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Beschreibung

Die Literaturzeitschrift Lichtungen erscheint vier Mal im Jahr und hat ihren Redaktionssitz seit 1979 in Graz. Jede Ausgabe widmet sich einem internationalen Schwerpunkt und zeitgenössischer Literatur. Lichtungen 175 versammelt neue Literatur aus Slowenien. Weiters finden Sie Teil 16 der Reihe »Poesie an unvermuteten Stellen« von Clemens J. Setz, neue Gedichte von Oleh Kotsarev aus dem Ukrainischen, Anna Silbers Text »Das neue Leben« (Emil-Breisach-Preis 2022) sowie eine Auswahl von Lyrik, Prosa und Essays.

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Seitenzahl: 129

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Editorial

Manchmal ist das Zeitschriftenmachen ganz einfach. Dann zum Beispiel, wenn die beste Mitarbeiterin von allen, Daniela Kocmut, in dem Land geboren wurde, um dessen Literatur sich diese Ausgabe schwerpunktmäßig dreht. Slowenien ist Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, wir nehmen das zum Anlass, nicht nur bekannten Schriftsteller:innen der slowenischen Literatur, sondern auch Nachwuchsautor:innen „in den Startlöchern“ Raum zu geben, und bedanken uns recht herzlich bei Natalija Milovanović, die geholfen hat, eine fulminante Auswahl zu erstellen. Ein Merkmal der slowenischen Literatur ist die starke Fokussierung auf Lyrik, schreibt sie, und dass es in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana jede Woche mehrere Lyriklesungen gibt. Da hat Slowenien Österreich etwas voraus.

Der internationale Schwerpunkt erstreckt sich diesmal auch über den essayistischen Teil. Im Kunstteil finden Sie einen interdisziplinären Beitrag rund um Hans-Jürgen Poëtz’ und Lea Titz’ Auseinandersetzung mit einem Thema, das feuilletonistisch sträflich vernachlässigt wurde: dem Schnarchen.

Wir hoffen, Sie haben an dieser Ausgabe genauso viel Freude wie wir!

Andrea Stift-Laube

Inhalt

EDITORIAL

POESIE AN UNVERMUTETEN STELLEN – Eine Serie

Clemens J. Setz

Regieanweisungen in der Hölle (Folge 16)

Literatur

Oleh Kotsarev

Gedichte

Elke Steiner

Miniaturen

Luca Kieser

Dreck

Emil-Breisach-Preis 2022

Anna Silber

Das neue Leben

SCHWERPUNKT: LITERATUR AUS SLOWENIEN

Daniela Kocmut und Natalija Milovanović

Einleitung

Esad Babačić

Alles fällt vom Himmel

Petra Bauman

Weiß

Ajda Bračič

Škrlatica1

Nina Dragičević

Tante Janja

Petra Kolmančič

Die Bärin

Miha Mazzini

Avro Lancaster

Ana Pepelnik

das erzählt niemand

Gregor Podlogar

Auf der Zunge des glitzernden Tages

Arjan Pregl

Miniaturen

David Šalamun

Ein Märchen

Kunst

Zeitkritik / Essay

Drago Jančar

Auf Flanderns Feldern

Tamara Štajner

lyrikpartitur #7

Goran Vojnović

Was wusste Urgroßvater Leon?

Kurzbiografien

Gutes von Gestern

Vorschau

Impressum

Poesie an unvermuteten Stellen – Eine Serie

Clemens J. Setz

Regieanweisungen in der Hölle (Folge 16)

Wie die meisten Menschen weiß ich nie, in welcher Gehirnstimme ich Regieanweisungen in Theaterstücken lesen soll. Es sind so eigenartig unsichtbare Gebrauchstexte, die, obwohl oft wunderschön formuliert, eigentlich nie laut erklingen oder mit sprachgenießerischer Aufmerksamkeit gelesen werden sollen. Gleichzeitig werden sie ernster genommen als andere Texte, denn sie werden direkt verwandelt in Handlungen und Situationen. Manchmal lesen sie sich wie ausführliche Beschreibungen in einem Roman, wie etwa bei Eugene O’Neill, manchmal freudlos-technisch und rein geometrisch wie beim späten Beckett:  

(Quelle: Beckett, „Was Wo“, in: Szenen, Prosa, Verse, Suhrkamp)

Das, was mich mit der eigenartigen Zwischenstellung von Regieanweisungen versöhnt, sind die Musikstücke von Christian Wolff. Er gehört der New York School um John Cage und Morton Feldman an, manche sehen ihn als ihren letzten lebenden Vertreter. Er schrieb 1968 bis 1971 etwas, das er Prose Collection nannte: Musikstücke, die nur aus Vortragsideen bestehen, nicht aus konventioneller Notenschrift. Es sind die beglückendsten Regieanweisungen, die je verfasst wurden. Seit den 50er Jahren führte Wolff etwas in die Musik ein, was Cage schon in gewisser Weise vorbereitet hatte: die Haltung der Musiker als Computerspieler. Sein Werk wurde einem breiteren Publikum bekannt, als Sonic Youth zwei seiner interessantesten Stücke für ihr Album Goodbye 20th Century aufnahmen, „Burdocks“ und „Edges“. Beide dieser Stücke verwenden graphische Notationen sowie auf die einzelnen Spieler verteilte Vortragsideen. „Burdocks“ besteht aus verschiedenen Zetteln, die verteilt werden. Auf manchen befindet sich eine musikalische Phrase, auf anderen stehen in Prosa formulierte Aufforderungen, auf einem Zettel steht sogar nur ein einzelnes Wort: „flying“, ohne weitere Erklärung für die musikalische Umsetzung. Oder das unglaublich schöne Duo for Violinist and Pianist (1960 für Kenji Kobayashi und David Tudor geschrieben), wo Vortragsbezeichnungen sich wie Beschreibungen von Spielstrategien lesen: „Der eine Spieler beginnt mit einem Klang und hält ihn so lange, bis er einen zweiten vom anderen Spieler hört (ohne zu wissen, wann dieser ertönen wird).“ Die verschiedenen gegeneinander oder miteinander aufrufbaren Strategien führen gelegentlich auch unmögliche Aufführungssituationen zutage, etwa wenn „ein Spieler seine Klänge produziert und nicht aufhören soll, bevor der andere einsetzt, während dieser nicht anfangen soll, bevor der andere sein Spiel beendet hat“. An so einer Stelle könnte, so die Liner Notes, dann das Stück aufhören.

Christian Wolffs Musik macht mich so glücklich, dass es mir fast scheint, als hätte ich ihn mir ausgedacht. Ein traditionelles Musikstück vom Blatt zu spielen, fühlt sich an, als spielte man ein Jump-’n’-Run-Game. Man läuft von links nach rechts, da kommt ein Abgrund, okay, wir springen über den Abgrund, geschafft, und nun kommt ein Stein, davor müssen wir kurz stehen bleiben, und nun klettern wir auf den Stein, auch das geschafft, und so weiter. Aber wie arm und langweilig wäre die Welt, wenn es nur dieses eine Genre Jump ’n’ Run gäbe. 

Hier Wolffs Stück „Steine“ aus Prose Collection: 

Steine

Erzeuge Klänge mit Steinen, aus den Steinen heraus; benutze dabei verschiedene Größen und Arten (und Farben). Die Klänge meist für sich selbst stehend, manchmal aber auch in schneller Abfolge. Zumeist Stein auf Stein schlagen, aber auch Stein auf andere Oberflächen (zum Beispiel im Inneren einer offenen Trommel) oder anders als geschlagen (zum Beispiel gestrichen oder verstärkt). 

Nichts zerbrechen.

Dieses letzte „Do not break anything“ sollte eigentlich in den meisten Theaterstücken der Welt stehen, an irgendeiner kleinen Stelle. Zum Beispiel könnte es direkt auf die berühmteste Regieanweisung der englischen Literatur folgen, welche lautet: „Exit, pursued by a bear.“ Sie findet sich in William Shakespeares The Winter’s Tale. In diese eine Regieanweisung, die zuerst nur aufgrund ihrer Kuriosität und Komik auffällt, ist auch die Grausamkeit einer ganzen Epoche eingeschrieben, da einiges dafür spricht, anzunehmen, dass Shakespeare einen echten Bären aus den Londoner „bear pits“ verwendete. Vielleicht verwendete er auch einen Schauspieler in einem Bärenkostüm. Einige Gelehrte meinen, dass diese Regieanweisung gar nicht von Shakespeare selbst, sondern von einem der Schauspieler später eingefügt wurde. Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall findet sich eine Erwähnung eines seinerzeit sehr berühmten Kampfbären namens Sackerson in den Merry Wives of Windsor. Sackerson muss es wohl wirklich gegeben haben, da dessen Name dem damaligen Publikum einBegriff war.

Bear-Baiting war eine beliebte Freizeitgestaltung für große Teile der europäischen Bevölkerung. Ein Bär wurde dabei in einer Arena an einen Pfahl gebunden, worauf Hunde oder andere Tiere auf ihn gehetzt wurden. Über den Ausgang des Überlebenskampfes der Tiere wurden Wetten abgeschlossen. Am 13. Januar 1583 brach die Bear-Baiting-Schaubühne, die am Südufer der Themse gestanden hatte, in sich zusammen. Sieben Menschen wurden getötet und viele andere verwundet. Aus Berichten über dieses Unglück erfährt man, dass die Bauart dieser Bühne durchaus ähnlich war wie die von Shakespeares Globe Theatre. Auch über letzteres wissen wir viel aus Berichten über ein Unglück, nämlich einen Brand im Jahr 1613. Die Bear-Baiting-Arena befand sich in der Nähe des Globe und beide standen, wie man annehmen darf, in direkter Konkurrenz um Publikum. In Henry V vergleicht sich der titelgebende Held an einer Stelle mit einem „Jackanape“, d. h. einem Affen, der zur Freude des Publikums auf den Rücken eines Pferdes gebunden und dann von Hunden gejagt wird. 

Wenn man in alte Regieanweisungen hineinzoomt, betritt man die wunderlichsten Planeten. In Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus findet sich meine liebste Regieanweisung aller Zeiten. Sie lautet: „Das österreichische Antlitz erscheint.“ In der Szene gehört dieses österreichische Antlitz einem Fahrkartenschalterbeamten. Ein Zug hat gewaltige Verspätung und als er endlich doch kommt, ist der Schalter dummerweise geschlossen. Es werden Rufe laut: 

Rufe: Was is denn?! – Aufmachen! – (Der Nörgler schlägt mit dem Stock auf den Schalter.) So is recht!

(Der Schalter geht in die Höhe. Das österreichische Antlitz erscheint. Es ist von außerordentlicher Unterernährtheit, jedoch von teuflischem Behagen gesättigt. Ein dürrer Zeigefinger scheint hin- und herfahrend alle Hoffnung zu nehmen.)

Das österreichische Antlitz: Wird kane Koaten ausgeben! Wird kane Koaten ausgeben!

(Murren, das sich zum Tumult steigert. Es bilden sich Gruppen.)

Ein Eingeweihter: Kummts, i zeig enk ein Hintertürl! Da brauch ’mr überhaupt kane Koaten! (Alle ab durch das Hintertürl.)

Woher kam diese Bezeichnung? 1917 veröffentlichte Karl Kraus in seiner Fackel einen Artikel mit dem Titel „Das österreichische Antlitz“. Er beschreibt darin einen gewissen Mendel Singer, einen kugeligen, heiteren Parlamentsberichterstatter, über den Anton Kuh schrieb, er sei ein Mann, „der in schlapfenden, bleischweren Stiefeln seinen zurückgelehnten Würdenrumpf nach vorn trug; er schritt mit steil gradaus gerichtetem Gesicht, wie ein Mensch, dessen man innerhalb eines Tages nur fünf Minuten lang auf dem Weg vom Arbeits- ins Konferenzzimmer habhaft werden kann und dem sich nunmehr von links und rechts rasch gestammelte Bitten anhängen; der Bauch zog ihn wie ein Gespann; den Kopf bedeckte ein Hauskäppi, und die Hände fielen so lässig-tatenbereit die Hüften abwärts, als hielte er in ihnen eine Bahnhofsglocke, um alle parlamentarischen Stationen von ‚Mißbilligungsantrag, Geschäftsordnungsausschuß, dritte Budget-Lesung über Ministeranklage nach Reichsuntergang‘ auszuläuten.“ 

Aber dies ist nicht das einzige, nicht das eigentliche „österreichische Antlitz“ in Karl Kraus’ Werk. Eigentlich gehört es Josef Lang, dem letzten Henker von Wien, genauer: seinem Gesicht auf einer bestimmten Fotografie, die 1916 gemacht wurde und die diesen mit einem eben hingerichteten Menschen zeigt. Es ist ein fürchterliches Bild. Lang sieht aus wie ein stolzer, pausbäckiger Jahrmarktsausrufer. Und eine Gruppe von Soldaten steht lachend um den lachenden Henker. Das ungewöhnlich freudequellende Gesicht Langs lässt sich, anders als das automatische Lächeln der Soldaten, nicht einmal ausschließlich mediengeschichtlich erklären. Wie man weiß, hatte sich die Erfindung der Fotografie damals erst vor kurzem im kollektiven Gedächtnis Europas eingenistet, und man wusste aufs Fotografiertwerden nicht anders zu reagieren als mit Lächeln. Noch ahnte man ja nicht, was genau einem da entzogen oder abgesaugt wird, wenn der Fotograf auf den Auslöser drückt und der Blitz losgeht. Langs stolzpralles Heurigenlächeln suchte Karl Kraus über viele Jahre heim. Er beschrieb das Lächeln immer wieder und wählte das Bild sogar als Frontispiz für die Erstausgabe der Letzten Tage der Menschheit aus. Das Bild ist eines aus einer Serie und zeigt den wegen Hochverrats hingerichteten österreichischen Reichstagsabgeordneten Cesare Battisti, der von Lang garottiert worden war. Er war einer der sog. Irredentisten, die für die Unabhängigkeit Triests eintraten. Er wurde 1916 nach Kämpfen von der österreichischen Armee gefangen. Zu seiner Hinrichtung reiste Josef Lang extra aus Wien an. Wie eine Aufnahme zeigt, waren unter dem fast ausschließlich aus Soldaten bestehenden Publikum der Hinrichtung Battistis auffallend viele mit Fotokamera.

Die Leute können bekanntlich nichts dafür, wie sie aussehen. Aber sie können sehr wohl was dafür, wie sie dreinschauen. Karl Kraus’ Beschäftigung mit dem österreichischen Antlitz ist keine physiognomische Studie, sondern die Untersuchung eines bestimmten Blicks. Dieser ist treuherzig, kindlich und zugleich abgeklärt-erwachsen. Wer ihm begegnet, darf mit gutem Recht annehmen, dass es „aus ist“, dass keine Gesuche, Einwände oder Verteidigungsreden mehr angehört werden. Josef Lang, der als Assistent des vor ihm wirksamen Wiener Scharfrichters begann, ließ sich selbst eines Tages von seinem eigenen Assistenten garottieren, um zu sehen, ob diese Hinrichtungsart angenehm oder qualvoll sei. Sein Urteil lautete hinterher: sehr angenehm. Denn im Moment, da ihm die Luft durch die eng gedrehte Schlinge abgeschnitten wurde, hörte er „Orgelklänge und Gesang“. Auch soll sich ein Selbstmörder, den Lang vom Strick abgeschnitten hatte, hinterher bei ihm beklagt haben, ihm angenehme Visionen geraubt zu haben. Wie immer man zu solchen Behauptungen stehen mag, klar ist, dass Lang sein Henkershandwerk gern und mit ruhiger Seele ausführte. Er wusste auch um die enorme Faszination, die sein Beruf auf das Volk ausübte. In seinen 1920 erschienenen Memoiren lesen wir:

Es gibt eine große Menge Menschen – mehr als man füglich meinen sollte – die schon erotische Triebe erwachen fühlen, wenn sie Bilder betrachten, die Grausamkeiten darstellen und die sich sexuell angeregt fühlen, wenn sie nur Schilderungen und Abbildungen von Justifikationen und grausamen Lustmorden vorgesetzt bekommen. Diese Leute versprechen sich gesteigerte Befriedigung vom tatsächlichen Anblick einer leibhaftigen Hinrichtung, und so war der Andrang von Leuten, die einem Justifikationsakt beiwohnen wollten, stets ein horrender.

Für Karl Kraus war das Foto vom glänzend schnurrbärtigen Henker, der seinen Delinquenten am Garottierbrett wie eine feine Tuchware anzupreisen scheint, das „Gruppenbild des k.k. Menschentums“ bzw. „der Skalp der österreichischen Kultur“. Und ihn wunderten auch die sich bereitwillig dem Auge anderer Kameras darstellenden Schaulustigen und Soldaten, die so selbstverständlich lächelten. Sie ergaben keinen Sinn, denn jeder musste doch wissen, dass dies vom Feind als Propaganda gebraucht werden konnte. Etwas in den Schaulustigen musste stärker gewesen sein als die vorausdenkende Vernunft. Und selbst heute sind diese Gesichter in der Bildserie nicht ohne Wiedererkennungswert zu betrachten. Es bestand ja kein Grund, dass sie aussterben. Man findet sie immer noch überall, in Wien, in Graz, auf dem Land, sogar in wenig besiedelten Bergregionen. Ihre Besitzer sahen nicht immer so drein, aber seit einiger Zeit können sie’s wieder. Sie erkennen einander an dem Blick. Und sie werden bald auf neuen Abbildungen zu sehen sein.

Literatur

Oleh Kotsarev

Gedichte

Aus dem Ukrainischen von Irina Bondas

GRAUE RUTSCHE

die wahl des fotomotivs

für die international community –

welche der beiden von russland zerstörten

rutschen

auf denen die kinder nach alldem weiterspielen

liegt auf der hand

die gelbe spiralrutsche aus plastik

passt entschieden besser als

die graue gerade aus metall

farbe spannung katharsis was will man mehr

natürlich knipsen wir

diese

verzeih graue rutsche

heute war nicht dein tag

weißt doch selbst

graue rutsche

so sind wir nicht

so ist das leben

WIR VERSPRACHEN UNS

KEINE GEDICHTE MEHR VOM LUFTALARM

ZU SCHREIBEN

wir lasen im park

gedichte von irgendeinem avantgarde-lyriker

der name ist mir entfallen

tranken cider dann ging

der luftalarm los

in die universitätsgebäude ließ man niemanden rein

die geschäfte schlossen

obwohl die sonderangebote weiterhin galten

wir mussten runter

in die öffentlichen toiletten

knutschten vor strahlern

spiegeln und kacheln

wir versprachen uns keine gedichte mehr

vom luftalarm zu schreiben

machten musik mit dem wasser

die trinkgeldschale der toilettenfrau

stellte sich als magnetisch heraus

setzten sie uns auf

und die münzen rutschten unsere haare hinunter

wie juwelen

an einer skythenprinzessin

UNS BRAUCHT KEINER

die sirene und ich gingen gleichzeitig los

ich vor die tür

sie vom himmel runter

eingefärbt vom lokalkolorit

hielt ich einen topf mit veilchen

wir vereinigten uns magisch

doch keiner beachtete uns

doch keiner sagte

oh so schön absurd

keiner spottete gereizt

was für ein trottel mit blume

warum röhrt diese scheiße schon wieder

keiner schrie

mama hab angst

selbst das liebesspiel

der aprilhunde

hatte mehr

publikum

Elke Steiner

Miniaturen

hier ist eine klackerstadt entstanden, klingt als rissen sich die pferde aus den hufen, banker aus den budapestern, stöckelton für ton auf stock im eisen, knochenharter boden diese basis für den angesagten rausch (kauf drei zahl zwei) oder hat sich eine krankheit über die gassen gelegt, gassenhautkrankeit, wie das verschwinden von erdfleisch oder vergessen, eine art wasserdemenz, hat sie befallen, vor längerer zeit schon (ich teile das leid mit den wenigen käfern, wir kratzen uns die fühler wund, wir fühlen keinen humus), hat die stadt überzogen, gut betoniert, aber immerhin immunisiert, gegen alle arten von pflanzen, wer bin ich, wenn ich sie suche, die erde, das feuchte? läge ich auf dem pflaster, hier, mitten im zentrum und zweifelte, schabte, zwischengrund suchend, weinte ich einem wasser nach, man würde mir, und da wette ich, man würde mir eine plastikflasche reichen, evian, mon amour, beruhige dich doch!

wenn du kommst, bitte: bring eine schere mit, wir könnten gemeinsam, eine art schattenriss, das schwarz aus der hitze der stadt schneiden, straße für straße, speziell sommers und speziell die coupés, karossen und suvs, aber auch kleinere tiere wie enten und pandas, aufgefädelt entlang aller routen, wie tausende heizstrahler, welche die sonne multiplizieren, auto mal auto, wir falten zusammen, wir schneiden mit angehaltenem atem, beim auseinanderfalten wie zufall ergibt sich ein axialsymmetrisches bild, in die entstandenen löcher pflanzen wir pappeln