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Lesen ist etwas Wunderbares für alle, die gerne lesen. Diese Leselust kann allerdings nur erleben, wer gut lesen kann. Schlechte Leser bewegen sich im Kreis: Lesen fällt ihnen schwer, deshalb lesen sie nicht gerne, also lesen sie wenig, und weil sie wenig lesen, lernen sie auch nicht besser lesen. Kinder, die in diesen Zirkel geraten sind, brauchen sachkundige Hilfe. "Lesen lernen mit links...und rechts" zeigt Lehrern, Eltern, Logopäden und anderen Therapeuten, wie sie KIndern dazu verhelfen können, gut und gerne zu lesen. Wird diese Leselernmethode von Anfang an eingesetzt, lassen sich viele Lernprobleme vermeiden: durch Ansprechen der linken und rechten Gehirnhälfte. Alle Kinder lieben Geschichten. Anders als herkömmliche Lesefibeln vermittelt Christina Buchner das Alphabet spielerisch anhand von Geschichten mit Tiefgang, die Kindern Spaß machen. Zu jeder Buchstaben-Geschichte gibt es ein Bild, ein Gedicht, eine Lautgeste, Wortkärtchen und oft noch eine Aufzählung von Dingen, die mit dem betreffenden Buchstaben beginnen und die gut schmecken oder riechen. Lernen mit dem ganzen Gehirn: Die vielen originellen Ideen, die die Autorin selbst in der Schule erprobt hat, werden auch Ihre Phantasie beflügeln.
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Seitenzahl: 198
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Teil I – Eine neue Leselernmethode
Die Sache mit dem Lesen
Lesenlernen ist anstrengend
Zur Anstrengung verführen
Erfolgreiches Lernen für alle Kinder
Eine gut funktionierende „Hardware“
Bewegungskoordination – Gehen – Laufen
So kannst du konkret vorgehen
Das Überqueren der Mittellinie
Die liegende Acht
Trainingsmöglichkeiten
Das Gleichgewicht – die dritte wichtige Säule
Die „Software“ muss stimmen
Lernen mit beiden Gehirnen
Die Leselust muss geweckt und erhalten werden
Die Vorleseviertelstunde
Jeder in seinem Tempo
So werde ich vorgehen
Lesen kann von Anfang an spannend sein
Teil II – Materialien zum Lesenlernen
Die erste Geschichte am ersten Schultag
Anton mit dem langen Arm
Zu dieser Geschichte sind – auch ohne „echtes“ Lesen – viele Aktivitäten möglich
Beschäftigung für eine ganze Woche
Wortkarten
Buchstabenjagd
Der A-Wörter-Sack
Riechen und essen
Räumlich-haptische Erfahrungen
Buchstaben fomen mit Knete
Wörter legen
Schreiben
Individuelle Schreibblätter für die Arbeitsmappe
Schreibübungen im Schwungheft
Schreiben im Blankoheft
Das Buchstabenheft
Zusammenfassung
So kannst du bei jedem Buchstaben vorgehen:
Mimi mit der kleinen Maus
Ottos tolle Oma
Roland, der rasende Rennfahrer
Brüller – Dauerbrenner – Knaller
Einige Beispiele für Sätze zum Legen mit den Kärtchen
Tom Trampeltier
Wörter zum echten Lesen
Diese Wörter kannst du turnen
Der wilde Wassermann
Eine Speisekarte
Phonetisches Verschriften – richtig dosiert
So kannst du vorgehen
Ein Wort zu den Lautketten
Und dann noch ein Wort zum korrekten Bewegungsablauf beim Schreiben
So kann es weitergehen
Es wird etwas ernster mit dem Schreiben
Ella Elefant
Wörter-Bingo
Leo, das lustige Lama
Arbeit mit Wörterlisten
König Karl sitzt in der Klemme
Sieben weiße Nordpolhasen
Wortkartenmemory
Isidor Igel
Dora Dussel, die schusselige Ente
Wortkarten legen in Partnerarbeit
Susi Sausewind
Das 100-Stunden-Lesetraining
Vom Entziffern zum flüssigen Lesen
Das Lesetraining – der Elefant in kleinen Stücken
Lesen lernt man nur durch Lesen
Lesenlernen bedarf der täglichen Arbeit in kurzen Einheiten von einer Viertelstunde
Übung konkret
Das Uhrenbuch
Organisation und Kontrolle
Die erste Übungsphase
Die zweite Übungsphase
Die dritte Übungsphase
Zusammenfassung
Die Unke Ulla
Weitere Übungen mit den Wortkarten
Bingo mit Kartenauswahl
Buchstaben suchen
Jagd nach „echten“ Lesewörtern
Memory mit Kartenauswahl
Karten ziehen – Sätze bilden
Blitzlesen für zwei Kinder: einen Quizmaster und einen Spieler
Fredi Frosch
Buchstabenkekse
Die Organisation
Die konkrete Durchführung
Ä und Ö: Eine Erweiterung des Repertoires
Die goldene Gans
Die hopsende Hilda
Das Ei ist weg
Bruno Brezel, der längste Dackel der Welt
Cäsar, der Clown
Eine bunte Gesellschaft: Ch, Sch, Ü
Das Sch schnauft ganz fürchterlich
Ü wie Überfall
Popcorn – Plopcorn
Ablauf beim Popcorn-Kochen
Die Geschichte von Jocki Jockel
Vroni Vogelschreck
Zara Zefirotti
Xaver macht Faxen
Yvonne macht Krach
Quittengelee
Quittengelee – in der Schule gekocht
Schlussgedanken
Quellenverzeichnis
Über die Autorin
ihr seid im Begriff, euch auf ein Buch einzulassen, das in vielen Punkten ganz anders vorgeht als herkömmliche Lehrwerke.
Mein Leselehrgang ist nicht deshalb entstanden, weil ich glaube, alles besser zu können. Er ist vielmehr einer Not entwachsen: Ich habe gesehen, dass ich es mit dem Abarbeiten einer Fibel samt dazugehöriger Arbeitsmittel und dem Befolgen der Vorschläge des Lehrerhandbuchs nicht schaffe, allen meinen Schülern einen Zugang zu den Freuden des Lesens zu ermöglichen und sie zu guten und begeisterten Lesern zu machen.
Und das wollte ich ganz unbedingt, nur war der gängige Weg wohl nicht der optimale, denn sonst hätte ich ja bessere Ergebnisse erzielen müssen.
Außerdem fand ich alles, was ich da im Unterricht machte, ziemlich langweilig. So wird es wahrscheinlich auch meinen Schülern gegangen sein.
Mein entscheidendes Erlebnis hatte ich auf irgendeinem Lehrertag. Da saß beim gemeinsamen Mittagessen eine Kollegin am Tisch, von der ich nur einen Satzfetzen aufschnappte „…und das K ist der König mit dem Schwert…“.
Dieser Satz setzte bei mir eine ganze Salve an Vorstellungen in Gang: Genau das war es – Bilder und Geschichten!
Ich beschäftige mich, seit ich Lehrerin bin, mit allem, was die Gehirnforschung für uns zu bieten hat, denn ich wollte immer verstehen, warum manche Kinder so leicht und andere so schwer lernen. Das ist, wie man heute weiß, beileibe nicht nur eine Frage der Intelligenz.
Damals wurde gerade viel über die unterschiedlichen Funktionen von rechter und linker Gehirnhälfte geschrieben und es leuchtete mir sehr ein, dass Bilder den Lernprozess unterstützen.
Das war allerdings erst der Anfang, denn nur Geschichten und Bilder genügen natürlich nicht. Aber sie sind gerade am Beginn des langen Lernweges ein unersetzlicher Begleiter und Motivationsfaktor.
Ich finde es einen verhängnisvollen Fehler, dass beim Lesenlernen offenbar der Anspruch besteht, nur Texte zu verwenden, die die Kinder bereits selber lesen können. Da kann doch nichts Gutes dabei herauskommen. Und bis die Texte spannender werden, ist vielen Kindern schon die Lust vergangen und sie wischen zur Unterhaltung lieber auf diversen Geräten herum.
Ich finde, der Leseunterricht muss von Anfang an unterhaltsam, aber auch spielerisch und durchaus auch herausfordernd sein.
Wie diese Mischung zustande kommen kann, werde ich euch zeigen. Damit ihr beim Lesen nicht dauernd über sprachliche Komplikationen stolpern müsst, werde ich nur eine Geschlechterform verwenden: Manchmal die männliche, manchmal die weibliche. Gemeint seid ihr, meine lieben Leserinnen und Leser, immer in eurer Gesamtheit.
Und nun wünsche ich euch und mir, dass dieses Buch euch Schwung und Motivation gibt, mit euren Schülern die Wunderwelt des Lesens zu erobern.
Traunstein, im Sommer 2022
Christina Buchner
Mit atemberaubender Geschwindigkeit hat sich in den letzten 20 Jahren die Palette der Möglichkeiten des Lernens und der Informationsbeschaffung erweitert. Ich bin begeistert davon, dass ich nun sehr schnell Zitate orten, Quellen ausfindig machen und einen ersten Überblick über bestimmte Themen bekommen kann. Über Youtube lasse ich mir zeigen, wie man Spannbett-Tücher zusammenlegt oder Kaisersemmeln formt. All das ist grandios.
Es verändert unseren Alltag und unser Arbeitsleben. Und es führt häufig dazu, dass der Schule gegenüber Forderungen laut werden, die nicht immer vom nötigen „Hausverstand“, sondern eher von unrealistischen Wünschen und Vorstellungen geprägt sind.
Doch auch in Zeiten fortschreitender Digitalisierung ist eines von höchster Bedeutung:
Wir brauchen eine Schule, die unseren Kindern dabei hilft, lebenstüchtig zu werden, und zwar in einem universellen Sinn.
Nun, ich frage mich, ob es wirklich sinnvoll sein kann, Kinder auf eine einzige und bereits sehr festgelegte und bestimmte Zukunft, die wir uns aus heutiger Sicht so und nicht anders ausmalen – nämlich die schöne neue digitale Welt – vorzubereiten oder ob es nicht verantwortungsbewusster, klüger, schlicht realistischer wäre, ihnen zuerst einmal ein Handwerkszeug mitzugeben, das sie unter sehr verschiedenen Bedingungen gut zurechtkommen lässt.
Digitales Handwerkszeug kann dann auf den Werkzeugkoffer obenauf gepackt werden, aber zuerst einmal müssen die basalen Grundlagen geschaffen werden.
Kinder, die perfekt lesen, schreiben und rechnen können und die eine hohe Sprachkompetenz besitzen, werden für die Zukunft besser gerüstet sein als Kinder, die vielleicht in verschiedenen Förderkursen einiges an Spezialkenntnissen erworben haben, die aber über diese basalen Bausteine nicht verfügen.
Niemand bestreitet, wie wichtig es ist, mit den modernen Medien umgehen zu können.
Aber was nützt das den Menschen, wenn sie nicht in der Lage sind, auch längere und komplexe Texte zu lesen, das Wesentliche herauszufiltern und das Ganze dann auch wirklich zu verstehen und zu verarbeiten?
Wie leicht sind Menschen manipulierbar, die sich nicht differenziert mit verschiedenen Meinungen und Argumenten auseinandersetzen können!
Die Kulturtechnik des Lesens bildet nicht nur den Schlüssel schlechthin zum selbständigen Wissenserwerb, sie eröffnet uns auch den Zugang zu Phantasie- und Vorstellungswelten, die wir in unserem Gehirn erschaffen. Dieses Selber-Erschaffen von Vorstellungen ist etwas ganz anderes als das Konsumieren fertiger Bilder. Selbst geschaffene Bilder im Kopf unterhalten uns nicht nur, sie unterstützen das Gedächtnis beim Lernen, verhelfen zum Begreifen mathematischer Zusammenhänge, lassen Neues besser erfassen.
Lesen ist schlicht und einfach unersetzlich wichtig für unsere Autonomie.
Adam Riese wird folgender Ausspruch zugeschrieben: „Ein jeder Mann soll rechnen lernen, damit er nicht betrogen werde.“
Das lässt sich sehr gut auf das Lesen ummünzen:
Wer versteht, was er liest, dem kann man nicht so leicht ein X für ein U vormachen und das bedeutet ein hohes Maß an Lebenstüchtigkeit.
Maryanne Wolf sagt dazu:
„Diese Arbeit besteht aus einem Teil Entdeckung und vielen Teilen harter Arbeit.“1
Diese „harte Arbeit“ kann Kindern zugemutet werden, aber wir müssen sie zuerst einmal dahin bringen, dass sie sich diesen Anstrengungen auch aussetzen wollen.
Einfach nur, so wie früher, von den Kindern autoritär verlangen, das zu tun, es ihnen zu befehlen oder ihnen sogar zu drohen, das ist hoffentlich in den meisten Klassenzimmern Geschichte und es würde mit unseren modernen Kindern wahrscheinlich und gottlob auch nicht mehr funktionieren.
Dann gibt es die Möglichkeit, Kindern vorzugaukeln, das sei alles ohne Mühe, nur mit Spaß, möglich – dieser Schwindel fliegt nach kurzer Zeit auf.
Wie unfair war es von den Verfechtern der Ganzwortmethode doch, die Schulanfänger zunächst in dem Glauben zu lassen, das auswendige Einspeichern einiger Wörter sei bereits richtiges Lesen.
Dieses Vorgehen führte natürlich dann zur Überschätzung der eigenen Kenntnisse und letztendlich spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem „ernsthaft“ analysiert und synthetisiert wurde, zu bitterer Enttäuschung. Das Argument, es würde die Kinder doch so unglaublich motivieren, wenn sie schon nach einigen Tagen kleine Sätzchen „lesen“ könnten, fand ich immer unglaublich dumm. Denn auch ohne pädagogisches Fachwissen muss einem der Hausverstand sagen, dass bei einer Schulzeit von 13 Jahren die anfängliche Euphorie von ein paar Wochen nichts bedeutet, wenn danach Frustration und Enttäuschung kommen.
Was also ist zu tun? Denn unsere große und über die Fachgrenzen hinweg bestehende Aufgabe als Grundschullehrer ist diese:
Wir müssen unsere Schüler so gut in die vor ihnen liegende lange Zeit des Lernens einfädeln, dass Anstrengungsbereitschaft und Freude über die eigenen Fortschritte ein solides Fundament bilden, auf dem ein nachhaltiges Gebäude errichtet werden kann.
Warum lernen Kinder? Das tun sie aus einem einzigen Grund: Weil sie wollen.
Und nur dann, wenn dieses Wollen im Kontext Lesen aktiviert werden kann, besteht die Aussicht, dass Kinder zu echten Lesern werden. Versetzen wir uns einmal in einen ABC-Schützen, der am ersten Schultag voller froher Erwartung im Klassenzimmer sitzt und stolz wie Oskar ist, jetzt zu den Großen, zu den richtigen Schulkindern zu gehören. Dann passiert vielerorts am ersten Schultag nichts Relevantes, aus Sicht des Kindes wird also nichts gelernt. Diese Enttäuschung kann verschmerzt werden, wenn es wenigstens ab dem zweiten Schultag richtig losgeht. Häufig tut sich auch da noch nichts Nennenswertes.
Wenn es dann mit dem Lesen irgendwann losgeht, sind die Texte für jedes auch nur halbwegs denkende Kind eine Zumutung. Ich zitiere aus einigen Fibeln.
Auf einem Bild mit spielenden Kindern sollen Sprechblasen entziffert werden:2
Ein Bild mit Kindern am Strand bietet diese Leseanreize:
In anderen Fibeln sieht es nicht besser aus. So sehen wir in der Jo-Jo Fibel eine Doppelseite mit spielenden und Picknick machenden Kindern. Ein Junge hängt kopfüber an einem Ast.
Auf dieser Seite lesen wir:3
Auf der gegenüberliegenden Seite bekommt ein Mädchen gleichzeitig zwei Bälle zugespielt. Der Lesetext hierzu:
In älteren Ganzwortfibeln sieht es auch nicht besser aus. Die „Bunte Lesewelt“ versucht Kinder durch Texte wie diese zu motivieren:4
Die in Bayern ehemals sehr verbreitete „Leissl-Fibel“ versucht es auf ähnliche Weise:5
Diese Plattheit der Texte kann allerdings nicht den Fibelautoren angelastet werden, denn bis ein Lehrwerk endlich genehmigt wird, ist es durch so viele Arbeitskreise und Gremien gelaufen, haben so viele Köche an dem Brei mitgerührt, dass am Schluss etwas ziemlich Nichtssagendes und meiner Erfahrung nach auch nicht besonders Praxistaugliches herausgekommen ist.
Wenn der Leseunterricht so langweilig beginnt, dann bietet das für die meisten Kinder – davon bin ich überzeugt – nicht genügend Anreiz, um sich dafür besonders anzustrengen. Kinder leben in der Gegenwart. Das Argument, dass sie „später“ einmal ganz, ganz tolle Geschichten lesen können, wenn sie nur jetzt genügend Arbeit investieren, zieht nicht.
Kinder wollen es „jetzt“ schön haben. Und unsere pädagogische Kunst besteht darin, dieses „Jetzt“ attraktiv und kindgemäß zu gestalten und dennoch nicht auf konsequente, langfristige Arbeit zu verzichten.
Dich auf dem Weg dorthin mitzunehmen, dich zu ermutigen, eigene und auch „unorthodoxe“ didaktische Pfade zu beschreiten – das ist das Ziel, das ich mit diesem Buch erreichen möchte.
Die Regelschule ist der ideale Ort für individuelles Arbeiten: keiner pädagogischen Richtung verpflichtet, sind Lehrer hier frei in der Wahl ihrer Methoden. Das Maß für die Tauglichkeit einer Methode ist lediglich, ob sie dem Erreichen der Lehrplanziele nützt oder nicht. Ich finde, eine bessere Voraussetzung für wirklich autonomes und eigenverantwortliches Arbeiten gibt es nicht.
1 Maryanne Wolf, Das lesende Gehirn, Heidelberg 2014, S.139
2 Katharina Berg, Astrid Eichmayer et al., Karibu Fibel, Westermann, Braunschweig, 2014
3 Nicole Namour, Andrea Wimmer, Jo-Jo Fibel, Berlin, 2014
4 Adelheid Auf’m Kolk, Theodor Kuch, Bunte Lesewelt, Donauwörth, 1982
5 Anni Leissl, Fibelkinder 1, München, o.J.
Vielleicht denkst du dir jetzt: „Das ist ja alles gut und schön, aber es gibt doch Kinder, die sich schwertun, die vielleicht eine Leseschwäche haben.“
Es ist ganz legitim, solche Gedanken und Vorbehalte zu haben, vor allem dann, wenn du schon die Erfahrung gemacht hast, dass Lernprobleme im Unterrichtsalltag keine sehr große Seltenheit sind. Allerdings kann ich dir aus langjähriger praktischer Erfahrung sagen, dass hier der Schule eine Schlüsselrolle zukommt und dass wir Lehrer viel mehr bewirken können, als für gewöhnlich angenommen wird.
Es geschieht leider viel zu häufig, dass Schwierigkeiten – ob nun beim Lesen, Schreiben, Rechnen oder im Verhalten – pathologisiert werden, was nichts anderes bedeutet, als dass den Kindern ein Etikett verpasst wird: Dyskalkuliker, Legastheniker, ADHS-Kind. Das führt aber leider nicht dazu, dass diesen Kindern dann eine wirkungsvolle Hilfe zuteil wird. In der Praxis sieht das vielmehr so aus, dass die Kinder zwar oft in irgendwelche Therapiestunden gehen, meist aber trotzdem nicht die erwünschten Erfolge erzielen und in der Schule letztendlich pädagogisch abgeschrieben werden. Das muss nicht so sein. Es ist normal, dass nicht alle Kinder genau in das vorgegebene Raster passen und das war auch immer schon so. Und es ist unsere Aufgabe als pädagogische Fachleute, Schule so zu gestalten, dass sie für alle Kinder passt, nicht nur für die bequemen, die normgerechten. Das Gute daran: Es liegt in deiner Hand, wie du das Lernen organisierst.
Wenn du den Blickwinkel änderst und nicht mehr in erster Linie auf den Unterrichtsstoff, den Lehrplan oder den Aufbau „schöner“ Unterrichtsstunden fokussiert bist, sondern das Kind in den Mittelpunkt stellst, das schließlich all das verarbeiten soll, was wir ihm vorsetzen, dann hast du den ersten Schritt zur pädagogischen Autonomie getan. Der Maßstab unseres Tuns soll nicht der abgehakte Lehrplan sein, sondern die Frage, was das Kind am Ende des Tages kann. Wenn es dir gelingt, deinen Schülern den Zugang zum Lesen, Schreiben und Rechnen zu ermöglichen und wenn sie dann zur Krönung des Ganzen auch noch Freude daran haben, dann hast du alles richtig gemacht.
Schauen wir uns also an, was das Kind alles braucht, um erfolgreich und gerne lernen zu können.
Die Gehirnforschung hat uns in den letzten Jahrzehnten wertvolle Erkenntnisse darüber geliefert, was sich positiv oder negativ auf die Fähigkeit zum schulischen Lernen auswirken kann.
Bewegungsarmut in der frühen Kindheit, fehlende Krabbelphase, ungünstige Dominanzmuster, das Erleben von Angst und Schmerz im Zusammenhang mit Lernen sind nur einige der Faktoren, die eine Rolle spielen können.
Eine schlecht funktionierende „Hardware“ kann die Ursache sein, wenn Kinder rechts und links verwechseln, sich keine Buchstaben merken, ähnliche Formen nicht unterscheiden können, nicht zusammenlesen können, den Sinn des Gelesenen nicht verstehen.
In jeder Klasse gibt es Kinder, die zunächst einmal die genannten Symptome aufweisen. Wie wir heute wissen, hängen Bewegung und Gehirnentwicklung eng zusammen. Gezieltes Bewegungstraining ist tatsächlich „Gehirngymnastik“. Deshalb kann auf gut geplante Bewegungseinheiten im Unterricht eigentlich nicht verzichtet werden.
Der Grund, warum ich die einschränkende Partikel „eigentlich“ verwende, ist, dass in vielen Schulklassen auf diese gut geplanten Bewegungseinheiten eben schon verzichtet wird, obwohl das „eigentlich“ nicht geht. Das Attribut „gut geplant“ bezieht sich darauf, dass gezielt vorgegangen wird.
Lehrer müssen wissen, welche Bewegungsmuster trainiert werden sollen. Es ist hier nicht der Ort, dieses Thema gründlich zu behandeln, aber ich kann wenigstens einige wesentliche Schwerpunkte nennen.
Die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft ist im Leben eines Kleinkindes ein beachtliches Thema. Sich aus dem Vierfüßlerstand aufzurichten bedeutet einen erheblichen Zuwachs an Autonomie: Die Hände sind frei, das Blickfeld ist größer. Irgendwie gelingt es allen Kindern, in den aufrechten Gang zu kommen. Doch nicht bei allen Kindern erfolgen Gehen und Laufen in optimaler Koordination. Die ist dann vorhanden, wenn sowohl das eine als auch das andere im Überkreuzmuster erfolgt, das heißt: Linkes Bein und rechter Arm schwingen nach vorne und rechtes Bein und linker Arm.
Wenn du mit deiner Klasse gezielte Bewegungsübungen zum Gehen und Laufen machst, dann sind damit zwei Vorteile verbunden:
Du siehst, welche Kinder mit der Koordination Schwierigkeiten haben, hast also ein „Diagnoseinstrument“ zur Verfügung;
Das Bewegungstraining verbessert die Koordination und bringt das Gehirn in Schwung, und zwar bei allen Kindern.
Leg eine flotte Musik auf, etwas mit einem Vier-Schlag-Rhythmus, und lass die Kinder zu dieser Musik im Takt einfach auf der Stelle joggen. Schon wirst du deutliche Unterschiede bemerken:
Das Joggen im Takt – also dem Tempo der Musik angepasst – ist zunächst für alle Kinder eine Herausforderung. Aber einige deiner Schüler werden ziemlich unkoordiniert und hastig hampeln, andere schaffen es kaum, ihre vier Gliedmaßen zu steuern und dann gibt es Kinder, die sich geschickt anstellen.
Wenn du nur eine tägliche Joggingeinheit von einigen Minuten machst, wirst du merken, dass die Bewegungskompetenz der Kinder allmählich zunimmt.
Die Überkreuzbewegung
Nun kannst du noch gezielter vorgehen: Lass die Kinder langsame Überkreuzbewegungen ausführen:
Linkes Bein hoch, rechte Hand berührt das Knie
Rechtes Bein hoch, linke Hand berührt das Knie.
Ich gebe den Kindern immer das Bild: Stell dir vor, du zermanschst auf dem Knie einen Schokokuss oder ein Cremetörtchen: Patsch – und – patsch – und – usw.
Eine Vorübung zur Überkreuzbewegung
Wenn die Überkreuzbewegungen noch zu schwierig sind, eignen sich als Vorübung gezielte Beinbewegungen:
Arme hinter den Rücken legen, Beine schwungvoll im Takt zur Musik hochziehen, wie ein Storch.
Du hast also zum Thema Bewegungskoordination die Möglichkeiten:
Storchengang – Überkreuzbewegung – Joggen am Platz
Außerdem sind Spaziergänge im Freien eine effektive Trainingsmöglichkeit, denn unkoordinierte Kinder können zwar im Pausenhof rennen, bis ihnen das Wasser herunterläuft, aber sie haben größte Schwierigkeiten, eine nennenswerte Strecke zu Fuß in normalem Schritt-Tempo zurückzulegen.
Für die bewusste Bewegungssteuerung brauchen wir zunächst einmal die Großhirnrinde, und erst bei gelungener Koordination können Bewegungsabläufe automatisiert und damit auch noch von anderen Gehirnbereichen – Basalganglien, Kleinhirn – gesteuert werden. Bei ungenügender Bewegungskoordination ist „geordnetes“ Gehen Schwerarbeit und deshalb sind auch gerade die Kinder, die im Pausenhof rennen wie wild, beim Wandern die ersten, die fragen, ob es noch weit bis zum Ziel ist.
Ein weiteres Thema für das schulische Lernen ist das Überqueren der Mittellinie.
Neben der Umstellung von der dreidimensionalen Spielwelt auf die zweidimensionale Papierwelt der Schule müssen Augen und Gehirn sich nun auf das Arbeiten in Zeilen einrichten: von links nach rechts und dann wieder zurück nach links.
Das heißt: wir überqueren beim zeilenweisen Lesen und Schreiben viele Male die Körpermittellinie, sowohl mit den Augen als – beim Schreiben oder beim Mitdeuten mit dem Finger – auch mit den feinmotorischen Bewegungen der Hand.
Wenn wir nun wissen, dass das linke Gesichtsfeld beider Augen primär von der rechten Hemisphäre, das rechte Gesichtsfeld aber von der linken Hemisphäre gesteuert wird, dann muss uns auch klar sein, dass es bei jeder Lese- oder Schreibzeile zu einer Stabübergabe – ähnlich wie beim Staffellauf – kommen muss, damit alles glatt läuft. Das wiederum fällt nicht jedem Schülergehirn – und auch nicht jedem Erwachsenengehirn – auf Anhieb leicht.
Damit diese Stabübergabe der beiden Hemisphären mühelos vonstattengeht, ist – du wirst es dir schon denken können – ebenfalls Koordination gefragt, also die reibungslose Zusammenarbeit der beiden Hemisphären. Diese Zusammenarbeit erfolgt übrigens über die ca. 300 Millionen Nervenfasern der Brücke, die die beiden Hirnhälften miteinander verbindet.
Gehirnkoordination generell können wir durch tägliche Bewegungsübungen zum Gehen und Joggen verbessern.
Und durch Übungen mit der liegenden Acht können wir gezielt das Überqueren der Mittellinie üben. Auch da gilt wieder: Diese Übungen sind sowohl Diagnoseinstrument als auch Trainingsmodul.
Die Übung selbst ist denkbar einfach erklärt, hat es aber durchaus in sich, wenn sie ausgeführt wird. Das sehe ich immer bei den Lehrerfortbildungen, wenn manche Kolleginnen fast einen Knoten in ihre Arme machen.
Stell dir vor, du hättest diese liegende Acht wie eine riesige Brille vor dem Gesicht, die Kreuzung liegt auf der Höhe deiner Nasenspitze. Mit deiner Schreibhand zeichnest du nun diese große liegende Acht in die Luft und zwar so, dass du in der Mitte jeweils aufwärts fährst und links und rechts an den Rändern abwärts.
Hier liegt bereits eine Schwierigkeit, denn die Acht soll in Aufwärtsrichtung gezeichnet werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die anzuführen hier zu weit ginge. Doch allein, wenn du siehst, wie gerade die Kinder mit Lernschwierigkeiten mit dieser Aufwärtsrichtung Probleme haben, dann ist schon daran abzulesen, dass wir hier ein lohnendes Trainingsziel haben. Denn im Idealfall sind für uns alle Blick- und alle Bewegungsrichtungen gleich mühelos auszuführen.
Fehlform: liegende Acht in Abwärtsrichtung
Beobachte dich selbst: Nicht wenige Lehrerinnen fallen mir in meinen Fortbildungen dadurch auf, dass sie hier ebenfalls Schwierigkeiten haben.
Weitere Fehlformen, die alle auf Probleme beim Überqueren der Mittellinie hindeuten:
Unvermögen, die Mitte zu kreuzen
Schaukelbewegung statt Achter
Kreisverkehr statt Achter
Liegende Acht in der Luft, einzeln mit beiden Armen, dann mit zusammengelegten Handflächen mit beiden Armen gleichzeitig
Liegende Acht auf quergelegtem A4- oder A3-Papier
Liegende Acht auf dem Boden aufkleben und nachgehen oder sehr großräumig auf dem Boden nachspuren
Liegende Acht aus Knete formen und nachfahren lassen, auch mit verbundenen Augen
Außerdem: Der Königsweg zum Korrigieren von Buchstabendrehern
Wenn für Kinder b dasselbe ist wie d, dann ist ihr Gehirn noch nicht imstande, die Wahrnehmung der Zeichen im Raum nur auf visuellem Weg richtig zu organisieren, das heißt: für sie sehen Bild und Spiegelbild gleich aus.6
Ihnen nur visuelle Hilfestellung zu geben genügt nicht, sie brauchen die räumlich-visuelle Verknüpfung. Die kannst du unter anderem mit der liegenden Acht vermitteln. Lege dir Blankoblätter mit einem Bild der Acht bereit und lass immer dann, wenn der Fehler auftritt, sofort einige Schwungübungen auf dem Achterblatt durchführen, bei denen der Buchstabe in die richtige Hälfte der Acht gezeichnet wird.
Es werden in der richtigen Richtung – aufwärts – mehrere liegende Achten auf der Blankovorlage geschwungen und wenn das Kind dann gut in Fahrt ist, erfolgt aus dem Schwung heraus das Schreiben des Buchstaben. Das d kann nur in die linke Hälfte hinein geschwungen werden. So wird die Raumlage nicht über die Augen, sondern über die Propriozeption verifiziert. Eine Verstärkung der Übung erfolgt, wenn das Ganze mit verbundenen Augen gemacht wird, das geht aber erst nach gründlicher Vorübung.
Hier wird das b in den Achterschwung eingebaut.
Das funktioniert auch mit Zahlen.
Alle Übungen zum Trainieren des Gleichgewichts sind zugleich Übungen zur Verbesserung der Lernfähigkeit.
Hier einige Beispiele:
Stehen auf einem Bein, die Hände über dem Kopf zusammenlegen und das Ganze 60 Sekunden aushalten
Stehen auf einem Bein und dabei einen Rhythmus nachklatschen
Stehen auf beiden Beinen, die Fingerspitzen vor dem Magen zusammenlegen, Augen schließen, um die Längsachse pendeln