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Ziel dieser qualitativen Langzeitstudie ist es, Französischlehrkräften ei-ne Stimme zu geben und sie bei ihrer Aufgabe zu unterstützen, Lernerauto-nomie, und damit effizientes Lernen, zu fördern. Hierzu wurden ihre Subjektiven Theorien zum Großkonzept der Lerner-autonomie untersucht. Dabei dienten die Gegenstandsanalysen zur Lehrper-son und zur Lernerautonomie als Verständnishintergrund und Folie. Ange-sichts der Desiderata in Aus- und Fortbildung und der Tatsache, dass viele Lehrkräfte weder durch ihre Lern- noch durch ihre Lehrbiografie Lernerau-tonomie systematisch erfahren bzw. erforscht haben, zeigt sich die Relevanz der Studie und ihrer Forschungsfragen. Dadurch dass bei allen Interviewten dieselben Fragenbereiche impuls-gebend angesprochen wurden, konnten die komplexen Einzelfalldarstellun-gen zusammengeführt werden. Die Subjektiven Theorien der Interviewten erweitern einerseits das Konzept der Lernerautonomie um den Aspekt der Lehrkraft, die zur Lernerautonomie hinführt, und lassen andererseits für die Lehrerfortbildung Schwerpunkte zur Zusammenführung der wissenschaftlichen Daten und der Unterrichtspraxis erkennen.
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Christa Weck
Lernerautonomie aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern des Französischen
Ein Beitrag zur professionsbezogenen Subjektive-Theorien-Forschung
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-8233-8391-8 (Print)
ISBN 978-3-8233-0222-3 (ePub)
Für Katharina und Peter
Diese Studie wurde als Dissertationsschrift der Philosophie des Fachbereiches 05 der Justus-Liebig-Universität Gießen vorgelegt.
Mein großer Dank gilt meinem Doktorvater Professor em. Dr. Franz-Joseph Meißner, der mich und meine Arbeit immer mit weisem Rat, unendlicher Geduld und viel Humor begleitet hat.
Sehr herzlich danke ich auch Professor Dr. Hélène Martinez für ihre so wertvolle Unterstützung und ihre Fürsorge.
Auf Sabine Kauß-Oswald konnte ich zuversichtlich bauen, sie hatte immer eine praktikable Lösung prompt und herzlich zur Hand.
Die Studie wäre ohne die Kooperationsbereitschaft und das mir entgegengebrachte Vertrauen der interviewten Lehrerinnen und Lehrer des Französischen nicht möglich gewesen. Sie haben für die Studie Stunden ihrer Freizeit geopfert. Dafür gilt ihnen ein ganz besonderer Dank.
Ute Haßfeld hat mich dankenswerterweise beim Korrekturlesen sehr sorgfältig und professionell unterstützt.
Von Herzen danken möchte ich meinem Mann Peter und meiner Tochter Katharina für ihre große Geduld. Nur mit ihrem Rückhalt konnte ich diese Schrift verwirklichen.
Im Gedenken an meine lieben Eltern, durch die ich mich in Borr früh zu einer selbstständigen und selbstbestimmten Lernerin entwickeln konnte.
Hemmingen, im Dezember 2019
Christa Weck
„Der selbstständig denkende und selbstständig handelnde Mensch ist eines der ältesten Bildungsideale der Pädagogik; und die Erziehung zur Selbstständigkeit haben alle bedeutenden Pädagogen der Neuzeit zum Kernstück ihrer Bildungspolitik erklärt. In den heutigen modernen Demokratien Europas ist diese Erziehung unabdingbar geworden. Demokratien können nur funktionieren mit autonomen Staatsbürgern und müssen deshalb darauf bedacht sein, ihren heranwachsenden Mitgliedern von klein auf die Fähigkeit des selbstständigen Denkens und Handelns zu vermitteln.“ (Doyé 2010: 131)
Doyé kommentiert im obigen Zitat die Erfordernisse einer kognitiven, lebenslang lernenden, sich ständig verändernden, mehrsprachigen demokratischen Gesellschaft (Weißbuch 1998), wie sie u. a. bereits bei Wilhelm von Humboldt (1794) oder mit Bezug zur Demokratie bei John Dewey (1916) formuliert wurden.
Das Konzept der Lernerautonomie greift den Gedanken der Erziehung zur Selbstständigkeit auf und steht in den Fremdsprachen für selbstständiges und selbstbestimmtes Lernen fremder Sprachen. Lernerautonomie ist ein fachdidaktisches Großkonzept, das im Kern „gutes Lernen“ meint. Tausende von Lehrerinnen und Lehrern des Französischen interpretieren dieses Konzept und entwickeln eigene Subjektive Theorien dazu, die sich handlungsleitend auf ihre tägliche Unterrichtspraxis auswirken.
Die vorliegende Studie verleiht der Praxis Gehör und gibt ihr eine Stimme. Sie geht den essenziellen Fragen nach, wie Lehrerstimmen zur Lernerautonomie, und damit zum guten Lernen, aussehen und ob es angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Lernerautonomie Möglichkeiten der Unterstützung und Optimierung in der Unterrichtspraxis gibt. Die Datenerhebung zu den Subjektiven Theorien erfolgte u. a. aufgrund einer Weiterentwicklung der Struktur-Lege-Technik, einer mehrfachen Triangulierung und, im Sinne einer Langzeitstudie, über mehrere Jahre hinweg.
Erste pädagogische Ansätze zur Lernerautonomie (im Folgenden LA) finden sich in der Reformpädagogik der 1920er und 30er Jahre. In der Fachdidaktik wurde das Konzept der LA, zunächst in der Erwachsenenbildung, aber erst seit den 1960er und 70er Jahren systematisch erforscht. In Deutschland fand die Auseinandersetzung mit der LA seit den 1980er und 90er Jahren statt, und zwar vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Lernpsychologie (Ausubel 1960 u. a.).
In der Unterrichtspraxis entwickelte sich die LA zunächst vor allem in den kleineren europäischen Ländern im Rahmen des Konzepts der „autonomen Klassen“ (Dam 1994), und zwar ausgehend von Initiativen des Europarates in den 1970er Jahren und unabhängig von speziellen Bezugswissenschaften (vgl. Trim 1977; Holec 1981a, b). Célestin Freinet verfolgte ebenfalls in den 1990er Jahren in Frankreich ähnliche Ansätze mit dem Ziel, die Schülerinnen und Schüler zu Initiatoren und Organisatoren der eigenen Lernprozesse zu erziehen. Im heutigen Diskurs gilt LA als eines der umfassendsten grundlegenden pädagogischen Konzepte.
Die Erhebungen zur Unterrichtspraxis sind bislang vor allem quantitativ: z.B. TOSCA (Wege zur Hochschulreife in Baden-Württemberg; siehe Köller et al., Hrsg. 2004), DESI (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International; siehe Klieme 2006) oder auch MES (Mehrsprachigkeit fördern; siehe Meißner et al. 2008). Insbesondere bei der Evaluierung hochkomplexer Prozesse, wie sie im Unterrichtsgeschehen vorliegen, gelten Daten, die aufgrund von qualitativen Verfahren gewonnen werden, als zusätzlich unerlässlich. Vergleiche hierzu z.B. die empirische Bildungsforschung des IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen), soweit diese von den Ministerien ermöglicht wurde, oder auch die Dissertation von Tesch zu kompetenzorientierten Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht (2010). Diese qualitativen Studien sind allerdings nur erste Ansätze.
Im Fokus der Bildungspolitik steht seit mindestens zwei Jahrzehnten der Begriff der Kompetenzen. Verstärkt wurde dies durch international vergleichende Schulleistungsstudien wie TIMSS (Trends in International Mathematics and Science Study), PISA (Programme for International Student Assessment) oder DESI (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International; 1995, 2000, 2003/2004), durch die sich der bildungspolitische Blick auf Qualitätsstandards, Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung richtet. Besehen und gemessen wurden der „Output“ bzw. die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler als Ausdruck ihrer Fähigkeit (Kompetenz), das jeweilige Wissen anzuwenden.
So etwa kommt der IQB-Bildungstrend 2015 für das Fach Französisch zu dem Ergebnis, dass bei den baden-württembergischen Schülerinnen und Schülern am Gymnasium am Ende der 9. Jahrgangsstufe insgesamt ein Leistungsabfall im Vergleich zum Jahr 2008 in den Kompetenzen Leseverstehen und Hörverstehen zu verzeichnen ist (Stanat et al., Hrsg. 2016: 194, allerdings mit dem Hinweis auf eine nur kleine Stichprobengröße im Fach Französisch).
Der Begriff der Kompetenz (nach Weinert 2001) verbindet, wie der GeR (Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lehren, lernen, beurteilen; Europarat 2001), Wissen aufs Engste mit Einstellungen und Tun und betont die Verantwortung und Selbstständigkeit des Einzelnen. Er zielt zentral auf
„Fähigkeiten, die einen Prozess des Selbstlernens eröffnen, weil man auf Fähigkeiten zielt, die nicht allein aufgaben- und prozessgebunden erworben werden, sondern ablösbar von der Ursprungssituation, zukunftsfähig und problemoffen“ (Klieme et al. 2003: 65) sind.
Der RePA (Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen) betont die einschlägigen Ausführungen Le Boterfs (2004, 2014). Kompetenzen meinen demnach Handlungsfähigkeit in bestimmten Domänen, hervorgerufen durch die Mobilisierung von entsprechenden Ressourcen:
„Als kompetent gilt eine Person, wenn es ihr gelingt, die für eine Problemlösung jeweils notwendigen Ressourcen (Wissen, Einstellungen, Fertigkeiten) zu identifizieren, zu mobilisieren und miteinander zu kombinieren.“ (auch Martinez 2015a: 10)
Die Förderung zum autonomen und mündigen Lerner bedeutet damit den Aufbau von Kompetenzen, die ihn zu einem aktiven, selbstverantwortlichen und lebenslangen Lernen in unserer demokratischen, globalisierten und digitalen Wissensgesellschaft befähigen. Zu diesen Kompetenzen gehört ganz wesentlich eine Medienkompetenz, wie sie z.B. in der Gemeinsamen Erklärung von Bund und Ländern zur Unterstützung der Medienkompetenz von Heranwachsenden mit dem Ziel der Teilhabe und Mündigkeit in der digitalen Welt formuliert ist (Bundesministerium für Bildung und Forschung & KMK 2017: DigitalPakt Schule; siehe auch die Strategie der KMK zur „Bildung in der digitalen Welt“ 2016 und 2017).
Für die LA beim Fremd- und Mehrsprachenlernen ist der Aufbau der funktional-kommunikativen Kompetenzen grundlegend. Im Rahmen des Bildungsziels einer abgestuften und diversifizierten Mehrsprachigkeit (siehe unten) ist zu betonen, dass die rezeptiven Fähigkeiten – vor allem die mehrsprachige Lesekompetenz – mindestens ebenso relevant sind wie die produktiven Fähigkeiten Sprechen und Schreiben. Zur LA notiert Krumm:
„[…], die Lernenden zu befähigen, die Sprache selbstständig weiterzulernen, ‚autonom‘ zu werden […] und dabei allgemeine Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, wie sie in den unterschiedlichsten beruflichen Kontexten gefordert werden. Solche Schlüsselqualifikationen zielen auf andere Sprachen, Unterrichtsfächer und Lebensbereiche übertragbare Lerntechniken und Lernstrategien […], so wie diese in den Zieldimensionen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (soziale und strategische Kompetenz […]) festgehalten sind.“ (Krumm 42003b: 119)
Angesichts eines lebenslangen Aufbaus von Sprach- und Sprachlernerfahrungen spricht der Europarat (2001) von einer „komplexen oder sogar gemischten“, „mehrsprachigen und plurikulturellen Kompetenz“ (unterschiedliche Kompetenzen in mehreren Sprachen und Erfahrungen mit mehreren Kulturen), also von einer diversifizierten und abgestuften Mehrsprachigkeit, über die eine Benutzerin bzw. ein Benutzer sprachenübergreifend verfügt (ibid.: 163). Mit Beschluss vom 4.12.2003 macht auch die KMK zum Schuljahr 2004/2005 (für die 1. Fremdsprache und den Mittleren Schulabschluss in der 10. Jahrgangsstufe) die Ausrichtung des Unterrichts auf funktionale kommunikative, interkulturelle und methodische Kompetenzen verbindlich (KMK 2004a).
In der Praxis stellt die Kompetenzorientierung allerdings eine erhebliche Herausforderung für die Lehrerinnen und Lehrer dar, zumal sie auf die Entwicklung nicht ausreichend vorbereitet wurden. Erwähnenswert ist außerdem, dass das Studium angehende Gymnasiallehrer1 in Baden-Württemberg nur unzureichend auf didaktische Fragen vorbereitete (vgl. Reinfried 1997) und dass Innovationen im Allgemeinen oft eine Abwehrhaltung entgegengebracht wird. So führt Ellis beispielsweise zum Task-based language learning and teaching (2003: 321) aus:
„An innovation constitutes a 'threat' in the sense that it may challenge existing preconceptions about teaching and require teachers to adopt new routines to replace those with which they are familiar.“
Angesichts der Kritik zur Kompetenzorientierung erschien 2007 in Ergänzung zu den Deskriptoren des GeR und zu den Sprachenportfolios das Kompetenzmodell des CARAP (Cadre de référence pour les approches plurielles des langues et des cultures) bzw. des RePA. Es handelt sich um ein europäisches Projekt des Centre Européen pour les Langues Vivantes, pilotiert von Candelier (Candelier et al. 2007). Der RePA widmet sich der Lernfähigkeit und den sogenannten „weichen“ (weil nur schwer messbaren) Kompetenzen und beschreibt die Mobilisierung kommunikativer, interkultureller und sprachlernbezogener Kompetenzen. Er kann zur Konstruktion und Bewertung von Aufgaben zur Sprachlernkompetenz herangezogen werden (vgl. Meißner 2012a: 74-98, 2013).
Die 2012 veröffentlichten Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife in der fortgeführten Fremdsprache (Englisch/Französisch) (KMK 2012) reagieren auf die Diskussion und einen dort verkürzten Bildungsbegriff. Die Reaktion schließt auch die 2004 publizierten Bildungsstandards ein. Vergleiche hierzu z.B. auch Zydatiß (2005a, b) oder Tesch (2010). Die Bildungsstandards 2012 beschreiben in ihrem Kompetenzstrukturmodell – neben der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, der funktionalen kommunikativen Kompetenz und der Text- und Medienkompetenz – nun auch die Sprach(en)bewusstheit und die Sprachlernkompetenz (SLK) als eigenständige und transversale Kompetenzen, die zu den anderen drei zentralen Kompetenzen in Verbindung stehen.
„Der Begriff Sprachlernkompetenz […] bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Fremdsprachen zu lernen. Dies impliziert, den eigenen Fremdsprachenlernprozess (selbst) steuern und kontrollieren zu können. SLK umfasst neben der Entfaltung entsprechender (Lern-)Strategien Einsichten in attitudinale sowie motivationale Faktoren. SLK ist somit entscheidend nicht nur für die Ausbildung der individuellen Mehrsprachigkeit, sondern auch des lebenslangen Lernens und der Pflege von Fremdsprachenkenntnissen. […]
SLK trägt dazu bei, sprachliche Kompetenzen und die auf Seiten der Lernenden vorhandene Mehrsprachigkeit (Erstsprache, ggf. Zweitsprache, Fremdsprachen) selbstständig und reflektiert zu erweitern.“ (Martinez & Meißner 2017: 221, 224)
Die fachdidaktische Beschäftigung mit LA (siehe z.B. die grundlegenden Forschungen von Meißner seit den 1990er Jahren, insbesondere zur Mehrsprachigkeitsdidaktik, oder die umfassenden Arbeiten von Martinez 2008, Schmenk 2008 und Tassinari 2010) und die bildungspolitischen Zielsetzungen zu Qualitätsstandards, -entwicklung und -sicherung bzw. zur Kompetenzorientierung prägen die deutschsprachige Fachdiskussion um Fremdsprachenunterricht seit den 1990er Jahren. Sie finden ihren Niederschlag in den Lehrplänen der Länder.
Die Kulturhoheit der Bundesländer erklärt, weshalb die Lehrpläne nicht nur für das Fach Französisch trotz Bezug zum GeR bzw. zu den international gängigen Beschreibungen der sogenannten funktional-kommunikativen Kompetenzen, etwa DELF oder DALF, recht heterogen ausfallen. Tschirner (2001, 2005) wirft zudem angesichts amerikanischer Forschungsergebnisse zur ACTFL OPI Prüfung Fragen zu den Skalen des GeR auf. So geht er aufgrund dieser Studien von einer in den höheren Lernjahren verlangsamten Progression des mündlichen Kompetenzaufbaus aus und fordert u. a. eine speziell auf das Sprechen ausgerichtete Grammatikprogression.
Die Befähigung zum selbstständigen Lernen zählt mittlerweile zu den Schlüsselqualifikationen der neuen Fremdsprachenlehrpläne. Das Weißbuch der Europäischen Kommission 2001 spricht ausdrücklich die Fähigkeit des lebensbegleitenden Lernens an. Quetz (2003; u. a. m. R. [mit Referenz auf] Zimmermann 31995) kommentiert dies wie folgt:
„Zu einem Curriculum, das selbstgesteuertes Lernen fördern soll, gehören nicht nur die sprachlichen Exponenten, sondern auch Ziele wie Wissen über Sprache (Regeln, language awareness) und das Lernen des Lernens. Hierbei geht es nicht [allein, CW] um deklaratives Wissen, d.h. die Kenntnis von Kategorien und Begriffen, sondern eher um prozedurales Wissen, das sprachlichem Handeln zugrunde liegt, ferner um Verstehens-, Lern- und Problemlösestrategien und um die Selbstreflexion beim Bearbeiten von Aufgaben, also um metakognitives Wissen über die eigenen mentalen Prozesse und deren Bedingungen […]
Neuere Curricula greifen Lernziele wie Mündigkeit, Fähigkeit und Bereitschaft zu selbstverantwortlichem Lernen, aber auch Theorien des handlungsorientierten Lernens und des offenen Unterrichts auf. Von daher sind geschlossene, zentral vorgegebene Curricula eigentlich nicht mehr zeitgemäß, obgleich man wegen der zunehmenden Bedeutung von Zertifikaten nach wie vor nicht auf sie verzichten kann.“ (Quetz 2003: 125, 126)
So beschreibt der baden-württembergische Bildungsplan (2016) zu Französisch als zweiter Fremdsprache am Gymnasium in seinen Leitgedanken zum Kompetenzerwerb die prozessbezogenen Kompetenzen (Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz) und führt zur Sprachlernkompetenz aus:
„Die Schülerinnen und Schüler können das eigene Sprachenlernen weitgehend selbstständig analysieren und gestalten. Dabei greifen sie auf ihr mehrsprachiges Wissen (Erstsprache, gegebenenfalls Zweitsprache, Fremdsprachen) und auf individuelle Sprachlernerfahrungen zurück, zum Beispiel indem sie Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachen reflektieren und für ihr Sprachenlernen gewinnbringend einsetzen.
Zur Erweiterung ihrer sprachlichen Kompetenzen nutzen sie vielfältige – direkte, medial vermittelte, simulierte und authentische – Begegnungen mit der Fremdsprache, auch an außerschulischen Lernorten.
Sie verfügen über ein angemessenes Repertoire an sprachbezogenen Lernmethoden und Strategien, die sie ebenso wie digitale Hilfsmittel zielgerichtet und eigenständig anwenden. Die Schülerinnen und Schüler schätzen ihre Sprachlernprozesse und -ergebnisse eigenverantwortlich ein und ziehen daraus Konsequenzen für ihr sprachliches Handeln und die Gestaltung weiterer Lernschritte.“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Baden-Württemberg & Landesinstitut für Schulentwicklung 2016: Startseite)
Das selbstverantwortliche Lernen wird heute als Großbegriff allseits anerkannt. Schmenk spricht z.B. von „Karriere und Sloganisierung des Autonomiebegriffs“ (2008: 34). Um neue Konzepte in das riesige Praxisfeld zu bringen und zur Steuerung „großer Systeme“ braucht die Theorie zukunftsweisende „Bewegungsbegriffe“ (siehe Koselleck 2006). LA hat in diesem Sinne als Orientierungs- und Steuerungsbegriff ein sehr weites Referenzfeld, das fast alle Aspekte des Fremdsprachenunterrichts umfasst.
Lerntheoretisch beginnt die Entwicklung hin zur LA mit der Aufgabe der behavioristischen Theorien Skinners (1956) bzw. der Rezension der linguistischen Theorien Chomskys (1957). Wichtige Stationen waren z.B. die Einführung der Interlanguage (Selinker 1972) und die Erkenntnisse aus der Lernpsychologie. Die Kognitive Psychologie zeigt, dass LA ein lernpsychologisches und fächerübergreifendes Desiderat darstellt und Lernen einen konstruktiven, subjektiven und autonomen Prozess.
„Das Lernen wird als ein Prozess der Wissensintegration verstanden, d.h. die verarbeiteten Informationen werden – wenn sie behalten werden sollen – vom Lerner in das bereits vorhandene Wissen eingebunden und dieses so umstrukturiert, dass es optimal organisiert ist und jederzeit abgerufen werden kann. […]
Informationsverarbeitung ist ein Prozess der Konstruktion, an dem sowohl die eingehenden Umweltreize als auch das bereits gespeicherte Wissen beteiligt sind. Psychologisch bedeutet diese Erkenntnis, dass die Informationen aus der Umwelt nicht abbildhaft in den menschlichen Geist eingehen, sondern dass jedes kognitive System abhängig vom bereits verarbeiteten Wissen eine subjektive kognitive Repräsentation der aus der Umwelt aufgenommenen Informationen konstruiert. Dieser Prozess ist ein autonomer Prozess, den der Informationsverarbeiter eigenverantwortlich durchführt.“ (Wolff 42003: 323)
Auch die Erkenntnisse der Neurowissenschaft werden seit den 1990er Jahren vermehrt in die fachdidaktische Diskussion über Selbstorganisation bzw. selbst gesteuertes Lernen eingebracht (siehe z.B. Multhaup 1995 oder Bleyhl 2009). In der Neurowissenschaft wird das menschliche Lernen als ein selbstorganisierter Prozess verstanden, bei dem Nervenzellen, Neuronen, miteinander verknüpft werden. Das Lernen wird in der Neurowissenschaft als ein permanenter Prozess angesehen; das Gehirn kann gar nicht anders als durch das Leben ständig zu lernen, und es lernt autonom. Sambanis (2013) betrachtet das Thema „Lernen“ aus der Perspektive des Fremdsprachenunterrichts mit Berücksichtigung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse. „Neurowissenschaftliche Befunde in evidenzbasierte Handlungsimpulse für den Fremdsprachenunterricht“ zu übertragen, insbesondere mit Fokus auf den Sprachlernprozess, war auch das Ziel der Expertentagungen von 2015 und 2017 unter den Titeln „Focus on Evidence – Fremdsprachendidaktik trifft Neurowissenschaften“ (Böttger & Sambanis, Hrsg. 2016) und „Focus on Evidence II – Netzwerke zwischen Fremdsprachendidaktik und Neurowissenschaften“ (Böttger & Sambanis, Hrsg. 2018). Als Beispiele seien hier die Mehrsprachigkeit (z.B. Franceschini 2016), die Synchronisation im Klassenzimmer (z.B. Poeppel 2016), das stressreduzierte Lernen (SRL; Meier 2016), metakognitive Lernstrategien (Horváthová & Reid 2016), verkörperte Kognition (z.B. Kiefer 2018: die Verankerung von Denken und Sprache in Wahrnehmungs- und Handlungserfahrung), das Schreiben mit der Hand (z.B. Arndt 2018), die Interaktionen zwischen Sprache und Musik (Jentschke 2018) und ihre positiven Effekte auf das Fremdsprachenlernen genannt. Diese positiven Effekte beziehen sich nicht nur auf das Fremdsprachenlernen selbst, wie z.B. die Ausführungen von Franceschini (2016) zeigen, die darlegt, dass Mehrsprachigkeit weitere kognitive Fähigkeiten befördert und Demenzerscheinungen hinauszögert, also länger geistig gesund hält. Spitzer (2003) leitet aus der Hirnforschung eine Reihe von Prinzipien für das (schulische) Lernen ab, wie die Verstärkung des Lerneffekts durch Aufmerksamkeit, Emotionen, positive soziale Erfahrungen, eine interessante Lernumgebung, freiwilliges Üben und eine gute und geliebte Lehrkraft.
Grundlegend spielen bei der Betrachtung von LA also auch Fragen nach den Mechanismen des Lernens und, in Bezug auf das Fremdsprachenlernen, nach dem Aufbau von Sprachlernkompetenz eine Rolle. In der Fachdidaktik wird Lernen heute vor allem als ein aktiver Prozess der Informationsverarbeitung gesehen, konstruktivistische Ansätze sprechen von einem Prozess der Selbstorganisation (vgl. Raupach 42006). Meißner charakterisiert den Lernprozess insbesondere als „strategisch, reflexiv, autonom und komparativ“ (Meißner 2012a: 81). Ein kompetenter Lerner verhält sich demnach dem eigenen Lernen gegenüber verantwortungsbewusst; selbstgesteuertes Lernen ist „ein dynamisches Zusammenwirken von ‚skill and will‘ und eine komplexe Leistung der Selbstregulation des Ichs.“ (Baumert 1993: 328). Die sprachvergleichende Interkomprehensionsdidaktik kann hier einen wichtigen Beitrag zur Sprachbildung und Förderung von Sprachlernkompetenz leisten.
Dabei ist die Autonomie des Lerners immer auch zu relativieren, da sie Bedingungen und Einflüssen unterschiedlicher Art unterworfen ist.
„Setzt man als Bildungsziel die Mündigkeit und definiert diese unter anderem unter Rückgriff auf die Reflexionsfähigkeit dieser Verstricktheit des jeweils eigenen Selbst, relativiert man einerseits die personale Autonomie und verliert andererseits nicht aus den Augen, dass Menschen immer auch eingebunden sind in vorgegebene Konstellationen und Abhängigkeiten und sich auch zur eigenen Orientierung und Identifikation freiwillig einer ganzen Reihe von (Fremd-) Bestimmungen unterwerfen.“ (Schmenk 2008: 341)
Gleichzeitig wird den Lehrenden, insbesondere im Fremdsprachenunterricht, ein erheblicher Einfluss auf das Lernen der Schüler zugeschrieben (vgl. z.B. Kallenbach 1996; Caspari 2003). Und diesen sollten Lehrende laut Hattie (2011) fortwährend erkennen und evaluieren:
„[…] there is a powerful criterion of success for all of our teachers and school leaders – that is, that success is learning from evaluating our effect. […]
Know thy impact“ (Hattie 2011: 192; Hervorhebung im Original).
Eine Reihe von Studien belegt allerdings, wie schon gesagt, dass Praktiker den aus der empirischen Forschung generierten Einsichten nicht immer folgen bzw. neue Konzepte nicht ohne Weiteres umsetzen können. Sie sind fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Konzepten gegenüber eher kritisch eingestellt und bewerten ihr eigenes praktisches Erfahrungswissen höher als theoretisches Wissen. Vergleiche zum Theorie-Praxis-Problem beispielsweise die Befunde von Schocker-von Ditfurth (2001) und Ellis (2003, siehe oben, sowie z.B. Appel 2000 oder Caspari 2003, unten).
Dieses Theorie-Praxis-Problem verschärft sich noch angesichts eines großen Systems, dem tausende von Fremdsprachenlehrern mit ihrer jeweiligen Unterrichtspraxis angehören, und angesichts einer fehlenden systematischen Qualitätssicherung. Zur Frage der Umsetzung neuer Erkenntnisse und Konzepte durch Französischlehrkräfte gibt es bisher wenige empirische Daten. Einen Beitrag zur Qualitätssicherung liefert hier, wie oben erwähnt, Tesch (2010) mit seiner Fallstudie zu kompetenzorientierten Lernaufgaben und ihrer Umsetzung im Französischunterricht. Auch wurden bisher kaum Instrumente entwickelt – weder auf Seiten der Fremdsprachendidaktik noch durch die KMK –, um den Prozess der Umsetzung neuer fachdidaktischer Erkenntnisse und Konzepte qualitätssichernd zu steuern und zu begleiten. Das von den Ländern finanzierte IQB ist hier ein erster Anfang.
Das didaktische Großkonzept LA mit seiner Vielzahl an Aspekten trifft seit Jahren auf eine Französischlehrerschaft, die dieses Konzept grötenteils in ihrer Lernbiografie nicht erlebt hat und ihm in ihrer Aus- und -fortbildung zum Teil nur in Ansätzen begegnet ist. Das wirft die Frage nach LA in Theorie und Praxis auf:
Was passiert, wenn ein komplexes didaktisches Konzept wie LA auf eine große Lehrerschaft trifft, die das Konzept selbst nicht erfahren hat und überdies theoretischem Wissen eher mit Distanz begegnet? Welche Vorstellungen, Subjektive Theorien, haben diese Lehrkräfte von LA?
Die vorliegende Studie möchte vor diesem Hintergrund der konkreten Fragestellung nachgehen, welche Sicht Französischlehrer auf das Konzept der LA haben. Die Studie ist damit im Bereich der professionsbezogenen Subjektive-Theorien-Forschung zu verorten. Ihr Ziel und Zweck ist es, einen Beitrag zur Qualitätssicherung im großen System des Französischunterrichts zu leisten.
Hierzu wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Innerhalb der qualitativen Sprachlehr- und Sprachlernforschung gilt die Erforschung Subjektiver Theorien als geeignetes Konzept, Reflexionen über das Sprachenlernen und -lehren zu erforschen (siehe Scheele & Groeben 1998, unten). Insbesondere bei der Erforschung mentaler Prozesse gelten Daten, die aufgrund von qualitativen introspektiven Verfahren gewonnen werden, als unerlässlich (vgl. z.B. Henrici & Riemer 2003 oder Grotjahn & Marx 2012, unten).
Quantitative Untersuchungen zu Lehrerauffassungen finden sich u. a. bei Meißner, Beckmann & Schröder-Sura (2008, zur Förderung von Mehrsprachigkeit), Weiß et al. (2010, zum Berufswunsch Französischlehrer/in) oder Beckmann (2016, zu den Lernzielen im Fremdsprachenunterricht).
Meißner, Beckmann & Schröder-Sura folgern aufgrund ihrer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 (2008) u. a., dass der Unterricht die Schüler auf das lebensbegleitende Lernen durch Förderung von LA vorbereiten sollte. Er sollte das Thema „Lernen des Lernens von Sprachen“ nachhaltig behandeln, das Europäische Sprachenportfolio integrieren, die Lernkompetenz der Schüler fördern, sie zur Autoevaluation anleiten, Sprachen- und Sprachlernbewusstheit fördern und den Lernern vor Augen führen, weshalb sie Fremdsprachenkenntnisse über das Englische hinaus benötigen (siehe unten).
Beckmann (2016) kommt in ihrer Studie allerdings zu dem Ergebnis, dass die von ihr untersuchten Schüler nur eine niedrige Zielsetzungskompetenz, Sprachlernkompetenz, Selbsteinschätzungskompetenz und Sprachenbewusstheit besitzen. Sie konstatiert, dass der Unterricht teilweise an den Interessen der Lerner vorbeigeht und dass er die Schüler im Ganzen kaum emotional erreicht. Diese sehen in den Fremdsprachen außer Englisch keinen nennenswerten instrumentellen Nutzen. LA spielt in dem von ihnen erlebten Unterricht keine wesentliche Rolle.
Ein LA fördernder Fremdsprachenunterricht folgt den Prinzipien für einen guten Fremdsprachenunterricht (siehe z.B. Jiménez Raya, Lamb & Vieira 2017, unten). LA steht damit im Kern für gutes Sprachenlernen und wird in der Lehrerbildung als wissenschaftliche Theorie des Lehrens und Lernens fremder Sprachen entsprechend vermittelt. Wenn aber neuen fachdidaktischen Konzepten eher eine kritische Distanz entgegengebracht wird, dann stellt sich für die qualitative Forschung die Frage, wie Lehrkräfte diesen zentralen Steuerungs- und Orientierungsbegriff für gutes Lernen verstehen und umzusetzen denken:
Wie versteht ein Französischlehrer gutes Fremdsprachenlernen, und damit LA?
Wie steht seine Subjektive Theorie zur LA im Einklang mit dem in der Forschungsliteratur definierten Begriff der LA, einschließlich des Kompetenzbegriffs?
Gibt es Möglichkeiten, einen eventuell defizitären LA-Begriff weiterzuentwickeln?
Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Studie die Subjektiven Theorien von Lehrerinnen und Lehrern des Französischen, also von Experten, wie sie LA, Sprachenlernen und den Aufbau von Sprachlernkompetenz verstehen, welche Erfahrungen und Einstellungen sie hierzu besitzen und wie sie diese in ihrer eigenen Unterrichtspraxis umgesetzt sehen. Die Betonung liegt auf „sehen“, denn Subjektive Theorien sind nicht unbedingt identisch mit der beobachtbaren Unterrichtswirklichkeit.1
Dabei geht die vorliegende Studie folgenden Fragenbereichen nach:
Verständnis von LA:
Wie definieren Lehrkräfte des Französischen LA?
Welche Erfahrungen haben sie in den Bereichen LA, Sprachenlernen und dem Aufbau von Sprachlernkompetenz gesammelt?
Stellenwert von LA:
Welchen Stellenwert nimmt LA für sie im schulischen Kontext ein?
Denken sie, dass LA durch die Lehrperson gefördert werden kann?
Und wenn ja, wie kann ihrer Meinung nach eine solche Förderung in der schulischen Praxis aussehen?
Versuchen sie in ihrem eigenen Unterricht LA und Sprachlernkompetenz zu fördern?
Angestrebte Umsetzung von LA im eigenen Unterricht:
Wie wird versucht, LA und Sprachlernkompetenz zu fördern?
Welche Art der lehrseitigen Unterstützung, z.B. durch Ausbildung, Fortbildung oder Materialien, erscheint nötig?
Welche weiteren Faktoren spielen eine Rolle?
Forschungsziele sind damit die Erhebung von Subjektiven Lehrertheorien zum Großbegriff LA im Französischunterricht und dadurch Erkenntnisgewinne
zur Definition von LA durch die interviewten Lehrpersonen
zum Stellenwert von LA bei Lehrkräften des Französischen
zur versuchten Umsetzung von LA im Französischunterricht
zur möglichen Unterstützung von Lehrkräften bei ihrer Aufgabe, LA und SLK zu befördern
Zur Klärung dieser Forschungsfragen verläuft die Studie in sechs Schritten:
Teil I gibt als Gegenstandsanalyse einen Überblick über die (relevante) fachdidaktische Literatur zu den Faktoren Lehrperson und LA.
Teil II geht auf die Erhebung von Subjektiven Theorien als Forschungskonzept ein.
Teil III stellt anhand von sieben ausführlichen Einzelfalldarstellungen Subjektive Lehrertheorien über LA im Französischunterricht dar.
Diese werden in Teil IV zusammengeführt; das so ermittelte Erfahrungswissen der Lehrkräfte zur LA wird damit neben die fachdidaktischen Erkenntnissen zur LA gestellt.
Die sich daraus abzeichnenden Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung unter dem leitenden Prinzip der LA – in Ausbildung, Fortbildung und durch Materialien – werden abschließend in Teil V erörtert.
Teil VI zeichnet eine Bilanz der vorliegenden Studie und gibt einen Ausblick auf fortführende fachdidaktische Untersuchungen.
Alle Daten wurden trianguliert, siehe hierzu II, 4.3 unten.
Die vorliegende Studie stützt sich auf sieben Interviews mit Französischlehrern (Lehrkräfte mit Französisch und einem oder mehreren weiteren Fächern) an baden-württembergischen Gymnasien im Zeitraum von 2007 bis 2008 und – im Sinne einer Langzeitstudie – deren Evaluation nach ein bis zwei Jahren; sie umfasst damit den Zeitraum von 2007 bis 2010.
Baden-Württemberg hat, wie gesagt, bis 2015 die Ausbildung von Gymnasiallehrern ohne nennenswerte Anteile der wissenschaftlichen Fachdidaktik belassen. Diese macht allerdings den Kernbereich der Professionalisierung aus (siehe z.B. Reinfried 1997). Dabei trägt die erste Phase der Lehrerausbildung wesentlich zur beruflichen Identifikation bei (siehe die Ergebnisse der empirischen Lehrerforschung; u. a. Ehlers & Legutke 1998; Schocker-von Ditfurth 2001; König & Seifert 2012).
Zwei der Interviewten (TW und CP) wurden allerdings außerhalb von Baden-Württemberg ausgebildet (Nordrhein-Westfalen und Italien; in Italien spielte bis 1999 das Thema Fachdidaktik in der Ausbildung für Mittel- und Sekundarschullehrer ebenfalls keine wesentliche Rolle), eine weitere Gesprächspartnerin (VE) ist Fortbildnerin und beschäftigt sich daher intensiv mit fachdidaktischen Fragen. Inwieweit die Beschränkung der Untersuchung auf Baden-Württemberg eine Begrenzung der Reichweite der Studie darstellen könnte, wird ebenfalls in Teil VI erörtert.
Teil I gibt als Gegenstandsanalyse einen Überblick über die Forschungslage zum einen zur Person des Fremdsprachenlehrers und zum anderen zum Konzept der LA. Er soll damit den Verständnishintergrund bilden für den Rahmen der Studie und für das methodische Vorgehen, das in Teil II dargelegt wird, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Leitfragen und Impulse für die Interviews. Teil III widmet sich der Datenauswertung, also den Stimmen aus der Praxis und den empirischen Ergebnissen, zunächst ohne Rückbezug auf die Forschungslage. Diese wird in Teil IV gegenüberstellend herangezogen.
In diesem Kapitel werden im Hinblick auf die vorliegende Studie und den Faktor Lehrperson relevante fachwissenschaftliche Erkenntnisse aus der Lehrerforschung vorgestellt und Aspekte der Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung beleuchtet.
„Die Aussage von Flechsig 1971, es lägen keine nennenswerten Untersuchungen zum Fremdsprachenlehrer vor (Flechsig 1971, 3255), gilt auch für die 90er-Jahre; erst in jüngster Zeit zeichnet sich eine Änderung ab.“ (Krumm 42003a: 354).
Während für die Fremdsprachenforschung in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Lehrmethoden im Fokus des Interesses standen und in den 70er und 80er Jahren der Lerner und sein Fremdsprachenerwerb, so richtete sich erst in den 90er Jahren der Blick zunehmend auf die Lehrperson, zunächst vor allem im englischsprachigen Raum (siehe z.B. die frühen Arbeiten von Johnson 1992 und Nunan 1992 oder Freeman & Richards mit ihrem Sammelband zur Innensicht von Fremdsprachenlehrern 1996).
Bereits 1982 forderte Krumm, dass neben dem Lerner auch die Lehrperson in der Forschung stärkere Berücksichtigung finden müsse. Bis Ende des 20. Jahrhunderts behandelten Forschungsarbeiten zu Fremdsprachenlehrern im deutschsprachigen Raum vor allem deren Geschichte, notwendige Qualifikationen, Aus- und Fortbildung, ihr berufliches Selbstverständnis und ihr Verhalten als Lehrkraft, weniger ihr Überzeugungswissen zum Fremdsprachenlehren und -lernen (vgl. De Florio-Hansen 1998: 9; Caspari 2003: 45–47 und 49–51, m. R. Geisler 1986 und Krumm 1995).
1996 zeigt Kallenbach in ihrer Studie zu den Subjektiven Theorien von Fremdsprachenlernern, wie groß der Einfluss der Lehrenden auf die Motivation und den Lernerfolg ihrer Schüler ist. Zum Faktor Lehrperson romanischer Sprachen notieren Meißner & Morkötter allerdings noch 2014–15 einen Nachholbedarf in der Forschung:
„Doch welches gesicherte Wissen haben wir über heutige Lehrerinnen und Lehrer romanischer Sprachen im deutschsprachigen Raum (Reinfried 1997)? Zwar hat in den letzten Jahrzehnten die Professionsforschung einen Aufschwung erfahren (u.a. Terhart 2005; Baumert & Kunter 2006; Blömeke 2010), doch liegen nur wenige quantitative Studien vor (Weiß et al. 2010). Zudem sind die Stichproben nicht fachdidaktischer, sondern erziehungswissenschaftlicher Art. Über die Fachlehrerschaft des Englisch-, Französisch-, Italienischunterrichts […] sagen sie kaum etwas aus. Besser steht es um qualitative Arbeiten, die subjektive Theorien von Lehrenden allgemein oder bestimmte Fragen beleuchten (etwa Caspari 2003; Schocker-von Ditfurth 2003; Morkötter 2005 und andere). Weitere Einsichten liefern Daten zur Aktionsforschung. Hinzu kommen Berichte zu Lehrerfahrungen (vgl. Bauer et al. 1997; Beiträge in Meißner & Reinfried 1998) und Zeugnisse der oral history (zuletzt: Meißner 2008[c]). Angestoßen von der Notwendigkeit, Studienordnungen zu reformieren, haben sich zahlreiche Autoren zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern geäußert (Meißner et al. 2001; Legutke & Schocker-von Ditfurth 2006; Meißner 2007a; Leupold & Porsch 2011). Auch die Frage, inwieweit innovative didaktische Konzepte in der Praxis des Unterrichts umgesetzt werden, ist betroffen (vgl. Tesch 2010). Leider zeigt die Forschung auch hier für den Unterricht romanischer Sprachen einen deutlichen Nachholbedarf.“ (Meißner & Morkötter 2014–15: 61)
Wesentlich ist die (im Grunde triviale) Erkenntnis, dass die Lehrenden bei ihrem Unterrichtshandeln auf ihre Subjektiven Theorien zurückgreifen (siehe z.B. Woods 1996; Henrici & Zöfgen, Hrsg. 1998). Krumm verweist in diesem Zusammenhang auf Zimmermann (1984, 1990) und seinen Nachweis, dass auch bei kommunikativ orientierten Fremdsprachenlehrern die Grammatik eine zentrale Rolle spielt, und auf Kleppin & Königs (1991) zur demotivierenden Form der Fehlerkorrektur.
„Mit subjektiven Theorien ist dabei jenes Geflecht aus Überzeugungen (beliefs), Meinungen und verallgemeinertem Erfahrungswissen gemeint, die zusammen das Unterrichtshandeln der Lehrenden prägen (Woods 1996). Der Zwang zum Handeln unter dem Entscheidungszwang des Unterrichtsalltags und ohne über Theorien von ‚gutem Unterricht‘ zu verfügen, zwingt Lehrer dazu, eigene Handlungsmaximen zu formulieren, mit denen sie versuchen, die Komplexität des Unterrichtsgeschehens auf überschaubare, mit ihrer bisherigen Erfahrung übereinstimmende Sichtweisen zu reduzieren und Widersprüche etwa zwischen in der Ausbildung erworbenen Einsichten und der Unterrichtsrealität zu überbrücken.“ (Krumm 42003: 356)
Die Erforschung Subjektiver Lehrertheorien gehört mittlerweile zu einem wesentlichen Bereich in der fremdsprachendidaktischen Forschung zur Lehrperson (siehe z.B. Schocker-von Ditfurth 2001; Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth, Hrsg. 2001; Grotjahn 42003a; Caspari, Helbig & Schmelter 42003; Caspari 2003).
Nicht zuletzt interessiert sich die Fremdsprachenforschung seit Anfang des 21. Jahrhunderts verstärkt für die Lehrenden, da sie vor allem im Sinne eines gleichberechtigten Theorie-Praxis-Verhältnisses als Mitentwickler und Mitforscher verstanden werden, „deren Praxiswissen und Praxiserfahrung für die Weiterentwicklung des Fremdsprachenunterrichts unentbehrlich sind.“ (Caspari 2003: 46).
Ergebnisse aus dem Bereich der fremdsprachendidaktischen Lehrerforschung mit direktem Bezug zur LA werden schwerpunktmäßig unter I, 2–3 und IV dargestellt.
Zu den Forschungsergebnissen speziell zur Lehrerausbildung siehe I, 1.2.
Nachfolgend werden in diesem Kapitel in chronologischer Darstellung weitere für diese Studie interessante Forschungsergebnisse vorgestellt, insbesondere zu den Normenaspekten im Fremdsprachenunterricht, zu den Schlüsselqualifikationen eines Fremdsprachenlehrers, zu seinem beruflichen Selbstverständnis und zu Erfahrungswissen, Einstellungen und Sicht auf das eigene Unterrichtshandeln. Das Kapitel endet mit ersten Schlaglichtern auf die Frage nach dem Umgang von Fremdsprachenlehrern mit Aspekten eines autonomiefördernden Unterrichts.
Königs widmet sich 1983 in einer theoretischen Abhandlung den „Normenaspekten“ im Fremdsprachenunterricht und den Dimensionen des Konstrukts „Lehrer“. Er zeigt, dass die Lehrperson einer Vielzahl von Normen, wie z.B. den Lernzielen oder den organisatorischen Normen, unterworfen ist. Außerdem führt er die Dimensionen auf, die dem Faktorenkomplex „Lehrer“ zuzuordnen sind. Er liefert damit Aspekte für die empirische Lehrerforschung (Königs 1983: 354–482; vgl. auch die Besprechung in Caspari 2003: 47–48):
allgemeine Persönlichkeitsfaktoren (veränderliche und unveränderliche Variablen, Lehrerrolle und Rollenkonflikte)
fremdsprachenbezogene Lehrerfaktoren (bezüglich des Lehrgegenstands und der Rahmenbedingungen)
lernergerichtete Prämissen und Normen (Kenntnisse über fremdsprachenunterrichtliche und außersprachliche Spezifika der Lerner, Lehrklima)
methodische Prämissen und Normen (Einstellung zu und Kenntnisse und Analysen von Lehrwerken, Auswahl und Beurteilung von Inhalten, Kenntnis fremdsprachenunterrichtlicher Vermittlungsmethoden, Umgang mit und Einstellung zu technischen Medien, Unterrichtsstil, Übungsformen und Übungstypologien, institutionelle Vorgaben, Erfahrungen)
Grundgedanken zur fremdsprachenmethodischen Umsetzung
Königs bemerkt abschließend:
„So sollte man den Faktorenkomplex ‚Lehrer‘ nicht nur (aber auch!) auf die Tätigkeit des Lehrens hin beziehen, sondern das Lehren auf das Lernen und damit auch auf die Rolle des Lernenden hin zu analysieren versuchen. Ein lehrerbezogener Faktor wie z.B. ‚Methodenkenntnisse‘ gewinnt seine tatsächliche Dimension erst dadurch, daß seine Qualität auf den Lehrer und den Lerner hin bestimmt wird.“ (Königs 1983: 483–484; Hervorhebungen im Original)
In ihrem Sammelband stellen Freeman & Richards (1996) fünfzehn unterschiedliche Studien zum Lernen von Fremdsprachenlehrern vor. Diese frühen Studien liefern einerseits erste Ergebnisse zur Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, andererseits beleuchtet Freeman grundsätzliche methodische Aspekte bei der Lehrerforschung.
Ein besonderer Fokus liegt auf der Erforschung, wie Lehrkräfte über ihr Unterrichtshandeln denken:
„Our point is a basic one, namely, that in order to better understand language teaching, we need to know more about language teachers: what they do, how they think, what they know, and how they learn. Specifically, we need to understand more about how language teachers conceive of what they do […].“ (Freeman & Richards, Hrsg. 1996: 1)
Zur ersten Phase der Lehrerausbildung ergeben sich u. a. folgende Befunde:
Die Lehrerausbildung sollte nicht nur beim persönlichen Verständnis und Wissen der Studierenden ansetzen, sondern sie auch in die Lage versetzen, ihr eigenes Denken zu artikulieren und zu analysieren, im Sinne eines kontinuierlichen Lernens (Gutiérrez Almarza 1996: 73–76; m. R. Calderhead 1988).
Die Erforschung der eigenen Autobiografie und deren Reflexion führen zu einem besseren Verständnis der eigenen professionellen Entwicklung als Lehrkraft (Bailey et al. 1996: 27).
Zur Rolle der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern wird u. a. festgehalten:
Zur Reflexion über die Unterrichtspraxis benötigt Lehrerausbildung den Diskurs in einer allgemeingültigen professionalisierten Expertensprache und darüber hinaus Praxiserfahrungen mit unterschiedlichen, von stärker angeleiteten bis hin zu echten, Rahmenbedingungen. Im Fokus sollte die kompetente Reflexion über die eigenen Unterrichtserfahrungen liegen und weniger das Unterrichtshandeln selbst (Freeman 1996a: 236–238).
Kollaborative Ansätze können einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der eigenen Konzepte über das Lehren und Lernen liefern (Bailey 1996: 277–278; Kwo 1996: 312–314).
Zum Entwicklungsprozess von Lehrkräften durch ihre Unterrichtserfahrungen ergibt sich u. a.:
Das Unterrichtshandeln einer Lehrkraft hängt davon ab, wie sie das Unterrichtsgeschehen interpretiert, und zwar auf der Grundlage ihrer eigenen Lern- und Lehrerfahrungen, ihres professionellen Wissens über und ihres allgemeinen Verständnisses von Unterricht sowie ihrer Persönlichkeit. Die Reflexion des eigenen Unterrichtshandelns auf der Grundlage dieser Faktoren trägt zur Weiterentwicklung als Lehrkraft bei (Ulichny 1996: 195; Smith 1996: 207).
Das Unterrichtshandeln von Lehrkräften hängt stärker von den eigenen Überzeugungen und dem eigenen Erfahrungswissen ab als von Theoriewissen, das nur punktuell und in Abhängigkeit zu den eigenen Überzeugungen zum Tragen kommt (Smith 1996: 214).
Erforschende und kollaborative Ansätze tragen wesentlich zu einer Professionalisierung beim Unterrichten bei (Burns 1996: 175–176; m. R. Allwright & Bailey 1991, Gebhard 1989 und Nunan 1991b).
Die Professionalisierung beim Unterrichten ist ein fortwährender Entwicklungsprozess (Moran 1996: 153).
Zur Lehrererforschung hält Freeman fest (Freeman 1996b: 351–378):
Eine systematische Erforschung der Ausbildung und Entwicklung von Fremdsprachenlehrern ist bislang nicht erfolgt (m.R. National Center for Research on Teacher Education 1988: 27: „unstudied problem“). Dies liegt an einem fehlenden zugrundeliegenden allgemeingültigen Forschungskonzept (m.R. Freeman & Richards 1993).
Beim Unterrichten handelt es sich um eine komplexe kognitive Aktivität (m.R. Floden & Klinzing 1990). Lehrkräfte sind Individuen, die durch ihre Unterrichtsaktivität lernen, formen und geformt werden (m.R. Freeman et al. 1983). Um den Prozess des Unterrichtens zu verstehen, müssen die Perspektive und das Wissen von Lehrkräften miteinbezogen werden (m.R. Elbaz 1991).
Unabhängig vom Unterrichtshandeln und seinen Resultaten muss das Unterrichten selbst erforscht werden; dazu gehören die Rolle und die Persönlichkeit des Lehrers, die Verortung des Faches Fremdsprachen und die Frage nach den unterschiedlichen Unterrichtskontexten und den Lernern. Gleichzeitig sollte die Lehrerausbildung erforscht werden, und zwar in dem Sinne, wie sie Lehrkräfte dazu befähigt zu unterrichten.
Freeman (1996b) befürwortet die Pluralität von unterschiedliche Konzepten und Verfahren, um den Lernprozess von Lehrkräften beim Fremdsprachenlernen zu erforschen, ansetzend bei:
den Entscheidungen der Lehrkraft (bei der Unterrichtsplanung und -durchführung: „the decision-making framework“)
dem Verständnis und der Perspektive der Lehrkraft (durch Erzählungen und Biografie, Interviews und Beobachtungen oder Lerntagebücher: „understanding teachers‘ mental worlds and their relationship to teaching practice“)
weiteren Faktoren, wie den sozialen Rahmenbedingungen, Zeit und Unterrichtserfahrung oder der sprachlichen Interaktion im Klassenraum
Die jeweiligen Ansätze sollten auf einer validen Forschungsmethode basieren, die auf Prinzipien wie der Angemessenheit der Daten, ihrer Erhebung und ihrer Analyse beruhen (siehe hierzu Teil II, unten).
2006 stellt Freeman eine Rahmenstruktur vor, die die Schlüsselelemente professioneller Lehreraus- und -fortbildung umfasst: Werkzeuge, Aktivitäten und die Teilnehmer und ihre Rollen:
„This framework describes social practices in terms of three basic elements: The tools used in the particular practice, the activities that make up the practice, and how the individuals are involved as participants in those activities using those tools. The tools are subdivided into physical and symbolic; participants are referred to in terms of the roles they adopt, which are shaped by how they use the tools in the activity. […]
In the case of teacher training and development, I would argue that there are two overlapping social practices involved. The first practice is classroom language teaching; the second is the social practice of learning to teach. […] the second practice is preparation for (and takes its meaning from) the first.“ (Freeman 2006: 4–5; Hervorhebungen im Original)
Die Studie von Woods präsentiert 1996 Wissen und Einstellungen von acht muttersprachlichen Fremdsprachenlehrern an kanadischen Universitäten. Woods weist nach, dass Faktenwissen (knowledge), Annahmen (assumptions) und persönliche Überzeugungen (beliefs) fließend ineinander übergehen, einen höheren Stellenwert haben als theoretische Erkenntnisse und entscheidend sind für das Unterrichtshandeln der Lehrkraft. Aufgrund ihrer individuellen Lern- und Lehrerfahrungen entwickelt jede Lehrkraft eigene Annahmen über die Natur der Sprache und über das Lernen und Lehren einer Fremdsprache und verfügt damit über ein ganz eigenes handlungsleitendes „BAK system“ (Netzwerk von beliefs, assumptions und knowledge). Dieses kann durchaus Widersprüche beinhalten, die auf Spannungen innerhalb der Person hinweisen, die dabei ist, entweder ihr Verhalten oder ihre Überzeugungen zu ändern.
Mit seiner Studie erbringt Woods
„[…] einen überzeugenden Nachweis für zentrale Annahmen im Bereich der Lehrerbildung: Für die Rolle des Vorwissens beim Lernen, für die interpretative Natur der Lehrertätigkeit sowie für die Notwendigkeit, sich als Lehrer seiner Annahmen, Überzeugungen und seines Wissens bewusst zu sein, um sie weiterentwickeln zu können.“ (Caspari 2003: 53–54; m. R. Duarte 1998: 620).
Caspari betont u. a. allerdings auch, dass in Woods‘ Studie die Empirie der Theorie untergeordnet wurde, dass
„die theoretische Modellbildung der empirischen Untersuchung vorangegangen ist. […] Dies hat vor allem zur Konsequenz, dass die Studie zumindest nicht im engeren Sinne als explorativ bezeichnet werden kann, zumal nicht immer klar erkennbar ist, welcher Status den Äußerungen der Untersuchungspartner/innen in Bezug auf die Modellbildung tatsächlich zukommt. […]
Zum anderen halte ich ihn [den untergeordneten Stellenwert der empirischen Daten] auch aus methodischen Gründen für riskant, weil bei einem dermaßen stark strukturierten Erwartungshorizont stets die Gefahr besteht, dass die Daten ausschließlich im Horizont des Erwarteten gedeutet werden […].“ (Caspari 2003: 54–55; u. a. m. R. Duarte 1998: 619)
Caspari kommt zu dem Ergebnis, dass Woods’ Untersuchung zeigt, „dass die in die Tiefe gehende Analyse eines einzigen Untersuchungspartners ausgesprochen aufschlussreich sein kann. Sie deutet außerdem das Erkenntnispotenzial an, das in der Darstellung der persönlichen Aspekte des Wissens der Untersuchungspartner/innen enthalten ist.“ (Caspari 2003: 56; m. R. Appel 2000: 60).
Schwerdtfeger beleuchtet im Jahr 2000 die Normen im Fremdsprachenunterricht und die diesen zugrundeliegende Ideologie unter der Leitfrage: „Machen Lehrende Sprachen schwer?“
Hierzu befragte sie ca. 90 Studierende am Ende ihres Fremdsprachenlehrerstudiums nach einer Metapher zum Fremdsprachenlernen. Die Metaphern der Studierenden ließen sich den Großgruppen „Produktionsmetapher“ und „Wachstumsmetapher“ zuordnen. In verschiedenen Ländern befragte sie wiederum zwischen 1994 und 1999 die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Lehrerfortbildungsseminaren nach ihrem Konzept von Sprache als Lehrende von Fremdsprachen. Die Befragten bedienten sich vor allem der Produktionsmetapher, einer Sicht auf Sprache, ohne Blick auf Menschen und Kommunikation.
Bei einer Untersuchung des fremdsprachlichen Grammatikunterrichts gelangte sie außerdem zu dem Ergebnis, „daß ein stark kognitiv-abstrakt ausgerichteter Grammatikunterricht bei dem die Erklärung der Regel im Vordergrund steht, als der ‚wahre‘ Fremdsprachenunterricht angesehen wird.“ Die Sprache wird als „ein Kanon von Gesetzen [betrachtet], dessen Mißachtung Sanktionen nach sich zieht. Diese Sanktionen werden nonverbal durch Gestik, Mimik und Tonfall an die Lernenden übermittelt. Pausen, in denen den Schülern Zeit zum Nachdenken gegeben wird, gibt es nicht“ (Schwerdtfeger 2000: 46; m. R. Schwerdtfeger 1988).
„Die zu lernende Sprache ist ein Objekt mit komplizierten Konstruktionsmechanismen, das sich allein Menschen, die logisch-mathematische Intelligenz, im Sinne Howard Gardners (1991), besitzen, zu erschließen vermag. Dieses ist die Ideologie, die fremdsprachenunterrichtlicher Unterweisung bis heute unterliegt. Sie bestimmt die Diskurse der Macht, in denen sich die professionelle Beschäftigung mit Fremdsprachenunterricht befindet.“ (Schwerdtfeger 2000: 46)
Schwerdtfeger kommt damit zu dem Ergebnis, dass das sogenannte logische Denken bei der Vermittlung von Fremdsprachen immer noch im Zentrum stehe und dass Lehrende damit Sprachen „schwer“ machen. Sie fordert ein Konzept von Sprache, das ihre „Einverleibung“ zugrunde legt, das „die zu lernende Sprache zurück in den Lernenden bringt“ (Schwerdtfeger 2000: 47).
Appel (2000) betrachtet das Erfahrungswissen von Lehrkräften eher als „soziales Wissen“, da es bezogen ist auf die Kultur des Unterrichts. In seiner Studie befragt Appel zwanzig Fremdsprachenlehrer zu ihrem Erfahrungswissen (in episodisch-narrativen Interviews): den institutionellen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit, ihrer Biografie und ihren pädagogischen und fachdidaktischen Werten. Für den Fremdsprachenunterricht erforscht er sieben wichtige Felder: Auslandserfahrungen, Ausbildung, Prüfen und Evaluieren, das Lehrwerk, Grammatik, Einsprachigkeit und „natürliches“ versus „künstliches“ Lernen.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass der institutionelle Rahmen und die Unterrichtssituation einen bedeutenden Einfluss auf die situative Kompetenz einer jeden Lehrkraft haben, ebenso ihre Beziehung zu den Schülern. Innerhalb dieser Kontexte werden fachdidaktische Konzepte verstanden und bewertet.
Ob das Erfahrungswissen stärker durch den gemeinsamen sozialen Rahmen der befragten Lehrkräfte oder durch ihre individuelle Sicht auf diesen gemeinsamen Rahmen beeinflusst wird, bleibt allerdings nach Caspari in Appels Studie offen (vgl. Caspari 2003: 56–60).
Dirks (2000) untersucht die Prozesse der Professionalisierung von Englischlehrern anhand von autobiografisch-narrativen Interviews mit 22 Lehrkräften aus Sachsen-Anhalt. Interessant an dieser Studie sind die Einflussfaktoren, die sie für die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses identifiziert. Hierzu gehören die Ausbildung, die Lehrbiografie, der berufliche Austausch innerhalb und außerhalb der Schule, die institutionellen Rahmenbedingungen und die Beziehung zu den Schülern. (Siehe auch die Besprechung in Caspari 2003: 60–65.)
Als Schlüsselqualifikation einer kompetenten Lehrkraft, die ihren Unterricht auf die Erfordernisse einer sich ständig verändernden Welt anpassen kann, nennt Krumm (42003a; m. R. Edge & Gick 1997) die „Selbstbefähigung“ (empowerment).
Mit der entsprechenden Lehrerpersönlichkeit gehen einher „‚Autorschaft‘ (authority), d.h. die Fähigkeit, sein eigenes Leben bedeutungsvoll zu gestalten; die Fähigkeit, Erfahrung und eigenes Handeln zu reflektieren (ability, self-awareness); [und] Verantwortlichkeit (responsibility) insbesondere gegenüber der Autonomie der Lernenden (Edge 1994, 119ff.).“ (Krumm 42003a: 354).
Auf der Grundlage der Untersuchungen von Politzer & Weiss (1969) und Sanderson (1982) zu den Merkmalen eines guten Fremdsprachenlehrers hebt Krumm (42003a) Sensibilität und Flexibilität einer kompetenten Lehrkraft hervor und fasst die vorliegenden Erkenntnisse wie folgt zusammen:
„Beide Untersuchungen machen deutlich, dass ein gutes Klassenklima, ein flexibles Unterrichts- und Übungsprogramm, die Aktivierung der Lernenden, eine gute Beherrschung der Zielsprache wie auch ein professionelles Selbstbewusstsein zu den Voraussetzungen für einen so definierten erfolgreichen Fremdsprachenunterricht gehören. Mitchell (1988) und Peck (1988) legen jeweils ein kommunikatives Unterrichtskonzept zu Grunde und isolieren Lehrverhaltensweisen, die es den Lernenden erlauben, bereits im Unterricht kommunikativ zu handeln. Insgesamt zeigt sich bei solchen Untersuchungen, dass nicht ein bestimmtes Lehrverhalten für sich genommen ‚gut‘ oder ‚falsch‘ ist, dass vielmehr die Angemessenheit des Lehrverhaltens in einer konkreten Unterrichtssituation und mit einer definierten Lerngruppe den Ausschlag gibt. Lehrertraining zielt daher heute verstärkt auf die Erhöhung der Sensibilität gegenüber den Lernenden und die Flexibilität des Lehrers und nicht auf die Einübung bestimmter Lerntechniken (Ziebell 1998).“ (Krumm 42003a: 355)
Caspari untersucht 1995 bis 1996 die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses bei Fremdsprachenlehrern an Gymnasien und Gesamtschulen in Mittelhessen und wertet aus 35 Interviews 12 für ihre Studie aus.
1. Ihre Studie belegt die Bedeutung der eigenen Sprachlernbiografie für das berufliche Selbstverständnis des Fremdsprachenlehrers. Sowohl die eigenen Lernerfahrungen vor Beginn der Ausbildung als auch die spezifisch fremdsprachlichen Lernerfahrungen sind wesentliche Berufswahlmotive.
„[…] die eigenen Erfahrungen mit Schule allgemein und (Fremdsprachen-) Lernen während der Schul- und Universitätszeit und die außerschulischen Erfahrungen mit Fremdsprachen während dieser Zeitspanne [stellen] einen bedeutenden Einflussfaktor auf die Ausbildung des beruflichen Selbstverständnisses dar […].
Die Interviewstudie zeigt, dass sich die frühen schulischen und außerschulischen Lernerfahrungen der Befragten häufig direkt oder zumindest mittelbar in den Deutungsmustern der Befragten niederschlagen. Zudem beeinflussen sie in der Regel viele Komponenten in mehreren Bereichen des beruflichen Selbstverständnisses, so dass sie in der Gesamtstruktur vielfach und tief verankert sind.“ (Caspari 2003: 204, 206; Hervorhebung im Original)
Die eigenen Lehrkräfte spielen neben der eigenen Schulzeit eine bedeutende Rolle. So haben die eigenen (Fremdsprachen-) Lehrer z.B. die Begeisterung für die Fremdsprache und für das Fremdsprachenlernen geweckt, hatten einen Einfluss auf die Berufs- bzw. Fächerwahl und beeinflussen das berufliche Selbstverständnis und die Konzeption der eigenen Lehrerrolle über die Ausbildung hinaus (vgl. Caspari 2003: 156–170; u. a. m. R. die Studie an Lehramtsstudierenden von Schocker-von Ditfurth 2001: 36, siehe hierzu auch unten). Dies wird mit der frühen und dauerhaften Erfahrung mit den eigenen Lehrkräften begründet, aber auch mit dem traditionell lehrerzentrierten Unterricht, bei dem die Lehrkraft die Lernprozesse organisierte, und der Attraktivität vertrauter Handlungsmuster (Caspari 2003: 168f.; m. R. Rutter et al. 1980: 222, Schocker-von Ditfurth 2001: 217, Castellotti & De Carlo 1995).
Die schulischen Fremdsprachenlernerfahrungen der von Caspari 2003 befragten Fremdsprachenlehrer sind geprägt durch das Interesse an Fremdsprachen bzw. am Fremdsprachenlernen, den eigenen Lernerfolg, eine fleißige und systematische Lernhaltung, Schlüsselerlebnisse mit dem Spracherwerb und der Kommunikation im Zielsprachenland, die eigene Motivation für das weitere Erlernen (oft durch Auslandsaufenthalte) und den sprachlichen Kompetenzzuwachs.
Caspari kann (im Unterschied zu Appel 2000 und Schocker-von Ditfurth 2001) keinen deutlichen Kontrast zwischen den schulischen Sprachlernerfahrungen und den Sprachlernerfahrungen in der Zielsprachenkultur ausmachen. Hinsichtlich der Bereitschaft zur interkulturellen Kommunikation kommt Prokopowicz (2017) jedoch zu dem Ergebnis, dass diejenigen Probanden, die sich vorwiegend an formaler Richtigkeit in der Zielsprache orientieren, deutlich weniger zur Kommunikation mit nativen Sprechern bereit sind.
Zu den erlebten Unterrichtsmethoden äußern sich die befragten Lehrkräfte kaum (anders in der Untersuchung von Schocker-von Ditfurth bei Lehramtsstudierenden 2001). Caspari erklärt Letzteres mit der geringeren Rolle des Themas „eigenes Lernen“ in ihrer eigenen Studie, mit der Altersstruktur der Befragten (und der geringeren Kritik an lehrerzentrierten Verfahren vor einigen Jahrzehnten) sowie mit der inzwischen gewonnenen Erfahrung der Lehrkräfte um die Problematik des „Besser-Machens“ (Caspari 2003: 173).
Das persönliche Verhältnis zur Fremdsprache bzw. zu Fremdsprachen der von Caspari befragten Fremdsprachenlehrer ist weitgehend affektiv geprägt. Caspari macht bei den Befragten verschiedene „Orientierungen“ der emotionalen Prägung aus (u.a. m. R. Bosenius 1992: 85; Börsch 1982): die Eigenschaft(en) der Fremdsprache(n), persönliche Beziehungen zu Sprechern der Zielsprache, kulturelle und institutionelle Orientierung, „exotische“ Fremdheit, Persönlichkeitsbildung und eine allgemeine kommunikative Orientierung. Die Begeisterung für das Fach und seine Inhalte werden von vielen als Voraussetzung für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit betrachtet.
Bei der Auffassung von Fremdsprachen im Allgemeinen sind die der „Fremdsprachen als Kommunikationsmittel“ und „Fremdsprachen als Gegenstand, System, Fach“ die wichtigsten. Caspari zeigt, dass sich diese Auffassungen von Fremdsprache nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern sich durchaus ergänzen können (vgl. Caspari 2003: 182–187). Während die von ihr befragten Englischlehrer die Notwendigkeit und Nützlichkeit ihres Faches herausstellen, wird die Funktion des Französischen als Nachbarsprache nur einmal genannt. Caspari vermutet, „dass der traditionelle Bildungswert des Französischen (Geltung der Literatur, Bedeutung als Wissenschaftssprache) heutzutage kaum noch eine Rolle spielt“ und Fremdsprachen eher geschätzt werden „als Kontakt- und Kultursprachen in Hinblick auf Ziele des interkulturellen Lernens“ (Caspari 2003: 188).
Auch das persönliche Verhältnis der befragten Lehrkräfte zu „Land und Leuten“ ist affektiv-emotional, darüber hinaus aber auch kognitiv geprägt, wenn es um die Kenntnisse des Landes und seiner Kultur geht. Dieses persönliche Verhältnis hat sich insbesondere während ihrer Auslandsaufenthalte in der Schul- und Studienzeit entwickelt und ist im Laufe des Lebens durchaus veränderbar. Caspari macht die Zuneigung bzw. das Interesse weniger an der Länge der Aufenthalte fest, sondern begründet sie eher mit dem ganz persönlichen Erleben, das nicht mit der Realität im Zielland übereinstimmen muss (m.R. Börsch 1982: 163). Sie sieht hier einen „Ansatzpunkt für eine Veränderung kontraproduktiver Erwartungen und Klischees von Fremdsprachenlehrer/inne/n in der Bewusstmachung ihrer subjektiven (Einzel-) Theorien im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung.“ (Caspari 2003: 193).
Caspari stellt fest, dass die eigenen Lernerfahrungen der Lehrkräfte ihre Vorstellungen von Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenunterricht direkt beeinflussen, indem sie ihre Erfahrungen an ihre Schüler weitergeben möchten. Am Beispiel der Komponente „Auffassungen von Fremdsprache(n)“, die stark durch die eigenen Lernerfahrungen geprägt ist, zeigt sie, wie diese Komponente indirekten Einfluss auf den Unterricht nimmt. Sie beobachtet folgende Tendenzen:
Die Auffassung „Fremdsprache als Gegenstand, System oder Fach“ korreliert mit Bedeutungszuweisung von Grammatik für das Fremdsprachenlernen, Bemühen um passende Vermittlungsmethoden, Auseinanderfallen der Funktionsbereiche „Fachlehrer“ und „Pädagoge“.
Die Auffassung „Sprache als Kommunikationsmittel“ harmoniert mit einer untergeordneten Rolle der Grammatik im Unterricht, dem Bemühen um die Vermittlung von Erfahrungen, der Verbindung der Funktionsbereiche „Fachlehrer“ und „Pädagoge“.
Neben der lernbiografischen Erklärung für Lehrerauffassungen von Fremdsprache(n) werden in der Forschungsliteratur weitere Einflussfaktoren genannt. Schocker-von Ditfurth (2001) erklärt z.B. die systemorientierten Auffassungen auch mit dem Wunsch der Lehrenden nach Kontrolle und korrektem Sprachgebrauch beim schulischen Lernen und die kommunikationsorientierte Auffassung mit den Auslandserfahrungen der Studierenden. Appel (2000) identifiziert ein Minimalkonzept für den Fremdsprachenunterricht, das aufgrund der künstlichen Unterrichtssituation auf die Vermittlung von Grammatik und Wortschatz fokussiert und die kommunikative Anwendung im außerschulischen Bereich verortet. Und Zimmermann begründet die große Bedeutung der Grammatik im Fremdsprachenunterricht mit der Tradition der klassisch-humanistischen Bildung (z.B. in Mey & Zimmermann 1994: 7; zitiert nach Caspari 2003).
Die Veränderungen von Lehrerauffassungen von Fremdsprache(n) sind entsprechend langwierig und schwierig. Caspari zeigt in diesem Zusammenhang, dass einige der Befragten Probleme haben, den Stellenwert der Grammatik zu reduzieren (Caspari 2003: 201–202). Sie vermutet, dass eine Veränderung der Unterrichtsmethodik eher realisiert werden kann als eine Weiterentwicklung solcher Komponenten, die besonders eng mit der Lernbiografie verknüpft sind, wie „Auffassung von Fremdsprache(n)“, „Persönliches Verhältnis zu Fremdsprache(n)“, „Persönliches Verhältnis zu ‚Land und Leuten‘“ oder „Persönliches Verhältnis zur Literatur“, da sie einen fest verankerten übergreifenden Stellenwert einnehmen.
„Hierbei scheint es sich um die zentralen Elemente einer ‚Philosophie‘ des unterrichteten Schulfaches (BROMME 1992: 97–100) bzw. einer ‚overaching conception of teaching a subject‘ (PUTNAM / BORKO 1997: 1234) zu handeln.“ (Caspari 2003: 202)
Die eigenen Lernerfahrungen wirken sich in unterschiedlicher Stärke auf eine Reihe von wichtigen Komponenten des beruflichen Selbstverständnisses aus. Wichtig ist, ob sie ein Deutungsmuster darstellen oder ob sie in direkter Relation zu einem Deutungsmuster stehen. Deutungsmuster sind differenziert, emotional besetzt, gehen einher mit tiefen Überzeugungen und verfügen über eine große Reichweite (siehe auch den Begriff des „Grundgedankens“ bei Kallenbach 1996 und den der „Deutungsmusteranalyse“ bei Wiedemann 1985). Auch das Wissen um die eigenen Lernerfahrungen spielt eine Rolle, häufig scheinen diese unbewusst zu sein (vgl. Caspari 2003: 205). Daneben identifiziert Caspari weitere Einflussfaktoren auf das berufliche Selbstverständnis, u. a.: die konkrete Situation vor Ort, die Prägung der Situation durch die Schüler, die persönlichen Auffassungen von der Lehrerrolle, die beruflichen und außerberuflichen Erfahrungen.
Martinez (2008) bestätigt in ihrer Untersuchung über Lehramtsstudierende, dass die eigene Sprachlernbiografie für die Herausbildung einer Subjektiven Theorie über die Sprachlernprozesse und das Fremdsprachenlernen insgesamt bedeutsam ist:
„Die vorliegende Studie mit ihrem Fokus auf die Sprachlernprozesse von angehenden Lehrern bestätigt die enge Verbindung zwischen Lernerfahrungen und der Herausbildung des Sprachlernverständnisses bzw. einer subjektiven Theorie des Fremdsprachenlernens. Das Sprachlernverständnis der Studierenden wird in höchstem Maße durch ihre Sprachlernbiographie geprägt und ist oft Teil des gesamten Selbstkonzepts der Person.“ (Martinez 2008: 295)
Dass die frühen Lernerfahrungen einen wichtigen Einfluss auf das gesamte Berufsleben haben, hängt vor allem damit zusammen, dass sie als Subjektive Theorien fest verankert sind.
„Diese auf den eigenen Erfahrungen basierenden Theorien, die in Form von – häufig unbewussten – ‚persönlichen Wertvorstellungen‘ vorliegen (SCHOCKER-V. DITFURTH 2001: 258), besitzen für die Individuen durch die ihnen zugrunde liegende Authentizität des Erlebten einen so hohen Überzeugungsgrad, dass sie, wie die Studie von SCHOCKER-V. DITFURTH (2001: 262) eindrucksvoll zeigt, von den Studierenden unreflektiert verallgemeinert werden.“ (Caspari 2003: 206)
Caspari kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass bei den Befragten didaktisches Wissen in Form von Erfahrungen vorliegt und entsprechend bewertet wird.
„Wie WOODS (1996: 195) kann ich in den Äußerungen der Befragten keinen grundsätzlichen qualitativen Unterschied zwischen persönlichem Wissen und Einstellungen (als Oberbegriff für Meinungen, Einstellungen und Überzeugungen) feststellen. Im Gegenteil, es hat den Anschein, dass das didaktische Wissen der Befragten ganz überwiegend in Form von Erfahrungen vorliegt und damit automatisch eine persönliche Bewertung enthält. Die Tatsache, dass das didaktische Wissen primär in Form konkreter Erfahrungen vorzuliegen scheint, hinderte die Befragten jedoch nicht, daraus allgemeingültige Aussagen und Prinzipien abzuleiten.“ (Caspari 2003: 151)
2. Zum Aufgaben- und Funktionsverständnis des Fremdsprachenlehrers hält Caspari fest, dass es eine zentrale Bedeutung für die Konzeption und Praxis des individuellen konkreten Unterrichts hat und stark bestimmt wird von den individuellen Lern-, Aus- und Fortbildungserfahrungen sowie Erfahrungen mit den jeweiligen Arbeitskontexten (vgl. auch im Folgenden Caspari 2003: 207–259).