Leben vom Meister lernen - John Mark Comer - E-Book

Leben vom Meister lernen E-Book

John Mark Comer

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Beschreibung

Wem folgst du? Unter den unzähligen Möglichkeiten, die du wählen kannst - ist Jesus, der Rabbi aus Nazaret, der, dem du folgen willst? Jesus hat nicht Christen hervorgebracht, keine Kirche gegründet, wohl aber eine verbindliche und intime Gemeinschaft geformt. Er hat einen völlig neuen Lebensstil vorgelebt. Wenn du ihm folgst, heißt das, das Leben von ihm zu lernen, indem du bei ihm bist. Das war damals so. Das ist heute so.

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JOHN MARK COMER ( Jg. 1980) lehrt und lebt im Großraum Los Angeles, USA. Als Autor und mit seinen Podcasts ist er international erfolgreich. Er hat die Initiative »Practicing the Way« ins Leben gerufen, um Ortsgemeinden mit Ressourcen für Jüngerschaft und geistliche Entwicklung zu unterstützen. www.johnmarkcomer.com / www.practicingtheway.org

Es geht nicht ums Fertigwerden. Es geht darum, den Weg einzuüben.

Wem folgst du? Unter den unzähligen Möglichkeiten, die du wählen kannst, ist Jesus, der Rabbi aus Nazaret, der, dem du folgen willst? Jesus hat keine Kirche gegründet, wohl aber eine verbindliche und intime Gemeinschaft geformt. Er hat einen völlig neuen Lebensstil vorgelebt. Wenn du ihm folgst, heißt das, das Leben von ihm zu lernen, indem du bei ihm bist. Das war damals so. Das ist heute so.

»Neue Perspektiven für Jesus-Nachfolge in einer modernen, digitalen und gestressten Welt.«

LUKAS HERBST / puls-kirche.de

»Während man liest, will man sich einfach nur noch an die Fersen von Jesus heften.«

JENNIE ALLEN / ifgathering.com

»Ein Buch mit Antworten, die mich ermutigen und stören, die ich diskutieren und leben will. Must-Read.«

KAI GÜNTHER / johanneum.net

JOHN MARK COMER

LEBEN VOM MEISTER LERNEN

Practicing the way

Aus dem amerikanischen Englisch von Renate Hübsch

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-27112-6 (E-Book)

ISBN 978-3-417-01015-2 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wurden in den in diesem Buch wiedergegebenen Erlebnisberichten einige Namen und Umstände geändert.

© der deutschen Ausgabe 2024

SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title Practicing the Way

Copyright © 2024 by John Mark Comer

This edition published by arrangement with WaterBrook, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC.

Published in association with Yates & Yates, www.yates2.com.

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen

Weitere verwendete Bibeltexte sind wie folgt gekennzeichnet:

BU – Das Buch. Neues Testament, Psalmen, Sprichwörter – übersetzt von Roland Werner © 2022 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen.

ELB – Revidierte Elberfelder Bibel (Rev. 26) © 1985/1991/2008 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

HFA – Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel

NGÜ – Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung, Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft, Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

ZB – Zürcher Bibel © 2007 Verlag der Zürcher Bibel beim Theologischen Verlag Zürich.

LUT – Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Übersetzung: Renate Hübsch

Lektorat: Imke Früh

Umschlaggestaltung: SONNHÜTER www.sonnhueter.com

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

INHALT

Staub

Eine Lehre bei Jesus

Jesus war ein Rabbi

Drei Ziele eines Jüngers

Jünger sind Lehrlinge

Bist du Christ oder bist du ein Lehrling von Jesus?

Gerettet – aber wozu genau?

Ein Lebensstil

Wer ist »wer«?

Ziel #1 – Mit Jesus zusammen sein

»Bleibt in mir«

Gott zur Gewohnheit machen

Ich sehe ihn an, er sieht mich an, und wir sind glücklich

Der Lohn für die, die Jesus folgen, ist Jesus

Finde deinen verborgenen Ort

Du musst alle Hektik aus deinem Leben verbannen. Radikal.

Ziel #2 – Jesus ähnlich werden

Geistliche Formung ist nicht nur für Christen

Geistliche Formung – eine Definition

In Christus

Heilig wird man nicht aus Versehen

Drei Strategien, die nicht funktionieren

Das erste Problem: Die Sünde

Das zweite Problem: Du wurdest bereits geprägt

Wie Veränderung tatsächlich klappen kann

Eine schrecklich wunderbare Botschaft: Du kannst es nicht kontrollieren!

Ziel #3 – Handeln, wie Jesus gehandelt hat

Jesus, der Prototyp

Rhythmus #1: Raum für das Evangelium schaffen

Rhythmus #2: Das Evangelium verkünden

Rhythmus #3: Das Evangelium demonstrieren

Die freudigen Lasten der Liebe

Wie? Eine Lebensregel

Spalier und Rebe

Du hast bereits eine Lebensregel

Schützen und Leiten

Was dir eine gute Lebensregel bringt

Was sind Übungen?

Neun Kernpraktiken

Noch ein paar Tipps

Der Mönch in dir

Nimm dein Kreuz auf dich

Hingabe

Der Preis der Nicht-Nachfolge

Neu beginnen

Extras

Danke

Anmerkungen

Komm, folge mir nach.

Markus 2,14

STAUB

Mögest du mit dem Staub deines Rabbis bedeckt sein.1

Jüdischer Segen aus dem 1. Jahrhundert

Wem folgst du?

Jeder folgt irgendwem – oder zumindest irgendwas.

Mit anderen Worten: Wir sind alle Jünger. Die Frage ist nicht: Bin ich ein Jünger? Die Frage muss heißen: Wessen Jünger bin ich?

Ich weiß, ich weiß. Was ich gerade gesagt habe, grenzt in unserer modernen Welt an Ketzerei. Wir wollen so gerne glauben, dass wir – und nur wir – unseren Kurs bestimmen, unser Schiff steuern und unser Schicksal in der Hand haben. Wir legen es darauf an zu führen, nicht zu folgen. Aber: Wie gut klappt das bei dir?

Vielleicht spürst du auch manchmal dieses nagende Gefühl, das fragt: Ist mein Leben wirklich das Leben, das ich mir zutiefst wünsche?

Ich bin an der Westküste der USA geboren und aufgewachsen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die USA im Allgemeinen, und mein Heimatstaat Kalifornien im Besonderen, auf das gegründet ist, was Soziologen den »Mythos des robusten Individuums« nennen. Dr. Robert Bellah nannte es den »radikalen Individualismus« und sagte, er sei das entscheidende Merkmal Amerikas.2

Und doch ist »niemand eine Insel«, wie der Dichter John Donne einmal feststellte.3 Oder in den Worten von Tish Harrison Warren, einer Kolumnistin der New York Times: »Niemand von uns kommt von selbst zu dem, was er glaubt. Die Welt hat keine Freidenker.«4 Du siehst, ich bin nicht der einzige Kulturketzer hier …

Mächtige Kräfte in unserer Gesellschaft haben ein ganz persönliches Interesse daran, dass wir den Mythos glauben, wir würden niemandem folgen – und es ist ein Mythos, so viel steht für mich fest. Viele der kulturellen Liturgien, mit denen wir täglich indoktriniert werden – »Bleib dir selbst treu!«, »Mach dein Ding!«, »Sag, was du willst!« –, lassen sich auf Quellen mit einer fragwürdigen Agenda zurückführen.5 Wenn »sie« – seien es multinationale Konzerne, Politiker, demokratiefeindliche Regierungsvertreter, Marketingabteilungen oder Influencer, die einfach nur mehr Anhänger wollen, oder, oder, oder – uns weismachen können, dass jeder Mensch ein unbeschriebenes Blatt ist, das nur dem inneren Kompass seines »authentischen Selbst« auf dem Weg zu seinem persönlichen Glück folgt, dann können sie uns blind machen für all die Wege, auf denen wir entsprechend ihren Wünschen »geschult« – geformt und manipuliert – werden.

Es ist ein alter Trick zur Täuschung eines Opfers, es glauben zu lassen, der jeweilige Plan sei die eigene Idee gewesen. Will heißen: Der Schlüssel, um Menschen dazu zu bringen, uns zu folgen, ist, sie davon zu überzeugen, dass sie überhaupt niemandem folgen.

Mit dem Aufstieg der Social-Media-Imperien und ihrer schaurigen digitalen Algorithmen haben diese mächtigen Kräfte jetzt jedes Mal, wenn wir mit dem Daumen über unser Smartphone wischen, direkten Zugang zu unseren Bewusstseinsströmen. Was wir für Werbung, Nachrichtenlinks, Retweets und zufälliges digitales Treibgut halten, sind in Wirklichkeit Techniken zur massiven Verhaltensmanipulation, die darauf abzielen, unser Denken, Fühlen, Glauben, Einkaufen, Wählen und Leben zu beeinflussen. Um den Tech-Philosophen Jaron Lanier zu zitieren: »Was früher Werbung genannt wurde, muss heute als unaufhörliche Verhaltensmodifikation in gigantischem Umfang verstanden werden.«6 Die »Welt« – wie sie im Neuen Testament genannt wird – formt uns ständig.

Aber zu was formt sie uns?

Denn zu irgendetwas entwickeln wir uns alle. Das ist der Kern der menschlichen Erfahrung: der Prozess, Person zu werden. Ein Mensch zu sein bedeutet, sich zu verändern. Zu wachsen. Sich zu entwickeln. Das ist von Gott so gewollt.

Die Frage ist nicht: Entwickele ich mich? Sondern: Zu wem oder zu was entwickele ich mich?

Wenn du dir vorstellst, wie dein Leben in den nächsten fünf Jahrzehnten verlaufen wird und wie du mit siebzig, achtzig oder hundert Jahren aussehen wirst, wenn du so weitermachst wie jetzt, was für eine Art von Mensch siehst du dann vor dir? Und: Erfüllt dich diese Vorstellung mit Hoffnung? Oder mit Schrecken?

Diejenigen von uns, die Jesus folgen wollen, müssen sich der Realität stellen: Wenn wir uns nicht ganz bewusst von Jesus formen lassen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass wir – ohne dass wir das beabsichtigen – von jemand oder etwas anderem geformt werden.7

Also, noch einmal: Wem folgst du?

Oder tiefer gehend gefragt: Auf wen vertraust du?

Auf wen setzt du, wenn es um die Frage geht, wer dir den Weg zeigen kann? Den Weg zu dem Leben, das du dir wünschst?

Entgegen der gängigen Meinung bin ich davon überzeugt, dass aus dem Glauben zu leben, etwas allgemein Menschliches und nicht etwas Christliches oder Religiöses ist. Wir leben alle aus dem Glauben.

Die Frage ist nicht: Glaube ich? Die Frage ist: An wen oder was glaube ich?

Das heißt, wem oder was soll ich mein Leben anvertrauen? Will ich tatsächlich mir selbst vertrauen – oder irgendeinem anderen Menschen? Geschöpfen, die sich, wie es scheint, selbst in den Schlamassel gebracht haben, den wir nun zu beheben versuchen?

Es ist nur menschlich, dass wir uns zu jemandem hingezogen fühlen – zu einer Berühmtheit, einem Guru oder einer historischen Figur – und uns wünschen, so zu werden wie diese Person. Das gehört zu der Grundausstattung, mit der Gott uns geschaffen hat, damit wir wachsen. Wir haben alle eine Vorstellung von dem idealen Leben, das wir anstreben. Und wenn wir eine Person oder ein Ideensystem finden, das zu verkörpern scheint, was wir uns wünschen, folgen wir diesem Menschen oder dieser Idee und setzen unser Vertrauen darauf. Oder, um es in eher christlichem Jargon auszudrücken: Wir glauben daran.

An wen glaubst du?8 Wer ist die Koryphäe deiner Wahl, die Person, für die du alles geben würdest, um ein paar Tage in ihrer Nähe zu leben? Mit anderen Worten: Wer ist dein Rabbi? Dein Meister?

Ich gehöre zu den vielen Menschen, die Jesus von Nazareth für das strahlendste Licht halten, das je die Bühne der Menschheit erleuchtet hat.

Als echter Bücherwurm konnte ich durch das Geschenk der Literatur schon einen Blick in die Köpfe einiger großer Denker werfen. Sie alle haben lobenswerte Eigenschaften – und auch einige nicht so lobenswerte. Aber je länger ich lebe und je mehr ich lerne, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass Jesus keine echte Konkurrenz hat – weder früher noch heute. Meiner Einschätzung nach hat kein anderer Denker, Philosoph, Anführer, keine Philosophie oder Ideologie die Kohärenz, Differenziertheit und tiefe Resonanz in unserem Inneren wie Jesus und sein Weg. Und erst recht nicht solch atemberaubende Schönheit.

In unserem säkularen Zeitalter ist die Luft, die wir atmen, durchsetzt von Skepsis, Langeweile, Misstrauen gegenüber jeglicher Autorität und einer Neigung, uns die Wahrheit zurechtzubiegen, je nachdem, was wir uns gerade wünschen oder wie wir uns fühlen. In dieser kulturellen Atmosphäre ist jeder von uns Thomas, der Zweifler.

Aber selbst an Tagen, an denen ich Mühe habe, zu glauben, dass Jesus der war, der er zu sein behauptete (Spoiler: mehr als nur ein Rabbi), sehne ich mich danach, es zu glauben. Ich wünsche mir, dass die Vision vom Leben im Reich Gottes, die Jesus verkündet hat, wahr ist. Ich kann das Fazit seines Schülers Petrus aus tiefstem Herzen nachvollziehen:

Herr, zu wem sollten wir gehen? Nur du hast Worte, die ewiges Leben schenken.

Johannes 6,68

Ich zähle mich zu einer riesigen Anzahl Menschen auf der ganzen Welt und im Lauf der Geschichte, die zu dem Glauben gekommen sind: Es gibt einfach keinen besseren Weg, keine bessere Wahrheit und kein besseres Leben als Jesus von Nazareth.

Unter den unzähligen Möglichkeiten, die ich wählen kann, ist Jesus derjenige, dem ich folgen will. Wenn ich am Ende sowieso irgendjemandem folgen werde, kann ich mich auch bewusst dafür entscheiden, Jesus zu folgen.

Der Philosoph Dallas Willard sagte immer wieder: »Es gibt kein Problem im menschlichen Leben, das nicht dadurch gelöst werden könnte, dass wir bei Jesus in die Lehre gehen.« Jesus zu folgen oder, wie ich es auf den nächsten Seiten beschreiben werde, bei Jesus in die Lehre zu gehen, ist die Lösung für das Problem der sogenannten conditio humana. Nenne dein Problem: Polarisierung in der Politik, Klimawandel, drohender globaler Krieg, erschreckend hohe Zahlen psychischer Erkrankungen, Sucht, christlicher Nationalismus, weitverbreitete Heuchelei unter christlichen Leitern oder schlicht unsere Unfähigkeit, freundlich zu sein …

Es gibt kein Problem im menschlichen Leben, das nicht dadurch gelöst werden könnte, dass wir bei Jesus in die Lehre gehen.

Möglicherweise hast du dieses Buch in die Hand genommen, weil du ernsthaft in Erwägung ziehst, Jesus zu folgen. Aber du willst vorher wissen, wozu genau du Ja sagst. Das ist weise. Jesus forderte potenzielle Schüler auf, sich ihm nicht anzuschließen, ehe sie »nicht die Kosten berechnet hab(en)« (Lukas 14,28).

Vielleicht bist du auch bereits Christ, aber in deinem Herzen wächst der Wunsch, deinen Glauben ernster zu nehmen – ganz neu bei Jesus in die Lehre zu gehen. Aktiv daran zu arbeiten, dass du geistliches Wachstum erlebst, statt nur darauf zu warten, was sich eben zufällig so ergibt.

Oder du bist schon sehr lange mit Jesus unterwegs, aber du trittst inzwischen irgendwie auf der Stelle. Du steckst fest und sehnst dich danach weiterzukommen, Heilung auf einer tieferen Ebene zu erfahren. Du willst die Diskrepanz zwischen deinem Leben und dem Leben von Jesus, dem »wahren Leben«9, verkleinern oder ganz überwinden. Mit anderen – etwas frommeren – Worten ausgedrückt: Du willst Jesus ähnlicher werden.

Wer du auch bist und was immer dich dazu veranlasst hat, dieses Buch zu lesen, willkommen. Ich freue mich, dass du hier mit mir unterwegs bist.

Ich sehe mich als Jesus-Schüler, und ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht herauszufinden, wie es im postchristlichen Westen dieser Welt aussehen kann, von Jesus zu lernen. Dabei bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass es eine Lebensweise gibt, die von Jesus selbst festgelegt wurde, und dass es zu dem Leben, nach dem wir alle uns sehnen, führt, wenn wir uns diesem besonderen Lebensstil – und letztlich Jesus – hingeben.

Dieses Buch ist das Ergebnis von jahrzehntelangen Erfahrungen, von Versuch und Irrtum, von mehr Misserfolgen als Erfolgen und von einer Menge Lektionen, die ich in der Schule der harten (Rück-)Schläge gelernt habe. Aber die folgenden Seiten sollen kein dicker Wälzer sein, der in den Regalen irgendwelcher Bibliotheken verstaubt. Sie sind vielmehr eine Erkundung und Erläuterung dessen, was ich für drei der wichtigsten Worte halte, die jemals in den langen Annalen der Menschheitsgeschichte gesprochen wurden:

»Komm, folge mir.«10

Entgegen der landläufigen Meinung hat Jesus die Menschen nicht dazu aufgefordert, zur christlichen Religion zu konvertieren. Er hat die Menschen noch nicht einmal dazu aufgerufen, Christen zu werden. Wozu er Menschen eingeladen hat, war, eine Ausbildung bei ihm zu machen, bei der sie eine ganz neue Lebensweise lernen konnten.

Jesus lädt Menschen ein, sich zu verändern – oder, besser gesagt, sich verändern zu lassen.

Meine These ist einfach: Veränderung ist möglich, wenn wir bereit sind, unser Leben nach den Praktiken, Rhythmen und Wahrheiten auszurichten, die Jesus selbst vorgelebt hat und die unser Leben öffnen werden für Gottes Macht, Veränderung herbeizuführen. Anders ausgedrückt: Wir können verändert werden, wenn wir bereit sind, bei Jesus in die Lehre zu gehen. Dann – und nur dann – können wir zu den Menschen werden, zu denen wir bestimmt sind, und das Leben leben, nach dem wir uns zutiefst sehnen.

Unter Christen hören wir ständig, dass wir Jesus »folgen« sollen. Aber was genau bedeutet das?

Es bedeutet, seinen Weg einzuüben – ihn wirklich zu gehen.

Practicing the Way, den Weg von Jesus einüben und ausleben – so nennen wir das bei uns in der Gemeinde. Und genau darum geht es auch in diesem Buch: dass wir den Weg, den Jesus uns vorgelebt hat, wirklich praktizieren, nachvollziehen, einüben, selbst gehen.

EINE LEHRE BEI JESUS

Stell dir Folgendes vor: Dein Name ist Simon. Du bist ein Israelit aus dem ersten Jahrhundert, wahrscheinlich im späten Teenageralter oder Anfang zwanzig. Du betreibst einen kleinen Fischereibetrieb in Galiläa, einem Landstrich im Norden Israels. Dein Leben ist ziemlich genau vorgezeichnet. Du tust, was schon dein Vater getan hat und vor ihm sein Vater. Da du unter römischer Besatzung lebst, gibt es nicht viele Möglichkeiten. Die Devise lautet: Fall nicht auf und zahl deine Steuern.

Eines Tages stehst du zusammen mit deinem Bruder Andreas in eurem Boot. Ihr werft gerade euer Netz aus, als du einen Mann bemerkst, der am Strand auf dich zukommt. Du erkennst sein Gesicht auf Anhieb. Es ist Jesus aus Nazareth, nur ein paar Kilometer entfernt. Alle reden über diesen Mann – er sagt und tut Dinge, die noch kein Rabbi vor ihm gesagt oder getan hat. Niemals.

Da ist er und geht direkt auf dich zu. Du nimmst Blickkontakt auf. Seine Augen funkeln wie Sterne, als läge ein ganzer Kosmos dahinter. Er strahlt Freude aus, aber es gibt keinen Smalltalk: »Kommt mit und folgt mir nach. Ich will euch zeigen, wie man Menschen fischt.«

Du bist absolut fassungslos. Das kann nicht sein. Meint er wirklich dich?

Sofort lässt du das Netz fallen und zerrst Andreas aus dem Boot, der allerdings gar nicht lange überredet werden muss. Ihr lasst alles stehen und liegen und folgt Jesus – überglücklich, in seiner Nähe zu sein.

Oder in den Worten des Jesus-Biografen Markus: »Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach« (Markus 1,18).

Wenn du diese Geschichte schon lange kennst, ist es leicht, zu übersehen, wie bizarr sie für unsere modernen Ohren eigentlich klingt. Was um alles in der Welt bringt Simon dazu, von jetzt auf gleich und ohne Plan ein profitables Geschäft aufzugeben und seine Familie und Freunde zurückzulassen, um einem Mann ohne Einkommen, ohne Organisation und ohne offizielle Position in eine unbekannte Zukunft zu folgen? Dreht er jetzt völlig durch?

Oder übersehen wir etwas?

Jesus war ein Rabbi

Wenn du Simon wärst und Jesus an einem schönen Sabbatmorgen in deine Synagoge käme, um zu predigen, würdest du ihn wahrscheinlich in die Kategorie eines Rabbiners oder Lehrers einordnen.

Der Titel Rabbi bedeutet wörtlich »Meister«.11 Rabbiner waren die geistlichen Meister Israels. Sie waren nicht nur erfahrene Lehrer der Thora, der heiligen Schrift ihrer Zeit, sondern auch leuchtende Vorbilder für das Leben mit Gott. Sie gehörten also zu den wenigen Menschen mit innerer Leuchtkraft.

Jeder Rabbi hatte sein »Joch« – das ist ein Ausdruck für seine Lehren, seine Art, die Heilige Schrift zu lesen, seine Auffassung davon, wie man als Mensch in Gottes guter Welt gedeihen kann, seine Hinweise, wie auch andere ein wenig von dem kosten könnten, was er gekostet hatte.

Rabbiner entstammten den verschiedensten gesellschaftlichen Schichten. Es konnten ehemalige Bauern, Schmiede oder auch Zimmerleute sein.12 Die meisten lernten viele Jahre lang bei einem Rabbi und begannen dann im Alter von etwa dreißig Jahren, selbst zu lehren und ihre eigenen Schüler zu berufen. Aber es gab keine formale Zertifizierung wie in unserem modernen Bildungssystem. Autorität funktionierte anders: Ihr Leben und ihre Lehre waren ihr Zeugnis.

Rabbiner reisten umher, und die meisten wurden für ihre Lehre nicht bezahlt. Einige arbeiteten zeitweise in der Landwirtschaft oder in ihren Handwerksbetrieben und reisten dann in der Nebensaison. Sie zogen von Ort zu Ort, lehrten in jeder Synagoge, die sie aufnahm, und waren auf die Gastfreundschaft von Menschen angewiesen, die Jesus als »Söhne des Friedens«13 bezeichnete. Sie sprachen oft in Gleichnissen und Rätseln. Normalerweise reisten sie mit einer kleinen Gruppe von Schülern und lehrten nicht in einem Klassenzimmer, sondern unter freiem Himmel und auf der Straße – auch nicht nach einem Lehrbuch oder Lehrplan, sondern aus der Thora und der Schule des Lebens.14

In den vier Evangelien wird Jesus immer wieder mit dem Titel »Rabbi«15 oder »Rabbuni«16 angesprochen, was im antiken Judentum die respektvolle Anrede für geistliche Lehrer war. Die Anrede »Rabbuni«, die von dem gleichbedeutenden hebräischen bzw. aramäischen Wort rabbǒnî oder rabbunî abgeleitet ist, lässt sich mit »mein Herr«, »mein Meister« oder sogar mit »mein Gebieter« übersetzen. Diese Anrede bringt eine besondere Ehrerbietung, zugleich aber auch die persönliche Beziehung zwischen Lehrling und Meister zum Ausdruck. »Spätere jüdische Schulen unterschieden drei Stufen der Ehrerbietung: Rab, Rabbi und Rabbuni, von denen die letzte Anredeform die höchste war.«17

Jesus war kein gewöhnlicher Rabbi.18 Überall, wo er hinkam, waren die Menschen »tief beeindruckt« (Matthäus 22,33) und »in großer Aufregung« (Markus 9,15). Der Biograf Lukas schreibt: »Alle Anwesenden äußerten sich anerkennend über ihn und wunderten sich zugleich über seine Botschaft von der Gnade« (Lukas 4,22). Bei Markus heißt es: »Sie waren von seiner Lehre überwältigt, denn er sprach – anders als die Schriftgelehrten – mit Vollmacht« (Markus 1,22). Die Menschen gaben Rückmeldungen wie: »Woher hat er diese Weisheit?« (Matthäus 13,54), und sogar: »Noch nie haben wir einen Menschen so sprechen hören!« (Johannes 7,46).

Dass Jesus ein Rabbi war, ist genauso wichtig, wie dass Jesus Jude war – eine Wahrheit, die viele Menschen vergessen. Aber leider nehmen nur sehr wenige Menschen – darunter auch viele Christen – Jesus als geistlichen Lehrer ernst.

Für manche ist Jesus so etwas wie eine geisterhafte Erscheinung, die spätere Generationen zu einer verschwommenen Art von Wohlwollen inspirieren sollte. Für andere ist er ein sozialer Revolutionär: »Widerstand! Faust hoch gegen das römische Imperium damals und alle Imperien heute.« Und für viele westliche Christen ist er das Ausführungsorgan einer bestimmten Sühnetheorie, als wäre er einzig und allein dafür gekommen, um zu sterben, nicht, um zu leben.

Das führt dazu, dass viele Christen Jesus nicht für besonders smart halten. Heilig, sicher. Freundlich, ja. Sogar göttlich. Aber schlau? Nicht wirklich.

Immer mehr Menschen, die sich selbst als Christen bezeichnen, würden Jesus in entscheidenden Punkten, wie Menschen sich am besten entfalten können, nicht zustimmen. Sie würden eher einem Politiker, einem Star oder einem abtrünnigen Pastor vertrauen als dem Lehrer Jesus und den Schülern, die direkt bei ihm in die Lehre gegangen sind. Sie kämen nie auf die Idee, Jesus zu den drängenden Fragen unserer Zeit zu befragen: Politik, Gerechtigkeit zwischen den Ethnien, Sexualität, Gender, psychische Gesundheit und so weiter. Wie Dallas Willard sagte: »Der Grund dafür, dass Tausende von bekennenden Christen ihren Herrn links liegen lassen und in den Tag hinein leben, ist offensichtlich ein Mangel an Respekt und Ehrfurcht.«19

Aber Jesus zu respektieren und eine gewisse Ehrfurcht ihm gegenüber zu empfinden, ist entscheidend wichtig, wenn wir davon ausgehen, dass »nachfolgen« bedeutet, Jesus zu vertrauen, dass er dich zu dem Leben führt, nach dem du dich sehnst. Denn es ist nun mal sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, dein Leben jemandem anzuvertrauen, den du nicht respektierst.

Aber was, wenn Jesus intelligenter war und ist als jeder andere Lehrer in der Geschichte? Schlauer als Stephen Hawking oder Karl Marx oder Buddha? Was, wenn er ein genialer Weiser war, dessen Einsichten in das, was Menschsein ausmacht, auch zwei Jahrtausende später noch unerreicht sind? Was, wenn Jesus einfach alle anderen weit übertrifft?

Das könnte jemand sein, dem du dein Vertrauen schenken kannst. Oder?

Wenn wir Jesus einen brillanten Rabbi nennen, heißt das natürlich nicht, dass er nur ein brillanter Rabbi war. Auf dem Schild, das über seinem Kopf hing, als er gekreuzigt wurde, stand »König der Juden«, nicht »Guru«. Es sagt viel über Jesus aus, dass seine Feinde ihn als politische Bedrohung ansahen.

Der Messias als Rabbi war in der Kultur der damaligen Zeit absolut stimmig. Mose, die große historische Lichtgestalt des jüdischen Volkes, wurde Moshe Rabbenu, »Mose, unser Rabbi«, und Israels großer Lehrer genannt. Die Israeliten des ersten Jahrhunderts warteten auf einen neuen Mose, der einen neuen Exodus aus dem Römischen Reich anführen sollte – eine Figur, die sie Messias zu nennen begannen. Einige erwarteten, dass der lang erwartete Messias als Krieger oder militärischer Führer erscheinen würde, aber viele erwarteten, dass er als großer Lehrer kommen würde. So stellen zwei Bibelwissenschaftler fest: »Das jüdische Volk glaubte, dass es die höchste Errungenschaft des Lebens sei, ein großer Gelehrter der Heiligen Schrift zu werden. In einer solchen Kultur war es nur logisch, dass der Messias der größte unter allen Lehrern sein sollte. Kein Wunder, dass Jesus ein jüdischer Rabbi wurde.«20

Aber wir Christen glauben, dass er noch mehr war als der Messias. Jesus stellte Behauptungen auf, die kein jüdischer König je zu äußern gewagt hätte – Behauptungen, die ihm Anklagen wegen Gotteslästerung einbrachten, ein Kapitalverbrechen in seiner Welt. Einer seiner Kritiker drückte es so aus: »Nicht wegen einer guten Tat wollen wir dich steinigen, sondern wegen Gotteslästerung, weil du, obwohl nur Mensch, dich zu Gott gemacht hast.«21

Aber zu sagen, dass Jesus mehr als nur ein Rabbi oder sogar der Messias war, bedeutet nicht, dass er weniger war als ein brillanter, provokanter, weiser spiritueller Meister, der wusste, wie man in der Welt unseres himmlischen Vaters lebt und gedeiht.

Er war ein Rabbi. Und wie die meisten Rabbis seiner Zeit hatte auch Jesus einige Jünger …

Drei Ziele eines Jüngers

Auch wenn das viele glauben, hat Jesus die Jüngerschaft nicht erfunden. Rabbiner mit einer kleinen Schar von Jüngern sah man zur damaligen Zeit regelmäßig in Galiläa. Nur ein paar Jahre vor Jesus hatte Rabbi Hillel achtzig Jünger berufen. Rabbi Akiva – ein berühmter Lehrer, der ein paar Jahrzehnte nach Jesus lebte – hatte nur fünf, aber es heißt, dass ihm Tausende in Israel »folgten«. Im Neuen Testament selbst wird erwähnt, dass Johannes der Täufer Jünger hatte, ebenso die Pharisäer. Der Apostel Paulus war früher Jünger eines landesweit bekannten Rabbiners namens Gamaliel gewesen. Die Jüngerschaft – oder, wie ich es ab jetzt nennen werde, die Ausbildung oder Lehre bei einem Rabbi – war die Spitze des jüdischen Bildungssystems im ersten Jahrhundert, ähnlich wie ein Doktoranden- oder Graduiertenprogramm heute.

Das heißt, um zu verstehen, was es bedeutet, ein Jünger von Jesus zu sein, müssen wir zuerst das jüdische Bildungssystem verstehen. Keine Sorge, ich verspreche, mich kurz zu fassen.

Jüdische Kinder wurden im Alter von etwa fünf Jahren im örtlichen bet sefer (»Haus des Buches«) eingeschult, was unserer heutigen Grundschule entsprach. Normalerweise war das bet sefer an die Synagoge angegliedert und wurde von einem angestellten Schreiber oder Lehrer geleitet. Auf dem Lehrplan stand die Thora, also die fünf Bücher Mose. In der mündlich geprägten Kultur der damaligen Zeit konnten die meisten Kinder die gesamte Thora bereits im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren auswendig aufsagen. Damit war für die meisten Kinder die Schulzeit vorbei. Sie lernten und arbeiteten im Familienbetrieb oder halfen in der Landwirtschaft der Familie.

Aber die Besten und Klügsten gingen weiter auf eine zweite Bildungsebene, die bet midrash (»Haus des Lernens«) genannt wurde, und setzten ihre Studien fort. Bis zum Alter von siebzehn Jahren hatten sie – jetzt halt dich fest – das gesamte Alte Testament auswendig gelernt.22

Damit war für die große Mehrheit die Ausbildung abgeschlossen und es hieß: »Geht nach Hause, zeugt Kinder, betet, dass sie Rabbiner werden, und geht eurem Beruf nach.«23 Aber die Besten der Besten der Besten bewarben sich, um selbst bei einem Rabbiner in die Lehre zu gehen. Es war wirklich schwer, da reinzukommen. Diese Ausbildung war das Äquivalent zu den Elite-Unis heute, nur noch exklusiver. Du musstest einen Rabbi finden, zu dessen Joch du dich hingezogen fühltest, und dann darum betteln, in seine Schülergruppe aufgenommen zu werden. Der Rabbi würde dich auf Herz und Nieren prüfen: »Wie gut kennst du die Thora?« – »Wie verstehst du die Nephilim in 1. Mose 6?« – »Bist du bei 5. Mose 24 auf der Seite von Hillel oder Schammai?« – »Wie oft betest du?«

Und für den Fall, dass der Rabbi der Meinung war, du hättest die nötige Intelligenz, Arbeitsmoral und Chuzpe, eines Tages selbst Rabbiner zu werden, hätte er so etwas gesagt wie: »Komm, folge mir nach.«24 Oder anders ausgedrückt: »Komm, geh bei mir in die Lehre.«

Angenommen, du hättest zu den wenigen Glücklichen gehört, die bei einem Rabbiner eine Ausbildung machen durften, dann hätte sich von diesem Tag an dein ganzes Leben nach drei Zielen ausgerichtet:

1. Deinen Rabbi ständig zu begleiten.

Jesus selbst lud seine Jünger ein, ihn ständig zu begleiten (Markus 3,14). Du hättest deine Familie, deinen Wohnort und deinen Beruf verlassen und rund um die Uhr an den Fersen deines Rabbis geklebt. Du wärst sein Schüler gewesen, aber der Unterricht hätte nicht jeden Mittwoch von 11 bis 11:50 Uhr stattgefunden, sondern der »Unterricht« wäre das Leben gewesen. Du hättest jeden Moment mit deinem Rabbi verbracht – an seiner Seite geschlafen, an seinem Tisch gegessen, zu seinen Füßen gesessen – und am Ende, nach langen Stunden, in denen du von Ort zu Ort hinter ihm hergelaufen wärst, hätte sein Staub dich ganz bedeckt. Jeden Tag. Den ganzen Tag.

2. So zu werden wie dein Rabbi.

Jesus sagte einmal: »Ein Schüler ist nicht besser als sein Lehrer. Aber der Schüler, der hart arbeitet, kann werden wie sein Lehrer« (Lukas 6,40).

Das wäre das Herzstück deiner Ausbildung gewesen: mit deinem Meister zusammen zu sein, einzig und allein, um ihm möglichst ähnlich zu werden. Du hättest seinen Tonfall, seine Eigenheiten, seine Redensarten kopiert, um so zu sein wie er. Und dein drittes Ziel wäre gewesen:

3. So zu handeln wie dein Rabbi.

Der Sinn einer solchen Ausbildung bei einem Rabbi bestand darin, eines Tages selbst Rabbiner zu werden. Falls du die Herausforderung dieser Ausbildung bestanden hättest – und das war ein sehr großes »Falls« –, wäre dein Rabbi irgendwann auf dich zugekommen und hätte etwas gesagt wie: »Okay, Junge, ich gebe dir meinen Segen. Geh und bilde nun selbst Schüler aus.«

Das war es, was es bedeutete, Schüler eines Rabbis zu sein.

Und genau das bedeutet es auch heute noch.

Das Problem ist nur: Das ist nicht, was die meisten Christen heute darunter verstehen, Schüler von Jesus zu sein. Oder sagen wir: was sie unter Jüngerschaft verstehen. Doch wenn wir uns das Modell von Jesus ansehen, ob im Israel des 1. oder im Amerika des 21. Jahrhunderts oder wo immer du das hier liest, ist die Bedeutung von Jüngerschaft ganz klar: Jesus nachzufolgen bedeutet, sein Lehrling – oder Azubi – zu werden. Es bedeutet, dein ganzes Leben auf drei Ziele auszurichten:

• mit Jesus zusammen zu sein,

• ihm ähnlich zu werden

• und zu handeln, wie er gehandelt hat.

Bei Jesus in die Lehre zu gehen – also ihm zu folgen –, ist ein lebenslanger Prozess, bei dem wir mit Jesus zusammen sind, um ihm ähnlich zu werden und sein Werk in der Welt fortzuführen. Es ist ein lebenslanger Weg, auf dem es uns allmählich immer mehr gelingt, die Dinge zu sagen und zu tun, die Jesus gesagt und getan hat, weil wir in allen Bereichen unseres Lebens von ihm lernen.

Mit anderen Worten: Jünger zu sein, bedeutet, Lehrling zu sein.

Jünger sind Lehrlinge

Das Problem mit dem Wort »Jünger« ist, dass wir es außerhalb von Kirchenkreisen so gut wie nicht verwenden. Das hebräische Wort ist talmid und bezeichnet einfach den »Schüler eines Lehrers oder Philosophen« – nicht nur einen Lernenden, sondern jemanden, der eine bestimmte Lebensweise praktiziert und verkörpert, jemanden, der alles daransetzt, mit seinem Meister zusammen zu sein und ihm ähnlich zu werden.25

Es ist nicht so leicht, eine angemessene Übersetzung für talmid zu finden, die diese Bedeutungsfacetten gut abbildet. Am ehesten trifft es aus meiner Sicht ein Wort, das ich auch schon auf den letzten Seiten einige Male verwendet habe: Lehrling. Ich finde diesen Begriff sehr hilfreich – auch wenn er ein bisschen veraltet sein mag –, denn er ruft die Vorstellung von einer Art zu lernen wach, die zielgerichtet, im Leben verankert, auf einen Meister ausgerichtet und praxisbezogen ist. Eine Art des Lernens, die ganz anders ist als das schulische Lernen, mit dem ich aufgewachsen bin.

Das Ausbildungsmodell von Jesus ist weit entfernt von unserem westlichen Bildungssystem. Ein Autorengespann hat es so ausgedrückt: »Beim Lernen ging es nicht so sehr darum, Daten und Fakten zu behalten, sondern darum, lebenswichtige Weisheiten zu erwerben, indem man sie von den Menschen im eigenen Umfeld aufnahm. Das war … die antike Methode, mit der Rabbiner ihre talmidim oder Jünger ausbildeten.«26 Jesus nachzufolgen bedeutete also, ihn zu begleiten, und das in einer Haltung des Zuhörens, Lernens, Beobachtens, Gehorsams und der Nachahmung.27

Bei Jesus in die Lehre zu gehen, ist Praxis pur.

Für die ersten Lehrlinge von Jesus ging es nicht darum, eine Prüfung zu bestehen, einen Abschluss zu machen oder ein Zertifikat zu erhalten, das sie sich einrahmen und an die Wand hängen konnten. Es ging darum, die Kunst des Lebens in Gottes guter Welt zu erlernen, indem sie von Jesus als ihrem Meister lernten, wie sie im Blick auf das Reich Gottes immer weitere Fortschritte machen konnten. Das hatte weniger mit schulischer Büffelei zu tun, sondern war eher wie das Erlernen einer Kampfkunst.

Aber egal, welche Übersetzung du auch wählst – Schüler, Lehrling, Azubi, Praktizierender, Student, Jünger, Nachfolger –, es geht hier immer um einen Weg, für den wir uns freiwillig entscheiden. Warum ist es mir wichtig, das zu betonen? Weil in christlichen Kreisen immer wieder davon gesprochen wird, dass wir »Jünger machen«. Das ist so, als würden wir sagen, dass ein Lehrling jemanden zum Lehrling macht. Aber das ist Sache des Meisters. Er kann einen Menschen, der willig ist, bei ihm eine Ausbildung zu machen, als Lehrling annehmen. Und das Gleiche gilt für unsere Ausbildung bei Jesus. Niemand außer Rabbi Jesus selbst kann uns »zum Jünger machen«. Und niemand außer dir kann die Entscheidung treffen, die Einladung zu einem Leben als Lehrling von Jesus anzunehmen.

Wenn du dich entscheidest, bei Jesus in die Lehre zu gehen – und ich hoffe sehr, dass du das tust –, bedeutet das nichts weniger, als dass dein ganzes Leben ab jetzt auf dieses dreifache Ziel ausgerichtet ist: mit Jesus zusammen zu sein, ihm ähnlich zu werden und zu tun, was er getan hat. Das ist die treibende Leidenschaft deines Lebens. »Der Rest sind nur Details«, wie Einstein sagte.

Tragischerweise ist Lehrling von Jesus zu sein nicht dasselbe, wie Christ zu sein.

Bist du Christ oder bist du ein Lehrling von Jesus?

Das Wort »Christ« wird im Neuen Testament nur dreimal verwendet.

Um diese Tatsache einzuordnen: Das Wort »Jünger« oder »Lehrling« wird in der Bibel 269 Mal verwendet. Das sollte uns nicht überraschen, da das Neue Testament von Lehrlingen von Jesus für Lehrlinge von Jesus geschrieben wurde.28

Um das noch einmal herauszustellen:

Christ: 3 Mal.

Lehrling: 269 Mal.

»Christ« bedeutet wörtlich »kleiner Christus« oder »Mini-Messias«, eine sehr schöne Bedeutung. Ursprünglich wurde es jedoch als abwertendes Attribut verwendet, um die Anhänger des »neuen Weges« zu verspotten. Aber im Laufe der Zeit nahmen unsere geistlichen Vorfahren das Schimpfwort an und verwendeten es, um sich selbst als Menschen zu identifizieren, die das Lebensziel verfolgten, Jesus ähnlich zu werden. Ziel #2: Jesus ähnlich zu werden. Alles gut so weit.

Heute transportiert das Wort »Christ« diese Bedeutung für viele nicht mehr. Für die meisten Menschen im Westen ist ein Christ nur jemand, der sich geistig zu den Grundzügen des Christentums bekennt – das Wort »Christentum« kommt in der Heiligen Schrift übrigens nie vor – und gelegentlich in die Kirche geht oder auch nicht.

In seinem Buch Lincolns Christianity schreibt Michael Burkhimer über die lang anhaltende Debatte, ob Präsident Lincoln Christ war. John Ortberg bezieht sich wiederum in einem seiner Bücher darauf und stellt fest, dass die Frage von Lincolns Religiosität zu einer Art Rorschachtest geworden ist, der mehr darüber aussagt, was wir glauben, als darüber, was Lincoln glaubte.29Touché. Burkhimer schreibt, bevor wir über Lincolns Christsein entscheiden können, müssen wir uns erst einmal »der entscheidenden Frage stellen, was es eigentlich bedeutet, Christ zu sein«. Er definiert einen Christen dann als jemanden, der glaubt, dass »Jesus Christus göttlich und eine Person der Trinität ist; dass Christus für die Sünden der Welt gestorben ist und dass der Glaube an diese Lehre notwendig ist, um das Heil zu erlangen«, und fügt an, dies sei »eine Grundlage, die fast jedem geläufig ist«30.

Nun, ich selbst glaube alles, was hier gesagt wurde – wie so ziemlich alle Anhänger von Jesus überall auf der Welt. Aber was mir an dieser Grundlage, mit der wir fast alle vertraut sind, auffällt, ist, dass sie absolut nichts darüber enthält, dass ein Christ entschlossen sein sollte, Jesus zu folgen und ihm zu gehorchen. Und das sehe ich als Problem.

Warum?

Weil Jesus die Bezeichnung Christ nie verwendet hat. Er sagte: »Wer mein Lehrling sein will …«, nicht: »Wer bei einem Aufruf seine Hand heben will, um Christ zu werden …«

Betrachten wir das Problem in Bezug auf mein Land, die Vereinigten Staaten von Amerika.31 Etwa 63 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich selbst als Christen, obwohl diese Zahl stetig sinkt.32 Der Versuch, den Grad der Spiritualität eines Menschen zu messen, ist schwierig, aber einige Umfragen schätzen die Zahl der Amerikaner, die Jesus wirklich nachfolgen, auf etwa vier Prozent.33 Also …

Christen: 63 Prozent.

Lehrlinge: 4 Prozent.

Meine katholischen Freunde unterscheiden zwischen Katholiken und praktizierenden Katholiken. Ersteres ist eher eine kulturelle oder ethnische Kategorie, so wie wenn man aus Italien oder Boston kommt. Letzteres ist ein Maß für geistliches Engagement.

Könnte es für Protestanten in meinem Land an der Zeit sein, liebevoll zwischen Christen und praktizierenden Christen zu unterscheiden? Wie der heilige Maximus im siebten Jahrhundert – einer Zeit, die sich geistlich gesehen von der unseren nicht allzu sehr unterschied – bereits bemerkte: »Jemand, der dem Glauben zustimmt, ist noch kein Jünger.«34

Wenn ein Lehrling schlicht jemand ist, dessen höchstes Ziel es ist, mit Jesus zusammen zu sein, um wie er zu werden und um so zu leben, wie Jesus leben würde, wenn er an seiner Stelle wäre, dann ist ein Nicht-Lehrling – egal ob er sich als Atheist, Anhänger einer anderen Religion oder auch als Christ bezeichnet – schlicht jemand, dessen höchstes Ziel im Leben irgendetwas anderes ist.

Das Problem ist, dass wir im Westen ein kulturelles Milieu geschaffen haben, in dem wir Christ sein können, ohne ein Lehrling von Jesus zu sein. Wir haben Nachfolge zu einer Option gemacht.

Vieles, was heute über das Evangelium gepredigt wird, ruft die Menschen nicht zu einem Leben in der Nachfolge von Jesus auf. Jesus in der konkreten Lebenspraxis nachzufolgen, gilt als optional – ein »zweiter Weg« nach der Bekehrung für diejenigen, die weiter gehen wollen. Tragischerweise hat dies zu einer zweigeteilten Kirche geführt, in der ein großer Teil der Menschen, die an Gott glauben und sogar regelmäßig zur Kirche gehen, ihr tägliches Leben nicht im Rahmen einer Ausbildung durch Jesus neu gestalten lassen.35

Dieser Gedanke ist den Schriften des Neuen Testaments fremd. In der literarischen Gestaltung der Evangelien gibt es zum Beispiel zwei wiederkehrende Gruppen: die Lehrlinge und die Menge.36 Zu den Lehrlingen gehören alle, die Jesus folgen – die zwölf Apostel, aber auch noch einige andere, darunter auch Frauen. Die »Menschenmenge« sind einfach alle anderen. Es gibt keine dritte Kategorie von »Christen«, die den meisten Aussagen von Jesus generell zustimmen, ihm aber nicht folgen oder sich ernsthaft bemühen, seine Lehren anzuwenden. Für die aber so weit alles gut ist, weil sie in den Himmel kommen, wenn sie sterben.

Diese scharfe Trennung zwischen den Lehrlingen und der Menge ist ein rhetorisches Mittel, das alle vier Jesus-Biografen verwenden. Die Offenheit des Begriffs Menge ist beabsichtigt. Es ist eine Art, den Leser zu fragen: Zu welcher Gruppe gehörst du? Bist du ein Gesicht in der Menge oder bist du ein Lehrling von Jesus?

Zwei Jahrtausende später ist diese Frage, vor allem im Westen, wichtiger denn je. Ich schiebe das folgende Zitat von Dallas Willard schon seitenlang vor mir her …