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Fulminant und scharfsinnig beschreibt Rainer Hank die Rolle der Macht. Mutig und moralfrei wird ein Menschheitsprinzip enttabuisiert, das zu unserer Welt gehört und ohne das wir im Leben nicht bestehen können. Ein aufregend-provokantes Plädoyer für die Unverzichtbarkeit der Macht! Wir verachten die Macht und müssen doch zugeben, dass wir in Wahrheit die Machtmenschen bewundern, ihrem Charisma und Charme erliegen. Rainer Hank nimmt eine überfällige Neuvermessung der Macht vor: nüchtern und in aufklärerischer Absicht analysiert er die Psychologie der Machtspiele und die Diskurse der Herrschenden, beschreibt die Erfahrungen von Macht und Ohnmacht in unserer Lebenswelt und zeigt auf, wie sehr diese miteinander verwoben sind. Herausragende Machtbiographien aus der Wirtschaft werden in ihrer Dramatik, ihren Höhen und Tiefen, eindringlich geschildert: Thomas Middelhoff, Martin Winterkorn, Ferdinand Piëch, Dieter Zetsche und etliche andere mehr. In seinem klug argumentierenden Buch kommt Rainer Hank dem Geheimnis unserer Faszination an der Macht und den Mächtigen auf die Spur. Und zeigt, warum es für uns besser ist, die Macht nicht zu verleugnen. Eine brillante Streitschrift für ein neues unverkrampftes Verhältnis zur Macht. »Rainer Hank – der Streitlustige. Einer der profiliertesten deutschen Wirtschaftsliberalen.« Martin Lüdke, Frankfurter Neue Presse
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Seitenzahl: 350
Rainer Hank
LOB DER MACHT
Klett-Cotta
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© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
Printausgabe: ISBN 978-3-608-96179-9
E-Book: ISBN 978-3-608-10973-3
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Einleitung: Warum Macht? Warum jetzt?
Kapitel 1: Die Krönung
oder: Was Karl IV. mit Donald Trump verbindet
Die Macht der Allmächtigen
Die Macht des Alltäglichen
Kapitel 2: Der Aufstieg
oder: Warum Vorfreude die schönste Freude ist
Empathie statt Ellenbogen
Rache und Sex
Kapitel 3: Der Absturz
oder: Das Rad der Fortuna dreht sich weiter
Die Verleugnung: Martin Winterkorn
Ein kleiner Exkurs über Schmeichler, Haushälterinnen, Hofschranzen
Die Entzauberung: Thomas Middelhoff
Die Intrige: Peter Löscher
Kapitel 4: Die Ohnmacht
oder: Masken der Niedertracht
Räume der Pervertierung
Ein Aufstand der Schwachen
Kapitel 5: Die Götter
oder: Warum der eine Gott nicht allmächtig ist
Monotheismus und Gewalt
Trinität und Wettbewerb
Kapitel 6: Die Daten
oder: Die Macht im neuen Internet-Kapitalismus
Der Segen des Algorithmus
Macht und Monopole
Soll man Google zerschlagen?
Kapitel 7: Das Geld
oder: Über die Brechstange der Macht
Parade der Ungleichheit
Bezahlung ohne Leistung
Die Macht der anonymen Milliarden
Kapitel 8: Die Utopie
oder: Warum die Paradiese der Machtlosigkeit scheitern müssen
Die Verführung des Thomas Morus
Ein Lob auf Privateigentum und Ungleichheit
Die Pflicht zur Macht
Schluss: Lob der Macht
oder: Was den Dirigenten mit dem Diktator verbindet
Anhang
Dank
Literatur
Personenregister
Sachregister
Angesichts des grandiosen Erfolges der amerikanischen Fernsehserie »House of Cards« wird der Erfinder der Serie, der britische Lord Michael Dobbs, gefragt(1), ob die skrupellosen Abenteuer von Präsident Frank Underwood, dem(1) Helden der Serie, der Beweis wären, dass die Menschen doch nicht so politikverdrossen seien wie oft behauptet. »Nichts da«, antwortet Lord Dobbs: »Politik(2) ist dann interessant, wenn es nicht um Politik geht, nicht um Großbritannien, Amerika oder sonst ein Land, sondern um die großen Themen Macht, Neid, Sex.«
Hat Lord Dobbs Recht(3)? Es sieht ganz danach aus. Oder glaubt im Ernst jemand, die Menschen fasziniere Donald Trumps Aufstieg(1) in(1) erster Linie, weil sie wissen wollten, wie Importzölle oder das amerikanische Gesundheitssystem unter seiner Regentschaft funktionieren? Auch bei Angela Merkel steht(1) gewiss nicht die Neugier über ihr künftiges Rentenkonzept im Vordergrund, sondern das Mysterium ihrer(1) Macht. Und bei VW-Patriarch Ferdinand Piëch käme(1) niemand auf die Idee, sich über seine gewiss geniale Idee einer Plattformstrategie für unterschiedliche Fahrzeugmodelle informieren zu wollen.
Es geht um die Macht. Die Macht hat es nicht nötig, sich auf Vernunft zu(1) berufen, sie muss einfach nur ihren Willen durchsetzen(1), das Risiko des Scheiterns stets im Blick. Sie ist da, ein Trieb, ein(2) Wille, ein Drang. Das(3) macht sie so verstörend in einer Welt, in der – durchaus aus honorigen Motiven – alles und jedes einem vernünftigen Begründungszwang unterliegt. Allen Irritationen zum Trotz ist es bislang nicht gelungen, die Macht kleinzukriegen. Wer sie leugnet – und das machen viele, nicht zuletzt die Mächtigen selbst –, muss erst recht mit der Wiederkehr des Verdrängten rechnen(2).
Macht fasziniert uns(3). Insofern ist es ein bisschen unaufrichtig, dem FDP-Chef Christian Lindner oder(1) dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz vorzuwerfen(1), es gehe ihnen in Wirklichkeit »nur« um die Macht und, soll das wohl heißen, nicht um die Sache der Freiheit oder(1) der Gerechtigkeit. Unaufrichtig(1) ist(4) es auch, Donald Trump wahlweise(2) als Bösewicht oder(1) Möchtegerndiktator in(5) Grund und Boden zu verdammen oder lächerlich zu machen und zugleich gespannt darauf zu warten, was er jetzt wieder zusammen mit seinem Freund Putin aushecken(1) wird und ob der Senat ihm seinen übernächsten Schachzug durchgehen lässt. Bei den meisten früheren US(1)-Präsidenten, auch bei Erlöser Barack Obama, war(1) unser Interesse nach Wahlsieg und Inauguration ziemlich(1) schnell erlahmt. Das ist vielleicht nicht gerecht. Aber so ist die Welt.
Es geht um uns. Wir verachten die Macht und müssen doch zugeben, dass wir in Wahrheit die Machtmenschen bewundern(1), ihrem(2) Charme und ihrem Charisma erliegen(1) und ganz im Geheimen vielleicht selbst gerne einer wären. Diese Bewunderung hält auch dann an, wenn die Mächtigen böse oder zumindest nicht eindeutig gut sind: Unser moralisches Urteil macht(1) ihnen das zwar zum Vorwurf, unser Vergnügen an Helden lässt es ihnen indessen – zumindest zeitweise – durchgehen. Moralisiert wird erst wieder, wenn der Bösewicht am(2) Boden liegt. Haben wir doch gleich gewusst, dass das nicht gutgehen kann, sagen wir und vergnügen uns an Don Juans Höllenfahrt, dem dramatischen Ende jenes schuftigen Weiberhelden, bei dem die Trias von Macht, Neid und Sex eine besonders süffige, unseren Voyeurismus befriedigende Verbindung eingeht. Wissen ist Macht, sagt(6) Dobbs: Deshalb(4) sei es für einen Politiker im Getriebe der Macht immer gut zu wissen, wer gerade mit wem ins Bett geht.
»Politik wirkt wie eine Droge«, sagt(1) ebenfalls Lord Dobbs, der(5) Mann, der einer der engsten Berater der britischen Premierministerin Margaret Thatcher war(1). Sie feuerte ihn in einem fürchterlichen Wutanfall, als ihr schon dämmerte, was sie nicht wahrhaben wollte, dass ihre Macht im Schwinden war(1) und nun ein Schuldiger benötigt wurde. Von der Droge Macht(2) ist der Weg zum Sex nicht sehr weit, belehrt uns die heutige Hirnforschung: Neuronale Belohnungssysteme werden allemal aktiviert und bescheren uns ein Glücksgefühl (beim(1) Neid, dem Leiden der Zukurzgekommenen, ist es ein bisschen komplizierter). Geld, am besten viel davon und immer mehr Geld, muss man laut Ausweis der Hirnforscher den beiden Drogen Macht und Sex noch an die Seite stellen, weshalb dieses Buch seine Beispiele nicht nur aus der Politik, sondern auch aus der Wirtschaft holt und auch über Aufstieg und(2) Fall mächtiger Manager schreibt, die bekanntlich ganz besonders an ihren Millionen hängen.
Weshalb also jetzt ein Buch über die Macht? Einfach, weil das Thema in seiner oszillierenden Ambivalenz fasziniert(1), wäre die spontane Antwort. Dass man nicht der Erste sei, der darüber schreibt, stimmt. Aber ist das ein Einwand? Dass es in der Weltliteratur spätestens seit dem Hohelied ein paar gute Bücher über die Liebe gibt, hat Marguerite Duras auch(1) nicht davon abgehalten, ihre Erzählung »Der Liebhaber« zu schreiben.
Zeitlos inaktuell ist(7) die Sache dennoch nicht. Nach dem Zeitalter der Kollektive, in dem die Macht der Masse das(1) Weltgeschehen bewegte (freilich auch damals mit heroischen Führern an der Spitze), sehen wir jetzt wieder empor zu den exemplarischen Einzelnen. Zudem haben in letzter Zeit ein paar Mächtige neuen Typs die Weltbühne betreten, die uns irgendwie anders vorkommen als ihre Vorgänger. Das hängt weniger mit der Landkarte von links, rechts oder dem vielbeschworenen Rechtspopulismus zusammen als abermals mit den Anmutungen der Macht: Wir beobachten – von Trump über(3) Putin bis(2) Orbán und(1) Erdoğan – einen(1) Zug zur Monopolisierung oder(1) Zentralisierung der(8) Macht in den Händen Einzelner. Sie verschieben eindeutig die eingespielten Systeme einer »Balance of Power« und(1) verändern Gesellschaften wie auch deren Diskurse. Das macht die zentralen Akteure wichtiger und Überlegungen interessanter, ob und wann wir es mit Fällen von Machtmissbrauch zu(1) tun haben, was es mit politischen Monopolstrukturen auf sich hat und ob sie – wie stets bei Monopolen – Schaden anrichten. Macht ist nicht schlimm, solange sie bestreitbar ist, ökonomisch gesprochen: solange der Markt der Macht offen(9) ist. Bewunderung für und Verführung vom Charisma der(2) Mächtigen fühlt sich nur dann wohl, wenn es Wettbewerb gibt(1), der die Chance der Entmachtung jederzeit(2) möglich macht und vor niemandem besonderen Respekt hat. Und auch daran haben wir dann wieder unser großes Vergnügen.
Ist es Zufall, dass vergleichbare Verschiebungen in Richtung einer Monopolisierung der(2) Macht auch im Raum des Ökonomischen zu beobachten sind? Kalifornien, das gelobte Land aller Garagen-Entrepreneure, ist längst nicht mehr das Startup-Paradies, als(1) das es sich selbst bis heute immer noch allzu gerne sieht. In Wirklichkeit beherrscht eine kleine Gruppe gigantomaner Unternehmen – Google, Apple(1), Facebook(1), Amazon(1) – die(1) neue Internetwirtschaft mit mehr oder weniger charismatischen Führern an der Spitze und träumt davon, die Macht nie wieder aus der Hand zu geben. »Competition is for Losers«, sagt Peter Thiel – einer(1) der ersten Kapitalgeber für Facebook und(2) ausgewiesener Freund Donald Trumps –, der(4) sich selbst als Schöpfer dauerhafter Werte sieht(1): »If you want to create and capture lasting value, look to build a monopoly.« So reden machttrunkene Junkies, die dem Größenwahn verfallen sind: Sie halten sich für einzigartig und unbesiegbar. Ein paar wenige Kapitalsammelstellen verwalten die gigantische Summe von elf Billionen Dollar, mit denen sie in allen großen Konzernen der Welt investiert sind. Droht hier Gefahr, womöglich größere als von den großen Giganten der Netzökonomie?
Tatsächlich hat es der Wettbewerb, jener(2) natürliche Widersacher aller Machthaber, nicht(3) leicht. Warum dann ausgerechnet ein »Lob der Macht«? Ist(1) das nicht eine Übertreibung um der Provokation willen, die noch dazu in die falsche Richtung führt? Nein, das ist ernst gemeint. Man muss es nur richtig lesen, besagt der Titel doch ausdrücklich keine Billigung der Taten und Missetaten der Mächtigen dieser Welt in Politik und Wirtschaft einschließlich ihrer Schranzen und Speichellecker. Und es ist erst recht keine Legitimation der Monopolisierung der(3) Macht, wo auch immer sie sich findet. Nein, das Lob bezieht sich im strikten Sinn auf die Macht selbst: Sie ist die alles bewegende Triebfeder einer Fortschrittsgeschichte, die(10) sich nicht darum schert, ob die Menschen gut oder böse sind(1) (»sie sind schlecht«, sagt Niccolò Machiavelli, aber(1) vielleicht täuscht er sich), und die doch im Saldo stets das Gute schafft: Dieser Wille zur Macht ist(4) verantwortlich für die Wachstumsdynamik einer Gesellschaft, ohne(1) welche wir ziemlich arm dran wären. Friedrich Nietzsche wusste(1) genauso wie die Jedi-Ritter, dass diese Macht ihre hellen und ihre dunklen Seiten hat und es zu schön wäre zu meinen, beide ließen sich säuberlich scheiden.
Der Ostersonntag des Jahres 1355 sollte ein Jubeltag werden in Rom. Das Geläut hunderter Glocken erfüllte die Frühlingsluft der Ewigen Stadt. Es mischte sich mit dem Lärmen einer gaffenden Menge vor Sankt Peter. Man schiebt und drängt, will endlich einen Blick erhalten auf das Geschehen, will mehr sehen als Marmor und Weihrauchschwaden. Zwei Flügel eines Portals öffnen sich. Plötzlich braust ein Jubelschrei auf. Der Lärm, ohnehin schon so gewaltig, dass man selbst den Donner von Blitzschlägen nicht hätte hören können, schwillt immer noch mehr an.
Da sind sie endlich zu sehen, der neue Kaiser und(1) die neue Kaiserin. Sie treten vor das Tor, umringt von Kardinälen und Bischöfen, Fürsten und Baronen, Edlen und Rittern in glänzenden Rüstungen und feinen Tuchen, mit Spießen, gezückten Schwertern und Amtsstäben in den Händen. Feierlich waren zuvor die Worte erklungen vor dem Papst, dem(1) Oberhaupt der römischen Kirche: »Ich(1) Karl, König der(1) Römer, nach Gottes Willen zukünftiger(5) Kaiser, verspreche, gelobe, sage zu und beeide vor Gott und(1) dem heiligen Petrus, dass ich Beschützer und Verteidiger des Papstes und der heiligen römischen Kirche bei(2) allen ihren Bedürfnissen sein werde. So helfe mir Gott und diese heiligen Evangelien.« Im Anschluss wird der Kaiser gesalbt, ihm wird die Krone aufgesetzt mit den Worten: »Nimm das Zeichen des Ruhms, die Krone der Kaiserlichen Erhabenheit.«
Die Rede ist von Kaiser Karl IV. (1316(2)(2) – 1378), der mit dieser feierlichen Zeremonie in der Nachfolge des römischen Kaisers Augustus zum(1) Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches gekrönt und gesalbt wurde. Karl war es wie schon seinem Vorgänger Kaiser Friedrich(3)II. gelungen(1), eine stattliche Reihe von Kronen auf seinem Haupt zu versammeln: Er war römisch-deutscher König, böhmischer(2) König, König von Italien und König von Burgund. Er führte das hegemoniale Kaisertum des Mittelalters zu einer neuen Machtfülle. Karl(1)IV. gilt(3) als der bedeutendste Kaiser des Spätmittelalters. Und er begründete zugleich jenes lange währende europäische Reich, das erst im Jahr 1806 durch Napoleon sein Ende finden sollte. Der Ostersonntag 1355 sollte sein glücklichster Tag sein. Niemals vorher und niemals später konnte er die Fülle seiner Macht derart unbeschwert genießen.
662 Jahre später, genau gesagt am 20. Januar 2017, einem Freitag, findet ebenfalls eine Inthronisation statt(1), dieses Mal vor dem Kapitol in Washington, das(1) doch in so vielem architektonisch den Prachtbauten Roms nachgebaut ist. Ein neuer Augustus, der(2) 45. Präsident der(2) Vereinigten Staaten von(1) Amerika, legt(2) seine Hand auf zwei Bibeln – die Heilige Schrift, die er von seiner Mutter geerbt hat, und die Bibel vo(1)n Abraham Lincoln. Zur(1) Huldigung anwesend sind die Vorgängerpräsidenten Jimmy Carter, Bill(1) Clinton, George(1) W. Bush und(1) Barack Obama. Außerdem(2) viel Volk, von den Stufen des Kapitols bis weit in den sich davor öffnenden Park. Nachdem der Chor der Missouri State University den Choral »Now We Belong« uraufgeführt hat, nachdem auch der künftige Vizepräsident Mike Pence seinen(1) Eid auf die Verfassung abgelegt(1) hat – die Hand ebenfalls auf zwei Bibeln, der eigenen und jener von Ronald Reagan –, spricht(1) Trump pünktlic(6)h um 12 Uhr und in feierlichem Ton die folgenden Worte:
»Ich, Donald John Trump, schwöre(7) feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich(3) ausführen und die Verfassung der(2) Vereinigten Staaten nach(3) besten Kräften wahren, schützen und verteidigen werde.«
Der 20. Januar 2017 wird Trumps glücklichster(8) Tag gewesen sein. Niemals vorher und niemals später wird er die Fülle seiner Macht derart unbeschwert genießen können wie an jenem sonnigen Freitag in Washington.
Die(2) Parallelen der beiden über Jahrhunderte entfernten Ereignisse sind augenfällig. Schon die Eidesformeln ähneln sich: Die Berufung auf den christlichen Gott, die(2) Verankerung des Machtanspruchs in(3) der Kontinuität und Tradition der(11) Vorgänger und das feierliche Gelöbnis, die Verfassung oder(3) die römische Kirche beschützen(3) zu wollen – das alles weist dieselbe Struktur auf. Der neue Machthaber präsentiert sich in beiden Fällen als Beschützer. Das soll sagen: Es geht nicht um ihn selbst, es geht um ihn als Verteidiger einer Institution, die auf ewig angelegt ist. Um dieser großen Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es der Hilfe des Allerhöchsten, der »der Allmächtige« genannt(1) wird. Allein vermag der Mächtige nichts. Die Krönung selbst folgt in beiden Fällen einem festen Zeremoniell, reiht sich ein in eine lange Tradition von Ritualen, die vergleichbar feierlich vorangegangen sind. Freilich, während die Kaiserkrönung Karls(4)IV. kaum(4) Raum lässt für Individualität – alles ist der feinsinnigen Symbolik der(12) Über-, Neben- oder Unterordnung zwischen Papst und(2) Kaiser unterworfen(5) –, bietet das Inaugurationszeremoniell in Washington beste(3) Chancen für den neuen Präsidenten, die(4) Erwartungshaltungen zu erfüllen und zugleich zu durchbrechen. Wir werden gleich darauf zurückkommen.
Doch zunächst noch einmal zur Aufführungspraxis der beiden Krönungszeremonien und ihren Gemeinsamkeiten: Mindestens so interessant wie die Worte des Schwurs ist die Liturgie, in welche die Inauguration eingebettet(2) ist. Man muss dies als einen Akt, eine Performance ansehen. Viel Volk, viele, die ebenfalls Macht haben, viel Feierlichkeit. Den Krönungsworten schließt sich beide Male ein Triumphzug des neuen Herrschers durch die Stadt an. Karl IV., das(5) wissen wir aus den Berichten des Johannes Porta De Annoniaco, zieht umgeben von Senatoren und Angehörigen des römischen Adels, Zepter und Weltkugel in den Händen haltend, durch die Menge. »Und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, hieß Treue und Wahrhaftig«, so sieht der Beobachter in Karl IV. eine(6) Verheißung der Apostelgeschichte erfüllt(1). Mit seinem Zepter erteilt der neue Kaiser Herandrängenden(6) die Erhebung in den Ritterstand, sich damit ihre Loyalität sichernd(1). Auf einmal fliegen Geldstücke in die Menge, ausgestreut von Bediensteten des Gekrönten, mitunter sind sogar Goldstücke unter den Münzen. Der Herrscher zeigt, dass er ein großzügiger Herrscher ist. Am Ende, nachdem man im Gedränge nur mühsam vorangekommen war, mündet der Festzug, wie es Tradition für frisch gekrönte Kaiser ist, in den ehemaligen Lateranpalast ein. Dort sind schon überbordende Tafeln mit den besten Speisen für das Kaiserpaar und die Festgäste gedeckt. Das Festmahl ist Abschluss des Tages. Das Essen ist selbst ein Akt der Macht; es führt sinnfällig vor Augen, was man sich leisten kann und was man anderen gönnen will.
Bei der Krönungsfeierlichkeit Donald(2) J. Trumps schließt sich an den Eid die »Inauguration Address(3)« an, die Antrittsrede. Trump hatte(9) darauf insistiert, die Rede selbst zu schreiben, wenigstens gehörte das zur Propaganda: Hier ist keiner, der sich auf Redenschreiber verlässt. Der nimmt die Sache selbst in die Hand. Es sollte die kürzeste Rede seit der Jimmy Carters von(2) 1977 werden. Aber sie hatte es in sich: Mit nationalistischem Pathos beschwor(1) Trump feierlich(10) seinen festen Vorsatz, »to make America great again«. »America first« wird er wieder und wieder den Zuhörern im eigenen Land und in der ganzen Welt einbläuen, den einen als Verheißung, den anderen als Drohung. Donald Trump, der(11) Milliardär aus der Oberschicht, gibt sich als Anwalt des »vergessenen Mannes« draußen im Land und mutet seinen Zuhörern vor dem Kapitol zu, von ihm verhöhnt zu werden als Angehörige jenes Establishments, das(1) den Kontakt zur Masse der einfachen Menschen verloren habe.
Trumps Worte sind rhetorisch bestechend, zugleich simpel und eindeutig. Ihnen fehlt jede blumige Mehrdeutigkeit, die solche Reden üblicherweise auszeichnet. Weil viele Aussagen Trumps so eindeutig sind, kann man auch sagen, wo sie eindeutig falsch sind. Dass die amerikanische Industrie in den letzten Jahrzehnten vom Ausland ausgesaugt wurde, kann nicht stimmen, wenn gleichzeitig, wie die Fakten belegen, die US-Unternehmensgewinne einen Höchststand erreichen. Dass das Militär geschwächt wäre, ist ebenfalls in einem Land falsch, das 600 Milliarden Dollar jährlich für die Verteidigung ausgibt, Tendenz steigend: Das Militärbudget der USA übertrifft die Summe, welche die sechs nächstwichtigen Staaten zusammen ausgeben. »We will make America wealthy again«, schließt Trump: Wir(12) werden das Land wieder reich machen. Ein Land, das noch nie reicher war als heute. Aber Fakten, das ist ein Gemeinplatz, störten und irritierten die Rhetorik der Macht noch nie – nicht erst bei Donald Trump. Trump(13) geht es um die Macht, nicht um die Wahrheit. Das macht den Unterschied.
Trump erfüllt(14) die Erwartungen in das Zeremoniell und sprengt sie zugleich. Mindestens so wichtig wie das, was der neue Präsident(5) sagt(6), ist das, was er nicht sagt, von dem man aber erwartet hätte, dass er es sagen würde. Kein Wort von den Menschenrechten, kein Wort von irgendwelchen weltweiten Verpflichtungen der USA, von Solidarität gegenüber den Bündnispartnern. Keine Beschwörung der universalen Werte des(2) Westens. »Ich bin doch kein Heuchler wie meine Vorgänger«, würde Trump entgegnen(15). Es ist schlimmer noch: Der neue Präsident(7) ist(8) ein Lügner. Aber, noch einmal: Er hat nie behauptet, dass ihm um die Wahrheit zu tun sei. Es geht ihm um die Macht – und sonst nichts.
Nachdem Trump seine(16) kurze Rede beendet hatte, folgten Segnungen des neuen Präsidenten durch Vertreter christlicher und jüdischer Glaubensgemeinschaften, den Erzbischof von New York, Timothy M. Doland etwa(1), oder Rabbi Marvin Hier, Gründer des Simon Wiesenthal Centers in New York. Anschließend verabschieden die Trumps das Ehepaar Obama an(3) deren Helikopter, bevor man sich zu Fuß, sekundiert von einer Militärparade, zum Weißen Haus begibt. Dort sind – wie es der Brauch ist – während der Inaugurationszeremonie die(13) Möbel des scheidenden Präsidenten von Möbelpackern geräumt und die Möbel der Trumps, inklusive neuer Vorhänge, eingeräumt worden.
Zum Abschluss, wie in Rom bei der Krönung Karls IV., ging(7) es zum festlichen Abendessen wieder zurück in das Kapitol. Es gab zur Vorspeise Maine-Hummer, gefolgt von einem Seven Hills Angus-Steak in dunkler Schokoladensoße. Man trank einen 2013er Arroyo Vista Chardonnay und einen Napa Valley Cabernet Sauvignon.
Was sagt uns die große Ähnlichkeit der beiden liturgischen Inaugrations-Zeremonien, zwischen denen ein Abstand von 750 Jahren liegt? Zunächst und ganz banal: Macht ist nichts Neues. Dann: Macht braucht Raum, muss verkörpert werden, Herrschaft – kurz gesagt: der Apparat der Ausübung der Macht – erzwingt Repräsentation. Macht ist stets mehr als eine Idee, ist immer sichtbare Realität. Selbst der Allgemeinspruch, Wissen sei Macht, erhält seine Beglaubigung erst durch das, was das Wissen oder der Wissende auszurichten vermag. Es ist kein Wunder, dass den Mächtigen in allen Zeiten auch mächtige Körper eigneten (Ausnahmen wie der Krüppel Richard III. bestätigen(1) die Regel). Weder Karl IV. noch(8) Donald Trump sollte(17) man dick nennen. Aber ihr »Machthunger« verkörpert(6) sich im wahrsten Wortsinn in ihren massig-wuchtigen Leibern.
Dabei verlangt der Körper des Machtmenschen nach(3) Inszenierung. Der Mächtige will seine Macht zeigen. Der Rückblick auf den Ostersonntag des Jahres 1355 in Rom gibt den Blick frei auf feste kultisch-kulturelle Muster der Macht jenseits von Regierungsformen, kulturellen, wirtschaftlichen oder nationalen Traditionen etc. Selbst ein Donald Trump unterwirft(18) sich diesem Ritual gerne(14), dieser Präsident, der(9) sich doch vermeintlich um nichts einen Teufel schert, der nichts als rüpelhaft sich über alles hinwegsetzt, was den amerikanischen Bürgern heilig ist. Und der seine Präsidentschaft mit Zügen einer Willkürherrschaft führt, jenseits von Recht und Gesetz und dem heiligen Respekt vor gewachsenen Traditionen und Institutionen. Dieser Eindruck muss gar nicht einmal falsch sein, überdeckt aber, wie stark auch und gerade Donald Trump sich(19) selbst inkorporiert im festen Ritual der(15) Krönungsperformance amerikanischer Präsidenten. Wäre Macht nur eine ausschließlich und vollkommen spontane Kraft, würde sie rasch verpuffen. Doch Macht inszeniert sich, ist eingebettet in die überlieferte Institution und beglaubigt vor dem religiösen Ritual. Dieser(16) »theokratische« oder gar »christozentrische Gestus« (Ernst Kantorowicz) soll(1) ihr Haltbarkeit sichern.
»Am Hofe von König Donald(3)« hat Demetri Sevastopulo seine(1) Zwischenbilanz nach hundert Tagen Trump Ende(20) April 2017 überschrieben. Sevastopulo ist(2) Bürochef der »Financial Times« in Washington, er(4) hatte das Privileg, eines der ersten großen Interviews mit dem neuen Präsidenten zu führen, und schon die erste Szene seines Berichts lässt einen schaudern, denn man blickt in den Abgrund der Macht. Da sitzt der Journalist nun im Oval Office Trump gegenüber(21). Plötzlich nimmt er einen kleinen roten Knopf auf dem Schreibtisch des Präsidenten wahr: »Das ist der Atomkriegs-Button, nicht wahr«, sagt Sevastopulo. »Ja(3), das denken alle«, antwortet Trump schmunzelnd(22), bevor er genüsslich den Knopf drückt, um zwei Gläser Coke zu ordern. Es macht ihm offenkundig große Lust, mit dem Schrecken der Macht zu spielen, die ihm als dem mächtigsten Mann jetzt eigen ist. Es muss eine Form der Angstlust sein. Ich drück hier jetzt auf die Knöpfe, will er uns sagen. Wenn ich will, drücke ich auf den richtigen Knopf und jage eine Rakete mit einer Atombombe nach Nordkorea.
»Trump verhält(23) sich tatsächlich wie ein Monarch des Absolutismus. Er hält Hof«, sagt Chris Ruddy, Chef(1) von Newsmax Media und ein Freund Trumps. Was das heißt? Anders als sein Vorgänger Barack Obama ist(4) er stets von einer großen Entourage umgeben; im Oval Office geht es zu wie im Taubenschlag, also wie bei König Arthus(4), Karl IV. oder(9) Ludwig XIV. Bittsteller aus allen Branchen sprechen vor und hoffen auf Huld und Geld. Die Beziehungen zwischen Trump und(24) den Höflingen haben weniger Ähnlichkeit mit der bürokratischen Kälte des modernen Verfassungsstaats und(4) der von ihm den Akteuren zugewiesenen institutionell vorgegebenen Rolle. Die Akteure müssen sich stets vergewissern, ob sie noch die Gunst des Monarchen haben. Alle sind der zuweilen wie Willkür wirkenden Macht des Herrschers ausgesetzt. Das haben früh nahe Vertraute wie der Berater Steve Bannon zu spüren bekommen. Niemand ist von Kritik ausgenommen, selbst die Lieblingstochter Ivanka nicht(1). Neben den Höflingen aller Art bildet sich zugleich eine Spezies von Wichtigtuern heraus, die vorgeben, ein Spezialwissen darüber zu haben, wer gerade in Ungnade gefallen oder schon wieder begnadigt sei. Am Hofe der sowjetischen Zaren nannte man sie Kremlogen, am Hofe der Päpste heißen sie Vaticanisti.
Die Macht ist zurück, sagt man, seit die Welt fassungslos dem Treiben Trumps zusehen muss. Und wenn der Blick über den Atlantik zurück nach Europa schweift(1), kommen neben Trump der(25) Türke Recep Tayyip Erdoğan oder(2) der Russe Wladimir Putin in(3) den Blick, die alle drei auf ihre Weise mit ihrer Macht die Menschen ängstigen und monarchische Züge erkennen lassen: In Putin lebt(4) die zaristische Tradition, in Erdoğan das(3) Sultanat. Was ist das Beängstigende? Wir sind überrascht, wie schamlos diese Männer sich zur Macht bekennen. Wie machistisch sie sich benehmen und darin ganz offenkundig nicht nur sich selbst, sondern vielen anderen gefallen. Und schließlich: wie sehr sie die – ihre – Macht an die erste Stelle setzen, während das Recht viel später erst erscheint. Donald Trump findet(26) die Verfassung im(5) eigenen Land nur hinderlich. Verträge, die die internationale Ordnung regeln (WTO), sind ihm ziemlich schnuppe. Und der Rest der Welt – Politiker, Unternehmen – kann sich entscheiden, ob er auf die Rechtsordnung pocht(6), um dann vom mächtigsten Präsidenten der Welt geschnitten zu werden, oder ob er sich ihm und seinem Willen unterwirft(7). Nicht anders hält es der Türke Erdoğan: Im(4) eigenen Land höhlt er Schritt für Schritt Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit aus. Über den türkischen Staat hinaus hat er längst seinen Einflussbereich vergrößert, nicht zuletzt, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, auf dem Balkan, wo er das Machtvakuum nach(1) dem Zerfall Jugoslawiens geschickt dazu genutzt hat, vor allem in den Schulen und Universitäten Macht zu gewinnen, eine Strategie, welche die Politikwissenschaft inzwischen »neoosmanisch« zu nennen pflegt. Inzwischen greift diese Macht auch immer mehr nach dem Westen, ignoriert Staatsgrenzen und stellt das Volk über die Nation: Deutschland, obzwar der eigenen Souveränität entzogen, ist erweiterter Raum für den türkischen Wahlkampf. Wenn Deutschland dies mit Verweis auf die territoriale Souveränität verweigert, nennt der autoritäre Machthaber dies »undemokratisch«, vergleicht die deutsche Regierung gar mit den Nazis.
Analog dazu könnte man Wladimir Putins Politik(5) in der Ukraine, nicht zuletzt die Annexion der Krim, »neosowjetisch« nennen. Allemal zeigt sich, wie eng Machtpolitik und Geopolitik zusammenhängen. Und dass Männer an der Spitze von Staaten genau im wahrsten Sinn des Wortes »raumgreifend« operieren wollen, ein Machtgestus, der es sich leisten zu können meint, andere souveräne Machtansprüche zu ignorieren.
Dabei führt die Wahrnehmung des neuen Herrschertrios Trump, Putin(27), Erdoğan(6) als(5) despotisch und willkürlich am Zentrum vorbei. Es mag für uns in Deutschland so aussehen, als wären autoritäre Herrscher am Werk, denen ihr Volk hilflos ausgeliefert ist. Das Gegenteil ist wahr: Alle drei Machthaber beziehen die Legitimation ihrer Macht aus und von ihrem Volk. Sie sind Populisten im eigentlichen Sinn des Wortes. Ohne die Loyalität ihrer(2) Völker, die sie mit Mehrheit ins Amt gebracht haben, wären sie nichts. Macht ist immer auf Akzeptanz angewiesen; auf nichts achtet der Machthaber peinlicher. Populismus ist eine notwendige, wenngleich noch lange nicht hinreichende Voraussetzung jeder Machtpolitik. Macht, die meint, sich solipsistisch und ausschließlich egoistisch durchsetzen und verteidigen zu können, wird mit Sicherheit scheitern.
Was ist neu? Alles oder nichts, wie man es nimmt. Nichts, müsste man sagen und zeigen, dass eine Welt ohne Macht immer(1) nur ein naiver Traum war – mit Zügen eines Albtraums, wie wir später sehen werden. Alles, blickt man auf die Erosion jener institutionellen Einhegung der Macht, wie sie sich in westlichen Demokratien seit der Neuzeit eingebürgert hat. Hier nämlich hatte man sich darauf geeinigt, dass alle Macht vom Volk ausgehen solle und es gut sei, sie auf mehrere Gewalten zu verteilen, die untereinander im pluralistischen Wettbewerb stehen(4). Wettbewerb über(5) Gewaltenteilung, Wettbewerb über(6) Wahlen, über Meinungen (Pressefreiheit), über Wissen. Macht ist immer dann zu loben, so die dahinterstehende Regel, wenn sie dem Wettbewerb ausgesetzt(7) ist – am besten dem brutalen Wettbewerb. Denn(8) dann muss sie sich ihren eingeborenen Absolutheitsanspruch relativieren(1) lassen: Wettbewerb stößt(9) die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen zur Macht, könnte man, leicht abgewandelt, mit dem biblischen Magnificat sagen.
Inzwischen aber zeigt sich vielerorts eine Abkehr vom Wettbewerbsprinzip, die man – mit dem Mannheimer Politologen Thomas König – als(1) »Monopolisierung der(4) Macht« beschreiben könnte. Erdoğan, Orbán(6) & Co(2). verwandeln offene Demokratien auf legale Weise in protektionistische Autokratien. Sie beschneiden bürgerliche Freiheiten, häufig(2) mit Zustimmung ihres Volkes, und verhindern Wettbewerb. Fast(10) müsste man sagen, Trump sei(28) unter den Monopolisten der Macht derzeit noch der Waisenknabe. Denn er respektiert die Tradition der Balance of Power, lässt(2) sogar zu, obgleich knurrend, von seinen eigenen Republikanern in die Schranken gewiesen zu werden. Erdoğans oder(7) Kaczyńskis rechtskonservative Parteien würden sich so etwas nicht trauen.
Aber so oder so: Ohne das Volk ist die Macht nichts. Immer schon. Deshalb sind Krönungsrituale so wichtig, wie der Vergleich mit 1355 zeigt. Krönungsliturgien knüpfen und inszenieren das Band des Mächtigen zu jenen, denen er seine Macht verdankt. Man huldigt sich, schwört feierlich, einander zu beschützen und zu verteidigen. Der Kaiser des(7) späten Mittelalters ist nur der Anführer seiner Völker, die mit Nationen im heutigen Sinn damals noch nichts gemein hatten. Der Präsident ist(10) nur der Garant der Verfassung, auf(7) die er nichts kommen lässt. Krönungsrituale sind die Gottesdienste der Loyalität für(3) die Männer der Macht. Macht kann man sich nicht nehmen, man bekommt sie verliehen. Karl(1)IV. brauchte(10) den Segen des Papstes, um zur größten Fülle der Macht zu kommen. Er musste sogar die Kränkung in Kauf nehmen, dass lediglich ein Kardinal ihn krönte, da der Papst selbst(3) in diesen Jahren im Exil Avignon residierte. Spötter bezichtigen diesen Kaiser, er sei ein Knecht der Pfaffen, ein Spott, der freilich jene Dialektik der Macht ignorierte(17), die weiß, dass gerade die höchste Macht zu ihrer Legitimation einer anderen, größeren Macht bedarf.
Die Macht ist zurück. An dieser Stelle sollten wir zumindest eine vorläufige Definition geben(1), was unter »Macht« verstanden werden kann. Das ist gar nicht so einfach. Die Macht der Macht, so(18) hat der Soziologe Niklas Luhmann einmal(1) bemerkt, scheine im Wesentlichen auf dem Umstand zu beruhen, dass man nicht genau wisse, um was es sich eigentlich handele. Tatsächlich ist Macht etwas, bei dem jeder intuitiv zu wissen meint, was gemeint ist, während zugleich, will man es genauer wissen, der Begriff davonglitscht. Warum sehen wir Donald Trump oder(29) Karl IV. spontan(11) und intuitiv als mächtig an, aber – das ist Luhmanns Beispiel(2) – Johannes Gutenberg nicht(1): Dabei kann man ohne die leiseste Übertreibung sagen, dass ohne den Erfinder des Buchdrucks Luthers Reformation(1) nicht über Wittenberg hinausgekommen wäre und rasch vom Papst und(4) seinen autorisierten Schreibern erstickt worden wäre. Der Protestantismus hat die Geschichte mutmaßlich mehr verändert als die Regentschaft Karls IV. (bei(12) Trump wäre(30) ein Urteil voreilig). Ist Gutenberg also(2) etwa kein mächtiger Mensch? Man sage nicht, Gutenbergs Erfindung(3) habe ja einen guten Zweck verfolgt und deshalb mit Macht nichts zu tun. Erstens war das aus Sicht der römischen Kirche ganz(4) und gar nicht der Fall. Und grundsätzlicher gesagt, kann Macht nicht nur Macht sein, wenn ihre negativen oder bedrohlichen Eigenschaften dominieren. Mag sein, dass es sinnvoll ist, zwischen guter Macht und gefährlicher Macht zu unterscheiden. Aber trotzdem bleibt Macht Macht.
Daraus lässt sich fürs Erste folgern, dass eine heuristische Macht-Definition neutral(2) sein müsse gegenüber den positiven oder negativen Einschätzungen. Spätestens hier wird niemand um Max Weber und(1) seine klassische Definition herumkommen(3): »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch(8) gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.« Wichtig ist dabei die Verankerung der Macht nicht nur im Willen – voluntaristisch(9) also –, sondern auch in der »Chance der Durchsetzung« dieses Willens gegen Widerstände. Niklas Luhmann hat(3) das auf die Formel reduziert, Macht sei ein Bewirken von Wirkungen gegen möglichen Widerstand – »sozusagen Kausalität unter ungünstigen Umständen«. Daraus kann zweierlei abgeleitet werden: Macht ist sich ihrer selbst nie sicher; Macht ist eine riskante Angelegenheit; auch wenn sie für die Opfer der(1) Macht zuweilen(19) hammerhart daherkommt, ist Macht stets bestreitbar und wird sie unablässig bestritten. Das macht die Sache für den Mächtigen ungemütlich. Und: Macht kennt viele Gründe, auf die sie sich berufen kann. Es ist wenig zielführend, hier zwischen legitimen und illegitimen Gründen des Machtanspruchs zu(20) unterscheiden, wird doch jeder Machthaber bestrebt sein, seine Machtansprüche als angemessen und legitim darzustellen. Darum drehen sich weite Teile des Machtspiels. Im Grunde will Macht die Macht, eine Tautologie, aus der schwer zu entkommen ist.
Wie sich Macht ungeschminkt als Macht manifestiert, davon macht man sich am besten bei den Athenern ein Bild. Im Jahr 416 v. Chr.(1), in Zeiten des Friedens, segeln diese Athener – Demokraten, wie wir aus der Schule wissen – mit einer überlegenen Flottenmacht zu der kleinen Ägäis-Insel Mélos, deren Bürger mit Sparta sympathisieren, also mit den Feinden Athens. Sie wollen die Melier zur Aufgabe zwingen, doch diese weigern sich mit Gründen, worüber der antike Historiker Thukydides berichtet(1). Diese Reden und Gegenreden – unter dem Namen »Melierdialoge« berühmt(1) geworden – sind reinster Machiavelli avant(2) la lettre: Die Macht bezieht sich nur auf die Macht. Auf das Argument der Melier, ihre Unterwerfung sei wider das Recht, sagen die Athener, Recht gebe es nur zwischen gleich Starken. Ihre Schwäche nimmt ihnen das Recht. Auf die versuchte Drohung der Melier, Unterwerfung beschere den Athenern eine Schande, erwidern diese mit Perfidie, es sei keine Schande, sich einem Stärkeren zu ergeben. Über die ebenfalls als Drohung gemeinte Prophezeiung der Melier, irgendwann kämen die Athener durch Zufall in dieselbe Situation wie die Melier, weshalb sie sich aus Klugheitsgründen zurückhalten sollten, können die Athener nur lachen. Als die Melier schließlich behaupten, die Götter stünden(1) den Unschuldigen bei, erklären die Athener das Recht des Stärkeren zum göttlichen Willen. Als(10) die Melier sich am Ende wehren, spielen die Athener ihre Macht aus, vernichten die Melier – und nehmen dies zum Beweis, dass die Götter auf ihre Seite waren. Erst war die Macht, dann kommen die Gründe, nicht umgekehrt. Die Macht nimmt sich ihre Argumente, wie sie sie gerade braucht.
Das ist Macht in Reinkultur. Daran, an der Arroganz ihrer(21) selbstbewussten Durchsetzung (wie gesagt immerhin durch einen demokratisch verfassten Staat, die »Wiege der Demokratie«), hat sich bis heute nichts geändert. Man kann die Melierdialoge deshalb(2) zur Blaupause nehmen für die Analyse, was Macht ist. Sollte Donald Trump (oder(31) seine intellektuellen Berater) es noch nicht getan haben, muss er es schleunigst nachholen. Seither wissen wir – mit einer berühmten Formulierung des Altphilologen Karl Reinhardt –, dass(1) Moral und(1) Macht zwei(2) Größen sind, »die nicht mehr in einer und derselben Rechnung aufgehen«. Das gilt auch für die Größen Macht und Recht.
Das(3) führt zurück zu jener Verwunderung, mit der wir Heutigen im Angesicht von Trump und(32) den machtbewussten Populisten weltweit feststellen, die Macht sei zurück. Das ist gewiss eine richtige Beobachtung. Aber sie ist irgendwo auch naiv, eine Naivität, die uns erschrecken lässt. Vielleicht hatten wir gemeint, stabile demokratische Institutionen oder ökonomische Designs seien dazu angetan, die Macht unschädlich zu machen oder derart zu domestizieren, dass wir uns um sie nicht mehr kümmern müssten. Oder wir hatten – wie die Melier – auf die entmachtende Rolle von Recht(4) und Moral gesetzt(2). Als ob Macht in einer modernen Gesellschaft, weil(2) irgendwie gefährlich, unschädlich gemacht werden müsste oder könnte. Weit gefehlt.
Die Macht war nie weg. Sie gehört zu uns Menschen, seit es uns gibt. Macht, so lesen wir bei Thomas Hobbes, ist(1) »ein allgemeiner Trieb der(11) gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet«. Das »fortwährende und rastlose Verlangen nach(12) immer neuer Macht«, so Hobbes, sei(2) nicht auszurotten. Es wäre ein aussichtsloses Unterfangen, diesen Trieb abtöten(13) zu wollen. Es wäre noch nicht einmal wünschenswert, den »Willen zur(14) Macht« auszurotten, handelt es sich doch um eine anthropologische Konstante, die bei weitem nicht nur negative Eigenschaften hat, sondern durchaus kreatives Potential entfaltet(22), ohne welches das Leben weniger lebenswert wäre.
Freunde der Star-Wars-Filme wissen, dass die Jedi-Ritter – das sind die Guten – einander ansprechen mit dem liturgischen Gruß »May(1) the force be with you«: »Die Macht sei mit dir!« Natürlich ist das eine Blasphemie der katholischen Messliturgie, bei der sich der Priester zu den Gläubigen wendet mit dem Gruß »Dominus vobiscum«: »Der Herr sei mit euch«, worauf die Gläubigen antworten »Et cum spiritu tuo«: »Und mit deinem Geiste«. Bei den Jedi ist »force« offenbar mehrdeutig gebraucht, kann Macht, Kraft, Stärke, Gewalt oder(1) Zwang bedeuten. Die Star-Wars-Exegeten (ihre Bibelwissenschaftler schreiben über alles ausführlich auf der Internetseite Jedipedia) haben längst herausgefunden, dass die Philosophie der Macht auf(23) die Lehren des chinesischen Weisen Lao-Tse zurückgeht, der am transzendenten Urgrund der Welt eine(15) Dynamik der Prinzipien Yin und Yang erkannte, was »schattig« und »sonnig« bedeutet. Bei Star Wars wird daraus eine »Macht« (force), die auf diffuse Weise mit dem Prinzip des Lebens zusammenhängt(24); von ihr gibt es eine helle und eine dunkle Seite. Die Jedi verkörpern die helle Seite der Macht, ihre Gegenspieler, die(1) Sith, die dunkle. Man sollte die Philosophie der Star Wars nicht als esoterische Phantasterei abtun. Worauf es hier ankommt: Es gibt eine im Mythos (von(1) Lao-Tse bis Star Wars) erzählte Ahnung davon, wonach am Urgrund der Welt ein(16) »Wille zur Macht« sich(17) offenbare, der jenseits oder besser vor aller Rationalität der Aufklärung (auch vor Max Webers Macht-Definition(2)) sich(4) finde und zutiefst ambivalent sei. Er hat eine dunkle und helle Seite. Zu schön wäre es, darauf zu hoffen, beide Seiten befänden sich die meiste Zeit in einer prästabilierten Harmonie. Es wird eher umgekehrt sein: Der Kampf ist auf ewig unentschieden. Im 19. Jahrhundert wurde diese Ahnung eines mächtigen Willens oder Triebs – irrational(18), unberechenbar, ängstigend – in der nachidealistischen Philosophie vom späten Schelling bis(1) zu Schopenhauer und(1) Freud immer(1) mehr durchdacht. Friedrich Nietzsches berühmte(2) Formel eines »Willens zur Macht«, definiert(19) als Prinzip alles Lebendigen, bringt(25) diese Erfahrung auf den Begriff und befreit diesen zugleich von der negativen Konnotation des Bösen, die(1) er bei Schopenhauer noch(2) hat.
Das ist der Ausgangspunkt dieses Buches: Die Macht ist weder per se gut noch per se böse. Sie(26) ist einfach da, mal attraktiv, mal abscheulich, mal begehrt, mal geleugnet. Präzise trifft es der Soziologe und Philosoph Helmuth Plessner(1), der Macht als »ethisch amorph« beschreibt(27) – wie alles Wirkliche schlechthin. Macht, das ist die Grundannahme dieses Buches, ist eine Wirklichkeit, die es gerade in ihrer Ambivalenz anzuerkennen(2) gilt. Die Moralisierer wollen sie unschädlich machen, ignorieren oder stigmatisieren. Damit ist nichts gewonnen. Im Gegenteil. Die Macht hält nichts von der Moral. Sie(5) hält auch nichts vom Recht. Versuche, sie der Moral oder(3) dem Recht unterzuordnen, müssen scheitern. Macht beansprucht ihr eigenes Recht und Reich. Mal bediente sie sich des bohrenden Neids, mal der süßen Rache, mal(1) der einfühlenden Empathie, um sich durchzusetzen. Jedes Mittel ist ihr recht auf dem Weg zum Ziel. Macht ist eine enorm produktive Kraft, ohne(1) welche wir weder Fortschritt noch(1) Wohlstand hätten. Das ist die Provokation.
Kommen wir zurück zu unseren beiden Krönungsfeierlichkeiten und ihren Eidesformeln. Natürlich wird in solchen Formeln nicht die Wahrheit gesagt. Das ist auch gar nicht ihr Sinn, handelt es sich doch um performative Sprechakte, die eine Handlung vollziehen, aber nicht eine Behauptung aufstellen, die man dem Faktencheck unterziehen könnte. Als Proposition betrachtet hat Trump gelogen(33), erweist er sich doch als alles andere denn als Hüter der Verfassung. Trump(8) indessen(34) ließ schon an den ersten Tagen nach der Inauguration erkennen(4), was er von der Verfassung hält, die er nicht einmal richtig zu kennen scheint: nichts. Er verwehrte gegen die Verfassung Muslimen den(1) Zuzug nach Amerika. Trump sinnt(35) darauf, die Macht des Rechts durch das Recht der Macht zu ersetzen, genauer gesagt: durch das von ihm für sich beanspruchte Recht auf größte Macht. Der Kampf ist bis heute nicht entschieden. Die schärfste Waffe des Rechts ist ein Impeachment-Verfahren, das(11) Verfahren des Rechtsstaats zur Entmachtung seines(3) Präsidenten.
Ähnliches ließe sich bei Karl IV. beobachten(13), der sich fürderhin wenig um seinen Eid scherte, Beschützer und Verteidiger des Papstes und der Heiligen römischen Kirche zu(5) sein. Vielmehr, sagen seine Biographen, brachte er es zu Meisterschaft in Methoden der Machtausübung, wie(4) sie später der Machttheoretiker Machiavelli den(3) regierenden Fürsten empfahl, Handreichungen, gedacht, um an der Macht zu bleiben.
Doch was hätten sie sagen sollen, die beiden so nahen und so fernen mächtigen Männer? Vielleicht das: »Am heutigen Tag ergreifen wir die Fülle der Macht, nach der wir jahrelang gegiert haben!« »Am heutigen Tag sind wir am Ziel unserer Wünsche, denn stets ging es uns um die Macht und um nichts als die Macht.« »Von heute an könnt ihr euch den Verweis auf Recht und Moral schenken(4).« »Von heute an heißt es ›Die Macht zuerst‹.« Das tut man nicht. Es wäre töricht, so zu reden. Ständig daran denken, aber nie darüber reden, heißt die Devise.
Das bedeutet nicht, dass man die Macht nicht sehen könnte oder sogar sehen müsste. Wie gesagt, Macht muss verkörpert werden. Bei Karl IV. sind(14) es die Kronen, von denen er eine größere Sammlung besaß, die symbolisch den größten Machtanspruch auf die ihm unterworfenen Gebiete repräsentieren, auch wenn gar nicht genau gesagt werden kann, welche Herrschaft dazugehört. »Kein König ohne(5) Krone« kann als eherner Grundsatz der symbolischen Repräsentation von Macht gelten.
Und wo ist die Krone von König Donald(6) Trump? Es(36) mag nur auf den ersten Blick albern klingen, seine immer wieder verspottete Haartolle als Ersatz für die Krone mittelalterlicher Herrscher anzusehen. Gewiss, sie dient auch dazu, das schüttere Haupthaar zu verbergen. Doch verbirgt sich dahinter gerade das Wissen, dass die Fülle der Macht zunächst sich auf dem Haupt sichtbar machen muss, und sei es durch eine Haarkrone. Das ist nicht alles: Wie Karl IV. neben(15)