Lektüreschlüssel zu Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott - Ödön von Horváth - E-Book

Lektüreschlüssel zu Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott E-Book

Ödön von Horváth

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Beschreibung

Der Lektüreschlüssel erschließt Ödön von Horváths "Jugend ohne Gott". Um eine Interpretation als Zentrum gruppieren sich 10 wichtige Verständniszugänge: * Erstinformation zum Werk * Inhaltsangabe * Personen (Konstellationen) * Werk-Aufbau (Strukturskizze) * Wortkommentar * Interpretation * Autor und Zeit * Rezeption * "Checkliste" zur Verständniskontrolle * Lektüretipps mit Filmempfehlungen * Raum für Notizen Wer hat den Schüler N ermordet? Ein Klassenkamerad, der ominöse Fremde oder Eva, die Bandenführerin? Vordergründig eine Kriminalgeschichte, ist Horváths Roman aus dem Jahr 1938 vor allem Ausdruck der Verzweiflung über eine Jugend, die die Ideen des Nationalsozialismus verinnerlicht hat. Und er stellt Fragen: wie sich der einzelne in einer solchen Welt zu verhalten hat und wo in ihr noch Gott zu finden ist.

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Seitenzahl: 99

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LEKTÜRESCHLÜSSEL FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Ödön von Horváth

Jugend ohne Gott

Von Georg Patzer

Reclam

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgaben: – Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Stuttgart: Reclam, 2009 [u. ö.]. (Universal-Bibliothek. 18612.) – Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. Stuttgart: Reclam, 2013. (Reclam XL. Text und Kontext. 19039.) 2006, 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenGesamtherstellung: Philipp Reclam jun. GmbH, Siemensstraße 32, 71254 DitzingenMade in Germany 2018RECLAM ist eine eingetragene Markeder Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-960203-5ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015369-7 www.reclam.de

Inhalt

 1. Erstinformation zum Werk

 2. Inhalt

 3. Personen

 4. Die Struktur des Werks

 5. Wort- und Sacherläuterungen

 6. Interpretation

 7. Autor und Zeit

 8. Checkliste

 9. Lektüretipps / Filmempfehlungen

1. Erstinformation zum Werk

Der Österreicher Ödön von Horváth ist einer der meistgespielten deutschsprachigen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Seine Volksstücke, die er ab 1929 schrieb, vor allem Geschichten aus dem Wienerwald, Kasimir und Karoline und Glaube Liebe Hoffnung, aber auch seine späteren Schauspiele Figaro lässt sich scheiden und Don Juan kommt aus dem Krieg stehen seit über vierzig Jahren auf allen Spielplänen. Horváth wurde am 9. Dezember 1901 in Susak/Fiume (heute: Rijeka, Kroatien) geboren. Sein Vater war ein österreichisch-ungarischer Diplomat, seine Mutter ungarisch-deutscher Herkunft, sie stammte aus einer Militärarztfamilie. Von Susak zog die Familie nach Belgrad, später nach Budapest und München, dann nach Pressburg und wieder zurück nach Budapest, wo Horváth 1918 das Ende des Ersten Weltkrieges erlebte. Nach dem Krieg ging er nach Wien, wo er das Abitur machte. In München studierte er Theaterwissenschaft, und seine ersten Theaterstücke entstanden. 1924 siedelte er nach Berlin über, wohnte aber auch immer wieder bei den Eltern, die sich im bayerischen Murnau niedergelassen hatten.

1929 begann er seine Volksstücke zu schreiben, in denen er vor allem die Kleinbürger kritisierte, die sich in jener Zeit aus Angst vor der sozialen Deklassierung dem Faschismus näherten. Bigott, mit einer verlogenen Doppelmoral, einem starken Hang zu gefühlsmäßigem Kitsch und einer falschen Rührseligkeit, wie er sie darstellt, werden sie später die Basis des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich bilden.

Satirisch setzte sich Horváth mit der deutschen Geschichte und der damaligen deutsch-österreichischen Gegenwart auseinander, mit der brutalen Arbeitswelt, der Arbeitslosigkeit und der Politik von rechts und links und ihren Repräsentanten. Immer wieder beschäftigt sich Horváth mit den Beziehungen der Menschen untereinander, mit der Liebe, die sehr häufig ökonomischen und sozialen Zwängen ausgesetzt ist und sich nicht wirklich einfach nur nach dem Gefühl entscheiden kann. Wichtiges Anliegen ist ihm die Auseinandersetzung zwischen dem Individuum, das den Sinn des Lebens sucht oder sein eigenes privates Leben in Ruhe führen will, und der Gesellschaft, die ihre Ansprüche geltend macht.

1931 wurde Horváth der renommierte Kleist-Preis verliehen. 1933 musste er aus Deutschland fliehen, dort wurden seine Stücke in der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr gespielt. 1938 emigrierte er über Budapest und Prag nach Paris. Dort kam er bei einem Unfall ums Leben: Am 1. Juni 1938 wurde er von einem herunterfallenden Ast erschlagen. Erst in den sechziger Jahren wurde sein Werk wieder für die Bühne entdeckt. 1961 erschien eine erste Auswahl von sechs Stücken als Buch. Junge Autoren wie Peter Handke, Martin Sperr, Rainer Werner Fassbinder und Franz Xaver Kroetz sahen in ihm ihren Vorläufer.

Der Stoff

In Jugend ohne Gott verarbeitet Ödön von Horváth vor allem eigene Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Er musste 1933 aus Deutschland fliehen und beobachtete die Veränderungen in der deutschen Gesellschaft von Österreich aus, bis er auch Österreich verlassen musste. Vor allem die Jugend wurde von der NSDAP von früh auf indoktriniert und in ihrem Sinne erzogen. Die Jugendlichen mussten lernen, in Gruppen zu leben, mussten sich in der HJ organisieren lassen, mit Waffen umgehen und ihre Umwelt bespitzeln und denunzieren. Die Wehrübungen, die im Lager des Romans gemacht werden, sind sehr realistisch dargestellt, es gab sie in Deutschland regelmäßig.

Adolf Hitler selbst hat über die Jugenderziehung gesagt: »Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. [...] Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. [...] Stark und schön will ich meine Jugend. Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. Ich will eine athletische Jugend. Das ist das Erste und Wichtigste. So merze ich die Tausende von Jahren der menschlichen Domestikation aus. So habe ich das reine, edle Material der Natur vor mir. So kann ich das Neue schaffen.«1 Von Anfang an war die nationalsozialistische Pädagogik darauf ausgerichtet, die Jugend zum Krieg zu erziehen. Dem mussten sich auch die Lehrer unterordnen, die genaue Instruktionen bekamen, was sie zu unterrichten hatten, bis hin zur Rassenkunde. Missliebige Lehrer, Kommunisten und Juden wurden aus dem Schuldienst entlassen, manchmal auch inhaftiert.

Selbst die Kirche hat sich dem Regime angepasst. Am 20. Juli 1933 wurde zwischen Papst Pius XI. und Hitler-Deutschland der erste internationale Vertrag geschlossen, Bischöfe wurden auf das neue Deutschland eingeschworen, im Gegenzug den Katholiken die Freiheit ihres Glaubens gestattet. In der Praxis aber wurden auch die Katholiken behindert und unterdrückt, manche Priester gingen in den Widerstand, andere unterwarfen sich, viele resignierten. Auch diese zwiespältige Rolle der Kirche wird im Roman thematisiert.

Schon 1934 hatte Horváth einen Roman begonnen, den er nicht abschloss: Der Lenz ist da! Frühlingserwachen in unserer Zeit. Mehrere Aspekte aus diesem Fragment übernahm er in Jugend ohne Gott: die Jugendbande, die Schulklasse aus der Stadt, die in einer armen, bäuerlichen Umgebung in einem Lager lebt, die Mädchenklasse. Auch hier spricht Horváth von einem autoritären Staat.

In nur zwei Wochen schrieb Horváth den Roman 1937 nieder, am 13. Juli 1937 schloss er einen Vertrag mit dem Verlag Allert de Lange in Amsterdam, der den Roman noch im selben Jahr publizierte. Am 28. November erschien eine erste Rezension in der Baseler Nationalzeitung, im März 1938 wurde der Roman in Deutschland verboten.

1 Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler, Zürich / New York 1940, S. 237.

2. Inhalt

Zusammenfassung

Jugend ohne Gott erzählt die Geschichte eines jungen Lehrers in einem diktatorischen Staat. Der Lehrer, der im Roman keinen Namen hat, glaubt zwar nicht mehr an Gott, aber noch an humanistische Werte und moralische Ideale. Die offiziellen Meinungen, die im Radio, in der Zeitung und auch von seinen Schülern verkündet werden, widern ihn an. Er merkt auch, dass er die Schüler nicht mehr erreicht. Als er meint, dass auch die Neger Menschen seien, wird er von einem Schüler denunziert und muss zum Direktor, der ihn ermahnt. Ab jetzt wird er systematisch von seinen Schülern bespitzelt, sie wollen einen anderen Lehrer haben.

Zunächst ist der Lehrer geneigt, sich unterzuordnen, sein Widerstreben kämpft mit der Angst um seine Stelle. Aber dann passieren mehrere Dinge, die ihn umschwenken lassen. Er trifft einen ehemaligen Kollegen mit dem Spitznamen Julius Caesar, einen kritischen Mann, der sich jetzt als Hausierer durchschlägt. In den Osterferien muss der Lehrer mit den Schülern in ein Zeltlager, wo sie eine vormilitärische Ausbildung bekommen. Er beobachtet eine Bande von Jugendlichen, die eine alte Frau berauben; er muss in einen Streit zwischen Z und N eingreifen, weil Z immer Tagebuch schreibt, für N Anlass zu Sticheleien; schließlich liest er heimlich das Tagebuch. Darin steht auch, dass sich der Junge heimlich mit einem Mädchen trifft.

Ein paar Tage später wird N tot im Wald gefunden. Z gesteht, dass er ihn erschlagen hat. Während des Prozesses sagt der Lehrer, der vorher immer geschwiegen hat, die Wahrheit: dass er das Kästchen mit dem Tagebuch aufgebrochen hat. Natürlich wird er vom Dienst suspendiert. Es kommt auch heraus, dass Z die Tat nicht begangen hat; alle glauben, er wollte das Mädchen decken. Das Mädchen wird verurteilt, obwohl es die Tat leugnet und noch von einem anderen Jungen spricht, der da gewesen wäre und N erschlagen hätte. Der Lehrer redet mit T, den er in Verdacht hat, der aber leugnet. Ein anderer Schüler glaubt dem Lehrer, heimlich hat er sich mit anderen getroffen, die alle gegen das Regime sind und dem Lehrer jetzt helfen wollen. Auch Julius Caesar will helfen. Mit einem Trick wollen sie T in eine Falle locken.

Schließlich bringt sich T um. Bei der Untersuchung des Selbstmords kommt heraus, dass er tatsächlich der Mörder ist. Am Schluss bekommt der Lehrer eine Stelle in Afrika und kann das Land verlassen.

Die Neger

Es ist der 25. März. Der Ich-Erzähler, ein 34-jähriger Lehrer, hat Geburtstag. Auf seinem Tisch steht ein Strauß Blumen, seine Mutter und sein Vater haben ihm jeweils einen fast gleichlautenden Brief geschrieben. Er muss Arbeiten korrigieren. Er ist nicht zufrieden, beschmiert sich ungeschickt die Finger mit roter Tinte; aber er redet sich gut zu, immerhin hat er eine feste Anstellung als Lehrer am Städtischen Gymnasium, später wird er sogar eine Pension erhalten. Er ärgert sich etwas darüber, dass es draußen so schön ist und er 26 Hefte korrigieren muss. Das von der Behörde vorgeschriebene Thema lautete: »Warum müssen wir Kolonien haben?« Der Ich-Erzähler beginnt, alphabetisch sortiert, mit dem Aufsatz eines Schülers, der die offizielle Version aufgeschrieben hat: »Wir brauchen die Kolonien [...], weil wir zahlreiche Rohstoffe benötigen« (8) und ohne die Rohstoffe »der heimische Arbeitsmann wieder arbeitslos werden würde« (8). Der Lehrer korrigiert rasch, denn er will noch ins Kino, Kritik will er eigentlich nicht an den Meinungen der Schüler üben, denn: »Wenns auch weh tut, was vermag der Einzelne gegen Alle« (9). Aber als er bei seinem Schüler N liest: »Alle Neger sind hinterlistig, feig und faul« (9), streicht er den Satz durch und will schon daneben schreiben, das sei eine sinnlose Verallgemeinerung. Dann aber fällt ihm ein, dass er diesen Satz im Radio gehört hat. Also lässt er ihn doch stehen. Er bemerkt, dass das Heft von W fehlt, dann fällt ihm ein, dass dieser krank war, weil er am Sonntag im Stadion gewesen ist, obwohl es in Strömen geregnet hat. Auch er ist im Stadion gewesen, mit dreißigtausend anderen Zuschauern, obwohl das Spiel nicht besonders gut gewesen ist. Aber bei so einem Spiel »existiert für den Zuschauer nichts auf der Welt, ausser dem Fussball« (10). Alles andere ist dann vergessen – auch die Neger.

Es regnet

Am nächsten Morgen geht der Lehrer in die Schule und sieht, dass fünf Jungen einen Mitschüler verprügeln. Er schreit sie wütend an, dass sie doch wenigstens fair kämpfen sollten. Dann fragt er, was der Schüler ihnen denn getan habe. Er erfährt: gar nichts. Die fünf haben ihm erst seine Semmel weggenommen, aber nicht, weil sie selbst keine hatten, nur aus Bosheit und sie dann aus dem Fenster geworfen. Er fragt sie, ob sie sich nicht schämen. Aber sie schämen sich nicht, sie verstehen auch den Lehrer nicht: »Ich rede eine andere Sprache« (12). Als er ins Lehrerzimmer geht, sind die Schüler still: »Sie wundern sich« (12).

Die reichen Plebejer

In der Geographiestunde muss der Lehrer die korrigierten Aufsätze zurückgeben. Inhaltlich will er nichts gegen sie einwenden, er spricht also nur »über Sprachgefühl, Orthographie und Formalitäten« (12), dass man nicht über den Rand schreibt und dass die Absätze größer sein müssen. Dem N aber sagt er doch, dass die Neger auch ein Recht auf Leben haben: »Auch die Neger sind doch Menschen« (12). Er sieht, wie ein unangenehmer Zug über Ns Gesicht gleitet.

Am nächsten Tag kommt Ns Vater in die Sprechstunde des Lehrers und sagt, sein Sohn habe ihm erzählt, dass der Lehrer »eine schier unerhörte Bemerkung fallen gelassen« (14) hätte: auch die Neger seien Menschen. Herr N fragt, ob das stimmt, und ist empört: »Das ist Sabotage am Vaterland!« (14). Er wirft dem Lehrer Humanitätsduselei vor und droht ihm.