten bereits komplexere Theorien, wie z.B. die Vier-Elemente-Regel, die den bereits berühmten Feuer, Wasser, Luft noch die Erde hinzufügte. Womit sich bereits nahezu abenteuerliche Möglichkeiten durch unterschiedliches Vermischen der Grundelemente ergaben.

Neben diesen auf Sinneswahrnehmung beruhenden Definitionen entwickelten sich fast schon moderne Konzepte: Neben einigen anderen ergab sich der uns bis heute bekannte Atombegriff. Danach war die Materie nicht unendlich teilbar, sondern bestand aus Atomen (also unteilbaren Teilchen), die in unterschiedlicher Anordnung alle anderen Stoffe ergeben (einschließlich der Seele). Wie gesagt, eine wirklich faszinierende Idee aus einer Zeit, in der man weit davon entfernt war, Atome auch nur hinreichend sichtbar zu machen.

Wir wissen es heute etwas besser: Die damals notierten Atome sind nicht unteilbar! Die älteren Leser des Buches werden sich erinnern, dass Sie viele Elemente mit jeweiligem Atomkern und Elektronen auswendig lernen mussten. So schwer das damals war, wir waren glücklich, geht es heute doch zusätzlich um Protonen, Neutronen, Nukleonen, Hadronen, Gluonen, Quarks – und ich möchte nicht wissen, welchen Qualen die Schüler in ein paar Jahren ausgesetzt sein werden.

Man streitet allerdings darüber, ob sich immer weitere Differenzierungen bestehender Teilchen finden lassen. Erwartungsgemäß gibt es Wissenschaftler, die davon überzeugt sind – und andere, die davon nicht überzeugt sind.

Wir stehen hinsichtlich der Erkenntnisse zum „Kleinen“ also vor demselben Dilemma wie beim „Großen“: Was Genaues weiß man nicht, außer dass sich alles, was wir zu wissen glauben, irgendwann ändern wird! Und es kommt noch schlimmer (frei nach Murphy)! Auch das Thema „Leben“ wirft mit jeder Antwort mindestens zehn neue Fragen auf. Schauen wir etwas genauer hin:

Das Leben erwacht

Eine der wirklich wichtigen, dabei absolut ungelösten Fragen der Menschheit ist das Rätsel um den Ursprung des Lebens. Natürlich können Sie diese Frage buddhistisch „war schon immer da“ erschlagen, aber nicht jedermann kann sich damit anfreunden. Weiterhin kennen Sie die verschiedenen Geschichten um einen wie auch immer gearteten Schöpfer, die allesamt aber eher Glauben als Wissen priorisieren.

Im Mittelalter gab man sich vorsichtig wissenschaftlich exakt! Immerhin begann man sich auf Beobachtungen zu begründen und so fand man den Ursprung des Lebens für Würmer im Käse, für Käfer im Kuhdung, erkannte Vorproduktion innerhalb faulender Materie. Zweifler sollten nach Ägypten gehen und sich dort die Scharen an Mäusen anschauen, die im Nilschlamm geboren wurden.

In der Mitte des 17. Jahrhunderts entdeckte man, dass jedes Tier aus einem Ei entschlüpft. Etwas später fand man, dass Fleischmaden aus Fliegeneiern wachsen. Und im 18. Jahrhundert fand man dann Spermien als notwendig für die Fortpflanzung von Säugetieren. Und man stritt weiter um Leben aus Leben oder toter Materie.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es neue Impulse: Das Leben auf der Erde kam als Panspermien, Mikroorganismen oder Sporen durchs All geschwebt - von Planet zu Planet, von Sonnensystem zu Sonnensystem. Was wir heute unmittelbar abwinken würden, kennen wir doch die recht kühlen Temperaturen im All, kombiniert mit Vakuum und unterschiedlichsten Strahlungen.

Fast schon neuzeitlich setzte sich bald mehr und mehr die Idee biologischer organischer Moleküle durch, weiter ging es über Nukleinsäuren, Zellen aller Art, DNA zu dem, was wir heute wissen. Und auch nicht wissen! Eines von vielen ungelösten Rätseln:

Erinnern sie sich an Ihre Zeugung: Sie fingen als einzelne Zelle an, irgendwann teilten Sie sich, wobei Sie alle bisherigen Informationen in die zwei Tochterzellen kopierten. Die zwei Tochterzellen teilten sich und übertrugen alle bisherigen Informationen an die nun schon vier Tochterzellen. Es ging weiter und weiter und weiter, wobei die identischen, in den Zellen enthaltenen Informationen, dann aber dazu führten, dass verschiedene Haarzellen, Hirnzellen, Muskelzellen und andere entstanden. Nur wie und wann? Gibt tatsächlich nur die räumliche Anordnung der Zellen (innen, außen, oben, unten, links, rechts im Zellkuddelmuddel) das selektierende Signal? Oder wissen die Dinger gar mehr als wir? Was ja keine ganz so große Sache wäre!

In jedem Fall differenziert man heute diese biologische Entstehung des Lebens in drei Phasen:

Nach der Bildung chemischer Elemente beim Erkalten der Erde führt eine gewisse chemische Evolution zu ersten organischen Verbindungen.

Aus Molekülverbänden bilden sich Zellen

Aus Zellen ergeben sich mittels irgendeiner Evolution lebende Organismen

Phase 1 können Sie selber nachweisen. Machen Sie es einfach wie Herr Miller 1953: Glasapparatur mit Uratmosphäre, ein paar Stunden elektrische Funken – im Kondenswasser finden Sie anschließend organische Substanzen, einschl. Aminosäuren. Mit etwas Glück finden Sie sogar erste Makromoleküle wie Nukleinsäuren, Proteine und Kohlenhydrate. Also keine große Sache…

Und auch die zweite Phase wurde inzwischen wiederholt mittels verschiedener Experimente nachgewiesen. So wurden z.B. aus einfachen wässrigen Lösungen formbeständige kugelartige zellengroße Gebilde geschaffen. Das könnten auch Ihre Vorfahren gewesen sein!

Bleibt die Phase 3 – die Sie aktuell live beobachten können.

Und auch wenn Wissenschaftler sich über die Reihenfolge der Phasen (natürlich) nicht einig sind – kommt die Phasenentstehung als solche sehr wohl infrage.

Das Leben wird kompliziert

Wir Menschen sind eine lose Sammlung von rund 1014 Zellen, wobei deren wesentliche Bestandteile vielleicht überraschend denen von Pflanzen- und Tierzellen ähnlich sind. So besteht jede Zelle typischerweise aus einem zentralen, üblicherweise runden Zellkern. Dieser wiederum ist von unterschiedlichem Zytoplasma (der Zellflüssigkeit) umgeben.

Jede lebende Zelle ist ein Wunder detaillierter und komplexer Architektur, die unter dem Mikroskop betrachtet, nahezu frenetische Aktivität zeigt. Schauen wir noch etwas genauer hin, erkennen wir, wie Enzyme rund 100 Moleküle pro Sekunde synthetisieren.

Wissen dazu ist genügend vorhanden: Man schätzt den Informationsgehalt einer einfachen Zelle auf etwa 1012 Bit, was rund hundert Millionen Seiten der Enzyklopädia Britannica entspricht. Eine jede Zelle weiß also mehr als wir alle zusammen! Kein Wunder, wenn die früheren Biologen bezweifelten, irgendwann hinter die Kulissen des Lebens zu blicken. Und es verwundert natürlich auch nicht, wenn man Götter aller Art als Ursachen unerklärter Phänomene erfand.

Hilfsweise erinnern Sie sich kurz an die Steinzeit, und stellen Sie sich vor, ein richtiger Neandertaler kommt mir einer nagelneuen Rolex daher - und er sagt Ihnen nicht, dass es eine Uhr vom Aldi ist. Sie schauen auf Ihre eigenen Werkzeuge und denken lange nach - und kommen zu dem Schluss, dass es da eine geheimnisvolle Kraft im Universum gibt, die diese Uhr gebaut hat. Ist doch klar, oder? Ebenso verstand man einst das Entstehen einer Blume, das Schlüpfen eines Kükens - immer hatte mindestens ein Gott seine Hände im Spiel.

Nach Isaac Newton und der Enttarnung einiger Planetenbahnen kam man auf die Idee, dass auch das menschliche Leben irgendwie berechenbar ist. Was zum damaligen Zeitpunkt natürlich kaum gutgehen konnte! So favorisierte man mangels besseren Wissens eine entsprechende „Lebenskraft“ als Antrieb hinter allem. Diese Kraft stellte also ein „catch the rest - System“ dar, für alles, was durch noch so komplexe Atome und Moleküle nicht unmittelbar erklärt werden konnte. Und natürlich kam diese „Kraft“ auch denen zugute, die ganz und gar nicht determiniert sein wollten.

Wir sind heute weiter, wenn auch nicht viel weiter. Bei dem, was wir über Zellen wissen, können wir uns überglücklich schätzen, aus ebensolchen zusammengesetzt zu sein! Und auch wenn wir lange nicht alles über Zellen und das Leben wissen, ist die Akzeptanz des Unwissens noch immer besser, als diese Unwissenheit einer geheimnisvollen Kraft unterzujubeln.

Ich denke, dies ist eine wichtige Erkenntnis, die uns in jedem Fall näher zu unserem Selbst bringt, uns ähnlicher zu anderen macht - und nicht Feinde definiert, weil man richtigen und falschen Göttern huldigt. Wir kommen wirklich nicht umhin festzuhalten, dass wir viel mehr gemeinsam haben (z.B. viele Milliarden Jahre Evolution), als wir Unterschiede aufweisen (Haarfarbe). Es sollte uns entsprechend etwas Besseres einfallen, als uns gegenseitig die Lebensgrundlagen direkt und indirekt wegzunehmen! Bei unserer Intelligenz! Andere Organismen sind da schon weiter:

Leben unter extremen Bedingungen

Sie kennen ein paar der ökologischen Nischen auf der Erde - und fast überall finden Sie die eine oder andere Form von Leben: Die Alge Cyanidium caldarium fühlt sich in heißen, konzentrierten Schwefelsäure-Lösungen wohl. Andere Bakterien, Algen und Pilze leben in extremen Laugen oder Säuren, oder in angenehm warmen Quellen mit Temperaturen über 90“ C. Sie finden weiter Organismen mit eingebautem Frostschutzmittel und Enzyme, die im Eis aktiver sind als im Wasser.

Einzeller können nahezu unendlich tiefgefroren werden (flüssige Luft ist kein Problem), nach dem Auftauen geht das Leben weiter. Wir und die meisten unserer warmblütigen Verwandten mögen es mehr komfortabel und konstant, daher regulieren wir unsere Eigentemperatur selbst. Und wir brauchen Wasser oder ähnliche Flüssigkeiten. Doch auch das ist kein Muss, wenn es ums Leben geht. So besitzen die Känguru Ratte und der Getreidekäfer kein eigenes flüssiges Wasser. Das was diese zum Leben brauchen, entnehmen sie dem beim Stoffwechsel anfallenden Wasser. Oder nehmen wir das spanische Moos, das gern auf Telefonleitungen wohnt. Hier gibt’s kein Grundwasser - und auch keine Schläuche dorthin, also wird das Wasser gleich der Luft entnommen, die zugegeben etwas feucht sein sollte. Und noch ein Trick: Pflanzen, die in Wüsten oder ähnlich trockenen Gegenden leben, entwickelten ein weit verzweigtes Wurzelsystem.

Organismen wurden in allen Höhen und Tiefen gefunden, jeweils mit entsprechenden Anpassungen ausgerüstet. Bakterien und Pilzsporen wurden in der Stratosphäre gefunden. Vögel fliegen in 10.000 m Höhe, Springspinnen erkletterten ebenfalls den Mt Everest. Doch auch nach unten gibt’s keine Grenzen: Mikroorganismen, Fische und eine Vielzahl an Mehrzellern wurden in vielen Hundert Metern Meerestiefe entdeckt, wo der Wasserdruck uns Menschen mehr als Kopfschmerzen bereiten würde. In diesen Tiefen herrscht Dunkelheit, doch die größeren Organismen zeigen einzigartiges Phosphorleuchten. Mit dem sie sich voneinander unterscheiden können, aber mit dem sie möglicherweise auch Futter anlocken können.

Das Leben hat sich hin und wieder auch an Strahlungen aller Art angepasst. Während ein paar Mikroorganismen nicht einmal eine kleine Dosis ultravioletten Sonnenlichts vertragen, fühlt sich die Bakterie Pseudomonas radiodurans im starken Neutronenstrom eines Pool-Reaktorkerns am wohlsten und verärgert damit die Nuklearphysiker.

Die Größe der Lebewesen auf unserer Erde variiert ebenfalls beträchtlich! So beträgt der Durchmesser des kleinsten frei lebenden Organismus auf der Erde, PPLO, ungefähr 1.000 Angström, also gerade mal ein 10-7 Meter, also ein zehn millionstel Meter, also wirklich klein. Wale sind da etwas größer…

Und das Leben kann sozusagen alles essen, eingeschlossen Formaldehyd und Petroleum. Und das Leben kann auf Sauerstoff verzichten und wird gelegentlich von diesem sogar getötet. Der Wassergehalt ist ebenfalls variabel und schwankt von etwa 50 % bis 90 %. Und wie bereits erwähnt, bedient sich das Leben unterschiedlichster Chemiefabriken zur Herstellung oder Nutzung von Aminosäuren, Stickstoff, Schwefel, Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Phosphor, Soda, Kalzium, Eisen. Und das war erst der Anfang!

Verhalten und sensorische Fähigkeiten

Betrachten wir als letztes ein paar der mehr komplexen Anpassungen an die Umgebung: Verhaltensmuster und unsere Sinne. Die zur Entwicklung und Nutzung dieser Anpassungen notwendigen Informationen befinden sich verschlüsselt in den Nukleinsäuren.

Damit kann dann u.a. ein Vogel, der allein aus einem Nest schlüpft, wenn es an der Zeit ist, fliegen, ein charakteristisches Nest bauen, und sich mit Rivalen streiten. Vögel, die sich hinreichend fehlerhaft verhalten, werden sich kaum vermehren können. Vielleicht werden sie nicht beachtet, vielleicht fällt das Ei durchs Nest, vielleicht können sie nicht einmal fliegen.

Ratten, die leicht durch Irrgärten schlüpfen, können ohne Probleme gekreuzt werden, ohne ihre Fähigkeiten zu verlieren. Ratten, die nicht so ohne weiteres durchkommen, erzeugen entweder clevere oder dumme Nachkommen.

Wir Menschen nutzen nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten elektromagnetischen Bereichs, unser sichtbares Licht. Dieses reicht ungefähr von 4.000 bis 7.000 Å Wellenlänge. Viele Pflanzen und Tiere erkennen diesen Bereich ebenfalls, allerdings ist deren Spektrum oftmals breiter. Die meisten der Insekten nutzen ultraviolettes Licht, unter 4.000 Å. Was wiederum von vielen blühenden Pflanzen ausgenutzt wird, indem diese Muster zeigen, die nur in ultraviolettem Licht gesehen werden können. Honigbienen bedienen sich zur Richtungsbestimmung polarisierten Lichts an bewölkten Tagen, für unsere Augen ist dieses ohne technische Hilfsmittel nicht wahrnehmbar. Die Grube der Grubenvipern und Klapperschlangen ist ein Infrarot-Empfänger. Mit diesen spüren sie ihre Opfer aufgrund deren Wärmestrahlung auf. Für uns Menschen sind diese Möglichkeiten nicht gegeben.

Wir können ähnliche Aussagen zum Hören notieren! Hunde hören erheblich höhere Töne als wir, und Fledermäusen erzeugen und hören gar 100.000er Frequenzen (rund 5-mal so viel wie ein gut hörender Mensch). Im Übrigen nutzen Fledermäuse diese Frequenzen bereits Millionen Jahre, bevor wir Menschen das Radar „erfanden“. Aber auch die Motten als Opfer der Fledermäuse ließen sich etwas einfallen: Ihre Audio-Empfänger sprechen nur auf die Signale der Fledermäuse an - und das möglichst rasch! Delphine hören bekanntlich sehr gut und nutzen unterschiedliche Kommunikations-Kanäle. Haie und andere Räuber lokalisieren ihre Beute über die niederfrequenten Töne, die diese in Not verursachen. Einige Tiere entwickelten obendrein spezielle Organe fürs Empfangen oder Übertragen von Tönen. So wie z.B. die europäische Grille, die über eine relativ große Parabolantenne auf dem Rücken verfügt.

Viele Organismen riechen und schmecken, was dem Erkennen spezieller chemischer Moleküle entspricht. Eine extreme Spezialisierung auch hierzu: Die männliche Seidenraupen-Motte riecht nichts außer das Weibchen (Sie wissen was ich meine). Und der Herr braucht wirklich nicht viel von dem Stoff: 40 Moleküle pro Sekunde auf die Antenne, und dann wird bis drei gezählt…

Neben all den üblichen Sinnen besitzen Lebewesen noch vereinzelt spezielle Sinne! Wir Menschen können uns halbwegs orientieren, wenn wir nicht betrunken sind. Wasserskorpione messen den Wasserauftrieb, viele Pflanzen erkennen die Erdanziehung. Feuerfliegen und Tintenfische kommunizieren mit ihren Artgenossen über Lichtmuster auf ihren Körpern.

Das Leben auf unserer Erde ist und bleibt ein Wunder! Und im Grunde wird dieses Wunder umso größer, je mehr wir darüber wissen. Und da wir mehr oder weniger erst am Anfang stehen, steht uns noch eine Menge Wunder ins Haus! Schon allein auf der Erde, die nun wirklich nicht das Zentrum der Welt darstellt.

Und mehr nicht?

Vielen Leuten ist das unter dem Strich zu wenig: Evolution und Zellen als das Leben detailliert erklärende Begriffe! Sie brauchen mindestens einen Gott, suchen im Universum nach Energy Balls, Channeln in Zweifelsfragen mit den Plejaden und vieles mehr. Ich denke, das alles kann man heutzutage getrost abwinken.

Tatsächlich schauen wir heute wirklich etwas tiefer ins Leben - es bedarf keines „catch the rest“ Prinzips mehr. Das Wunder, das sich mit den Zellen und deren Steuerung schon jetzt offenbart, ist ganz real, berechenbar, nachweisbar und vermag unser Leben hinreichend zu erklären. Und dabei stören nicht einmal die verbliebenen Fragen nach dem Urknall oder den Urknallern und was davor war, nach Gott und wer ihn wann und warum geschaffen hat, und warum er nicht etwas mehr Zeit gelassen hat mit dem Menschen, dann wäre vielleicht etwas Vernünftiges dabei herausgekommen.

Wie gesagt, die Erkenntnis nicht alles zu wissen, ist ja kein Beinbruch - eher eine Auszeichnung und ein eventueller Ansporn für weitere Forschungen. Lassen Sie uns entsprechend noch kürz über einen anderen Tellerrand blicken!

Sind wir allein in der Welt?

Wenn wir über unser Leben schon recht wenig wissen, über ein mögliches außerirdisches Leben wissen wir noch weniger: quasi gar nichts! So ist es unbekannt, wie lebende Systeme irgendwo da draußen überhaupt aussehen könnten! Und es ist unbekannt, welche Eigenschaften diese Lebewesen haben müssten, und ob sich diese ebenfalls durch Selektion herausgebildet haben. Kurz, wir wissen nichts! Entsprechend würde das Auftauchen auch nur eines einzigen, überaus einfachen außerirdischen Lebens unsere gesamte Biologie revolutionieren. Und wahrscheinlich nicht nur unsere Biologie…

Wir wollen noch wirklich kurz die Möglichkeiten und Probleme der Suche nach außerirdischem Leben ansprechen. Dabei finden wir unmittelbar die erste Schwierigkeit der unterschiedlichen Definitionen des Lebens. Jede dieser Definitionen bedingt eine andere Suche nach physiologischen Funktionen, stoffwechselähnlichen Aktivitäten, speziellen Nukleinsäuren, Vermehrung, Mutationen.

Werfen wir auch einen kurzen Blick auf die Chemie: Das Leben auf der Erde braucht Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Sauerstoff und mehr. Nur wissen wir auch wieder nicht, ob diese Elemente notwendige Voraussetzungen jeden Lebens außerhalb unseres Systems darstellen. Wir wissen nicht einmal, ob es hinreichende Voraussetzungen sind. Ob sich also selbst bei einem chemisch der Erde vergleichbaren Planeten dasselbe Leben entwickeln würde, oder ein ähnliches, oder gar keines.

Wir können es also drehen und wenden, wie wir wollen, aber wirklich Konkretes zum Leben außerhalb unserer Erde können wir nicht sagen.

Und damit können wir bereits unsere wesentlichen Erkenntnisse des bisher Gesagten zusammenfassen: Wir wissen nichts! Universum so gut wie unbekannt, Atome werden immer teilbarer, jede einzelne unserer Zellen weiß mehr als wir selber. Ein Wunder, dass wir überhaupt etwas erkennen können. Doch können wir das wirklich?

Die Endstation des Denkens

Wir wollen ganz einfach beginnen - mit einem kleinen Ausflug in unsere griechische Geschichte. Aus dieser wurde das sogenannte Höhlengleichnis überliefert:

Das Höhlengleichnis

Stellen Sie sich eine unterirdische höhlenartige Behausung vor, in der Menschen seit ihrer Geburt als Gefangene leben. Damit sie nicht weglaufen können, sind ihre Beine angebunden. Und um sie nicht einmal auf dumme Gedanken zu bringen, ist auch ihr Kopf derart gebunden, dass sie ihn nicht drehen können. So sehen sie weder andere Gefangene, noch den breiten Gang hinter ihnen, der unmittelbar zur Erdoberfläche führt. Das einzige was sie sehen, ist also die Wand vor ihnen.

Zum Glück ist es nicht auch noch finster in der Höhle, denn von der Erdoberfläche scheint ein großes Feuer herein. So sehen die Gefangenen dieses Licht auf der Wand, und darauf ihre eigenen Schatten.

Kurz vor dem Höheneingang befindet sich eine kleine Mauer, nicht hoch genug, das Feuer abzuschirmen. Entlang dieser Mauer tragen Menschen verschiedene Gegenstände hin und her, die über die Mauer hinausragen, während die Träger selber verborgen bleiben. Ein paar der Träger sprechen miteinander, andere nicht.

Die getragenen Gegenstände werfen ihre Schatten auf die Wand vor den Gefangenen, nicht aber die Träger – so sehen die Gefangenen also nur die Schatten der getragenen Gegenstände, von den Trägern selber ahnen sie nicht einmal etwas. Die gesprochenen Worte werden von den Gefangenen den Schatten zugeordnet, insbesondere da das Echo in der Höhle direkt von ihrer Wand erzeugt wird. Es erscheint also ganz klar: Die Schatten sind sprechende Lebewesen, die sich hin und her bewegen können.

Die Gefangenen haben kaum etwas zu tun, so entwickeln sie eine Wissenschaft der Schatten, versuchen Gesetzmäßigkeiten zu entdecken, versuchen Formeln zu entdecken - und wer die besten Vorhersagen macht, wird gelobt. Also alles wie im tatsächlichen Leben üblich!

Nun kommt’s: Stellen Sie sich vor, einem der Gefangenen gelingt es, sich zu befreien. Und er schaut zum ersten Mal in Richtung Höhlenausgang. Klar wäre er zunächst geblendet und verwirrt vom noch entfernten Licht – und sicherlich würde er die nun wirklich sichtbaren Gegenstände nur verschwommen wahrnehmen, hielte sie also als weniger real, als deren Schatten auf seiner vertrauten Wand. Im Ergebnis würde er sich höchstwahrscheinlich wieder auf seinen Stuhl setzen, freiwillig (und fester) anbinden und langsam von seinem Schrecken erholen.

Nun noch mehr Freiheit: Irgendjemand befreit den Gefangenen gegen seinen Willen und trägt den wild um sich Schlagenden in die Freiheit, direkt neben das Feuer oder unter direkte Sonneneinstrahlung. Die an die Höhle angepassten Augen würden zunächst nichts mehr sehen, doch seine Augen würden sich anpassen. Der Gefangene würde nach und nach die Gegenstände klar erkennen, die Menschen, die die Gegenstände hin und her tragen. Klar könnte er irgendwann den Nachthimmel, dann den Taghimmel und letztlich vielleicht mit viel Mut die Sonne direkt anschauen. Vermutlich könnte er begreifen, dass die Sonne Schatten erzeugt und Wärme – also wenn das so ist, ginge er nicht mehr in die Höhle zurück!

Er hätte dort keine leichte Zukunft mehr: Seine Augen würden kaum etwas sehen können – entsprechend würde er bei den beliebten Schattenspielen mehr als schlecht abschneiden. Wofür es nach Meinung der Höhlenbewohner nur einen Grund geben kann: Er hat sich da draußen die Augen verdorben – und sicherlich wäre niemand bereit, den Weg nach draußen zu gehen. Und wollte man sie befreien wie ihn, dann würden sie sich mit allen Möglichkeiten zur Wehr setzen.

Was Platon uns über Sokrates sagen ließ

Die Höhle stellt natürlich die Welt dar, die sich unseren Sinnen erschließt. Sie versinnbildlicht unsere normale Umgebung, unseren Alltag, unser Leben – alles andere interessiert uns nicht sonderlich.

Der Aufstieg ans Licht entspricht nach Platon dem Aufstieg der „Seele“ vom Vergänglichen zum „Nur-Geistig-Fassbaren“. Unter diesem nimmt die „Idee des Guten“ den höchsten Rang ein – im Höhlengleichnis gespielt von der Sonne. Und diesen Rang sollte man erreicht haben, um im öffentlichen oder privaten Leben vernünftig handeln zu können (gäbe es dann noch heutige Politiker?).

Die Deutungen und Interpretationen gehen noch erheblich weiter, sind für unsere Zwecke hier aber nicht wirklich relevant. Lassen Sie uns lieber nun untersuchen, in welcher Höhle wir leben!

Welche Höhle hätten Sie gern?

Gleich vorab, welche Höhle Sie auch immer bevorzugen, zum Licht wird es nicht reichen. Dazu ist unser Wissen in allen Fällen einfach zu gering. Doch es gibt in jeder Höhle Vor- und Nachteile, die Sie sich anschließend bitte anschauen. Und dann suchen Sie sich was Nettes aus!

Fallibilismus

Der Fallibilismus (nicht zu verwechseln mit dem Kannibalismus) kommt recht komfortabel daher: Danach kann es keine absolute Gewissheit geben, Irrtümer lassen sich entsprechend niemals ausschließen. Es folgt daraus unmittelbar, dass es kein „oberstes Ziel“ etc. geben kann (das wäre das Ende des Fallibilismus‘). Der gängige Weg ist es also, Überzeugungen, Meinungen, Annahmen usw. immer wieder auf Irrtümer zu überprüfen und von Zeit zu Zeit durch Verbesserungen zu ersetzen.

Da Irrtümer auftreten können, wird die Existenz einer (sogar absoluten) Wahrheit angenommen, auch wenn wir diese weder erkennen, noch jemals erreichen werden. Aber wie wir bereits wissen: Der Weg ist das Ziel! Anhänger für diese Höhlenrichtung finden sich von der Antike bis zur heutigen Zeit. Wenn Sie nach Herrn Popper googeln, werden Sie viele Einrichtungsgegenstände für diese geräumige Höhle finden.

Relativismus

Den Relativismus kennen wir alle bereits aus unserer Grundschulzeit: „Alles ist relativ“ war bei uns hin und wieder der Pausenspruch der Woche!

Etwas genauer, dennoch hinreichend salopp, geht es beim Relativismus darum, dass die Wahrheit von Aussagen grundsätzlich bedingt ist. Was wiederum meint, dass jede Aussage auf Bedingungen aufbaut, deren Wahrheit ihrerseits ebenfalls auf Bedingungen fußt, usw. usf. Insbesondere gibt es weder eine absolute Wahrheit am Ende der Kette (sonst wären die folgenden Kettenmitglieder ebenfalls wahr oder falsch). Unmittelbar aus der nicht vorhandenen absoluten Wahrheit folgt, dass es auch keine absolute ethischen Werte geben kann.

Unsere übliche Wissenschaft kann diesen Relativismus veranschaulichen. Nehmen Sie dazu einfach eines der üblichen physikalischen Experimente, das nur unter sattsam bekannten Bedingungen funktioniert. Jede der Bedingungen stellt ihrerseits ebenfalls wieder ein Objekt dar, das weiteren Bedingungen unterliegt. Alle physikalischen Experimente sind also mehr als hinreichend relativ. Warum müssen unsere Kids so etwas lernen?

Auch unsere persönlich erfahrenen Wahrheiten sind relativ, da unmittelbar abhängig von unserem Elternhaus, Schule, Gesellschaft, etc. Wenn wir lernen, dass die Erde eine Scheibe ist, dann ist die Erde für uns eine Scheibe. Wenn andere Leute lernen, dass die Erde eine Kugel ist, dann ist die Erde nun eine Kugel – die gelegentlich gar das Zentrum des Universums verlässt.

Zu Dualismus und Trialismus als Folgerungen des Relativismus können Sie googeln. Erwähnenswert hier vielleicht noch, dass sich relativistische Tendenzen auch in Konstruktivismus, Poststrukturalismus und Pragmatismus wiederfinden.

Letztlich noch ein Hinweis auf unser Jahrhundert: Papst Benedikt XVI mag den Relativismus ganz und gar nicht! Er stellt den „um sich greifenden Relativismus“ an den Pranger (zum Glück kann er ihn heute nicht einfach verbrennen), beklagt eine „Diktatur des Relativismus“ (als Konkurrenz zur Diktatur der Kirche?), die nichts als definitiv anerkenne…

Was ist so schlimm daran, seine eigene Person, seine Meinungen und Überzeugungen infrage zu stellen? Womöglich gar neue Wege zu gehen, ob sie falsch oder richtig oder relativ sind? Sind wir als „Ebenbild Gottes“ nicht in der Lage dazu? Ich frage mich wirklich, welchen Sinn es macht, seine eigenen Erfahrungen infrage zu stellen (zu relativieren), gleichzeitig etwas Unerfahrbares (Gott oder ähnliches) nicht infrage zu stellen. Womöglich hatte Nietzsche relativ recht?

Nihilismus

Der Nihilismus wird Ihnen gefallen: Eine absolute Orientierung, die keinerlei Seins-, Erkenntnis-, Wert- oder Gesellschaftsordnung anerkennt. Alles ist möglich – es lebe das Chaos! Bekannt wurde der Begriff über russische Anarchisten (natürlich die Russen), die sich selbst Nihilisten nannten. Unser guter Friedrich Nietzsche übernahm den Begriff im Sinne der Entwertung der obersten, sinngebenden Werte einer zivilisierten Gesellschaft.

Nietzsche klagte insbesondere die christliche Religion als nihilistisch an, da das Christentum die physische Welt zugunsten eines nicht existenten, erdachten Ideals ablehne. Der Sitzplatz im Himmel ist wichtiger als das tägliche Leben in seiner Realität. Aber wie wir wissen, alles relativ: Heute gilt Nietzsche selbst als Nihilist. Man kann mit uns machen, was man will…

Etwas seriöser nun die relativ genauen Richtungen des Nihilismus heute:

Man verneint die Existenz einer Wirklichkeit

Man verneint die Geltung eines Sittengesetzes

Man verneint die Existenz irgendeiner Wahrheit

Derart scharfe Aussagen rufen unmittelbar die Höhlenbewohner anderer Höhlen auf den Plan! So meint Popper, dass man sich zumindest Teile seines Lebens sinnvoll gestalten kann – das ganze Leben kann also nicht sinnlos sein, muss es zumindest nicht.

Auch der einfache Einwand, dass wenn es keine Wahrheit gäbe, könne ja auch der Nihilismus kaum gelten, ließ nicht lange auf sich warten.

Darauf wiederum lässt sich erwidern, dass alle üblichen Weltanschauungen, die irgendwelche Annahmen bedingen, unmittelbar in sich zusammenfallen, wenn die Annahmen entfallen oder sich ändern. Wie auch immer, ein gewisser Skeptizismus erscheint angebracht, ob der vielen sich wiedersprechenden Theorien!

Skeptizismus

Nun sind wir bei den Höhlenbewohnern, die relativ häufig recht grimmig daherkommen. Für sie ist der Zweifel erstes Prinzip des Denkens und je nach Intensität des Gesichtsausdrucks ist die Erkenntnis von Wahrheit und Wirklichkeit infrage gestellt oder gänzlich ausgeschlossen.

Alle Skeptiker gehen davon aus, dass es keine wesentlichen Wahrheiten gibt, die so offenkundig sind, dass sie nicht bewiesen werden müssen. Im Gegensatz zur Konkurrenz, die grundsätzlich die notwendigen Voraussetzungen (trivialerweise) als gegeben annimmt, wird bei den Skeptikern echt alles versucht zu beweisen. Was wiederum nicht ohne Annahmen auskommt, die ihrerseits (sie werden es erwarten) erst noch bewiesen werden müssen.

Zu beachten ist, dass es Skeptikern egal ist, ob es etwas an sich Wahres gibt. Diese Leute kümmern sich im Wesentlichen um die Möglichkeit der sicheren Erkenntnis eines Wahren, sollte es denn existieren.

Auch Skeptiker gab es zu allen Zeiten (das bedarf keiner weiteren Erklärung)! Wahrscheinlich hätte Ihnen Sextus Empiricus gefallen der u.a. das leider wenig bekannte Werk „Gegen die Mathematiker“ schrieb. In elf Bänden, er mochte Mathematiker wohl nicht!

In den folgenden Jahren ließ die Kirche kaum noch wirklichen Skeptizismus zu, wollte man sich nicht als Ketzer verbannt oder verbrannt erfahren. Doch die Aufklärung ließ einen breiten Skeptizismus aufkommen.

David Hume begründete systematisch, dass alle Bewusstseinsinhalte des Menschen auf sinnlichen Wahrnehmungen beruhen. Und damit nicht genug, Hume führte weiter aus, dass alles Erkennen nur in Verknüpfungen von Bewusstseinsinhalten entstehe, von denen der Mensch nicht wisse, ob bzw. was diesen in einer möglicherweise vorhandenen Wirklichkeit entspräche. Die Existenz oder zumindest deren klare Erkennbarkeit materieller Dinge war also zweifelhaft.

Auch Immanuel Kant sah die Fragen und Antworten zu Gott, Willensfreiheit, Seele und deren Unsterblichkeit eher skeptisch. Man könne diese nicht wirklich erfahren, allenfalls glauben – und das muss nicht immer genug sein. Im Gegensatz zu Hume ließ Kant es aber durchaus zu, dass Dinge an sich existieren – gern auch außerhalb des menschlichen Bewusstseins. Er kam Hume insofern wieder näher, dass auch Kant davon ausging, dass unsere Erfahrung der Dinge nicht unbedingt die Dinge selber sind. Was insbesondere nahe lag, wenn zum Aufspüren von Dingen Experimente und logisches Schließen nötig sind. Kant priorisierte die Mathematik als Wissenschaft, bezweifelte nahezu alles, was nicht mathematisch nachweisbar war. Wirkliche Wissenschaft fußte also auf Logik und Mathematik. Das auf menschlicher Erfahrung basierende „Vermutungswissen“ basiert auf nicht immer zuverlässigen Vermutungen: Mangelnde oder eingeschränkte Erfahrung, unsere auch heute noch eingeschränkten Sinnesorgane können uns relativ viel vorgaukeln. Und dazu bedarf es nicht einmal Alkohol oder anderer Drogen, wie Ihnen der nächste Abschnitt zeigen wird.

Erkenntnistheorie bis heute

Sie kennen unsere Wissenschaftler, sie tüfteln und tüfteln und tüfteln. Und so werden Sie sich nicht wundern, dass es einen sogenannten Neukantianismus gibt, nach dem als Erkenntnis nur solches Wissen gilt, das absolut wahr, unwiderlegbar und unzweifelhaft ist. Es bleibt nicht mehr viel bzw. gar nichts übrig, da alle unsere heutigen Fast-Erkenntnisse eine Kette von Fast-Erkenntnissen sind – echte Erkenntnisse seien also nicht möglich.

Leicht erhärtet wird dieser Ansatz von einem kleinen Gedankenexperiment: Ein begabter Wissenschaftler entnimmt einem Menschen dessen Hirn, setzt es in eine Nährlösung und verbindet es mit einem Hochleistungs-Computer, aus dem das Gehirn fortan seine Impulse erhält. Dieses Hirn wird es nicht merken – und womöglich würde es sich wohler fühlen, als zu eher menschlichen Zeiten.

Und vielleicht tragen die Computer eine Hauptschuld daran, dass Erkenntnistheorie insgesamt unwichtiger wurde. Dass man mehr und mehr Antworten bei den Naturwissenschaften suchte, die ja nun mithilfe von Großcomputern vieles simulieren und auch einiges beweisen konnten. So wurde „Willensfreiheit“ ein Thema für Neurologen oder Chaostheoretikern, fortan erklärten Physiker wie Stephen Hawking die Welt. Immerhin konnte sich die Erkenntnistheorie in allen das Gehirn bzw. den Geist betreffenden Fragen behaupten. Ein paar dieser Fragen wollen wir nun abschließend beantworten.

Raum, Zeit und Kausalität als Muster unseres Hirns

Ging man zu Kants Zeiten noch davon aus, dass Raum, Zeit und Kausalität von vornhinein existieren, sie sogar notwendig sind, bevor wir in ihnen nachdenken, geht man heute davon aus, dass Raum, Zeit und Kausalität nicht ganz so bedeutend sind. Es sind lediglich auf Erfahrung und Lernen basierende Wahrnehmungsmuster unseres Hirns, deren Nutzung sich im Laufe der Evolution als praktisch erwiesen haben. Zu Deutsch: Raum, Zeit und Kausalität existieren nicht wirklich, zumindest nicht so, wie wir diese sehen. Sie sind allenfalls unser Überleben erleichternde Hirnelemente.

Für Ursachen, Wirkungen und ähnliche Ideen lässt sich das unmittelbar erkennen: Es braucht ja zunächst „Sprache“, um Dinge zu analysieren und miteinander in Bezug zu setzen. Doch hinsichtlich Raum und Zeit müssen wir uns etwas einfallen lassen.

Stellen Sie sich dazu vereinfachend unsere übliche Welt (wie immer eine solche im Absoluten auch daherkommen könnte) ohne die Kategorie „Distanz“ vor - womöglich bappt alles irgendwie aneinander. Und nun gehen Sie mit der Steinschleuder auf die Jagd. Womöglich treffen Sie eher Ihre Angehörigen als die gewünschte Beute – Zielen ist ja nicht! Doch Ihr Nachbar kennt „Distanzen“ schon, damit kann er zielen und treffen – und sicherlich einfacher überleben als Sie.

Sein Hirn, das „Distanzen“ kennt, muss nun nur noch nach oben blicken (vorne und links war schon), und damit ist der erste Raum aufgetan.

Mit der Kategorie „Zeit“ verhält es sich analog. Die Fähigkeit, „zeitliche“ Strukturierungen im Hirn abzubilden, erleichtert unser Überleben ebenfalls. So können Sie leicht dreißig Termine und mehr hintereinander legen – ohne Zeitfunktion im Hirn könnten Sie allenfalls einen Termin planen und den nur jetzt sofort. Ihre Frau muss Ihnen also ständig das Frühstück, Mittag- und Abendessen servieren? Das kann nicht lange gutgehen…

Unabhängig davon, wie unser Hirn die Muster Raum und Zeit letztlich intern abbildet, haben wir keine Ahnung davon, wie Raum und Zeit in einem möglicherweise vorhandenen Absoluten tatsächlich aussehen könnten. Möglich ist dabei wohl alles:

Raum und Zeit existieren überhaupt und ganz und gar nicht! Ein Super-Computer gaukelt das alles nur einem an ihn angeschlossenes Hirn vor.

Es ist alles so, wie es uns erscheint! Die wirklich mikroskopische Wahrscheinlichkeit dafür kann heutzutage wohl ausgeschlossen werden.

Wir erkennen einen unbestimmbaren Teil des Absoluten – was der heutigen allgemeinen Tendenz entspricht.

Suchen Sie sich was Nettes aus – Ihr Hirn kommt damit so oder so zurecht. Und es kann noch mehr:

Raum, Zeit und Kausalität sind flexibel

Spätestens, wenn Sie mit Ihrem Partner diskutieren, wer Schuld am recht roten Bankkonto hat, werden Sie eine rasch wechselnde Kette von Ursache und Wirkung feststellen können. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass es nicht gleich bis zur Scheidung führt.

Aber auch hinsichtlich des Zeitbegriffs ist unser Hirn flexibel! Unabhängig von der wissenschaftlich „bewiesenen“ Relativität der Zeit erfahren wir diese Relativität auch im tatsächlichen Leben: Mal verrinnt die Zeit wie im Flug (z.B. beim Schreiben von Examensarbeiten), dann wieder dehnt sie sich nahezu endlos (beim Warten auf verspätete Züge). Unser Hirn interpretiert die Zeit also unterschiedlich, eine rein mechanische Uhr kann da nicht mithalten.

Ein ähnliches Phänomen können Sie selbst hinsichtlich des Raumes erfahren: Radeln Sie mal einen steilen Berg hinauf! Dieser wird Ihnen beim ersten Versuch unendlich steil vorkommen, beim zweiten oder dritten Versuch nur noch beinahe unendlich steil. Und dann geschieht das Wunder: Der Berg verflacht merklich, je einfacher Sie den Gipfel erklimmen! Das sind zumindest meine persönlichen Erfahrungen – bleibt zu hoffen, dass es irgendwann beim Radeln in meinen Bergen nur noch bergab geht.

Unsere Umwelt wird also von unserem Hirn nützlich fürs Überleben flexibel abgebildet. Und tatsächlich kann unser Hirn noch viel mehr als das, womit wir bei unserem vielleicht wichtigsten theoretischen Abschnitt angekommen wären.

Unser Hirn kann noch vieles mehr

Unser Hirn besitzt zweifellos bemerkenswerte Fähigkeiten ganz unterschiedlicher Güte. Offensichtlich lernen wir zu sprechen, ein paar von uns lösen mathematische Probleme, spielen Schach und Go, oder malen Bilder, auf denen man etwas erkennen kann. All das soeben Gesagte steht nach der Geburt noch nicht zur Verfügung, wird also irgendwie später erlernt.

Gut, wir können auch noch nicht laufen, springen, radeln – wird ebenfalls erlernt, wie mit Messer und Gabel zu essen, Abwaschen ohne das Geschirr zu zerbrechen, Abfall runterbringen, ohne die Hälfte im Treppenhaus zu verlieren. Alles kein Problem für unsere feingetunten motorischen Fähigkeiten.

Wie aber steht’s um unsere Gefühle? Wie werden wir achtsam oder auch nicht, was überzeugt uns, macht uns nachdenklich, glücklich und unglücklich, was bereitet uns gar Schmerz – kurz, woher kommen unsere bisher sogenannten mentalen Zustände? Geist oder auch „nur“ Hirn?

Ja, es ist wie Sie befürchten: Alles nur Hirn – zwar andere Abteilungen, aber Hirn. Nehmen Sie z.B. den sogenannten Phantom-Schmerz her. Das Bein ist weg, schmerzt aber noch immer. Käme der Schmerz aus dem Bein, müsste auch er weg sein. Doch da tatsächlich der Schmerz im Hirn erzeugt wird, kann dieser spezielle Schmerz noch eine Zeitlang aktiv sein.

Warum empfinden wir überhaupt Schmerz? Na, darüber können wir mehr als froh sein: Rennen Sie testweise mit dem Kopf gegen die Wand – Sie werden Schmerz empfinden und nicht mehr allzu häufig gegen die Wand laufen (vorausgesetzt Ihr Hirn ist lernfähig).

Mehr und mehr vormals „psychische“ Probleme werden mittlerweile seitens neurologischer Untersuchungen lokalisiert. Da gibt es keinen Geist mehr, keinen Gott mehr – nur noch einen möglicherweise fehlerhaft funktionierenden Hirnbereich. Möglicherweise fehlerhaft in dem Sinne, dass z.B. leichte Depressionen durchaus ein gesunder Hinweis sein können: Ändern Sie Ihr Leben, bevor noch größerer Schaden entsteht! Ihr Hirn meint es sicherlich gut mit Ihnen.

Und nun müssen Sie ganz tapfer sein

Vom Universum wissen wir wie gezeigt so gut wie nichts – im großen und im kleinen. Und selbst unser eigenes Denken wirft Probleme ohne Ende auf. Doch zum Glück können wir auch etwas festhalten: Unser Leben existiert und findet im Hirn statt. All unsere Aktionen, gleich welcher Art, lassen sich durch das Zusammenspiel entsprechender Hirnbereiche erklären.

Es wäre mein Wunsch an Sie, Ihr Leben einfach als Hirnaktivität zu akzeptieren. Machen Sie sich dazu nochmals klar, dass Ihre Gedanken und Gefühle im Hirn messbar sind (im Übrigen bevor Sie diese bemerken). Ihre Erinnerungen sind im Hirn gespeichert, Hormonüberschwemmungen werden vom Hirn ausgelöst, Ihr Glücks- und Unglücksgefühl werden vom Hirn erzeugt. Lassen Sie alle Götter weg, streichen Sie Ihre Psyche (dann gibt’s auch keine psychischen Probleme), vertrauen Sie einfach alles Ihrem Hirn an. Der Weg zu Ihrem Ich steht damit unmittelbar offen.

Sollten Sie im übrigen Ihre theoretischen Erkenntnisse vertiefen wollen, googeln Sie nach Eliminativismus – Sie werden pro und contra zu dem in diesem Buch priorisierten Lebensmodell finden.

Die Reise zum Ich

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