Leute vom Lande - Ewger Seeliger - E-Book

Leute vom Lande E-Book

Ewger Seeliger

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Beschreibung

Leute vom Lande Schlesische Geschichten Von einer längeren Reise nach seiner Heimat Schlesien brachte der Erfolgsautor Ewger Ewald Gerhard Seeliger 1901 eines seiner ersten schlesischen Werke, Leute vom Lande, mit. Realistisch, aber dennoch liebevoll und sensibel, beschreibt Seeliger das Schlesien des 19. Jahrhunderts und seine Menschen. Die meist tragischen Novellen lassen uns teilhaben an deren Hoffnungen, Sorgen und Nöten. Wir erleben die Gewalt der Oder ebenso wie Lug und Trug, Hass und Neid und das Elend einer längst vergessenen Zeit: Die Bammelhäuser Gebrochen, nicht gebogen Der Prozessschneider Der tolle Leo Die Kohlen Der Schwarzritter Das Goldfässchen Stromab

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Ewald Gerhard Hartmann (Ewger) Seeligergeboren am 11. Oktober 1877 in Schlesien, zu Rathau, Kreis Brieg, gestorben 8. Juni 1959 in Cham/Oberpfalz, zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Zu seinen bekanntesten Werken gehört „Peter Voß der Millionendieb“. Seine schlesische Heimat beschreibt er in „Siebzehn schlesische Schwänke“, „Schlesien, ein Buch Balladen“, „Schlesische Historien“ und in vielen Romanen.

Seeliger wurde im Dritten Reich wegen Verunglimpfung des Nationalsozialismus und wegen seiner jüdischen Ehefrau aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und verlor damit sein Publikum. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs scheiterten Seeligers Versuche, seine Werke wiederaufzulegen. Er geriet so in Vergessenheit.

Leute vom Lande Inhaltsverzeichnis

1. Die Bammelhäuser

2. Gebrochen, nicht gebogen

3. Der Prozessschneider

4. Der tolle Leo

5. Die Kohlen

6. Der Schwarzritter

7. Das Goldfässchen

8. Stromab

Nachwort

1. Die Bammelhäuser

Die Oder ist eine unruhige Dame. Zweimal im Jahr, zur Schnee-schmelze und im Spätherbst spaziert sie aus ihrem Bett heraus und ergeht sich in den angrenzenden Niederungen auf ein paar Tage nach Herzenslust. Der triefende Saum ihrer Gewänder streicht längs der Deiche hin, ihre nassen Finger streuen reichlich weißen Sand und gelben Schlamm auf die Uferwiesen und Weidenpflanzungen, und ihre sonst so ruhig atmende Brust geht in tiefen, wilden Wellenschlägen. Ja, manchmal bringt sie ein tüchtiges Gewitter oben im Gebirge schon aus dem Häuschen, und die Jahre sind nicht gerade selten, in denen sie dreimal an den Deichen wühlt und spült.

Schwer ist es ihr nirgends gemacht; denn die Ufer sind niedrig und lassen sich mit einem kleinen Sprung erklimmen.

Aber zu ihrer Ehre muss gesagt werden, ihre Besuche dauern nur wenige Tage. Vielleicht weiß sie, dass man ungebetene Gäste nicht gern bei sich sieht, vielleicht auch bieten ihr die flachen, stillen, traurigen Ufer keinerlei Abwechslung, so dass sie schließlich von Langeweile gepackt wird und sich grollend in ihr Bett zurückzieht.

Über die Dämme schauen die roten Ziegeldächer und die spitzen Kirchtürme herüber und schneiden sich schadenfrohe Gesichter. Dann wird sie immer stiller und stummer und kleiner, und es scheint endlich, dass sie sich vor Scham unter die hängenden Uferweiden verkröche.

Gegenüber dem dichten Eichenwald, der bis an das Ufer heran seine Vorposten rückte, lag vor dem Damm ein großes Gehöft. Ein gewaltiges Wohnhaus, eine breite, wuchtige Scheune und ein paar Stallgebäude. Sie bildeten ein großes Mauerviereck, eine kleine Festung gegen die Wellen des empörten Stromes.

Die „Bammelhäuser“ nannte man sie in der Umgegend, und zwar wegen der Familie, die schon seit ein paar hundert Jahren darauf saß.

Weithin glänzten die Giebel über die Niederung, keine Erdwelle, kein Baum verdeckte sie.

Rings um das Gehöft her wogte ein Meer von schlanken, schmiegsamen Weidenruten. Traurig seufzte der Wind, wenn er durch sie hin strich.

Ein einziger, schmaler Fußweg führte vom Deich aus nach dem Gehöft hinüber und mündete in dem zerfallenen Hoftor. Überall wucherte kurzes, struppiges Gras, längs den Hauswänden ein wenig Unkraut, Löwenzahn und Hirtentäschelkraut. Die Dächer zeigten Löcher, die Mauern Spalten und Risse. Kein gackerndes Huhn, kein schnatterndes Gänschen, kein wütend bellender Hund begrüßte den Wanderer, der sich von ungefähr in diese Öde verirrte.

Leer, verlassen lagen die Häuser. Die Türen waren ausgehoben und planlos auf dem weiten Hof umhergestreut. Nur noch das gewaltige Scheunentor war an seinem Platz, aber es klaffte mitten auseinander, und seine Flügel hingen nur noch lose in den oberen Angeln.

Die Rahmen der Fenster waren zerbrochen, und ungehindert strich der Wind durch die verlassenen Wohnräume. Hier und da schlüpfte ein Feldmäuschen oder eine wilde Ratte über die Steinfliesen; ein Möwenschrei oben aus der Luft: sonst war es still.

Aus der Haustüröffnung kam ein alter gebückter Mann hervor, dessen Haupthaar wirr nach allen Seiten hing. Sein Gang war schleppend und sein Auge tot.

Der letzte seines Geschlechts!

Er setzte sich auf die Schwelle der Haustür und stierte vor sich hin. Die Verwüstung um sich her schien er nicht zu bemerken.

Ein kleines Mäuschen kam aus der Tür gelaufen, blieb kurze Zeit am Boden vor dem Alten sitzen und trabte endlich vergnügt in das viereckige Loch an der Hauswand hinein, welches früher als Hundehütte benutzt worden war. Eine eiserne Kette war in die Mauer eingelassen, und ihre letzten rostigen Glieder verloren sich im wuchernden Gras.

Der Alte erhob sich und ging nach dem Loch, beugte sich tief herunter, schaute hinein und rief mit lockender Stimme: „Leo!“

Aber er erhielt keine Antwort, und kopfschüttelnd murmelte er etwas in den Bart hinein.

Er schien es nicht zu wissen, dass er jeden Tag nach derselben Stelle ging und seinem Hund rief, schon lange, lange Jahre.

Aber auch dieser hatte ihn endlich verlassen, und er war allein geblieben, ganz allein.

Er saß schon wieder auf seinem Platz und wärmte sich in den müden Nachmittagsstrahlen der Herbstsonne die fröstelnden Finger.

Wie war das alles gekommen?

Schon mehr als zwanzig Jahre lagen dazwischen.

Damals war der Bammelhof die größte Besitzung in Birken, dem Dorf, welches über den Deich herüberblickte, und die Bammelbauern waren die reichsten und angesehensten in der Gemeinde.

Das Schulzenamt hatten sie fast immer inne, und das Dorf fuhr gut dabei; denn die Bammelbauern hatten harte Köpfe und setzten durch, was sie einmal wollten.

Damals lag das Gehöft aber noch nicht im Reich der Überschwemmungen, denn der Damm, welcher die Dorfgemarkung schützte, führte in einer scharfen Ecke um die abgelegene Besitzung des Bammelhofes herum und behütete sie mit. Das hatten sie damals durchgesetzt in der Gemeinde.

Aber einst rissen die Frühjahrsfluten die Ecke des Dammes hinweg. Die mächtigen Eisschollen prallten dagegen und pflügten die Erde des Deichs Scholle für Scholle in den Strom.

Ehe man es dachte, brach die Flut herein und überschwemmte das ganze Land.

Die Bammelhäuser wurden von den Wassern zuerst erfasst, und dabei verlor der Bauer Weib und Kind. Er stand oben auf dem Damm und kommandierte die Dorfleute, die mit Schaufel und Gabel den Damm zu halten suchten.

Ein Schrei, der ihm noch heute in den Ohren lag, gellte über die fressenden Wogen herüber. Der Bauer griff sich ans Herz und brach zusammen.

Der Schaden, den das Wasser auf den Feldern angerichtet hatte, war sehr groß. Die Wintersaaten waren verdorben, die Äcker versandet und an den tiefer liegenden Stellen blieb das Wasser eigensinnig stehen und ließ sich von der Sonne auflecken.

Der Bammelbauer erbot sich, den Damm auf eigene Kosten wieder herstellen zu lassen und vor die gefährdete Stelle einen Streichdamm zu setzen; aber dabei stieß er zum ersten Mal auf Widerstand.

Was jetzt geschehen war, konnte in zwanzig Jahre wieder eintreten, und dann wäre der Schaden wieder da, so meinten einige.

Der Damm muss verlegt werden!

Darüber schienen alle die anderen einig zu sein.

Aber wohin?

Ganz dicht beim Bammelhof vorbei, dann ist die Ecke nicht mehr da, und das Wasser hat keinen Punkt, wo es anpacken kann. Der Bammelbauer verliert zwar etwas Ackerland, aber er kann die Strecke mit Weiden bepflanzen, das bringt eine ganze Menge Pacht ohne Arbeit.

Der Bammelbauer erhob Protest.

Da meinte der Tischlermeister, der dem stolzen Bauern nicht gut gesinnt war, weil er sich nicht tyrannisieren lassen wollte, wie er sagte. Er war weit in der Welt herum gewesen und wusste Bescheid, wie es anderswo zuging. Der Deich müsste in gerader Linie fortgeführt werden, dann brauchte er nur den Wasserdruck, aber nicht den Stromdruck auszuhalten.

Das leuchtete allen ein und sie nickten eifrig Beifall.

Der Bammelbauer wurde wild; denn er wäre durch diesen Damm einfach ausgeschlossen worden.

Aber der Tischler machte den anderen klar, dass der Vorteil des ganzen Dorfes vorginge und dass man sich nicht um den Einzelnen kümmern dürfte.

Er könnte ja den alten Deich für sich selbst ausbessern, hatte man ihm geraten.

Ein paar bebrillte Herren von der Regierung kamen und nahmen die Stelle in Augenschein, hießen den Beschluss gut und schätzen den Schaden ab.

Noch im selben Jahr setzte man den neuen Deich. Da es an Erdboden mangelte, trug man den alten Deich ab.

Um die Besitzung des Bammelbauern herum begann ein geschäftiges Karren und Fahren und Spatenstechen. Und jeder Stich, der in den alten Deich getan wurde, riss ein Stück des Innern des Bauern mit fort.

Bereits im Herbst kam dann die erste Überschwemmung. Sie fand die Räume des Bammelhofes leer, die Felder mit Weidenstecklingen bepflanzt und in dem Bauern einen frühzeitig gebrochenen Mann.

Er hatte keine Arbeit, keine Familie, keine Freunde mehr. Das einzige Wesen, welches er bis heute noch liebte, sein Hund, war vor ein paar Jahren in den Wellen umgekommen. Und seitdem rief er ihn jeden Tag vergeblich.

Der Alte stand langsam auf und stieg die Treppe zum Boden empor. Hier hauste er, von den Menschen verlassen.

Nur einmal in der Woche, am Sonnabend, bekam er Besuch. Ein altes Mütterchen, eine entfernte Verwandte, brachte ihm, was er brauchte. Und er brauchte sehr, sehr wenig.

Er war nicht arm, das Land draußen arbeitete für ihn, ohne dass er seinen Finger zu krümmen brauchte, und den ersten Tag in jedem Vierteljahr kam der Briefträger über den Damm herüber und brachte ihm die Pacht. Im Frühjahr erschienen dann die Arbeiter, hieben die Weidenruten ab, banden sie zusammen, und dann blieb es den Sommer über ganz still, höchstens verlor sich einmal der Klang einer Sense oder der Knall einer Büchse in die Einöde.

Das alles ging an dem Alten spurlos vorüber, er sah und hörte nichts mehr.

Und doch schaute er von früh bis spät aus dem Giebelfenster auf sein Land hinaus, und doch wanderten seine Blicke wohl hundertmal an einem Tag von dem Damm bis hinüber zum Strom, vom Dorf bis hinüber zum Wald.

Bewimpelte Kähne und Schleppdampfer mit flatternden Rauchfahnen zogen fast lautlos den Strom ab und auf.

Nur hin und wieder hörte er das dumpfe Zornbrüllen der Dampfsirenen hinter der Waldbiegung herüberdröhnen.

Der Wald färbte sich und die Herbstflut kam. Der Bauer blieb in seinem Haus. Er wurde zur Zeit der Überschwemmung immer unruhiger, unsteter. Zuletzt lief er mit kurzen, hastigen Tritten in dem öden Bodenraum umher, riss die Fenster auf, steckte seinen Kopf weit hinaus und sog die nasse Luft, die von den flutenden Wellen emporstieg, mit Behagen ein.

Er schaute scharf nach rechts, scharf nach links, prüfte die Höhe des Wasserstands an der Ecke der Scheune, die ihm schon immer als Pegel gedient hatte, warf das Fenster klirrend in den Rahmen und lief wieder hin und her, wie von einer geheimen Unruhe gepackt. Den Höhepunkt erreichte seine Erregung, wenn er bemerkte, dass das Wasser anfing zu sinken. Dann stürmte er den Lehmboden der Hausdecke auf und ab, focht mit den Armen in der Luft herum und bewegte seine Kiefer, als gälte es etwas Hartes zu zermalmen. Zuletzt griff er nach einem großen, spitzen Spaten, der einsam in der Ecke lehnte, und wollte die Treppe hinab. Hier wurde er jedes Mal von den Wassern aufgehalten. Er starrte wortlos auf die schmutzigen Fluten, die leise an die hölzernen Treppenstufen plätscherten und platschten, und stieg müde und gebeugt die Treppe wieder hinan.

Vorsichtig stellte er den Spaten in die Ecke, schwankte nach seinem Bett und sank hüstelnd, fiebernd hinein.

Nach ein paar Tagen hatte sich das Wasser verlaufen; der Anfall war vorüber, und der Bauer unternahm wieder seinen gewöhnlichen Nachmittagsspaziergang nach dem Mauerloch.

Der Winter brachte großen Frost und sargte die unruhige Oder auf ein paar Wochen ein, dass sie sich weder rühren noch regen konnte.

Durch den Eichwald erbrauste das Gebrüll des Nordwindes. Fußhoher, meterhoher Schnee lag überall; an den Mauern des einsamen Gehöftes türmte er sich empor. Die verlassenen Räume hatte er mit glänzenden, weißstrahlenden Fresken prächtig ausgemalt.

Der Bauer verbrachte die Zeit des Winters fast nur im Bett, denn eine Vorrichtung, den großen Bodenraum zu heizen, war nicht vorhanden, hätte auch gewisslich wenig genützt.

Der Alte lag dann ruhig in den dicken, mit blauer Leinwand überzogenen Federbetten und starrte unablässig nach dem First seines Dachs empor.

Sobald er aber den ersten warmen Wind verspürte, der kräftig genug war, den Schneemassen den Krieg zu erklären, erhob er sich von seinem Lager und wartete auf die Flut.

Und sie kam auch dieses Jahr wie die vorhergehenden Jahre. Die erste Welle brach die Eisdecke mit einem wilden Knall nach oben, dass sie bald in tausend und aber tausend Schollen stromab trieb.

Der Fluss stieg zusehends, und viel früher, als es der Bammelbauer erwartet hätte, war er von den wühlenden Wellen eingeschlossen.

Die Deichwachen zogen auf ihre Posten. In der Entfernung von etwa hundert Metern standen immer zwei Männer, einer mit der Schaufel, der andere mit der Gabel bewaffnet.

Die Flut wuchs und wuchs. Dazu trieb ein scharfer Nordwestwind den Fluss empor und wühlte in den Wellen und Eisschollen herum, dass es sprühte und zischte.

Am nächsten Morgen stieg das Wasser noch immer. Nur noch einen halben Meter höher, und es würde über die Dämme hinweg fegen!

Der Strom stand auf einmal still, die Eisschollen, die bis dahin in geradem Schuss daherkamen, verloren jetzt die Richtung und die Kraft des Wurfes und steuerten planlos hin und her, herüber und hinüber.

Manche führten auch wohl einen stillen Tanz in einem kleinen Strudelloch. Die großen Eisflächen lagen still wie verankert.

Und dabei stieg die Flut von Minute zu Minute.

Der Bammelbauer sah heute viel länger zum Fenster hinaus als früher. Er rechnete aus: Noch eine halbe Stunde, und die Wasser erreichen den Kamm des Deiches.

Ihm konnte das Wasser nichts tun; er war ja in den langen Jahren sein guter Freund geworden. Er hatte ihm ja auch die ganze Besitzung zur Benutzung überlassen.

Auf dem Damm entstand ein Rennen und ein Treiben. Peitschengeknall und Rädergerassel, Pferdegetrappel und Kutscherflüche wurden laut und tönten über die stumme Eisfläche herüber.

Das Eis hatte sich ein paar hundert Meter abwärts zusammengestaut, es war zwischen den beiden Ufern wie in einem Sack hängen geblieben und konnte nicht weiter.

Und dabei stieg die Flut immer höher und höher.

Tausend Hände regten sich auf dem Deich. Sandsäcke, Erdboden, Ackerschollen, Strohdünger und Feldsteine schleppten sie auf den Damm herauf, um denselben damit zu erhöhen.

Der Bauer starrte hinüber, wortlos, bewegungslos, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ob sie ihn wohl halten würden?

Und immer höher stieg es, langsam, aber stetig.

Schon waren die Fluten an einzelnen Stellen über den Damm gestiegen, und nur die eiligst aufgeworfenen Schanzen vermochten sie noch zurückzuhalten, für wenige Minuten.

Auch im Bammelhof sah man das Steigen des Wassers. Ein paar Stalldächer hatte die Flut schon abgetragen. Mit Gekrach hatten sich die Flügel des riesigen Scheunentors aus den Angeln gerissen.

Die ersten Wellen leckten schon die oberste Treppenstufe und fraßen aus dem Lehm der Diele. Der Bauer bemerkte es nicht.

Wie gebannt blickte er nach dem Deich hinüber.

Man winkte ihm, - brachte ein Boot herbei und stieß ab. Der Raum zwischen Deich und Gehöft war fast frei von Eis; nur kleine zerbröckelte Schollen schwammen dort umher.

Knirschend fraß sich das Boot, von acht kräftigen Fäusten getrieben, einen langen, offenen Gang in das weiße, schneeige Eis.

Der Bauer ließ sie ruhig heran kommen und verharrte in seiner vorigen Stellung.

Unterhalb des Fensters legte das Boot an.

Einer im Boot winkte ihm.

Als Antwort schloss der Bauer polternd das Fenster und ging zornig nach hinten.

Ein anderer klopfte noch einmal mit dem Bootshaken an das Fensterkreuz.

Aber es blieb still.

Da zogen sie wieder ab, unverrichteter Sache.

Sie hatten getan, was sie konnten, damit trösteten sie sich.

Mit dem alten Starrkopf war nichts anzufangen.

Schon begannen die Schollen von der Stelle zu rucken. Die im Boot sputeten sich hinüberzukommen.

Langsam, ganz langsam setzte sich das Eis in Bewegung; irgendwo musste sich ein kleines Loch aufgetan haben.

Und ganz leise, langsam sank die Flut.

Die auf dem Damm atmeten auf; sie hatten gesiegt. Viele gingen zum Dorf zurück.

Der Bammelbauer sah das Fallen des Wasserspiegels mit Ingrimm. Wie rasend riss er den Spaten aus der Ecke und wollte hinaus, hinüber.

Seinem Freund, dem Hochwasser, wollte er zu Hilfe kommen. Aber schon bei der Treppe hielt er inne.

Und plötzlich fiel das Wasser mit solch unheimlicher Geschwindigkeit, als hätte es ein Abgrund in den Bauch der Erde hinabgeschluckt.

Die Eisstauung hatte sich durch den Druck des Wassers gelöst, und mit zügelloser Wucht stürzten die Wellen des Stroms zu Tal. Pfeifend strichen die Schollen daher. Hastiger und wilder wurde ihre Wut.

Da fuhr eine gewaltige, dunkle Eisscholle, so groß wie eine Ackerfläche, mit Rauschen und Knistern daher, gerade auf die Bammelhäuser zu. Sie überholte alle die anderen, kleineren, welche mit ihr schwammen. Wie ein scharfes Riesenmesser schnitt sie mitten durch das Gehöft hindurch.

Mit ein paar Mauerstücken und einigen Dachresten beladen drehte sie sich auf der Stelle, an welcher die Bammelhäuser gestanden hatten, langsam um sich selbst und schoss pfeilschnell hinab.

Neue Schollen rollten über das Grab dahin, das Grab des letzten Bammelbauern.

2. Gebrochen, nicht gebogen

Der Frühlingswind war schon lange unterwegs und kämmte den schlanken Birkenstämmchen der Landstraße die wehenden Haare. Jeden Tag wurden sie schwerer und schwerer von knospenden Geheimnissen.

Und eines Sonntags, ganz in der Frühe, als die Sonne über dem goldnen Waldrand emporstieg und die erste Lerche ihre Lust in den funkelnden Himmel hineinjauchzte, da hatte sich jede Birke über Nacht eine nagelneue, grüne Haube aufgesetzt, die von tausend und abertausend Spitzchen und Kräuschen flirrte und schwirrte. Der Frühlingswind fasste sie seitdem nur noch ganz sacht am Kinn, oder strich ihnen höchstens über die leuchtenden Wangen, so große Ehrfurcht hatte er plötzlich vor ihnen bekommen.