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Schonend, medikamentenfrei, manuell - so können Sie ein falsch stehendes Gelenk gezielt durch einen Impuls wieder in die korrekte Position gleiten lassen. Dieses Lehr- und Praxisbuch gibt einen strukturierten Überblick über die Chiropraktik von heute. Vorgestellt werden über 100 Techniken, teilweise mit Alternativen. Sortiert sind die Techniken nach Körperregionen. Ihre Beschreibung folgt einem übersichtlich aufgebauten Schema: - Palpationsgegenstand, - Position von Patient und Behandler, - Impulshand, - Stabilisationshand, - Kontaktpunkt, - Impulsrichtung, - Durchführung. Fotos zeigen die vorgestellten Tests und Techniken, während die anatomischen Beschreibungen mit den bekannten Prometheus-Abbildungen illustriert werden. Eine umfassend illustrierte Techniksammlung für einen strukturierten Überblick über die Chiropraktik.
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Seitenzahl: 475
Veröffentlichungsjahr: 2014
Lehrbuch Chiropraktik
Henrik Simon
440 Abbildungen
Bewegung ist Leben, und Leben ist Bewegung!
In diesem Buch geht es um die ursprüngliche amerikanische Chiropraktik ohne technische Hilfsmittel. Der Pfarrer Samuel Weed war der Namensgeber dieser Behandlungsform, die ursprünglich von Daniel David Palmer 1895 begründet wurde. Er setzte aus dem Altgriechischen „cheir“ (Hand) und „practos“ (anwenden) zusammen zu Chiropraktik („Mit der Hand getan“). Es ist eine im Prinzip sehr alte Heildisziplin, rein manuell, die unter einfachsten Bedingungen überall durchgeführt werden kann.
Man benötigt keine voll ausgestattete Praxis, bestenfalls eine geeignete Unterlage. Einen guten Chiropraktiker macht eine gewisse Gabe aus, die nur schwer anzutrainieren ist. Ein Chiropraktiker benötigt – neben seinem Wissen um den Körper – eine gewisse Empathie und Feingefühl sowie motorisches Geschick. Jeder kann Klavier spielen oder chiropraktisch arbeiten – dem einen fällt es aber leichter als dem anderen, diese Fähigkeit gut und richtig zu erlernen und auszuüben.
Die in diesem Buch beschriebenen Techniken stammen fast ausnahmslos von Dr. L. Dean Kirchner, D.C. Er graduierte 1956 am Cleveland College in Kansas City, Missouri, und eröffnete im Anschluss seine erste Praxis in Kansas-City, Kansas, die er 1968 nach Burlington, Kansas, verlegte. Dort wurde er der Vorsitzende einer chiropraktischen Gesellschaft, der „I walk again“-Foundation. In der Kansas Chiropractic Association (KCA) war er 14 Jahre für die Durchführung der Post-graduate-Seminare verantwortlich. Diese waren für jeden Chiropraktiker in Kansas zur Lizenzerhaltung verpflichtend, 50 Stunden pro Jahr. Er lud Gastdozenten für diese Fortbildungen ein und war in der glücklichen Lage seines Postens, allen Fortbildungen selbst beizuwohnen. So lernte er von namhaften Koryphäen der Chiropraktik wie Bartlett J. Palmer, Clarence S. Gonstead, Major B. DeJarnette, Douglas M. Cox, Clay Thompson, Hugh B. Logan, Kevin J. Hearon, Arlan W. Fuhr (Fuhr war der Erfinder des Aktivators – ein technisches Hilfsmittel für Chiropraktiker, einen schnellen Impuls geben zu können) u.a., mit denen er sich auch über die Fortbildung hinaus austauschte. Über all diese Jahre vergrößerte sich sein Wissen, und er eignete sich eine Vielzahl von Techniken an, auch aus der Osteopathie. Aus all diesen Techniken suchte er die spezifischsten, einfachsten, ungefährlichsten und seines Erachtens besten Techniken und Konzepte zusammen. Er lehrt die Quintessenz der amerikanischen Chiropraktik, die hier in diesem Buch dargestellt und beschrieben wird. Dean sagt immer: „It’s so easy!“ – Es ist so einfach! (Wenn man weiß, wie!)
In den fast 20 Jahren, die ich Dean Kirchner, D.C., kenne, habe ich sehr viel von ihm gelernt. Da er nun beschlossen hat, aufgrund seines fortgeschrittenen Alters in Deutschland keine Seminare mehr zu halten, empfand ich es als wichtig, dieses Lehrbuch zu verfassen. Mein Anliegen ist es, diese Techniken zu erhalten und weiterzuvermitteln. Ebenso war es mir ein Anliegen, einige der Hintergründe auszuführen, warum Chiropraktik wirkt und worauf es sich auswirken kann, wenn eine Störung im Funktionsgefüge der Statik und des Nervensystems vorliegt. Daher werden in diesem Lehrbuch auch allgemein bekannte physiologische Mechanismen exemplarisch dargestellt, die relevant für das Verständnis der Funktionsweise der amerikanischen Chiropraktik sind. Es ist ein faszinierendes medizinisches Gebiet, da Blockierungen für so viele Symptome, Erscheinungen und Erkrankungen ursächlich verantwortlich sein können.
Natürlich kann man sich fragen, ob es der amerikanischen Chiropraktik in Deutschland bedarf, also einer „weiteren“ Form oder Fachdisziplin in der Manuellen Medizin. Vor dem Hintergrund der 3 am häufigsten durchgeführten Operationen in Deutschland im Jahr 2011 (Statistisches Bundesamt ▶ [72]):
andere Operationen am Darm: insgesamt 357 000,
arthroskopische Operation am Gelenkknorpel und Menisken: insgesamt 297 000,
Zugang zur Lendenwirbelsäule, zum Os sacrum und zum Os coccygis: insgesamt 281 000,
kann man die Frage aus chiropraktischer Sicht eindeutig mit „Ja“ beantworten. In Deutschland sind allein 2 der Ursachen, die am häufigsten eine Operation nach sich ziehen, auf degenerative Verschleißerscheinungen zurückzuführen, und zwar in weit höherer Zahl als auf Traumata.
Vielleicht ist es (endlich) an der Zeit, frühzeitig die Prophylaxe in den Vordergrund zu stellen, damit kein übermäßiger Verschleiß eintritt. Das könnte vielen Menschen Leid und dem Gesundheitssystem hohe Kosten ersparen. Die amerikanische Chiropraktik kann maßgeblich dazu beitragen: Möge das vorliegende Lehrbuch zum Verständnis beitragen, dass die Prophylaxe und sanfte Behandlung eine wichtige Basis für eine nachhaltige Gesundung und Gesunderhaltung sind – „Kümmere dich um deine Gesundheit nicht erst, wenn du krank bist!“ (Jesus Christus).
Was war zuerst? Das Huhn oder das Ei? Kann sich die Psyche auf die Haltung auswirken, oder kann die Haltung und eine daraus resultierende Unterversorgung des Zentralnervensystems (ZNS) die Psyche beeinträchtigen? Können organische Erkrankungen oder Veränderungen Fehlhaltungen hervorrufen, oder können diese Fehlstellungen die Organe negativ bis zur Erkrankung beeinflussen?
Reparaturmaßnahmen werden über das Nervensystem gesteuert. Der Heilpraktiker Norbert Tammen sagt hierzu:
Der Körper macht keinen Fehler!
Der Körper versucht, vom „Schlimmen“ zum „weniger Schlimmen“ zu kompensieren. Ab einem gewissen Punkt allerdings kann der Körper keine Kompensation mehr herbeiführen. Meist ist dies ein Prozess über Jahre, wenn nicht gar über Jahrzehnte. Dann sollte jedem verantwortungsbewussten chiropraktischen Behandler klar sein, dass ein solcher Zustand nicht mit einem „Hand-griff“ im „Hand-umdrehen“ be-“Hand“-elt werden kann. Aber es sollte versucht werden, dem Körper wieder zu einer gesunden Statik zu verhelfen, sodass der dekompensatorische Prozess zumindest aufgehalten wird, eventuell zu einer Remission (Zurückgehen) führt, bis hoffentlich hin zur Rekonvaleszenz (Genesung). Die amerikanische Chiropraktik bietet dafür Techniken größter Spezifität, die mit einem geringen Risiko verbunden sind.
Zum Abschluss möchte ich noch folgende wesentliche Punkte anführen:
Als Behandler sollte man sich bei einer Technikdurchführung nicht unphysiologisch wiederholt bewegen. Man sollte bei Behandlungen immer auf seine eigene Ergodynamik achten und sich nicht selber bei der Durchführung der Techniken auf Dauer schädigen! Achten Sie auf Ihre eigene Körperhaltung. Nehmen Sie sich Zeit, Ihre Liege auf die richtige Höhe einzustellen. Es geht um Ihren Rücken!
Mein persönliches Anliegen ist es, die Differenzen und den Protektionismus zwischen den verschiedenen Gruppierungen und Verbänden manuell behandelnder Heildisziplinen, für die Gesundheit und das Wohl von Menschen, auszuräumen und mehr zusammenzuarbeiten. Nur gemeinsam können wir erreichen, dass die Akzeptanz und das Verständnis in der Bevölkerung für manuelle Behandlungsformen zunehmen, eine frühzeitige Aufklärung über korrekte Statik und richtige Bewegungsmuster möglich wird und damit eine Steigerung der Volksgesundheit durch frühzeitige Korrektur der Statik der Menschen und durch prophylaktische Behandlungen erzielen.
Groß-Gerau, im Juli 2014
Henrik Simon
Meinen herzlichen Dank an Dr. L. Dean Kirchner, D.C., für die Jahre der ausführlichen Betreuung und väterlichen Lehre seiner „gesammelten“ Techniken. Inzwischen kennen wir uns seit über 20 Jahren, in denen er nicht nur mein Lehrer war, sondern zum Freund für mich geworden ist.
Meinen außerordentlich großen Dank an meinen Bruder, Heilpraktiker Hajo Simon, der mich als „kleinen“ Bruder bereits in meiner Teenagerzeit chiropraktisch von meinen jahrelangen Rücken- und Knieproblemen befreite. Durch ihn entdeckte ich meine Leidenschaft für die amerikanische Chiropraktik und wand mich 2001 vom Medizinstudium ab und der Chiropraktik zu. Vielen Dank für die Einführung in die Chiropraktik, Betreuung, Unterrichtung und Hospitation sowie natürlich den regen Austausch!
Vielen Dank an Univ.-Prof. Dr. med. Erik Schulte vom Institut für Funktionelle und Klinische Anatomie, Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, der mir in meiner Vorklinikzeit die Faszination für Anatomie in seiner enthusiastischen, humorvollen und vor allem kompetenten Art vermittelte.
Vielen Dank an die Kolleginnen und Kollegen für die Bereitstellung von Informationen und ihre konstruktive Kritik. Insbesondere möchte ich hier den Kollegen Olaf Breidenbach, Uwe Rausch, Frank Konrad, Dipl. med. Dr. rer. nat. Bernd Gramlich, Olaf Strauch, Norbert Tammen, Dagmar Heep und Christoph Ahlbrecht für ihren regen Austausch herzlich danken.
Vielen Dank Frau Monika Grübener und Herrn Cornelius von Grumbkow vom Haug Verlag sowie der Redakteurin Frau Stefanie Teichert, die mir die Möglichkeit gegeben und mich unterstützt haben, diese Techniksammlung von Dean Kirchner, D.C., in diesem Rahmen zu beschreiben.
Zu guter Letzt möchte ich mich natürlich bei meiner Familie ganz herzlich bedanken, die während der Phase der Recherche und des Buchschreibens auf ihren Mann und Papa so lange geduldig verzichtet haben.
I am a Doctor of Chiropractic, having graduated from a Chiropractic college in 1956. During my years in practice I was fortunate to have been in charge of the post graduate seminars for yearly relicense for fourteen years. This was a requirement in which I practiced. I have met and learned from famous teachers in my profession, but never considered teaching until I visited Germany about 30 years ago. While in Germany I visited a Heilpraktiker school, and was invited to demonstrate some techniques. I was subsequently asked to lecture at the school.
I am proud to have been able to help graduates of the school to obtain a better understanding of the Chiropractic profession. Recently, since my advancing age now limits my travel, I have encouraged some highly advanced graduates to carry on by teaching advanced Chiropractic techniques.
I am grateful to have been the inspirator of this book, and to HP Henrik Simon for being it’s author. I can claim that none of the techniques in this book originated from me, but are a collection of techniques that I thought to be helpful.
For well over a half century a graduate of a Heilpraktiker school has been allowed to practice a variety of disciplines, including Chiropractic. My hope is that a Chiropractic college, based on established Chiropractic principals will soon be a reality in Germany.
When my colleagues have asked me why I wanted to teach, I simply have said that „A candle loses nothing by lighting another candle. The result can only be more light.“
Yours in good health
Dr. L. Dean Kirchner, D.C.
Vorwort
Danksagung
Geleitwort von Dr. L. Dean Kirchner, D.C.
Teil I Theorie
1 Hintergrund
1.1 Geschichte der Chiropraktik und Osteopathie
1.2 Entwicklung der Chiropraktik in Deutschland
1.2.1 Verbände und Ausbildungen für Heilpraktiker
1.2.2 Verbände und ihre Entwicklung für Schulmediziner
1.3 Philosophie
1.3.1 Zeitgemäße chiropraktische Betrachtungsweise
1.3.2 Biopsychosoziale Betrachtungsweise
1.3.3 Betrachtungsweise der chiropraktischen Schulen/Vereinigungen
2 Grundlagen zum Funktionsmechanismus der Chiropraktik
2.1 Terminologie
2.1.1 Subluxation – statische Störung – Blockierung
2.1.2 Adjustierung oder Reposition
2.1.3 Phasen einer unbehandelten Blockade in der Wirbelsäule
2.1.4 Auswirkung einer Blockade auf das Nervensystem
2.1.5 Kompensations- und Dekompensationsphase
2.1.6 Lagebeschreibung/Bezeichnung der Fehlstellung (Listing)
2.1.7 Die Körperebenen
2.2 Embryologie
2.2.1 Bildung von Somiten und Ausbildung der Metamerie
2.2.2 Sklerotom
2.2.3 Dermatom
2.2.4 Myotom
2.2.5 Head‘sche Zonen
2.3 Neuroanatomie
2.3.1 Zentrales Nervensystem
2.3.2 Peripheres Nervensystem
2.3.3 Rückenmarksegment und Spinalnerv
2.3.4 Nervenfasertypen
2.3.5 Bahnsysteme im Rückenmark
2.3.6 Beeinträchtigung des Ramus meningeus
2.3.7 Folgen einer Reflexbogenreizung
2.3.8 Der arthromuskuläre Circulus vitiosus
2.3.9 Beeinträchtigung von Spinalnerven durch Druck
2.3.10 Meningen und Dura mater spinalis
2.3.11 Liquorfluss
2.3.12 Versorgungsgebiete der oberen und unteren Extremität
2.3.13 Mechanorezeption und Propriozeption
2.3.14 Muskeln und Sehnen (Myopathologie)
2.3.15 Bänder/Ligamente
2.3.16 Stressreaktion
3 Indikationen und Kontraindikationen
3.1 Indikationen
3.1.1 Allgemeine Indikationen
3.1.2 Indikationen nach segmentaler Zuordnung
3.2 Kontraindikationen
3.2.1 Absolute Kontraindikationen
3.2.2 Relative Kontraindikationen
4 Diagnostik
4.1 Anamnese
4.2 Inspektion
4.3 Palpation
4.4 Weitere chiropraktische Untersuchungen
4.4.1 Bestimmung der Bewegungsumfänge (ROM)
4.4.2 Tests und Zeichen
4.4.3 Reflexe
4.5 Röntgendiagnostik
5 Allgemeines zur chiropraktischen Behandlung
5.1 Technikgrundlagen
5.1.1 Bewegungsräume von Gelenken
5.1.2 Extremitätenbehandlung
5.1.3 Handhaltungen und Grifftechniken
5.2 Entzündliche und degenerative Erkrankungen in der chiropraktischen Praxis
5.2.1 Entzündung
5.2.2 Arthrose
5.2.3 Skoliose
5.3 Begleiterscheinungen/Nebenwirkungen einer Behandlung
5.4 Behandlungshäufigkeit
5.5 Therapieplanung und Kontrolltermine
5.6 Weitere Therapieoptionen
5.6.1 Kälteanwendung
5.6.2 Wärmeanwendung
5.7 Empfehlungen an Patienten
5.7.1 Isometrische Übung für die HWS
5.7.2 Rückenstreckertraining
5.7.3 Ausdauertraining
5.8 Chiropraktik bei Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern und Jugendlichen
5.8.1 Untersuchung
5.8.2 Tests und Reflexe
5.8.3 Indikationen
5.8.4 Chiropraktische Behandlung
Teil II Praxis
6 Wirbelsäule
6.1 Einleitung
6.1.1 Anatomie der Wirbelsäule
6.1.2 Klinische Aspekte
6.1.3 Pathologien der HWS
6.2 Techniken der HWS
6.2.1 HWS in Rotation
6.2.2 HWS in Translation
6.2.3 Atlastechniken
6.2.4 Okziput in Seitenneigung (Lateralflexion)
6.2.5 Tortikollis (Schiefhals)
6.2.6 Mobilisationstechnik des Os hyoideum (Zungenbein)
6.3 Techniken der BWS
6.3.1 Zervikothorakaler Übergang (CTÜ)
6.3.2 BWS in Rotation
6.3.3 BWS in Lateralflexion (Seitneigung)
6.3.4 BWS in anteriorer Stellung
6.3.5 BWS in posteriorer Stellung
6.4 Techniken der LWS
6.4.1 LWS in Rotation
6.4.2 LWS in Lateralflexion
6.4.3 Ventralverschiebung der LWS (Spondylolisthesis)
6.4.4 Übungen zur Entlastung der LWS
7 Becken
7.1 Einleitung
7.1.1 Mechanik von Wirbelsäule und Becken
7.1.2 Anatomische Beinlängendifferenz
7.2 Iliosakralgelenk
7.2.1 Techniken für das ISG
7.3 Sakrum
7.3.1 Techniken für das Sakrum
7.4 Symphysis pubica/Os pubis
7.4.1 Technik für die Symphysenfuge
7.5 Os coccygis
7.5.1 Distorsion des Sakrokokzygealgelenks
7.5.2 Techniken für das Os coccygis
8 Obere Extremität
8.1 Hand
8.1.1 Techniken für die Fingergelenke
8.1.2 Techniken für die Mittelhandknochen
8.1.3 Techniken für die Handwurzelknochen
8.1.4 Techniken beim Karpaltunnelsyndrom
8.2 Ellenbogen
8.2.1 Techniken beim Tennisellenbogen
8.2.2 Techniken beim Golferellenbogen
8.3 Schulter
8.3.1 Technik bei Bizepssehnendislokation
8.3.2 Techniken für die Rotatorenmanschette
8.3.3 Techniken bei Schulterluxation
8.3.4 Techniken für das Schulterblatt
8.3.5 Techniken für das Schlüsselbein und Sternoklavikulargelenk
8.4 Rippen
8.4.1 Techniken bei Rippenblockade (Th2 bis Th12)
9 Kopf und Kiefergelenk
9.1 Temporomandibulargelenk
9.1.1 Techniken für das Temporomandibulargelenk
9.2 Nasennebenhöhlen
9.2.1 Sinustechniken
9.3 Ohr und Auge
9.3.1 Techniken für die Ohren
9.3.2 Technik zur Augenmobilisierung
10 Untere Extremität
10.1 Einleitung
10.2 Fuß
10.2.1 Techniken zur Fußmobilisierung
10.2.2 Techniken für die Zehen
10.3 Sprunggelenk
10.3.1 Techniken für das untere Sprunggelenk
10.3.2 Techniken für das obere Sprunggelenk
10.4 Kniegelenk
10.4.1 Techniken bei einer Tibiarotation
10.4.2 Techniken bei Meniskusblockierung
10.4.3 Techniken für die Patella
10.5 Hüftgelenk
10.5.1 Generelle Mobilisation des Hüftgelenks
10.5.2 Hüftgelenk in Rotationsstellung
Teil III Anhang
11 Abkürzungsverzeichnis
12 Abbildungsnachweis
13 Literatur
Autorenvorstellung
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum
1 Hintergrund
2 Grundlagen zum Funktionsmechanismus der Chiropraktik
3 Indikationen und Kontraindikationen
4 Diagnostik
5 Allgemeines zur chiropraktischen Behandlung
Manuelle Therapieformen blicken auf eine lange historische Tradition zurück, erst später wurde der Begriff „Chiropraktik“ durch den Pfarrer Samuel Weed geprägt. Dieses Kapitel vermittelt Ihnen einen Überblick zu den geschichtlichen Hintergründen und der Entwicklung in Deutschland. Dabei werden ebenso die begrifflichen Abgrenzungen zu anderen manualtherapeutischen Behandlungen wie der Osteopathie, die Organisationen und Ausbildungsmöglichkeiten sowie die philosophischen Betrachtungsweisen innerhalb der Chiropraktik eingehend besprochen.
Der Fähigkeit des Menschen, logisch denken zu können und zu schlussfolgern, ist es zu schulden, dass viele Entdeckungen und Erfindungen gemacht wurden. Wenn ein Gelenk in einer falschen Position stand, wurde bereits zu allen Zeiten weltweit versucht, diese Fehlstellung zu korrigieren. Stand etwas zu weit nach rechts, wurde es nach links korrigiert; stand es zu hoch, wurde es tiefer gebracht – und jeweils umgekehrt.
In der Steinzeit wurden Gelenke „eingerenkt“, wenn sie sich ausgerenkt nicht mehr in ihrer „normalen“ Position befanden, meist nach einem traumatischen Ereignis. Die ältesten Beweise dafür gibt es von den Ägyptern und Chinesen ca. 3000 v. Chr.
Die Anfänge einer „Rückenbehandlung“ erfolgten, indem leichte Personen, meist Kinder, über den Rücken eines Leidgeplagten gelaufen sind. Durch die unspezifischen Mobilisierungen der einzelnen Wirbel wurden so manche, eher per Zufall in die richtige Position gebracht und Linderung verschafft.
Genauere Details wurden durch den griechischen Arzt Hippokrates (460–377 v. Chr.) bekannt. Im Corpus Hippocraticum, einer Sammlung seiner Schriften, befinden sich auch Abhandlungen wie „Über Gelenke“, „Über Brüche“ und „Instrumente zum Einrenken“. Andere namhafte Behandler wie Galenos von Pergamon (griech. Arzt, ca. 130–205 n. Chr.), Oreibasios (griech. Arzt, ca. 325–403 n. Chr.), Paulos von Aegina (7. Jhd. n. Chr.) beschrieben ebenfalls die Wirbelsäulenbehandlung.
In Nordeuropa wurden die „Bone-Setter“ (Knochensetzer) im Mittelalter berühmt mit einer jahrhundertealten Tradition, die auch bis ins Königshaus vorgelassen wurden. Angeblich wurde die Königin von Großbritannien und Irland, Caroline von Brandenburg-Ansbach 1736 von der Knochensetzerin Sarah Mapp behandelt.
Der Begriff „Knochenbrecher“ wurde in Deutschland geprägt, weil früher Behandler schlecht verheilende Frakturen erneut brachen, damit sie gerade wieder zusammenwachsen konnten. Diese Behandler kümmerten sich aber auch um Wirbelsäulenerkrankungen und Luxationen anderer Gelenke. Chirurgen, Masseure, Barbiere führten im Mittelalter ebenfalls Repositionierungen von Knochen an Gelenken aus. In dieser Zeit war die Entfremdung der Medizin von der Volksmedizin noch nicht groß.
Somit ist festzuhalten, dass das Korrigieren von falsch stehenden Gelenken bereits eine lange Tradition hat.
Ähnliche Erkenntnisse und Ideen scheinen manchmal in der Luft zu liegen (morphisches Feld, Rupert Sheldrake). Entdeckungen zum gleichen Forschungsziel erfolgten zu einer gleichen Zeitepoche: 1895 entwickelte Wilhelm Konrad Röntgen die Möglichkeit, Aufnahmen der Knochen von lebenden Menschen zu machen. Sir Henry Head erforschte die Zusammenhänge von Organsystemen zu Hautarealen hauptsächlich in den Jahren von 1889–1896 und veröffentlichte ein Buch mit dem Titel: Sensibilitätsstörungen der Haut bei Visceralerkrankungen (übersetzt aus dem Englischen 1898 von Friedrich Wilhelm Seiffer). 1892 veröffentlichte Mackenzie seine Untersuchungsergebnisse im Zusammenhang von inneren Organen zu einer Schmerzempfindlichkeit bestimmter Wirbel. Während dieser Zeit der späten industriellen Revolution sollte man sich bewusst machen, dass die Maschine Einzug in die Mechanik und in das Denken hielt.
Am 07.03.1845 wurde David Daniel Palmer in Port Perry, östlich von Toronto, Kanada, geboren (er starb am 20.10.1913 in Los Angeles). Er wanderte in die USA, nach Boston, als er ca. 20 Jahre alt war. Obwohl ihn der menschliche Körper sehr interessierte, hatte er es nicht geschafft, Medizin zu studieren. In den USA baute er ein Lebensmittelgeschäft auf, trieb Fischhandel und war Imker. Währenddessen widmete er sich seiner Leidenschaft, dem menschlichen Körper. Er beschäftigte sich mit der Phrenologie (topografischer Zusammenhang der Hirnareale mit Charakterbildung anhand von Kopfform und Gehirnausprägung). Zu diesem Thema hielt er Vorlesungen. Auf einem dieser Vorträge traf er Paul Caster, einen damals bekannten Magnetopathen, den er auch als Freund gewann. In Burlington, später in Davenport, Iowa, gründete er 1886 eine Praxis als „magnetic healer“. Diese Behandlungsmethode führte er bis 1895 durch. Neben der Praxis beschäftigte er sich weiter mit der Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers.
Die Quellen sind sich uneins, woher Palmer seine Inspiration zum Korrigieren eines falsch stehenden Wirbels erhielt. Palmer selbst beruft sich auf seinen Kontakt zu Dr. Jim Atkinson, der Mitte bis Ende des 19. Jhds. in Davenport lebte. Atkinson versuchte, während seines Lebens die Prinzipien zu verbreiten, die jetzt als Chiropraktik bekannt sind. Er behauptete, dass schon im alten Ägypten an kranken Menschen durch das Zurückplatzieren eines verschobenen Wirbels geholfen wurde und es dort praktiziert wurde. Er scheiterte am Widerstand des Zeitgeistes, nicht weil seine Prinzipien falsch gewesen wären.
Während dieser Zeit stellte Palmer fest, dass das Nervensystem und die Wirbelsäule eine viel größere Bedeutung haben, als man zu dieser Zeit annahm. Er stellte die These auf, dass der Körper über die Wirbelsäule mit Nervenenergie versorgt wird. Bei einer Fehlstellung in der Wirbelsäule wird diese Energie in ihrem Fluss gehemmt, weil die Nerven bedrängt werden.
Nach jahrelanger Suche und unzähligen Besuchen von Lehrgängen in unterschiedlichen medizinischen Bereichen fand Palmer in der Osteopathie eine stimmige Betrachtungsweise und Heilansatz. Palmer behauptet, dass er sich mit der Erkenntnis und der Philosophie der Osteopathie so wohl fühle, dass dieses der Königsweg der Heilbehandlungen sei und er nicht weiter suchen müsse. Palmer äußerte hierzu:
Osteopathie ist das Samenkorn und Chiropraktik der Sprössling.
Das Wissen Palmers hat seine Wurzeln somit in der Osteopathie, allerdings hat er einige Schlussfolgerungen abgeändert. Möglicherweise führte dies zu dem Konflikt der Osteopathen und Chiropraktiker in den USA, da beide Gruppierungen für sich die „Erfindung“ dieser Behandlung beanspruchen.
Palmer begründet die Entdeckung seiner Behandlungsmethode auf die Behandlung, die er an Harvey Lillard am 18.09.1895 durchführte. Palmer beschrieb in seinem Buch Wissenschaft, Kunst und Philosophie der Chiropractic von 1910 ▶ [58] (übersetzt von Dieter Oesch ▶ [57], S. 24):
Harvey Lillard, der Pförtner des Ryan Block, in dem ich meine Praxis hatte, war schwerhörig. Er hörte nicht mehr das Geratter eines Pferdefuhrwerks auf der Straße und auch nicht das Ticken seines Weckers. Ich wollte wissen, woher diese ‚Taubheit‘ kam. Da sagte er zu mir, dass er sich überanstrengt habe; in einer verkrampften, gebeugten Haltung, sodass er dann das Gefühl gehabt habe, als würde etwas abgedrückt in seinem Rücken, und unmittelbar danach sei er taub geworden. Die Untersuchung ergab, dass ein Wirbel etwas abgedrängt aus seiner normalen Lage war. Ich dachte mir, wenn der Wirbel wieder richtig sitzen würde, dann müsste das Gehör des Mannes wieder funktionieren. Mit diesem Ziel vor Augen, versuchte ich Herrn Harvey Lillard davon zu überzeugen, dass er mir erlauben solle, diese Rückplatzierung vorzunehmen. Es war dazu eine halbstündiges Gespräch erforderlich. Ich brachte den Wirbel in seine richtige Position, indem ich den Processus spinosus als Hebel verwendete. Kurz darauf konnte der Mann wie vorher hören. Daran war nichts ‚zufälliges‘, sondern es war die Vollendung eines bewussten Ziels und das Resultat entsprach den Erwartungen.
Der Begriff „Chiropraktik“ wurde von dem Pfarrer Samuel Weed im Dezember 1895 geprägt, einem zufriedenenen Patienten Palmers. Er fügte die griechischen Wörter für Hand („cheir“) und anwenden/tun („practos“) zusammen zu „chiropractic“. Das sollte bedeuten „mit der Hand getan“ („done by hand“). Diesen Begriff benutzte Palmer seitdem für seine Behandlungsmethode.
Palmer hatte nicht behauptet, die Chiropraktik „erfunden“ zu haben. Die Grundprinzipien sind alt. Er sagte, dass er nicht der erste sei, der einen falsch stehenden Wirbel korrigiert habe. Aber er beanspruchte für sich der Entwickler zu sein, einen Wirbel spezifisch unter Zuhilfenahme der Dorn- und Querfortsätze bewegt zu haben. Dieses Phänomen der Spezifität war die Grundlage, diese Heilkunst in Theorie und Praxis zu revolutionieren. Weiter erläutert Palmer ▶ [58] (übersetzt von Dieter Oesch ▶ [57], S. 27):
Als Entdecker der Chiropraktik habe ich immer behauptet, dass wenn ein Nerv beeinträchtigt wird durch Druck oder andere Schädigung, früher oder später seine Leitfähigkeit gestört sein wird und wenn sich dieser Zustand manifestiert, Krankheit zur Folge hat. […]Die Vitalkraft, die alle Aktionen des Körpers kontrolliert: Die Bänder, Muskeln, Knochen, Haut, Membranen, Arterien, diese Vitalkraft reguliert auch die Zirkulation (Kreislauf) und die Durchgängigkeit der Körperflüssigkeit. Die Vitalkraft des ‚Innate – angeborene Intelligenz des Körpers‘, der Körper weiß sich selbst zu helfen, wenn er nicht behindert wird – vermittelt durch das Nervensystem entwickelte funktionsfähige Energien, reguliert die Menge und Stärke des Blutes durch Kontraktion und Dilatation der Muskulatur der Blutgefäße, entwickelt durch Anregung die entsprechende Menge und charakteristische Qualität der Stärke – sie ist bei der Krankheit anders als bei der Gesundheit.Wegen dieser Überwachung durch das Nervensystem, denke ich, dass die Veränderung der Funktion ebenso abgestimmt wird, z. B. bei allgemeinen Fieberreaktionen. Daraus folgt notwendigerweise, dass der Körper durch das Nervensystem gesteuert wird, nicht durch das Blut, so wie es die Schulmediziner sagen, einschließlich der Osteopathen.
Andrew Taylor Still stellte bereits 1874 die Osteopathie als „neue Wissenschaft“ vor. Seit Mai 1892 kann man in Kirksville, Missouri (USA), Osteopathie studieren. Die Grundidee beider ähnelt sich sehr. Trotzdem gab es damals erbitterte Prinzipienkämpfe zwischen dem osteopathischen und dem chiropraktischen Lager. Der Begriff Osteopathie wurde von Still geprägt. Er sah den Knochen (griech. „osteo“) als Ausgangspunkt an, durch den er die Ursache eines pathologischen Zustandes feststellen konnte. „Pathos“ bedeutet so viel wie Leiden oder Erleiden (aber auch Leidenschaft).
Beide sahen also den (fehlerhaft stehenden) Knochen als Ursache einer Symptomatik an. Die Schlussfolgerung unterschied sich insofern, dass Still (von Hippokrates geprägt) seinen Schwerpunkt auf die Auswirkungen des humoralen Systems der Körperflüssigkeiten (Säfte), insbesondere auf den Blutfluss, hingegen Palmer seinen Schwerpunkt auf die Auswirkungen des Nervensystems legte.
Still betrachtete den menschlichen Körper nach der Art einer Maschine. Wenn alle Bauteile gut zueinander stehen und alles „geschmiert“ läuft, kann dieses mechanische Gebilde gut funktionieren. Der Schöpfer hat einen Organismus erschaffen, dessen Perfektion der Mensch weder etwas hinzufügen noch entfernen kann. Die Heilkraft eines Behandlers reicht nur so weit wie seine Kenntnisse zur rechten Lage der Anatomie und seiner Fähigkeit der Korrektur (Adjustierung). Die Heilung der Strukturen wird vom Organismus durchgeführt, wenn alle Teile im Funktionsgefüge des Organismus gut aufeinander abgestimmt, in voller Freiheit agieren und den Körper versorgen können. Still akzeptierte die ergänzende Behandlung durch Diät, Hydrotherapie und Chirurgie, aber er verwandte ganz bewusst keine Medikamente.
Die Osteopathie entwickelte sich in den USA anders als in Europa. In den USA sind die Osteopathen mit dem Abschluss D.O. (Doctor of Osteopathy) einem M.D. (Medical Doctor) seit 1969 gleichgestellt und zusammen in der AMA (American Medical Association) vertreten. Inzwischen unterscheidet sich der Studiengang kaum noch vom regulären Medizinstudium in den USA. Der Studiengang ist zumeist medizinischen Hochschulen angeschlossen. Auch das Aufgabenfeld in der späteren Praxis ist fast identisch. D.O.‘s verabreichen folglich auch Medikamente und haben sich von der ursprünglichen Philosophie Stills inzwischen entfernt und der evidenzbasierten Schulmedizin angenähert bzw. sind darin aufgegangen. Der Unterschied ist, dass in den USA ein D.O. eine manuelle Manipulation eines Gelenks vornehmen darf, ein M.D. nicht.
Die manuelle Manipulation von Gelenken wird den D.C.‘s (Doctor of Chiropractic) überlassen. Medizinhistorisch gesehen sind in den USA die D.C.‘s sowohl Chiropraktiker wie auch Osteopathen im Sinne der Erfinder. Chiropraktiker verabreichen keine Medikamente, haben aber mittlerweile ihr Augenmerk auch auf die Behandlung der Weichteile (Muskeln, Sehnen, Bänder, Bindegewebe, Faszien, Kapseln, Organe, Blut- und Lymphgefäße) in ihren Manipulationstechniken und ihrer Diagnostik gelegt. Viele dieser Techniken wurden aus der Osteopathie übernommen. Sie haben sich also inzwischen mehr an die Grundphilosophie Stills angenähert. Trotzdem wird weiterhin an der übergeordneten Rolle des Nervensystems festgehalten, das alle anderen Systeme kontrolliert und koordiniert.
In Europa gab es eine andere Entwicklung der Osteopathie, größtenteils durch Schüler von Still. An der Entwicklung sind maßgeblich beteiligt: John Martin Littlejohn (1867–1947), William Garner Sutherland (1873–1954) und John Upledger (1932–2012). Die detailliertere Entwicklung der Osteopathie in Europa kann der Leser in weiterführenden Büchern der Osteopathie nachlesen.
1897 eröffnete Palmer die „Palmer School of Chiropractic“ in Davenport, Iowa, USA (1961 umbenannt in „Palmer College of Chiropractic“). Anfänglich betrug die Studienzeit 3 Monate. Unter den ersten Studenten befanden sich Bartlett Joshua Palmer (1881–1961) und Mabel Heath, sein Sohn und seine künftige Schwiegertochter (Hochzeit 1904). D. D. Palmer wird als der Erfinder der Chiropraktik und B. J. Palmer als der Entwickler dargestellt.
D. D. Palmer lehnte technische Hilfsmittel zum Auffinden von Störfeldern ab. Er berief sich auf das Palpieren zum Auffinden von Subluxationen. Hingegen nutzte B. J. bildgebende Verfahren wie das Röntgen (1910) und den Neurocalometer (1924 erfunden von Dossa D. Evans – ein Messgerät zur Bestimmung von Temperaturdifferenzen). Er ist Mitbegründer des Meric-Systems, aus dem 1927 die Generischen Tabellen (segmentale Innervationsgebiete) erstellt wurden.
B. J. Palmer war Verfechter der HIO-Methode (Anfang der 1930er-Jahre). HIO bedeutet „hole in one“ – aus dem Golfen übertragen („mit einem Schlag eingelocht“), wobei hier das „Loch“ (Spinalkanal) im Atlas (der Ring) sowie der Axis mit seinem Dens gemeint sind – mit „Schlag“, d.h. Impuls, wird alles korrigiert. Bei dieser Methode wurde entsprechend nur die obere Halswirbelsäule (HWS) behandelt. Seiner Ansicht würde sich der gesamte Organismus nach den oberen Kopfgelenken ausrichten. Wenn diese korrigiert werden, wird der restliche Körper sich ebenfalls von selber korrigieren können. Sicherlich ist an dieser Erkenntnis viel Wahrheit, denn die oberen Kopfgelenke und deren korrekte Ausrichtung sind von großer Bedeutung und haben absteigenden (nach kaudal) gerichteten Einfluss auf die Wirbelsäule und Körperstatik.
Der Chiropraktiker und Gründer der Logan University (1935) in Chesterfield, Missouri, Hugh B. Logan vertrat die Ansicht, dass die Basis der Wirbelsäule, also das Becken, eine wichtige Bedeutung für die Stellung der darauf ausgerichteten, also aufsteigenden (nach kranial) Einfluss auf die Wirbelsäule hat.
Praxis
Nach jahrelangen Diskussionen einigten sich die Chiropraktiker in den USA, dass es nicht möglich ist, den Körper mit der Behandlung an einer einzigen Schlüsselstellung zu einer korrekten Statik zu verhelfen, sondern es sind mehrere Strukturen zu beachten und zu behandeln. Der Körper ist ein Funktionsgefüge. Jede Fehlstellung vermag andere Fehlstellungen als Kompensation hervorzurufen.
Der Widerstand der Ärzteschaft wuchs gegen die sog. „Laien-Behandlung“. 1906 wurden beide Palmers verhaftet, da sie laut dem unerlaubten Ausüben des medizinischen Berufes in Iowa verurteilt wurden. Nach 17 Tagen wurden sie wieder freigelassen.
Es war zu der Zeit nur Ärzten vorbehalten, Diagnosen zu erstellen. B. J. Palmer argumentierte, dass er als Chiropraktiker keine Diagnosen, sondern Analysen erstellte. Ebenso distanzierte er sich von dem (ärztlichen) Begriff der „Behandlung“ und nannte seinen Kontakt mit dem Patienten eine „Adjustierung“. Aus diesem Grunde existieren in der Chiropraktik – anders als im schulmedizinischen System – keine tatsächlichen Diagnosen, sondern eher Feststellungen von sog. „Subluxationen“. Die aus den Subluxationen resultierenden Symptome bzw. Erkrankungen sollten sich nach der Ursachenadjustierung durch die Selbstheilungskräfte des Körpers regulieren und „von selber“ ausheilen können.
In den Anfängen der Chiropraktik wurden viele Behandler verhaftet, da sie ohne offizielle Zulassung praktizierten. B. J. Palmer ist Mitbegründer der UCA (Universal Chiropractors‘ Association), die inhaftierten Kollegen juristisch und finanziell half, wieder praktizieren zu können. 1907 gewann die UCA das erste Gerichtsverfahren in Wisconsin. Der erste Staat der USA, der die Chiropraktik anerkannte, war Kansas im Jahr 1913; der letzte der 50 war Louisiana 1974. 1966 betitelte die AMA (American Medical Association) die Chiropraktik noch als unwissenschaftliche Ideologie und bis 1980 gab es weiterhin die Anweisung an deren Mitglieder, mit „Laien-Behandlern“ nicht zusammenzuarbeiten.
1987 gab es den entscheidenden Durchbruch im zweiten Versuch, in dem Chester A. Wilk, D.C., die AMA verklagte und Recht bekam. Die AMA dürfe ihre „Monopolstellung“ in der Heilkunde nicht dazu missbrauchen, Patienten von einer „Laien-Behandlung“ – von Chiropraktikern durchgeführt – abzuraten. Die AMA hätte ihre Position über Jahrzehnte unrechtmäßig benutzt, Chiropraktik zu Unrecht zu verunglimpfen.
Die Vollzeitstudienzeit beträgt in den USA bis zum Erlangen des Abschlusses D.C. (Doctor of Chiropractic) momentan ca. 7 Jahre. Es existieren 20 Colleges/Universitäten in den USA, an denen man derzeit einen akkreditierten Abschluss erlangen kann. Inzwischen gibt es außerhalb der USA 19 weitere Universitäten, an denen ein Abschluss angestrebt werden kann, der auch in den USA anerkannt ist.
Vor dem Dritten Reich gab es verschiedene Heilpraktikerverbände. Mit dem Heilpraktiker-Gesetz vom 17. Februar 1939 wurde eine Zwangsmitgliedschaft für alle Heilpraktiker in einem einzigen Verband verordnet, die „Deutsche Heilpraktikerschaft (DH)“. Nach 1945 wurde es den Heilpraktikern und anderen Berufsgruppen wieder freigestellt, sich eigenständig zu organisieren.
Innerhalb der Deutschen Heilpraktikerschaft bildeten sich neue Arbeitsgemeinschaften und andere eigenständige Verbände. Die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chiropraktiker und Osteopathen“ in der „Deutschen Heilpraktikerschaft e. V.“ wurde im Jahre 1959 von Willi Schmidt geleitet, nachdem der Heilpraktiker Friedrich Heinze von seinem Amt als fachlicher Leiter der Arbeitsgemeinschaft zurückgetreten war. Bei der Gründung am 23. August 1959 in Nürnberg nannte sich der neue Verband erst „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chiropraktoren und Osteopathen in der DH“. Am 1. Juli 1972 wurde der Verband umgetauft in „Arbeitsgemeinschaft für Chiropraktik und Osteopathie in der DH“. Am 13. Dezember 1978 erhielt der Verband seinen heutigen Namen ACON e. V. (Arbeitsgemeinschaft für Chiropraktik, Osteopathie und Neuraltherapie Deutscher Heilpraktiker e. V.), der aus dem bundesweiten Netzwerk von Arbeitskreisen aus der DH hervorging. Aus der Deutschen Heilpraktikerschaft e. V. wurde vorübergehend der „Deutsche Heilpraktiker e. V.“, seit dem 30. Juni 1985 firmiert sie unter ihrem heutigen Namen „Fachverband Deutscher Heilpraktiker e. V. (FDH)“. Der FDH stellt heute somit den ältesten und nach seinen Mitgliederzahlen (2014 sind es rund 7200 Mitglieder) den größten Verband der ca. 35 000 Heilpraktiker (Stand 2011, Statistisches Bundesamt 2013) in Deutschland.
Im Vergleich gibt es 2011 in Deutschland 342 000 Ärzte, davon 36 000 Fachärzte für Chirurgie und Orthopädie, 136 000 Physiotherapeuten sowie 76 000 Masseure und med. Bademeister (Statistisches Bundesamt 2013). Es lassen sich leider keine verbindlichen Zahlen ermitteln, wie viele Behandler in Deutschland rein chiropraktisch arbeiten. Die ermittelten Zahlen schwanken zwischen 250 und 1000 Behandlern in Deutschland.
Die Verbindung von Chiropraktik und Osteopathie in Deutschland geht vermutlich auf den Chiropraktiker Gustav Adolf Zimmer (1869–1939) zurück, der sich auch Osteopath nannte. Er betrieb nach seiner Rückkehr aus den USA von 1927–1938 in Dresden die Ausbildungsstätte „Chiropractic College“, die hauptsächlich von Heilpraktikern besucht wurde. Er kombinierte beide Lehren. Durch seinen Ehrgeiz, diese wunderbare Heilmethode weiterzugeben, bildete er viele Heilpraktiker in „Chiropraktik – Osteopathie“ aus. Die Richtungskämpfe, wie er sie wohl auf dem Palmer College in Davenport vorgefunden haben muss, beeindruckten ihn offensichtlich nicht. Zimmer verstand unter der Osteopathie „eine nur mit Hilfe der Hände vollzogene Heilbehandlung, entlang der Knochengebilde des menschlichen Körpers. Sie besteht aus verschiedenen, auf wissenschaftlicher Grundlage und jahrzehntelanger Erfahrung fußenden Manipulationen an den Wirbeln, Knochen und Gliedern, Muskeln und Geweben zur Normalisierung des Leibes, wie zur Entfernung von belastendem Druck, Verlagerungen, Läsionen, Spannungen, welche die gesunde Funktion der Nerven, Blut- und Säftezirkulation in den verschiedenen Teilen und Organen hindern und dadurch Unwohlsein oder Krankheit hervorrufen.“ (Heinze 1980, nach Oesch ▶ [57], S. 22) Da Zimmer nur chiropraktisch geschult war, ist es umso erstaunlicher, wie gut er die Lehre der Osteopathen kannte.
Praxis
Betrachtet man die Geschichte der meisten chiropraktisch arbeitenden Heilpraktiker, stehen diese in ihrer Lehrmeinung der Osteopathie nahe. Aus aktueller medizinpolitischer Perspektive sind sie Chiropraktiker.
In Deutschland existiert eine Sonderstellung für die Erlaubnis der Heilausübung. Nur Ärzte und Heilpraktiker dürfen Diagnosen erstellen und Therapien einleiten. Ein Heilpraktiker darf keine arztähnliche Bezeichnung führen. Daher gibt es per Gesetz keine Chiropraktiker in Deutschland, sondern ausschließlich Heilpraktiker, die die Behandlungsform Chiropraktik ausüben. Der Begriff „Chirotherapie“ ist der evidenzbasierten Schulmedizin seit 1976 vorbehalten und geht auf die Ärztliche Forschungs- und Arbeitsgemeinschaft für Chiropraktik e. V. (FAC – gegründet 1953 in Hamburg, 1962 umbenannt in Forschungsgemeinschaft für Arthrologie und Chirotherapie e. V.) zurück.
Zur begrifflichen Abgrenzung und Differenzierung von anderen Techniken der manuellen Medizin, die häufig mobilisierender und unspezifischer Natur sind, wird hier im Buch den Begriffen „amerikanische Chiropraktik“ oder „spezifische Chiropraktik“ der Vorzug gegeben.
Es gibt verschiedene Verbände in Deutschland, in denen Lehrgänge zum Erlernen der unterschiedlichen chiropraktischen Techniken angeboten werden. In der Landesschule Hessen in Hochheim, vom Fachverband Deutscher Heilpraktiker e. V. (FDH), im Hessischen Fachseminar (HFS) im Rahmen des Deutsch-Amerikanischen Chiropraktikseminars (DACS) im Chiropraktikkolleg Rhein-Main wurden seit 1983 Chiropraktikseminare von den amerikanischen Chiropraktikern Dieter A. Oesch, Bernd Busch und Steven Campbell abgehalten.
L. Dean Kirchner, D.C., entwickelte ein Kompakt-Kursprogramm für ausgesuchte Techniken der amerikanischen Chiropraktik, die er seit 1983 unter der Organisation der Heilpraktikerin Ilse Klingel-Hammes in Deutschland unterrichtete. 1991 übernahm Kirchner die alleinige Leitung des DACS in Hochheim. Seitdem gab er bis zu seinem 80. Geburtstag im Jahre 2013 Kurse, die der Bruder des Autoren, Hajo Simon, als Co-Dozent und Dolmetscher begleitete. Jetzt unterrichtet Kirchner nur noch auf Teneriffa, Spanien.
Der Autor diese Werkes, Henrik Simon, ist seit 2005 Dozent im DACS und übernimmt 2014 die Ausbildungsleitung des DACS im Chiropraktikkolleg Rhein-Main. Er hält seit 2013 auch Lehrgänge in Eigenregie und im Landesverband Sachsen des FDH, in der Verbandsschule in Dresden.
Die Heilpraktiker Markus J. H. Harbort und Norbert Tammen gründeten ca. 1990 in Bremen das Bremer Chiropraktik Seminar, das sie ca. 13 Jahre, 2× pro Jahr, veranstalteten, dort wurde Bernd Busch später Gastdozent. Mit den Gründern des Bremer Chiropraktik Seminars sowie dem Heilpraktiker Jaan-Peer Landmann wurde in Bremen 1998 die „Deutsch Amerikanische Gesellschaft für Chiropraktik e. V. (DAGC)“ gegründet. Nach ca. 2 Seminaren in Bremen wurden die Aktivität und der Sitz nach Hamburg verlegt. In diesem Verband werden ebenfalls Lehrgänge zur amerikanischen Chiropraktik angeboten.
Seit 1994 gibt es in Deutschland das ACON-Colleg, unter dessen Regie Fort- und Ausbildungen für Chiropraktik von der ACON e. V. organisiert werden.
Die heutige Deutsche Chiropraktoren-Gesellschaft e. V. (DCG) wurde mit Werner Peper, D.C., in Bremen im April 1980 als „Verband Graduierter Chiropraktoren Deutschlands e. V. (VGCD)“ gegründet. Sie vertritt die ca. 100 in Deutschland praktizierenden graduierten D.C.’s, bietet aber selbst keine Fortbildungen an.
1993 wurde in Berlin durch den Heilpraktiker Kurt-Jürgen Schwarz der Bund Deutscher Chiropraktiker e. V. (BDC) gegründet. Der Verband hatte 2013 ca. 120 Mitglieder. Der Heilpraktiker Robert Straub leitete viele Fortbildungen in diesem Rahmen.
Nachdem Herr Schwarz 2012 von seinem Vorsitz des BDC e. V. und Robert Straub als Präsident zurücktraten, wurde 2013 der Vorstand von den Gründern der Chiropraktik Akademie in Bad Oeynhausen, Jann-Oliver Broschinski (Vorstandsvorsitzender) und Friso Krüger (Präsident), übernommen. Die beiden haben in Deutschland eine Möglichkeit erarbeitet, im Rahmen der Dresdner International University (DIU), einen universitären Abschluss mit Bachelor und Master of Science (BSc und Msc) in Chiropraktik innerhalb von 4 bzw. 5 Jahren zu erlangen. Dieser in Modulen aufgebaute Studiengang wurde 2010 etabliert. Gestartet wurde 2011 mit der ersten Studentengruppe.
In Deutschland ist der Abschluss zum Heilpraktiker (oder Arzt) Voraussetzung, bevor man am Menschen die Heilbehandlung ausüben darf. Die Chiropraktik wird in Deutschland also weiterhin eine Sonderstellung als medizinische Fachdisziplin einnehmen, deren eigenständige Anerkennung noch im Raume steht. Es ist fraglich, ob diese Eigenständigkeit in Deutschland angestrebt werden sollte, denn die therapeutischen Möglichkeiten, die einem Heilpraktiker zur Verfügung stehen, sind in der Welt einmalig und sollten erhalten bleiben!
Nicht unerwähnt sollte die Entwicklung der evidenzbasierten Schulmedizin in diesem Fachgebiet bleiben.
Werner Peper studierte an der Palmer School in den USA ca. 1931 Chiropraktik und wurde ein D.C. Er arbeitete im 2. Weltkrieg an der Ostfront und wandte neben der operativen Wundversorgung auch sein Können der Chiropraktik an. So heilte er seinen Kollegen Dr. med. Freimut Biedermann, der an Migräne litt.
Biedermann war nach dem Weltkrieg motiviert, mehr zu dem Thema „Chiropraktik“ wissenschaftlich zu erforschen. Zusammen mit anderen Ärzten, u.a. Ludwig Zukschwerdt (1902–1974), Kurt Rüdiger von Roques (1890–1966), E. Emminger, Kurt Gutzeit (1893–1957) und H. Zettel, sowie Chiropraktikern, z. B. Frédéric Walther Henri Illi (1901–1981) und Werner Peper. Die Ärzte beschäftigten sich mit der Chiropraktik, die von Werner Peper an die Ärzteschaft weitervermittelt wurde. Peper erhielt nie die gewünschte Anerkennung aus der Ärzteschaft, die er sich für seine Vermittlung der Chiropraktik erhoffte. In den ersten Jahren der „Bewegung“ – Anfang der 1950er-Jahre – stieß diese Ärztegruppe auf heftigen Widerstand ihrer Kollegen. Es bildeten sich die sog. „12 Apostel“ (so wurden die 12 ärztlichen Befürworter der Chiropraktik genannt) um Peper herum. Sie begründeten – wie eingangs erwähnt – die FAC.
Dr. Karl Sell gründete nach seinen Erfahrungen in Feldlazaretten im 2. Weltkrieg 1953 das Ärzteseminar als „Gesellschaft der Ärzte für manuelle Wirbelsäulen- und Extremitätentherapie“ an der Sportschule für Versehrte in Isny-Neutrauchburg. Sein Ziel war es, in Zusammenarbeit mit Gottfried Gutmann (1911–1990) und Hans-Dieter Wolff (1919–2010) die Manuelle Medizin (Chirotherapie/Chiropraktik) in der wissenschaftlichen Medizin zu etablieren.
Dr. Hans-Peter Bischoff (ein Schüler von Sell) u.a. gelang dieser Schritt. 1979 erkannte man auf dem Deutschen Ärztetag in Düsseldorf die Zusatzbezeichnung „Chirotherapie“ als eine ärztliche Heilmethode an. Ein Arzt mit einer Zusatzausbildung darf die Zusatzbezeichnung „Chirotherapeut“ führen.
1990, nach der Wiedervereinigung, haben sich verschiedene Organisationen in der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin e. V. (DGMM) zusammengeschlossen, der Ärzte und Physiotherapeuten angehören. In diesem Rahmen werden Aus- und Fortbildungen veranstaltet.
Die DGMM unterhält zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation e. V. (DGPMR) eine Forschungsberatungsstelle (FBS) Manuelle Medizin mit Sitz am Institut für Physiotherapie des Universitätsklinikums in Jena. Ziel dieser Einrichtung ist es, das Interesse und das Engagement für die Forschung in diesem Bereich zu intensivieren und zu unterstützen. Das FBS möchte niedergelassene und klinisch tätige manualmedizinische Behandler und Therapeuten motivieren, Forschungsarbeiten mit manualmedizinischen Fragestellungen mit dessen Hilfe zu planen und durchzuführen. Praktisch bedeutet das, dass im Rahmen dieser Beratungsstellen allen interessierten Ärzten, Heilpraktikern und Therapeuten mit eigenen Fragestellungen bei der Realisierung ihrer Forschungsideen die Möglichkeit geboten wird, das vorhandene Forschungspotenzial im Feld der manuellen/muskuloskelettalen sowie physikalischen Medizin weiter zu vergrößern und qualitativ hochwertige Erkenntnisse zu generieren. Dabei werden die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin (EBM) vertreten.
Motivierend für alle Behandler, welche die Anerkennung der Chiropraktik und somit der manuellen Therapieverfahren wissenschaftlich unterstützen möchten, ist hier der Kontakt angeführt:Kontaktstelle für Wissenschaftliche Arbeiten der DGPMRForschungsberatungsstelle der DGMMKlinikum der FSU JenaInstitut für PhysiotherapieErlanger Allee 10107740 Jena
Die in Deutschland ärztlich arbeitenden „Chirotherapeuten“ sind in der „Deutsche Gesellschaft für Chirotherapie (DGCh) e. V.“ seit dem 16.09.1998 in Stuttgart vertreten. Die Gesellschaft zog 2005 nach München um und nahm 2006 die Osteopathie mit in ihre Satzung auf – sie nennt sich seitdem Deutsche Gesellschaft für Chirotherapie und Osteopathie e. V. (DGCO). Dieser Gesellschaft gehören ca. 900 Ärzte an.
Aus der Darstellung dieser Entwicklung kann man sehen, dass die Chiropraktik in Form der Manuellen Medizin in der evidenzbasierten Schulmedizin immer mehr wissenschaftliche Anerkennung findet.
Es gibt verschiedene Paradigmen oder Weltanschauungen, auf denen die Chiropraktik basiert:
zeitgemäße chiropraktische Betrachtungsweise
biopsychosoziale Betrachtungsweise
Betrachtungsweise von chiropraktischen Schulen
Im Folgenden werden diese Betrachtungsweisen kurz skizziert.
Auf folgenden Punkten basiert die zeitgemäße chiropraktische Betrachtungsweise, das chiropraktische Funktionsprinzip des menschlichen Körpers und die daraus folgende Philosophie:
Der Körper ist ein selbstregulierender und -heilender Organismus.
Das Nervensystem ist das übergeordnete System, das alle anderen Organe und Gewebe steuert und reguliert. Es bringt diese Systeme übergreifend zueinander in Beziehung.
Biomechanische Wirbelsäulendysfunktionen in Form von vertebralen Subluxationskomplexen können die Funktion des Nervensystems beeinträchtigen. Somit wird die eigene Regulationsmöglichkeit des Körpers durch das Nervensystem gehemmt.
Der Hauptfokus des Chiropraktikers liegt im Optimieren des Gesundheitszustandes des Patienten, indem Subluxationskomplexe korrigiert bzw. behandelt werden. Hauptsächlich finden diese Behandlungen an der Wirbelsäule statt.
Der Organismus ist mit einer angeborenen Intelligenz („innate intelligence“) oder sog. „Selbstheilungskräften“ ausgestattet. Das natürliche Bestreben des menschlichen Körpers liegt darin, sich im Zustand eines ausgewogenen, selbstregulatorischen Gleichgewichts (Homöostase) zu befinden. Das Bindeglied zwischen Funktion und Struktur ist das Nervensystem, um diesen Zustand zu erreichen und zu erhalten.
Diese Anschauung basiert auf folgenden Annahmen:
„Gesund sein“ ist der natürliche Zustand eines Individuums. Jede Abweichung von diesem Zustand zeigt einen Fehler in der Adaption auf die innere oder äußere Einwirkung, oder es handelt sich um eine fehlgesteuerte Adaption. Als Antwort auf genetische oder erworbene Beeinträchtigungen versucht die angeborene Intelligenz den Organismus immer wieder durch Adaption, Kompensation oder Reparatur in den „gesunden“ Zustand der Homöostase zurückzuführen.
Gesundheit ist ein Ausdruck von biologischen, psychologischen, sozialen und geistigen Faktoren, somit ist Leiden und Krankheit multikausal.
Optimale Gesundheit ist etwas Besonderes. Gesundheit verhilft einem Individuum, die biologischen, menschlichen und sozialen Potenziale voll auszuschöpfen.Dies bedeutet, dass jedes Individuum eine gewisse Verantwortung für seine Gesundheit trägt. Der Chiropraktiker ist einfach ein Vermittler. In Zusammenarbeit mit dem Patienten, seiner Aufklärung, seinem Mitwirken kann Gesundheit wiedererlangt werden. Gesundheit erfordert auch eine gesunde Lebensweise, gute Ernährung, körperliche Ertüchtigung (Gymnastik), Stressbewältigung und eine gute Haltung.
Ein zentraler Aspekt, gute Gesundheit zu erhalten sowie Krankheit zu bekämpfen, ist die Struktur und Funktion des neuromuskuloskelettalen Systems.
Chiropraktik ist eine Disziplin der Gesundheitspflege, in der die Stärkung der angeborenen Selbstheilungskräfte im Vordergrund steht, den Körper ohne Zuhilfenahme von Medikamenten oder Operationen zu heilen.
Für die Wiedererlangung und Erhaltung der Gesundheit wird der Zusammenhang zwischen Funktion (des Nervensystems) und Struktur (insbesondere der Wirbelsäule) betrachtet.
Die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen in der Gesundheitspflege oder medizinischen Fachbereichen ist ein wichtiger Bestandteil zum Wohle unserer Patienten.
Wenn man diese Zusammenhänge näher betrachtet, können im Prinzip alle Erkrankungen (unter Ausschluss der Kontraindikationen), ganz gleich welchen Namen (Diagnose) man für diese jeweiligen gefunden hat, behandelt werden.
Weiter ausgeführt, behandelt man weitaus mehr als den Knochen, das Gelenk oder den Nerv. Man behandelt durch die Aktivierung der Selbstheilungskräfte den gesamten Organismus mitsamt der psychischen Komponente, da alles ein großes Zusammenspiel der Funktionen ist. Alles beeinflusst alles!
Die Behandlung kann einen Prozess aktivieren, der dem Patienten die Symptome in rückläufiger Reihenfolge des Auftretens wieder verspüren lässt, bis zur hoffentlich mehr oder weniger vollständigen Genesung und in verschiedener Geschwindigkeit bis zur Wiedererlangung der Gesundheit.
Hier gelangen wir an den Punkt, an dem die Chiropraktik als unwissenschaftlich angeprangert wird, da leider wenige wissenschaftliche Studien existieren. Es ist empirisch belegt, dass Chiropraktik wirkt, aber das „wie“ ist noch abschließend wissenschaftlich zu beweisen. Hierzu wäre es wünschenswert, wenn weitere Forschungsergebnisse zu den grundlegenden Mechanismen vorliegen würden.
„Anscheinend gibt es kaum eine Erkrankung ohne spinale Dysfunktionen ('blocked joints' – Gelenkblockierungen).“ Dieses Zitat von W. V. Cole (zitiert nach Geiger u. Gross ▶ [27], S. 226) verdeutlicht sehr schön, wie umfassend aus chiropraktischer Betrachtung die Zusammenhänge des Körpers sind und wie weit Sie die Chiropraktik führen kann. Dieses Kapitel behandelt die grundlegenden Funktionsmechanismen und eröffnet Ihnen einen Zugang zum wesentlichen Verständnis der Chiropraktik. Wichtig hierzu sind – neben der gängigen Terminologie – insbesondere die Embryologie und Neuroanatomie. Alles steht über das Nervensystem miteinander in Verbindung!
Es folgt die Beschreibung der Begriffe, die für die Chiropraktik wesentlich sind und in der Behandlung Anwendung finden. Die Erläuterungen konzentrieren sich dabei auf die chiropraktische Betrachtungsweise und verdeutlichen die weitreichenden Folgen von Gelenkblockaden bzw. -fehlstellungen.
Unter einer Subluxation (Teilverschiebung) oder einer Fehlstellung ist eine Störung zu verstehen, bei der ein oder mehrere Wirbelkörper aus der Gesamtheit der Achse der Wirbelsäule heraustreten und dem normalen (physiologischen) Bewegungsablauf (Dynamik) nicht mehr zur Gänze Folge leisten.
Eine statische Störung liegt vor, wenn sich die Gesamtheit eines Krankheitsbildes aus dem gemeinsamen Vorhandensein von Fehlstellungen oder Blockierungen einzelner Wirbel oder Teile der Wirbelsäule ableiten lässt.
Eine Blockierung bedeutet, dass es sich nicht um einen Wirbelkörper handelt, der „blockieren“ kann, sondern um das „Abrutschen“ oder das unkoordinierte „Auseinanderweichen“ eines kleinen Wirbelgelenks (Art. zygapophysiales). Dies ist unter der Voraussetzung möglich, dass sich dieses Gelenk vor der akut einsetzenden blockierenden „Sperre“ in einer sog. „Endstellung“ befunden haben muss, d.h. in einer Fehlstellung.
Praxis
Aus dem dargestellten Zusammenhang ergibt sich die Folgerung, dass aus jeder Fehlstellung (Subluxation) eine Blockierung werden kann, umgekehrt aber die Blockierung bereits eine Fehlstellung ist!
Es handelt sich bei einer Blockierung am ehesten um eine Störung des Gleitvorgangs von Gelenkflächen. Aus den anatomischen Gegebenheiten der Wirbelsäule zeigt sich, was nun unter „Fehlstellung“ oder „Blockierung“ zu verstehen sein muss. Es handelt sich nicht um eine echte Luxation, sondern um das (minimale) Heraustreten (Subluxation) eines oder mehrerer Wirbel aus dem achsengerechten Funktionsgefüge der übrigen Wirbelsäule.
Eine Adjustierung oder Reposition bedeutet, dass die Bewegungsmöglichkeit eines Wirbels und damit eines zugehörigen Wirbelgelenks dem achsengerechten Verlauf der übrigen Wirbelsäule durch einen sinnvollen und fachgerechten Handgriff wieder eingeordnet wird.
Folgende Phasen einer unbehandelten Blockade in der Wirbelsäule treten auf:
Durch ein traumatisches Ereignis (z. B. gestolpert oder gestürzt) kommt es zu einer blockierten Stellung im Wirbelgelenk.
Über afferente Nervenbahnen werden an das Gehirn verfälschte Informationen zur Gelenkstellung gesendet.
Als Schutz- und Stabilisationsmechanismus zur Kompensation des unphysiologisch ausgerichteten und belasteten Gelenks wird die umgebende Muskulatur verkrampft.
Durch die falsche Ausrichtung der Gelenke wird Spannung auf die Befestigungen der harten Hirnhaut gebracht.
Es kommt zu Fehlbewegungen der Gelenke, einige sind hypomobil durch die Blockierung, einige kompensatorisch hypermobil (Gelenkspiel, engl. „joint play“).Die Bandscheibe wird unphysiologisch belastet und degeneriert.
Die Bänder, Sehnen und Gelenkkapseln werden durch das blockierte Gelenk fehlerhaft belastet. Nozizeptoren werden durch Gewebsschädigung sowie durch die Reparatur und Umbaumaßnahmen gereizt.
Das Foramen intervertebrale mit seinen Ein- und Austrittsstellen für Spinalnerven und Blutgefäße, wird in seinem Durchmesser durch die mechanische Bedrängung des Wirbels sowie durch einhergehende Stauungen und daraus resultierende Ödeme eingeengt.Der Nerv selber sowie die für den Nährstofftransport wichtigen Blutgefäße werden behindert.
Durch die Reizung von Reflexbögen kommt es zu einer nervalen Empfangs- und Sendestörung von und zu innervierten Organen, Gefäßen und Muskeln.
Zu den zugrunde liegenden Mechanismen gibt W. V. Cole (zitiert nach Geiger u. Gross ▶ [27], S. 225) folgende Erklärung:
Segmental in Beziehung zum blockierten Gelenk stehende Eingeweide zeigen Zellveränderungen, vergleichbar denen bei relativer Hypoxie (bei Sympathikusreizung). Es scheint eine primäre Vasokonstriktion infolge von Sympathikusstimulation zu sein. Man ist sich einig darüber, dass die Hypoxie für jede Zelle, Gewebe oder Organ bzw. Organsystem, schädliche Wirkungen hat. Dies scheint der Kernpunkt in der Pathologie des blockierten Gelenks zu sein.
Dies kann auf Dauer zu eingeschränkter Leistungsfähigkeit (auch psychisch), fehlerhafter Immunabwehr, Erkrankung und frühzeitigen degenerativen Erscheinungen führen. Den Schmerzkreis zeigt ▶ Abb. 2.1.
Abb. 2.1 Schmerzkreis.
(mod. n. Harbort MJH. Chiropraktik Bildatlas. Bremen: Harbort MJH; 1994: 38, Abb. 19)
Die Auswirkungen einer Blockade auf das Nervensystem lassen sich wie folgt skizzieren:
Die physiologische Antwort auf Druck (einen adäquaten Reiz) ist eine Steigerung der Meldungen des Nervs an Rückenmark und Gehirn, also eine Hyperaktivität.Bei einer Blockade kann dies zu unkontrollierten Signalmeldungen führen, die im Endeffekt als Antwort aus dem Gehirn zu einer Über- oder Unterstimulation des Endorgans (Muskel, Organ, Drüse) führen können.
Ein zu lang anhaltender Druck auf einen Nerv führt zur Degeneration und somit zu einer Abnahme der nervalen Innervation der Endorgane. Dies wiederum kann eine Muskelrückbildung, abnormale Eigenwahrnehmung des Körpers, Unterfunktion von Drüsen u.Ä. nach sich ziehen.
Diese Degeneration behindert Gewebe darin, ihren Aufgaben gerecht zu werden. So kann es häufiger zu Abwehrstörungen und Infektionen (Immundefizit, diskutiert werden auch Autoimmunreaktionen) sowie Gewebezerstörung und Funktionseinschränkungen kommen.
Der Patient bewegt sich vom Zustand der Gesundheit in Richtung Krankheit, bis er diese erreicht hat (Dekompensation), wenn die ursächlichen Störungen nicht behoben werden.
Ein blockiertes Gelenk versucht man (auch unbewusst!) zu entlasten. Durch die Veränderung der Körperhaltung und die Entlastung einiger Strukturen kommt es automatisch zu einer Überbelastung anderer Strukturen.
Diese anderen Strukturen müssen in dem Funktionsgefüge der mechanischen Statik die Mehrbewegung übernehmen, die resultierend durch ein blockiertes Gelenk an anderer Stelle fehlt und unterliegen dadurch selber einer Fehlbelastung.
Anfänglich bleibt diese Fehlbelastung zumeist unbemerkt. Bei längerem Fortbestehen der Blockade und unphysiologischer Belastung einiger Strukturen kommt es zur Ausprägung weiterer Blockaden (Kompensationsblockaden), die meist ebenso subjektiv unbemerkt verlaufen.
Als biokybernetisches, selbstregulatives System richtet sich die Wirbelsäule nach dem Prinzip der Physik durch Kompensationsblockadebildung mit dem Bestreben nach möglichst niedriger potenzieller Energie aus. Dabei wird sie von einem unphysiologischen Gefüge (statisch und mechanisch schlecht) in ein relativ stabiles Gebilde, meist mit einhergehender skoliotischer Fehlhaltung (S-Form der Wirbelsäule aus anterior-posteriorer [AP] Ansicht) überführt. Die umliegenden Strukturen adaptieren an diese Statik.
Die Gesamtzahl und die Dauer der bestehenden Blockaden mit ihren Kompensationsblockaden kann der Körper ab einem gewissen Punkt oder Ereignis („einmal falsch gebückt“) nicht mehr kompensieren: Es kommt zur Dekompensationsphase. Spätestens jetzt wird dem Patienten seine Symptomatik bewusst, da nun die Nozizeption vor fortschreitender Gewebeschädigung zu schützen versucht. Inzwischen sind aber schon strukturelle und funktionelle Schäden entstanden.
Kommt nun hier in der Dekompensationsphase der Patient zum Chiropraktiker, was meist der Fall ist, geht es hauptsächlich um Schadensbegrenzung. Der Behandler muss versuchen, die Gelenkstatik des Patienten wieder zu verbessern, indem man ihn aus der stabilen Anordnung seiner pathologischen Statik mit Blockierungen in eine physiologische, unblockierte Statik überführt. Diese ist aber anfänglich durch die erfolgten funktionellen Adaptionen des umliegenden Gewebes noch instabil.
Nun muss man abwarten, wie gut die Adaption des Gewebes voranschreitet. Es kommt auch sehr auf die Compliance des Patienten an, d.h., ob es ihm gelingt, die verursachenden wiederkehrenden Fehlbelastungen abzustellen.
Praxis
Die Statik kann sich aber nur stabil ausrichten, wenn das gesamte Funktionsgefüge (Zweibeiner Mensch) wieder unblockiert funktioniert. Daher ist es wichtig – immer – bei jeder Behandlung nach der Gesamtstatik eines Patienten zu sehen und diese ggf. zu korrigieren.
Eine symptomatische Behandlung, z. B. bei Schmerzen in der HWS nur dort eine lokale Korrektur durchzuführen, kann als Kunstfehler angesehen werden! Die HWS-Blockierung könnte sich eventuell nur als Kompensationsblockade aufgrund einer Beckenverschiebung durch eine Blockade des Iliosakralgelenks (ISG) schmerzhaft ausgeprägt haben. Wenn man die Grundblockade im ISG nicht behebt, wird die HWS-Adjustierung recht schnell wieder kompensatorisch blockieren, also instabil bleiben.
Eine Blockade führt zur Gewebeschädigung. Dieses Gewebe kann nur langsam oder minderwertig ausheilen, da durch die und mit der Blockade einhergehenden Störung nervaler und vasaler Versorgung das Heilpotenzial herabgesetzt ist.
Schlecht ausgeheiltes Gewebe ist anfälliger für Verletzungen. Solange die Blockade bestehen bleibt, erfolgt eine weitere Zerstörung des Gewebes, das ebenso wiederum nur langsam und minderwertig ausheilen kann.
Dieser Prozess wiederholt sich wie eine Abwärtsspirale. Je älter man wird, desto schlechter ist (infolge von sklerotischen Veränderungen der Blutgefäße u. a.) das Heilpotenzial, bis es im Verlauf von Jahren zu Umbauprozessen (Metaplasie) und Gewebeveränderungen kommen kann.
Wirbelblockierungen/Subluxationen werden nach der Richtung bezeichnet, in der sich der betroffene Wirbel in Bezug auf die angrenzenden Wirbel (nach kranial und kaudal) „verschiebt“.
Möglichkeiten der Subluxation:
Rotation: Verdrehung
Translation: Verschiebung zur Seite
Lateralflexion: Verkippung
anterior: Verkippung oder Verschiebung nach anterior (ventral)
posterior: Verkippung oder Verschiebung nach posterior (dorsal)
Im Buch wird exemplarisch beschrieben, wie man eine Subluxation/Blockierung spezifisch korrigiert. Die Nomenklatur zur Lagebeschreibung ist selbst in den USA nicht einheitlich (Palmer/Gonstead, National Diversified sowie Medicare). Daher wird hier im Buch eine Lagebeschreibung verwendet, wie sie wirklich vorliegt und wie der Palpationsbefund dazu lautet, wie folgende Beispiele verdeutlichen.
Rechtsrotation eines Wirbels Verdrehung um die eigene Achse nach rechts: Somit befindet sich der Transversus rechts posterior (dorsal) und der Spinosus links außerhalb der Reihe im Vergleich zu dem jeweiligen darüber (kranial) und darunter (kaudal) liegenden Wirbel.
Rechtstranslation eines Wirbels Im Vergleich zu dem kaudal und kranial angrenzenden Wirbel ist dieser Wirbel aus dem achsengerechten Gefüge nach rechts herausgetreten: Transversus rechts posterior und Spinosus nach rechts.
Linkslateralflexion eines Wirbels Eine Verkippung aus der vertikalen Achse nach links kann man bei einem Brust- und Lendenwirbel nur gesichert im Verlauf des Spinosus beurteilen, der an seiner Spitze aus der Spinosuslinie der benachbarten Wirbel nach rechts heraustritt. Zu beachten ist dabei, dass die Spinosi der Brustwirbelsäule (BWS) nach unten (kaudal) abgewinkelt vorliegen. Der Transversus wird auf der linken Seite kaudaler, der rechte kranialer stehen.
Die Nomenklatur aus diesem Buch entspricht am ehesten dem Medicare (Vertebral Body Reference) Listing in den USA (▶ Abb. 2.2).
Abb. 2.2 Nomenklaturen zur Lagebeschreibung und Bezeichnung von Fehlstellungen.
(mod. n. Bergmann TF, Peterson DH. Chiropractic Technique, Principles and Procedures. 3rd ed. Maryland Heights, Missouri: Mosby in Elsevier; 2011: 48, Fig. 3-10)
Praxis
Zu beachten ist, dass bei einem Patienten meist eine Mischform der Subluxation vorliegt. Ein translatierter Wirbel ist meist auch ein wenig rotiert und umgekehrt.
Per Palpation wird untersucht, welche der Subluxationen am deutlichsten ausgeprägt ist, die dann nach den im Praxisteil beschriebenen Techniken behoben werden kann.
Es gibt einige Unterschiede zwischen der chiropraktischen und schulmedizinischen Nomenklatur, die in ▶ Tab. 2.1 aufgeführt sind. Die Beschreibung der Körperebenen erfolgt nach der allgemeinen Nomenklatur in ▶ Tab. 2.2.
Tab. 2.1
Unterschiede in der chiropraktischen und schulmedizinischen Nomenklatur.
Chiropraktik
Schulmedizin
posterior (nach hinten gerichtet)
dorsal (nach hinten zum Rücken gerichtet)
anterior (nach vorne gerichtet)
ventral (nach vorne zum Bauch gerichtet)
superior (nach oben gerichtet)
kranial (nach oben, zum Kopf gerichtet)
inferior (nach unten gerichtet)
kaudal (nach unten, zum „Schwanz“/Os coccygis gerichtet)
Subluxation
Blockierung
Tab. 2.2
Allgemeine Nomenklatur.
Terminus
Bedeutung
proximal
körpernah
distal
körperfern
ventral
bauchwärts (nach vorne)
dorsal
rückenwärts (nach hinten)
kaudal
„schwanzwärts“ (nach unten)
kranial
kopfwärts (nach oben)
rostral
„schnabelwärts“/zur Nase hin, nur am/im Kopf ventral
Abduktion
vom Körper fern
Adduktion
zum Körper hin
Supination
Rotationsbewegung nach lateral
Pronation
Rotationsbewegung nach medial
Valgus
zur Körperachse konvex
Varus
zur Körperachse konkav
Eversion
Heben der Außenseite des Fußes
Inversion
Heben der Innenseite des Fußes
Anteversion
Flexion (z. B. des Oberarms nach ventral)
Retroversion
Extension (z. B. des Oberarms nach dorsal)
Rotation
Drehung
Translation
geradewegs verschoben/subluxiert
Nutation
Kippung des Sakrums in der horizontalen Achse nach ventral
Kontranutation
Kippung des Sakrums in der horizontalen Achse nach dorsal
dexter
rechts
sinister
links
In der ▶ Abb. 2.3 sind die Hauptachsen und Hauptebenen und in der ▶ Abb. 2.4 die Lage- und Richtungsbezeichnungen dargestellt.
Abb. 2.3 Hauptachsen und Hauptebenen.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011: 27, Abb. D und 28, Abb. Aa)
Abb. 2.4 Lage- und Richtungsbezeichnungen.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 3. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2011: 26, Abb. B)
Ab dem 8. Tag haben sich 2 Keimblätter (Epiblast und Hypoblast) aus den Zellteilungen der Zygote (befruchtete Eizelle) entwickelt. Der Begriff Gastrulation beschreibt die Bildung des 3. Keimblattes. Dabei wandern Zellen aus dem Epiblast zwischen die beiden Schichten von Epi- und Hypoblast und bilden den Mesoblast.
In der Wachstumsphase entwickelt sich ab dem 15. Tag in Längsachse des Epiblasten eine bandartige Zellverdichtung, der Primitivstreifen. Aus dem Epiblast „wandern“ Zellen zwischen Epi- und Hypoblast. Am kranialen Ende bildet sich der Primitivknoten. Dieses Entwicklungsstadium lässt nun schon eine Orientierung innerhalb des Keims in kranial/kaudal, dorsal/ventral und dexter/sinister zu.
Der Epiblast wird nun zum Ektoderm. Dazwischen gelegen entwickelt sich das Mesoderm. Aus dem Hypoblast entwickelt sich das Endoderm. Aus dem Endoderm entwickelt sich eine Chordaplatte, die in das Mesoderm einwächst und die Chorda dorsalis formt. Die Chorda dorsalis stellt das primitive Achsenskelett des Keimes dar. Nur am kranialen Ende (Prächordalplatte) und am kaudalen Ende (Kloakenmembran) fehlt das Mesoderm.
Vom Primitivknoten verlängert sich nach kaudal innerhalb des Ektoderms eine Neuralplatte, die sich bis zum 18. Tag zur Neuralrinne entwickelt. Zum Ende der 3. Woche verschmelzen die Wülste der Neuralrinne zum Neuralrohr – das Zentralnervensystem (ZNS) entsteht.
Klinik
Spina bifida
Kommt es nicht oder unvollständig zum Verschluss der Neuralwülste, resultieren hieraus Anomalien des ZNS. Ein Ausbleiben des Verschlusses im kaudalen Abschnitt wird als Spina bifida bezeichnet.
Nach dem Verschmelzungsvorgang zum Neuralrohr wandert dieses in die Tiefe und wird von Ektodermzellen überdeckt, die später zur Epidermis differenzieren.
An der dorsalen Seite des Neuralrohres bildet sich ein solider Strang. Dieser ist primär unpaarig und wird Neuralleiste genannt. Diese Zellen wandern nach lateral und bilden somit parallel des Neuralrohres paarige Anlagen. Aus diesen entwickeln sich u.a. die Spinalganglien sowie die peripheren Ganglien der Hirnnerven, und durch weitere Auswanderung der Zellen in die Eingeweide bilden sich die peripheren autonomen Ganglien.
Aus den 3 Keimblättern entwickelt sich der menschliche Gesamtorganismus. Man erkennt, dass aus dem Epiblast im Endeffekt, außer den Epithelien, fast alle wichtigen Strukturen des menschlichen Körpers entstehen. Die Mesodermzellen entstehen aus dem Ektoderm durch „Einwandern“. Aus dem Ektoderm entwickelt sich das gesamte Nervensystem. In der frühen Entwicklung des Organismus bildet sich als 1. Funktionssystem das Nervensystem aus dem Ektoderm. Aus dem Ektoderm „wandern“ Zellen, die das Mesoderm bilden. Aus dem Ekto- und Mesoderm entwickeln sich später fast alle Strukturen des Körpers. Aus dem Endoderm hingegen entwickeln sich in der Hauptsache die Epithelien.
Durch die Etablierung von Ganglien können vom ZNS Strukturen im Körper autonom gesteuert werden. Der Hauptsitz des sympathischen Nervensystems ist entlang der Wirbelsäule der Grenzstrang (Truncus sympathicus).