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Dein Wegweiser durch eine queere Welt
Wer bin ich? Zu wem fühle ich mich hingezogen? Was hat es mit Coming-Outs auf sich? Wie funktioniert queerer Sex? Was ist die queere Community und wie kann ich mich für queere Rechte einsetzen? Vielleicht hast du dir genau solche Fragen schon einmal gestellt, oder du kennst jemanden, der sich mit ihnen beschäftigt. Dieses Buch möchte dich auf dem Weg begleiten, deine eigenen Antworten zu finden, und dir dabei helfen, die großartige Vielfalt rund um Queerness und LGBTQIA+ kennen und verstehen zu lernen. Es möchte dir Mut machen und ein Wegweiser sein, wobei die wichtigste Botschaft bleibt: Du bist nicht allein und du wirst deinen Weg finden!
»Kein Buch ersetzt den Weg, den wir gehen müssen, um herauszufinden, wofür und für wen unser Herz schlägt. Aber das Richtige kann ermutigen und helfen, dass wir uns dabei verstanden fühlen. Diese Art von Buch ist LOVE, YOU.« ANNE PÄTZOLD
Sachbücher bei LYX - authentisch, empathisch, einfühlsam
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Seitenzahl: 323
Cover
Über den Autor
Titel
Impressum
Hinweis
Widmung
P
L
A
Y
L
I
S
T
VORWORT
SPRACHE
COMING-OUT UND INVITING-IN
BEZIEHUNGEN
SEX
QUEERE GESUNDHEIT
GESCHICHTE
QUEERPOLITIK
VERANTWORTUNG UND AKTIVISMUS
QU
E
E
RE
S G
LÜ
C
K
DANKSAGUNG
MITWIRKENDE
BERATUNGS- UND ANLAUFSTELLEN
DAS TEAM HINTER DEM BUCH
QUELLEN
Kai Spellmeier (er/ihm) studierte Literatur und Englisch in Berlin und Edinburgh. Wenn er nicht selbst mit dem Kopf in einem Buch steckt, findet man ihn online, wo er seit 2015 über Literatur bloggt und den queeren Buchclub »Das Pinke Sofa« co-leitet. Er schreibt unverschämt queere Literatur.
Weitere Informationen unter:
Instagram: @kaispellmeier
TikTok: @kaispellmeier
LYX.digital in der Bastei Lübbe AG
Der Inhalt dieses Buchs wurde sorgfältig recherchiert und geprüft. Die Informationen sind allerdings nicht dazu gedacht, eine ärztliche oder therapeutische Beratung zu ersetzen, sofern eine solche angezeigt ist.
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Eine Haftung des Autors oder des Verlags ist ausgeschlossen.
Originalausgabe:
Copyright © 2023 by Kai Spellmeier
Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Textredaktion: Cara Rogaschewski
Umschlaggestaltung: © Jeannine Schmelzer
Layout: two-up, Düsseldorf
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7363-1829-8
Weitere Informationen unter:
lyx-verlag.de
luebbe.de | lesejury.de
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Eine Aufzählung der Inhalte findet ihr hier.
Wir wünschen uns für euch alledas bestmögliche Leseerlebnis.
Euer Kai und euer LYX-Verlag
Dieses Buch ist für dich.
Es gehört dir.
Du verdienst ein Buchin deinem Namen.
Mitwirkende
Stimmen aus der Community, die in diesem Buch zu Wort kommen:
Anna Ruhland
Evelyne Aschwanden
Dominik Djialeu
Chantal-Fleur Sandjon
Gialu
Leni Bolt
Marius Schaefers
Sophie Bichon
Mehr Informationen zu den einzelnen Mitwirkenden findest du im Kapitel ›MITWIRKENDE‹. Wir bedanken uns herzlich für die Zusammenarbeit!
Wenn du einen passenden Soundtrack für dieses Buch suchst, kann ich dir folgende queere Artists und Songs empfehlen:
Claire Waldoff – Hannelore
Drangsal – Mädchen sind die schönsten Jungs
Fasia Jansen – Verbrannte Erde in Deutschland
Felix Jaehn, Calum Scott – Love On Myself
Kim Petras – I Don’t Want It At All
JNNRHNDRXX – MOOD 4 EVA
LEA, LUNA – Küsse wie Gift
Lie Ning – tonight
Mavi Phoenix – Grass And The Sun
Nura – On Fleek
Die komplette Playlist zu »Love, you – Ein Buch für dich« mit queerer Musik aus dem deutschen Raum findest du auf Spotify.
Hey du,
etwas hat dich dazu bewegt, nach diesem Buch zu greifen und es aufzublättern, daher möchte ich dir gleich zu Anfang eine Wahrheit verraten, die felsenfest und unumstößlich ist: Queersein ist wunderschön. Egal, wer du bist und was du bereits über Queerness weißt, ist das eine Botschaft, die ich dir mit auf den Weg geben will. Die Sonne geht im Osten auf, Hunde sind knuffig, und Queersein ist wunderschön. Allesamt Naturgesetze.
Ich kann nur vermuten, warum du dich entschieden hast, einen Blick in dieses Buch zu werfen. Du hast eine Schwäche für hübsche Bücher und konntest nicht widerstehen. Du bist queer und hast Fragen. Du weißt nicht, ob du queer bist und suchst Antworten. Du bist nicht queer, aber jemand in deinem Umfeld ist es, und du möchtest aufgeklärt sein. Du kannst nicht genau sagen, wieso, aber irgendetwas hat dich angesprochen, und du musstest wissen, worum es hier geht. Auf jeden Fall bist du neugierig und möchtest mehr erfahren. Was auch immer davon auf dich zutrifft, hier bist du richtig.
Dies ist ein Buch für dich.
Queerness ist ein bisschen wie ein Spiegel, in dem du eigentlich nur checken willst, dass die Frisur sitzt, nur um im nächsten Moment mit allerhand Fragen über dich selbst und dein Leben überschüttet zu werden. Fragen wie: Wer bin ich? Wer will ich sein? Zu wem fühle ich mich hingezogen? Brauch ich ein Label? Wie erzähle ich meinem Umfeld davon? Muss ich es überhaupt irgendwem erzählen? Und was bedeutet es, queer zu sein?
Das Ding mit existenziellen Fragen ist, dass sie sich gar nicht so einfach beantworten lassen. Wenn’s um Identität geht, beginnt das Rätselraten. Deswegen schauen wir uns Queerness und alles, was damit zusammenhängt, gemütlich und vor allem gemeinsam an. Du bist bei weitem nicht die einzige Person, die sich diese und andere Fragen stellt. Es gibt viele von uns, die auf der Suche sind, die zweifeln, die sich verirren.
Tatsächlich ist Queerness ein stark bewanderter Trampelpfad. Viele sind den Pfad vor dir gegangen, haben ihn geebnet und Dornen beseitigt. Sie können dir von ihren Erfahrungen erzählen, während du immer selbstbewusster deinen Schritt findest. Weil Identitätsfragen aber auch echt verzwickt sind, lässt sich selten eine magische Antwort finden, die alle von uns zufriedenstellt. Vielleicht findest du auf diesem Pfad nicht all das, was du dir erhoffst. Das ist okay, denn queere Erfahrungen sind von Person zu Person anders. Daher wirst du hier viele Tipps und Empfehlungen zu Büchern, Serien, Podcasts und Co. finden, die sich auf ihre ganz eigene Weise mit Queerness auseinandersetzen. Wenn du möchtest, kann auch dieses Buch dein Wegweiser sein.
Um etwas Licht ins queere Chaos zu bringen, beschäftigen wir uns auf diesen Seiten mit Sprache, Körpern und Gesundheit, wir sprechen über Sex und Beziehungen, wir tauchen ein in queere Geschichte, werfen einen Blick auf queere Politik und finden queeres Glück. Wir schauen uns all die kleinen und großen Erfahrungen an, die Queersein zu Queersein machen.
Einen hilfreichen Tipp hab ich schon jetzt: Queerness ist keine Quantenphysik. Sie mag dir momentan vielleicht wie ein Rätsel erscheinen, aber in Wahrheit ist Queersein recht simpel. Es ist ein bisschen wie Atmen. Wenn du anfängst, darüber nachzudenken, was ein Mensch alles braucht, um die Lungen mit Sauerstoff zu füllen, eröffnet sich ein unvorstellbar komplexer Prozess: von der Steuerung im Gehirn über die Atemwege und den Gasaustausch, bis hin zum Kreislauf. Trotzdem atmet dein Körper ganz ohne dein Zutun – weil Atmen eine naturgegebene Selbstverständlichkeit ist. Und Queersein ist das auch.
Was aber, wenn die Luft mal wegbleibt? Wenn du vor lauter Rennen nach Atem ringst, oder die Sorgen so schwer auf der Brust liegen, dass Luftholen zur Anstrengung wird?
Dann soll dir dieses Buch eine Verschnaufpause schenken; einen Platz zum Durchatmen. Wie bei den meisten Lebenserfahrungen kommt es auch beim Queersein zu ungeplanten Hindernissen und so manchem Sturm, der jegliches Vorankommen unmöglich macht; ein Wirbelwind, der dir die Kontrolle entreißt. Das Gute ist, es gibt immer einen Unterschlupf, wo man sich vor der Welt verstecken kann. Dieses Buch ist einer dieser Orte. Ich hoffe, du kannst hier Kraft tanken und Mut finden.
Eine letzte Sache noch, dann kann’s losgehen: Ich kenne kaum einen Menschen, der in den Spiegel blickt und genau weiß, was er dort sieht. Fragen gehören zum Menschsein genauso wie Zweifel, und mit Queersein verhält es sich nicht anders. Aber das hält uns nicht vom Mensch- und erst recht nicht vom Queersein ab. So ein Weg ist selten grade; Irr- und Umwege gehören dazu. Sie ändern vielleicht, wohin du gehst, aber nicht, wer du bist.
Sei stolz und denk dran: Queersein ist wunderschön.
Love,Kai
Sprache ist mächtig. Sie kann als Waffe genutzt werden und Wahrheiten vertuschen, Grenzen ziehen und Angst schüren. Ich erzähle dir hier nichts Neues; wahrscheinlich weißt du genau wie ich, wie sehr Drohungen, Beleidigungen oder Lügen wehtun.
Aber Sprache kann auch Wunden heilen, Mauern niederreißen und Menschen vereinen. Sie zeigt uns, wer wir sind, wozu wir fähig sind und wie wir zu anderen Menschen stehen.
Wer hat nicht schon mal einer anderen Person gelauscht und dabei die Welt aus ihrem Blickwinkel betrachtet? Hey, genau in diesem Moment liest du die Worte eines queeren Menschen, der versucht, die Welt ein klein bisschen queerfreundlicher zu machen.
Sprache ist kein striktes, solides Konstrukt, dem wir uns fügen müssen – sie passt sich uns und unserer Realität an. Wir schaffen neue Wörter, wenn alte nicht ausreichen, um neue Phänomene und bisher undefinierte Erfahrungen zu beschreiben. Wir geben existierenden Wörtern neue Definitionen, damit sie unserer Zeit gerecht werden. Andere streichen wir aus unserem Wortschatz, weil wir sie für unpassend erklären oder schlicht vergessen. Außerdem ist Sprache nicht auf Tinte, Töne und Tastaturen begrenzt. Unsere Körper sprechen, egal ob wir einen Laut von uns geben oder nicht. Allein dadurch, dass wir existieren, teilen wir uns immer anderen Menschen mit.
Menschen und Sprache haben eins gemeinsam – sie entwickeln sich stets weiter; sie sind fluide. Sie wachsen, verändern und erweitern sich. Es gibt Regelwerke und Versuche, Sprache zu konservieren. Aber Wörter kommen in und aus der Mode so wie der Vokuhila, Bubble Tea oder Vampire, egal wie verzweifelt wir uns dagegen wehren.
Ein Mensch kann nicht mit einem einzigen Wort beschrieben werden. Wir sind zu kompliziert und gegensätzlich, als dass man uns einen Stempel aufdrücken und glauben könnte, man wüsste genau, wer wir sind. Oft wissen wir das schließlich selbst nicht – und das ist vollkommen okay.
Trotzdem kann Sprache uns bei dem Prozess helfen, uns selbst zu finden. Dieser wird ein Leben lang andauern, denn – man erinnere sich – wir sind fluide. Klingt anstrengend, sich ständig fragen zu müssen, wer man eigentlich ist. Aber ganz im Gegenteil: In uns stecken unentdeckte Tiefen, unendliche Welten. Diese zu erforschen heißt, sich selbst kennenzulernen. Und wenn man mal genug vom Forschen hat, tun es auch Netflix und ein Nickerchen.
Gleichzeitig ist es extrem wichtig, anderen Menschen nicht abzusprechen, wie sie sich selbst definieren. Es steht keiner Person zu, einer anderen ihre Erfahrungen, ihre Gefühle oder ihre Identität abzusprechen. Das ist der Unterschied zwischen Fremd- und Selbstbezeichnungen.Wenn dir ein Stempel aufgedrückt wird, kann er sich beengend und falsch anfühlen. Wenn du die Sprache, die zu dir und deinem Empfinden am besten passt, aber selbst wählen kannst, ist das ein verdammt gutes Gefühl.
Was auf den nächsten Seiten folgt, sind ein paar Worte und Definitionen, die dir helfen können, dich selbst oder auch deine Mitmenschen zu verstehen. Probiere sie an, teste sie aus, und wenn der Schuh nicht sitzt, mach dir keinen Stress. Wörter gibt es viele, Schuhe auch. Irgendwo wird sich einer finden, der passt. Und falls nicht, nun, manchmal läuft es sich am besten barfuß.
Allem voran aber noch ein kleiner Hinweis: Dieses Buch wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt geschrieben und veröffentlicht. Damit ist es fest in einer Zeit verankert. Es kann also sein, dass sich das Verständnis für manche Begriffe und Schreibweisen in Zukunft verändert – zumal es auch jetzt schon für viele Begriffe ganz unterschiedliche Definitionen gibt. Dieses Buch ist kein Regelwerk, sondern mehr ein Wegweiser, um dich so zu definieren, wie es sich für dich richtig anfühlt. Du kannst es als Sprungbrett in eine queere Welt nutzen. Eine perfekte Landung ist dabei nicht garantiert. Zwar sammeln wir hier ein paar Hilfestellungen, aber es braucht eben Zeit und Übung, bis man weiß, was sich richtig anfühlt.
Bevor es ans Eingemachte geht, will ich ein paar Wörter anreißen, die wie Konfetti in diesem Buch verstreut und somit nur schwer zu ignorieren sind:
Geschlecht und Gender sind zwei große Wörter, die kaum wegzudenken sind, wenn es um Queersein – und generell ums Menschsein – geht.
Geschlecht – englisch: sex – ist die wissenschaftliche Kategorie, in die jegliche Lebewesen auf dieser Welt anhand ihrer körperlichen Merkmale eingeordnet werden. Diese Kategorien sind bei Menschen – laut der World Health Organisation und deutschen Geburtsurkunden – »männlich«, »weiblich«, »intersex« und »divers«. Allerdings ist Geschlecht in den Köpfen vieler Menschen ausschließlich binär, also nur weiblich oder männlich.
Gender ist das soziale Geschlecht eines Menschen. Es beschreibt die Rolle, die ein Mensch aufgrund der Kombination von körperlichen Eigenschaften und sozialem Geschlecht in der Gesellschaft annimmt. Gender bzw. die eigene Genderidentität ergibt sich aus Fragen wie: Wie definiere ich mich? Wie fühle und sehe ich mich? Wie verhalte und präsentiere ich mich? Welche Erfahrungen mache ich aufgrund meines Genders? Werde ich wegen meines Genders benachteiligt oder diskriminiert? Gender ist fluide, grenzenlos und kann männlich, weiblich, inter*, aber auch nonbinär, agender, trans und viele andere Dinge sein.
Transheißt, dass der ursprüngliche Stempel falsch ist: Man kann sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das man bei Geburt zugeschrieben bekommen hat.
Cis heißt, der Stempel sitzt und kann bleiben. Cishetbeschreibt Menschen, bei denen der Geburtsstempel passt und die sich dazu als heterosexuell begreifen.
Wenn wir von Kategorien, Rollen, Labeln und Stempeln sprechen, dann sind das alles Versuche, uns selbst oder andere zu definieren. Das ist eine teils hilfreiche, teils nervige Angewohnheit, die wir Menschen an den Tag legen. Einerseits hilft sie uns, die Welt, in der wir leben, zu verstehen, aber dabei vergessen wir auch schnell, dass sich nicht alles so leicht einordnen lässt.
Ein Stempel drückt für mich einem komplizierten Konzept eine leicht verständliche Definition auf – nur gilt es dabei, nicht zu vergessen, dass Nuancen verloren gehen und dass Identität und Sprache unfassbar komplex sind. Ich selbst definiere mich als gay, schwul, homosexuell und queer, allerdings verwende ich diese Worte sehr unterschiedlich, obwohl sie ähnliche Erfahrungen benennen. Je nachdem, in welchem Land ich bin, ob ich mit Freund*innen, meiner Ärztin oder meiner Mutter spreche, ändert sich meine Wortwahl und somit auch die Bedeutung.
Und da wir schon beim Thema Nuancen sind: Vielleicht hat sich die ein oder andere Person schon gefragt, warum ich ständig mit dem Asterisk (oder Sternchen) um mich schmeiße. Das ist eine weitere Strategie, in der sehr binären deutschen Sprache Raum für nichtbinäre Erfahrungen zu schaffen, da es sein kann, dass sich eine Person weder von der männlichen noch der weiblichen Wortform angesprochen fühlt. Es gibt einige Alternativen zum Gendersternchen wie den Doppelpunkt (Leser:innen) oder den Unterstrich (Leser_innen). Da der Asterisk zu der Zeit, während ich hier fröhlich in die Tasten haue, die gängigste und inklusivste Methode ist, wirst du ihm als Leser*in in diesem Buch noch öfter begegnen. Zusätzlich weist das Gendern von Begriffen wie »Arzt« und »Freund« darauf hin, dass die deutsche Sprache voreingenommen ist und sich immer auf den Mann bezieht, wobei Frauen und andere Identitäten unsichtbar gemacht werden. Bis vor Kurzem war die konsequente Verwendung des generischen Maskulinums völlig normal, bis sie 2021 selbst im Duden gestrichen wurde. Wenn also durch kleine Änderungen meiner Ausdrucksweise weniger Menschen verletzt oder ausgeschlossen werden, sehe ich keinen Grund, an alten Mustern festzuhalten.
Akronyme wie LGBTQIA+ benennen ganz deutlich die verschiedenen Communitys in einem präzisen Wort. Die einzelnen Buchstaben stehen hierbei für:
L: Lesbian
G: Gay
B: Bisexual
T: Trans
Q: Queer oder Questioning
I: Inter*
A: A-Spektrum
Allerdings entstehen auch hier Lücken.LGBT beschreibt nur vier queere Gruppen, LGBTQ+ ist da schon inklusiver. Aber wenn wir schon einen Extraschritt machen, wieso dann nicht gleich ein I und ein A dranstecken oder direkt LGBTQQIAAP2S+ benutzen? Wem jetzt der Kopf schwirrt, der wird sich darüber freuen, dass es zu den eingedeutschten Versionen auch deutsche Originale gibt, wie zum Beispiel LSBTIQ*. Eben weil die Auswahl so groß ist und weil ich niemanden ausschließen möchte, verwende ich in diesem Buch meistens queer. Natürlich gibt es aber auch Menschen, die Teil der LGBTQIA+-Community sind und die mit dem Begriff queer nichts anfangen können. Wir kommen gleich dazu, was es genau mit diesem Wort auf sich hat.
Auf der anderen Seite können sehr spezifische Akronyme sehr hilfreich sein, wenn man von Menschen spricht, die über ihre Queerness hinaus bestimmte Erfahrungen teilen: QBIPOC steht für queere Menschen, die außerdem aufgrund von ethnischen Zuschreibungen Diskriminierung in Form von Rassismus erfahren.
Q: Queer
B: Black
I: Indigenous
POC: People of Color
FLINTA* beschreibt Menschengruppen, die besonders negativ vom Patriarchat – also einer Gesellschaft, in der Männer die Regeln schreiben – betroffen sind und dadurch Benachteiligung und Diskriminierung erfahren.
F: Frauen
L: Lesben
I: Inter* Personen
N: Nonbinäre Personen
T: Trans Personen
A: Agender Personen
Eine weitere hilfreiche Abkürzung ist TIN – diese bezeichnet Menschen mit Gender- und Geschlechtsvariationen im Gegensatz zu binären endo-cis-geschlechtlichen Menschen.
T: Trans
I: Inter*
N: Nonbinär
Queer ist eins meiner absoluten Lieblingswörter. Es ist ein Familienname, den ich mit Stolz trage, ein funkelndes Diadem, mit dem ich mich schmücke, eine Rüstung, mit der ich Schmerz verhindere, und ein Pflaster, wenn es doch mal wehtut.
Queer ist ein Sammelbegriff, der alle Menschen der LGBTQIA+-Community unter sich vereint. Das Wort stammt aus dem Englischen und wurde früher – und teils auch heute noch – als Beschimpfung für Menschen benutzt, die aufgrund ihrer Sexualität oder ihrer Genderidentität als »anders« herausstachen. Mittlerweile hat die queere Community diesen Begriff positiv besetzt, denn: Einen queeren Menschen für seine Queerness zu beschämen ist, als würde man Donner dafür beschimpfen, dass er grollt. Queerness – ebenso wie Donnergrollen – ist ein natürliches Vorkommnis, das keinerlei Scham verdient. Trotzdem gibt es Menschen, die sich nicht als queer bezeichnen, eben weil der Begriff schmerzt oder weil sie andere Bezeichnungen bevorzugen.
Queer zu sein gibt mir sowohl die Freiheit, meine Wahrheit zu leben, als auch das Gefühl, ein kleiner Teil von etwas ganz Großem zu sein. Ein Mensch von Millionen auf der Welt, die so fühlen wie ich. Daher bedeutet queer sein für mich zuletzt auch Verantwortung. Ich möchte Solidarität mit all diesen Menschen beweisen und darüber hinaus mit denen, die aufgrund ähnlicher Erfahrungen ebenfalls Ausgrenzung und Diskriminierung erleben.
Queer fühlt sich für dich vielleicht fremd oder einschüchternd an?Das ist okay. Ein Diadem, Millionen von Menschen, Verantwortung? Da fühlt man sich schnell erschlagen.
Alles, was du wissen musst: Wenn du bereit bist, sind queere Menschen da, um dich willkommen zu heißen. Und wie du queer – oder andere Wörter in diesem Kapitel – für dich definierst, ist dir selbst überlassen.
Podcasts, die sich mit queerem Leben und queerer Identität auseinandersetzen:
BBQ – der BlackBrownQueere Podcast
BI YOUR SIDE – dein Bi+ Podcast
Cistemkritik
Das Pinke Sofa
InSpektren – Der Podcast aus der deutschsprachigen A*Spec-Community
Queer Story
Rampe? Reicht!
RESPEKT – der LSVD Podcast
Willkommen im Club
Wir sind hier! – Queer in Europa
Wer sich nicht sicher ist, mit welchem Stempel man sich am wohlsten fühlt, aber denkt, dass er*sie nicht hetero oder cis ist, kann während der Findungsphase den Begriff questioning verwenden, was so viel heißt wie »fragend« oder »forschend«. Der Begriff hat kein Ablaufdatum und kann in jedem Alter und für einen beliebigen Zeitraum genutzt werden. Questioning ist ein superhilfreiches Label, denn es gibt uns die Möglichkeit, zu sagen: »Hey, ich hab keine Ahnung, was Sache ist, nur, dass irgendwas Sache ist.« Das gibt uns die nötige Zeit, unsere Identität zu erforschen, ohne uns voreilig festlegen zu müssen.
Hier haben wir es wohl mit den bekanntesten Begriffen zu tun, die schon seit Jahrzehnten in der breiten Masse etabliert sind. Die meisten Menschen haben eine klare Vorstellung von diesen Worten – und hoffentlich gilt das in Zukunft auch für momentan noch weniger sichtbare Identitäten.
Traditionell sind schwule Personen Männer, die auf Männer stehen. Lesbisch sind Frauen, die auf Frauen stehen. Bei beiden ist diese Attraktion mehr oder weniger ausschließlich auf das gleiche Gender bezogen. So zumindest die herkömmliche Definition.
Aber je mehr wir über Identität und Begehren lernen, umso weiter wird auch der queere Horizont. Schwule Personen müssen nicht strikt Männer sein, selbst wenn das auf die Mehrheit zutrifft.
Schwul bezieht alle ein, die sich mit diesem Begriff identifizieren, inklusive trans und nonbinäre Menschen, die sich nicht (ausschließlich) als Männer verstehen. Bei Lesben und lesbischen Personen ist das nicht anders. Sie werden durch ihre Liebe zu Frauen vereint, nicht durch ihre Geschlechtsidentität. Frauenliebende FLINTA* bilden eine Community – die lesbische Community.Aber dazu gleich noch mehr.
Der Begriff homosexuell lässt uns direkt an Liebe und Sex denken. Menschen sind aber mehr als die Personen, die sie begehren. Homosexuelle Identität ist deswegen nicht nur eine Aussage darüber, wen wir lieben, sondern auch, welcher Kultur wir angehören und in welchen Communitys wir uns aufhalten. Homosexualität ist eine Lebensweise, unabhängig von unseren Partner*innen.
Wenn eine Person keinen Sex oder keine*n Partner*in hat, macht sie das nicht weniger homosexuell. Das gilt auch für die anderen Label in diesem Kapitel.
Auch wen wir begehren, ist nicht in Stein gemeißelt. Ich bin schwul, aber hey, wer sagt, dass ich mich in meinem Leben nicht irgendwann zu einer Person hingezogen fühle, die kein Mann ist?
Das ist kein Freifahrtschein, um zu behaupten, man werde nicht schwul oder lesbisch geboren. Homosexualität ist kein Trend und keine Laune. Wir sind von Geburt an, wer wir sind. Aber manchmal entdecken wir eben neue Seiten an uns, die sich uns vorher nicht eröffnet haben. Und wie gesagt: Falls der Schuh nicht mehr sitzt, wisst ihr ja jetzt, was zu tun ist.
Auch hier gibt es einen Sammelbegriff, der Menschen, die sich zu mehr als nur einem Gender hingezogen fühlen: Bi+.
Bisexualität ist die Attraktion zu zwei oder mehr Gendern. Eine Person fühlt sich beispielsweise sowohl zu Männern als auch zu Frauen oder zu Frauen und nonbinären Personen hingezogen.
Neben Bisexualität gibt es noch viele andere Orientierungen, die unter den Stempel »Bi+« fallen können. Manche davon ähneln sich stark und haben nur sehr feine Unterschiede. Wichtig ist, dass die Person, die ihr Label wählt, sich damit wohl fühlt.
Pansexualitätund Omnisexualitätbeschreiben beide eine romantische und/oder körperliche Attraktion zu allen Gendern und werden oft als Synonyme genutzt.
Der feine Unterschied besteht darin, dass bei Pansexualität das Gender der Person nicht ins Gewicht fällt. Ob Frau, Mann, nonbinär, genderfluid oder anderes, was zählt, ist der Mensch an sich, das Gender ist schnuppe. Daher bezeichnen sich viele pansexuelle Menschen auch als geschlechterblind.
Bei Omnisexualitätwird das Gender wahrgenommen und hat eine Bedeutung. Attraktion besteht also mitunter aufgrund des Genders, und es kann zu einer Präferenz kommen, ohne dabei irgendwen anhand von körperlichen Merkmalen oder der Genderidentität auszuschließen.
Was bedeutet Bisexualität für dich?
ANNA: Die Möglichkeit, Anziehung zu empfinden und Beziehungen einzugehen, ganz unabhängig vom Geschlecht. Für mich ist es ein Geschenk, das meinen Horizont erweitert und mir gezeigt hat, dass alles im Leben fluide ist und man es so gestalten kann, wie es für einen selbst am besten ist.
Multisexualität und Polysexualitätbeschreiben die Attraktion zu vielen, aber nicht allen Gendern.
Das Gender der Person ist meistens schnuppe, aber nicht immer. Bei manchen bleibt die Attraktion aus. Multisexualität wird auch als Überbegriff benutzt, also als Synonym für Bi+-Sexualität.
Was Bi+-Sexualität nicht ist: Verwirrung, Entscheidungsunfähigkeit, Unersättlichkeit. Niemand entscheidet, zu welchem Gender man sich hingezogen fühlt. Und Attraktion zu mehr als einem Gender sagt rein gar nichts darüber aus, wie treu oder untreu eine Person ist.
Was leider auch zu oft passiert, ist, dass bi+ Menschen nach dem Gender ihrer Beziehungsperson beurteilt und dadurch unsichtbar gemacht werden. Ein pansexueller Mann, der mit einer Frau zusammen ist, ist nicht plötzlich hetero. Selbst wenn er ein Leben lang nur Frauen datet, bleibt er pansexuell. Bi+ Personen schulden niemandem einen Beweis, dass sie auf mehrere Gender stehen. Ein weiterer Grund, warum wir lernen sollten, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Das ist nicht nur sehr verletzend, man macht sich auch selbst zum Esel.
Was bedeutet Pansexualität für dich?
SOPHIE: Pansexualität bedeutet für mich Freiheit und Ankommen nach einer langen queeren Reise. Zu wissen, wer ich bin und wen ich begehre. Die Bedeutungslosigkeit von Geschlecht und der Wert von Ausstrahlung und Energie. Pansexualität bedeutet für mich, dass ich die Seele eines Menschen liebe.
Asexuelle – kurz: ace – Personen verspüren keine sexuelle Attraktion. Sex spielt somit gar keine oder eine untergeordnete Rolle in ihrem Leben oder ihren Beziehungen. Das heißt nicht, dass asexuelle Menschen nie Sex haben oder ihn nicht genießen können. Auch asexuelle Personen verspüren Lust, befriedigen sich selbst oder können Sexualpartner*innen haben. Asexualität beschreibt vielmehr die ausbleibende Attraktion zu anderen Menschen.
Hier können wir von einem Spektrum sprechen, bei dem Asexualität ein Sammelbegriff für verschiedenste Erfahrungen ist. Es gibt asexuelle Menschen, die Sex abstoßend finden und nie erfahren möchten, es gibt allosexuelle Menschen, die gerne Sex haben, und Menschen, die sich irgendwo dazwischen befinden, also selten oder sporadisch sexuelle Gefühle verspüren. Sie bezeichnen sich auch als graysexual, denn sie befinden sich in der Grauzone zwischen Attraktion und dem Ausbleiben davon.
Eine Form von Asexualität ist Demisexualität. Sie ist das Ausbleiben körperlicher Anziehung, bis sich eine tiefere emotionale Verbindung entwickelt – nicht zu verwechseln mit Menschen, die körperliche Attraktion verspüren und sich bewusst entscheiden, keinen Sex zu haben, bis sie ihre*n Partner*in besser kennen.
Was bedeutet Asexualität für dich?
EVELYNE: Definiert wird es als keine bis wenig sexuelle Anziehung oder als fehlendes Verlangen nach sexuellen Handlungen. Ich persönlich mag diese Definition nicht so, weil sie impliziert, dass uns was fehlt. Dem ist aber natürlich nicht so. Asexualität hat erstmal nichts damit zu tun, ob man ein erfülltes Leben führen kann oder nicht.
Wenn jemand davon spricht, sich verliebt zu haben, beziehungsweise einen Crush hat, gehen wir meistens davon aus, dass diese Person starke romantische Gefühle für eine andere Person entwickelt hat und außerdem nicht die Hände von besagter Person lassen möchte. Hier sprechen wir von zwei verschiedenen Arten der Anziehung: emotional und körperlich. Diese stehen, wie beispielsweise bei Demisexualität, in Verbindung miteinander und beeinflussen sich oft, aber nicht immer.
Grob gesagt verspüren aromantische – kurz: aro – Personen keine romantischen Gefühle für andere. Das ist aber kein Grund für Scham oder Mitleid. Doch diese Gefühle kommen schnell auf, denn wir leben in einer Gesellschaft, die romantische Liebe als höchstes aller Dinge vermittelt.
Nur: Manche Menschen verlieben sich und manche eben nicht.
Wir müssen nicht jeder halbgaren Romcom glauben, die uns Heirat und Kinder und Happily-Ever-Afters verklickern will. Wir sind uns bewusst, dass uns da eine Lüge verkauft wird, denn das Leben hat mehr zu bieten als einen Traumprinzen mit unnatürlich weißen Zähnen und gutem Haar (auch wenn ich besagten Traumprinzen nicht von der Bettkante schubsen würde, vor allem, wenn das Schloss inklusive ist). Dass es neben romantischen Beziehungen auch Beziehungsformen gibt, die genauso erfüllend sind – angefangen bei Freundschaften –, ist hier erwähnenswert, aber dazu später noch mehr.
Aromantik und Alloromantik befinden sich auf einem Spektrum unendlich vieler Möglichkeiten.
Es ist nicht so, dass Menschen entweder gar keine oder nur die volle Ladung an romantischen Gefühlen verspüren. Dafür sind wir viel zu komplex und unterschiedlich.
Übrigens gibt es ein Wort für das Gefühl, wenn man sich zu einer anderen Person hingezogen fühlt, ohne sexuelles oder romantisches Interesse an ihr zu haben. Ein Squish – ähnlich wie der romantische Crush – beschreibt den Wunsch, Zeit mit einem Menschen zu verbringen und ihm näherzukommen, wobei die Anziehung eher auf freundschaftlicher Basis besteht.
Was wir an der Unterscheidung zwischen Asexualität und Aromantik lernen können, ist, dass sexuelle und romantische Attraktion verschiedene Erfahrungen sind, die jeweils ein Spektrum von Intensität haben und sich teilweise beeinflussen.
Wenn du ein Mann bist, der sich in Männer verliebt, aber kein Bedürfnis nach Sex verspürst, macht dich das nicht weniger schwul, du bist schlicht auf dem asexuellen Spektrum.
Was bedeutet Aromantik für dich?
EVELYNE: Oft höre ich, dass es Menschen viel schwerer fällt, die Existenz von Aromantik zu akzeptieren als die Existenz von Asexualität. Ich glaube, das liegt daran, dass Romantik bzw. die Fähigkeit, sich zu verlieben, für viele Menschen enorm eng mit ihrem Menschsein verbunden ist. Wenn jemand diese Gefühle eben nicht spürt, erschüttert das teilweise ganze Weltbilder. Für mich persönlich ist Aromantik eine einzigartige Sichtweise auf das Leben und die Welt. Ich setze ganz andere Schwerpunkte, wenn es darum geht, Beziehungen mit Menschen zu führen – weil bei mir eben die romantische Komponente komplett wegfällt. Und ich bin gezwungen, mir einen ganz eigenen Lebensentwurf zu schaffen, der nicht den klassischen gesellschaftlichen Vorstellungen (Partner*in, Heirat, Kind) entspricht. Das kann teilweise herausfordernd und schmerzhaft sein, aber auch bereichernd und erfüllend.
Wenn wir schon dabei sind, das Ideal vom Traumprinzen in seinem Schloss auseinanderzunehmen, können wir auch gleich bei der Vorstellung weitermachen, dass eine Liebesbeziehung immer aus zwei Personen bestehen muss. Du hast bestimmt schon mal von dem Begriff Monogamie gehört (die sexuelle und emotionale Treue zu ausschließlich einer anderen Person), und klar, die Idee von dem einen richtigen Menschen ist ganz süß – aber dass wir in unserem Herzen nur Platz für genau eine etwa durchschnittlich große Person haben, scheint doch etwas unwahrscheinlich.
Polyamoröse – kurz: poly – Menschen verspüren romantische und/oder sexuelle Gefühle für mehrere Menschen gleichzeitig. Sie begrenzen ihre Beziehungen nicht zwingend auf eine weitere Person; sie genießen die Nähe zu zwei oder mehreren Personen. Dabei sind alle Beteiligten mit der Situation einverstanden.
Was nicht heißt, dass jede Person in der Konstellation poly sein muss. Eine monoamoröse Frau kann problemlos mit einer polyamorösen Frau zusammen sein. Während die erste Frau nur eine Partnerin bevorzugt, kann die zweite Frau noch andere romantische oder sexuelle Beziehungen eingehen, an denen die erste Frau nicht beteiligt ist. Alles, was es braucht, ist offene Kommunikation, und die sollte so oder so in jeder Beziehung stattfinden. Mehr dazu im Kapitel über Beziehungen.
Wer poly ist, muss nicht unbedingt mehrere Leute auf einmal daten. Poly bleibt poly, ob man single ist, ob man eine oder eben mehrere Beziehungspersonen hat. Es ist schlicht die Möglichkeit gegeben, parallel für mehrere Menschen romantische oder sexuelle Gefühle zu entwickeln. Und auch hier noch mal der Hinweis, dass Polyamorie, ebenso wie Bi+-Sexualität, nichts über den Charakter einer Person aussagt. Klischees darüber, dass poly Menschen nicht genug bekommen können und zur Untreue neigen, sind fies, falsch und gehören in die Tonne.
Was bedeutet Polyamorie für dich?
SOPHIE:Polyamorie bedeutet für mich, endlich zu begreifen, dass Liebe unendlich und keine begrenzte Ressource ist. Ich habe mich immer schon in mehrere Menschen gleichzeitig verliebt, und Polyamorie erlaubt mir, diesen Personen meine Liebe auch offen schenken zu dürfen. Polyamorie bedeutet für mich Freisein. Es bedeutet, dass es in Ordnung ist, so verdammt viel Liebe in sich zu tragen. Und ja, manchmal zählen dazu auch lange und anstrengende Gespräche, verdammt viel Kommunikation und Unverständnis. Aber das ist es wirklich immer wert.
Bisher haben wir uns darauf konzentriert, ob und wie wir uns verlieben und welche Gefühle dabei eine Rolle spielen. Jetzt kommen wir auf Körper und Identität unabhängig von Attraktion und Liebe zu sprechen. Es geht um das T&I in LGBTQIA+.
Man kennt’s: Ein Kind wird geboren, und jemand entscheidet anhand gewisser körperlicher Merkmale – Chromosomen, Genitalien, etc. –, ob das Kind als »Junge« oder »Mädchen« eingeordnet wird. Das Kind selbst wird dabei nicht gefragt – wie auch? Eine ganz andere, meist fremde Person entscheidet darüber, welchen Identitätsstempel so ein frischgebackener Mensch aufgedrückt bekommt. Zugegeben, oft liegen Ärzte*Ärztinnen mit ihrer Einschätzung ganz richtig. Viele von uns spazieren bis ans Ende unseres Lebens, ohne dass sie jemals das Gefühl bekommen, dass an dieser Zuordnung bei der Geburt etwas schiefgelaufen sein könnte.
Aber was, wenn bei dieser Zuordnung etwas schiefgeht und das festgestellte Geschlecht später nicht mit der eigenen Wahrnehmung übereinstimmt?
Was, wenn der Stempel einfach nicht passt?
Wenn ich in diesem Buch von Menschen spreche, die nicht queer sind, benutze ich meistens cishet oder auch endoallocishet. In beiden Fällen sind Menschen gemeint, die sich nicht als queer begreifen, da sie endogeschlechtlich, allosexuell, cis und heterosexuell sind. EndoAlloCisHet Menschen sind nicht »normal«, schließlich wären queere Menschen dann »anders« oder schlimmer noch: »abnormal«. Es fühlt sich vielleicht erstmal ungewohnt an, cishet Menschen als solche zu benennen, aber diese Handlung rückt ein Ungleichgewicht gerade: queeren Menschen werden seit Ewigkeiten allerhand Bezeichnungen aufgedrückt (und die meisten davon sind wenig schmeichelhaft), während endoallocishet Menschen gemütlich ohne Beschreibungen durch die Weltgeschichte spazieren. Allerdings ist die Menschheit eine Gesellschaft, in der wir trotz unserer Unterschiede gleichwertig sind, daher sollten wir auch dementsprechend behandelt werden. Sprache ist Macht, nicht wahr?
Intergeschlechtliche Menschen werden mit Geschlechtsmerkmalen geboren, die als weiblich und männlich betrachtet werden. Sie besitzen körperliche Eigenschaften aus beiden Kategorien.
Endogeschlechtliche Menschen werden mit Geschlechtsmerkmalen geboren, die als weiblich oder männlich eingestuft werden.
Während endo Menschen anhand ihrer körperlichen Merkmale in eine der Kategorien Mann oder Frau gesteckt werden, reichen diese Kategorien nicht für inter* Menschen. Sie haben eine Variation von Genitalien, Keimdrüsen, Hormonen oder Chromosomen. Das kann so aussehen, dass jemand XXY-, X0- oder Mosaikchromosomen hat. Vielleicht besitzt der Mensch gleichzeitig innenliegende Hoden und Eierstöcke oder einen Penis und eine Vulva. Vielleicht produziert eine Frau übermäßig viel Testosteron, wodurch der Körperbau oder die Körperbehaarung beeinflusst wird. Weltweit wird die Anzahl von inter* Personen auf ein bis zwei Prozent geschätzt, was in etwa der Nummer rothaariger Menschen gleicht.
Auf der Geburtsurkunde können inter* Kinder in Deutschland als »männlich« oder »weiblich«, aber eben auch als »divers« oder ganz ohne Geschlechtsangabe eingetragen werden. Dieser Eintrag kann auch nachträglich noch geändert werden. Gesetzlich wird aber vorausgesetzt, dass ein*e Mediziner*in eine Variation der Geschlechtsentwicklung festgestellt hat.
Oft werden inter* Kinder bereits kurz nach ihrer Geburt oder während ihrer Kindheit zu Operationen und Hormonbehandlungen gezwungen, weil weiterhin die Vorstellung besteht, dass sonst das Wohl des Kindes gefährdet ist. Solche Eingriffe, die vermeintlich helfen sollen, hinterlassen oft bleibende körperliche und psychologische Schäden. Es gibt keinen Grund, putzmuntere Kinder zu operieren oder Hormontherapien zu unterziehen. Dieses Fehldenken ist auf dem Mist eines Mannes namens John Money gewachsen, der in den Sechzigerjahren die sogenannte Optimal Gender Policy entwarf. Derzufolge sollten inter* Kinder so früh wie möglich operativ dem männlichen oder weiblichen Geschlecht angeglichen und dementsprechend erzogen werden.
Viele inter* Kinder merken erst in ihrer Pubertät, beispielsweise bei ausbleibenden Perioden, überdurchschnittlichem oder fehlendem Haarwuchs, der Entwicklung von Brüsten oder einem Stimmbruch, dass sie inter* sind. Bei manchen kommt die Erkenntnis, wenn die Pubertät auf sich warten lässt oder nicht richtig einsetzen will. Andere Menschen führen ihr Leben, ohne je von ihrer Intergeschlechtlichkeit zu erfahren, wie beispielsweise Frauen mit XY-Chromosomen oder Männer mit Eierstöcken.
Intergeschlechtlichkeit sagt nichts über die Sexualität oder Genderidentität einer Person aus. Inter* und endo Personen steht gleichsam die volle Breite des sexuellen und Gender-Spektrums offen.
Doch selbst wenn bei einem Kind keine Variationen der Geschlechtsentwicklung existieren und Medizinier*innen ein scheinbar eindeutiges Geschlecht zuordnen, kann es vorkommen, dass dieser Stempel nicht mit dem eigenen Empfinden übereinstimmt.
Ein großer Teil der queeren Community wird von trans Menschen gebildet. Trans ist ebenfalls ein Sammelbegriff, der die verschiedensten Erfahrungen in sich vereint, wie zum Beispiel nonbinär oder genderqueer. Wie bereits erwähnt, bedeutet trans, dass man sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert.
Ein kurzer Hinweis:
Trans und inter sind Adjektive zur näheren Beschreibung einer Person und werden auch als solche verwendet.
»Jonas ist ein trans Mann.«
Viele trans Menschen legen ihren bei der Geburt erhaltenen Namen ab, weil sie ihn als unpassend für ihre Geschlechtsidentität empfinden, und nehmen einen selbstgewählten Namen an. Der alte Name wird als Deadname bezeichnet. Sprache ist mächtig, und Namen erst recht. Es ist ein Unding, den Deadname einer trans Person weiterhin zu verwenden, denn so würden wir missachten, wer ein Mensch wirklich ist. Und er wird nicht umsonst dead, also tot, genannt.
Es steht niemandem zu, die Identität von trans Personen infrage zu stellen. Die Erfahrungen und Lebenswege einer trans und einer cis Frau mögen sich unterscheiden – ebenso wie sich die Erfahrungen zweier cis Frauen nicht aufs Ei gleichen –, aber beide sind Frauen. Keine von ihnen erhält eine Medaille, weil sie die »bessere« Frau ist. Auch ein Mann ist kein Mann allein aufgrund seiner Genitalien oder seines Testosteronlevels, sondern weil dieser Stempel sein Empfinden am besten beschreibt.
Bei diesem kurzen Erklärungsversuch soll es natürlich nicht bleiben, und wir werden noch mehr über trans Identität sprechen, aber fürs Erste belassen wir es mal bei Sprache und ihrem Einfluss auf unsere Leben.
Nonbinär ist, was es sagt: Eine Person fühlt sich den zwei Möglichkeiten »Mann« oder »Frau« gar nicht oder nur zu einem gewissen Grad zugehörig, kann und will sich dieser binären und beengenden Vorstellung von Gender also nicht zuordnen. Das muss nicht heißen, dass man komplett alle traditionellen Ideen von Männlichkeit und Weiblichkeit in die Tonne haut. Vielleicht fühlt man sich mit manchen Aspekten einer der beiden Kategorien pudelwohl, aber es deckt sich nicht völlig mit der Person, die man ist. Vielleicht passt diese Binarität sowas von gar nicht zur eigenen Identität und jeglicher Aspekt davon wird abgelehnt. Daher ist auch Nonbinarität ein Spektrum. Weil nonbinäre Menschen sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, sind sie auf dem trans-Spektrum, aber nicht jede nonbinäre Person nutzt trans als Selbstbezeichnung.
Du bist nonbinär – was bedeutet das Label für dich?
LENI BOLT: Vor einigen Jahren dachte ich, dass ich den »klassischen« Weg einer Transition von Mann zu Frau gehe, mit Medikation und operativen Eingriffen. Während meiner Therapie ist mir bewusst geworden, dass ich mich mit dem Label »Frau« auch nicht frei fühlen würde. Deswegen passt das Label »nichtbinär« am besten zu mir. Ich fühle mich dazwischen am wohlsten, und eigentlich brauche ich selbst kein Label, aber es ist einfacher zu erklären, wenn ich anderen Menschen begegne, die mich nicht verstehen (wollen).
GIALU: Wenn ich sage, ich bin nicht-binär, sagen immer viele zu mir: »Ja, aber bist du nicht letztendlich auch einfach nur ein Mensch?« Und ich denke: Auf jeden Fall! Das ist ja genau das Ding: Ich bin in erster Linie ein Mensch, genauso wie eine Frau, wie ein Mann, wie wir alle Menschen sind. Die Gesellschaft hat nun mal angefangen, diese Konstrukte aufzubauen und nicht-binäre Menschen versuchen auch einfach nur, sich in diesen Konstrukten wiederzufinden. Eine utopische Vorstellung wäre es natürlich, diese ganzen Konstrukte nicht mehr zu haben und einfach nur noch von Menschen zu sprechen und zu sagen: »Wir haben alle genau dieselben Rechte.« Das ist – wie gesagt – leider sehr utopisch.
Nicht-binär ist für mich eine Beschreibung dafür, wie ich mich in diesem gesellschaftlichen Konstrukt fühle. Es streitet nicht ab, mit welcher DNA ich zum Beispiel auf die Welt gekommen bin – letztendlich ist es für mich einfach eine Wiederfindung in dem Geschlechterkonstrukt unserer Gesellschaft.
Genderqueer wird von manchen als Synonym für nonbinär benutzt. Hier treffen traditionelle Vorstellungen von Gender nicht zu. Die Geschlechtsidentität wird als queer gesehen, wobei weitere Stempel oder Kategorisierungsversuche abgelehnt werden.
Genderfluid versteht das eigene Gender als wandelbar, ganz im Gegenteil zu der statischen Vorstellung, dass wir ein ganzes Menschenleben lang ein einziges Gender haben. Je nach Person kann das Gender situations- und stimmungsabhängig sein. Es kann sich oft ändern oder über einen längeren Zeitraum gleichbleiben.
Damit haben wir drei Überbegriffe kurz angerissen, aber bei weitem nicht fest definiert – ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt wäre.
Wenn wir uns davon lösen, dass wir das Geschlecht jedes Menschen in einem Wort kategorisieren müssen, dann wird klar, dass Identität grenzenlos ist.
Hier noch ein paar mehr hilfreiche Begriffe:
Agender sind Menschen, die sich als geschlechtslos verstehen und sich somit keiner Geschlechtsidentität zugehörig fühlen.
Bigender sind Menschen, die mindestens zwei Gender haben und in ihrem Empfinden von einem zum anderen wechseln.
Unter den Begriff Demigender fallen Demiboy und Demigirl, also Personen, die sich sehr mit einem der binären Geschlechter identifizieren, aber eben nicht ausschließlich. Auch deminonbinär ist eine Option.