Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf - E-Book

Leiden und Freuden eines Schulmeisters E-Book

Jeremias Gotthelf

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Beschreibung

Dieses eBook: "Leiden und Freuden eines Schulmeisters" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Jeremias Gotthelf (1797-1854) war das Pseudonym des Schweizer Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius. Seine Romane spiegeln in einem zum Teil erschreckenden Realismus das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert. Mit wenigen starken, wuchtigen Worten konnte er Menschen und Landschaften beschreiben. Gotthelf verstand es wie kaum ein anderer Schriftsteller seiner Zeit, die christlichen und die humanistischen Forderungen in seinem Werk zu verarbeiten. Aus dem Buch: "Ich widerredete dem Pfarrer nicht. Aber als er fort war, kam mir allerhand in Sinn, das ich ihm hätte sagen sollen. Nun stiegen mir auch die Bauren selbst auf den Hals und lästerten fürchterlich, daß ich sie vom rechten Glauben abbringen wolle und wahrscheinlich die Bibel nie gelesen hätte. Wenn die Sonne stille stünde, so hätte Josua sie nicht brauchen stille stehen heißen, und dann würden wir sie auch Tag und Nacht sehen, sagten sie. Und wer lehre, die Erde gehe ringsum, dem gehe sein Gring z'ringset-um, aber nicht die Erde. Wenn wir z'ringset-um gingen und nachts unten wären, so würde ja in keinem Brunnentrog mehr Wasser sein am Morgen, und da sei ja das Wasser das gleiche am Morgen und am Abend."

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Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-4587-4

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil
Zweiter Teil

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis
Von großer Betrübnuß und Elend.
Von Mater und Mutter.
Wie es Vater und Mutter mit den Kindern hatten.
Wie ich um mein Kronprinzentum komme.
Wie ich aus einem Erbprinzen ein Schulprinz werde.
Wie ich auch um dieses Prinzentum komme.
Wie das Vaterhaus mir zum Diensthause gemacht wird.
Wie ein alter Freund dem armen Weberknechtlein einen Ausweg zeigt.
Wie es mir im Kopfe rundum und endlich mit mir ins Schulmeisteramt geht.
Der Abschied.
Wie es mir als Schulmeister-Adjutanten erging.
Wie ich nach Brot und endlich auf die Stör gehe.
Wie ich Schulmeister lerne auf die alte Mode.
Alleluja! Endlich!
Wie mir die Augen aufgethan werden.
Des Amtes Antritt.
Wie mir der Verstand gemacht wird.
Wie ich einen Pfarrer besuche.
Etwas vom Wesen und Treiben der Liebe, und wie es sich bei mir gestaltet.
Wie ich also sitzen blieb und zwar in der Klemme.
Wie ich mich in die zweite Klemme bringe.
Wie man hungrigen Vögeln Lätschen stellt.
Wie ein Schulmeister den Katzenzammer hat.
Wie ein Schulmeister einer ganzen Gemeinde stand hält.
Wie ein Pfarrer abputzen kann, und was es nützt.
Wie mich die Mauren und Buben Kurieren
Wie ein Schulmeister merkwürdige Betrachtungen anstellt.
Wie mir wieder Trost kömmt ins ermattete Herz, fernere Prüfungen zu ertragen.
Wie nach dem Frost ich auch zu einer Schule komme.
Was ein Brief für Wirkung thut.
Wie ich meinen Nachfolger bewillkomme und auf der Schnabelweid Abschied nehme.
Wie ein Schulmeister wohlfeil zügelt.
Wie ich abermals einen Pfarrer besuche.

Von großer Betrübnuß und Elend.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.

Peter Käser heiße ich, ein Schulmeister bin ich, und im Bette lag ich trübselig, nämlich den 31. Juli 1836.

Desselben Tages, als wir gefrühstückt hatten, trug meine Frau Kaffeekanne und Chacheli hinaus, kam aber nicht wieder herein. Da ging ich nach und wollte fragen: warum sie den Milchhafen nicht auch hole? Ich halte auf Ordnung, aber ihn selbst hinauszutragen kam mir nicht in Sinn. Aber ich fragte das nicht, denn ich fand sie übel, mit dem Kopf angelehnt an den Kachelbank, die eine Hand auf dem Herz. Mir wurde Angst, wie es einem rechten Manne ziemt, und besorglich wollte ich wissen, wo es ihr fehle? Als sie wieder atmen und reden konnte, meinte sie gar weinerlich: »Was wird mir fehlen? es wird wieder öppis angers sy.«

Und weinerlich wurde auch ich, fragte nicht weiter, sondern sagte bloß: »Es wird öppe nüt sy« .– und stolperte betroffen zur Küche hinaus vor das Haus. Dort trat mich der Polizeidiener an und brachte mir einen Brief von dem Schulkommissär, in welchem der Befehl stund, punkt zwei Uhr nachmittags bei ihm zu sein, indem er mir etwas zu eröffnen hätte. Potz tausend! dachte ich, der wird mir sagen wollen, wie hoch ich taxiert worden sei, und wie viel mehr Einkommen ich künftig erhalten werde; und wohl ward mir wieder ums Herz; ich hatte Luftsprünge thun mögen und gerne dem Polizeidiener einen Batzen gegeben für seine Mühe, wenn ich nur einen im Sack gehabt hätte.

Es war nämlich von der hohen Obrigkeit auf Antrag des wohlweisen Erziehungs-Departementes einmal 40 000 L. und wieder einmal 50 000 stipuliert worden zu gunsten der Schulmeister und ihrer Löhne. Und darauf war eine Kommission im Lande herumgefahren, um alle Schulmeister zu inquirieren, wie gelehrt ein jeder sei. Es waren gar schöne und gelehrte Herren und sie machten ihre Sache im ganzen recht manierlich. Ich war recht gut bestanden und hatte ihnen oft so geantwortet, daß sie gar nichts darauf zu sagen wußten. Ein anwesender Bauer meinte, die hätte ich recht beschlagen, und der Frau sagte ich daheim, ich hätte manchen Zweckschuß gethan.

Wir hofften nun alle Tage auf einen Bündel Geld, aber alle Tage umsonst. Wir hätten es so nötig gehabt, und ich hatte darauf hin schon der Frau Mulletung zu einem warmen Gloschli gekramet, war es aber dem Krämer noch schuldig geblieben, der das Geld gerne haben wollte. Da hingen die goldenen und silbernen Äpfel dicht vor unserem Munde; wir thaten ihn weit weit auf, aber sie fielen nicht hinein; sie legten sich sachte nieder in die Staatsbank und unser Glust war doch so groß gemacht und unsere Säcke waren doch so leer! Meine Kinder pflegten zuweilen unserer Katze ein Stück Brot vorzuhalten und es wieder wegzuziehen, wenn sie darnach schnappte; dann ward die Katze böse, knurrte und krebelte; dann schrieen auch die Kinder und wollten die Katze schlagen oder verklagen. Aber ich schalt dann die Kinder und nicht die Katze, und that ihnen gar bündig dar, wie es unbarmherzig sei, mutwillig eine Lust zu erregen, und dann ihre Befriedigung mutwillig hinzuhalten. Ich stellte ihnen vor, wie auch ihnen wäre, wenn man am Morgen das Essen vor sie hinstellte und sie erst am Abend es genießen ließe; ob das nicht ein schlechter Trost für sie wäre, wenn ich ihnen sagen würde: Schweiget doch und seid geduldig, ihr erhaltet es ja, und es kömmt nicht darauf an, ob früher oder später?

Das begriffen meine Kinder nach und nach und trieben das Spiel nicht wieder.

Leider müssen die Herren, die uns so glustig gemacht, weder Kinder noch Katze oder wenigstens nicht Mitleiden mit der Katze gehabt haben; sie würden uns sonst nicht so lange haben warten lassen und dann gar noch, wenn unser leerer Magen murrte und knurrte, über fleischliche Gelüste geklagt haben.

Man kann sich daher denken, wie ich freudenvoll ward, und blangete, wie ein Kind am Neujahrmorgen, bis ich vernahm, wie viel ich nun einseckeln konnte. Ich lief in die Küche, der Frau unser Glück anzukünden (ich konnte es aber nur in unbenannten Zahlen nennen) und ihr anzuhalten, heute das letzte Stück Fleisch, das wir im Hause hatten und das sie so lange gespart, zum Kraut zu legen; es werde ihr wohlthun, meinte ich. Dann nahm ich mein Häfeli heißes Wasser zum barten, schüttete mir aber einen Teil über die Finger, und mit den verbrannten Fingern schnitt ich mir manchen tüchtigen Hieb ins Kinn; denn ich schlotterte ordentlich vor Freude; darum that mir alles nicht weh. Mit dem halben Gesicht voll Schwammpflästerchen ging ich zum Herren, den Psalmen zu holen. Wessen das Herz voll ist, dessen läuft der Mund über; ich verkündete ihm mein ungenanntes Glück. Er schien auch Freude daran zu haben, was mich Wunder nahm; denn wir glaubten von den Pfarrern, sie mißgönnten uns größern Lohn und seien schuld daran, daß wir nicht schon lange mehr hätten. Warum wir das glaubten, weiß ich eigentlich nicht; denn auf der andern Seite hörte ich oft von den Bauern muckeln, man könne den Pfarrern nicht genug für die Schule thun und die Schullöhne nicht groß genug machen; man sehe wohl, daß sie nichts daran geben.

Unglücklicherweise gab der Pfarrer einen moll-Psalmen und ich war doch so dur gestimmt, und dazu spielte unser Organist so gar verzweifelt langsam. So geschah es, daß ich den moll-Psalm und den Organist vergaß in meiner Freude und dem Herrn ein Loblied sang nach der Stimmung meines Herzens und nach dem Takte meines munter hüpfenden Blutes, hoch und rasch. Da entstund ein wunderlicher Gesang, der viel Redens gab, wer eigentlich Recht gehabt hätte. In munterer Weise sang ich fort, und merkte in meinem Jubel nicht, daß der Organist unter und hinter mir blieb; und daß er immer zorniger über die Achsel blickte, sah ich gar nicht, daß der Teil der Gemeinde, der fröhlichen Herzens war, mir nachsang, der schwerfälligere dem Organist; daß der Pfarrer, der eben kein Held in der Musik ist, bald mit mir Schritt halten wollte, bald mit den andern, und gar nicht wußte, woran er war, das alles merkte ich nicht, bis ich mit meinem Liede zu Ende war und mit meinen Mitsängern schwieg, der Organist aber mit seinen Treuen noch fort orgelte und sang. Da sah auch ich erstaunt über die Achsel, erwacht aus meiner Herzensandacht, und gab ihm mit spöttischen Blicken meine Verwunderung kund über seine Böcke. Aber er sah mich nun auch nicht an. Was der Pfarrer predigte, kann ich euch wahrlich nicht sagen. Liebe Leute! verzeiht es einem Schulmeister, der 80 L. baren Lohn und fünf lebendige Kinder auf der Welt hat, der nun zu einer Teilung von 90 000L. sich berufen glaubt, wenn er nicht Platz in seinem Kopfe hat für eine Predigt, sie mag noch so schöu sein. O, könntet ihr sehen in so einen Kopf hinein, wie da die Gedanken wimmeln, sich drängen, verschlingen, wenn sie kaum geboren sind! Bringt ein Glas Essig unter ein neumodisch Vergrößerungsglas, und seht da die Welt voll Tierchen, seht das Gewühl, das nie ruhende Gebären und Vernichten, so könnt ihr euch eine Vorstellung davon machen. Da tauchen zuerst die Schulden auf, die zu bezahlen sind; die werden von den Bedürfnissen verschlungen, die sich darstellen in bunter Mannigfaltigkeit von den mangelnden Kinderstrümpfchen weg bis zu einer neuen Faßi an das Dackbett; aber auch die gehen schnell in einer Wolke von Wünschen unter, die dicht und schwarz herauf sich wälzt und bald den ganzen Horizont der Gedanken bedeckt. Ach, was hat ein Schulmeister mit 80 L. Lohn und fünf Kindern nicht alles zu wünschen; wie unendlich viel hat er entbehrt, von der verstümmelten Tabakspfeife weg bis zu einem Buche, worin alles steht, was er zu wissen noch nötig hätte! Ich war ganz erschrocken, als die andern um mich aufstunden; denn nun erst fiel mir wieder ein, daß ich in der Predigt sei, und mir wurde bange, ich hätte geschlafen, ein böses Beispiel gegeben. Da nahm ich mich zusammen, betete andächtig mit und hielt diesmal mit dem Organisten besser Schritt.

Noch nie schien mir meine Frau mit dem Essen so lange zu machen; aber auch nie schmeckte es mir besser als heute. Die Frau sah ihrem letzten Stück Fleisch wehmütig nach; ich aber war ganz holdselig und trieb das Narrenwerk mit den Kindern, so daß sie endlich sagte; »Peter, ich wollte den Pelz nicht verkaufen, bis ich den Bären hätte.« Ich aber lachte sie aus, wischte mit dem Ärmel den Mund ab, ließ mir das beste Halstuch im Hause umbinden und machte mich auf den Weg. Das ging wie durch die Lüfte und lange vor zwei Uhr war ich an Ort und Stelle. Zum Schulkommissär konnte ich noch nicht; der war noch in der Kinderlehre. Das ungewohnte Fleisch und der rasche Lauf hatten mich durstig gemacht; es kam mich daher das Gelüsten nach einem Schoppen an, dem ich sonst sehr selten nachgab; denn es dünkt mich unrecht für einen Mann, einen Schoppen zu trinken, während das Weib zu Hause einem Kinde, das gerne Brot möchte, sagen muß: »Wart nur, wir essen bald, dann bekommst du Erdäpfelbitzli.« Ich hatte bis an 6 Kreuzer, die ich der Frau zu Hause ließ, all unser bar Vermögen bei mir, welches sich auf 4 1/2 Btz. belief. Es war nicht viel; aber ich meinte, einen Schoppen möge es immer erleiden, wenn man 90 000L. zu teilen habe. Wie ich in die Gaststube kam, merkte ich, daß es gar lustig herging in der Nebenstube, und ehe ich noch meinen Schoppen befehlen konnte, rief es aus derselben: »Seh Käser, es gilt dr, chumm u thue eis Bscheid!«

Ein Schulmeister, und besonders einer der nur 4 1/2 Btz, im Sack hat, sagt wohl: »Blyb nume rüihig«; aber er geht doch hinzu und sieht, wer es ihm bringen will. So machte ich es auch, und sah da den Unterlehrer von selbigem Orte, wie er freudestrahlend am Tische obenan saß, und da regierte und hantierte, als ob er allein Meister wäre. Er befahl mir einen Stuhl, hieß mich sitzen, nehmen, essen und trinken, daß ich gar nicht zu Worten kommen und nicht begreifen konnte, wie ein Unterlehrer dazu komme, so Oberarm yne z'thue.

Endlich merkte ich den Leuten am Tische an, daß da eine Kindbetti sein müsse, und es fiel mir ein, daß der Unterlehrer vor gar nicht langem geheiratet und also wahrscheinlich der Kindbettimann sein werde. Der Gauch, dachte ich, meint auch, er habe einen Prinz erzeugt, und so einen habe die Welt nie gesehen, und macht sich Pläne, wie er ihn wenigstens bis zum Schulkommissar bringen könne; der Gauch weiß nicht, daß solche Mucken die meisten Väter beim ersten Kinde stechen, daß dann beim fünften und sechsten man ein ganz anderes Gesicht macht, de- und wehmütig unten an den Tisch sich setzt, und beim achten und neunten gar unter den Tisch schlüpfen möchte. Aber ich sollte nicht lange im Irrtum bleiben über dessen Freude und den Grund, warum vom Wehbessern auf dem Tische stund.

»Nicht wahr, du willst auch zum Kommissär?« sagte mein Gastgeber. »Nun, ich wünsche dir, daß er dir so gutes verkündet wie mir; ich bin ganz ds Gäggels. Heute, als wir aus der Kirche kamen, sagte er mir, daß ich auf 300 L. jährlich geschatziget worden sei, und da ist es wohl der wert, eine z'näh«. Das begriff ich, und es wurde mir nicht schwarz, aber rot, blau und grün vor den Augen, wenn ich dachte, was erst ich bekommen müsse, ein mehr als 40jähriger Mann, der über 20 Jahre Schule gehalten und recht gute Zeugnisse habe und das beste an einer belobten Schule, wenn so ein junger Mensch, der noch nicht trocken sei hinter den Ohren und sich nirgends bewahrt habe als im Seminar, 300 L. erhalten hätte.

Es gramselte mir in allen Gliedern, und ich konnte die Beine gar nicht mehr stille halten unter dem Tische; aber ich durfte doch nicht alsobald fort. Eins gab das andere, und die Kinderlehre war längstens aus, als ich endlich aufbrach, recht ordentlich angestochen von gutem Wein und guter Hoffnung. Ich mußte noch versprechen, wieder vorbei zu kommen und zu berichten meine Schätzung. Ich machte recht lange Beine hin zu meinem Herrn, um bald seine Botschaft zu vernehmen und wieder berichten zu können.

Der Schulkommissär spazierte vor dem Hause auf und nieder und rauchte sein Pfeifchen. Er grüßte mich freundlich und sagte: »Es wird euch nicht pressiert haben; ihr werdet gedacht haben, ihr vernehmet die Sache immer früh genug«. Ein kurioser Eingang ist das, dachte ich bei mir selbst. »Ja«, fuhr er fort, »es thut mir leid für euch und noch ein paar andere, daß es so gegangen ist; ich begreife gar nicht was sie auch denken in Bern oben; aber so geht es, wenn man allein witzig sein will«. Der gute Herr sei ein wenig gstürmte, fing ich an zu glauben; denn wenn die z'Bern oben dem Unterlehrer für den Anfang 300 L. geben und mir nach Verhältnis, so sei das mir einmal witzig genug, und es wäre unverschämt noch mehr zu erwarten, meinte ich. »He, Wohlehrwürdiger Herr Schulkommissär«, antwortete ich daher, »was sie gemacht haben, wird wohl gut sein; unser einer ist bald zufrieden, wenn man nur einmal sieht aus der Not und dem Elend herauszukommen«. »Das ist's aber eben«, erwiederte der Herr, »was noch nicht bald geschehen wird, wenn es dem nach geht, was ich in Händen habe. So ist's mir eben leid, euch sagen zu müssen, daß sie euch gar nichts mehr gesprochen und unter die Klasse versetzt haben, welcher man noch nicht 150 L. zusprechen könne, sondern sie bei ihrem einstweiligen Einkommen lassen müsse; doch könnt ihr bei besserer Fortbildung neue Ansprüche machen und von Glück noch reden; denn wäret ihr, als ihr das Examen gemacht, einen halben Monat älter gewesen, so würdet ihr vielleicht für bildungsunfähig erklärt worden sein.«

Da stund ich mit offenem Munde, konnte lange ihn nicht zubringen, nicht bewegen; endlich stotterte ich heute zum zweiten Mal: »Es wird öppe nit sy«. Aber der Schulkommissär sagte: leider sei es so; er könne es mir schwarz auf weiß zeigen, wenn ich wolle. Ich wäre gerne noch da geblieben, hätte gerne mich ausgejammert und gefragt, ob denn da gar nichts zu ändern wäre; allein dem guten Mann machte die ganze Sache sichtlich Mühe, und so hatte er es wie jener Guggisberger, der bei einer unbeliebigen Frage an einem unbeliebigen Orte erwiederte: »Na, liebe Herren, das ist eine wüste Sache; wir wollen lieber nicht davon reden«. Mit schwerem, vollem Herzen drückte ich mich ab, machte es aber wie die Weisen aus dem Morgenlande und hielt mein Versprechen, wieder zu kommen, nicht. Wer will es mir verargen, wenn ich meine Schmach nicht vor einem Unterlehrer und einer lustigen Kindbettigesellschaft zur Schau tragen mochte? Ein teilnehmend Herz, um das meinige abzuladen, hätte ich so gerne gehabt; aber ein solches fand sich nicht. So drückte es schwer mich nieder; es war mir, als ob ich knietief in der Erde gehe und Blei in allen meinen Gliedern liege. Vor jedem Menschen, der mir begegnete, erschrak ich, fürchtend, er möchte es mir ansehen, daß ich ein Schulmeister sei, den man nicht 150 L. wert geachtet. Um einem Trupp Kuglenwerfer zu entgehen, flüchtete ich mich in das Dickicht eines Tannenwaldes; dort war es düster, wie in meinem Gemüte. Meine große Bedrängnis stieg wie ein Gespenst vor mir auf, endlos sich ausdehnend, immer schreckbarer werdend; in feuchtes Moos barg ich mein Antlitz und weinte bitterlich, und die Thränen wollten kein Ende nehmen, weil vor den Augen es immer gleich finster blieb. Mensch! willst du, daß die Thränen dir versiegen und es heiter werde in deinem Gemüte, so mußt du deine Augen nicht an den Schoß der Erde drücken, daß es dunkel bleibt vor denselben; du mußt sie aufwärts kehren, dahin, wo die Sonne glüht, die Sterne flimmern, die hellen Zeugen des ewigen Lichtes, mit welchem Gott Herz und Seele erleuchten und jegliche Trübsal in ewigen Frieden und gläubige Hoffnung verklären will. Diese sichtbaren Zeugen am Himmel wirken, du weißt nicht wie, auf dein Gemüte, trösten, erheitern es, lassen es nicht untergehen in die Hölle der Hoffnungslosigkeit. Sicher hat Gottes Gnade sie auch deswegen am Himmel aufgerichtet, und nicht bloß deswegen, daß sie heiter machen Stege und Wege zu irdischem Treiben. Darum, o Mensch, verschmähe sie nicht. Wenn es dunkel wird in dir, sieh zu ihnen auf, laß durch dein Auge hinein sie scheinen auf des Herzens Grund, so wirst du die Wege Gottes erkennen, die er dich führen will zu deinem ewigen Heile, und wirst mit neuem Mute sie wandeln, wie rauh und dornenvoll sie auch sein mögen.

So that ich leider nicht in meiner Betrübnis. Da ging die Sonne unter, die Sterne versteckten hinter Wolken sich, finster ward es um mich, finster blieb es in mir; schwer und mühselig war mein Heimgang. An einem hell erleuchteten Hause führte er vorbei, wo die Fenster offen stunden, eine Menge Menschen die Stube füllten, um die Fenster viele standen und eine heisere, angestrengte Stimme vernehmbar ward. Wunder nahm es mich, was es da gebe, und überzeugt war ich, nicht erkannt zu werden; darum stellte ich mich auf der Straße und horchte. Ich vernahm nur einzelne Worte, deren Zusammenhang ich nicht finden konnte; daß es eine Versammlung sei, merkte ich wohl, aber ob eine geistliche oder weltliche, ward mir aus dem Benehmen der Menschen nicht klar. Da entspann sich folgendes Gespräch leise in meiner Nähe und gab mir Aufschluß: »Ja Trini«, sagte eine weibliche Stimme, »du glaubst nicht, wie es uns gut geht, seit mein Mann geistlich geworden ist und Versammlungen hält; das ist ein viel besser Handwerk als das Schustern. Jetzt haben wir, wie wir es nur wollen, und besser zu essen als viele Bauern, und wenn er mich auch noch immer schlägt und wüst gegen mich ist, so läßt sich das doch gar viel besser ertragen, wenn man den Magen voll Küchli und Hammenschnitten hat, als nur halb voll von Wassersuppe und geschwellten Erdäpfeln. Ein andermal hätte ich darüber gelacht; nun aber betrübte es mich noch mehr, daß alle Leute und namentlich solche es besser und mehr Glück in der Welt hätten als wir.«

Je näher ich der Heimat kam, desto mehr ängstigte mich der Gedanke, was meine Frau zu diesem sagen werde, ob ich ihr alles bekennen oder verbergen solle. Ich konnte lange nicht mit mir einig werden; sie dauerte mich ganz besonders, besonders wenn sie in dem Zustand sein sollte, von dem sie mir diesen Morgen gesagt. Ich konnte aber doch die Hoffnung nicht fahren lassen, daß sie sich getäuscht; ich konnte nicht begreifen, wie es möglich wäre, daß ein armer Schulmeister an einem Tage so bitter sollte getäuscht werden in dem Guten, das ihm so lange vorgespiegelt worden, und aber nicht in dem, was eine neue Bürde ihm aufzulegen drohte. Ach, scheltet mich nicht lieblos, ihr, die ihr dieses leset. Wohl weiß ich auch, daß David die Kinder einen Segen Gottes nennt; aber er war ein König und nicht ein Schulmeister mit 80 L. Lohn. Wohl weiß ich, daß auch bei dem armen Schulmeister der Kindersegen ein wahrer Gottessegen werden kann, wenn er auszuharren und getreu zu bleiben weiß bis an das Ende. Aber eben dieses Ausharren und Getreubleiben bis ans Ende in allen Bedrängnissen, in jeglicher Not, ist gar zu schwer; und wenn schon die gegenwärtige Not so schwer ist, daß man beinahe einsinkt, wer will den Stein auf einen werfen, wenn das arme Herz verzagen will bei der Aussicht auf die noch schwerer werdende Bürde? Wer will richten, wenn dieses Vermehren der Bürde als ein Leidenskelch angesehen wird von der schwachen Menschennatur, und aus dem zagenden Herzen der Wunsch empor sich ringt! Vater, laß ihn vorübergehen; wenn man dann nur nach langem Kampf und nach vielem Beten hinzuzusetzen vermag: Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe? Doch das darf ich sagen, daß, sowie ein Kind zur Welt geboren war, ich mit der herzlichsten Liebe an ihm hing und gerne alles ertrug um seinetwillen, und willig alles geopfert hatte, um es zu erhalten.

Ich war noch nicht mit mir einig geworden, als ich zum Hause kam, was ich meinem Weibchen zu sagen hatte; da guggete ich zum Fenster hinein und sah die Kinder um den Tisch gereiht ein Schullied singen, das Mutterli aber im Ofenecken sitzen; den Kopf hatte es aufgelegt, so daß ich nicht sehen konnte, weinte oder schlief es. Dieser Anblick gab mir den Mut nicht, mit der Wahrheit herauszurücken; ich beschloß, sie zu verbergen, mich lustig zu stellen, zweideutigen Bescheid zu geben, faßte das Herz in beide Hände und trat mit einem herzhaften: »Guete-n-Abe geb ech Gott!« in die Stube. Die Kinder fuhren fröhlich auf und riefen freundlich: »Guete-n-Abe, Ätti!« Das Mutterli kam auch, wischte sich aber geschwind die Augen ab und sagte: »Bisch späte, sitz zueche, i ha dr dänne deckt, wirsch sroh sy über öppis Warms?« Sie trug auf, frug mich nichts; aber scharf sah sie mich an, wie ich mich abmühte mit den Kindern zu spaßen. Und übers Herz konnte ich es nicht bringen, so oft ich auch ansetzte, zu sagen: »Muetterli, ,es ist guet gange.« Als endlich die Kinder zu Bette waren, setzte sie sich zu mir und sagte weinerlich: »Gell, es het dr gfehlt und 's Fleisch hei mr vergebe g'esse!« – Ich wollte nicht bekennen; aber sie ließ sich nicht täuschen, behauptete, sie kenne mich zu gut, als daß ich mich vor ihr verstellen könne; sie sehe es mir auf den ersten Blick an, ob mir wohl oder übel zu Mute sei. Ich mußte mit der Sprache heraus und dem guten Weibchen meinen Jammer mitteilen. Es weinte und ich weinte; eins wollte das andere trösten; aber unsere Trostgründe waren so wenig heblich, und jedes traute den seinigen selbst so wenig, daß sie unsere Thränen nicht stillten. Wir wollten Vorsätze fassen, früher aufstehen, später uns niederlegen; aber als wir rechneten, fanden wir, daß das uns nicht weit bringe, besonders da ich jetzt so viel mehr Schule halten mußte als früher und fast um den alten Lohn. Wir gedachten daran, unsere Kinder bei guten Leuten unterzubringen; aber der Gedanke that uns so weh, daß keins ihn mehr berühren mochte. Wir sahen keinen Ausweg, fanden keinen Trost. Da sagte endlich meine Frau: »Es ist Nacht, wir sind beide müde und matt; da kann der mutlose Mensch sich nicht aufrichten. Wenn der Morgen frisch am Himmel steht und der erwachte Mensch gesund die Sonne wieder steht, faßt er sich eher wieder und findet irgend einen Ausweg. Wir wollen schlafen gehen; der gütige Gott hat den Schlaf gegeben den Betrübten, damit sie ihre Last vergessen und mit jedem neuen Tage stärker werden, sie zu tragen.«

So sprach meine fromme Frau. Wir empfahlen uns dem Herrn und thaten, wie sie angegeben hatte. Aber schlafen konnte ich nicht; meine Gedanken verfolgten und hetzten mich wie Gespenster; eine heftige Bitterkeit stieg in mir auf gegen die, die mich so tief gewürdigt hatten, und ich sann darüber, ob sie nicht zu verklagen waren und gezwungen werden könnten, ihre Befehle zu ändern. So wollte der Schlaf lange nicht kommen, bis er mich endlich doch ergriff.

Da trat folgendes Traumgesicht vor meine Seele: Es öffnete sich die Thüre und herein trat ein mir wohlbekannter Schulmeister, ein klein aber anfechtig Bürschchen, den weißen Hut hinten im Nacken, eine große Porzellanpfeife mit kurzem Rohr fast gerade ausgestreckt. Keck und trotzig stellte er sich mitten in die Stube, mit einer langen Schrift in der Hand, die Nase aufwärts gerichtet, und sprach! »Käser, es wird dir wie mir gegangen sein? Ich galt für einen Gelehrten; ich habe mich von jeher dafür ausgegeben und die Leute glaubten mir. Nun kommen die da und setzen mich in eine untere Klasse. Es ist vor Gott und Menschen nicht recht, so das Vaterland zu verraten. Ich hoffte, die ganze Einwohnerschaft werde rebellieren und den Gehorsam aufkünden wegen mir, daß man mich so behandelt; aber das sind lauter Strohköpfe und Eiszapfen, und fürchten sich vor den Bürgern, die es mir wohl gönnen mögen; denn ich bin ihnen halt zu gescheut und sie müssen mich fürchten ärger wie ein Schwert. Keiner hat meinetwegen den Fuß versetzt; ich glaube gar noch, sie gönnen es mir. Nun habe ich da eine Schrift aufgesetzt an den Großen Rat; da sind doch noch Männer, die Vaterlandsfreunde sind. Ich will sie dir vorlesen, du mußt mir sie unterschreiben; es wird's noch mancher gerne thun und mir danken, daß ich immer für alle sinne und mich allenhalben z'vordrist stelle.« Er las mir nun vor, wie das Erziehungsdepartement das Volk versumpfe, entsittliche, seine Lehrer verhungern lasse, alles zwängen wolle und nichts verstehe, die ausgesetzten Gelder verschleudere; wie der Regierungsrat verräterisch stillschweige und nichts weniger verstehe als das Regieren – dann noch allerlei von den Pfarrern, wie die allein begünstigt seien, und wie man besser thäte, die Lehrer, da sie doch wichtiger seien als die Pfarrer, zu besolden wie die Pfarrer, und dann seinethalben die Pfarrer wie bisher die Lehrer; auch vom Obergericht und den Reaktionsprozeduren und dem 2. Juli, und noch allerlei, das ich nicht verstand, bis an den Schluß, wo gefordert wurde, daß der Große Rat eine Kommission niedersetze, die beklagten Behörden zu untersuchen; einstweilen aber, bis diese Kommission Bericht erstattet habe, das Obergericht, den Regierungsrat, das Erziehungsdepartement in allen ihren Funktionen einstelle, damit der Schaden nicht alle Tage noch größer werde. Als er fertig war, suchte er Federn und Tinte, um mich unterschreiben zu lassen. Da schlich aus einer Ecke der Stube her eine andere Figur. Wie sie hereingekommen, wußte ich nicht; ihre Schritte hörte ich so wenig als eine Maus den Schritt eines Fuchses. Es war eine magere Gestalt, aber mit rotem Gesicht und einer merkwürdigen Nase; in der einen Hand hielt sie ein Küchli, in der andern eine Hammeschnitte; aus der Busentasche sah der Zapfen einer Flasche. Sie schlich sich hinter dem Rücken des suchenden Schulmeisters in die Mitte der Stube, schüttelte mit dem Kopfe gar eifrig und machte mit der Küchelschnitte verächtliche Bewegungen gegen jenen; die Hammeschnitte zeigte sie mir (sie war groß und so schön weiß und rot), steckte sie dann in den Mund und schmatzete nach Herzenslust. Als sie eine Weile gegessen hatte, sprach sie, aber so wunderbar, daß der andere es nicht hörte, zu mir folgendes:

»Käser, der Geist hat mich zu dir getrieben; er hat dein Elend erkannt und erbarmet sich deiner; er will dich aufnehmen unter seine Auserwählten und dich bestellen, das Evangelium zu predigen den verblendeten Gliedern der Kirche, die zum großen Säustall geworden ist. Er sucht vor allem aus Schulmeister; denn die können reden und am besten unvermerkt bei Jung und Alt das große Werk beginnen, und sie dem Heiland fangen, ohne daß sie es merken, wie Fische in einem Garne. Es steht ja geschrieben: Ich will dich zu einem Menschenfischer machen. Entsage, o Käser, der Welt und ihren Lüsten und folge dem Heiland nach. Siehe, du wirst es gut haben, brauchst nicht mehr in feuchtem Webkeller dich abzuzehren, du kannst herumlaufen, und je mehr, je lieber. Siehe diese Hamme und die Küchli! Solcher Dinge wirst du genug haben alle Tage. Und hier diese Flasche wird dich laben und nie leer werden. Es ist altes Batziwasser von 1834. Deren hat eine alte Frau noch mehr als einen Saum und das alles ist unser. Geschenke wird es dir ins Haus regnen, wie Manna den Kindern Israel in der Wüste; und wenn du heim kommst, so wird dein Wartsäckli beständig voll sein, daß du die Kinder speisen kannst wie die jungen Raben am Bache. Und dann wirst du noch gar manche Freude haben, von denen ich dir jetzt noch nichts sage. Die Schwestern werden sie dir schon begreiflich machen, wenn es Zeit ist. Aber rühmen wird man dich über Berg und Thal und zulaufen wird man dir aus allen Dörfern und Höfen, und überall wird es heißen: Der Käser ist doch der best; es dünkt einem, er komme gerade vom Himmel. Und Leitern wird man dann anstellen ins Kami und aufs neue Hamme und Würste abehaue, ganze Scheube voll. So wird all dein Elend in Zeit und Ewigkeit ein Ende nehmen. Drum sei mein Jesusbruder, beiß ab von dieser Hamme und ziehe eins aus dieser Flasche auf heilige Brüderschaft in dieser bösen Welt!«

Unterdessen hatte der Schulmeister Federn und Tinte gefunden, Feuer geschlagen in seine ausgegangene Pfeife, und streckte mir die Schrift zum Unterschreiben dar, und auf der andern Seite streckte mir der Bruder die Hammeschnitte zum Abbeißen dar. Und da war ich und wußte nicht, sollte ich abbeißen oder unterschreiben. Gar schwach stellte ich mich im Traume dar; wie ein Rohr schwankte ich zwischen beiden Drängern. Dem kleinen Schulmeister durfte ich das Unterschreiben nicht wohl abschlagen; so klein er war, fürchtete ich ihn doch wie ein Schwert; er konnte gleich thun wie eine wilde Katze am Hälsig. Denn doch fürchtete ich mich vor dem Unterschreiben; die Herren konnten uns am Ende noch hängen lassen, wenn sie Meister blieben. Dann wieder roch die Hamme so lieblich, die Küchleni dufteten so zärtlich, daß Fleisch und Blut die Lust empfingen und dem Mund gar ernstlich zusprachen, zuzubeißen. Dabei bangte mir doch gar sehr vor dem Pfarrer, vor meiner Frau und noch vor andern Leuten; sagen durfte ich denen ja nie, daß ich das Handgeld empfangen, um geistlich zu sein. Während es in mir also kämpfte, waren die beiden Versucher näher und näher gerückt: der eine in der einen Hand die Schrift darstreckend, mit der zweiten Hand die Pfeife haltend; der andere mir weit entgegenbietend die Hammeschnitte und mit der zweiten Hand innig ans Herz drückend seine liebe Flasche mit dem alten Bätziwasser. Meine Hand streckte ich nur wenig und zagend und zögernd aus nach der Schrift, und ungefähr gleich weit hin schob ich den Mund vor nach der Hamme; so wie jene beiden nun mir ihre Lockvögel rasch in Hand und Mund schieben wollten, stießen sie an einander, fuhren wie vom Blitz getroffen auseinander und starrten sich eine Weile an wie versteinert. Dann faßten sie Mut und rückten wieder gegen das Bette vor. Der Kleine schob seinem Feinde als Schild seine Pfeife entgegen, der Fromme deckte sich vorsichtig mit der Flasche. Sie kamen zu gleicher Zeit am Bette an, wo ich mich gar leidend verhielt: ich wollte es mit keinem verderben. Sie merkten, daß ich den Kampf nicht entscheiden werde, sondern ihre eigene Kühnheit. Da zog der Kleine mit weit aufgethanen Nasenlöchern kühne Züge aus seiner Pfeife; der Fromme that tiefe Züge aus seiner Flasche und nun begannen sie ein Drängen und Stoßen an meinem Bette, um meiner Hand oder meines Mundes sich zu bemächtigen. Ach, ich bin zu schwach, nun des Kampfes kühnes Walten und der Helden Heldenthaten würdig zu besingen; auch erlebte ich des Kampfes Ende nicht. Es krachten und brachen ihre kühn geschwungenen Schilde. Der Pfeife Feuer sprühte mir funkelnd übers Gesicht; der Flasche brennend Naß stürzte dem Feuer nach, und im Gesichte und im Halse schien mir der Hölle Feuer zu brennen. Und wie im kühnen Männerkampfe, wenn die Schilde brechen, die kühnen Kämpen zu ringen beginnen, so faßten sich nun auch der Versucher Hände. Nämlich jeder faßte den andern mit einer Hand, während die andere mir aufzudringen suchte Schrift oder Hamme. Ach Gott, wie wütete der Kampf und wie nahe auf den Leib rückten sie mir! Der Fromme hatte den Vorteil der längern Arme, des längern Leibes. Ihm gelang es, sich auf mich zu werfen wie eine schwere Alp und die Hamme mir in den Mund zu schieben bis hinten an. Da sprühte der Kleine auf wie ein Feuerteufel, warf sich auf uns beide hin und schob in verblendeter Kampfeswut der Hamme nach seine Schrift. In grausenhafter Angst glaubte ich erstickt zu sein, und mir vergingen die Sinne oder vielmehr des Traumes Bewußtsein.

Es war Morgen, als ich, von Mädeli sanft gerüttelt, erwachte, noch immer in Angstschweiß gebadet. Mein tiefes ängstlich Stöhnen hatte meine Frau erweckt und sie dann endlich auch mich aus Mitleid.

Ich war wie zerschlagen am ganzen Leibe und noch mutloser in der Seele, als am Abend vorher, und that nichts als seufzen und kummern. Da hatte mein Frauchen wieder Erbarmen mit mir und einen guten Gedanken. Sie sandte mich zu einem guten Freunde, bei ihm Trost zu suchen und Erheiterung.

Diesen Gang werden meine Leser am Ende beschrieben finden. Nur so viel kann ich ihnen sagen, daß diesem Gang dieses Buch sein Dasein verdankt.

Von Mater und Mutter.

Inhaltsverzeichnis

Zweites Kapitel

Mein Vater war ein magerer blasser Mann, von Profession ein Weber. Alle Winter hatte er den Husten; und wenn der Winter acht Monate dauerte, wie im Jahr 1836, in welchem es nur während vier Monaten nicht geschneit hat, so hustete er auch acht Monate lang. Meine Mutter war eine Frau, wie man sie auf dem Lande zu Tausenden sieht, nicht groß, nicht klein, ohne besondere Merkmale, aber mit von der Zeit verwitterten Zügen; am Sonntag, oder wenn sie das Haus verließ und gewaschen und gekleidet war, nicht eben häßlich, in der Woche aber und zu Hause oft einem Haaghuuri ähnlicher als einem Menschen. Sie besaßen ein kleines Heimwesen, auf welchem man in guten Jahren eine Kuh und einige Schafe mühselig durchbringen konnte, wenn man alle Äpfel- und Erdäpfel-Schindti sorgsam zu Rate zog. Korn konnte man wenig pflanzen; aber gar viel hielten sie auf Gspünst, weil der Vater ein Weber und die Mutter eine Frau war, d. h. weil sie sich gerne rühmte, so und so viel Flachs und Ryste gemacht zu haben. Das war dem Lande kein Nutzen; es blieb um so magerer. Und daß man um so mehr Brot kaufen mußte, rechnete man nicht, sparte es aber gar ängstlich. Es war zudem ein Gütchen, auf welchem die guten Jahre selten waren, besonders wenn man es nicht recht düngen konnte, sondern der natürlichen Fruchtbarkeit das Gedeihen überlassen mußte. Jener Länder meinte, auf die Frage, ob sie viel Heu gemacht: wo man brav gemistet, hätte es viel Heu gegeben; wo man es aber nur dem lieben Gott überlassen, wäre nichts gewesen. Diese Antwort scheint gottlos zu sein; sie enthält aber den tiefen Sinn, daß Gott nichts thut, wozu er dem Menschen Mittel und Kräfte gegeben, es selbst zu machen. Es lag an eines Waldes Saum, hatte steinichten Boden, viel Schatten, war uneben und wasserlos, bis an das Abwasser vom Hausbrünnchen, das aber in trocknen Jahren einen Wasserstrahl hatte, kaum wie eine Lismernadel. Es gingen einmal fremde Reisende, während man im Dorfe ihre Pferde fütterte, spazierend bei uns vorbei. Als sie in den Baumgarten kamen, wo die Bäume so schon grau und grün unter ihrem Moose und zwischen den Mistelen hindurch guggten, und zum Häuschen, das halb blind hinter seinen papierenen Fenstern sich schämte und sein strohloses Dach mit allerlei Pflanzen und Trümmern bedeckt hielt, halb versteckt in den Bäumen und im Schatten des Waldes – meinten sie: das sei hier doch gar zu romantisch. Ich verstund den Ausdruck nicht, hielt es aber für ein Spott- und Hohnwort, und hetzte hinter dem Tennsthor hervor unsern Spitzi auf sie. Daß es nicht besser aussah, hatte seine zwei guten Gründe. Mein Vater hatte das Gütlein nicht schuldenfrei, sondern er mußte alle Jahre 50 Kronen Zins haben auf demselben. Sein Vater war schon schuldig gewesen. Und er wurde noch mehr schuldig, weil er seinen Schwestern herausgeben mußte. So häufte sich von Geschlecht zu Geschlecht die Schuldenlast an. Gewiß ist aber auch niemand gedrückter, als der Besitzer eines kleinen, verschuldeten Heimwesens, er mag ein Handwerk haben oder keins; der hängt sein Lebenlang zwischen Tod und Leben, kann nicht leben, kann nicht sterben, wenn er auch noch so fleißig ist. Die gemeinen Lasten sind im Verhältnis größer als bei größern Gütern, Verbesserungen lassen sich weniger anbringen; auch hat man nicht die Mittel dazu; was gepflanzt wird, muß ins Haus gebraucht werden; man bleibt hungrig dabei, und muß noch dazu kaufen. Hat man kein Handwerk, so gibt es keinen Nebenverdienst und der Zins kann nicht aufgebracht werden; hat man ein Handwerk und ist nicht sehr gescheut, so pfuschet man auf dem Gut und im Handwerk, treibt keines recht und kommt auch nirgends hin. So mußte auch bei uns allem aufgeboten werden, um den jährlichen Zins aufzubringen; auf Verbesserungen oder gar Verschönerungen hatte man nichts zu verwenden, nicht einmal auf die nötigen Reparaturen. Und weil man kleinen Schaden nicht ausbesserte zur rechten Zeit, so wurde er groß; und um ihn zu heilen, mußte man neue Schulden machen. Wer für sein Dach z. B. zur rechten Zeit 10 Xr. scheut, der kann später 10 L. rüsten. Aber das bedenken wenige; sie fühlen nur den Geldklamm, in dem sie sind. Mein Vater hielt sein Handwerk für die Hauptsache und es war ihm in der Seele zuwider, wenn er außer seinem Webekeller etwas thun sollte; dann konnte ihm niemand etwas recht machen. Die Frau und später die Kinder sollten alles besorgen; und das ist der zweite Grund, warum es nicht besser aussah. Man kann sich denken, wie es zugeht, wenn eine Frau, die entweder Kindbetterin, oder schwanger ist, alles in allem thun muß: Kinder säugen und hüten, Schweine mästen, Kühe füttern, für Menschen kochen, pflanzen, begießen, jäten, mähen, dreschen, spinnen soll; und wie es ihr sein muß, wenn sie nirgends kommen mag, weder mit der Arbeit noch mit dem Gelde; wenn sie manchmal in die Erde sinken möchte vor Mattigkeit und Müdigkeit mit ihren geschwollenen Beinen, und dazu ein Kind hier schreit, das andere dort, und der Mann mit sauren Augen sie fragt, warum das noch nicht gemacht sei und jenes nicht, und wann man doch einmal essen könne und warum sie die Kinder so brüllen lasse. Und wenn sie zu diesem allem nichts brauchen soll, nichts anschaffen darf, und über jeden Kreuzer ein endloses Gefrägel ist und der Mann keinen Verstand hat über einen Hausbedarf, sondern nur den jährlichen Zins von 59 Kr. im Sinn und Kopfe hat, so kann man denken, wie bös eine solche Frau hat. Das ist wahr, er selbst arbeitete auch brav. Allein entweder war er nicht besonders geschickt oder unglücklicher Art – er kam nicht weit. Früher hatte er Garn gekauft und auf eigene Rechnung gewoben für die Händler; allein das wollte nicht gehen. Und wenn er auf dieses Kapitel kam, so konnte er nicht aufhören zu schimpfen über die Ungerechtigkeit in der Welt. Je ärmer man sei, meinte er, desto mehr hätte man nötig zu lösen. Aber das sei gerade umgekehrt, die Reichsten lösten aus ihren Sachen am meisten. So ein Händler oder Handelsherr sehe es einem auf hundert Schritte an, ob man Geld nötig hätte, und am schlimmsten darin sei ein gewisser Christen (den Geschlechtsnamen nannte er nicht) und gebe einem sicher einen halben oder einen ganzen Vierer weniger für die Elle, als wenn man kein Geld nötig hätte. Da werde man gedreht, daß einem die Augen übergehen und man nur noch sehen könne, wie sie einem, der es nicht so nötig hätte, mehr geben für sein Tuch, das doch nicht so gut sei. Doch das sei noch nicht alles. Wenn man glaube, fertig zu sein und sein geringes Profitchen am Schermen zu haben, so müßte es gar nicht zu machen sein, wenn sie einem nicht noch einen Abzug zu machen wüßten, entweder für Fehler im Weben oder für Bleifäden oder für irgend etwas, an das das arme Weberchen nicht gedacht, das er sich aber mit blutendem Herzen müsse gefallen lassen, weil er halt nichts anders zu machen wüßte und mit solchen Großgrinde nicht prozedieren.

Wenn diese wüßten, wie manchmal das arme Weberlein in seinem feuchten Keller bei feiner mühseligen Arbeit bei Kreuzer und Pfennig ausrechnet, was er lösen sollte, und wie er eben so oft seinen Gewinn gegen seine Schulden hält oder seine Bedürfnisse, und das Schifflein emsiger fliegt, weil ihm angst wird, es möge es nicht geben; und wie das ein wichtiger Tag. ist, wenn der Vater ein Wubb abmacht und damit auf Burgdorf oder Langenthal zu wandert, und wie auf einen halben Vierer unendlich viel ankommt und wie Weib und Kind bang auf die Heimkunft harren, und was der lange Christen gesagt und gegeben, und wie die ganze Haushaltung entweder seufzt, wohl oder übel schläft, je nachdem der Christen bei guter oder böser Laune gewesen – wenn sie das alles wüßten, sie würden sicher zuweilen einen Schoppen weniger zum Überfluß trinken und einen Vierer mehr zur Notdurft geben, oder sie müßten dann steinern sein durch und durch und um und um. So mußte endlich mein Vater seine Selbständigkeit auf- und sich einem der Herren als Weber zu eigen geben. Nur was man selbsten pflanzte, verwob er auf seine Rechnung und wenn er einmal ein eigenes Wubb wegtragen konnte, so hatte er einen ganz andern Schritt und trug auch den Kopf ganz anders; und wenn er dann dieses Wubb keinem Händler zu geben brauchte, sondern irgend einer Frau in der Stadt anhängen konnte, dann kam er wohl auch mit dem Hütchen auf der Seite und einem kleinen Stecher heim. Einmal hatte er einen großen; da hatten wir Kinder Spaß und Freude. Er hatte einer Frau Tuch verkauft und die hatte ihm, weil eben ihr alter Weber gestorben, zu weben gegeben. Der Vater hatte sich anfangs geweigert, es zu nehmen, weil sein Herr verdammt puckt war und keinen Tag auf die Arbeit warten wollte, und seine Arbeiter beim geringsten Verzug auspudelte, ärger als ein Pascha mit drei Roßschweifen. Endlich nahm er doch eine Partie Garn, weil er mehr Verdienst dabei sah und durch früheres und späteres Arbeiten den andern nicht aufzuhalten hoffte. Als er der Stadtfrau das Tuch brachte und vormessen wollte nach Webersitte, machte die ein gar schlaues Gesicht und sagte: »Ja, Weber, ich bin auch nicht dumm. Wenn dWeber schon schlimme Vögel sind, so können sie mich doch nicht mehr überlüpfe. Ich will darum absolut nicht, daß du mir den Daumen missest zu der Elle und mich so an Ellen verkürzest.« »Ja, Frau, das mache ich Euch, wie Ihr befehlet«, hatte mein Vater gesagt, ohne zu lachen. Beide schieden zufrieden miteinander; die Batzen aber, die der ausgelassene Daumen an vermehrtem Weberlohn ihm eingetragen, hatte mein Vater vertrunken und darum den tüchtigen Säbel heimgebracht.

Mein Vater bildete sich ein, sein Verdienst solle den Zins machen und der Rest verwandt werden zu Abbezahlung der Schulden; der ganze Hausbrauch und alle Ausgaben sollten vom Ertrag des Gütchens bestritten werden. Er behauptete, andere seien keine Weber, hätten überhaupt keinen Nebenverdienst, aber Schulden wie er und nicht mehr oder besseres Land; – die müßten also auch gelebt und Zins haben. Und woher müßten diese beides nehmen als aus dem Lande? Er rechnete daher alle Jahre mit der Kreide und im Kopf, wie es nun anders gehen müsse, welches Pöstchen er ablösen wolle und wie er dann das andere Jahr ein noch größeres abzahlen werde. Aber er rechnete alle Jahre falsch und mußte froh sein, wenn er schlüpfen konnte ohne neue Schulden. Der gute Weber hatte nur das Einnehmen im Kopf, aber nicht die Ausgaben; – die schneite es ihm unerwartet zu zu unbeliebigem Nachtrag. Es mußte z.B. der Zimmermann ein neues Bschütti-Loch machen, weil das alte einfiel. Das kostete Geld und deswegen gab er der Frau manchen Tag kein gutes Wort. Die Kuh wollte nicht mehr trächtig werden; sie mußte vertauscht, Geld zugeschossen werden. Er sagte: »Frau, jetzt kannst sehen, daß es mit dieser nicht eben so geht, wie mit der alten – sonst geht es dir nicht gut.« Es kamen Krankheiten über die Kinder, die machten Auslagen; Krankheiten in den Flachs, die verminderten die Einnahmen; und die Frau mußte alle Tage ihre Brummelsuppe schlucken. Und wenn dann noch eine Kindbetti dazu kam, dann mußte sie alle Tage hören: sie könne nichts anders als jung ha! und wenn sie, wie es auf dem Lande der Brauch ist, zu Ader lassen wollte, so mußte sie alle ihre Schliche anwenden, um zu den vier oder fünf Batzen zu kommen, welche zu der üblichen Kur nötig sind. Die Weiber bilden sich nämlich ein, wenn man Blut auslasse, so sei oben darauf wenigstens ein Schoppen roter Wein nötig und ein Bitzli Fleisch; und der Doktor, welcher diese Kur am besten zu verordnen weiß, bei dem lassen die Weiber am liebsten zu Ader. So sah man vor einiger Zeit an bestimmten Tagen eine Menge stattlicher Weiber an einem gewissen Orte stattlich einherschreiten, und keine ging ohne ein gefülltes Säcklein heim; und eine Menge minder stattliche Weiber trank wenigstens den genannten Schoppen Roten. Es war nicht Sonntag, nicht Märit; aber es war Aderlaßtag, und der Doktor an selbem Orte verstund das Aderlassen besser als alle. Er verordnete nämlich den Vermöglicheren nicht bloß einen Schoppen, sondern eine förmliche Kur, die mehrere Tage dauern sollte und darin bestand, daß die Weiber während dieser Zeit grünes Fleisch und ein Glas guten Wein brauchen sollten. Das war den Weibern das Rechte, und sogar die Kinder, denen ein gutes Müetti immer einen Teil von dem, was es ißt und trinkt, zukommen läßt, freuten sich auf diese Tage und fragten oft: »Müetti, wotsch nit bald ga Bluet use lah?« Der Doktor, der Schalk, vergaß sich aber auch nicht; zum Aderlaß gab er mit bedeutsamer Miene ein klein Tränklein, welches notwendig mit den andern Sachen zu gebrauchen sei, und so zog er über den gewohnten Aderlaßbatzen noch drei Batzen für unschuldige Kräuter, und verschaffte sich so nicht nur stattliche Weiber zum Aderlassen, sondern auch eine stattliche Einnahme, daß er auch für sich die Kur brauchen und grünes Fleisch essen und guten Wein trinken konnte, so viel er wollte.

Die Behandlung des Vaters nahm die Mutter so hin, ohne daß es oft Streit gegeben hätte. Sie stichelte zuweilen auch wieder, sagte z. B., es sei komod, am Schatten zu sitzen und zu befehlen, klagte bei einer Nachbarin etwa, ihr Mann sei der unerchantisch wüestisch Hung, den es geben könne, und nie wüster, als wenn sie mit em Ching gehe. Später mußten dann die Kinder hören, was sie gegen den Vater auf dem Herzen halte.

So war unsere Haushaltung nicht bekannt als eine störrige, zweispaltige, sie war nur was tausend andere auch waren. Diese täglichen Reibungen, dieses freudlose Ringen mit des Lebens Mühen und Nöten hatte die Gemüter versäuret durch und durch, so daß alles im schlimmsten Lichte angesehen, bitter aufgenommen wurde, am bittersten das Glück des Nächsten. Wenn einer ein Erbe gemacht oder einen guten Schick, so ergoß sich die Galle der Eltern auf alle erdenkliche Weise, und der Vater hustete noch einmal so viel als sonst. Unglück mochten sie aber jedem gönnen, und es nahm sie immer Wunder, daß es nicht schon früher eingetroffen oder nicht ärger gekommen sei. Die größte Freude hatte meine Mutter, wenn irgend ein Mädchen schwanger wurde, und Keiner es wollte; dann wußte sie über Mädchen, Eltern und über die jetzige Welt zu schimpfen wie ein Buch. Aus diesem allem kann man schließen, daß Beide nicht besonders viel eigentliche Religion hatten. Sie schimpften zwar oft über die Welt, und wenn sie jemand recht herunter machen wollten, so sagten sie: Er glaube an keinen Gott und an keinen Teufel. Sie ließen uns Kinder beten, und mitten drin sagte die Mutter: dort geht der D... Schelm, der uns unsere Äpfel gestohlen hat! Der Vater ging öfters in die Kirche, weil er im Dorfe etwas zu verrichten hatte und gerne etwas Neues vernahm, besonders im Winter, wenn man Schweine zu verkaufen hatte, zu hören was sie gelten. Die Mutter hingegen ging höchstens alle zwei Jahre einmal zum Nachtmahl. Wir fürchteten es allemal; denn am Morgen ehe sie ging, war sie von einer Hässigi ohne Gleichen; sie turnierte in der Küche herum wie wild, und das Kind, das ihr vor die Füße lief, erhielt Schläge. Wenn sie heim kam, hatte sie gewöhnlich auf den Pfarrer zu schimpfen: der sei auch einer auf die neue Mode, man verstehe sich gar nicht auf ihn. Ehemals hätte man das Abendmahl ausgelegt, wie es einem so wohl mache, und wie man selig werden könne, wenn man es genieße, wie ja darum Christus für alle gestorben sei, wo das glaubten, und wie die Seligkeit so schön sei und im Himmel alles glitzert und es lustig sei dort. Der wisse von dem Allem nichts zu sagen, sondern sage nur immer, man solle das thun, und jenes nicht thun, und eine Frau hatte ihr heute gesagt: der Pfarrer habe letzthin gesagt, er wisse nicht, wie es im Himmel sei. Ob man denn einen solchen Lappi zum Pfarrer machen solle, sie frage! Ehedem wäre er nicht gut gewesen für einen Schulmeister; jetzt mache man selligi Pfarrer. Da wundere es einem nicht, wenn der Unglauben so überhand nehme, wenn der Pfarrer nicht mehr wisse, wie es im Himmel sei. Das werde doch wohl in der Gschrift stehen. Die Mutter und der Vater hatten keinen Begriff davon, daß die Religion etwas sei für alle Tage und für das Haus, daß sie im Grunde nichts anders sein solle, als der Urquell all unseres Denkens, Redens, Handelns, der Urquell unseres ganzen Seins; sie hielten sie für ein Fürwahrhalten, daß Gott alle Worte in der Gschrift gesprochen, und daß man durch Christus selig werden könne, verbunden mit einem Dienst, den man durch Hersagen von Gebetsformeln und in der Kirche zu verrichten habe. Darum gedachten sie auch nicht von ferne daran, daß die Religion ihr Benehmen gegen die Nächsten und besonders ihr gegenseitiges zu bestimmen habe; gedachten gar nicht daran, daß durch die Religion jedes menschliche Wesen veredelt werden solle, und daß diese Veredlung gerade die Bestimmung des Menschen sei. Das Nichtgedenken an diese Wahrheit hat die traurigsten Folgen allenthalben und vorzüglich in der Erziehung. So dachte keines, daß es sich zu bessern, Fehler zu überwinden, die Kinder vor bösen Neigungen zu bewahren halte. Dabei waren meine Leute aber doch nicht schlechte Leute, was man so nennt; sie galten für brave, von denen man nichts appartiges wisse, als daß sie kum thun müßten. Sie hatten so die allgemeine Rechtlichkeit, die vor Allem sich wahret, was auskommen könnte. Wenn wir etwas fanden, das Nachbarsleuten gehörte, so mußten wir es alsobald zurückgeben. »Was däychst o? we si's chennti, was siege sie o?« Gehörte das Gefundene aber einem Unbekannten, so gab man sich keine Mühe, ihn aufzufinden, ja er müßte guten Beweistum gehabt haben, wenn man es ihm zurückgegeben hätte. Sie betrogen auch keinen Nachbar und überhaupt niemand ihresgleichen; aber wenn meine Mutter des Pfarrers oder Doktors Weibern einige schlechte Eier unter den guten anhängen konnte, so lachte ihr das Herz im Leibe; und wenn sie ihnen Gspünst verkaufte, so tat sie kurze Ryste unter die lange, Kuder in den Flachs. Dann lachten beide, die Mutter und der Vater und meinten: »Das macht sellige Lüte nüt, si merke's nit u si hei Geld gnue u mir hey's nötig, u was nützte dBörtel, we me se nit bruchti?« Wenn dann einmal eine der Frauen Unrat merkte, sich beklagte und drohte, nichts mehr von uns nehmen zu wollen, so begehrte meine Mutter nicht übel auf und räsonnierte über die geizige Herrehüng, die einem nichts gönneten, die einem nichts für eine Sache geben und doch von allem das Beste haben wollten.

Wie es Vater und Mutter mit den Kindern hatten.

Inhaltsverzeichnis

Drittes Kapitel.

Das Ehepaar, das ich bis dahin schilderte, besaß acht Kinder, von denen ich das dritte war. Man nehme mir es doch nicht übel, daß ich so offenherzig von meinen Eltern rede. Ich thue es wahrhaftig nicht um sie herabzuwürdigen. Weil ich weiß, daß unzählige Ehepaare dem elterlichen gleich sind, so, hoffe ich, könnte vielleicht eine solche Schilderung sie zur Erkenntnis ihrer selbsten bringen, und so ihnen und manchem Kinde Heil geschehen. Ich hoffe, daß, je ehrlicher und aufrichtiger ich mich dargebe, desto größeres Erbarmen werde das Publikum mit mir haben und desto eifriger mein Büchlein lesen. Wir Kinder wurden von den Eltern eigentlich als eine Last betrachtet, die man dadurch zu verringern suchen müsse, daß man alle Kräfte des Kindes in Anspruch nehme. Wir hörten sehr oft, die und die seien doch glückliche Menschen und könnten es so gut haben, weil sie keine Kinder hatten oder nur eins. Doch hatte alle Selbstsucht und die angesetzte Säure in den Gemütern die von Gott so gütig in die Herzen der meisten Erzeuger gepflanzte natürliche Liebe zu ihrer Nachkommenschaft nicht wegätzen können; sie liebten auch, aber auf eigene Weise, und keines, was das andere. Der Vater hielt viel darauf, daß er ein Heimet hatte, und wenn er doch Kinder haben mußte, so wollte er einen Buben, um dasselbe auf ihn vererben zu können. Unglücklicherweise gebar aber die Mutter zuerst zwei Mädchen nacheinander; die konnte nun mein Vater nicht leiden. Alles an ihnen war ihm zuwider, und über jeden Kreuzer, der um ihrentwillen ausgegeben werden mußte, ärgerte er sich. Natürlich nahm sich die Mutter ihrer an, verteidigte sie vor dem Vater. Schalt er, so liebkoste sie die Kinder und belferte gegen den Ehemann. Hatten die Mädchen etwas gethan, das den Vater ärgern mußte, so half sie es ihnen vertuschen, den Vater belügen. Für ihre Kleidung wußte sie immer heimlich einige Batzen auf die Seite zu bringen, entweder aus dem Ankengeld (denn von der einzigen Kuh wurde neben der großen Haushaltung, noch Anken verkauft) oder aus einigen versteckten Klöblene Ryste oder Flachs, oder aus gemausten dürren Schnitzen. Ein Weib, das Geld machen will, findet auf dem Lande hundert Mittel dazu; kein Mann ist schlau genug, es zu verhindern; und doch sind hunderte von Männern, die ihre Weiber durch übertriebene Kargheit zu solchen Kniffen zwingen, und dummerweise sich einbilden, sie könnten nicht beluxt werden. Je älter die Mädchen wurden, desto mehr bedurften sie, desto mehr mußte der Vater betrogen werden, und dabei war das das größte Unglück, daß die Mädchen mit betrügen, mit stehlen halfen. Sie gewöhnten sich, ihre Wünsche nicht zu unterdrücken, sondern die Mittel zu ihrer Befriedigung auf unrechtem Wege zu erlangen. So stahlen sie später nicht bloß dem Vater, sondern auch ihren Meisterleuten. Sie kamen in Schande und wir in gar großen Verdruß. Es ist merkwürdig, daß gar viele Leute glauben, den Eltern stehlen sei keine Sünde. Und doch ist sicher die Sünde weit größer, wenn ich jemandem stehle, dem ich Dankbarkeit schuldig bin und der mir zu essen gibt, mich kleidet, als einem Fremden, der weiter mich nichts angeht. Aber eben so merkwürdig ist es, daß dem Vater selten auffiel, daß die Kleidungen, die sie trugen, nicht aus dem von ihm bewilligten Gelde angeschafft sein konnten, daß er wenigstens selten darnach fragte, zufrieden im Glauben, es sei nicht aus seiner Sache gekauft und unbekümmert darum, woher es genommen sein könnte. Und wenn er zur Seltenheit einmal fragte, woher dies oder jenes? so hieß es schnell: der Götti oder die Gotte hätten es gegeben, und dieses wurde ohne irgend eine Nachfrage gläubig angenommen.

Als ich ihm endlich geboren wurde, hatte er gar große Freude, daß ihm nun sein Kronprinz für sein Kühliheimet und seine 3000 Pf. Schulden geboren sei, und auf diesen Thronfolger baute er fortan alle seine Pläne und Hoffnungen. Er sei nüt, sagte er oft, aber der da müsse etwas ganz anderes werden; der müsse alles lernen, was auf der Welt einer nur lernen könne. Und würde es 100 Kronen kosten, es sollte ihn nicht reuen. Er wisse auch Leute, die nicht einmal Weber gewesen, die jetzt Geld hätten wie Heu und Häuser wie Paläste; die auf allen Märiten Hans oben im Dorfe seien und so ein Weberlein gar nicht ansehen, wie tief er auch die Kappe lüpfe. So ein Händler müsse ich auch werden; hätten es die gekonnt, so wüßte er nicht, warum ich es nicht auch könnte. Und dann müsse ich eine reiche Frau nehmen, sie hätten auch alle reiche Weiber; ein schönes Haus bauen, sie hätten auch alle schöne Häuser; ein Schärbank kaufen, sie hätten auch solche. In diesem wollten wir dann zusammen z'Märit ryten, und allemal ans Ordinäri gehen und nach dem Essen um das Kaffee ramse. Dem Kaffee frage er zwar nichts nach, ein Glas Branntenwein sei ihm lieber. Aber wenn man vornehm sei, so müsse man auch vornehm thun; sonst werde man verachtet. Dann ergötzte er sich an dem Gedanken, wie er diesem und jenem es eintreiben wolle, daß er ihn schnöde angesehen und wie er dann auch den Hut aufhaben und andere die Kappe wolle lüpfen lassen. Hatte er so recht sich ergangen in allen Hoffnungen, die er auf mich baute, so betrachtete er mich ordentlich mit Respekt und behandelte mich darnach. Er wollte nicht, daß ich schrie, und nie glauben, daß ich schreie aus unbekannten Ursachen wie andere Kinder, sondern nur wenn man mich mit Fleiß zu schreien mache. Hörte er mich in seinem Webkeller, so kam er hervor und prügelte die Schwester, die mich gaumen sollte, oder begehrte mit der Frau auf, warum sie mir nicht zu saugen gebe; ihm z'Trotz lasse sie mich verschmachten. Es war keine Rede davon, daß man mir etwas abschlagen durfte. Geschah es einmal in seiner Gegenwart und verzog ich nur eine Miene, so brüllte er: »Wotsch ihm's gäh oder lah, oder soll ih cho?«

Er ging auf keinen Märit, daß er mir nicht etwas kramte, einen Lebkuchen, einen Weggen oder ein Pfeiffenbäggeli, keinem andern Kind aber je um einen Kreuzer. Und wehe dem, das meine Sache auch nur mit einem Finger anrührte! Ich war kaum zwei Jahre alt, so nahm er mich allemal mit, wenn er des Sonntags zur Seltenheit einmal ins Wirtshaus ging, gab mir zu essen, was ich wollte, schüttete mir Wein ein, mehr als ich mochte, und rühmte dann: der möge ihn afe erlyde, aber der müsse ihn lernen trinken, der müsse einmal Wein genug haben. Meine Mutter nahm er dagegen nie mit, so oft sie stichlen mochte: e Tropf Wy thät ere nöter als dem Schnuderbueb da.

Man kann sich denken, wie lieb ich auf solche Weise der Mutter und den Schwestern wurde. Sie hatten meinetwegen alle Tage Verdruß, konnten mich nie genug halten und mußten zusehen, was ich alles erhielt, ohne teil daran nehmen zu können.