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Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. «Lehren und Lernen» ist ein praxisorientiertes Methodenhandbuch für Lehr-Lern-Prozesse in der beruflichen Grundbildung, höheren Berufsbildung und Erwachsenenbildung. Kernstück des Werkes bildet das kompetenzorientierte Lernprozessmodell RITA. Dieses beschreibt das Wesen von Kompetenzen und deren Entwicklung. «Lehren und Lernen» kann als Lehrbuch für die Ausbildung von Ausbildenden, als Nachschlagwerk oder als Methodensammlung eingesetzt werden.
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Seitenzahl: 264
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Andreas Schubiger
Lehren und Lernen
Ressourcen aktivieren · Informationen verarbeiten · Transfer anbahnen · Auswerten
ISBN Print: 978-3-0355-2151-1
ISBN E-Book: 978-3-0355-2152-8
Satz: Reemers Publishing Services, Krefeld
3., überarbeitete Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© 2022 hep Verlag AG, Bern
hep-verlag.com
RITA lebt – und schafft Ordnung
Kapitel 1: Lernverständnis
Kapitel 2: Was wir über gutes Lehren und Lernen wissen
Kapitel 3: Wie Kompetenz entsteht – Lernprozessmodell RITA
RITA – die Kubatur der Kompetenz
RITA in der Praxis
Kapitel 4: Planung von Lehr- /Lernprozessen
Wieviel Planung darf es es sein?
Planung in zwei Schritten
Grobplanung
Feinplanung
Kapitel 5: Methoden
Methodenübersicht
Kompetenzwürfel RITA und Methoden
Selbst- versus Fremdsteuerung
Kapitel 6: Frontalunterricht gut gemacht
Variationen von Vorträgen
Unterrichtsgespräch
Advance Organizer (AO)
Moderation
Kapitel 7: Instruktion
Vormachen und Nachmachen
Cognitive Apprenticeship (Kognitive Meisterlehre)
Beratende Haltung in der Instruktion
Kapitel 8: Übung macht den Meister – Renaissance der Einzelarbeit
Fertigkeiten automatisieren
Übungen im Lernprozessmodell RITA
Individualisierung und Differenzierung
Gut geübt ist halb gewonnen
Kapitel 9: Kooperative Lernformen (Gruppenarbeitsformen)
Phasen von Gruppenarbeit
Funktion von Gruppenarbeit
Überlegungen zur Planung von Gruppenarbeit und Gruppenbildung
Verhalten der Lehrperson während der Gruppenarbeit
Auswertungsphase
Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL) als spezielle Form kooperativen Lernens
Beurteilungskriterien für Gruppenarbeiten
Kapitel 10: Handlungsorientierte Methoden (methodische Grossformen)
Projektmethode
Leittextmethode
Rollenspiel
Fallstudie
Simulationen
Kapitel 11: Von Lernfeldern zu Lernaufgaben
Kapitel 12: Auswerten
Wahrnehmung und Bewertung
Beurteilung im Unterricht
Arten von Beurteilungen
Schulische Leistungsbeurteilung als Messvorgang
Benotungsmodelle
Konzeption von Prüfungen
Kompetenzorientiertes Prüfen
Minimalcheckliste
Kapitel 13: Methodensammlung A–Z
Kapitel 14: Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Autor
Lehrkräfte sind zu bedauern. Sie werden überschüttet mit Ergebnissen der empirischen Unterrichtsforschung (z. B. John Hattie, Andreas Helmke, PISA, TIMSS). Sie ertrinken in der Überfülle von Methoden, wie sie etwa in dem 500-seitigen Praxisband «Unterrichtsmethoden II» von Hilbert Meyer und Carola Junghans 2021 präsentiert wird. Sie werden aufgerieben im fast religiös geführten Kampf zwischen instruktionalen und konstruktivistischen Unterrichtsarchitekturen. Wie soll man sich in dieser Informationsflut zurechtfinden?
RITA, 2012 der Öffentlichkeit von Andreas Schubiger nach jahrelangen positiven Erprobungen in berufsbildenden Kontexten vorgestellt, schafft Ordnung. In Form eines Würfels strukturiert sie die unübersichtliche Welt der Lehr-Lern-Prozesse. Ausgehend von R: einer Aktivierung der Ressourcen werden I: Informationen vertiefend verarbeitet, T: der Transfer angebahnt und abschließend die erzielten Effekte A: ausgewertet.
RITA wurde stark nachgefragt. Deshalb erscheint nun eine stark überarbeitete Neuauflage. RITA lebt – in den Köpfen der Lehrkräfte. Das schlichte Konzept hilft, Lehr-Lern-Prozesse zu gestalten in den Bereichen von Wissen, Können und Wollen. Das ist vor allem für junge Lehrkräfte entlastend, weil diese plötzlich nicht mehr alles überschauen müssen. Sie erhalten rasch eine klare Orientierung.
Hinzu kommt, dass der Blick auf Unterricht eine neue Perspektive gewinnt. Anstatt sich mit Sicht- oder Oberflächenstrukturen zu beschäftigen, geraten jene Prozesse ins Zentrum, die für das Lernen bedeutsamer erscheinen. Die relevanten Tiefenstrukturen sind in der aktiven Auseinandersetzung mit den Inhalten zu suchen (kognitive Aktivierung), in hilfreichem Feedback gepaart mit Respekt und adaptiver Hilfestellung (konstruktive Unterstützung) sowie in einem gekonnten Steuern der sozialen Interaktionen (Klassenführung).
Andreas Schubiger war es bei der Überarbeitung seines Buches ganz besonders wichtig, den Beziehungsaspekt zu betonen. In Anlehnung an aktuelle Forschungsergebnisse weist er immer wieder darauf hin, dass alle seine didaktisch- methodischen Anregungen nur dann ihre volle Wirkung entfalten können, wenn sich Lehrende und Lernende vertrauensvoll auf Augenhöhe begegnen, einander wertschätzen und in ihren grundlegenden Menschenbild- Annahmen dahingehend übereinstimmen, dass sie sich wechselseitig als autonome, reflexive, kommunikative und zur Rationalität fähige Wesen akzeptieren.
Leider gerät man bei derartigen Überlegungen schnell an die Grenze dessen, was lehrbar und was vor allem durch das Lesen eines Buches lernbar ist. Menschen sind ab dem ersten Lebenstag in Interaktionen eingebunden, entwickeln im biografischen Prozess ihre Kommunikationsfähigkeit, ihre Haltungen und Überzeugungen. Und wer schon im Alltag Probleme im Umgang mit anderen Menschen hat, dem wird es schwerlich gelingen, in der Rolle als Lehrerin oder Lehrer Menschen zu führen, zu instruieren, zu betreuen oder zu beraten. Menschliches Handeln ist enorm stabil, weil es durch ein kompliziertes Geflecht von Kognitionen, Emotionen und blitzschnellen, prototypenartigen Aktionen gesteuert wird. An dieser Stelle wird die Kluft zwischen Wissen und Handeln, mit der ich mich seit 30 Jahren schwerpunktmäßig beschäftige, ganz besonders deutlich.
Es ist nicht das Ziel von Andreas Schubiger, mit seinem Buch «träges Wissen» zu vermehren. Er will dazu anregen, sich auf das Machbare zu konzentrieren. Und das besteht darin, alle Schritte der Unterrichtsplanung und -gestaltung daraufhin zu analysieren, ob die wesentlichen Lernvoraussetzungen aktiviert wurden (R), ob eine intensive kognitiv-emotionale Auseinandersetzung mit den Inhalten stattfand (I), ob Praxistransfer und künftiges professionelles Handeln angebahnt wurden (T) und ob Ergebnisse und Effekte angemessen ausgewertet und reflektiert wurden (A).
Auf diese Weise führt er Lehrende in verständlicher Sprache umfassend in alle mit Lehren und Lernen verknüpften Bereiche ein, bietet gleichermaßen theoretische Begründungen wie praxisnahe Anleitungen. Für die Leserinnen und Leser hat dies den Vorteil, dass sie in einem einzigen Buch alles Wesentliche erfahren können.
Der HEP-Verlag fragte mich nach zwei erfolgreichen Auflagen an, ob ich eine weitere unveränderte Fassung herausgeben, das Werk überarbeiten oder vom Büchermarkt nehmen wolle. Nach Gesprächen mit kritischen Freunden, Anwendenden und Nutzenden des Buches wurde schnell klar, dass ich es überarbeiten wollte. Die vielen positiven Rückmeldungen bestärkten mich darin, insbesondere das Lernprozessmodell RITA in einer weiteren Auflage zu publizieren. Mir war aber auch klar, dass einiges überarbeitet und ergänzt werden musste. So machte ich mich ans Werk im Sinne von: Bewährtes beibehalten und Aktuelles einbringen. Es freut mich, Ihnen hiermit die überarbeitete und ergänzte Fassung übergeben zu können.
Das vorliegende Buch «Lehren und Lernen» richtet sich sowohl an Lehrende in Betrieben, überbetrieblichen Kursen, Berufsfachschulen als auch an Lehrpersonen der höheren Berufsbildung. Sicher finden aber auch Lehrpersonen allgemein bildender Schulen der Sekundarstufe II und der Erwachsenenbildung wertvolle Hinweise.
Ursprüngliche Absicht war es, ein Methodenhandbuch zu schreiben. Ich habe mich aber nach verschiedensten Erfahrungen in der Lehrpraxis entschieden, ein umfassendes Lehrbuch mit integriertem Lernprozessmodell und einer Methodensammlung zu schreiben. Denn jede Methode zeigt ihre Wirkung erst, wenn sie im Lernprozess begründet, zieladäquat und geplant eingesetzt wird.
Deshalb habe ich die Didaktik des Lehrens und Lernens zu Beginn meiner Ausführungen gestellt. Das Lernverständnis, eine Zusammenfassung empirisch belegter Faktoren «guten Lehrens und Lernens» sowie die Klärung des Kompetenzbegriffs bilden das Fundament. In der beruflichen Grundbildung und höheren Berufsbildung hat sich curricular die Kompetenzorientierung etabliert. Kompetenz, verstanden als Disposition zur Praxisbewältigung, wird inzwischen in der berufspädagogischen Fachwelt weitgehend akzeptiert. Weniger klar ist, wie sich Kompetenzen entwickeln lassen und wie ihre Umsetzung in der Praxis (Performanz) realisiert wird. Die Berufsbildung mit ihrer dualen und trialen Lernortstruktur bietet diesbezüglich aber beste Rahmenbedingungen.
Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen habe ich das Lernprozessmodell RITA entwickelt (Ressourcen aktivieren, Informationen verarbeiten, Transfer anbahnen, Auswerten). Es vereint bekannte didaktische Modelle wie die Lernzielorientierung mit neueren Modellen der Ressourcenorientierung, Kompetenzentwicklung und der Transferdidaktik.
Das Lernprozessmodell RITA dient sowohl der Planung als auch der Analyse von Lernveranstaltungen. Konsequenterweise folgt also ein Kapitel über die Planung, in dem der Grundstein für einen wirkungsvollen Methodeneinsatz gelegt wird. Insbesondere die Ressourcenorientierung bedarf der genauen Analyse der Lernervoraussetzungen, dem Vorwissen, den Vorerfahrungen, Einstellungen und Haltungen der Lernenden resp. Studierenden.
Vielleicht überrascht es Sie, dass ich im methodischen Teil mit drei konservativen Schwerpunkten beginne: Frontalunterricht – Instruktion – Üben. Gut eingesetzt und mit den neuesten Erkenntnissen angereichert sind diese Lehrformen für die Informationsverarbeitung und den Wissensaufbau insbesondere für das Unterrichten von Novizen und fortgeschrittenen Anfängern unentbehrlich.
Gruppenarbeiten, in der Vergangenheit kaum hinterfragt, zeigen ihre Wirkung nur unter bestimmten Voraussetzungen. In diesem Kapitel fasse ich die wichtigsten Wirkfaktoren zusammen und beschreibe neuere Formen kooperativen Lernens.
Sowohl in der Grundbildung als auch in der höheren Berufsbildung sind die Lehrpläne auf die Ausbildung von Handlungskompetenzen im Sinne eines Transfers in die Praxis ausgerichtet. Das Kapitel über handlungsorientierte Methoden wird diesem Anspruch gerecht. Dabei wirken handlungsorientierte Methoden auf zwei Ebenen. Einerseits wird handelnd gelernt und andererseits bereiten sie auf das Handeln in der Praxis vor.
Mit dem Auswerten von Lernergebnissen schliesse ich den Hauptteil des Buches ab. Prüfen will gelernt sein und das kompetenzorientierte Lehren und Lernen verlangt nach entsprechenden Methoden.
Im hinteren Teil des Buches finden Sie eine umfassende Methodensammlung. Jede Methode wird konsequenterweise zum Lernprozessmodell RITA referenziert. Alle Methoden sind in der Praxis mehrfach erprobt, nichtsdestotrotz müssen sie von den Ausbildenden den eigenen Gegebenheiten angepasst und entsprechend modifiziert werden. In der Zwischenzeit haben wir nicht nur eine Methodensammlung in Form eines Würfels entwickelt, sondern diese für Gruppensettings wie auch 1:1-Lernsettings ausgebaut und entsprechend systematisiert (Schubiger, Gerig, Graschi, Rosen, 2020).
Viele Erkenntnisse und praktische Beispiele in diesem Buch haben ihren Ursprung in Gesprächen mit Lehrenden und Lernenden. Ich bedanke mich bei allen für Anregungen und kritische Einwände. Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem ehemaligen Team des Kompetenzzentrums für angewandte Berufspädagogik, speziell Harald Graschi, Joe Gerig und Susan Rosen, die mich mit Fragen und Hinweisen unterstützten und zur Niederschrift meiner bald 40-jährigen Lehr- und Lernerfahrungen motivierten. Joe Gerig gebührt besonderer Dank, weil er mir insbesondere in der Schlussphase unterstützend und in aller Hartnäckigkeit als Lektor zur Seite stand.
Dieses Werk läge schliesslich nicht vor, wenn nicht meine Frau Brigitte Riedmann sich immer wieder kritisch mit meinen Gedankenmodellen auseinandergesetzt hätte.
Es freut mich ganz besonders, dass das vorliegende Buch in der Zwischenzeit eine breite Fachleserschaft gefunden hat und wir bereits eine dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage herausgeben dürfen. In den letzten Jahren stellte ich das diesem Buch zugrunde liegende kompetenzorientierte Lernprozessmodell in diversen Vorträgen und Schulungen vor. Die positiven Rückmeldungen haben mich darin bestärkt, dass dieses Lernprozessmodell zum didaktischen Handeln im reflexiven, planenden wie ausführenden Sinne anleitet – also keinen weiteren Beitrag zum Erwerb von trägem Wissen leistet. Noch mehr freut mich, dass in der Zwischenzeit Bildungsinstitutionen das Modell als Grundlage ihrer didaktischen und berufspädagogischen Ausrichtung verwenden oder gar Lehrmittel nach dem Konzept RITA aufgebaut werden. Ungeachtet dieser positiven Rückmeldungen ist ein solches Modell nur eine Denkstruktur, die zur Umsetzung eine kreative und reflektierte Gestaltung von Lernprozessen durch erfahrene und engagierte Lehrpersonen erfordert.
Nach vielen Erfahrungen mit eigenem Lehren, aus Unterrichtsbesuchen, Diplomlektionen oder Begleitungen von Institutionen sehe ich auch die Grenzen eines solchen didaktischen Modells, denn die Persönlichkeit der Lehrperson und deren Beziehungsgestaltung zu sich selbst und den Lernenden ist ein integraler Faktor. Diese Qualitäten sind schwer messbar, aber mit entsprechender Offenheit durchaus wahrnehmbar. Ich erinnere mich an Situationen, in denen einige didaktische und methodische Patzer passierten, aber die gute Stimmung, die positive Haltung, die Freude am Beisammensein, der gegenseitige Respekt, die natürliche Autorität der Lehrperson, das Begegnen auf Augenhöhe, das gegenseitige Vertrauen oder ganz einfach nur der Spass am Lernen spürbar waren und das Lernziel problemlos erreicht wurde. Andererseits erinnere ich mich an Lehr-/Lernveranstaltungen, die perfekt nach Lehrbuch geplant und durchgeführt wurden, der Lehr-/Lernerfolg aber infolge fehlender pädagogischer Beziehungsqualität zu wünschen übrig liess. In dieser überarbeiteten Fassung habe ich die Komponenten der Haltung und Beziehungsqualität, wo sinnvoll, eingebaut. Die ersten zwei Auflagen haben sich stark am Konzept des Unterrichts orientiert. In der Zwischenzeit gehen viele Institutionen, aber auch ganze Berufsträgerschaften in Richtung offenerer Lehr- und Lernformen. Im vorliegenden Werk berücksichtige ich diese anderen und zukünftigen Lehr-/Lernsettings explizit.
Andreas Schubiger
Wie lernen wir? Ein Buch über das Lehren und Lernen kommt nicht daran vorbei, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Unser Lernverständnis ist die wesentliche und nicht immer explizite Voraussetzung dessen, was in den folgenden Kapiteln in Form von didaktischen Prinzipien und methodischen Umsetzungen beschrieben wird.
Wir verstehen das Lehren und Lernen als ein Wechselspiel zwischen Instruktion und Konstruktion, als Balanceakt zwischen einer anleitenden und orientierenden Hilfestellung durch die Lehrenden und selbstgesteuerter Aktivitäten der Lernenden. Lehren und Lernen verstehen wir als partnerschaftliches Zusammenspiel zwischen Lehrenden und Lernenden. Voraussetzung für das Erreichen der Lernziele ist daher eine hohe Leistungsbereitschaft der Lehrenden und Lernenden.
Handlungswissen allein führt aber noch nicht zu professionellem Handeln, vielmehr muss die Umsetzung durch verschiedene Begleitmassnahmen unter Einbezug der Praxis, durch handlungsorientierte Lehr- und Lernformen, intelligente Übungsmöglichkeiten und transferorientierte Übungen angeleitet und unterstützt werden.
Eine perfekt ausgeführte Handlung bedarf für ihre Vollkommenheit der Reflexion, und zwar im doppelten Sinne. Einerseits kann aus einer Handlung für die nächste gelernt werden, sodass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht. Andererseits kann die Handlung auch bezüglich Werten und Haltungen reflektiert werden. Handlungskompetenzen werden in aktuellen Bildungserlassen wertfrei formuliert, und zwar im Dreischritt Objekt – Kontext und Tätigkeit. Erst eine Werte- und Haltungsorientierung macht aber die Handlungskompetenz vollständig. Die Reflexion kann, ganz im Sinne von Donald Schön (1983), vor, während und nach einer Handlung erfolgen.
Lernen ist ein aktiver, selbstgesteuerter Prozess
Lernen bedeutet, sich aktiv mit Lerninhalten zu beschäftigen. Das verhindert die Entstehung von trägem Wissen (Renkl, 1996). Die Lernenden erhalten Gelegenheit, sich mit den Lerngegenständen handelnd auseinanderzusetzen und ihr Handeln zu reflektieren. Lehrende ermöglichen den Lernenden durch die lernfördernde Gestaltung der Lernumgebung einen aktiven und selbstgesteuerten Umgang mit den Lerngegenständen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, so viel Selbststeuerung wie möglich und so wenig Fremdsteuerung wie nötig zu organisieren. Dies weckt bei den Lernenden das Interesse und fördert ihre Offenheit, sich auf Lernangebote einzulassen, sich fragend mit Theorien auseinanderzusetzen, handelnd Erfahrungen zu sammeln und neue Erkenntnisse zu reflektieren.
Lernen ist ein konstruktiver Prozess
Die Lernumgebung wird so gestaltet, dass die Lernenden Phänomenen fragend begegnen und sich ihre eigenen Antworten konstruieren können. Lernen verstehen wir konstruktivistisch als individuellen Aufbau von Wissensstrukturen, die mit verschiedenen Situationen und sozialen Zusammenhängen verbunden werden.
Lernen ist ein kumulativer Prozess
Lernen ist ein Anknüpfen an Vorwissen und Erfahrungen. In Lerngruppen bestehen diesbezüglich unweigerlich unterschiedliche Voraussetzungen. Die Lehrenden nehmen auf diese Unterschiede Rücksicht und ermöglichen den Austausch der Erfahrungen und das Anknüpfen an individuellem Vorwissen.
Lernen ist ein zielorientierter Prozess
Ausbildungen ermöglichen das Erreichen bestimmter Lernziele. Es ist die Aufgabe von Lehrenden, diese Ziele transparent zu kommunizieren und den Lernenden die Möglichkeit zu geben, sich daran zu messen. Ziele dienen der Planung, Durchführung und Überprüfung von Handlungen. Offene Lernumgebungen ermöglichen den Lernenden unter Berücksichtigung der generellen Zielsetzungen, auch individuelle Lernziele zu verfolgen.
Lernen ist ein sozialer Prozess
Auch wenn die Konstruktion der Wirklichkeit ein individueller Prozess ist, geschieht das Lernen in der Interaktion zwischen Lernenden und den Lehrenden. Die Gruppe wird als Lernfeld zur Erweiterung der personalen und sozialen Kompetenzen genutzt. Dieser soziale Austausch wird durch die Gestaltung der Lernumgebung unterstützt und gefördert.
Lernen ist ein situativer Prozess
Kompetenzen sollten in Situationen erworben werden, die der zukünftigen Praxis entsprechen. Deshalb empfiehlt es sich, Beispiele aus der Praxis als Lerngegenstände zu wählen. Anwendungen erfolgen nach Möglichkeit in der eigenen Praxis.
Lernen ist die Transformation von Wissen in kompetentes Handeln
Wissen allein genügt nicht, um in der Praxis kompetent zu handeln. Der Weg vom Wissen zum kompetenten Handeln ist weit. Er muss erst durch geeignete Lernumgebungen und entsprechend günstige Bedingungen angebahnt und geschaffen werden. Professionelle Handlungskompetenz von Lernenden und Studierenden erreichen wir durch die Gestaltung handlungswirksamer Lernumgebungen. Das vermittelte Wissen leitet zunächst zum Handeln an. In Übungen können dann praktische und kognitive Fertigkeiten erlangt werden. Mit Fertigkeiten sind sowohl sensomotorische wie auch kognitive Tätigkeiten gemeint, die einen gewissen Grad an Automatismus resp. Habitualisierung erreichen. Sie sind in der Handlung ohne grosse kognitive Aufmerksamkeit abrufbar. Durch angeleitetes Selbststudium wird schliesslich der Praxistransfer angeleitet und gefördert.
Lernen aus dem Handeln
Lernen wird häufig verkürzt als ein reines Anwenden von neuem Wissen dargestellt. In der Praxis und im Alltag ist es häufig gerade umgekehrt. Im Handeln erwerben wir implizites erfahrungsorientiertes Wissen. Dieses ist dem Bewusstsein nur schwer zugänglich. Auch das Explizieren von verkörperlichtem Erfahrungswissen mit späterem bewussten Anwenden ist eine Lernhandlung und wird heute insbesondere in der beruflichen Bildung wiederentdeckt.
Lernen ist mehr als die Summe der Einzelteile
Auch wenn wir zur Vereinfachung das Lernen in Einzelprozesse unterteilen, sind diese immer miteinander verknüpft und mehrfach in Beziehung zueinander. So ist der Transfer im Lernprozessmodell RITA wohl in der dritten Phase verortet, kann aber bereits in früheren Phasen angeleitet werden. Transfer ist auch ein Prinzip, das unser ganzes Lernhandeln durchdringt. Alles ist miteinander verbunden. Diese Zusammenhänge lassen Lehren und Lernen so komplex und spannend werden.
Lernen der Zukunft
Lernen wird in Zukunft weniger von Curricula und Unterrichtsdrehbüchern gesteuert, sondern es wird vielmehr eine Verschiebung in Richtung persönliches Lernen geben, das sich durch Selbststeuerung, Selbstmanagement, Kokreation der Lernziele und Inhalte, Selbstwahrnehmung und mehr Verantwortungsübernahme des eigenen Lernens auszeichnet.
Die aktuelle Pädagogik ist immer noch eine hoch lehrpersonenzentrierte und für sie reservierte Wissenschaft. Lernende der Zukunft werden ihr Lernen selbst erforschen, werden damit zu Expertinnen und Experten des eigenen Lernens und gestalten ihr eigenes Curriculum.
Die Schritte vom lehrerzentrierten zum persönlichen Lernen können schematisch folgendermassen dargestellt werden:
Auf Lehrpersonen zentrierte, standardisierte Ausbildung
Personalisiertes Lernen
Kokreatives Lernen
Persönliches Lernen
Lehrperson steuert im Wesentlichen vorgegebene Leistungs- resp. Lernziele
Standardisierte Überprüfung der Leistungsziele
Lernende übernehmen keine direkte Verantwortung für das eigene Lernen (passiv adaptiv)
Beispiel: klassischer Unterricht
Lernendenzentriertes Lernen (eigene Lernwege sind möglich, adaptives Lerntempo)
Lerninhalte von extern vorbestimmt
An ein Curriculum und Skript gebunden
Beispiel: Leitprogramm
Mitbestimmung bei den relevanten Lernzielen und Inhalten
Gemeinsame Verantwortung für das Lernen übernehmen
Gemeinsame Lernerfahrung unter Lernenden, aber auch Lehrenden
Beispiele:
–problembasiertes Lernen
–Projektunterricht
–Portfolioarbeit
Lernende entwerfen ihr eigenes Lernen
Anstoss zu lebenslangem Lernen
Lerngemeinschaften mit kollektiver Intelligenz
Lehrende und Lernende sind Lernende, sie bilden Lernpartnerschaften
Das Lernen der Zukunft zeichnet sich aus durch:
•hohe Mitbestimmung und Autonomie der Lernenden bezüglich Lerninhalten•Lernen als Entwicklungsprozess, den die Lernenden aktiv und verantwortungsvoll mitgestalten, und dabei ihre Zone der nächsten Entwicklung selbst bestimmen und überschreiten ...•Berücksichtigung der unterschiedliche Lerntempi von Lernenden•Entwicklung der Fähigkeit der Lernenden, über das eigene Lernen nachzudenken (Metakognition)•Gestaltung einer offenen Lernumgebung, die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lernpräferenzen gerecht wird•Förderung der Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbststeuerung•Entwicklung der Feedbackkompetenz in beide Richtungen (Feedback geben und erhalten)•Bildung von Lerngemeinschaften, die auf Zusammenarbeit und Vertrauen basierenDie erste Ausgabe dieses Buchs war im Lektorat, als Hatties vielbeachtetes Werk «visible learning» erschien und in den Folgejahren auch im deutschsprachigen Raum zu den meistzitierten Werken in didaktischen Diskussionen zählte. Der Frage, was wirklich wirkt, geht er mit einer Metastudie über Metastudien in akribischer Weise nach, und berücksichtigt bis zum heutigen Zeitpunkt über 80 000 Einzelstudien. In einer bis dahin noch nie dagewesenen Ausführlichkeit werden Interventionen rund um das Lehren und Lernen nach ihrer Wirksamkeit mit vergleichbaren Effektstärken dargestellt und beurteilt. Leider wurden diese Vergleiche häufig missverstanden und zum Teil auch für politisch motivierte Argumentationen missbraucht. So verkündete die deutsche Boulevardpresse das Ende der «Kuschelpädagogik» bezugnehmend auf die grosse Effektstärke der «direkten Instruktion». Einerseits wurde die direkte Instruktion fälschlicherweise mit dem nach wie vor weitverbreiteten Frontalunterricht und dem fragend-entwickelnden Unterricht verwechselt. Andererseits wurden innovative Ansätze mit selbstorganisiertem Lernen oder offenen Lernformen der «laisser faire»-Pädagogik zugeordnet.
Die Recherche der Vielzahl von Forschungsergebnissen und deren Effektstärken ist nicht jedermanns Sache, doch es lohnt sich, zumindest den letzten Teil des Buches zu lesen. Hattie fasst darin zusammen, worauf es wirklich ankommt: The «teacher matters». Diese nicht überraschende Schlussfolgerung fasst er mit essenziellen «Mindsets» von wirkungsvollen Lehrpersonen zusammen. Es sind nicht die konkreten Methoden, die sie anwenden, sondern dere Haltungen und Überzeugungen.
Solche Haltungen und Überzeugungen sind:
•
Es geht um Lernen und nicht um Lehren.
•
Als Lehrpersonen ist es meine Aufgabe, dass ich die Wirkung meines Handelns überprüfe.
•
Als Lehrperson bin ich überzeugt, dass ich eine Wirkung auf das Lernen der Lernenden habe.
•
Prüfungen von Lernergebnissen sind auch ein Feedback für mich als Lehrperson und nicht nur für die Lernenden.
•
Lehrpersonen engagieren sich für einen Dialog.
•
Als Lehrperson suche ich die Herausforderung und gebe mein Bestes.
•
Als Lehrperson bin ich zuständig für gute Beziehungen innerhalb des Klassenverbandes.
•
Als Lehrperson bilde ich mich als Expertin oder Experte für das Lernen kontinuierlich weiter.
Zusammengefasst beschreibt Hattie gute Lehrpersonen als Menschen, die das Lernen mit den Augen der Lernenden zu verstehen versuchen.
Betrachtet man die didaktischen Interventionen mit den grossen Effektstärken, fällt auf, dass diese alle auf einer dialogischen Beziehungsqualität aufbauen.
•
Direkte Instruktion
•
Nichtettiketieren von Lernenden
•
Feedback geben
•
Feedback entgegennehmen, auch als Lehrperson
Es sind alles Interventionen mit folgenden Beziehungsqualitäten:
•
Fordern und Fördern
•
Klarheit
•
Begegnung auf Augenhöhe
•
Vertrauen
•
vorurteilsfreie Begegnung
•
Feedback geben
•
Feedback entgegennehmen
Das mit den Lernenden in Beziehung gehen wird bis heute unterschätzt. Insbesondere die aktuellen Forschungsergebnisse der sozialen Neurowissenschaften zeigen, dass Lehrpersonen auf die Neurophysiologie des Gegenübers einen direkten Einfluss haben. Cozolino (2013) bezeichnet darum Lehrpersonen auch als «neurologische Bildhauer».
Nach diesem Blick auf die empirische Forschung und Vermessung des Lernens sei darauf hingewiesen, dass es noch einen ganz anderen Blick auf die Qualität des Lernens jenseits von Effektstärken gibt. Zierer (2019) verweist auf vier zentrale Fragen in Anlehnung an Ken Wilbers erkenntnistheoretisches Modell für eine gute Schule.
1.
Was ist eine effektive Schule? (Objektive Perspektive)
2.
Was ist eine freudvolle Schule? (Subjektive Perspektive)
3.
Was ist eine kulturell passende Schule? (Intersubjektive Perspektive)
4.
Was ist eine funktionale Schule? (Interobjektive Perspektive)
Eine effektive Perspektive vermisst schulisches Lernen und lässt unter anderem das Gefühl des Geborgenseins, des Miteinanders, des freudvollen Umgangs und des Vertrauens untereinander ausser Acht. Asiatische Schulsysteme mit hohen Effektstärken zeigen unter anderem Schattenseiten im Bereich der psychischen Gesundheit. Eine Schule, in der sich sowohl Lernende als auch Lehrende wohlfühlen, zeigt womöglich Wirkungen, die sich mit noch so ausgeklügelten Forschungsdesigns kaum messen lassen. Jede Schule ist auch in eine gesellschaftliche Situation und Kultur eingebunden. Die Passung trägt zur Konfliktfreiheit und Entwicklung bei. Schulen bekommen gerade durch die gesellschaftliche Einbettung eine funktionale Ausrichtung und Aufgabe. So haben Gymnasien, Berufsfachschulen, höhere Fachschulen oder Hochschulen eine ganz bestimmte Funktion zu erfüllen, deren Erfüllungsgrad ebenso etwas über ihre Qualität aussagt.
Wenn schon, denn schon
Weder die richtige Methode noch das eine universelle didaktische Konzept garantieren «gutes Lehren und Lernen». Selbst die Forschungsergebnisse über die Wirkung von handlungsorientiertem Unterricht sind äusserst widersprüchlich (Nickolaus, 2008). Weniger die Methoden selbst als vielmehr die Qualität des Unterrichts haben einen Einfluss auf den Lernerfolg bei den Lernenden (Nickolaus, 2008, Helmke, 2004, Meyer, 2004). Methoden helfen uns allerdings bei der Umsetzung. Folgende übergeordnete Faktoren werden von der aktuellen Forschung für das Gelingen von Lernprozessen herausgestellt:
Faktor
Was ist damit gemeint?
Methodische Beispiele
Inhaltliche Klarheit Transparenz Struktur
–Das Ziel der Lernveranstaltung ist den Lernenden bekannt. Aufgabenstellungen sind den Fähigkeiten der Lernenden angepasst. Der inhaltliche Ablauf ist den Lernenden jederzeit bewusst. Der Inhalt ist in zusammenhängende Abschnitte unterteilt. Die Lernenden können einen persönlichen Bezug durch Reaktivierung der Erfahrungen und der Vorkenntnisse herstellen. Der Unterrichtsverlauf orientiert sich an einem roten Faden und an der Zielerreichung.
–Die Unterrichtsschritte folgen einer inneren Logik und sind nicht beliebig aneinandergereiht. Der Unterricht wird mit einem klaren und beabsichtigten Lernprozessmodell geplant. Er zielt auf den Erwerb konkreter Kompetenzen und verfolgt entsprechende Lernziele. Lehrende und Lernende wissen immer, in welcher Phase sie sich befinden. Die methodischen Schritte sind folgerichtig und den Kompetenzen und Lernzielen angepasst. Es ist ein grundlegendes Prinzip erkennbar wie:
–vom Konkreten zum Abstrakten
–vom Abstrakten zum Konkreten
–von der Fremdsteuerung zur Selbststeuerung
–vom Einfachen zum Komplexen
–von der Distanziertheit zur Nähe
–Der methodische Grundrhythmus ist in voneinander abgegrenzte Phasen gegliedert. Die Lernenden wissen immer, was sie zu tun haben. Die Aufgaben sind eindeutig formuliert. Es besteht Regelklarheit und den Akteuren ist bewusst, welche Rolle sie einzunehmen haben.
–Partnerinterview mit Leitfragen
–Agenda
–Informierender Einstieg
–Advance Organizer
–Lernzielkontrollen
–Sandwich
–Gelenkstellen
–Methodenwechsel (in Abstimmung mit Zielen)
–Schriftliche Aufträge
–Zurückhaltendes Verhalten während individueller und kooperativer Phasen
Sinnstiftung
–Die Lehrperson zeigt auf, worauf die neue Lerneinheit aufbaut und wo sie hinführt. Die Lernenden haben die Möglichkeit, eigene Bezüge herzustellen. Die Einführung ins neue Thema ermöglicht den Lernenden, ihre eigenen Interessen zu entwickeln. Die Lernenden bringen sich mit eigenen Impulsen und Fragestellungen ein.
–Advance Organizer
–Planungsbeteiligung
–Problemspeicher
–Reflexionsmethoden
–Portfolioarbeiten
–Lernjournal
–Feedbackmethoden
Methodenvielfalt und Methodentiefe
–Lehrende verwenden eine Vielfalt von Methoden. Die methodischen Kleinformen werden den Lernzielen entsprechend eingesetzt. Zwischen ihnen werden die Übergänge fliessend und sinnstiftend gestaltet (keine Aneinanderreihung beliebiger Methoden). Die Lehrenden können auch ausserhalb der Planung zusätzliche Methodenentscheidungen fällen. Lehrende wie Lernende bauen kontinuierlich ihre Methodenkompetenz auf, beherrschen das Methodenrepertoire und setzen es situativ ein (Meyer, 2020).
–Sandwich
–Kleinformen von Methoden
–Handlungsorientierte Methoden
Klima Interaktion
–Unter den Lernenden und zwischen Lernenden und Lehrenden herrscht gegenseitiger Respekt. Es halten sich alle an die gemeinsam erstellten Regeln. Regelverletzungen werden wahrgenommen und geahndet, ohne aber die Störung überzubewerten.
–Kriterienbasierte Bewertung von Lernleistungen
–Sachbezogene und wertschätzende Rückmeldungen
–Kooperative Lernformen ermöglichen und unterstützen
Adaptivität Passung
–Die Lehrperson ist in der Lage, auf Abweichungen zwischen Planung und aktueller Lernsituation zu reagieren. Das heisst, sie kann ihr Interaktionshandeln der aktuellen Situation der Lerngruppe wie auch einzelner Lernenden anpassen.
–Prozesshafte Rückmeldungen
–Formative Lernzielkontrollen
–Didaktische Weichen
Nutzung der Unterrichtszeit (time on task)
–Die durch den Stundenplan vorgegebene Unterrichtszeit wird optimal für das eigentliche Lernen genutzt.
–Organisatorisches und Störungsanfälliges zu Beginn oder am Ende des Unterrichts klären
–Rhythmisierung mit klaren Gelenkstellen
–Schriftliche Aufträge mit Verständnissicherung
Üben
Selbststeuerung und Unterstützung
–Dem Üben wird genügend Zeit eingeräumt. Das nicht nur in der Form von Hausaufgaben, sondern auch während des Unterrichts. Die Übungen sind gut erklärt und dem Leistungsvermögen der Lernenden angepasst. Die Lernenden haben die Möglichkeit, ihrem Leistungsvermögen entsprechend Übungen auszuwählen. Während der Übungsphasen wird eine ungestörte Lernatmosphäre eingefordert. Die Lernenden erhalten auch Anleitung bezüglich Arbeits- und Lernstrategien.
–Rhythmisierung
–Schriftliche Aufträge
–Übungen zur Auswahl mit deklarierten Kriterien
–Klare Signale für ruhiges Arbeiten
–Auch Lehrperson kommuniziert nur im Flüsterton
–Modelling von schwierigen Übungen
Lernumgebung
Organisation
–Es wird darauf geachtet, dass das Lernmaterial bereitsteht und den Lernenden ohne grössere Umstände zugänglich ist.
–Die Infrastruktur ist zweckmässig vorbereitet.
–Unterrichtsunterlagen
–Lehrperson nutzt individuelle Phasen dazu, die nächsten vorzubereiten
Leistungserwartung
–Die Lehrperson orientiert sich an den Vorgaben von Lehrplänen und strebt die Erreichung der Lernziele an. Die Erreichung der Lernziele wird kontinuierlich überprüft und im Sinne einer steten Verbesserung den Lernenden zurückgemeldet. Die Lernenden werden weder übernoch unterfordert, sondern gemäss der «Zone der nächsten Entwicklung» (Vigotzki, 1978) gefordert und gefördert.
–Individuelles Lerntempo zur Zielerreichung ermöglichen
–Repetitionen einbauen
–Abfragen und Sichtbarmachen der Ressourcen
–Formative Lernleistungskontrollen
–Individuelle Beratung und Förderung
Situierung
–Zwischen der Lernsituation und dem Berufsalltag, aber auch dem persönlichen Alltag besteht ein direkter Bezug. Bei der Annäherung an das Thema, beim Erarbeiten neuen Wissens, beim Üben und Anwenden in Transfersituationen sollen wenn möglich Beispiele aus der Praxis herangezogen werden.
–Problembasiertes Lernen
–Fallbeispiele
–Fallstudien
–Umsetzungsaufgaben
–Portfolioarbeiten
–Projekte
Kompetenzorientierte Lehrpläne sind heute insbesondere in der Berufsbildung Standard. Das vorliegende Kapitel beschreibt in einem ersten Schritt die Arbeitsdefinition von Kompetenz, die diesem Buch zugrunde liegt. Nicht nur Wissen, sondern auch Können und Wollen bestimmen eine Kompetenzausprägung. Auf dieser Annahme wird das Lernprozessmodell RITA aufgebaut.
Der Begriff Kompetenz wird zurzeit sehr unterschiedlich und kontrovers diskutiert. Kompetenz kann einerseits als Voraussetzung resp. Potenzial für das Handeln gesehen werden. Umgekehrt wird Kompetenz erst durch Handlung sichtbar. Im Sinne von Le Boterf (1998) werden Kompetenzen aus Ressourcen wie Wissen, Fertigkeiten, Haltungen, Erfahrungen etc. generiert und in konkreten Situationen in der Praxis unter Beweis gestellt. Dieses sichtbare Handeln, welches auf bestimmte Kompetenzen zurückschliessen lässt, nennen wir Performanz. Kompetenz ist das Potenzial zur Praxisbewältigung, dessen Grundlage neben Wissen, Fertigkeiten, Erfahrungen, Haltungen auch soziale Ressourcen sein können. So verstanden zeigt sich Kompetenz darin, dass bestimmte Situationen (Situationsprototypen) adäquat bewältigt werden können, indem auf entsprechende Ressourcen zurückgegriffen wird.
Kompetenz ist ein Potenzial, bestimmte Alltags- und Arbeitssituationen mit Hilfe von Ressourcen in der Praxis bewältigen zu können.
Abbildung 1: Kompetenz
Kompetenzen werden üblicherweise in Fachkompetenzen und überfachliche Kompetenzen wie Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenz unterteilt.
Einzelne Kompetenzen werden durch das Erschliessen von Ressourcen wie Wissen, Erfahrungen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Haltungen erworben. Mehrere Kompetenzen zusammen wie Fachkompetenzen, Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenzen bilden das Potenzial, um eine Situation im Alltag oder Beruf zu bewältigen.
Abbildung 2: Kompetenzmodell nach Le Boterf (1998)
Kompetenzerwerb wird aus didaktischer Sicht als ein individueller und von der jeweiligen Situation abhängiger Prozess betrachtet. Dieser doppelte Bezug kann u. a. durch folgende didaktische Entscheidungen gefördert werden:
•
Anknüpfen an die praktischen Erfahrungen der Lernenden
•
hohe Eigenaktivität der Lernenden
•
Lernen aus möglichst verschiedenen Perspektiven (Kontexten)
•
Lernen an konkreten, realistischen Problemen und Aufgaben
Die vorhergehende Beschreibung von Kompetenzen orientiert sich an folgendem dispositionalen Kompetenzmodell (Schubiger, 2010):
Ressourcen
Kompetenzen
Performanz
–Wissen
–Erfahrungen
–Fertigkeiten
–Fähigkeiten
–Haltungen
–Ressourcen des Umfeldes
–Potenziale zur Handlung im Kontext
–Beobachtbares Verhalten, effektive Leistung
Beispiel aus dem Qualiprofil Ausbilder / in FA
–Lernprozessmodell (AVIVA, PADUA, RITA etc.)
Methoden und Sozialformen in der Erwachsenenbildung
Wirkung und Grenzen von Methoden zur Erreichung von Lernzielen und Entwicklung von Handlungskompetenz
Grundlagen erwachsenenspezifischen Lernens / Lehrens
Diversity in Lerngruppen, Ausbildungsarchitekturen, Lernprozessmodelle
Lehr- und Lerneinheiten und deren Ausgestaltung lernprozessorientiert in einer Feinplanung konstruieren und dokumentieren
Die Handlungskompetenz ist daran erkennbar, wenn die Person
–unter Verwendung eines Lernprozessmodells eine nachvollziehbare und übersichtliche Verlaufsplanung in sinnvoller Ausführlichkeit erstellt.
–beim Kompetenzaufbau die Ressourcen der Teilnehmenden berücksichtigt.
–aktive Bezüge zur Wirklichkeit und Situation der Teilnehmenden herstellt.
die Lehr- / Lernaktivitäten bezüglich Umfeld, Gruppe, Thema und eigener Ressourcen stimmig plant …
Qualifikation
–Kognitive Rekonstruktion der Ressourcen
–Überprüfung der kognitiven Lernziele (theoretische Prüfung)
–Kognitive Simulation einer Arbeitssituation
–Überprüfung des stellvertretenden Handelns (Fallbearbeitung)
–Prüfung der Handlungsfähigkeit in der Praxis
–Praktische Prüfung
–Beobachtbares Handeln und Verhalten
Abbildung 3: Dispositionales Kompetenzmodell
Im Kompetenzmodell gehen wir davon aus, dass über die Kombination und Verbindung verschiedener Ressourcen das Potenzial gebildet wird, eine bestimmte Anforderung zu erfüllen. Die Bewältigung der Anforderungssituation zeigt sich im Verhalten und Handeln, der sogenannten Performanz. Von aussen betrachtet gehen wir davon aus, dass sich hinter der Performanz eine bestimmte Kompetenz verbirgt.
Qualifikationen können im Gegensatz zu Ressourcen, Kompetenzen und Performanzen als extern anerkannte und legitimierte Sets derselben betrachtet werden. Qualifikationen beinhalten meist eine gemischte Anerkennung verschiedener Performanzen, Kompetenzen und Ressourcen. So setzt sich zum Beispiel das Qualifikationsverfahren am Schluss der Berufslehre aus einer praktischen Arbeit (Überprüfung von Kompetenzen mittels Messung der gezeigten Performanz) und schriftlichen Schulprüfungen (Messung der Ressourcen) zusammen.
Kompetenzentwicklung geschieht einerseits über bewusste Lernprozesse (formales, institutionalisiertes Lernen) und andererseits über eine eher unbewusste Sozialisation. Das folgende Kompetenzprozessmodell soll die vorwiegend beschreibenden Kompetenztheorien ergänzen. Es soll helfen, den Lernprozess mit entsprechenden Methoden zu optimieren und Lernveranstaltungen auf ihre Kompetenzorientierung hin zu prüfen.
Entgegen diesem dispositionalen Kompetenzmodell werden aktuell, insbesondere in der Berufsbildungsentwicklung der Schweiz, die Qualifikationsprofile mit Handlungskompetenzen beschrieben. Diese beschreiben in der Regel konkrete Handlungen, welche die Lernenden am Ende ihrer Ausbildung gemäss den professionellen Vorgaben kompetent auszuführen haben. Konstruiert werden sie in einem Vierschritt:
Objekt
Kontext
Anspruchsniveau
Tätigkeit
Hardwarefehler
an automatisierten Anlagen
(Annahme, dass die Tätigkeit selbstständig ausgeführt wird)
beheben
Handlungskompetenz aus dem Qualifikationsprofil des sich in Entwicklung befindenden Berufes «Automatikerin / Automatiker EFZ»
Auch wenn wir heute wissen, dass Kompetenzen kontextspezifisch erworben und angewandt werden (Schubiger, 2019), gewinnen in einer sich laufend verändernden Berufswelt transversale und kontextunabhängige Kompetenzen an Bedeutung. Auch die rasant wachsenden Wissensberufe im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) verlangen immer mehr Kompetenzen, die weniger ausführende Tätigkeiten als vielmehr eigentliches Denkhandeln beschreiben. Der Autor betrachtet es darum als problematisch und nicht zukunftsweisend, diese in untergeordneten Dokumenten allenfalls noch als Leistungsziele zu formulieren.
Bei den aktuellen Berufsbildungsentwicklungen in Berufsreformen oder Berufsneuentwicklungen können drei Kategorien von Kompetenzen resp. Handlungskompetenzen mit unterschiedlichen Qualitäten identifiziert werden.