Liebe - wie im Märchen - Michelle Reid - E-Book

Liebe - wie im Märchen E-Book

Michelle Reid

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Beschreibung

Die Millionärstochter Evie und Scheich Raschid sind das Traumpaar der Boulevardpresse, ihre Familien allerdings finden diese Affäre äußerst unpassend - und kennen nur ein Ziel: Evie und Raschid müssen sich trennen! Aber so leicht lässt Evie sich ihr Glück nicht nehmen …

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Seitenzahl: 198

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IMPRESSUM

Liebe – wie im Märchen erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Michelle Reid Originaltitel: „The Mistress Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1312 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Irmgard Sander

Umschlagsmotive: Goldmund Lukic/Thinkstock

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733735920

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Es wurde allmählich spät. Schon fast zu spät, als dass man noch ausgehen konnte.

Trotzdem war Evie keine Verärgerung anzumerken, als sie am Fenster stand und auf die funkelnde nächtliche Silhouette von London blickte. Schließlich war es nichts Ungewöhnliches, dass ihr Geliebter sie warten ließ. Die Pflicht stand für ihn vor allem anderen in seinem Leben.

Das schloss auch seine Geliebte ein. Mochte sie auch noch so schön sein und ihm sehr viel bedeuten – wie er ihr immer wieder versicherte –, so wusste Evie doch, dass sie in seinem Leben stets hinter seinen Pflichten den zweiten Rang einnehmen würde. Also stand sie am Fenster des Salons in seinem luxuriösen Penthouse-Apartment wie eine kostbare Porzellanpuppe, eingehüllt in sinnliche weinrote Seide, und wartete. Seit einer Dreiviertelstunde wartete sie auf ihren Geliebten – ruhig, geduldig.

Zumindest hatte es den Anschein, denn ein strenges Elternhaus hatte sie gelehrt, nicht zu zeigen, was sie wirklich fühlte. Doch nur ein oberflächlicher Betrachter konnte ihre äußerliche Ruhe für bare Münze nehmen.

Scheich Raschid Al Kadah hätte sich nicht täuschen lassen, aber er war ja nicht da. Und die einzige Person, die versuchte, ihr Gesellschaft zu leisten, hob nur selten den Blick. Asim stand neben dem in weißem Marmor eingefassten Kamin, die Hände reglos vor der traditionellen Robe gekreuzt, und schwieg. Längst hatte er in kluger Einsicht jeglichen Versuch einer höflichen Konversation eingestellt, nachdem Raschids Verspätung ein unentschuldbares Ausmaß angenommen hatte.

Als Evie verstohlen einen Blick auf ihre zierliche goldene Armbanduhr warf, bemerkte Asim in der für ihn typischen sanften, diplomatischen Art: „Sicher wird er jetzt jeden Moment eintreffen. Manche Dinge sind leider unvermeidlich, wie zum Beispiel ein Anruf von seinem Vater.“

Oder ein Anruf aus New York, Paris oder Rom, ergänzte Evie insgeheim. Die Geschäftsinteressen der Al Kadahs waren breit gestreut und international. Und da Raschid als einziger Sohn seines Vaters seit einem Herzanfall des alten Herrn vor einem Jahr den Großteil der Verantwortung übernommen hatte, blieb ihm für Evie immer weniger Zeit.

Sie seufzte leise. Normalerweise hätte sie sich das in Anwesenheit eines anderen nicht erlaubt, doch an diesem Abend quälte sie ein drückendes persönliches Problem. Und das lange Warten machte es nicht leichter, zumal sie sich sowieso hatte überwinden müssen zu kommen. Denn sie wusste, dass es Raschid überhaupt nicht gefallen würde, was sie ihm zu sagen hatte.

Verdammt! dachte Evie und wollte sich gerade an die schmerzende Schläfe fassen, als am anderen Ende des Salons eine Tür geöffnet wurde. Sofort ließ Evie die Hand wieder sinken und ballte sie zur Faust. Ohne sich umzudrehen, spürte sie Raschids forschenden Blick in ihrem Nacken.

Scheich Raschid Al Kadah verharrte auf der Türschwelle seines verschwenderisch in Creme- und Goldtönen eingerichteten Salons und schätzte mit einem Blick die Stimmung der beiden Anwesenden ab. Evies betont kerzengerade, angespannte Haltung sprach für ihn Bände, und die Erleichterung seines Bediensteten bei seinem Anblick war ebenso offensichtlich.

Resigniert entließ Raschid Asim mit einer kleinen Kopfbewegung. Im Hinausgehen warf ihm sein kluger Diener einen warnenden Blick zu, der besagte: „Sie stecken in großen Schwierigkeiten, Scheich. Die Lady ist nicht erfreut.“

Langsam und zögernd drehte Evie sich zu Raschid um, was dieser als Zeichen ihrer Verärgerung missverstand.

Auch Raschid war nicht in bester Stimmung. Er hatte soeben eines der schlimmsten Telefongespräche mit seinem Vater hinter sich gebracht. Es war schon spät, und überhaupt schien sich plötzlich alles gegen ihn verschworen zu haben und sein ohnehin schon kompliziertes Leben gänzlich aus den Fugen zu geraten. Dennoch, als Raschid und Evie sich ansahen, schien für einen wundervollen Moment die Welt um sie her stillzustehen, und die Atmosphäre war von knisternder Erotik erfüllt. So war es von Anfang an zwischen ihnen gewesen.

Voller Stolz und Bewunderung ließ Raschid den Blick über Evie gleiten. Wie wunderschön sie doch war! Groß und gertenschlank und dennoch wohlgerundet an genau den richtigen Stellen, strahlte sie eine atemberaubende Sinnlichkeit aus. Ein makelloser Teint, der sich gegen die weinrote Seide ihres Kleides wie schimmernder Perlmutt abhob – und sich wie Samt anfühlte, was keiner so gut wusste wie er, Raschid. Langes goldblondes Haar, das ihr in glänzenden Kaskaden über die Schultern fiel und ihr zartes, hinreißend schönes Gesicht umrahmte: perfekt die zierliche, gerade Nase, verführerisch der herzförmige Mund und restlos betörend die klaren veilchenblauen Augen, deren Blick Raschid verriet, welch erregende Wirkung er wiederum trotz ihrer Verärgerung auch auf Evie ausübte.

Wie stets raubte ihr seine exotische, männliche Schönheit den Atem. Raschid war noch größer als sie, dazu breitschultrig und athletisch gebaut. Tiefschwarzes, modisch kurz geschnittenes Haar und ein samtener brauner Teint betonten sein markantes, unwiderstehlich attraktives Gesicht. Evie konnte sich gar nicht sattsehen an seiner schmalen, perfekt modellierten Nase, dem unglaublich ausdrucksvollen, sinnlichen Mund und den faszinierenden goldbraunen Augen, deren Blick sie förmlich einlud, sich ganz darin zu verlieren.

Ja, Evie und Raschid hätten gegensätzlicher nicht sein können: die zarte englische Schönheit und der dunkle Beduinenkrieger. Und doch waren sie nun schon seit zwei Jahren ein Paar, und die knisternde erotische Anziehung zwischen ihnen hatte seit dem ersten Moment ihrer Begegnung nichts von ihrer elementaren Heftigkeit eingebüßt. Andernfalls hätte ihre Beziehung die Missbilligung ihrer beiden grundverschiedenen stolzen Kulturen wohl kaum überlebt.

„Ich entschuldige mich.“ Raschid sprach zuerst, und seine Stimme war genauso warm und sanft wie der Blick seiner goldbraunen Augen. „Ich bin gerade erst aus meiner Botschaft zurückgekehrt.“

Was seine traditionelle Kleidung erklärte. Scheinbar kühl ließ Evie den Blick über die schlichte weiße Tunika schweifen, die er unter einer weiten dunkelblauen Robe trug. Allerdings hatte er sich die Zeit genommen, die arabische Kopfbedeckung abzulegen.

„Du bist richtig wütend auf mich.“ Es war eine Feststellung, keine Frage.

„Nein“, widersprach Evie. „Nur gelangweilt.“

„Ah, in der Stimmung sind wir also, ja?“ Raschid kam in den Raum und schloss die Tür hinter sich. „Was soll ich tun?“, erkundigte er sich betont höflich. „Dir die wunderschönen Füße küssen?“

Er liebte diese Art von Sarkasmus. Evie ließ sich nicht beeindrucken. „Im Moment würde ich es vorziehen, wenn du mir etwas zu essen besorgen würdest“, antwortete sie kühl. „Ich habe seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und jetzt ist es …“ Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „… fast neun Uhr abends.“

„Du möchtest also doch, dass ich dir die Füße küsse.“

Evie war froh, dass es ihr offenbar gelungen war, ihre Angst und Verunsicherung vor ihm zu verbergen. Denn nun, da Raschid vor ihr stand, hatte sie plötzlich das Gefühl, noch mehr Zeit zu brauchen, bevor sie ihm sagen konnte, was sie ihm sagen musste. Kaum merklich zuckte sie kühl die Schultern, was Raschid mit einem kurzen Hochziehen der schwarzen Brauen quittierte – zwei scheinbar harmlose Gesten, die jedoch den Beginn einer unvermeidlichen Auseinandersetzung besiegelten.

Kein neuer Aspekt in ihrer Beziehung, sondern von Anfang an ein wesentlicher Teil davon. Genauso wie Evie sich weigerte, Raschids ausgeprägtem Ego zu schmeicheln, ließ er sich nicht davon beeindrucken, wenn sie die unnahbare Eisprinzessin spielte.

„Ich habe Verpflichtungen“, sagte er kurz angebunden.

„Ach ja?“

Seine Augen funkelten. „Ich kann nicht stets nach meinem Belieben über meine Zeit verfügen.“

„Es hat dir also nicht beliebt, mich fast eine ganze Stunde warten zu lassen?“, ahmte sie spöttisch seinen förmlichen Ton nach.

Raschid kam auf sie zu wie eine Raubkatze, die sich langsam und lautlos an ihr Opfer anschleicht. Seine Bewegungen waren von einer so wundervollen, natürlichen Anmut, dass Evie den Blick nicht von ihm abwenden konnte. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie er näher kam, und fühlte, wie das Blut heiß in ihren Adern pulsierte.

Das war der Grund, warum sie die Vorstellung, diesen Mann aufzugeben, nicht ertragen konnte! Raschid berührte etwas in ihr, was keinem Menschen je gelungen war.

Der herausfordernde Blick seiner goldbraunen Augen hielt sie in Bann, als Raschid sanft, aber unnachgiebig ihr Kinn umfasste. „Eine kleine Warnung“, flüsterte er. „Ich bin heute Abend nicht in Stimmung für Temperamentsausbrüche. Sei also klug, Darling, und hör auf, die Verstimmte zu spielen.“

„Aber ich bin verstimmt!“, trotzte Evie seiner Warnung. „Du behandelst mich wie einen Lakaien, und das gefällt mir nicht.“

„Weil ich ab und zu mal zu spät komme?“

„Du kommst öfter spät als früh“, entgegnete sie heftig.

Um seine Mundwinkel zuckte es amüsiert. „Und? Verzückt es dich nicht gewöhnlich, dass ich so spät komme?“, entgegnete er vielsagend.

Als Evie begriff, worauf er anspielte, entzog sie sich errötend seinem Griff. „Wir sprechen hier nicht von deinen Qualitäten als Liebhaber!“

Er seufzte theatralisch. „Wie schade!“

„Raschid!“ Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ich bin nicht …“

In Stimmung dafür, hatte sie eigentlich sagen wollen, aber Raschid brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen, wobei er sie in die Arme nahm und verlangend an sich presste.

Zu ihrer Schande musste Evie sich eingestehen, dass sie nicht einmal den Versuch machte, sich zu wehren, sondern sich willig an ihn schmiegte. Sie war einfach machtlos dagegen. Raschid entfachte in ihr eine Leidenschaft, die in den zwei Jahren, seit sie mit ihm zusammen war, nicht im Geringsten abgekühlt war. Zwei Jahre, in denen ihrer beider Familien ihre Beziehung mit unverändertem Missfallen beobachtet hatten und die Regenbogenpresse den Verlauf mit Argusaugen verfolgt hatte, immer im Hinblick auf die Frage, wer von ihnen beiden die Affäre schließlich beenden würde.

Denn jedem war klar, dass sie irgendwann würde enden müssen. Von dem einzigen Erben eines wohlhabenden Scheichtums erwartete man, dass er eines Tages eine Frau aus seinen Reihen heiraten würde. Evie wiederum hatte es sich bereits einmal mit ihrer Familie verdorben, als sie um Raschids willen den Antrag eines Marquis abgelehnt hatte. Dennoch wurde immer noch stetig Druck auf sie ausgeübt, das Richtige zu tun und innerhalb ihres Standes zu heiraten – mochte dieser Standesdünkel gemeinhin auch als noch so altmodisch und überkommen angesehen werden.

Doch gerade dieses Wissen, dass das Ende ihrer Beziehung früher oder später unausweichlich sein würde, entfachte ihre Leidenschaft füreinander nur noch mehr.

„Sollen wir also essen oder uns weiter bekämpfen?“, flüsterte Raschid zwischen heißen Küssen.

Wobei er mit ‚bekämpfen‘ natürlich ‚lieben‘ meinte, wie Evie sofort begriff, und sie musste nicht einen Moment überlegen, wonach sie sich in dieser Nacht sehnte. Sie brauchte ihn, brauchte ihn gerade heute Nacht so sehr! Sie brauchte seine Kraft, seine unwiderstehliche Sinnlichkeit, wollte sich ganz darin verlieren. Nur noch diese eine Nacht wollte sie so tun, als hätte sich nichts zwischen ihnen geändert … wollte sie die Frau sein, die er kannte, damit er für sie der Mann sein konnte, den sie so unendlich liebte.

Und was für ein Mann war er, ihr arabischer Geliebter! Ein Mann, der sie mit bloßen Blicken lieben konnte – was er genau in diesem Moment tat. Aufreizend genüsslich und verführerisch ließ er den Blick über sie schweifen, ganz im Bewusstsein der Macht, die er über ihre Gefühle besaß. Raschid wusste genau, wie sehr sie ihn begehrte.

„Hast du darunter überhaupt etwas an?“ Evie versuchte, Zeit zu gewinnen, indem sie die Hände verführerisch über seinen Körper gleiten ließ, dessen Wärme sie durch den Stoff der weißen Tunika spürte.

„Warum ziehst du sie mir nicht aus und siehst selber nach?“, flüsterte Raschid ihr einladend ins Ohr, wobei er ihr die schmalen Träger ihres weinroten Kleides sacht über die Schultern streifte.

„Damit dich alle Welt bei deinem Striptease bewundern kann?“, spottete Evie, denn immerhin standen sie vor einem hell erleuchteten Panoramafenster, sodass jedermann von Battersea bis Westminster ihr Tun verfolgen konnte.

Wortlos langte Raschid an ihr vorbei und zog den schweren Seidenbrokatvorhang vor das Fenster. Nun lag die Wahl wieder bei Evie, ob sie ihren Hunger nach Essen oder nach Raschids Liebe stillen wollte. Raschid gab sich keine Mühe, zu verbergen, wie sehr er sie begehrte, aber Evie wusste, dass er die endgültige Entscheidung ihr überließ. Andererseits verriet ihm ihre Reaktion, dass sie ihm letztlich nicht würde widerstehen können.

„Du bist unerträglich arrogant!“, protestierte Evie in einem halbherzigen Versuch, sich wenigstens einen Rest an Würde zu bewahren.

Raschid lächelte siegesgewiss. „Komm, sag es schon, oder ich bitte Asim, den Wagen vorzufahren.“

Resigniert fasste Evie ihn bei seiner blauen Robe, zog ihn zu sich heran und küsste ihn wild und leidenschaftlich.

Eine Stunde später kehrte Evie langsam aus einem Rausch der Lust in die Wirklichkeit zurück. Raschid lag nackt neben ihr im Bett, restlos befriedigt und entspannt, das schwarze Haar zerzaust, die Augen geschlossen, der sinnliche Mund halb geöffnet.

Lächelnd nutzte Evie die Gelegenheit, sich ohne sein Wissen an seinem Anblick zu erfreuen. Er war unglaublich sexy, wie er so dalag – gänzlich hemmungslos und im Bewusstsein seiner männlichen Schönheit. Vermutlich wäre ihm nicht einmal im Traum eingefallen, seine Blöße zu bedecken, wenn in diesem Moment ein Heer von Reportern in sein Schlafzimmer gestürmt wäre!

„Ich brauche etwas zu essen“, sagte Evie schließlich.

„Nimm den Telefonhörer, und sag Asim Bescheid“, schlug Raschid träge vor.

Seufzend beugte Evie sich über ihn und langte nach dem Telefon. Ihr goldblondes Haar fiel wie ein seidiger Schleier über Raschids Wange, während Evie über das Haustelefon mit seinem Diener sprach.

„Sandwiches sind okay.“ Sie lauschte Asims Erwiderung und fügte mit einem herausfordernden Blick auf Raschid hinzu: „Nachdem er mich so lange hat warten lassen, wird er das essen, was ich bestelle, Asim. Und ich würde hungers sterben, wenn ich darauf warten müsste, bis Sie etwas Warmes gekocht haben.“

Raschid betrachtete sie aufmerksam, als sie den Telefonhörer zurücklegte. Zärtlich ließ er die Finger über ihre Wange gleiten. „Warum hast du heute das Mittagessen verpasst?“

„Genau genommen habe ich es nicht verpasst. Mir haben nur die Begleitumstände nicht geschmeckt.“

Raschid horchte auf. „Die da waren?“

„Klein beigeben.“ Evie wandte sich seufzend von ihm ab. Die Wirklichkeit hatte sie wieder.

„Erklär das bitte genauer!“

Sie stand auf, hinreißend in ihrer Nacktheit. Anmutig hob sie Raschids blaue Robe vom Boden auf und zog sie sich über. Obwohl ihr die Robe natürlich viel zu groß war, sah Evie fantastisch darin aus. Entschlossen drehte sie sich zu Raschid um. „Mutter.“

Jede weitere Erklärung erübrigte sich. Raschid setzte sich auf und strich sich sichtlich verärgert durchs Haar. Evie verschwand im Bad, wobei sie die lange Robe wie eine königliche Schleppe hinter sich herzog.

Anders als Raschids Schlafzimmer, in dem moderne westliche Elemente auf meisterhafte Weise mit den leuchtenden Farben und kostbaren Stoffen seiner Kultur kombiniert worden waren, war das Badezimmer ein arabischer Traum aus Tausendundeiner Nacht. Zentrum des in strahlendem Weiß und Königsblau gefliesten Raumes bildete eine in ein Podest eingelassene Badewanne von der Größe eines kleinen Swimmingpools, darüber eine mit goldenen Ornamenten verzierte, verspiegelte Glaskuppel, die dem Ganzen einen pikanten Hauch von Dekadenz verlieh. Auch die Duschkabine besaß luxuriöse Ausmaße, wobei die mit goldenen Intarsien geschmückten Glastüren Kunstwerke waren.

Evie entschied sich für die Dusche. Während der warme Wasserstrahl ihren Körper massierte, verrieten ihr die Geräusche jenseits der Glastüren, dass Raschid ihr ins Bad gefolgt war. Doch er gesellte sich nicht wie sonst zu ihr in die Dusche, denn die Stimmung war verdorben. Ihre Mutter, sein Vater – einer der beiden schaffte es regelmäßig, ihre Laune zu dämpfen.

Nur wusste Raschid noch nicht, dass es noch schlimmer kommen sollte! Durch ihre Flucht ins Bad hatte Evie den Augenblick der Wahrheit nur aufgeschoben. Feigling! tadelte sie sich ärgerlich. Doch das, was sie ihm zu sagen hatte, rüttelte derart an den Festen ihrer Beziehung, dass sie nicht wusste, wie Raschid darauf reagieren würde.

Als Evie schließlich die Dusche verließ, hatte sie das Bad wieder für sich, doch Raschid war so aufmerksam gewesen, einen türkisfarbenen Seidenkaftan für sie herauszulegen, den er ihr einmal aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Evie zog ihn an und löste ihr für die Dusche hochgestecktes Haar, sodass es ihr in seidigen, feuchten Kaskaden bis fast zur Taille fiel.

Sie fand Raschid an der Bar im Salon, wo er gerade zwei Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft mit Mineralwasser auffüllte. Sie tranken beide nur sehr wenig Alkohol – Evie, weil sie sich nichts daraus machte, Raschid, weil es seine Religion verbot.

Raschid war mit einem Hemd und einer Hose bekleidet, was für Evie ein deutlicher Hinweis war, dass er vorhatte, sie später nach Hause zu fahren. Sie sollte die Nacht also nicht wie sonst bei ihm verbringen. Nun, vielleicht war es besser so. Evie kämpfte ihre Enttäuschung nieder. Was sie ihm zu sagen hatte, würde sowieso zumindest eine vorübergehende Trennung erforderlich machen, damit sie sich beide über die Bedeutung der neuen Situation klar werden könnten.

Bei ihrem Eintreten blickte Raschid lächelnd auf. „Ihr Essen ist serviert, Madam“, verkündete er neckend. „Sie können jetzt also auch Ihren anderen Hunger stillen.“

Es war als Scherz gemeint, aber Evie konnte nicht darüber lachen. Tatsächlich revoltierte ihr Magen beim Anblick der Köstlichkeiten, die Asim auf dem Couchtisch kunstvoll angerichtet hatte. Evie wurde plötzlich von kalter Angst gepackt, weil sie wusste, dass sie die Aussprache mit Raschid nicht länger aufschieben konnte.

„Raschid? Ich muss mit dir reden“, sagte sie heiser.

Aufhorchend drehte er sich mit dem Glas in der Hand zu ihr um. „Worum geht’s?“

Evie wich seinem forschenden Blick aus und ging zum Fenster. Dort zog sie den Vorhang beiseite und blickte starr hinaus auf die funkelnden Lichter der Stadt, während sie sich den Kopf zermarterte, wie sie beginnen sollte.

In der gespannten Stille spürte Evie förmlich, wie Raschids scharfer Verstand auf Hochtouren arbeitete. Spätestens jetzt war ihm zweifellos klar geworden, dass seine Geliebte etwas ernsthaft bedrückte. Schließlich stellte er sein Glas weg und kam langsam an ihre Seite. Doch er machte nicht den Versuch, sie zu berühren, als spürte er instinktiv, dass sie in diesem Moment Freiraum brauchte.

„Was ist los, Evie?“, fragte er sanft.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Wir haben ein Problem“, antwortete sie heiser, bevor sie erneut der Mut verließ.

Raschid schwieg und wartete geduldig. Evie sah sein Spiegelbild im Fenster. Seine ernste Miene verriet, dass er sich insgeheim bereits gegen schlechte Nachrichten wappnete. Verzweifelt stellte Evie fest, dass sie es einfach nicht über sich brachte. Raschid bedeutete ihr zu viel, sie liebte ihn zu sehr, als dass sie das Risiko hätte eingehen können, ihn zu verlieren.

Noch nicht, dachte sie unglücklich. Bitte, noch nicht!

Kurz entschlossen flüchtete sie sich in eine Halbwahrheit. „Meine Mutter möchte, dass du eine Ausrede findest, um an der Hochzeit meines Bruders nicht teilzunehmen.“

Raschid schwieg immer noch. Mit pochendem Herzen beobachtete Evie im Fenster, wie sich seine Miene nachdenklich verfinsterte. Raschid war kein Narr. Sein Gespür sagte ihm, dass sie etwas viel Schwerwiegenderes bedrückte als eine der üblichen Meinungsverschiedenheiten mit ihrer Mutter.

Trotzdem ist es nicht gelogen, dachte Evie trotzig. Ihre Mutter hatte während des gemeinsamen Mittagessens keinen Zweifel daran gelassen, wie sehr sie es vorziehen würde, wenn Scheich Raschid Julians Hochzeit, die in zwei Wochen in ganz großem Stil gefeiert werden sollte, fernbleiben würde.

„Eure beklagenswerte Berühmtheit wird dafür sorgen, dass ihr beide anstatt der Braut und des Bräutigams im Mittelpunkt des Interesses stehen werdet“, hatte Lucinda Delahaye als Hauptargument vorgetragen. „Wenn er auch nur eine Spur von Taktgefühl besäße, wäre ihm das selbst klar geworden, und er hätte die Einladung dankend abgelehnt. Da es ihm aber anscheinend an Taktgefühl fehlt, ist es, denke ich, an dir, ihm diesen Rat zu erteilen.“

Allerdings wussten sowohl ihre Mutter als auch Raschid, dass sie, Evie, für derartige Beeinflussungen nicht empfänglich war. Normalerweise hätte sie es nicht einmal für nötig befunden, ein solches Gespräch mit ihrer Mutter Raschid gegenüber zu erwähnen.

Aber was ist an diesem Tag schon normal gewesen? fragte sie sich bedrückt, während sie im Fenster Raschids wachsende Verärgerung beobachtete. Kurz nach dem Aufstehen war ihre Welt aus den Fugen geraten, und seitdem hatte Evie sich die meiste Zeit wie unter Schock gefühlt. Lediglich die eine Stunde, in der sie sich ganz in Raschids leidenschaftlicher Liebe verloren hatte, hatte sie aus ihrer dumpfen Starre gerissen, doch nun hatte die grausame Wirklichkeit sie wieder eingeholt. Raschid stand hinter ihr und sah sie vorwurfsvoll an, als hätte sie ihn zutiefst enttäuscht.

„Ist das alles?“, fragte er schließlich.

„Ja“, flüsterte sie und verachtete sich für ihre Feigheit.

„Dann scher dich zum Teufel!“ Er wandte sich ab.

Evies Herz klopfte zum Zerspringen. Raschid hatte natürlich gespürt, dass sie gerade vor irgendetwas gekniffen hatte. Sie drehte sich ebenfalls um und blickte ihm besorgt nach. „Raschid, du …“

„Ich weigere mich, darüber zu diskutieren“, unterbrach er sie so verärgert, ja, angewidert, dass sie sich angstvoll fragte, wie er wohl reagiert hätte, wenn sie ihm das gesagt hätte, was ihr wirklich auf der Seele brannte. „Deine Mutter hat dir nichts zu sagen und mir schon gar nicht!“

„Ihre Bitte ist nur fair.“ Evie wusste selbst nicht genau, warum sie plötzlich ihre Mutter verteidigte. Wahrscheinlich war es leichter, als Raschid wirklich die Wahrheit zu gestehen. „Du weißt genau, welche Aufmerksamkeit wir erregen, sobald wir irgendwo zusammen auftauchen. Meine Mutter muss in diesem Fall an Julian und Christina denken und nicht an deine oder meine Gefühle.“

„Mein Vater ist ein sehr enger Freund von Christinas Vater“, entgegnete Raschid kühl. „Lord Beverley hat meinem Vater wie kein anderer geholfen, einige schwierige politische und diplomatische Hindernisse im Zuge der Reformierung und Modernisierung unseres Landes zu überwinden. Und ich werde Christinas Vater nicht durch meine Absage beleidigen, nur weil deine Mutter es wünscht.“ Raschid sah Evie herausfordernd an, den Kopf stolz erhoben. Ihr leidenschaftlicher Liebhaber war jetzt ganz der edle Prinz. „Da die Gesundheit meines Vaters seine Teilnahme an der Hochzeit nicht erlaubt, ist es meine Pflicht als sein Stellvertreter, dort zu erscheinen.“

Seine Pflicht. Evie brauchte in dieser Hinsicht keine Belehrungen. Nur schade, dass sich Raschids Pflichtgefühl anscheinend nicht auf seine Geliebte erstreckte! „Sei’s drum“, sagte sie betont kalt. „Es darf dich aber dann nicht überraschen, wenn ich mithilfe eines Ausweichplans dafür sorgen werde, dass jeglicher Klatsch auf ein Minimum reduziert wird.“

Er horchte auf. „Was soll das heißen?“

Evie zuckte die Schultern. „Pflicht“, hielt sie ihm nun ihrerseits entgegen. „Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass mein Bruder und seine Braut an ihrer Hochzeit im Mittelpunkt des Interesses stehen.“

„Und wie willst du das schaffen?“, fragte Raschid spöttisch. „Indem du vielleicht so tust, als wäre ich überhaupt nicht da?“

„Würdest du es bemerken?“, erwiderte Evie heftig und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen.

Zu spät. Raschids Augen leuchteten wissend auf. „Ist es das? War diese Bemerkung vielleicht der entscheidende Hinweis auf das, was heute Abend wirklich an dir nagt, Evie? Dass ich dir nicht genügend Aufmerksamkeit schenke?“

Wenn er geahnt hätte, wie weit er von der Wahrheit entfernt war! Evie entschied sich, ihn auf dieser falschen Fährte zu halten. „Und wenn es so wäre, würde es dir etwas ausmachen?“ Sein Schweigen war Antwort genug. „Ich bin müde“, sagte sie plötzlich resigniert. „Es ist wohl das Beste, wenn ich jetzt nach Hause fahre …“