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Zwei Ausnahmeerscheinungen des US-amerikanischen Dampflokomotivbaus, der Klasse 4000, genannt Big Boy, der Union Pacific und der T-1 der Pennsylvania Railroad wird mit diesem Buch ein Denkmal gesetzt. Das geschieht in einer für technische Berichte eher ungewöhnlichen Form, nämlich in belletristischer.
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Seitenzahl: 145
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Big Boy auf einen Blick
Die zwei Leben der 4014
Mai 1956
Mai 2019
5550 auf Jungfernfahrt
Erster Tag: Hufeisenkurve
Zweiter Tag: Schnellfahrt
Dritter Tag: Dearborn
Vierter Tag: Chicago
Fünfter Tag: Parallelfahrt
Sechster Tag: Greenbrier
Siebter Tag: Chessieland
Anhang: Sind angelsächsische Pferde stärker als kontinentaleuropäische?
Selten hat eine Vertreterin der längst vergangenen Dampftraktion Fantasie und Emotion der Schar enthusiastischer Eisenbahnfreunde weltweit so angeregt wie die Klasse 4000 der Union Pacific Railroad, USA, die legendären Big Boys.
Die mächtigen (2' D) D 2' bzw. 4-8-8-4 – Gelenklokomotiven nach dem Bauprinzip des Schweizer Ingenieurs Anatole Mallet, jedoch mit einfacher Dampfdehnung – in den USA Articulateds genannt – waren die weltweit größten und schwersten Kolbendampflokomotiven. Dank ihrer außerordentlichen Länge und der ausgewogenen Proportionen, einem ‚Markenzeichen‘ des Herstellers American Locomotive Company (ALCO) boten sie neben dem Eindruck unbändiger Maschinenkraft darüberhinaus auch ein gefälliges Aussehen. Dies kann man wahrlich nicht von jeder amerikanischen Dampflok behaupten.
Die wesentlichen Basisdaten sind weitgehend bekannt und vielfach in verschiedenen Publikationen wiedergegeben worden. Die Lokomotiven waren mit Tender etwa 40,4 Meter lang und wogen 539,5 Tonnen (so die Betriebsnummern 4000 bis 4019) bzw. 548,4 Tonnen (Betriebsnummern 4020 bis 4024). Letztere waren aufgrund kriegsbedingter Materialien etwas schwerer ausgeführt. Sie waren zwar für eine maximale Geschwindigkeit von 130 km/h ausgelegt, wurden jedoch im praktischen Betrieb wohl kaum über 80 km/h ausgefahren. Der größte Achsdruck lag mit ca. 31 Tonnen nicht höher als bei vielen anderen schweren Dampfloks in den USA, was zumindest theoretisch ihre Einsatzmöglichkeiten erhöhte. Die Zugkraft betrug 61,2 Tonnen. Das ist für eine Articulated ein beachtlicher Wert.
Fast zwangsläufig erhebt sich bei dem Betrachten solch‘ gewaltiger Zugmaschinen insbesondere dann, wenn es sich um Güterzugloks handelt, die Frage nach ihrem Leistungsvermögen. Es liegt wohl in der menschlichen Natur, dass es bei der Darstellung der Leistungsdaten einer außergewöhnlich populären Maschine gelegentlich zu Über- als auch zu Untertreibungen kommt. Dies hängt nicht selten von der subjektiven Vorliebe des jeweiligen Betrachters ab. In den USA scheint zudem ausgeprägter als in anderen Eisenbahnländern ein gewisser ‚Lokalpatriotismus‘ hinzuzukommen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass bis heute über die maximale HP- oder PS-Leistung der Big Boys in einschlägigen Foren diskutiert und gestritten wird. Dabei soll hier der geringfügige mathematische Unterschied der beiden Maßeinheiten außer Betracht bleiben.
Ursprünglich waren die Big Boys dafür konstruiert worden, Züge mit einer Tonnage von 3.600 short tons von Ogden nach Green River in der sogenannten Wasatch Range ohne Vorspann zu befördern. Die zu bewältigende Steigung beträgt in beiden Richtungen meist um 8,2‰. In östlicher Richtung nach Green River existierte ein einzelner Streckenabschnitt mit einer Steigung von 11,4‰. Nach einigen ‚Verbesserungen‘ und aufbauend auf Erfahrungswerten wurde die Anhängelast nach und nach bis auf 4.450 short tons erhöht. Ende der 40er Jahre wurde das Einsatzgebiet der Big Boys nach Cheyenne verlegt, von wo die Loks Güterzüge von ähnlicher Tonnage über den berühmten Pass ‚Sherman Hill‘ nach Laramie mit Neigungswinkeln bis zu 15,5‰ beförderten. Letzterer wurde in späteren Jahren durch eine südlicher verlaufende Neubaustrecke, den Harriman Cutoff, ‚entschärft‘ und der Neigungswinkel dabei auf 8,2‰ reduziert. Die maximale Anhängelast soll hier bis zu 5.360 short tons betragen haben.
Doch wieviel ‚PS‘ hatten die Big Boys nun? Allgemein wird die maximale Zughakenleistung mit 6.290 PSe angegeben, ein Wert, der weithin akzeptiert ist. Dies ist das Äquivalent der Kraft, die nach Abzug des Eigengewichts und der inneren Maschinenverluste real zur Verfügung steht. Die Angabe schwankt je nachdem, ob sie in der Ebene oder im hügeligen Terrain gemessen wurde. Demgegenüber betrug die rechnerische indizierte Zylinderleistung 7.157 PSi. Das ist der Mittelwert der Kraft, die der Kolben bei einer Längsbewegung im Zylinder aufbringt. Hierin mag die Erklärung zu suchen sein, dass etliche Quellen als höchste Leistung bisweilen 7.000 PS nennen.
In dem seinerzeit recht bekannten Buch ‚The Mohawk that Refused to Abdicate‘ von David P. Morgan gab der Autor die größte Zughakenleistung des Big Boy ebenfalls mit 6.290 PSe an im Vergleich zu einer anderen, ähnlich bekannten schweren Gelenklokomotive aus den späten Jahren der Dampftraktion. Es handelte sich dabei um die (1' C) C 3' Allegheny, Klasse H-8 der Chesapeake & Ohio Railroad, deren maximale Leistung am Zughaken erstaunliche 7.495 PSe betragen haben soll. Zwar dürfte unstreitig sein, dass die H-8 die weltweit stärkste Kolbendampflok war, doch können die genannten Vergleichszahlen in dieser Form nicht unwidersprochen bleiben.
Diese Leistungsangaben können nicht vergleichsweise gegenüber gestellt werden, da es sich zumindest im Fall der H-8 um Parameter handelt, die anlässlich einer technischen Messfahrt vor einem sogenannten Dynamometerwagen ermittelt wurden mit dem Ziel, die Maximalleistung dieser Loktype zu ermitteln. Der Autor Frank M. Swengel stellt in seinem grundlegenden Werk ‚The American Steam Locomotive‘ heraus, dass sich bei dem Test kurzzeitige Leistungsspitzen von 7.495 PSe zeigten, die Dauerleistung sich hingegen bei 6.900 PSe einpendelte. Doch nun zurück zum Big Boy.
Es ist interessant, dass gerade der Autor, der gelegentlich zu Übertreibungen neigt, die genauesten und vollständigsten Angaben zu den erzielten Leistungen der Big Boys einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat: Arnold Haas. In seiner informativ und fundiert verfassten Abhandlung ‚Die Big Boys der Union Pacific Railroad‘ wird erläutert, wie und aus welchen Gründen es zu der erwähnten Leistungsangabe gekommen ist. Im April 1943 wollte die Bahnleitung feststellen, wie sich die Maschinen gegenüber den neu aufkommenden Diesellokomotiven im fahrplanmäßigen Dienst vor unterschiedlich schweren Zügen leistungs- und verbrauchsmäßig verhielten. An drei Tagen wurden mit verschiedenen Loks (4014, 4016 und 4004) unterschiedlich schwere Züge planmäßig, d. h. mit annähernd gleicher Geschwindigkeit über den recht schwierigen Streckenabschnitt zwischen Ogden und Evanston mit Teilabschnitten von 11,4‰ befördert. Die Zuglasten schwankten relativ stark zwischen 3.480, 3.880 und 3.540 short tons. Dabei wurden bei Fahrzeiten von 220 bis 240 Minuten Leistungen am Zughaken zwischen 5.700 PSe und 6.290 PSe gemessen. Höhere Leistungen wurden für die gestellten Aufgaben nicht abgerufen.
Damit wird deutlich, dass die aufgezeigten Vergleichsfahrten der zugrunde liegenden Intention entsprechend der Lok nicht zwangsläufig maximale Leistungen abforderten. So erwähnt der Autor Arnold Haas weiter, dass aufgrund der gewonnenen Betriebsergebnisse die Anhängelasten im Plandienst zunächst auf 4.200 und zuletzt sogar auf 4.450 short tons erhöht wurden. Da an den Lokomotiven keine gravierenden technischen Verbesserungen mehr vorgenommen wurden, legt dies bei überschlagsmäßiger Kalkulation den Schluss nahe, dass die Big Boys, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden, kurzfristig bis zu 6.800 PSe entwickelt haben könnten. Dies umso mehr, als man neben dem Gewicht des Zuges die größere Anzahl der Wagenachsen und den damit verbundenen höheren Rollwiderstand mitberücksichtigen muss. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch eine Leistungskurve für die Big Boys, die der französische Autor Vilain in seinem Buch ‚Les Locomotives Articulees du Systeme Mallet‘ veröffentlicht hat. Sie zeigt eine maximale Zughakenleistung von 6.850 PSe im Unterschied zu anderen amerikanischen Articulateds. So zeigen sich bei anderen Maschinen (etwa der Klasse A der Norfolk & Western Railroad) höhere Zugleistungen bei niedrigeren und niedrigere bei vergleichbaren Geschwindigkeiten. Auch in anderen Quellen finden sich Hinweise auf eine höhere als allgemein erwähnte Zugkraft der Big Boys. So nennt Bauer in seinem Buch ‚Dampflokomotiven von 1813 bis 1961‘ ebenfalls eine Leistung von 5.000 kW, entsprechend 6.800 PSe.
Zwar trifft es zu, dass die Kessel der – wohl als erste Vergleichslokomotive zu den Big Boys betrachteten – Klasse H-8 der Chesapeake & Ohio Railroad deutlich größere direkte Strahlungs- und indirekte Verdampfungsheizflä-chen besaß, welche naturgemäß höhere Kesselleistungen ermöglichen. Allerdings ist die Kesselgröße nicht der allein ausschlaggebende Faktor. Das Leistungsvermögen einer Dampflok wird im Gegenteil von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt: Gute Anpassung an die Dampfmaschine, Güte von Kohle, Wasser und Schmierstoffen und, nicht zuletzt, den Außentemperaturen. In rein technischer Sicht ist das Verhältnis von direkter Strahlungsheizfläche zu indirekter Verdampfungsheizfläche von essenzieller Bedeutung, das bei den Big Boys wegen der ca. 14 m2 großen Rostfläche und der gut 3 Meter langen Verbrennungskammer den außerordentlich günstigen Wert von 1:7,4 und nach späterer Änderung von 1:7,0 erreichte. Dies hatte eine hohe Verdampfungsfreudigkeit zur Folge. Soweit bekannt, hat sich nur der Autor Haas der Mühe unterzogen, mit exakten Zahlen aufzuzeigen, dass tatsächlich zwei recht unterschiedlich dimensionierte Kessel bei den Big Boys zum Einbau gelangten. Bei den Betriebsnummern bis 4019 betrug die Verdampfungsheizfläche 547,1 m2 und die Überhitzerheizfläche 229,1 m2; bei der nachfolgenden Bauserie bis 4024 waren es 534,7 m2 und 189,8 m2. Das zweite, nicht an den Vegleichsfahrten beteiligte Baulos galt als etwas weniger leistungsfähig.
Ein weiteres sehr wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Big Boys war der im Vergleich zur Kesselgröße sehr hohe Dampfdruck von 21,1 Atü; dies bewirkt einerseits, dass der hochgespannte Dampf eine höhere nutzbare Energie besitzt und geringere Wärmeverluste bei der Dampfdehnung im Zylinder entstehen und hat andererseits zur Folge, dass der Kessel pro Arbeitsgang der Dampfmaschine dank des größeren Volumens hochgespannten Dampfs eine geringere Dampfmenge produzieren muss als jene Kessel, die mit einem niedrigeren Dampfdruck arbeiten.
Schließlich wird hierdurch auch der Verbrauch von Kohle und Wasser positiv beeinflußt. Während z. B. die Yellowstone-Gelenklokomotiven der Northern Pacific Railroad aus dem Jahr 1928 noch bis 22 Tonnen Kohle stündlich verbrauchten, um eine vergleichbare Leistung zu erbringen, waren es bei den Big Boys lediglich noch 10 Tonnen. Auch der Wasserverbrauch ist insbesondere bei solchen Bahngesellschaften, deren Hauptstrecken in wasserarmen Gegenden liegen, von großer Bedeutung. Während die Big Boys bei größter Lokanstrengung stündlich 45.000 Liter Wasser verbrauchten, benötigte die Duplex-Baureihe Q-2 der Pennsylvania Railroad bei vergleichbarer Arbeitsleistung 62.500 Liter Wasser.
Nicht zuletzt kommt auch der Saugzuganlage eine wichtige Rolle zu, da Dampflokomotiven – anders als ortsfeste Anlagen – keine hohen Schornsteine haben können. Durch die Sogwirkung wird die Anfachung des Feuers günstig beeinflusst. Die Big Boys besaßen eine großzügig dimensionierte Saugzuganlage mit Doppelschornsteinen und zwei vierfach ausgeführten Blasrohren von der Bauart Kylchap, was zugleich der Grund für die lange Rauchkammer war. Eine technische Modifizierung mag, da sie sehr augenfällig ist, an dieser Stelle kurz Erwähnung finden. 1951 wurden die Kühlschlangen, die sich auf dem Vorbau in Höhe der Geländer befanden, hinter das Schutzschild verlegt, da sie im Winter zur Vereisung neigten.
Abschließend kann mit einiger Berechtigung vermutet werden, dass die Big Boys bei Bedarf imstande waren, wenn auch nur kurzzeitig eine deutlich höhere als die meist wiedergegebene maximale Zughakenleistung von 6.290 PSezu erbringen. Anderenfalls wären die zum Teil deutlich erhöhten Zugleistungen späterer Jahre auf den angestammten Streckenabschnitten kaum erklärlich.
Die Big Boys waren eine vorzüglich gelungene Lokomotivkonstruktion, die auf einer langen und zumeist erfolgreichen Tradition im amerikanischen Dampflokbau basierte und diese Tradition weiterführte. Ein besonders eindrücklicher Beweis für die Güte dieser Konstruktion war nicht zuletzt die relativ lange planmäßige Einsatzzeit von 1941 bis 1959.
Amerikas erster transkontinentaler Schienenstrang bezwang die Rocky Mountains in sanften Schleifen über die Bergkette des Sherman Hill. „Jeder Kollege, der das nicht auszunutzen weiß […], ist für diesen Beruf ungeeignet“, stellte Greenville Dodge fest, zu jener Zeit leitender Ingenieur der Union Pacific Eisenbahn. Geologen bezeichneten den schmalen Ost-West-Grat als ‚Laufplanke‘.
Bereits vor den zahlreichen Verbesserungen ihrer Bergstrecke hatte deren günstige Topografie der Gesellschaft von Beginn an einen Vorteil verschafft. „Diese Stelle ist die einzig mögliche der gesamten Rockys, die von der Tiefebene bis zum höchsten Sattel ohne Serpentinen oder einen Tunnel auskommt“, urteilte der Geologe David Love.
Bill Metzger in Railroad Maps, Trains Special No 3 2018, Seite 75
Da ich wieder in Betrieb genommen werden soll, denke ich, krame ich ein bisschen in meinen Erinnerungen, um Ihnen einen Begriff davon zu verschaffen, wie das war – damals, als ich mich noch im fahrplanmäßigen Einsatz befand.
Ich stelle eine kurze Biografie voran. Ich wurde 1941 in den Alco-Werken in Schenectady im Staat New York gebaut und gehöre zu den 20 Vorkriegsexemplaren mit den Betriebsnummern 4000 bis 4019. Die American Locomotive Company war damals nicht nur die größte Lokomotivfabrik der USA, sondern sogar überhaupt. Folglich war ich nur eine von vielen, die damals deren Werkshallen verließ. Meine 19 Schwestern und mich zeichnete eine Besonderheit aus: Wir waren die größten Lokomotiven der Erde und halten diesen Rekord bis heute. Um Kurven bezwingen zu können, ist das vordere unserer beiden Antriebsgruppen gelenkig ausgeführt. Eine von ihnen besteht aus vier gekuppelten Achsen. Zwei Laufachsen vorn und zwei weitere hinten, die Schleppachsen heißen, sorgen für gute Bogenläufigkeit und Gewichtsverteilung. Jetzt haltet euch fest, liebe europäische Kolleginnen: Meine Dienstmasse beträgt 345 metrische Tonnen. Dazu kommt mein siebenachsiger Tender, der mit vollen Vorräten nochmals 198 Tonnen auf die Waage bringt. Die vollen Vorräte umfassen 25,4 Tonnen Kohle und 94,6 m3Wasser. Wozu ich die brauche, wird sich im Lauf der Geschichte klären.
Meine Eigentümerin, die Union Pacific, ließ mich bis 21. Juli 1959 im Dienst. Acht von uns entkamen dem Schneidbrenner und wurden auf verschiedene Eisenbahnmuseen verteilt. Mich verschlug es nach Pomona in Kalifornien. Mehr als 54 Jahre nach meiner Abstellung, am 14. November 2013, wurde ich aus dem Gelände gerollt und im Lauf der darauf folgenden Wochen bis nach Cheyenne, meiner alten Heimat, geschleppt, um dort wieder betriebsfähig aufgearbeitet zu werden. Zum 150. Jahrestag des berühmten ‚Goldenen Nagels‘ in Promontory Summit in Utah, der am 10. Mai 1869 den Zusammenschluss der ersten Ost-West-Schienenverbindung Amerikas besiegelte, soll ich wieder aus eigener Kraft fahren. Ich bin schon ganz aufgeregt!
Genug der trockenen Zahlen. Ich schildere im Folgenden einen normalen Tag, an dem ich einen fast normalen Güterzug über meine Stammstrecke von Cheyenne nach Ogden ziehe. Ich hatte erst vorgehabt, einen meines letzten Jahres 1959 auszuwählen, als schon zahlreiche Fotografen unterwegs meiner harrten, entschied mich dann aber für 1956. In jenem Jahr wird nämlich meine Fracht aus Omaha noch von Starrrahmen-Sechskupplern der Klasse 9000 gebracht, ein wohlgelungener, einmaliger Entwurf und deshalb eine von allen Enthusiasten geliebte Kollegin. Für das Reststück nach Oakland geschieht die Übergabe an Cab Forwards, mir an Zugkraft ebenbürtige Kolleginnen der befreundeten Southern Pacific. Diese hatten ihre Konstrukteure wegen des Qualms, der in den langen Tunneln und Lawinengalerieen ihrer Strecke die Besatzungen gesundheitlich gefährdete, herumgedreht und liefen Führerhaus voraus – wie ihr Name sagt.
Ich lenke Ihr Augenmerk auf Dienstag, den 15. Mai 1956. Ich stehe im Rundschuppen meines Heimatbetriebswerks Cheyenne und döse unter Ruhefeuer. Eine Dampflok lässt die Mannschaft während ihrer Einsatzperiode nicht erkalten. Wegen der extremen Spannungsschwankungen wäre das für die Lebensdauer unserer Kessel nicht gut. Wie Pferde müssen auch wir gefüttert werden, wenn kein Karren zu ziehen ist. Deshalb werden wir ab und zu als ‚Dampfrösser‘ bezeichnet.
Ich bin auf meinen Meister gespannt. Glauben Sie ja nicht, dass alle gleich sind. Manche zerren roh an meinem Regler und bewirken nichts weiter, als dass ich vor einem schweren Zug in wildes Schleudern gerate. Engineer Joseph Wankawee – engineer heißt in diesem Zusammenhang nicht Ingenieur, sondern Maschinist – ist dagegen einer der zartfühlenden Sorte. Ich bin deshalb erleichtert, als er meinen Führerstand besteigt. Heizer Carl Callogan müht sich mit der schweren Fettpresse um gute Schmierung und gesellt sich dann zu seinem Lokführer.
Das Betriebswerkpersonal hat mich bereits aufgerüstet, das bedeutet meine Rauchkammer gereinigt, meinen Rost entschlackt und meinen Tender mit Kohle und Wasser versorgt. Es kann ohne Verzug losgehen.
„Fast Freight No 313, 5.212 tons“, liest Wankawee in seinen Unterlagen, „ein bisschen viel.“
„Tatsächlich Schnellgüterzug?“ hakt Callogan nach.
„Leider.“
Die tons der USA sind short tons mit dem Umrechnungsfaktor 0,907185. Es handelt sich also um 4.728 metrische Tonnen, auch nicht wenig. Hatten bis 1953 als Grenzlast über die Wasatch-Berge 4.600 amerikanische Tonnen für mich im Alleingang gegolten, war sie in jenem Jahr wegen neuer Streckenführung auf 4.900 oder 4.445 metrische Tonnen erhöht worden.
„Schaffen wir das überhaupt?“
„Grenzlast heißt, dass sie nicht überschritten werden darf. Aber …,“ Wankawee schlägt die rechte Faust auf die Fläche seiner linken Hand, „ich werd’s ihnen zeigen. Wir schaffen das!
Allerdings“, fügt er vorsichtshalber hinzu, „ob ich auch die Fahrzeit schaffe …“
Die großzügigen Gleisanlagen des Knotenpunkts Cheyenne bieten unglaublich umfang- und abwechslungsreichen Verkehr. Folglich bin ich nicht die einzige Maschine, die auf ihren Einsatz wartet. Mein Zug ist noch nicht aufgetaucht.
„Eine Stunde Verspätung, fast wenig für so eine Fuhre.“
„Vielleicht hat unser Vorgänger Vorspann spendiert bekommen.“
„Ich bin gespannt.“
Bei jedem Blasrohrgeräusch aus Richtung Osten keimt Hoffnung in mir auf und wird enttäuscht. Wie immer, wenn man fast resigniert hat, geschieht das Wunder. „Da kommt er“, kommentiert Wankawee.
Meine Kollegin 9008 sieht erschöpft aus. Sie hat die gewaltige Last tatsächlich allein bewältigt, aber ihren Fahrplan nicht zu halten vermocht. „Du bist dran“, keucht sie zu mir herüber, „ich bin froh, mich gleich im Schuppen ausruhen zu dürfen.“
Ich bin zwar um einiges kräftiger als meine Kollegin, muss aber über die Berge. Ich schaue ihr traurig nach, als sie, von ihrem Ballast befreit, davondampft. Traurig, weil ich weiß, dass dieser Monat ihr letzter sein wird. Sie hatte ohnehin Glück, bis jetzt überlebt zu haben. Sie gehört zu denen, deren anfällige Mittelzylinder-Steuerung nach dem Gresley-Prinzip durch eine eigenständig arbeitende, weniger wartungsintensive nach Walschaerts ersetzt wurde. Ihre Stammmutter, der Prototyp mit der Nummer 9000, war jahrzehntelang meine Nachbarin im Rail Giants Train Museum in Pomona, Kalifornien.
Nach einer sogenannten Sägefahrt, das heißt einmal vor und zurück setze ich mich vor den Zug. Seit den 20er Jahren arbeiten amerikanische Kupplungen automatisch, sodass kein Rangierer mehr Hand an mich legen muss. Eine Bremsprobe ist natürlich wie bei Euch nötig, liebe Kolleginnen jenseits des großen Teichs.