Lieber Onkel Ömer - Osman Engin - E-Book

Lieber Onkel Ömer E-Book

Osman Engin

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Deutschland aus türkischer Sicht Nach vielen, vielen Jahren in Deutschland löst Vorzeige-Einwanderer Osman endlich ein altes Versprechen bei seinem daheim in Anatolien lebenden Onkel Ömer ein und beschreibt ihm sein Leben in Alamanya einmal ganz genau. In vierundzwanzig Briefen greift er von Januar bis Dezember alle möglichen Anlässe auf, die einem Türken im Laufe eines Kalenderjahres in Deutschland »bemerkenswert« oder »eigenartig« vorkommen. Ob Karneval, Valentinstag, Tag der Arbeit, die Bundesliga, die Deutsche Einheit oder die Weihnachtszeit: Osman Engin beleuchtet alles mit seinem kritisch-satirischen Blick und erklärt es so, dass auch der alte anatolische Onkel sich etwas darunter vorstellen kann. Selbstverständlich kommt in dieser Völkerverständigung à la Osman auch die Gegenseite nicht zu kurz: zum Beispiel wenn Osman seinen Onkel darüber aufklärt, wie schwer es ist, den Deutschen den Ramadan oder das Opferfest nahezubringen.  

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 288

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Osman Engin

Lieber Onkel Ömer

Briefe aus Alamanya

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

© 2008 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

eBook ISBN 978-3-423-40089-3 (epub)

www.dtv.de

Inhaltsübersicht

Der gute Neujahrsvorsatz

Grippesaison

Valentinstag

Karneval

Frühlingsanfang

Internationaler Frauentag

Autoinspektion

Ostern

Tag der Arbeit

Muttertag

Hochzeitssaison

Der Tag des Schrebergartens

Zeugnisvergabe

Urlaubssaison

Erzählsaison

Fußballsaison

Weihnachtssaison

Ramadan

Tag der Deutschen Einheit

Frankfurter Buchmesse

Das Opferfest

Die Integrationswoche

Mein Geburtstag

Weihnachten

Der gute Neujahrsvorsatz

Mein lieber Onkel Ömer,

wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?

Lieber Onkel Ömer, Du fragst mich ja schon seit Jahren ständig, wie mein Leben hier im kalten Deutschland so aussieht.

Halt Dich fest, jetzt kommt mein tolles Neujahrsgeschenk für Dich: Ich habe mir als guten Vorsatz fürs neue Jahr genommen, meinem Lieblingsonkel Ömer daheim in Anatolien ein Jahr lang alle vierzehn Tage einen Brief zu schreiben, um Dir darin von meinem aufregenden Leben in Alamanya als Türke mit Migrationshintergrund zu berichten und um Dir zu zeigen, wie dieses verrückte Deutschland so tickt, ich meine, funktioniert.

Meine Frau Eminanim meckert jetzt schon, dass ich auch diesen guten Vorsatz mit Sicherheit nicht einhalten werde, so wie all die anderen guten Vorsätze, die ich jedes Jahr schon nach zwei Tagen, manchmal sogar nach zwei Minuten, aufgebe. Ich habe nämlich immer noch zwanzig Kilo Übergewicht, ich gehe immer noch nicht spazieren und ins Fitnesscenter, ich hocke immer noch vor dem Fernseher, und meine Haare fallen immer noch aus.

Aber wieso sollte ich auch nach fünfzig Jahren wie ein frisch verliebter Hahn plötzlich mit dem Essen aufhören, nur, um ein bisschen schlanker auszusehen? Warum sollte ich wie ein streunender Hund zu Fuß durch die Straßen laufen, wo doch mein lieber Ford-Transit noch so gut in Schuss ist und es draußen ständig regnet und ekelhaft kalt ist? Wieso um Himmels willen sollte ich gerade jetzt weniger fernsehen, wo ich mir endlich tausend deutsche Kanäle und dazu noch hundertzweiundfünfzig türkische Sender leisten kann? Und was meine Haare betrifft, wie sagte meine Tante Ülkü so schön: Gehende soll man nicht aufhalten!

Also, versprochen ist versprochen, auch wenn ich bisher noch nie einen meiner guten Vorsätze einhalten konnte, diesmal werde ich es schaffen!

Ich weiß, dass Du meine Briefe immer in unserem Dorfcafé mit stolzgeschwellter Brust allen Leuten vorliest, deswegen werde ich mir besondere Mühe geben. Ich habe mich auch sehr gefreut, dass unser Dorfvorsteher Hüsnü mir letztens am Telefon verraten hat, dass er alle meine Briefe an der schwarzen Tafel aufhängt, direkt neben seinen wichtigen Meldungen. Er ist nämlich sehr stolz darauf, dass ein Sohn unseres Dorfes, nämlich der Osman, in Deutschland große Karriere gemacht und als Schlosser den riesigen Sprung von Halle 3 in Halle 4 geschafft hat – und nicht ins Hartz IV.

Ich werde beweisen, dass Ihr alle zu Recht stolz auf mich seid. Ich habe auch meiner Mutter schon die frohe Botschaft überbracht, dass sie ab sofort jeden Monat zwei Briefe von mir am schwarzen Brett vom Dorfvorsteher Hüsnü lesen kann. Sie freut sich riesig darauf. Ich darf die gute Frau nicht schon wieder enttäuschen. Außerdem möchte ich nicht wieder das ganze Jahr zum Gespött Eminanims werden, das allein setzt mich genug unter Druck.

Lieber Onkel Ömer, für Dich geht das neue Jahr ja erst los, wenn am 1.Januar der Hahn kräht – wenn er stottert, dann halt am 2.Januar. Aber hier in Alamanya fängt das neue Jahr, anders als bei Euch im Dorf, pünktlich um 24Uhr in der Silvesternacht an. Da werden die letzten 365 nervigen, anstrengenden Tage endlich verscheucht, und den neuen kommenden 365Tagen wird mit gekünstelter, vorgespielter Euphorie Platz gemacht, in der Hoffnung, das Schicksal milde zu stimmen, damit die Zukunft besser verlaufen möge. Nach dem Motto:»Wie man in das neue Jahr hineinkommt, so geht es auch weiter!«

Deshalb wollte ich vor drei Jahren dem Schicksal etwas nachhelfen und habe den Silvesterabend mit der gesamten Familie vor dem Geldautomaten der Sparkasse in unserer Straße verbracht. Punkt Mitternacht habe ich 500Euro abgehoben, auf dass der starke Geldsegen das ganze Jahr über andauern möge. Aber das schöne Geld wurde mir wenig später leider prompt geklaut. Nach dieser bitteren Enttäuschung habe ich in dem Jahr keiner noch so alten Dame mehr über die Straße geholfen. Erst recht nicht, wenn sie angeblich betrunken war!

Vor zwei Jahren hatten wir am Silvesterabend mit der ganzen Sippschaft die Lobby eines Fünfsternehotels in Bremen besetzt, damit wir im Urlaub nicht mehr in der billigsten Absteige von Antalya landen, dafür landeten wir dann pünktlich zum Jahreswechsel auf dem Bremer Polizeirevier in der Stadtmitte.

Letztes Jahr hatte ich gute alte Bekannte weit draußen auf dem Land besucht und denen somit meinen Respekt entgegengebracht, in der Hoffnung, dass ich im neuen Jahr ausnahmsweise auch mal respektiert werde, wenigstens von meinen Kindern. Bei meiner Frau mache ich mir schon lange keine Hoffnungen mehr!

Um 23Uhr war ich von dem älteren Paar weggefahren, um vor Mitternacht zu Hause zu sein. Eminanim hatte viele hübsche Freundinnen zur Silvesterfeier eingeladen. Die Aussicht, die kommenden 365Tage in Gegenwart schöner Frauen zu verbringen, war natürlich sehr verlockend. Ich trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch! Mein tiefergelegter 68er-Ford-Transit legte sich in die Kurven wie eine Formel-1-Maschine. Auf der einsamen Landstraße raste ich mit 63,5km/h durch die winterliche Nacht.

Und prompt landete ich in einer Verkehrskontrolle. Die Straße war voll abgesperrt, und mehrere Polizeiautos mit Blaulicht standen quer. War ja klar, dass die Bullen am Silvesterabend nach Alkoholsündern Ausschau halten würden. In Sekundenschnelle überschlug ich, was ich an dem Abend getrunken hatte. Über ein Dutzend Tassen Tee. Ob sich so viel Tee im Geschwindigkeitsrausch in Alkohol verwandeln würde, wusste ich nicht!

Es waren nur noch dreißig Minuten bis Mitternacht. Ich fuhr langsam an die Polizeisperre heran und bekam einen Schock! Ein Toter! Knapp zwei Meter vor mir lag ein toter Mensch mitten auf der Fahrbahn. Alles war voll Blut! Ein grauenhafter Unfall war passiert. Ein roter BMW hatte sich um einen Baum gewickelt.

Es waren nur noch sechsundzwanzig Minuten bis zum neuen Jahr.

»Hallo, dürfte ich bitte vorbeifahren? Ich werde dringend zu Hause erwartet«, rief ich einem der vielen Polizisten zu, aber der schaute mich nicht mal an. Die waren gerade dabei, die Spuren zu sichern. Der Notarztwagen war noch nicht da, aber dafür zwei Kameratiims vom Privatfernsehen.

Bei Allah, mit gutem Essen und schönen Frauen wollte ich das neue Jahr beginnen, aber stattdessen musste ich neben einem toten BMW-Fahrer ausharren. Was wollte das Schicksal mir damit sagen? Würde ich das ganze Jahr über mit Toten zu tun haben? Oder würde ich bald ziemlich respektabel selbst den Löffel abgeben?

»Bitte, bitte, Herr Polizist, lassen Sie mich vorbeifahren!«, flehte ich einen der Beamten durch das Seitenfenster an, »ich werde auch ganz vorsichtig dran vorbeifahren. Bei dem Mann kann ich sowieso nicht mehr viel falsch machen. Die Leiche ist ohnehin schon tot!«

Für eine Sekunde hatte ich sogar das Gefühl, dass selbst der Tote mich erhört hatte, aber diese gnadenlosen Männer in Uniform nicht.

Sie beachteten mich gar nicht und liefen einem Rettungswagen entgegen, der mit großem Gejaule aus der anderen Richtung kam.

Ich saß wie auf glühenden Kohlen und hatte nur noch sechzehn Minuten, um mir meinen Harem fürs kommende Jahr zu sichern! Aber die Zeit verging, und ich hockte zusammen mit einem Toten auf der B278.Es war zum Verrücktwerden: Wegen ein paar halbstarken Bauernburschen, die mit ihrem zwei Tage alten Führerschein nachts besoffen in die Landdisko rasen, durfte ich am Silvesterabend mitten auf der Straße Totenwache halten.

Die Glocken der Dorfkirchen ringsum fingen an zu läuten. Wir hatten also bereits Mitternacht. Die Knallerei über der Stadt hatte ihren Höhepunkt erreicht. Genau in dem Moment haben auch einige der Polizisten die Sektkorken knallen lassen. So abgebrüht wollte ich auch mal sein, auf das Wohl einer frischen Leiche zu trinken. Und dann konnte ich meinen Augen nicht mehr trauen: Ich war einer Ohnmacht nahe, als ich sah, dass sie sogar die Leiche mit ihrer guten Laune angesteckt hatten! Der Kerl stand seelenruhig auf und schnappte sich zwei Sektgläser. Blutverschmiert torkelte er auf mich zu, drückte mir ein Sektglas in die Hand und sagte gut gelaunt:

»Mann, Sie haben aber toll mitgespielt! Danke!«

»Wie, was habe ich gespielt?«, stotterte ich, am ganzen Körper zitternd. Bis dahin hatte ich noch nie mit einem echten Zombie gesprochen.

»Mein Herr, wir wollten unter möglichst realistischen Bedingungen einen Verkehrsunfall am Silvesterabend nachstellen. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit und übrigens frohes neues Jahr«, kicherte er und küsste mich auf die Wangen. Ich zitterte vor Wut wie ein nasser Hund!

»Gleich bekommst du es noch realistischer, du Idiot!«, brüllte ich und packte ihn am Kragen. »Du weißt ja sowieso bereits, wie man sich als Toter fühlt!«

Wäre der Regisseur nicht dazwischengegangen, hätte ich das neue Jahr wohl oder übel als Mörder beginnen müssen, was gewiss nicht schön gewesen wäre! Aber so viel Realität wollte er dann wohl doch nicht haben und rettete seine Leiche vor einem erneuten Tod.

Lieber Onkel Ömer, nach all diesen schlechten Erfahrungen der letzten Jahre hatte ich am gestrigen Silvesterabend meine Erwartungen deutlich zurückgeschraubt und wollte das neue Jahr mit meiner Frau zusammen glücklich und zufrieden und in aller Bescheidenheit bei meinen lieben Freunden Nedim und Hümeyranim empfangen.

Wir hatten den ganzen Abend über lecker gegessen und es uns vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Jedes Mal, wenn ich gerade aufs Klo gehen wollte, war es leider schon wieder besetzt. Eine Toilette für dreißig Leute – die Kinder noch nicht mal mitgerechnet – ist auch ein bisschen wenig. Kurz vor dem großen Knall – damit meine ich nicht die Knallerei draußen – eroberte ich dann endlich das stille Örtchen, das mittlerweile fast so aussah und roch wie die Autobahnklos in Serbien.

»Osmaaaann, wo bist duuuu, Osmaaaannn? Was machst du daaa in der Toiletteeeee, Osmaaaann?«, hörte ich plötzlich Eminanim vor der Tür herumschreien. Wenn sie in der Nähe ist, bleibt natürlich kein Örtchen lange still.

»Eminanim, was denkst duuuu deennn, was ich wohl in der Toilette macheeee?«, brüllte ich genauso laut zurück.

»Osman, das ist doch wieder typisch«, schimpfte sie weiter, »kein Mensch außer dir würde je auf die Idee kommen, sich an Silvester Punkt Mitternacht im Klo einzusperren! Alle anderen Männer küssen gerade ihre lieben Frauen und wünschen ihnen alles Gute fürs neue Jahr!«

Ich schaute panisch auf meine Armbanduhr! Bei Allah, sie hatte völlig recht! Es war sogar schon zwei Minuten nach zwölf!

»Osman, das wird wieder mal ein richtig mieses Jahr für dich! Du wirst zwölf Monate lang nichts als Scheiße am Hals haben! Toll hast du das wieder gemacht, herzlichen Glückwunsch«, keifte sie beleidigt durch die Tür.

Lieber Onkel Ömer, als ich dann gestern also an Silvester auf dem Klo saß und mir überlegte, woran es wohl liegen konnte, dass meine Jahresplanung jedes Mal so grandios in die Hose ging, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass mit Sicherheit meine nicht eingehaltenen guten Vorsätze an meinem Elend schuld sind. Deshalb habe ich jetzt einen neuen Vorsatz, den ich auf jeden Fall einhalten werde: Du wirst von mir jeden Monat zwei Briefe bekommen, ob Du willst oder nicht, ich meine, ob meine Frau daran glaubt oder nicht!

Ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.

Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren mit viel Liebe die Augen.

Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass Euer schönes Plumpsklo draußen auf dem Hof ist. Und sag dem faulen Postboten Münür, dass er sich in diesem Jahr auf was gefasst machen kann.

Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem sehr kalten Alamanya

PS: Lieber Onkel Ömer, diese Nachricht schreibe ich Dir absichtlich auf einen extra Zettel, damit nicht das ganze Dorf und meine Mutter davon erfahren. Es ist nämlich etwas sehr Dubioses hier passiert. Meine Mutter würde sich nur Sorgen machen – so wie ich!

Stell Dir vor: als ich neulich nach der Spätschicht um Mitternacht nach Hause kam, da saß Eminanim immer noch mit einer Freundin in der Küche. Die Frau heißt Ümmüyanim, und ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. So lange sitzt Eminanim eigentlich nie mit einer ihrer Freundinnen zusammen, weil sie doch am nächsten Tag die ganzen Kaufhäuser und die Flohmärkte unsicher machen muss. Aber es war eine ganz neue Freundin, und offenbar hatten sie ein sehr interessantes Thema, für das es sich lohnte, auf den geliebten Schlaf und auf das noch geliebtere Schopping zu verzichten. Mit geröteten Augen lästerten und tratschten sie, was das Zeug hält. Ich floh sofort ins Schlafzimmer in der naiven Annahme, am nächsten Morgen die Küche wieder für mich alleine zu haben. Aber falsch gedacht! Diese fremde Frau ist seit Tagen ununterbrochen bei uns! Eminanim sagte, sie sei ihre Jugendfreundin, und machte mich mit ihr bekannt. Was will sie hier so lange, was hat sie vor? Ich werde es herausfinden und Dir im nächsten Brief schreiben. Hoffentlich ist sie bald wieder weg. Gute Nacht!

Grippesaison

Mein lieber Onkel Ömer,

wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?

Lieber Onkel Ömer, was eine Grippe ist, das weißt Du ja!

Wenn uns Männer diese hinterhältige Krankheit grauenhafterweise überfällt, liegen wir zwangsläufig im Sterben und müssen wochenlang vor dem Fernseher das Bett hüten. Grippekranke Männer muss man selbstverständlich mit tausend verschiedenen Medikamenten und dem leckersten Essen ganz langsam und sehr mühsam wieder aufpäppeln. Wenn die Frauen sich anstecken, passiert ihnen dabei komischerweise gar nichts. Sie können mit einer Grippe weiterhin munter hin und her laufen, stundenlang in der Küche kochen, putzen, abwaschen und von morgens bis abends problemlos die Kinder versorgen. Wie man sieht, ist die Welt wahrhaft ungerecht! Sogar von den Krankheiten werden die Frauen bevorzugt behandelt. Offenbar hat der liebe Allah extra für das schwache Geschlecht eine harmlosere Variante der Grippe erschaffen. Die Wege des Herrn sind unergründlich – das muss wohl so sein, damit die Frauen nicht wie die Dinosaurier einfach von der Bildfläche verschwinden. Aber extrem ungerecht ist das Ganze trotzdem!

Du weißt als lebenserfahrener Mann nur zu genau, was eine richtige Männergrippe ist, aber was eine Grippesaison ist, das weißt Du nicht, Onkel Ömer! Sei froh darüber.

Diese sogenannte Grippesaison fängt in Alamanya immer im November an und dauert bis Ende März, also den ganzen Winter. Aber die Hochphase, also die besonders gefährliche, in der auch die ganzen Boulevardblätter angesteckt werden und nur noch von Rhinovirus und Grippewelle faseln, ist im Januar. Die Hälfte der Arbeiter bleibt in dieser Zeit zu Hause, die ganzen frechen, rotznasigen Kinder schwänzen die Schule, und sogar mein tapferer Ford-Transit weigert sich, während dieser Saison anzuspringen.

Die Hälfte der deutschen Bevölkerung macht also blau und hockt gemütlich zu Hause, und die andere Hälfte liegt mit rotem Kopf und triefender Nase schweißgebadet im Bett.

Und ich bekomme in der Grippesaison immer regelrechte Wahnvorstellungen. Es ist zum Verrücktwerden, ich fühle mich ständig verfolgt! Aber nicht von dunklen Mächten, wie der CIA, dem türkischen Geheimdienst oder dem deutschen Verfassungsschutz, sondern von diesen rücksichtslosen Kreaturen, die unaufhörlich husten, niesen, rotzen und spucken, um ihre Bazillen in die Welt hinauszuschießen – besonders gerne tun sie das, wenn sie es geschafft haben, sich in meine Nähe zu schleichen.

Wenn ich im Winter zum Beispiel morgens Brötchen kaufen gehe, niest die Verkäuferin erst mal mit viel Lärm quer über die Theke, sodass ich mich spontan für das in Folie eingepackte Brot entscheide. Gehe ich mal in den Imbiss, höre ich wenig später lautes Gehuste aus der Küche und suche sofort das Weite, was aber nicht immer klappt. Meistens bestehen die Kellner darauf, dass ich gefälligst bezahle, was ich bestellt habe. Aber ich sehe nicht ein, dass ich für matschige Nudeln mit Tomaten-Bazillen-Soße auch noch blechen soll.

Das wirklich Tragische an der Sache ist, dass diese hinterhältige deutsche Männergrippe mit unseren naiven türkischen Mittelchen einfach nicht zu bekämpfen ist. Ich esse jeden Tag eine ganz große Knolle Knoblauch und ein Säckchen rohe Zwiebeln, ich koche literweise Engelgras (Melekotu), oder ich lasse eine große Handvoll Vogelzunge (Kus¸dili) über Nacht in Wasser ziehen – aber das nützt alles nichts. Für deutsche Ohren klingen Engelgras und Vogelzunge wie Indianerrezepte, sagt mein Arbeitskollege Hans von Halle 4.

Dann ist es wohl wahr, was ich gestern in der Zeitung gelesen habe: Ein amerikanischer Wissenschaftler hat herausgefunden, dass die Indianer in Wirklichkeit von uns Türken abstammen. Das erklärt auch, warum ich immer so am Heulen bin, wenn dieser John Wäyn die armen Indianer im Fernsehen ständig einen nach dem anderen erbarmungslos abknallt. Und es ist irgendwie beruhigend zu wissen, dass die Amis ihr Türkenproblem schon lange vor den Deutschen hatten. Dass die Deutschen aber auch alles von den Amerikanern abgucken müssen!

Lieber Onkel Ömer, zu dem ganzen Ärger mit den rotzenden Verkäufern und hustenden Köchen weigert sich meine Frau Eminanim leider auch noch, das tägliche Brot selber zu backen – selbst bei minus dreißig Grad.»Wir sind doch nicht bei deinem Onkel Ömer in Anatolien! Hier kannst du an jeder Ecke Brot kaufen, raus mit dir«, brüllt sie und schubst mich kalt lächelnd hinaus in die eisige Kälte. Nicht mal einen Hund jagt man bei so einem Mistwetter auf die Straße – mich schon!

Im Gegenzug würde ich zumindest von ihr erwarten, dass sie beim Kochen Handschuhe und einen Mundschutz trägt. Sie wehrt sich aber vehement dagegen, den ganzen Winter über mit Mundschutz herumzulaufen.

»Osman, du Memme, wie kann man denn vor der Grippe nur solche Angst haben, du Weichei«, hat sie mich gestern blöd von der Seite angemacht.

»Wegen der gefährlichen Männergrippe machen sich doch alle Männer unheimliche Sorgen«, verteidigte ich mich.

»Wenn du so ein Feigling bist, dann lass dich doch impfen«, keifte sie mir ins Gesicht – und das ohne jeden Mundschutz!

»Also gut, ich gehe sofort zum Arzt, bevor die brutalen Viren, die du mir eben ins Gesicht geschleudert hast, ihre zerstörerische Arbeit aufnehmen können«, antwortete ich besorgt.

Mit meinem um den Mund gewickelten roten Schal, den mir meine liebe Tante Ülkü gestrickt hat, sprang ich in die Straßenbahn. Bei Allah, das war keine Straßenbahn, sondern ein mobiles Lazarett für Lungenkrankheiten. Wie ein Slalomläufer flitzte ich durch die Sitzreihen, wobei ich natürlich von allen Seiten mit bösartigsten Bazillen bombardiert wurde.

Lieber Onkel Ömer, warum halten sich die Idioten – wenn sie schon unbedingt in meine Richtung husten müssen – nicht ein Taschentuch vor ihren Mund? Jawohl, du hast recht, das ist ein Anschlag auf mich. Klarer Fall von Ausländerfeindlichkeit!

Ich flüchtete sofort ganz nach hinten und sah erschrocken, dass bei dieser sibirischen Kälte alle Fenster offen waren. Der unglaublich starke Durchzug in der Bahn ließ mich auf der Stelle erzittern wie bei einem Malariaanfall. Ich zog selbstverständlich sofort die Notbremse, sprang hinaus und hielt ein Taxi an.

»Haatschiiii… wohin soll ich Sie bringen?«, fragte der Taxifahrer mit triefender, knallroter Nase.

»Fahren Sie sofort nach Hause, bevor Sie die ganze Stadt umbringen, Sie Selbstmordattentäter, Sie«, schrie ich ihn an und flüchtete panisch aus dem Taxi.

Über Seitenstraßen und versteckte Geheimwege erreichte ich zu Fuß doch noch meinen Arzt.

»Haaatschiii… was fehlt Ihnen denn?«, bibberte zu allem Überfluss auch noch die Arzthelferin.

»Also mir fehlten bisher nur Ihre Bazillen. Aber jetzt haben Sie mich erfolgreich angesteckt, herzlichen Glückwunsch«, brüllte ich sie an und flüchtete umgehend ins Wartezimmer. Dort fanden bereits mehrere Wettbewerbe in verschiedenen Winter-Disziplinen statt: »Spuckeweitwurf«, »Virenstaffellauf« und »Bazillenmarathon«.

Lieber Onkel Ömer, was sollte ich machen? Bis ich vom Arzt aufgerufen wurde, versteckte ich mich zwei Stunden in der Toilette. Der Doktor fand das erst mal sehr lustig. Wenig später war er nicht mehr ganz so amüsiert, als ich darauf bestand, dass er mir meine Grippeimpfung selber aus dem Schrank holte. Ich weigerte mich nämlich entschieden, die Mikroben gespritzt zu bekommen, die die rücksichtslose Arzthelferin mit ihren keimverseuchten Fingern angeschleppt hatte.

Lieber Onkel Ömer, ob Du es glaubst oder nicht, als ich dann nach einer Stunde wieder zu Hause ankam, war ich todkrank! Mir war elend, mir war heiß, mir war kalt, ich zitterte, ich schwitzte, ich hatte schreckliche Kopfschmerzen!

Die Tabletten, die ich gegen Kopfschmerzen einnehmen musste, verursachten unerträgliche Magenkrämpfe – gut, dass ich vorher die Liste mit den Nebenwirkungen gelesen hatte. Die Tropfen, die ich gegen Magenkrämpfe schluckte, ließen meine Nieren aufheulen. Die Tabletten, die meine wahnsinnigen Nierenschmerzen etwas lindern sollten, sorgten dafür, dass man auf meiner Stirn Eier kochen konnte. Die drei großen Zäpfchen, die ich einführte, um mein hohes Fieber zu senken, verursachten plötzlich eisige Temperaturen, sodass meine Zähne klapperten. Ich musste erneut zu Nierentabletten greifen, um mein eingefrorenes Blut wieder zum Fließen zu bringen. Ich nahm notgedrungen Nierentabletten und Fieberzäpfchen gleichzeitig, um meine Temperatur einigermaßen konstant zu halten. In der Zwischenzeit hatte mir Eminanim Lindenblütentee gekocht. Er war sehr heiß! Ich pustete, aber dadurch wurde es noch heißer. Ich sage doch, dass ich wegen dem hohen Fieber richtig am Glühen war!

Weil ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste, habe ich daraufhin sofort den Notarzt gerufen.

Als erste Amtshandlung hat er mir verboten, die Nebenwirkungen von Medikamenten nachzulesen. Und als Zweites verbot er mir die Medikamente selber.

»Sie haben doch vorhin eine Grippeimpfung bekommen. Die kann schon mal ein sehr leichtes Erkältungsgefühl verursachen, aber das ist nicht der Rede wert«, sagte er.

Ich tastete meinen Magen und meine Stirn ab und stellte völlig verblüfft fest, dass meine Magenschmerzen und mein Fieber durch den genialen Notarzt wie weggeblasen waren.

»Sie sind der beste Medizinmann, den ich je hatte, so schnell wurde ich noch nie gesund«, freute ich mich und küsste ihn auf beide Wangen.

»Nein, gesund sind Sie auf keinen Fall! Ein hoffnungsloser Hypochonder sind Sie!«, schimpfte er plötzlich mit mir.

Kaum war er aus dem Haus, lag ich schon wieder im Sterben!

Ich hätte einen völlig fremden Menschen mitten im Winter nicht so leichtfertig auf beide Wangen küssen dürfen. Wer weiß, wie viele Millionen Bazillen sich in seinem dreckigen Gesicht tummelten. Ein Notarzt kommt doch an so einem eisigen Tag mit Hunderten von kranken Menschen zusammen.

Es war klar wie die Hühnerbrühe, die meine Frau Eminanim mir danach gekocht hat,– ich habe mich ganz fürchterlich bei ihm angesteckt! Lieber Onkel Ömer, jetzt ist es wieder Zeit, meine grünen Tabletten einzunehmen. Die roten sind in fünfunddreißig Minuten dran. Die gelben erst in zwei Stunden und zwölf Minuten. Die blauen und die braunen nehme ich nur morgens und abends. Keine Angst, ich werde sie alle pünktlich einnehmen – Indianerehrenwort!

Ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.

Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren mit viel Liebe die Augen.

Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass es bei Euch im Dorf überhaupt keine Ärzte gibt und Du Dich nicht an dieser tödlichen Männergrippe anstecken kannst.

Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem bitterkalten Alamanya

PS: Lieber Onkel Ömer, ich hatte Dir in meinem letzten Brief von der fremden Frau erzählt, die noch tief in der Nacht mit Eminanim in unserer Küche saß und Tee trank. Das ist nun schon über zwei Wochen her, und sie ist immer noch bei uns. Obwohl ich sterbenskrank bin, habe ich mich vorhin mal genauer nach dieser Jugendfreundin erkundigt:

»Ümmüyanim stammt aus unserem Nachbardorf und ist aus der Türkei gekommen, um sich mal ein bisschen Deutschland anzuschauen, sie war noch nie hier«, sagte Eminanim.

Bis hierher alles gut und schön, jeder kann nach Deutschland kommen, um sich das schöne Land anzuschauen, auch aus unseren Nachbardörfern, in der Hinsicht bin ich sehr tolerant, Hauptsache, das deutsche Konsulat ist auch sehr tolerant und gibt den Leuten ein Visum.

Aber dann kam der wirkliche Schock:

»Herr Engin, Ihre Frau Eminanim und ich kennen uns von früher, von der Universität her!«, sagte die fremde Frau ganz locker.

Lieber Onkel Ömer, Du kannst Dir ja wohl vorstellen, dass ich bei diesem unglaublichen Spruch regelrecht vom Stuhl gekippt bin. Ich bin doch sowieso schon etwas wackelig auf den Beinen. Deswegen weiß ich leider auch noch nicht, was Eminanim, diese Frau Ümmüyanim und die Universität miteinander zu tun haben. Ich muss mich jetzt erst mal wieder hinlegen. Gute Nacht!

Valentinstag

Mein lieber Onkel Ömer,

wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?

Lieber Onkel Ömer, weißt Du, was ein sogenannter Valentinstag ist?

Wenn Du nicht weißt, was das für ein Tag ist, dann sei froh!

Wenn meine Tante Ülkü es auch nicht weiß, dann umso besser!

Also, die fleißigen Deutschen haben nicht nur den Mercedes, den BMW und den schönen Ford-Transit erfunden, sondern leider auch den 14.Februar, den Valentinstag. Ein geschäftstüchtiger Herr namens Karl Valentin, der entweder einen Blumenladen, ein Juweliergeschäft oder ein Café besaß, hat ihn vor vielen Jahren kalt lächelnd erfunden, um uns Männer zu schröpfen. Denn außer diesen drei Blutsaugern hat kein Mensch was davon – nur die Frauen!

Ich sehe es schon förmlich vor mir, Du kratzt Dich die ganze Zeit am Kopf und fragst Dich:

»Was opfert man an so einem hohen Feiertag? Schafe, Ziegen oder Kamele?«

Nichts von alledem – nur die Geldbörse der Männer!

Man muss an diesem Tag nämlich die Frauen ausführen, für sie Blumen kaufen und manchmal sogar Schmuck. Ich sag’s Dir, lieber Onkel, das ist schlimmer als Muttertag und Frauentag zusammen – aber dazu später mehr, ich will Dich ja nicht komplett verwirren!

Also: Mein Sohn Mehmet hat uns gestern, an diesem unheilvollen Valentinstag, erzählt, er und seine aktuelle Freundin Katja seien schon »schrecklich lange« zusammen. Natürlich nach Mehmets Zeitrechnung. Nämlich genau drei Monate! Deswegen würde es zwischen den beiden nicht mehr so rund laufen wie am Anfang.

Den ganzen Tag jammerte Mehmet und fluchte traurig vor sich hin:

»Dieser verflixte dritte Monat, verdammt!«

Ich habe daraufhin kurz überschlagen, wie viele dritte Monate ich mit meiner Frau Eminanim schon hinter mir habe? Und Du erst mit Tante Ülkü, nicht wahr, lieber Onkel Ömer. Na ja, auf jeden Fall haben wir schon sehr viele dritte Monate auf unserem Buckel. Wenn ich in Mathematik so gut wäre, dass ich das jetzt ganz schnell ausrechnen könnte, dann wäre ich vermutlich nicht mehr in Halle 4.

Ich habe Mehmet gefragt, ob seine Freundin etwa auch so einen komischen Affen-Appetit hat wie er.

Der Kommunist wusste nicht mal, was Affen-Appetit ist, dabei tut er immer so, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen, ach was sage ich denn da – literweise getrunken.

»Was für ’n Ding?«, nuschelte er und guckte doof aus der Wäsche.

Die Jugend von heute tut immer so neunmalklug, lässt sich von niemandem was sagen, hat aber eigentlich von nichts ’ne Ahnung.

»Ich frage, ob deine Freundin Katja auch so chronisch unzufrieden ist wie du und ständig auf der Suche nach was Neuem?«, erklärte ich es ihm.

»Vater, was soll das denn heißen? Ich hab doch keinen Affen-Appetit. Drei Monate sind schließlich kein Pappenstiel, wie du weißt«, meckerte er.

»Ja, ja, das weiß ich. Mir machen drei Monate Nachtschicht ja auch jedes Mal zu schaffen«, sagte ich ihm. Aber drei Monate ununterbrochen arbeiten ist für ihn noch unvorstellbarer als drei Monate mit ein und derselben Frau zusammen zu sein.

»Weiß Katja denn, dass du sie nicht mehr liebst?«, fragte Eminanim ihn so klar und eindeutig, dass selbst Mehmet es kapieren musste.

»Mutter, es ist ja nicht so, dass ich sie gar nicht mehr liebe. Andererseits haben andere Mütter auch hübsche Töchter«, meinte der Kasanova trocken.

»Liebst du sie nun oder nicht?«, bohrte Eminanim nach.

»Öhm… eh… was soll ich dazu sagen, Sigmund Freud meint…«, versuchte er sich herauszureden.

»Mehmet, was deine durchgeknallten Freunde aus der Disko sagen, interessiert uns nicht! Deine Mutter will wissen, was du selber meinst!«, habe ich ihn gedrängt, endlich mit der Wahrheit rauszurücken.

»Tja, was soll ich da sagen, Liebe ist halt ein ausgesprochen dehnbarer Begriff…«, sagte er wichtigtuerisch.

»Frau, frag ihn doch lieber, ob er überhaupt weiß, was Liebe ist. Ich glaube, er verwechselt das mit einem Kaugummi«, sagte ich zu meiner Frau Eminanim und lachte höhnisch über meinen missratenen Sohn.

»Das glaube ich langsam auch«, sagte Eminanim, »das erklärt auch seinen hohen Konsum von Kaugummi.«

»Und Gummi«, habe ich ergänzt – öhm, entschuldige, Onkel Ömer.

Andererseits habe ich mich natürlich riesig gefreut. Wann haben meine Frau und ich es denn schon mal geschafft, einer Meinung zu sein? Das muss mindestens fünfundzwanzig Jahre her sein! Umso mehr freute ich mich, dass es gestern geklappt hat. Ich schwebte wie ein Vogel im siebten Himmel.

Meine Frau macht sich offenbar große Sorgen, dass Mehmet nie heiraten wird und kein Interesse daran zeigt, sie mit nichtsnutzigen Enkeln zu versorgen. Was anderes wird der faule Kommunist wohl kaum in die Welt setzen. Eminanim muss sich unglaubliche Sorgen machen, wenn sie sogar mir recht gibt! Aber mein Dasein als Vogel dauerte nicht lange, und ich plumpste wieder unsanft auf meine Nase, als sie sagte:

»Ist ja auch kein Wunder, Mehmet ist ja dein Sohn!«

Mein lieber Onkel Ömer, das war ja klar! So sind die Frauen! Ich hätte mich auch gewundert, wenn ich ausnahmsweise mal aus einem Streit ohne Schuld hervorgegangen wäre. Ich habe versucht, sie daran zu erinnern, dass ich seit dreißig Jahren keine andere Frau angeschaut habe:

»Eminanim«, habe ich gesagt, »du weißt, dass ich noch nie eine andere Blume als dich…«

»Du hast nur nicht so oft die Gelegenheit wie Mehmet«, unterbrach sie mich sofort.

»Hört auf, hört auf, streitet euch wenigstens nicht am Valentinstag«,rettete mich Mehmet vor seiner Mutter und erzählte dann, dass er seine Freundin Katja um 19Uhr ins Café Engel eingeladen hat. Dort hätten sie sich damals vor drei Monaten kennengelernt, das würde vielleicht helfen, ihre Beziehung wieder etwas aufzufrischen. Dann verschwand er und hinterließ mir einen großen Trümmerhaufen.

Musste dieser Idiot denn gerade im Beisein seiner Mutter den Valentinstag erwähnen? Der war mir bis dahin nämlich total entfallen! Aber bevor ich einen neuen Anschiss riskierte, reagierte ich schnell und rief:

»Eminanim, mein Liebling, ich lade dich selbstverständlich auch ins Café Engel ein.«

»Warum? Sonst sagst du doch immer, dass wir zu Hause genug Kaffee haben«, sagte sie zu Recht stutzig.

»Erstens, weil heute doch Valentinstag ist«, tat ich gönnerhaft.

»Weshalb noch?«, fragte sie überrascht.

»Zweitens, weil du ja auch ein Engel bist«, schleimte ich, ohne rot zu werden.

»Und drittens?«, fragte sie ungläubig.

»Damit wir beide Mehmets aktuelle Freundin Katja in Augenschein nehmen können. Ich bin gespannt, welches tapfere Mädchen ihn ganze drei Monate aushält«, rückte ich dann mit der Wahrheit raus. Ich war nämlich wirklich sehr gespannt auf das Mädchen. Eminanim sprang auf der Stelle auf und sagte:

»Oh ja, los, Osman, zieh dich sofort an. Ich mach mich auch ganz schnell fertig.«

Lieber Onkel Ömer, glaube mir, ich habe noch nie gesehen, dass sich Eminanim so schnell zurechtgemacht hat. Vielleicht war sie ja auch noch nicht ganz fertig. Ich kapiere den Unterschied sowieso nicht! Auf jeden Fall rief sie bereits nach einer Stunde aufgeregt:

»Wir können gehen, Osman, komm doch endlich! Wo bleibst du denn? Immer muss ich auf dich warten!«

Sie muss neugieriger gewesen sein als ich, so überstürzt, wie sie sich zurechtgemacht hat!

Also waren wir gestern am Valentinstag bereits um 18Uhr im Café Engel.

Das Café war proppenvoll. Eine Viertelstunde lang haben wir uns am Tresen die Beine in den Bauch gestanden, bevor wir zwei Stühle ganz hinten in der Ecke ergattern konnten. Eminanim zeigte mir ständig irgendwelche Mädchen und fragte mich, ob das wohl unsere zukünftige Schwiegertochter sein könnte. Aber keines der jungen Mädels erweckte den Eindruck, dass sie einen Vielschwätzer wie Mehmet drei Monate lang überleben würde.

Mehmet, der Pascha, kam erst um halb acht. Ganze dreißig Minuten lang hatte er das Mädchen warten lassen – und uns auch! Er guckte sich ein Mal um und ging zu einem Tisch, an dem ein junges, hübsches Pärchen eng umschlungen saß. Sein Gesicht hatte sich blitzschnell verfinstert.

»Eminanim, ich glaube, diese Frau hat ihm gerade erzählt, dass Katja gar nicht kommt«, flüsterte ich meiner Frau voll böser Vorahnungen zu.

»Ich glaube vielmehr, dass diese Frau Katja ist«, murmelte sie nachdenklich.

»Mehmeet, halloo, Mehmeet, hier sind wir«, rief ich ihm zu. Er guckte völlig benommen und drängelte sich mit hochrotem Kopf zu uns rüber.

»Was ist denn los, kommt Katja etwa nicht?«, fragte ich neugierig.

»Das war Katja. Sie hat genau an der gleichen Stelle, wo wir uns kennengelernt haben, gerade einen anderen Kerl gefunden«, schluchzte Mehmet und stolperte wie ein geprügelter Hund heulend aus dem Café.

Ich hatte ihn noch nie in so einem Zustand gesehen.

»Na, hab ich nicht recht gehabt?«, sagte Eminanim, als er weg war.

»Na, hab ich nicht auch recht gehabt? Keines der Mädchen hier sieht nämlich blöd genug aus«, sagte ich.

»Osman, da siehst du, was mit solchen bescheuerten Männern geschieht, die ihren Frauen nicht genügend Liebe entgegenbringen«, versuchte Eminanim mir Angst zu machen.

»Ist mir doch egal! Mir kann so was nicht passieren«, sagte ich kuul.

»Sei dir da mal nicht so sicher!«, zischte meine Frau.

»Doch, das kann mir garantiert nicht passieren! Wir beide haben uns doch in der Scheune von meinem Onkel Ömer kennengelernt. Du würdest einen tollen Burschen wie mich ja wohl nicht gegen die Ziege Fatima oder die Kuh Pembe eintauschen wollen«, sagte ich siegessicher.

Eminanim schaute sich um und meinte trocken:

»Du hast recht, Osman, gegen eine Ziege oder eine Kuh vielleicht nicht. Aber bei einem alten, grauen Esel käme ich garantiert sehr stark ins Grübeln.«

Lieber Onkel Ömer, ich weiß nicht, was ich davon halten soll?

Wie Du siehst, Deutschland hat auch Eminanim verdorben, wie alle Frauen. Ich bin sicher, dass meine liebe Tante Ülkü ihr ganzes Leben lang noch nie auf die Idee gekommen ist, Dich gegen einen alten klapprigen Esel einzutauschen.