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Schule neu erfinden Die Institution Schule steckt in der Krise. Viele Lehrkräfte ziehen ernsthaft in Erwägung, ihren Beruf an den Nagel zu hängen und einer anderen Tätigkeit nachzugehen. Verhaltensstörungen, Respektlosigkeit, fordernde und aufsässige Eltern oder mangelnde Motivation bei den Schüler:innen sind nur einige der vielfältigen Gründe, warum so viele Lehrende einen Burn-out entwickeln. Der finnische Psychiater und frühere Schularzt Ben Furman stellt in diesem Buch eine spannende und facettenreiche Sammlung lösungsfokussierter Methoden und Tools vor, die der Vorbeugung und Bewältigung dieser Probleme dienen. Sie decken sowohl die Arbeit mit einzelnen Schüler:innen und Schülergruppen ab wie auch die mit den Eltern. Fehlverhalten, Mobbing und Schulvermeidung stellt Furman die Verbesserung der Klassenatmosphäre, Lob und Motivation entgegen. Das Buch richtet sich in erster Linie an Lehrkräfte, Schulleitungen und sonstiges Schulpersonal. Die beschriebenen Lösungsvorschläge sind jedoch für alle interessant, die sich mit den Herausforderungen, vor denen Schulen heutzutage stehen, befassen und die für ein besseres Schulklima sorgen möchten – für Lernende wie für Lehrende. Zu den Themen des Buchs steht umfangreiches Online-Material in Form von Videos, Apps und Zusatztexten zum kostenlosen Download bereit. Der Autor: Ben Furman, Dr., Psychiater und Psychotherapeut, ist Mitbegründer des Helsinki Brief Therapy Institute. Er ist anerkannter Experte für lösungsfokussierte Therapie, Beratung und Pädagogik und entwickelte das lösungsfokussierte Lern- und Arbeitsprogramm Ich schaff's! Veröffentlichungen u. a.: "Ich schaffs! Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für Eltern, Erzieher und Therapeuten" (10. Aufl. 2024), "Gut gemacht! Das 'Ich-schaffs!'-Programm für Eltern und andere Erzieher" (4. Aufl. 2021), "Es ist nie zu spät, erfolgreich zu sein" (zus. mit Tapani Ahola, 3. Aufl. 2021), "Twin Star – Lösungen vom anderen Stern" (zus. mit Tapani Ahola, 6. Aufl. 2023), "Jetzt gehts! Erfolg und Lebensfreude mit lösungsorientiertem Selbstcoaching" (zus. mit Rolf Reinlaßöder, 2. Aufl. 2013), "Hey, das kannst du! Wie Fähigkeitsdenken Kindern hilft, Herausforderungen zu meistern" (2023).
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Seitenzahl: 142
Was treibt Menschen zum Lernen an? Was hält sie davon ab? Wie kann eine funktionierende Lehrer-Schüler-Eltern-Beziehung entstehen? Wie gelingen Erziehung und Bildung? Was sind Kompetenzen und wie lässt sich deren Reifung unterstützen? Wie fördert man Persönlichkeiten?
Diese und ähnliche Fragen stehen im Mittelpunkt der Systemischen Pädagogik. Das Ziel ist ein von wechselseitigem Respekt geprägter Umgang von Schülern, Lehrern, Erziehern und Eltern. Gemeinsames Lernen mit Zuversicht und Spaß, der Blick auf die Potenziale und Fähigkeiten – zwei Grundannahmen der Systemischen Pädagogik. Gleichzeitig ist sich die Systemische Pädagogik der Tatsache bewusst, dass Menschen lernfähig, aber unbelehrbar sind. Welche Konsequenzen sich daraus für gelingende Lern- und Bildungsprozesse für Lehrende bzw. Lernbegleiter ergeben, ist eine wichtige Zukunftsfrage der Systemischen Pädagogik.
Der Ansatz der Systemischen Pädagogik verbindet systemtheoretische Erkenntnisse, Sicht- und Handlungsweisen mit dem Forschungsstand und den Erkenntnissen der Erziehungswissenschaften und macht sie für den pädagogischen Alltag nutzbar. Auch im familiären Erziehungsalltag lässt sich systemisches Denken und Handeln gut nutzen, ohne Kinder zu disziplinieren oder ihnen mit Anpassungsforderungen zu begegnen. Selbstkritische und selbststeuerungsfähige Menschen benötigen sehr spezifische Möglichkeiten der Reifung und Auseinandersetzung beim Aufwachsen. Welche das sind und wie das gehen kann, zeigen anerkannte Therapeuten, Pädagogen und Berater in den Büchern dieser Reihe.
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf ArnoldHerausgeber der Reihe Systemische Pädagogik
Ben Furman
Wie Unterrichten wieder mit mehr Freude gelingt
Aus dem Englischen von Nicola Offermanns
2024
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Dresden)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer † (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Dallgow-Döberitz)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe »Systemische Pädagogik«
hrsg. von Rolf Arnold
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlaggestaltung: Melanie Szeifert
Umschlagfoto: © Julia Alakulju
Redaktion: Anja Bachert
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2024
ISBN 978-3-8497-0548-0 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8501-7 (ePUB)
© 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel »Ratkaisuja koulutyön haasteisiin« im Verlag Viisas Elämä, Helsinki 2024.
Copyright © Ben Furman, 2024
All rights reserved
Aus dem Englischen übersetzt von Nicola Offermanns
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22
Zu diesem Buch gibt es ausführliches Zusatzmaterial online:https://courses.benfurman.com/enroll/2757755?price_id=3583881
Inhalt
Einführung
1 Verbesserung der Klassenatmosphäre
Über Interessen sprechen
Lauschangriff auf gute Eigenschaften
Himmel oder Hölle – ein Wahrsagespiel
Lob aus der Gerüchteküche
Die WOWW-Methode
Das Projekt »Meisterklasse«
Die »Nurtured heart«-Methode
2 Die Arbeit mit einzelnen Schülern
Erfolgreiche Gesprächsinterventionen in 6 Schritten
Schritt 1: Stellen Sie zunächst einen positiven Kontakt zu dem Schüler her!
Schritt 2: Reden Sie eher über das erwünschte Verhalten, das Sie in Zukunft sehen möchten, statt über das Verhalten, das künftig vermieden werden soll!
Schritt 3: Um den Schüler zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, sprechen Sie über die Vorzüge des erwünschten Verhaltens, statt die negativen Konsequenzen des schlechten Benehmens aufzulisten!
Schritt 4: Helfen Sie dem Schüler, sich zu überlegen, wie andere ihm beim Einüben des angestrebten Verhaltens helfen können!
Schritt 5: Machen Sie dem Schüler Hoffnung, dass er das erwünschte Verhalten auch lernen kann!
Schritt 6: Beenden Sie das Gespräch in einer wertschätzenden Weise!
Die drei Häuser
Das Haus der Stärken und Ressourcen
Das Haus der Ziele und Fähigkeiten
Das Haus der Unterstützung
Chatbot als Kommunikationshilfe
Wenn Schüler sich stur stellen
Tipp 1: Formulieren Sie die Einladung zum Gespräch auf respektvolle Weise!
Tipp 2: Bieten Sie dem Schüler an, jemanden mitzubringen!
Tipp 3: Lassen Sie den Schüler erzählen, wie er diese Art von Gesprächen bisher erlebt hat!
Tipp 4: Eröffnen Sie das Gespräch, indem Sie mit dem Schüler über seine Stärken und Ressourcen sprechen!
Tipp 5: Finden Sie heraus, was für den Schüler aus seiner Sicht ein gutes Ergebnis des Gesprächs wäre!
Tipp 6: Achten Sie darauf, dass der Fokus Ihres Gesprächs auf der Zukunft und auf Zielen liegt statt auf der Vergangenheit und ihren Problemen!
Tipp 7: Lassen Sie dem Schüler genug Zeit, über seine Antworten nachzudenken!
Tipp 8: Erklären Sie dem Schüler, aus welchen Gründen Sie diese Fragen stellen!
Tipp 9: Bitten Sie den Schüler, sich vorzustellen, wie jemand aus seinem Umfeld diese Frage beantworten würde!
3 Die Arbeit mit Schülergruppen
Schritt 1: Stärken erkunden
Schritt 2: Ziele setzen
Schritt 3: Vorteile benennen
Schritt 4: Die Werbeagentur
Schritt 5: Ein Netzwerk an Helfern
Schritt 6: Fortschritte erkennen
Schritt 7: Das Fortschrittsmonitoring
Schritt 8: Das Versprechen
Schritt 9: Den Erfolg feiern
4 Die Arbeit mit Eltern
Tipp 1: Formulieren Sie eine freundliche Einladung zum Gespräch!
Tipp 2: Schaffen Sie eine gute Gesprächsatmosphäre!
Tipp 3: Vermitteln Sie, was das Gespräch bezwecken soll!
Tipp 4: Sagen Sie den Eltern, wie Sie sich den Ablauf des Gesprächs vorstellen!
Tipp 5: Beginnen Sie mit den Stärken!
Tipp 6: Achten Sie auf lösungsfokussierte Formulierungen!
Tipp 7: Laden Sie alle Anwesenden zum Gedankenaustausch über mögliche Lösungen ein!
Tipp 8: Vergewissern Sie sich, dass es Helfer gibt!
Tipp 9: Erstellen Sie einen Handlungsplan!
Tipp 10: Besänftigen Sie empörte Eltern!
5 Reaktion auf Fehlverhalten
Eine Alternative zur Bestrafung
Verantwortung übernehmen
1. Zugeben
2. Verstehen
3. Sich entschuldigen
4. Wiedergutmachen
5. Etwas versprechen
6. Sich für andere einsetzen
6 Maßnahmen gegen Mobbing
Das Prinzip der Helfergruppe
Selbstverteidigung mit Worten
Kooperationsfähigkeit
Die Fähigkeit, Konflikte zu lösen
Die Fähigkeit, sich zu entschuldigen
Die Bereitschaft, für seine Freunde einzustehen
Schlagfertigkeit
Mediation bei Konflikten
7 Schulvermeidung
8 Loben
Kollektives Lob
Geteiltes Lob
Lob ohne Worte
Lob durch Nachfragen
Indirektes Lob
Lob durch Dank
Lob für den Versuch
Die Erlaubnis zum Loben
Vergleichendes Lob
Wechselseitiges Lob
9 Motivation
Die Attraktivität des Ziels
Zuversicht auf Erfolg
Das Gefühl, Fortschritte zu machen
Sich auf Rückschläge einstellen
Zusammenfassung
10 Fallbeispiele
»Mission Organised«
»Bestis«
»Der unsichtbare Schutzschild«
Anhang
Literatur und weiterführende Informationen
Über den Autor
Seit den frühen 1980er-Jahren engagiere ich mich dafür, den Umgang von Schulen mit psychologischen Herausforderungen zu verbessern. Nach meinem Medizinstudium zog ich 1979 nach Lappland im Norden Finnlands und begann meine Tätigkeit als praktischer Arzt in einem medizinischen Versorgungszentrum. Eine meiner Aufgaben war die Tätigkeit als Schularzt. Dadurch lernte ich viel über die mannigfaltigen Herausforderungen, mit denen Lehrkräfte heutzutage konfrontiert sind. Als Schularzt freundete ich mich mit Tapio Hyttinen an, dem zuständigen Sonderschullehrer, der eine kleine Gruppe von Schülern1 mit Verhaltensproblemen unterrichtete und später viele Jahre lang Schulleiter in verschiedenen Grundschulen war. Tapios unkonventionelle Art im Umgang mit seinen Schülern hat mich nachhaltig beeindruckt. Ich erinnere mich, wie er mich einmal gefragt hat, was man meiner Meinung nach mit Schülern machen solle, die sich in der Klasse aufspielen und den Unterricht stören. Ich antwortete, meines Wissens würden Lehrer solche Schüler normalerweise für eine gewisse Zeit vom Unterricht ausschließen. Tapio schmunzelte und sagte, er mache genau das Gegenteil: »Ich bitte die anderen Schüler, den Klassenraum ein Weilchen zu verlassen, damit ich mit dem Störenfried ein ernstes Gespräch unter vier Augen führen kann.« Ich staunte über Tapios Kreativität, und so war es kaum verwunderlich, dass ich sofort begeistert war, als ich viele Jahre später mit einer Version der Kurzzeittherapie in Berührung kam, die mich an Tapios Geschichten über seine Arbeitsweise erinnerte.
Als ich einige Jahre später nach Helsinki zurückkehrte, begann ich meine Facharztausbildung in Psychiatrie. Damals war die Psychoanalyse die vorherrschende Therapieform. Die meisten unserer Lehrbücher stammten von Psychoanalytikern, und fast alle Professoren – für Kinder- sowie Erwachsenenpsychiatrie gleichermaßen – waren psychoanalytisch ausgebildet. Auch ich hatte vor, Psychoanalytiker zu werden, aber zu der Zeit wehte schon ein frischer Wind durch die Szene der Psychotherapie. Die kognitive Verhaltenstherapie, die in den psychologischen Fakultäten der Universitäten entwickelt worden war, gewann an Popularität, und die Familientherapie – oder Systemische Therapie, wie sie heute meist genannt wird – war das »new kid on the block«. Systemische Therapie war so, wie ich sie erlernt habe, eher auf die Zukunft ausgerichtet als auf die Vergangenheit. Sie propagierte die Einbeziehung des sozialen Umfelds der Klienten und traute ihnen zu, dass sie – mit kleinen Hilfestellungen der Therapeuten – ihre eigenen Lösungen finden können.
Mitte der 1980er-Jahre erhielt ich einen Telefonanruf von einer allseits bekannten finnischen Nichtregierungsorganisation (NGO), der Mannerheim League for the Child. Die Organisation hatte beschlossen, eine einjährige Ausbildung in Kurzzeittherapie für Psychotherapeuten und Berater zu entwickeln, und sie baten mich, zusammen mit Tapani Ahola eine Lehrveranstaltung anzubieten. Ich war in der Welt der Systemischen Therapie immer noch ein Neuling, aber Tapani hatte schon reichlich Erfahrung gesammelt, da er als Leiter einer Rehabilitationsklinik für heranwachsende Drogenabhängige die Kurzzeittherapie bei Teenagern und ihren Familien einsetzte.
In den darauffolgenden Jahren bot die NGO jährliche Ausbildungen in Kurzzeittherapie an. Die Teilnehmer bildeten ein weites Spektrum von professionellen Helfern ab, darunter Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Schulberater, Sonderschullehrer etc. Nicht selten gab es bei den Problemen, mit denen die Klienten zu uns kamen, einen Zusammenhang mit der Schule.
Etwa zu der Zeit beschlossen wir gemeinsam mit einigen der Entscheidungsträger in der NGO, Geschichten von Lehrkräften und anderem Schulpersonal zu sammeln, die in der Schule ähnliche Prinzipien wie die der Kurzzeittherapie anwenden, um dortige Probleme und Herausforderungen in den Griff zu bekommen. Das Projekt hieß sinngemäß »Keine Sündenböcke mehr«. Ein paar Jahre später erschien dazu ein Buch über praktische Lösungen für Schulprobleme.2 Die vielen eingängigen Geschichten darin behandelten Themen wie Mobbing, destruktives Verhalten, Schuleschwänzen, Klassenatmosphäre, Lernschwächen, Leistungsdefizite und sogar Ladendiebstahl. Dies ist eine der inspirierenden Geschichten aus dem Buch, sie stammt von einem Sonderschullehrer:
In meiner Arbeit ist der allerbeste Helfer die Figur einer Ratte, die mein Schüler Tim vor ein paar Jahren gezeichnet hat. Da die Schüler mich oft gebeten haben, ihnen davon eine Kopie zu machen, entschloss ich mich, diese magische Kraft zu meinem Vorteil zu nutzen. Also versprach ich Mathis, einem launischen Jungen, der sich für so gut wie gar nichts interessierte, ihm ein Bild der Ratte zu geben, wenn er im nächsten muttersprachlichen Test acht von zehn Punkten erreichen würde. Seine entsetzte Reaktion ignorierte ich, als er sagte: »Sind Sie verrückt? Solche Noten habe ich seit Jahren nicht mehr bekommen.«
Aber er war clever und stur, und eines Tages bekam er die Ratte.
Ich rollte das Bild der Ratte feierlich zusammen, steckte es in seinen Ranzen und verbot ihm, es im Schulgebäude herumzuzeigen und damit anzugeben, denn ich hätte nicht genug Exemplare, dass alle eins hätten bekommen können. Aber ich bat ihn, die Ratte zu Hause an einen würdigen Platz in seinem Zimmer aufzuhängen und sich immer an die erreichten acht Punkte zu erinnern, wenn er das Bild anguckte.
Es dauerte nicht lange, bis ein guter Freund von Mathis, der ähnlich drauf war, auch gierig darauf war, ein Bild der Ratte zu ergattern. Allerdings konnte er es kaum fassen, dass Mathis so eine gute Note bekommen hatte! Danach waren Lisa, Ruben, Memet und Jakob dran – und es war immer dasselbe: sieben oder acht von zehn Punkten …
Die Ratte war wirklich ein raffiniertes Biest. Auch wenn sie nur heimlich umherstreifte, zierte sie die Kinderzimmerwände von immer mehr kleinen Helden. Und inzwischen überrascht es mich kaum noch, wenn ein Schüler, den ich gar nicht kenne, zu mir kommt und die Ratte sehen will, denn ich weiß ja: Er meint damit nicht mich …
Hier ist noch eine Geschichte aus demselben Buch:
Die Lehrerin einer 6. Klasse war es allmählich leid, dass die Schüler sich ständig an sie wandten und bei jedem noch so kleinen Problem Hilfe brauchten. Sie wollte, dass die Schüler selbst mehr Verantwortung dafür übernehmen, ihre Probleme zu lösen.
Die Klasse wurde immer wieder nach dem Zufallsprinzip in feste Gruppen von vier Schülern geteilt. Jede Gruppe war verantwortlich dafür, dass es allen Vieren gut geht. Wenn einer von ihnen ein Problem hatte, sollte er dies der Gruppe mitteilen. Dieses Team durfte dann während der Pause im Klassenzimmer bleiben, um über eine Lösung zu beraten. Anschließend erzählten sie der Lehrerin ihren Lösungsvorschlag. Das Team sollte sich auch beim Lernen gegenseitig unterstützen. Es stellte sich heraus, dass diese Methode der »Lösungsgruppen« gut funktionierte, und sie gehört seitdem in unserer Schule zum festen Repertoire.
Inzwischen sind drei Jahrzehnte seit dem Erscheinen des Buchs über die praktischen Lösungen für Schulprobleme vergangen, und die lösungsfokussierte Psychologie im Bildungskontext erfreut sich in vielen Ländern weltweit großer Beliebtheit. – So ist es nun an der Zeit, das Thema einer erneuten Betrachtung zu unterziehen.
Heutzutage bezieht sich der lösungsfokussierte Ansatz3 nicht mehr nur auf eine Sammlung origineller und inspirierender Geschichten und Beschreibungen, wie Lehrer und andere Professionelle in Schulen es geschafft haben, dortige Herausforderungen auf kreative und unkonventionelle Weise zu meistern. Über die letzten Jahrzehnte hat sich das Fähigkeitsdenken in der Erziehung zu einem umfassenden pädagogischen Konzept entwickelt: Es wird in vielen Schulen und pädagogischen Einrichtungen in aller Welt verwendet und hat als Sprungbrett für die Entwicklung zahlreicher Tools und Methoden zur Lösung und Vorbeugung von schulischen Problemen gedient.
Mit diesem Buch möchte ich Sie damit vertraut machen, wie Sie das Fähigkeitsdenken im erzieherischen Kontext anwenden können. Ich werde Ihnen dazu eine vielfältige Sammlung unterschiedlichster Hilfsmittel aus der lösungsfokussierten Pädagogik vorstellen – in der Hoffnung, nicht nur Ihr Interesse für diesen Ansatz zu wecken, sondern Sie auch dazu zu inspirieren, die beschriebenen Ideen in Ihren Schulalltag zu integrieren.
1 Zur besseren Lesbarkeit verwende ich bei allgemeinen Personenbezeichnungen das generische Maskulinum. Selbstverständlich sind damit immer alle Geschlechter gemeint.
2 Das Buch liegt nur im finnischen Original vor: Koulun omat konstit – käytännön ratkaisuja koulun pulmatilanteisiin. Mannerheim Kinderschutzverbund, Helsinki 1992.
3 Die Begriffe »lösungsfokussierter Ansatz«, »Kompetenzansatz« oder »Fähigkeitsdenken« werden im vorliegenden Buch synonym verwendet (Anm. d. Ü.).
Die Klassenatmosphäre hat wahrscheinlich von allen Faktoren den größten Einfluss auf das Wohlergehen der Lehrkräfte. Eine schlechte Klassenatmosphäre behindert das Lernen, stört den Unterricht und kann den Lehrer bis zur völligen Erschöpfung unter Stress setzen. Ein gutes Klassenklima hingegen begünstigt die Lernprozesse ebenso wie die Arbeitszufriedenheit der Lehrer – hier macht das Unterrichten Spaß.
Man kann die Klassenatmosphäre schon durch einfache Spiele und Übungen verbessern – aber auch durch längerfristige und anspruchsvollere Projekte, in die alle Kinder einbezogen werden. In diesem Kapitel werde ich zunächst ein paar simple Übungen beschreiben, die die Beziehungen der Schüler untereinander verbessern, und anschließend drei etwas komplexere Methoden, mit denen wir eine gute Klassenatmosphäre fördern, die Kooperationsbereitschaft unter den Schülern stärken und die Zufriedenheit der Lehrkräfte erhöhen können.
Teilen Sie die Klasse nach dem Zufallsprinzip in Gruppen von vier Schülern und geben Sie jeder Gruppe die folgende Anweisung:
»Wählt eine Person aus eurer Gruppe aus, die anfangen soll. Diejenige erzählt der Gruppe von ihren Hobbys und speziellen Interessen. Das könnte z. B. sein, dass sie in einem Sportverein ist oder sich für bestimmte Comics interessiert – was auch immer es sein mag.«
Dann sind die anderen Gruppenmitglieder nach dem Uhrzeigersinn dran und stellen Fragen zu diesem Hobby bzw. Interesse.
»Nehmen wir z. B. mal an, der Erste von euch sagt, dass er gerne Schach spielt. Dann könnte derjenige links davon fragen:
›Mit wem spielst du Schach?‹
Der Nächste könnte fragen:
›Wo hast du das Schachspielen gelernt?‹
Und der Dritte:
›Was gefällt dir am Schachspielen?‹
Derjenige, der von seinen Interessen erzählt hat, antwortet kurz auf jede Frage. Das macht ihr drei Runden lang, sodass jeder insgesamt neun Fragen von der Gruppe bekommt.«
Bei dieser Übung steht jedes Gruppenmitglied einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das ehrlich gemeinte Interesse aneinander, das alle durch ihre Fragen zum Ausdruck bringen, gibt jedem das Gefühl, zur Gruppe dazuzugehören und von den anderen wertgeschätzt zu werden.