Lovecrafts Schriften des Grauens 34: Träume im Heckenhaus - Anton Serkalow - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 34: Träume im Heckenhaus E-Book

Anton Serkalow

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Beschreibung

Das Elevator GameEine urbane Legende, eine Art Spiel, bei dem man im Fahrstuhl eines Hochhauses eine bestimmte Zahlenkombination drücken muss, um Zugang zu einer anderen Welt zu erlangen. Dies ist die Geschichte von Nina Steenberg, Sachbearbeiterin in einem modernen Bürokomplex, dem sogenannten Heckenhaus, die eines Tages versehentlich falsche Zahlen im Fahrstuhl eingibt.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume2104 Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl Stolzenstein2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 22118 Alfred Wallon Salzburger Albträume2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 32122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg2124 Andreas Zwengel Finsternacht2125 Silke Brandt (Hrsg.) Feuersignale2126 Markus K. Korb Treibgut2127 Tobias Reckermann (Hrsg.) Drommetenrot2128 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 42129 Peter Stohl Das Hexenhaus in Arkheim2130 Silke Brandt (Hrsg.) Das Kriegspferd2131 Anton Serkalow Berge des Verderbens2132 Klaus-Peter Walter Sherlock Holmes gegen Cthulhu2133 T. E. Grau Diese alten und dreckigen Götter2134 Anton Serkalow Träume im Heckenhaus2135 Michael Buttler Die Astronautenvilla2136 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 5

Träume im Heckenhaus

Verfluchte Träume - Prolog

Lovecrafts Schriften des Grauens

Buch Vier­und­dreißig

Anton Serkalow

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Epilog

Über den Autor

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2023 BLITZ-Verlag  

Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Korrektorat: Melanie Lübker

Titelbild: Mario Heyer

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Logo: Mark Freier

Vignette: Jörg Kleudgen

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.Blitz-Verlag.de

ISBN: 978-3-7579-5417-8

2134v2

Prolog

„Ist echt ’n Witz, dass ich für ’ne Aufzugsfirma arbeite und dann ständig Treppen laufe.“ Der junge Monteur blieb auf dem Absatz stehen, stemmte die Hände in die Hüften und holte tief Luft. Sein Kollege, mindestens zwanzig Jahre älter, überholte ihn und stieß ihm dabei in den Bauch.

„Wenn du es mit dem Fastenbrechen nicht immer so übertreiben würdest, Kaynak, dann kämst du auch die Treppen schneller hoch. Das kann ja nicht gesund sein. Den ganzen Tag über nix essen, nix trinken und abends dann das ganze Zeug in sich reinschaufeln.“

„Edgar. Alter. Was weißt du schon vom Ramadan?“

Edgar grinste. „Ich muss dich doch nur anschauen, Kaynak. Dann weiß ich genug. Davon abgesehen, liegt es in der Natur der Sache, dass Fahrstuhlmonteure eben Treppen laufen müssen, da sie nur gerufen werden, wenn der Aufzug defekt ist, oder?“

„Klugscheißer“, gab Kaynak zurück. Er rückte sich den Riemen seiner Umhängetasche zurecht, holte noch einmal tief Luft, reckte das Kinn und folgte dann seinem älteren Kollegen, der bereits die letzten Stufen erklomm und die Tür öffnete, die mit Notausgang beschriftet war. Kaynak holte ihn schnaufend ein. „Okay, Alter, du hast ja recht. Aber müssen wir beide dann immer in so alten Kästen eingesetzt werden? Wenn das Teil hier nicht von anno dazumal wäre, dann könnten wir alles schön von unten über das Hauptterminal erledigen.“

Die beiden Monteure betraten die Etage. Edgar ging zu den geschlossenen Türen des Fahrstuhls und setzte den Werkzeugkoffer ab.

„Ist ein Wunder, dass das Ding überhaupt elektronisch bedient wird. Wie alt iss’n die Hütte? Siebziger?“, quatschte Kaynak weiter.

„Älter. Anfang Zwanziger.“

„Echt jetzt? Da gab es schon Fahrstühle?“

„Der Aufzug und die Elektronik wurden später nachgerüstet.“

Kaynak nahm seine Tasche ab und stellte sie neben sich. Dabei gab er Geräusche von sich, als hätte er einen Sack Zement geschleppt. Er richtete sich auf, stemmte die Hände in die Hüften und streckte den Rücken durch. Dann sah er sich um. Edgar entnahm währenddessen seinem Werkzeugkoffer einen Akkuschrauber, setzte ihn viermal an und dann löste er die Verkleidung der Armatur.

„Aber die Kabine hätte doch wenigstens im Zweiten stecken bleiben können“, gab Kaynak schnaufend von sich, bevor er registrierte, dass Edgar ihm die Platte hinhielt. „Was ist das überhaupt für ein Name? Heckenhaus.“

Edgar betrachtete das Innere des geöffneten Terminals. „Dries van Hecken. So hieß der Architekt, der den Turm damals gebaut hat.“

„Aha.“

Edgar griff mit der Hand in das Terminal. Zog vorsichtig an einigen Kabeln. „Gut. Die Elektronik ist eigentlich funktionstüchtig aber ...“ Der Monteur griff tiefer hinein und betätigte einen Hebel. Der Fahrstuhl gab ein leises Pling! von sich, dann öffneten sich die Türen mit einem schabenden Geräusch. „Der Grund für den Fehler muss woanders liegen. Also schauen wir uns die Kabine mal an.“

Edgar richtete sich auf und trat an das Rechteck, das sich vor ihnen aufgetan hatte, hinter der die Tiefe des Schachtes gähnte. Der Monteur holte eine Taschenlampe hervor und leuchtete in die Dunkelheit.

„Unter uns.“

„Zwischen dem sechsten und siebten“, vollendete Kaynak den Satz. „Aber das wussten wir schon. Wenigstens ist der nicht im zehnten oder noch höher stecken geblieben. Das Ding hier hat ja immerhin zweiundzwanzig ...“

Ein Geräusch unterbrach ihn. Kaynak drehte sich herum. Durch eine der beiden Türen, die nicht zum Treppenhaus führten, trat ein Mann.

„Da sind sie ja endlich! Wir warten schon seit Stunden auf sie.“

„Na ja, sie sind ja nicht der einzige Kunde, den wir ...“, setzte Kaynak an, doch sein älterer Kollege unterbrach ihn, indem er sich ebenfalls herumdrehte und Kaynak die Hand auf den Arm legte.

„Wir tun, was wir können, Herr ...“

„Haller“, antwortete der Mann in einem Ton, als wäre er Offizier bei der Armee gewesen und müsste sich jetzt dazu zwingen, sich den weniger strengen Gepflogenheiten des Zivillebens anzupassen. „Yann Haller. Business Unit Manager, Sales Department.“

„Nun ja. Wie auch immer. Wir denken, dass wir das Problem bald in den Griff bekommen. Wenn wir also ...“ Edgar deutete auf die geöffneten Türen.

Haller reckte den Kopf, als würde er tatsächlich den Versuch unternehmen, über die beiden Monteure hinweg in den Schacht zu blicken, um dort sofort die Ursache für das Problem zu erkennen. Dann vollführte er eine wegwischende Handbewegung und verschwand wieder in der Tür, aus der er gerade getreten war.

„Business Unit Manager“, äffte Kaynak ihn nach. „Haste den gesehen, Edgar? Die Schuhe und der Anzug? Als ob er Karl Lagerfeld wäre. Meine Fresse. Und diese blöden Bezeichnungen. Weißt du, was’n Environment Improvement Technician ist?“

„Lass gut sein, Kaynak.“

„Gebäudereiniger. ’ne ganz gewöhnliche Putzfrau. Echt jetzt. Business Unit Manager. Am Arsch ...“

„Wir haben zu tun.“ Edgar deutete in den Schacht.

„Du willst, dass ich jetzt ...“

„Du bist der Jüngere von uns beiden“, gab Edgar zurück und trat einen Schritt beiseite.

„Ja, ja, ja. Schon klar. Echt.“ Kaynak gab ein Schnaufen von sich, griff in seine Tasche und holte eine Kopfleuchte hervor. Er stülpte sie auf und trat dann an den Schacht heran. Schaltete sie ein und beugte sich vor.

Der LED-Strahl schnitt wie der Scheinwerfer eines Autos bei Nacht auf der Landstraße in die Dunkelheit.

„Stimmt. Die Kabine steckt unter uns fest.“ Kaynak holte noch einmal theatralisch Luft. „Dann woll’n wir mal ...“ Er bückte sich nach der Leiter, die an der Wand des Fahrstuhlschachts verlief. Edgar trat an den Rand heran und sah seinem jungen Kollegen zu, wie dieser in die Tiefe stieg. Der Lichtkegel fräste sich bei jeder Kopfdrehung durch die Finsternis. Holte Einzelaufnahmen der Stahlseile und der Betonwände hervor, um sie dann wieder verschwinden zu lassen. Mit einem dumpfen Geräusch kam Kaynak auf dem Dach der stecken gebliebenen Kabine auf. Für einen winzigen Moment ging ein Beben durch die gesamte Aufhängung.

Dann strich das Lichtdreieck einmal im Kreis durch den Schacht.

„Also hier draußen kann ich ers’ ma’ nichts Ungewöhnliches entdecken“, kam seine Stimme wie aus einem Brunnen von unten herauf. Sie waberte wie eine Wellenbewegung durch den Hohlraum, um sich in der Höhe zu verlieren. „Obwohl ...“ Das Licht vollführte noch eine weitere Kreisbewegung. „Riecht irgendwie komisch hier.“

„Was meinst du?“

„Na ja ... keine Ahnung, Edgar ...“ Kaynak drehte den Kopf noch einige Male hin und her. Seine Stimme wurde leiser. Als befände er sich in der Dunkelheit eines Labyrinths und wolle das Monster darin nicht wecken. „Verfault. Aber auch wie Rost.“

„Vielleicht eine tote Ratte? Schau mal, ob die nicht sogar die Ursache für das Steckenbleiben ist.“

Kaynak Lichtkegel vollführte eine Zickzackbewegung. „Nee, nee. Hier draußen ist nichts. Das kommt eher von ...“

Die Kopflampe senkte sich jetzt auf das Dach der Kabine. Kaynaks Hände kamen hervor und machten sich am Riegel des Notausstiegs zu schaffen. Mit einem Mal zuckte der Monteur zurück. Kam ruckartig in die Höhe und machte einen Schritt nach hinten. Wenn die Kabine den Schacht nicht fast vollständig ausgefüllt hätte, wäre er jetzt rückwärts in die Tiefe gestürzt.

Die Stahlseile ächzten.

„Was ist los?“

„Ich ... ich ...“ Kaynak senkte den Kopf und das Licht erfasste die Luke. „Ich hätte schwören können, dass die glühend heiß ist.“

„Was?“

„Ja, verdammt, Edgar. Ich weiß, wie das klingt.“

Zögernd trat der Monteur wieder an den Noteinstieg heran. Er bückte sich langsam, streckte diesmal nur eine Hand aus. Die Fingerkuppen näherten sich dem Metall, als wäre es das Maul eines Löwen. „Kalt wie Eis“, zischte er. „Aber ich schwöre dir, das war wie ein Schlag. Als würde das Ding komplett unter Strom stehen.“

Kalt ist aber eigentlich auch nicht normal, dachte Edgar, aber er hielt lieber den Mund. Er wollte den jüngeren Kollegen nicht noch mehr verunsichern.

Langsam öffnete Kaynak unten die Luke. Dann richtete er sich wieder auf und wartete.

„Der Gestank ...“, murmelte er. „Der kommt hier raus.“

Dann liegt die tote Ratte vielleicht drin?, fragte sich Edgar im Stillen. Hatte die die Elektronik in der Kabine angeknabbert? Einen Kurzschluss verursacht und sie so zum Stehen gebracht? War dabei vielleicht sogar noch angekokelt worden?

Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, da Kaynak sich jetzt vornüberbeugte und mit dem Licht seiner Kopflampe das Innere der Kabine erhellte ...

„Was für eine Scheiße ...“, brach es aus ihm heraus. Er hastete zurück. Prallte gegen die Betonwand des Schachtes. Suchte mit einer Hand nach Halt, als würde er jetzt doch in die Leere stürzen. Dann drehte er den Kopf ruckartig beiseite. Das Licht seiner Kopflampe zeichnete wirre Muster auf die Wände. Ein Beben ging durch den Oberkörper des Monteurs. Er hob die Hände, als wolle er sie gegen den Mund pressen, doch dann siegte der Brechreiz und er übergab sich lautstark.

Verdammte Jungspunde, knurrte Edgar im Stillen. Wegen einer vergammelten Ratte so ein Theater zu veranstalten. Laut fragte er: „Was ist los, Kaynak?“

Der Angesprochene gab ein paar gequälte Würgelaute von sich. Wischte sich mit dem Ärmel seiner Montur über den Mund und hob den Kopf. Seine Lampe blendete Edgar und dieser riss instinktiv die Hand vor die Augen.

„Ruf ... die ... Bullen ...“, drang Kaynaks Keuchen durch den Schacht nach oben.

„Was?“ Immer noch vom Licht geblendet, klang Edgars Frage schärfer, als er wollte.

„Die Bullen. Die Polizei, verdammt!“, brüllte Kaynak zurück. Dabei klang er, als würde das Monster bereits seine Füße packen. Zum Glück drehte er wenigstens den Kopf weg, sodass Edgar nach ein paar Mal blinzeln wieder etwas erkennen konnte.

„Ich komm jetzt runter“, sagte er und hangelte sich zur Leiter. Dabei verzichtete er darauf, selbst eine Lampe mitzunehmen. „Leuchte mir einfach“, fügte er hinzu. Die klare Anweisung schien seinen Kollegen etwas zu beruhigen. Edgar kletterte im Schein von Kaynaks Licht nach unten. Obwohl das meiste in dem Zwischenraum von Kabine und Schacht versickerte, stieg dem Monteur der Geruch von Erbrochenem in die Nase, der die anderen Ausdünstungen zunächst überdeckte.

Edgar kam mit den Füßen auf dem Kabinendach auf. Kaynak deutete zur geöffneten Luke, ohne sich selbst in die Richtung zu drehen. Dabei durchlief ein weiteres Würgen seinen Oberkörper.

Edgar bedeutete dem Kollegen, dass er verstanden hatte, und trat an die Öffnung im Dach heran.

Kaynak hatte recht. Durch die Ausdünstung seines Auswurfs drang ein anderer Gestank an Edgars Nase. Tatsächlich. Irgendwie wie ein verwestes Tier, aber auch wie rostiges Metall. Edgar zögerte. Natürlich konnte er in der Kabine zu seinen Füßen nichts erkennen. Er streckte die Hand nach hinten aus. „Die Lampe“, sagte er und stellte dabei selbst fest, dass seine Stimme ungewohnt leise klang. Was ging hier vor sich? Er spürte, wie Kaynak ihm das Gewünschte in die Hand drückte. Edgar hielt einen Moment inne. Dann brachte er die Lampe langsam nach vorn. Sie war noch eingeschaltet. Das Licht wanderte über den Boden und traf dann die Öffnung, wo sie das Innere der Aufzugskabine flutete. Die Helligkeit wurde durch die Wände, die an drei Seiten mit Spiegeln versehen waren, ins Unendliche verstärkt und brannte jede abscheuliche Einzelheit unbarmherzig in Edgars Hirn.

Die Gondel war von der Größe und Form so beschaffen, dass sie sechs Personen fasste, war dabei allerdings so schmal, dass sich gerade zwei nebeneinanderstellen konnten. Zwischen den Spiegelwänden hing ein Körper in einer anatomisch völlig unmöglichen Position. Es sah so aus, als wäre er mit Händen und Füßen irgendwie im Glas befestigt worden, das die in sich verdrehte Gestalt endlos wiederholte. Doch so grotesk es schien, erfasste ein Teil von Edgars malträtiertem Gehirn, dass die Arme und Beine einfach in den Spiegeln verschwanden, als bestünden diese nicht aus Glas, sondern aus einer weichen Masse, die jetzt ausgehärtet war. Der Körper der Frau, denn um eine solche handelte es sich zweifelsfrei, war von grausamen Wunden verunstaltet. Verrenkte Gliedmaßen, herausgedrehte Gelenke, blutiges Fleisch mit herausgerissenen Muskelsträngen, freigelegte Knochen zeichneten ein Bild des Schmerzes, dass nur noch von dem Gesichtsausdruck der Frau übertroffen wurde. Die weit aufgerissenen Augen, der Mund, der durch unfassbare Schreie so überdehnt worden war, dass die Lippen geplatzt waren. Das löste in Edgar ein weitaus größeres Entsetzen aus als der verstümmelte Körper.

Er war nicht in der Lage, sich zu rühren.

Konnte nicht den Kopf abwenden.

Nicht die Augen schließen. Seine Lider waren wie mit Haken festgezurrt.

Das infernalische Bild brannte sich in sein Hirn und lähmte seinen Geist und seinen Körper.

Jetzt konnte auch er das Würgen nicht mehr unterdrücken.

Ebenso wenig wie den Schrei.

Kapitel1

Einige Tage zuvor.

Nina Steenberg schaute sich um, als befürchte sie, jeden Moment von jemandem überfallen zu werden. Sie balancierte einen Stapel gut gefüllter Ordner in den Händen und merkte gerade, wie ihre Hand dennoch zu ihrer Nase fahren wollte, um die Brille hochzuschieben, was das Gebilde augenblicklich ins Wanken brachte.

Eine Stimme erklang in ihrem Kopf. Yann Hallers Stimme. Eine Stimme, die genauso klang, wie man sie bei jemandem erwartete, der ein rosafarbenes Hemd, ein taubenblaues Jackett über Chinohosen und Sneakern trug, die insgesamt wahrscheinlich mehr kosteten, als Nina im Quartal verdiente. Er stand neben seinem Stuhl. Einen Fuß auf der Sitzfläche, den Unterarm auf dem angewinkelten Oberschenkel, die andere Hand in der Hosentasche und dabei Nina direkt anschauend. Mit diesem für Haller so typischen Blick. Wie ein Zahnarzt, der sagt, dass es garantiert nicht wehtun würde. Der Rest des Teams hatte die Köpfe beiseite gedreht, aus dem Fenster oder auf seine eigenen Unterlagen geschaut, während Nina sich fühlte, als würde sie nackt im Licht eines Flutscheinwerfers inmitten eines gefüllten Fußballstadions stehen. „Nehmen Sie das einfach mal als Anregung, Frau Steenberg. Nicht als Abmahnung. Von solch disziplinarischen Maßnahmen sind wir glücklicherweise noch weit entfernt. Einfach als Feedback zu ihrer Arbeit nach der kurzen Zeit, die Sie erst bei uns sind. Noch genießen Sie ja Welpenschutz.“

Seine Worte klebten an Nina, als hätte man einen Eimer Gülle über sie gegossen.

Den Rest des Meetings hatte sie wie ein Delinquent in Erwartung des Fallbeils dagehockt. An dem Kloß gewürgt, der ihr im Hals steckte.

Nina holte Luft. Streckte, ihre Unterlagen balancierend, eine Hand nach dem Tastenfeld aus, erreichte den Rufknopf und betätigte ihn. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass der Fahrstuhl sich über ihr im Schacht in Bewegung setzte. Sie griff mit der Hand wieder nach den Ordnern und wartete. Mit einem Pling! öffneten sich die Türen. Ninas eigenes Spiegelbild erwartete sie auf drei Seiten der Kabine. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern und setzte einen Fuß ...

„Hey Nina, hast du kurz ...“

Der Oberkörper von Babs Neumann schob sich um die Ecke der Fahrstuhltür, wie die Figur in einem Puppentheater.

„Ich muss, sorry“, keuchte Nina, dabei kamen die Klemmmappen in ihren Armen deutlich ins Rutschen. Sie stand außerhalb der Lichtschranke und die Kabinentüren begannen sich langsam zu schließen. Blindlings hämmerte Nina mit der Hand nach hinten auf das Zahlenfeld, um die Türen aufzuhalten. „Das Meeting, ich muss die ...“

„Ich mache grad eine neue Spendensammlung. Für die Straßenhunde aus Spanien, du weißt schon ...“

„Schon gut, Babs. Wirklich. Später. Nachher. Auf jeden Fall! Versprochen!“

Die Ordner kamen erneut ins Rutschen, als Nina versuchte, Babs zu signalisieren, dass sie es ernst meinte. Diese schlug ihr verschwörerisch mit der Faust gegen die Schulter, was zur Folge hatte, dass der Turm in Ninas Armen noch mehr wankte, und eilte ebenfalls in Richtung Außenbereich des Bürogebäudes.

Nina fühlte sich wie ein Seiltänzer über den Niagarafällen. Vorsichtig brachte sie wieder Gleichgewicht in das Gebilde und betrat die Kabine. Sie stützte den Ordnerturm gegen die Wand. Nahm eine Hand hervor und streckte sie nach dem Tastenfeld aus. Drückte auf die Nummer für die gewünschte Etage. Auf dem Rückweg zu den Unterlagen machte ihre Hand Halt an ihrer Nase, wo sie endlich die Brille hochschieben konnte.

Hoffentlich fuhr dieser Fahrstuhl bald mal los! Sie wollte allein sein. Sich zwischen die drei Wände ihres Arbeitsplatzes verkriechen. Wollte weg. Am liebsten ...

Mit einem Mal schob sich, wie in einem billigen Film, ein übertrieben glattes und gebräuntes Frauenbein zwischen die Türen. Dem Bein folgte ein Unterleib in einem Minirock, der die Bezeichnung breiterer Gürtel verdient hätte, ein Bauch, dessen Nabelpiercing, entgegen der Kleiderordnung des Arbeitgebers, deutlich unter der hochgeknoteten Bluse zu sehen war. Letztere selbst hatte ebensolche Schwierigkeiten, die Brüste, die sie umhüllte, festzuhalten, wie Nina ihre Ordner.

Dann folgte das Gesicht mit den vollen Lippen, den großen blauen Augen unter den dichten Wimpern. „Nina“, flötete die Besitzerin dieses Körpers, nach dem sich alle Hetero-Männer der Firma umdrehten. „Das ist echt doof gelaufen eben.“ Die Blondine beugte sich verschwörerisch in die Kabine. „Ich hab dir gesagt, dass du dich mehr anstrengen musst. Mehr Initiative ergreifen musst. Dich kreativ ins Team einbringen musst. Sei froh, dass Yann so ein toller Vorgesetzter ist.“

Nina versuchte, etwas zu entgegnen, aber Sylvee zog sich bereits wieder aus dem Fahrstuhl zurück, legte ihr aber noch eine Flasche mit einem isotonischen Erfrischungsdrink auf den wankenden Stapel. „Sei so lieb, Süße, nimm das schon mal mit. Ich komme gleich nach!“