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Das Lügen ist eine uralte Methode, dem Empfänger vorzugaukeln, die ihm übermittelte Nachricht oder Geschichte entspreche den Tatsachen, und ihn so zu veranlassen, danach zu handeln. Und da dies sich als äußerst effektiv und ökonomisch erwies, verbreitete sich das Lügen in großer Vielfalt in fast alle Bereichen des menschlichen Lebens. Trotz des sittlichen Gebotes "nicht zu lügen" blieb es ein geeignetes Mittel, einen bestimmten Zweck, einen gewollten Eindruck beim Empfänger auszulösen. So gewöhnte man sich z.B. daran, dass man beim Triumphator auf seinem Schauzug seine Siege als tatsächlich unterstellte. Es gab keine Instanz, die das "als-ob" auf Richtigkeit prüfte. So bahnte sich das Gegenteil von Wahrheit unaufhaltsam seinen Weg durch die Weltgeschichte. So haben es Historiker und Wahrheitssucher oft schwer, das wirkliche Geschehen herauszufiltern. Zwar haben sich mit dem Bewerten des Lügens viele Aufklärer beschäftigt, aber eine große Zahl an Journalisten ist ständig mit der Frage konfrontiert, was in welchem Sinne nützlich ist. Dennoch gibt es Kritiker und Sucher, was unter dem Wust von Nachrichten wirklich real sei, weil manches Vertrauen erschüttert wird, wenn sich herausstellt, dass das Gesagte nicht so ist. Trotzdem werden in der Politik große Anstrengungen gemacht, die Wahrheit zu verschleiern, die Meldung dem Bestreben anzupassen, das Gewollte als wahr erscheinen zu lassen. So ist die Rechtfertigung von Kriegen für den Verursacher von besonderer Bedeutung, was Beispiele bezeugen. Bei den vielen Aspekten des Lügens scheint es manchem sogar als Kunst, ungestraft die Wahrheit zu verdrehen oder unentdeckt zu bleiben, ja, das Recherchieren ist Expertenfach geworden. Aber selbst hier sind Zweifel angebracht, denn es sickern immer wieder werte- und normwidrige Texte in die Öffentlichkeit durch. Damit muss der heutige Mensch wohl anerkennen, dass das Lügen nicht auszurotten ist. Frei vom Lügen zu sein, ist eben eine Tugend mit Seltenheitswert.
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Adalbert Rabich
Lügen im Prozess von Kommunikation und Meinungsbildung
eine Übersicht
© 2020 Adalbert Rabich
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-01793-1
Hardcover:
978-3-347-01794-8
E-Book:
978-3-347-01795-5
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Lügen im Prozess von Kommunikation und Meinungsbildung,
eine Übersicht.
Wenn man die volle Wahrheit nicht sagen will und doch reden muß,
so verwickelt man sich gar bald in die ersten Netze der Unwahrheit,
und die konsequente Fortsetzung dieser Netze ist eben die Lüge selbst.
Die Lüge aber ist alles Unrechts Quell und Anfang.
Heinrich Laube (1806-1884)
Adalbert Rabich,
Dülmen, Herbst 2017.
Inhaltsverzeichnis
0. Zusammenfassung/Abstract
Vorwort
1. Das Lügen, der Lügner
1.1 Lügen als menschliche Verhaltensweise
1.2 Lügen im Evolutionsprozess
1.3 Die Ambivalenz des Lügens (Moral/Macht)
Sprichwörter zum Lügen
2. Kann Lügen eine normale Handlungsweise sein?
2.1 Der analytische und aufbauende Denkprozess
2.2 Täuschen und Lügen als menschliche Verhaltensweisen
2.3 Der Wort- und Begriffs-Gebrauch
Statistik als Methode zur Beeinflussung
3. Das Beiwerk bei Lügen: Gefühle, Vorurteile, Meinungsunschlüssigkeit usw.
4. Kommunikatives Verhalten und ihr ethischer Bezug
4.1 Die moralische Konsequenz des Lügens
4.2 Die Praktikabilität des Lügens
5. Lüge und Täuschung im kommerziellen Geschehen
5.1 Das gewerbliche „Werben“, das Gewinnen von Aufmerksamkeit, Beachtung
5.2 Der umworbene Mensch; lügen und belogen werden
6. Indizien für Verhalten des Menschen im Kulturkreis
7. Lügen in der Praxis
7.1 Lügen im politischen Geschäft
7.2 Die politische Lüge als Mittel zur Meinungs- und Haltungsbildung
7.2a Lügen als Begriffsumdeutung
7.3 Lügen in ihrer Qualität
8. Lügen als Begründung für Kriege und Spannungen
8.1 Weitere mit politischer Lüge belastete Kriege
8.2 Die Aufklärbarkeit des politischen Geschehens
9. Darf man der Geld- und Finanz-Politik noch trauen?
10. Klimaschutz und Klimawandel als Propaganda
10.1 Ermittlung und Diskussion über Weltklima
10.2 Konsens und Mehrheitsmeinung
11. Der Kampf des Guten gegen das Böse
12. Anhänge (detailliertes Inhaltsverzeichnis u.a.)
Bemerkungen zum Text:
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Zusammenfassung (Abstract)
Mit dem Menschsein ist eine geistige Vorstellung von der Natur und seinen Gesetzmäßigkeiten vorhanden und der unentwegte Kampf ums Dasein, wobei der Mensch alle seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen wusste. Schon das Täuschen in der Tierwelt lehrt uns1, dass dazu auch die Irreführung eines anderen gehört – und schließlich beim Menschen die zunehmenden geistigen Fähigkeiten des Menschen, in der die Wissenschaft von der Lüge ihren Platz hat.2 Das Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft zwingt uns, Regeln für das Verhalten aufzustellen und die Verhaltensweise so einzustellen, dass für diese kein Schaden entsteht. In einer speziellen Form erwuchsen daraus uns verpflichtende Tugenden. Darauf wiederum fußen seit der Antike letztlich alle menschlichen Staatengebilde.
Erstaunlicherweise offenbart uns die Geschichte, dass Tugenden ungleich verteilt sind und verschieden eingehalten werden, ja dass der Glaube zu fanatischen Exzessen und Kriegen ausarten kann, wobei gleichzeitig und ohne erkennbaren Grund es um Macht über andere gehen kann. In der Geschichtsschreibung sind zumeist die Sieger eines Kampfes die Überlegenen und einige sind nicht nur Verlierer, sondern sie werden zu Feinden erklärt. Gerade da ist die Wahrheit nicht immer das, was die Feder lenkt. Zuweisungen von Kriegsschuld sind oft ein Ergebnis dieses Prozesses. Das Lügen dabei und darüber ist weit verbreitet und in vielen Varianten anzutreffen. Manchmal ist man sich dessen bewusst, manchmal benutzt man das Lügen in der Rhetorik vorsätzlich, um einen definierten Eindruck zu erwecken, so z.B. in der Politik und bei den Parteien in einer Demokratie, die sich so in den Vordergrund schieben wollen. Zweifel an oder in einer Darstellung werden oft zurückgewiesen, denn sie stören.
Bei dem Täuschen, Verleumden, Lügen bleibt nicht aus, dass Begriffe verdreht, Statistiken gezielt im Sinne des Erzeugers verfälscht werden, wobei auch darauf gesetzt wird, dass die eigentlichen Zusammenhänge missdeutet werden können. Das Werbegeschäft zielt darauf,, einen Vorteil eben über die Beeinflussbarkeit des Menschen zu erlangen. In der Politik und in Publikationen ist ein solches Bemühen auch nicht selten, wobei man darauf baut, dass die Menschen vergesslich sind oder informativ nicht in der Lage, die Wahrheit, das wahre Geschehen zu überblicken und einzusehen. So können Kriegsgründe erfunden oder nachgereicht oder die Urheber von Kriegen konstruiert werden. Eine Reihe von Beispielen, bei denen dies konkret und richtig ermittelt worden zu sein scheint, zeigt diese Tatsachen auf.
Die Forschung und die Erkenntnisse über politische Aktivitäten zeigen, dass nicht immer die Sorgfalt der Untersuchungen und Meinungserzeugungen Zweifel ausschließt oder solche geradezu herausfordern, denn letztlich soll aus moralischen Gründen das Gute siegen. Dazu gehört, dass eine Minderheitenmeinung ernsthaft erörtert und geprüft wird. Es kommt einer Lüge und einer Hochstapelei gleich, wenn man vorgibt, immer richtig und zur rechten Zeit gehandelt zu haben, wo offenkundig das nicht der Fall ist und trotzdem darauf beharrt wird. Die Medienskepsis dürfte zwar unerwünscht sein, gehört aber zu den aktuellen Sorgen um die Zukunft, denn Einseitigkeit ist schon im Laufe der Geschichte in der Deutung der Schöpfung und des Weltbildes nicht nur unlauter, sondern auch schmählich, böswillig und falsch gewesen. Ohne das stete Wollen zur Wahrheit könnte dereinst das Böse triumphieren und das will wohl niemand.
1http://www.sueddeutsche.de/leben/ehrlichkeit-in-der-gesellschaft-taeuschen-ist-ein-grundprinzip-des-lebens-1.1104277 https://books.google.de/books?isbn=3641058562 2011 Wie wir zu Hochstaplern w.
2http://lexikon.stangl.eu/6008/mentiologie/ Dort weitere Quellen, Online-Lexikon für Psychologie
Vorwort
Wir erleben das Lügen eigentlich als Gegensatz zum Augenscheinlichen, dem Wahrgenommenen. Wenn ein Kind sagt, ich war es nicht (das Böses tut und wir wissen vom Gegenteil), dann lügt es, aber wir dulden das womöglich als kindliches Daneben-Benehmen. Und Bücher und Aufsätze über Lügen und das Darum treffen wir allerorten und in allen möglichen Varianten der Meinung darüber. Kaum noch einer wundert sich, dass das Lügen hoffähig und üblich geworden ist – aber selbst will man auf keinen Fall belogen werden, weil es gegen die Moral verstößt und man dadurch einen Nachteil haben kann.
Sicher ist, dass das Lügen etwas ist, was nicht ohne Grund erfolgt, manchmal steckt sogar bewusst etwas Bösartiges dahinter mit schlimmen Folgen. Vermutlich wäre sogar die Geschichte anders verlaufen, wenn immer die Wahrheit gesagt und danach gehandelt wird. Aber das Lügen scheint nicht ausrottbar, ja man vergisst es, weil man es verdrängt, man will daran nicht erinnert werden. Und trotzdem wird z.B. unentwegt in der Politik allseits gelogen. Man untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung und die „Oberen“ lügen dennoch, ja macht es scheint ihnen nichts auszumachen, als Lügner da zu stehen, am Pranger, am Schandpfahl?3 Es ist wohl müßig, darüber weiter zu grübeln, die Kultur hat das Lügen, das Verleumden anscheinend vereinnahmt und es ist nicht auszurotten, man lebt damit. Dabei ruft manches Lügen für die Bevölkerung wirtschaftliche Lasten hervor und viele wünsch sich weniger Schönreden, weniger Prahlen und weniger Illusionen von einer heilen Welt oder Gerede davon, wie man diese Welt noch retten kann oder vielleicht muss.
Natürlich kann man die Augen verschließen, wenn man denn das Lügen als Unheil überhaupt sieht und sich ins freiheitliche Vergnügen stürzen. Denn die Frage wird weiter existieren, warum tut sich der Mensch das mit dem Schwindeln und Lügen an? Und warum handelt er so gegen Vernunft, wenn er andere belügt, oder ist das bewusste Lügen vielleicht sogar noch unmoralischer, wenn auch vorteilhafter und für wen? Um sich mit dem Komplex des Lügens näher zu beschäftigen, ist nachfolgende Schrift verfasst. In ihr soll durch die Verknüpfung mit der gegenwärtigen Literatur und anderen Kommunikationsmitteln ein Ansatz zum Studium und Nachdenken basiert werden und man wird bald erkennen, dass die Mannigfaltigkeit hier groß und die Forschung über diese Seite des Menschen nicht abgeschlossen ist.
Es ist schwer – auch für einen Rechtsanwalt – die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen – bei aller Achtung vor dem Recht.4 Eine Institution (in der Art einer Anwaltschaft) für die Wahrheit selbst und an sich gibt es nicht, da ist jedermann für sich selbst in der Pflicht oder es wird zu einer politischen Frage, dann muss der Abgeordnete das Problem lösen. Dass zudem das Finden der Wahrheit auch ein philosophisches Problem ist, zeigt der Satz: „dieser Satz ist falsch“, was sich vernünftigerweise nicht behaupten und so auch nicht beweisen lässt.5 Manche Lügen sind so verzwickt, dass sie in der Welt lange Zeit herum schwirren – und keiner scheint aufzuklären und wozu? Ist die Wahrheit nur noch erstrebenswert, weil das Belogenwerden Stress verursacht?6
3 Gustav Seyfarth, Die Grundzüge der Mythologie und der alten Religionsgeschichte. Leipzig,1843 Beilage zur Denunziation, S. 24 https://books.google.de/books?id=lPgDAAAAQAAJ https://tinyurl.com/y7zxddc8 http://www.dudweiler-blog.de/2012/06/ob-ihrer-unfahigkeit-an-den-schandpfahl-mit-ihnen/3580 Th. Braun
4 Klaus Volk. Die Wahrheit, wie sie gefunden und geschunden, erkämpft und erkauft wird. München: C. Bertelsmann. 2016. 19 Kapitel. - https://tinyurl.com/yc5odj2s Carsten Krumm im Interview mit Jens Rabe: Ist die Wahrheit wirklich egal? 2016
5https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCgner-Paradox Die Logik u. Begrenztheit im (sprachlichen) Lügen.
6https://books.google.de/books?isbn=3744847683 Christoph von Campenhausen, Neurobiologische Orientierungshilfe. BoD. 2017 S. 331
1. Das Lügen, der Lügner
1.1 Lügen als menschliche Verhaltensweise
Der Mensch ist ein biologisches Wesen und er nimmt in der Gemeinschaft mehrerer Menschen bestimmte Verhaltensweisen an, die sich im Evolutionsprozess von anfänglich primitiven, instinktiven zu komplizierteren weiterentwickeln. Erst im Laufe der Herausbildung einer Kultur macht er immer mehr Gebrauch vom Verstand und einer Vernunft. Er fragt sich dabei, welchen Sinn er seinem Dasein geben soll. Kant zieht schlicht die Konsequenz aus der unabweisbaren Einsicht, dass der Mensch nicht schon von Natur aus ein vernünftiges und moralisches Wesen ist. Der Mensch ist 'animal rationabile’, also einvernunftfähigesWesen. Wenn das Natur- und Gattungswesen Mensch zur Vernunft und Moralität nur befähigt ist, bedeutet dies, dass der Mensch sich vernünftig und moralisch orientieren kann.7
Die Sprache als Kommunikationsmittel wurde in der Frühzeit des Menschen zunächst wohl lediglich für das Aufmerksammachen anderer auf Vorgänge, auf Wahrgenommenes genutzt, oft wohl in Verbindung mit einem Zweck, z.B. der Jagd. Zwangläufig wechselte das Mitteilen über in das Erlernen von zweckgemäßen Verhalten. In der Mythologie der Urgermanen kam dann schon die Lüge vor, besonders deutlich am Gott Loki, dem listenreichen Redner. Sie gehörte nicht in das Reich des Guten. Es ist allerdings offen, ob sich z.B. bereits in der Antike die menschliche Gruppe auf Grund ihrer Erkenntnisse selbst bestimmte Mindest-Forderungen an ihr Verhalten in der Gesellschaft stellte oder ob nur Philosophen sich mit dem „sittlichen“ Fehlverhalten eines Menschen befassten. So unterschied Platon8 (428 – 348 v.Zr.) das Gute und das Böse. Er meint, es sei ungerecht, einem anderen zu schaden. Aber es ist ungewiss, wieweit solche Lehre das gewöhnliche Volk erreichte und sich dort das Streben nach „Ethik“ verfestigte. Ob und in wieweit die Philosophen sich bewusst waren, dass gerade der Mensch mit den Möglichkeiten des Verstandes sich des Mittels wie des Lügens, Betrügens und Tricksens/Täuschens bedienen konnte, und dass jeder sich aus Gründen eines vernünftigen Miteinander dessen normativ zu enthalten habe, aber eben nicht unbedingt muss, ist unbekannt.
Es wird sich ein Empfinden von Recht allein schon deswegen herausgebildet haben, weil die Lüge als Folge einen Schaden hervorrufen konnte – und vorteilhaft, wenn man dies konkret am Lügner festmachen konnte. Ahasverus Fritsch (1629-1701) zählte den bewusst Lügenden zu den Betrügern und Gaunern.9 Aber im Allgemeinen wurde ethisch korrektes Verhaltens als eine Vorschrift nach dem Sinn des Daseins, so im Mittelalter zumeist entsprechend einem göttlichen Willen gesehen. Der Mensch steht da z.B. zwischen Gut und Böse, wobei das vielfach jeweils von einem Interpreten speziell gedeutet wurde. Der wichtigste Grundsatz der Aufklärung war dann, die Vernunft ist imstande, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wer also sein Denken und sein Handeln nicht selbstbestimmt verantwortet, ermöglicht es anderen, es für dessen eigene Interessen auszunutzen, Man sollte sich deshalb seines eigenen Verstandes bedienen. Aber hier bestehen enge (natürliche) Grenzen. Die erzielten Ergebnisse der Wissenschaft sind dem Bürger entweder durch eine entsprechende restriktive Informationspolitik und/oder sein eigenes mangelhaftes Wissen nicht zugänglich bzw. nicht mehr verständlich. Deshalb bleibt er in Unmündigkeit und Gläubigkeit, wobei er häufig nur seinem Gefühl nachgeht.10
Ob es real dem menschlichen Wesen zuzumuten ist, immer die Gebote der Sittlichkeit aus sich heraus zu befolgen, dürfte zweifelhaft sein. Warum sollte er nicht alles praktizieren, was für ihn Erfolg verspricht?11 Oder genügt vielleicht die Einsicht in die Richtigkeit seines Handelns aus praktischen Gründen? Eine ehrliche Lüge ist etwas anderes als Unwahrhaftigkeit, die eine (charakterliche) Haltung ist. Gibt uns die Überlegung, welche Folgen die Haltung hat, das Recht zu lügen oder nicht zu lügen?12 Das bewusste Lügen gilt heute zwar als verwerflich, aber es wird in vielen Fällen keineswegs geahndet oder ein Politiker gar gebrandmarkt. Nicht geahndet wird im Bundestag, wenn einem Abgeordneten unterstellt wird, er habe die Unwahrheit gesagt, weil dies die Möglichkeit impliziert, er habe sich nur geirrt. Auch der Vorwurf, jemand habe „wissentlich die Unwahrheit“ gesagt, zieht gemeinhin keine Ordnungsmaßnahme nach sich.13
Das Lügen hat sich einerseits als nützlich und brauchbar erwiesen, andererseits jedoch wird derjenige, der im geeigneten Augenblick nicht lügt, als nicht zeitgemäß, als doof bezeichnet. Wir fordern unsere Mitmenschen auf, bei der Wahrheit zu bleiben, sagen jedermann, wie sehr es heute ‹ums Authentische› gehe, und wenn irgendwer diese Aufforderung dann für eine Wahrheit nimmt, finden wir ihn nicht mehr gesellschaftstauglich. Natürlich kann jeder, der die Wahrheit über das sagen möchte, was er denkt und fühlt, genau das auch immer und überall tun, sobald er spricht. Die Frage ist allein, welche Konsequenzen das nach sich zieht und wie lang sich noch Menschen in seine Nähe wagen. Wahrheit gefährdet nicht nur die Herrschaft der Diktatoren, weshalb sie in ihr auch sofort den Feind erkennen. Lügen ist nur als Ausnahme von der Regel erfolgreich, und wenn wirklich einmal jemand auf die Idee käme, eine Gemeinschaft auf der Pflicht zum Lügen zu begründen, wäre das Resultat allenfalls Dichtung.14
Auf Grund des menschlichen Lebens vor dem auferlegten Zwang zu moralischem Handeln unterlag der Mensch seinen Triebkräften.15 Sich fern von Verleumdern zu verhalten, ist also ein Zeichen des kulturellen Niveaus, aber zugleich ein Indiz für die Selbstbeherrschung einer Person. Wer also Unwahres über ein Individuum behauptet oder verbreitet gilt in unserer Gesellschaft und Rechtsordnung als Verleumder, insbesondere dann, wenn er bewusst und gezielt eine Person in seinem Ansehen oder in seiner Ehre herabsetzt. In der Rechtsordnung gilt § 186 StGB als üble Nachrede, insbesondere bei Personen des politischen Lebens § 188 StGB.16 Das Strafgesetzbuch kennt kein allgemeines Lügeverbot, also logischeerweised auch nicht im Zivilprozess.17 Der Anwalt selbst hat als Berufspflicht die der Wahrheit. Aber er muss seinen Mandaten als glaubhaft erscheinen lassen; was eine Gewissens-Diskrepanz ist.
In der Sprache kennen wir eine ganze Reihe von Synonymen für diesen Tatbestand wie verunglimpfen, diffamieren, entwürdigen, denunzieren, verdächtigen, schmähen usw. Man könnte das ein Familie von ähnlichem Verhalten bei einem Individuum in der Gesamtheit betrachten. Wesentlich ist das Motiv und das Ziel sowie das Tun wider besseres Wissen oder sogar gerade deshalb, weil man es nicht weiß, dass es anders ist, aber die Vermutung hat, es könnte
so sein oder es passe ins eigene Konzept. Die Gesellschaft hat also ein ganzes Sortiment dafür bereit gestellt, um seine eigene Ordnung ins öffentliche Leben hineinzubringen oder das Vertrauen untereinander zu erschüttern, meist zu eigenem Nutzen oder dem einer Gruppe. Im Arbeitsleben muss der Arbeitgeber einer Anschuldigung nachgehen und sie aus der Welt schaffen, im politischen Leben ist man da nicht so streng, obwohl klar ist, dass „immer etwas hängen bleibt“. In den Medien ist die Tatsachenverdrehung nicht selten und man tut das ungestraft oder ohne Rügen, Abmahnungen etc., weil es für die Mehrheit der Bevölkerung nicht nachprüf- oder erkennbar ist.18 Im Internet verbirgt man sich zuweilen hinter einem Pseudonym19, man scheut die Identifizierung. Es gibt keinen Abwehrmechanismus, der einen solchen Verstoß gegen die guten Sitten, regulär und automatisch in Gang setzt. An manchen Herabsetzungen ist man schon gewöhnt, weil es Standard geworden ist. Was man nicht unterschätzen darf, ist der Gruppendruck. Aus welchem Grund auch immer ist Russland die Inkarnation des Bösen. Dagegen etwas zu sagen, damit sind Sie von vornherein out. Also müssen Sie sich dagegen wehren. Dazu braucht man Informationen, dazu braucht man Zeit.20 In der Russophobiescheint keine bloße Abneigung durch, sondern eine regelrechte Ideologie, die sich in der Beschreibung alles Russischen äußert – von Geschichte über Politik und Kultur bis hin zum Alltag und Benehmen jedes einzelnen russischen Bürgers. Hier fällt einem nur eine Parallele ein – die zum Antisemitismus. Sie ist nur ein negativer Abdruck der westlichen Bedenken: Alles, was der Westen in sich mag, projiziert er in umgekehrter Weise auf Russland.21 Man kann sich dann die Fernsehsendungen (Nachrichten) ansehen und kritisch darauf achten, ob man das bestätigt findet. Manchmal werden Worte eingeflickt wie vermutlich, offenbar, wie man leicht sehen kann usw., aber eine Quelle wird nicht genannt, schon gar nicht eine seriöse, manchmal gibt es gar keine.22 Man kann so eine Rang-Liste für sich selbst aufstellen, welchen Angaben oder Sendern man trauen darf.23
Es scheint zur Gewohnheit geworden zu sein, im Sprach- und Bildgebrauch Assoziationen herzustellen, beispielsweise. dass man eine Nachricht mit Rechtspopulismus neben eine mit Rechtsextremismus zu stellen24, um psychisch einen (unwillkürlichen) Aha-Effekt auszulösen: also sind sie doch so etwas wie Extremisten, die sich u.a. rechtsbrecherisch benehmen.25 Die Moralität und dazu gehören das „Nichtlügen“ und „Nichtverleumden“ ist bei anderen kulturellen Umgebungen zwar nicht gleich, aber gleichartig.. Lügen ist im Wesentlichen eine sprachliche Äußerung, und die verbale ebenso wie die nonverbale Kommunikation werden entscheidend von der Kultur geprägt. So lügen zum Beispiel Europäer mit ihrer eherindividu-alistischen Sozialisation anders als etwa Afrikaner oder Asiaten, deren Kulturen stärker auf das Kollektiv ausgerichtet sind.26 Weil die individuelle Meinung durch Wahrnehmung des Dargestellten entsteht. ist sie nur durch ein besonderes Gespür hierfür manipulierbar. Genauso wenig wie jemand seine politische Meinung dadurch ändert, dass er jeden Tag die Abend-schau sich anschaut, wird er seine Meinung unmittelbar dadurch ändern, dass er auf Face-book sich die Nachrichten bezieht. Die Denkträgheit ist von großem Gewicht.
In einen Zwangsmechanismus lässt sich der Mensch nicht versetzen, der immer und überall die Vernunft walten, das Lügen unterlässt. Selbst der die Automaten bedienende Mensch gilt als Unsicherheitsfaktor, der sich nicht einwandfrei berechnen lässt, das ist bewährte Weisheit. Was unsere Zeit heute braucht, sind Advokaten der Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Menschen, die Integrität verkörpern und denen man vertrauen kann – ein Megawert unserer Zeit. Dazu braucht es Vorbilder, Menschen mit Rückgrat, mutige Leute, die gegen den Strom schwimmen. Es braucht gelebte Wahrheitszeugen, die sich nicht zu schade sind, für die Wahrheit einzustehen.27
Für Journalisten gilt z.B. ein Verhaltens-Kodex, dessen Einhalten ein Presserat als „moralische Institution“ überwacht, aber seine Funktion ist nicht, das Produkt als solches z.B. auf die Ausübung von Wahrheit zu untersuehen, sondern dazu bedarf es einer Meldung/Anzeige, einer Beschwerde (eines Lesers). Die Ahndungen sind maßvoll, z.B.: was bewirkt schon eine öffentliche Rüge, eine Missbilligung? Eine Statistik darüber gibt es nicht.28 Es gibt aber Probleme hinsichtlich der Bewertung in Qualität29, in Kontrolle, in Selbsterziehung, wenn der Wille dazu fehlt. Wie soll man durch Vergleich eine Falschmeldung (FAkeNews mit politischer Absicht) erkennen, wenn es gar keinen Wahrheitsbezug gibt?30 Wenn die Presse, das Fernsehen wie gleichgeschaltet aussieht? Bis zum Ursprungstext kann man das Produkt meistens nicht zurückverfolgen. Wie soll man eine Tatsachenbehauptung von einer Meinungsäußerung korrekt trennen?31 Der Erfolg einer Beschwerde ist bislang ungewiß!
Der Presserat gibt eine Statistik über die in seinen Kompetenzbereich fallenden Beschwerden heraus. So waren 2016 von 1851 Beschwerden 1058 von Privatpersonen, 91 von Interessensvertretern, nur 158 gegen überregionale Tageszeitungen. Als begründet wurden vom speziellen Ausschuss des Presserates 416 von 723 angesehen. Über die Inhalte oder die Anlässe wurde keine Statistik geführt, es werden keine Qualitätsklassen gebildet.32 Über die Art der Sanktionen erfährt man 2016: 151 Hinweise, 64 Mißbilligungen, 33 öffentliche Rügen.
Über die Programmbeschwerden33, die die Verletzung der gesetzlich festgelegten Programm-Grundsätze (Fernsehsender) betreffen34, erfährt man wenig. Herausragend sind diejenigen eines früheren Mitarbeiters35, der wegen tendenziöser Berichterstattung oder Nachrichtenunterdrückung (öffentlich-rechtlicher Sender) rührig ist.36 Beispielsweise bemängelt er massiv die Daten zur Arbeitslosenstatistik.37Die Tagesschau-Meldung verstößt damit aber evident gegen die Programmrichtlinien des Staatsvertrages. Über eine Statistik dieser Beschwerden und ihre Be- und Verarbeitung erfährt man nichts. Man weiß aber, dass hier eine Art Eigenkontrolle eingreift, die nicht unabhängig und objektiv ist. Die Aufsichtsgremien bestehen aus Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Die Rundfunkräte beraten unter anderem über Programmbeschwerden.38 Sind die Beschwerden nur Einzelfälle?39 Über die Medienkritik, z.B. über die Russland- und Ukrainepolitik, erfährt man aus Foren.40 Nur eine Statistik wird geführt, die die Anzahl zu einem Inhaltspunkt festhält.41 Offensichtlich haben einige Zuschauer das Vertrauen in die Inhalte und die Objektivität der Nachrichten verloren.42 Allerdings muss der einzelne schon suchen, wenn er eine aufklärende Institution finden will.43
Aber ein Bild darüber, wie es sich mit der Qualität Wahrheit verhält, kann sich hieraus niemand machen. Nach Ansicht eines häufig Beschwerde-Einreicher bleibt sie offensichtlich ohne Konsequenzen, die Medien ändern sich nicht. Es gibt anscheinend keinen Regelkreis. Auffällig ist, dass Journalisten ins Fernsehbild kommen, deren Erfahrungshorizont gering ist und sie trotzdem kommentieren dürfen. Das ist ein Indiz für Qualität.
1.2 Lügen im Evolutionsprozess
Der Mensch als hoch organisiertes und denkendes Wesen stammt genetisch nach dem Stand der Abstammungslehre44 von einfacheren Lebewesen ab. Dabei kennt man die weit zurückliegende Vergangenheit des Menschen nur aus archäologischen Funden als Abbild von der Wirklichkeit und mit den gegenständlichen Indizien schafft man sich eine Vorstellung vom Leben der Vorfahren. Offenbar hat sich der Mensch im Laufe seiner Evolutionsgeschichte schon früh mit der Frage beschäftigt, welche Funktion er selbst in der Welt hat und welcher Sinn in der Schöpfung enthalten sein könnte, wobei es unbestimmt ist, durch was der Schöpfungsprozess ausgelöst wurde. Wenn man es bei der unbestimmten Fragestellung belässt, weil keine korrekte endgültige Beantwortung möglich erscheint, dann kann man die Ausdeutung den Philosophen oder Religions- oder Glaubensvertretern überlassen. In der Sprachgeschichte dürfte in diesem Zusammenhang u.a. das Wort Gott entstanden sein, man verband damit zugleich etwas Übernatürliches und Vorbildliches; man dichtete diesem Wesen „göttliche“ Eigenschaften zu; meist idealisiert, jedoch genaues über die einstigen Vorstellungen weiß man nicht. In jedem Fall scheint inbegriffen zu sein einerseits eine soziale Funktion des Zusammenlebens der Menschen, die unterschiedlichen Intellekt45 aufweisen, und andererseits oberhalb der Ebene der Menschen auch überhöhtes Können, Wissen und ein Gefühl für Gerechtigkeit haben.46 Ob etwas einem vorteilhaften Zusammenleben widersprach wie z.B. Betrug, scheint schon früh empfunden worden zu sein, was dann viel später überleitete in den Begriff unrichtig, ungerecht, wofür die reale Konfrontation ider beste Beweis davon ist.
Das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft erfordert wegen der unterschiedlichen Ansichten und Charaktere der einzelnen einen Austausch der Informationsinhalte und darüber selbst. Gleichzeitig ist für einen rationellen Prozess der Beurteilung von Sachverhalten verschiedener Menschen ein Verhalten der Wahrhaftigkeit zueinander notwendig, ein Abweichen davon löst unweigerlich einen Lern- und Erfahrungsprozess aus, aus dem sich nach und nach Gemeinschafts-Regeln für ein Erdulden und Zulassen solchen Fehlverhaltens entwickeln. Zunächst musste der Mensch dafür eine dies ermöglichende Sprache „erfinden“ und sowohl anatomisch als auch geistig hinreichend entwickelt sein.47 Es ist denkbar, dass die Inhalte zunächst primitiv waren und sich an elementaren einfachen Situationen orientierten. Grundsätzlich verbindet die Sprache alle am Austauschprozess teilnehmenden Menschen, sie ist daher nicht nur ein wichtiges Element der Evolution von Mensch und Sprache, sondern sie ist ein phänomenales Multitelement für Verständigung, zur Vermittlung von Innovationen usw., aber alles basiert auf dem Vertrauen, dass das Gesagte der Tatsächlichkeit vom Sachverhalt und dem Geist des Individuums entspricht.
Richtigkeit und Wahrhaftigkeit dürfte ein Grundzug des Menschen sein.48 In dieser Verhaltensweise findet die Philosophie auch das Motiv der Vernunft, des Vernünftigen. Dabei ist die Offenheit nicht nur eine Tugend, die einen rationellen Fortschritt in der Menschheit gewährleistet, sondern sie steht im Gegensatz zum Lügen, weil das Verschleiern und Verdunkeln der Realität gegen anerkannte Verhaltens-Regeln verstößt und zudem, weil so etwas etwas moralisch Verwerfliches ist. Nun wird gegenwärtig behauptet, dass tugendhafte Verhaltensweise in der zivilen Gesellschaft im Wesentlichen aus der Erziehungszeit stamme, aber es werden Neigungen zum Täuschen und Lügen bereits in der Kindheit entdeckt und als Vorteil für sich erkannt. Wir heutigen Menschen können uns nicht mehr vorstellen, in welcher Weise sich eine Ethik49 innerhalb der menschlichen Gruppen entwickelt und wonach man Maßstäbe innerhalb von gut und böse angewendet hat. Naheliegend scheint zu sein, dass die Erfahrung hier der Lehrmeister des Individuums bzw. der Gruppe war. Das gilt auch für fremde Gruppen zur eigenen, diese wurden gemessen in der Wertigkeit z.B. im Vergleich. Der Philosoph der Antike Aristoteles sieht hier z.B. die Art der Leistungserbringung als Charakterzug (einer Tugend).50 Durch Gewöhnung führt das zu einer Verhaltensregel, die von allen akzeptiert und anerkannt wird, zunächst in der Gruppe und später allgemein in definierter Weise. Verstößt man dagegen, dann ist das von Übel, ist etwas Böses. Hier wirkte das Gefühl mit.
Im ersten deutschen Rechtssammelwerk, dem Sachsenspiegel sind die aus den vielfachen Anwendungen in deutschen Landen, fasst durchweg uralte Gewohnheiten niedergelegt. Dazu gehören eben besonders die Verhaltensweise in Ehrlich- und Wahrhaftigkeit, denn ohne sie ist eine Rechtsprechung kaum denkbar.51 Man sagt, gerade die Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit würden als deutsche Tugenden anerzogen; sie seien für den Charakter sogar von höchster Wichtigkeit.52 Man soll und will ein guter Mensch sein und dazu gehören bestimmte Tugenden.53 Im Ausland gehören derlei Tugenden nicht immer zum Repertoire, dem man nachzustreben hat54 In des Volkes Meinung ist man mit dem typisch deutschen „ehrlich“55 in der modernen Auffassung und vielfach nach dem Umgangs-Gebrauch recht skeptisch, offensichtlich nimmt man das Lügen heute nicht mehr so genau im Wert, man ist da pragmatisch und handelt nicht unbedingt nach dieser gepriesenen Tugend. Was heißt noch „anständig“? Die Orientierung und die Urteilskompetenz ist wohl verloren gegangen, was anscheinend an der praktizierten laxen Lebensweise liegt.56
Mit der Verteufelung des Soldatentums nach dem Zweiten Weltkrieg sank auch die Wertschätzung von Anständigkeit und Wahrhaftigkeit, von Verlässlichkeit, aber bei einigen Menschen wurden die alten bürgerlichen Tugenden jedoch keine bloß sekundären.57 Bei ihnen sind sie sogar Grundlage von Qualität deutscher Erzeugnisse, ihr Verlust führt zur Minderwertigkeit.58 Das wiederum aber will man generell nicht, so dass die Landschaft der Tugenden arge Löcher aufweist, besonders dadurch, wenn manche Tugenden bei einigen erst im Erwachsenalter anerzogen werden sollen.
Weiß man, was ein Immigrant von Aufrichtigkeit, Redlichkeit, Zuverlässigkeit versteht 59? Warum ist „völkisch“, d.h. dem Volk gemäß, bei uns in Deutschland gegenwärtig so negativ belastet? Wir können nicht Begriffe oder Dinge, die für sich genommen weder gut noch schlecht sind, nur deswegen auf ewig für Unworte halten, oder zumindest für unaussprechlich, nur weil sie von den Nazis missbraucht worden sind.60 Will man sich aus geschichtlichen Zeitabschnittsgründen etwa als Volk verleugnen?61 Will man seine eigene Volksgeschichte verdrängen und durch was denn ersetzen?62 Das Deutsche Volk hat sich – so eine Geschichtsdeutung63 – (mindestens) zweimal als Volk begriffen: im Zeitalter der Reformation und nach der französischen Revolution, ja eigentlich immer, wenn es ausgelöscht werden sollte und Gefahr drohte. Johannes Scherr64 arbeitete die besondere Affinität zur Deutschen Kulturgeschichte heraus, darunter den Eigenarten der Menschen und ihrer Sitten, also auch der Tugenden. Natürlich kann man sich im Sinne eines negierenden Zeitgeistes sogar als Deutscher verspotten:
Aufgrund dieser Recherche würde ich vorschlagen, wir einigen uns für unsere nationale Identität und unsere Leitkultur auf die wahren deutschen Tugenden. Die da wären: Überheblichkeit, Weltfremdheit, Ignoranz, Wehleidigkeit, Weltschmerz, Ratlosigkeit und Humorlosigkeit. Denn bei diesen Tugenden, da macht uns so schnell keiner ‘was vor!65
Die Gefühls- und die religiöse Welt nimmt weniger Rücksicht auf das, was der Verstand ihm sagt und was die Vernunft auf Richtigkeit prüft.66 So kann heutzutage eine Ideologie die Überlegungen zur Ökonomie bei ökologischen Betrachtungen beiseite schieben. So kann ein pures Abwägen der Gewichte gestört werden, dass die Aufwendungen und Kosten z.B. bei einer Energiewende oder bei einem militärischen Einsatz nachgeordnet werden und eine Volkswirtschaft übermäßig belasten. Gebraucht den Verstand, rufen uns schon die Altvorderen zu, denn die Geschichte lehrt uns mit ihren Erfahrungen Vorsicht, lieber sorgfältig planen als überhastet einer Idee anhängen und durch Lügen und Täuschen diesen Fakt und die Folgen davon aus dem Verkehr zu ziehen. So wird_die energiepolitische Debatte in Deutschland auch nach dem Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie weiterhin intensiv geführt. Um die Frage „Können die erneuerbaren Energien die Kernenergie und zunehmend auch die Kohle ersetzen?“ ist ein regelrechter Glaubenskrieg entbrannt. Unstrittig ist der weitere ambitionierte Ausbau der Erneuerbaren. Der dafür angestrebte Umbau der Energieversorgung steht jedoch auf tönernen Füßen, denn Wunschdenken und Utopien können die Gesetze der Physik und Ökonomie nicht außer Kraft setzen – diese Gesetze zu missachten, setzt die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Stromversorgung aufs Spiel.67
Wir sehen: das menschliche Vermögen des Lügens oder die Kunst des Lügens wird immer wieder und weiter genutzt, weil es zu vielen und zu verschiedensten Zwecken eingesetzt werden kann ohne deswegen angeklagt zu werden, weil man nicht immer erkennen kann, dass der hochgelobte Redende im Grunde eine verbrecherische amoralische Absicht verfolgt.68 Nur eine Gesellschaft, welche nicht gelernt hat, mit der Lüge zu leben, ist für Lügen empfänglich - Menschen, die nicht wissen, dass man selber denken, selber alles hinterfragen muss, sind den großen Lügen hilflos ausgeliefert.69
Die Folgen des Lügens sind mannigfaltig, die kleine Lüge des Alltags, wenn man nicht eingesteht, dass es einem beispielsweise tatsächlich schlecht geht oder man einen Tadel hat einstecken müssen, weil man Fehler bei der Arbeit gemacht hat, dies ist heute in unserer Zivilisation „normal“. Die meisten wissen darum und regen sich darüber nicht mehr auf, wenn das Bild des anderen nicht eitel und schön ist. Anders ist es, wenn man sein Berufsbild aufgebessert hat, vorgibt, ein akademisches Studium absolviert zu haben, aber nicht hat. Wenn es nicht auffällt, dann wird es verdrängt; man selbst möchte nicht immer daran erinnert werden und vergisst vielleicht diese Unehrlichkeit sogar. Aus der Geschichte wissen wir, dass mancher römische Kaiser sich Triumphe geleistet hat, die nicht geleistet aber ihm angedichtet wurden. Heute wird von der Allgemeinheit für sehr wichtig gehalten die Glaubwürdigkeit70, aber das Gegenteil davon wird von so manchem praktiziert. Manche Rede zu einem Preis ist ein unechtes Loblied, weil wohl eine Preisvergabe eine positive Rechtfertigung erfordert.
Zwischen Lügen und Glaubwürdigkeit gibt es einen Sachzusammenhang, denn wer lügt, kann seine Glaubwürdigkeit verlieren71, was in einigen Berufen von Bedeutung ist, jedoch in der Politik ist der Politiker nur auf einen Teil seiner Kommunikationspartner angewiesen, weil dies so der Verfassung entspricht. Das Erfordernis, dass er bewusst lügt, scheint bei einem Politiker nicht erforderlich, da die Rezipienten von ihm ein ständiges Bemühen um wahrheitsgemäße Information erwarten. In den Anforderungen an einen Politiker ist sie allerdings nicht enthalten, weil eben Politiker nicht eingestellt, sondern gewählt werden, und die Verletzung der Glaubwürdigkeit zuweilen erst durch Hinterfragen und kritisches Vergleichen möglich ist. In der forensischen Aussagepsychologie, in Gerichtsprozessen müssen für Zeugen usw. ggf. Glaubwürdigkeitsgutachten erstellt werden, die oft prinzipieller Natur sind, nur manchmal nur zu einem Fall. Schwierig zu beurteilen ist, wenn die Aussage glaubhaft ist, aber die aussagende Person eher unglaubwürdig?72 In der Realität schwankt die Beurteilungsgüte, weil die Begleiterscheinungen nicht immer eindeutig zu erkennen oder zu unterschei-den sind. Daher ist es möglich, dass der gewöhnliche, ungeschulte Bürger manches für wahr nimmt, wenn es gelogen ist, vor allem, wenn Ansprüche an die Erinnerung gestellt werden und nicht erfüllt werden können, man hat es halt vergessen.73
Dass das Vertrauen in die Politik nicht ohne ein allgemeines Empfinden schwindet, muss Ursachen haben und man sucht sie nicht in dem Charakter der Politiker, sondern in fehlender Willensbeteiligung usw.74 Die Politiker machen offensichtlich Politik am Volk vorbei. Das Vertrauen ist ein Kulturprodukt und das hat eine lange Entwicklungszeit. Es ist nicht einfach wieder zu gewinnen, zumal unser Volk immer heterogener wird, wenn auch Appelle an entsprechendes Verhalten genügend gestartet werden.75 Offensichtlich steht aber das Interesse und der Wille der Politiker mehr auf Macht als auf moralisch einwandfreies Tun, d.h. immer bei der Wahrheit zu bleiben und neue Interpretationen von alten Begriffen zu vermeiden, denn das führt in die Irre.
Die politische Klasse und die Funktionäre, also diejenigen, die Politik oder Interessenvertretung als Beruf betreiben, werden infolge der schwindenden Verbindungen zur Basis mit wachsendem Misstrauen beobachtet. Gleichzeitig sind sie mit zunehmend unerfüllbaren Leistungserwartungen konfrontiert. Diese Erwartungen fördern sie selbst mit oft sehr lauten Versprechen und großmundigen Zusagen, um das Vertrauen und die Gefolgschaft der Basis zu sichern. Kurzfristig mag das wirken, aber längerfristig ist es verhängnisvoll, weil die Erwartungen nicht erfüllt werden können. Die