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Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Schon im Ersten Weltkrieg zeigte sich das Phänomen, das für uns heute alltäglich geworden ist, und welches Arthur Ponsonby mit seinem weltbekannten Ausspruch zusammenfasste. Der steile Siegeszug der Propaganda, durch welche der Gegner entmenschlicht und die eigene Bevölkerung zum Krieg motiviert werden sollte, trieb nicht nur die jungen Männer in die Schützengräben von Verdun, sondern ebnete den Weg für die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten und die Informationskriege der Moderne. Die Ursprünge all dessen untersucht Ponsonby hier akribisch, sowohl am Beispiel seines Heimatlandes Großbritannien als auch den USA, Frankreich, Italien und Deutschland. Ein Buch von erschreckender Aktualität.
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Seitenzahl: 224
Ebook Edition
Arthur Ponsonby
Lügen in Kriegszeiten
Kritische Betrachtungen
Arthur Ponsonby (1871-1946) war britischer Staatsbeamter, Politiker, Schriftsteller und Pazifist. Nachdem er 1908 zunächst als Mitglied der »Liberal Party« in das Unterhaus einzog, gründete er 1914 die »Union of Democratic Control« (UDC). Ziel dieser Vereinigung war es, auf eine verantwortungsvollere Außenpolitik zu drängen und sich gegen den militärischen Einfluss auf Regierungen einzusetzen. Von 1934 bis 1937 war Ponsonby zudem Vorsitzender der »War Resisters International«, einem 1921 gegründeten, weltweit agierenden Netzwerk von Antimilitaristen.
German Translation copyright © 2022 by Westend Verlag GmbH
Die Originalausgabe erschien 1928 unter dem Titel »Falsehood in War-Time: Containing an Assortment of Lies Circulated Throughout the Nations During the Great War« bei Garland Publishing Company, London.
Aus dem Englischen von Lena Grundrum und Charlyne Huckins.
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ISBN: 978-3-86489-872-3
Neuausgabe 2022
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt / Main 2022
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Umschlaggestaltung: Johannes Bröckers
Titel
Die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda
Einleitung
1. Das Bündnis mit Frankreich
2. Serbien und die Ermordung des Erzherzogs
3. Der Einmarsch in Belgien als Ursache des Ersten Weltkriegs
Verletzung der belgischen Neutralität von Frankreich beabsichtigt.
Anschuldigungen eines französischen Generals.
(Von unserem eigenen Korrespondenten)
Paris, Montag.
Eine Entdeckung von 1910.
Übergriff auf Belgien unvermeidlich.
4. Deutschlands Alleinschuld am Krieg
5. Der Durchmarsch russischer Truppen durch Großbritannien
6. Die verstümmelte Krankenschwester
Die Tragödie einer Krankenschwester.
»Dumfrieser Mädchen Opfer entsetzlicher Grausamkeit.
Brief von Schwester Mullard an Miss Hume.
7. Der verbrecherische Kaiser
8. Der belgische Säugling ohne Hände
9. Das Altarbild aus Löwen
10. Die verächtliche kleine Armee
11. Deutschland über alles
12. Das Baby von Courbeck Loo
13. Der gekreuzigte Kanadier
14. Die Erschießung des Französlings
15. Die Briefmarkensammlung vom kleinen Alf
16. Der tätowierte Mann
Tätowierungs-Anschuldigungen nicht bestätigt.
17. Die Leichenfabrik
18. Der Brief des Bischofs von Sansibar
19. Der deutsche U-Boot-Skandal
20. Konstantinopel
21. Die »Lusitania«
22. Bericht über ein abgebrochenes Treffen
23. Gräuelgeschichten
24. Fake-Fotos
25. Die Fälschung von amtlichen Dokumenten
26. Heuchlerische Empörung
27. Andere Lügen
Die Gouvernante
Der Kellner
Emaillierte Werbung
Betonplatten
Die Röhren
Die Bombardierung von Krankenhäusern
Der Kronprinz
Tuberkulose-Keime
Der patriotische Lügner
Bergarbeiter lebendig begraben
Kriegsnachrichten für die USA
Ein Soldatenbrief
Gefälschter deutscher Befehl
Russisches Arsenal zerstört
28. Die Produktion von Nachrichten
»The Fall of Antwerp.« November 1914.
29. Kriegsziele
Ein Krieg zur Zerschlagung des Militarismus.
Ein Krieg zur Verteidigung kleiner Nationalitäten.
Ein Krieg, um die Welt für die Demokratie sicher zu machen.
Ein Krieg, um den Krieg zu beenden.
Kein Territorium für Großbritannien.
30. Ausländische Lügen
(a) Deutschland
(b) Frankreich
(c) Die Vereinigten Staaten
(d) Italien
VOR DER RUMÄNISCHEN KRIEGSERKLÄRUNG
Nachbemerkung
Titel
Inhaltsverzeichnis
»Eine Lüge wird niemals alt.«
– Sophokles
»Wenn ein Krieg erklärt wird, ist die Wahrheit das erste Opfer.«»Kommt der Krieg ins Land. Gibt Lügen wie Sand.«»Sie werden feststellen, dass Kriege durch eine Klasse von Argumenten unterstützt wird, die die Menschen nach dem Krieg als Argumente ansehen, auf die sie hätten hören sollen.«
– John Bright
»In der Arena der internationalen Rivalität und des Konflikts haben die Menschen den Patriotismus als unverzichtbare Tugend der Staatsmänner über die Wahrhaftigkeit gestellt.«
– Stanley Baldwin
»Es ist einfacher, mit Lügen Geld zu verdienen als mit der Wahrheit. Die Wahrheit hat nur eine Kraft: Sie kann Seelen entzünden. Aber schließlich ist eine Seele eine größere Kraft als eine Menschenmenge.«
– G. Lowes Dickinson
»Und als der Krieg kam, erzählten wir der Jugend, die uns aus ihm herausholen musste, Lügenmärchen darüber, was er wirklich ist und zu welchen Kleeblättern er führt.«
– J. M. Barrie
Die Historikerin Anne Morelli hat die im Folgenden dargestellten Propagandatechniken analysiert und in zehn Punkten zusammengefasst. (Siehe: Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda, 2004)
1.Wir wollen keinen Krieg
2.Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg
3.Der Feind hat dämonische Züge
4.Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele
5.Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann nur versehentlich
6.Der Feind verwendet unerlaubte Waffen
7.Unsere Verluste sind gering, die des Gegners aber enorm
8.Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt
9.Unsere Mission ist heilig
10.Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter
Das Ziel dieses Bandes ist es weder, neue Vorwürfe gegen Behörden oder Einzelperson zu erheben, noch eine Nation mehr als eine andere der Täuschung zu bezichtigen.
Unwahrheiten sind eine anerkannte und extrem nützliche Waffe bei der Kriegsführung und jedes Land setzt sie bewusst ein, um die eigene Bevölkerung zu täuschen, Neutrale anzuziehen und den Feind in die Irre zu führen. Die unwissenden und unschuldigen Massen in jedem Land sind sich zu der Zeit nicht bewusst, dass sie getäuscht werden, und wenn alles vorbei ist, werden die Unwahrheiten nur vereinzelt erkannt und aufgedeckt. Da alles in der Vergangenheit liegt und die Geschichten und Stellungnahmen den gewünschten Effekt bereits erzielt haben, macht sich niemand die Mühe, die Fakten zu untersuchen und die Wahrheit offenzulegen.
Wie wir alle wissen, wird nicht nur in Kriegszeiten gelogen. Der Mensch, so wurde gesagt, ist kein »wahrheitsliebendes Tier«, doch ist seine Gewohnheit zu lügen nicht annähernd so außergewöhnlich wie seine erstaunliche Bereitschaft zu glauben. Tatsächlich ist es die menschliche Leichtgläubigkeit, die Lügen aufblühen lässt. Doch in Kriegszeiten wird die maßgebliche Organisation der Lüge nicht ausreichend anerkannt. Die Täuschung ganzer Völker ist keine Angelegenheit, die auf die leichte Schulter genommen werden kann.
Daher kann im Zeitraum des sogenannten Friedens eine Warnung, die die Menschen in aller Ruhe prüfen können, nützlich sein, dass die Behörden jedes Landes zu dieser Methode greifen, sogar greifen müssen, um sich erstens selbst zu rechtfertigen, indem sie den Feind als reinen Verbrecher darstellen, und um zweitens die Leidenschaft des Volkes hinlänglich zu entfachen, um Rekruten für die Fortsetzung des Kampfes zu gewinnen. Sie können es sich nicht leisten, die Wahrheit zu sagen. In manchen Fällen muss sogar zugegeben werden, dass sie zu dem Zeitpunkt nicht einmal wissen, was die Wahrheit ist.
Der psychologische Faktor im Krieg ist genauso wichtig wie der militärische Faktor. Die Moral der Zivilisten muss, genau wie die der Soldaten, aufrechterhalten werden. Die Kriegsämter, Marine- und Luftfahrtministerien kümmern sich um die militärische Seite. Für die psychologische Seite müssen Abteilungen gebildet werden. Die Menschen dürfen unter keinen Umständen ihren Mut verlieren; daher müssen Siege überhöht und Niederlagen, falls nicht vertuscht, um jeden Preis heruntergespielt werden, und Empörung, Entsetzen und Hass müssen durch »Propaganda« gewissenhaft und fortlaufend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht werden.
Wie Mr. Bonar Law in seinem Interview mit der United Press of America in Bezug auf Patriotismus sagte: »Es ist gut, wenn es durch deutsche Schrecklichkeit ordentlich aufgerührt wird« und eine Art allgemeine Bestätigung der Gräueltaten wird durch vage Formulierungen gegeben, die der Verantwortung für die Glaubwürdigkeit jeder einzelnen Geschichte ausweichen, wie als Mr. Asquith sagte: »Wir werden diese schreckliche Geschichte von kalkulierter Grausamkeit und Verbrechen nicht vergessen.« (House of Commons, 27. April 1915)
Der Einsatz der Waffe der Unwahrheiten ist in einem Land, in dem die Wehrpflicht nicht im Gesetz verankert ist, notwendiger als in Ländern, in denen alle Männer der Nation automatisch in die Armee, die Marine oder die Luftwaffe eingezogen werden. Die Öffentlichkeit kann durch trügerische Scheinideale emotional aufgewühlt werden. Eine Art kollektive Hysterie verbreitet und steigert sich, bis sie schließlich die Überhand über nüchterne Menschen und seriöse Zeitungen gewinnt.
Mit einer Warnung vor Augen ist die Allgemeinheit vielleicht eher auf der Hut, wenn die Kriegswolke das nächste Mal am Horizont erscheint, und weniger geneigt, die Gerüchte, Erklärungen und Behauptungen, die für ihren Konsum verbreitet werden, als Wahrheit zu akzeptieren. Sie sollte sich bewusst machen, dass eine Regierung, die sich dazu entschieden hat, sich auf die gefährliche und schreckliche Unternehmung des Krieges einzulassen, von vornherein eine einseitige Argumentation zur Rechtfertigung ihres Handelns vorlegen muss und es sich nicht leisten kann, dem Volk, gegen das sie zu kämpfen beschlossen hat, in irgendeinem Punkt auch nur das geringste Maß an Recht oder Vernunft zuzugestehen. Tatsachen müssen verdreht, wichtige Sachverhalte verheimlicht und ein Bild muss präsentiert werden, das die unwissenden Menschen durch seine grobe Färbung davon überzeugt, dass ihre Regierung schuldlos, ihre Gründe rechtmäßig und die unbestreitbare Bosheit des Feindes zweifellos bewiesen ist. Ein kurzer Moment des Nachdenkens würde jede vernünftige Person davon überzeugen, dass solch eine offensichtliche Einseitigkeit nicht der Wahrheit entsprechen kann. Aber ein kurzes Nachdenken ist nicht erlaubt; Lügen werden mit großer Schnelligkeit verbreitet. Die gedankenlose Masse nimmt sie an und ihre Aufregung beeinflusst das Übrige. Die Menge an Unsinn und Schwindel, die in Kriegszeiten in allen Ländern unter dem Namen des Patriotismus verbreitet wird, reicht aus, um anständige Menschen erröten zu lassen, wenn sie nachträglich ihre Illusionen verlieren.
Die feierlichen Beteuerungen der Monarchen und führenden Staatsmänner jeder Nation, sie wollten keinen Krieg, müssen von vorneherein mit den Erklärungen von Menschen auf eine Stufe gestellt werden, die Petroleum in dem Wissen in ein Haus schütten, dass sie ständig Streichhölzern entzünden, und trotzdem behaupten, sie wollten keinen Großbrand verursachen. Dieser Form der Selbsttäuschung, die die Täuschung anderer einschließt, ist von Grund auf unehrlich.
Da Krieg eine anerkannte Maßnahme ist, auf die zurückgegriffen wird, wenn Regierungen miteinander in Konflikt geraten, sind die Menschen mehr oder weniger darauf vorbereitet. Sie machen sich bereitwillig etwas vor, um ihre eigenen Handlungen zu rechtfertigen. Sie sind begierig darauf, eine Ausrede zu finden, um ihren Patriotismus zur Schau zu stellen, oder bereit, die Gelegenheit für die Aufregung und ein neues Leben voller Abenteuer zu ergreifen, die der Krieg ihnen bietet. Es gibt also eine Art der nationalen Übereinstimmung, jeder rückt vor und der Einzelne nimmt seinerseits das Lügen als patriotische Pflicht auf. Bei der niedrigen Moral, die in Kriegszeiten herrscht, wirkt eine solche Praxis fast unschuldig. Seine Bemühungen sind manchmal ein wenig grob, aber er gibt sein Bestes, um dem gegebenen Vorbild zu folgen. Vertreter werden von den Obrigkeiten eingesetzt und zur Propagandaarbeit animiert. Der Typus, der auf Rekrutierungsversammlungen bei der Verbreitung von Unwahrheiten in den Vordergrund trat, ist inzwischen gut bekannt. Das Schicksal, das zumindest einen der berühmtesten von ihnen in diesem Land ereilte, ist beispielhaft dafür, wie tief die öffentliche Meinung in einer Atmosphäre des Krieges sinken kann.
Mit Lauschern, Brieföffnern, Entzifferern, Telefonanzapfern, Spionen, einer Abhörabteilung, einer Fälschungsabteilung, einer Kriminalabteilung, einer Propagandaabteilung, einer Auskunftsabteilung, einer Zensursabteilung, einem Informationsministerium, einem Pressebüro et cetera waren die verschiedenen Regierungen sehr gut ausgerüstet, um ihre Völker »zu unterweisen«.
Die offizielle britische Propaganda-Agentur im Crewe House unter Lord Northcliffe war sehr erfolgreich. Ihre Methoden, insbesondere der Abwurf von Millionen von Flugblättern auf die deutsche Armee, übertrafen alle Unternehmungen des Feindes bei weitem. In The Secrets of Crewe House von Sir Campbell Stuart, K.B.E., werden die Methoden zu unserer Zufriedenheit und Zustimmung beschrieben. Die Erklärung, dass nur »wahrheitsgemäße Aussagen« verwendet wurden, wird zu oft wiederholt und stimmt nicht mit der Beschreibung der gefälschten Briefe und unechten Titel und Bucheinbände überein, die benutzt wurden. Aber natürlich wissen wir, dass solch schlaue Propagandisten genauso gut darin sind, im Nachhinein mit uns umzugehen wie zum gegebenen Zeitpunkt mit dem Feind. Bei der scheinbar aufrichtigen Beschreibung ihres Handelns wissen wir, dass wir nur einen Teil der Geschichte hören. Die Verbreiter unedlen Metalls wissen, wie sie sowohl für uns als auch den Feind die richtige Menge an Legierung verwenden.
In den vielen Würdigungen des Erfolgs unserer Propaganda durch deutsche Generäle und die deutsche Presse gibt es keine Beweise dafür, dass unsere Aussagen immer streng der Wahrheit entsprachen. Um eine wiederzugeben: Der General der sechsten deutschen Armee, Oskar von Hutier, verschickte eine Nachricht, die den folgenden Auszug enthält: »Die Methode von Northcliffe an der Front besteht darin, durch Flieger eine ständig steigende Zahl von Flugblättern und -schriften zu verbreiten; die Briefe deutscher Gefangener werden auf abscheulichste Art und Weise gefälscht; es werden Traktate und Pamphlete erdacht, unter denen die Namen deutscher Dichter, Schriftsteller und Staatsmänner gefälscht werden oder die den Anschein erwecken, in Deutschland gedruckt worden zu sein, und beispielsweise den Titel der Reclam-Reihe tragen, obwohl sie tatsächlich von der Northcliffe Presse kommen, die Tag und Nacht für diesen Zweck arbeitet. Sein Gedanke und Ziel ist, dass die Fälschungen, so offensichtlich sie für den, der nachdenkt, auch sein mögen, einen Zweifel bei denen wecken, die nicht für sich selbst denken, und sei es nur für einen Augenblick, und dass ihr Vertrauen in ihre Führer, in ihre eigene Stärke und in die unerschöpflichen Mittel Deutschlands erschüttert wird.«
Zunächst gründete sich die Propaganda auf den Treibsand des Mythos von der Alleinverantwortung Deutschlands. Später wurde sie durch die Unfähigkeit unserer Staatsmänner, unsere Ziele zu erklären, leicht durcheinandergebracht und gegen Ende durch Beschreibungen des großartigen, angemessenen und gerechten Friedens verstärkt, der »auf dauerhaften Fundamenten errichtet« werden sollte. Dies erwies sich leider als die größte Lüge von allen.
Im nüchternen Rückblick können wir die verhängnisvollen Auswirkungen des Giftes der Unwahrheit, ob offiziell, semioffiziell oder privat hervorgebracht, besser einschätzen. Es ist zu Recht gesagt worden, dass die Injektion des Gifts des Hasses in den Verstand der Menschen mithilfe der Unwahrheit in Kriegszeiten ein größeres Übel darstellt als der tatsächliche Verlust von Leben. Die Verunreinigung der menschlichen Seele ist schlimmer als die Zerstörung des menschlichen Körpers. Eine tiefere Erkenntnis davon ist unerlässlich.
Ein weiterer Effekt des ständigen Auftauchens falscher und verzerrter Aussagen und der Aufnahme der Lügenatmosphäre ist, dass Taten von echter Tapferkeit, Heldenmut und körperlicher Ausdauer und echte Fälle von unabwendbarer Folter und Leid verunreinigt und entweiht werden; die wunderbare Kameradschaft des Schlachtfeldes wird geradezu beschmutzt. Lügende Zungen können nicht von Opfertaten sprechen, um deren Schönheit oder Wert zu zeigen. Das Lob der Regierung und der Presse für Heldentaten ist also immer trügerisch, vor allem, wenn es von billiger und geschmackloser Rührseligkeit begleitet wird, wie es bei Letzterer für gewöhnlich der Fall ist. Daher wünscht man sich instinktiv, dass die wahren Helden unerkannt bleiben, damit ihre Verdienste nicht durch zynische Zungen und in Falschheit geübten Federn besudelt werden.
Wenn der Krieg solche Ausmaße annimmt, dass die gesamte Nation miteinbezogen wird, und wenn die Menschen an seinem Ende feststellen, dass sie nichts gewonnen haben und sie von weitverbreitetem Unglück umgeben sind, sind sie geneigt, skeptischer zu werden und die Grundlagen der Argumente zu untersuchen, die ihren Patriotismus bestärkt, ihre Leidenschaften entfacht und sie darauf vorbereitet haben, das höchste Opfer zu bringen. Sie wollen wissen, warum die angeblichen Ziele, für die sie gekämpft haben, nicht erreicht wurden, vor allem, wenn sie die Sieger sind. Sie tendieren dazu wie Lord Fisher zu glauben, dass »die Nation in den Krieg hineingetäuscht wurde« (London Magazine, Januar 1920). Sie beginnen sich zu fragen, ob es nicht an ihnen liegt, ein Sprichwort wahrzumachen, von dem sie so viel gehört haben, nämlich dass es »ein Krieg war, um den Krieg zu beenden«.
Wenn die Generation, die den Krieg erlebt hat, noch am Leben ist, ist es gut, dass man ihnen Kapitel und Verse mit einigen der bekanntesten Ausrufe, Schlagwörter und Mahnungen vorstellt, von denen sie so stark beeinflusst worden sind. Daher wird diese Sammlung als Warnung erstellt. Sie stellt nur einige weniger Beispiele vor. Das gesamte Gebiet abzudecken wäre unmöglich. Von 1914 bis 1918 muss es mehr vorsätzliche Lügen in der Welt gegeben haben als in irgendeiner anderen Periode der Weltgeschichte.
Es gibt verschiedene Arten von Verkleidungen, in die sich Unwahrheiten hüllen können. Es gibt die vorsätzliche offizielle Lüge, die entweder der Täuschung der Menschen im Inland oder der Irreführung des Feindes im Ausland dient; dafür gibt es verschiedene Beispiele. Wie ein Franzose gesagt hat:
»Solange die Völker bewaffnet sind, die einen gegen die anderen, werden sie lügende Staatsmänner haben, genau wie sie Kanonen und Maschinengewehre haben.«
Das Kriegsamt forderte Offiziere in einem Rundschreiben dazu auf, über Kriegsereignisse in Zusammenhang mit dem Feind zu berichten, und erklärte, dass keine strenge Richtigkeit erforderlich sei, solange eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehe.
Es gibt die vorsätzliche Lüge, die sich ein genialer Verstand ausgedacht hat, die vielleicht nur einen kleinen Kreis erreicht, die aber, falls sie bildlich und anschaulich genug ist, aufgegriffen und verbreitet werden kann; und es gibt die hysterische Halluzination von Menschen schwachen Verstandes.
Es gibt die Lüge, die gehört und nicht geleugnet wird, auch wenn es ihr an Beweisen mangelt, und die dann wiederholt oder in Umlauf gebracht wird.
Es gibt den Übersetzungsfehler, der gelegentlich auf einem echten Irrtum beruht, meistens aber absichtlich erfolgt. Dafür können zwei kleine Beispiele angeführt werden:
The Times (Kummerspalte), 9. Juli 1915:
Jack F. G. – »If you are not in khaki by the 20th, I shall cut you dead.«
– Ethel M.
Der Berliner Korrespondent der Cologne Gazette übersetzte wie folgt:
»If you are not in khaki by the 20th, hacke ich dich zu Tode (I will hack you death).«
Während der Blockade Deutschlands wurde vorgeschlagen, die Krankheiten, an denen die Kinder litten, »die englische Krankheit« zu nennen, als ständige Erinnerung an die englische Unmenschlichkeit. Tatsächlich ist und war die gängige deutsche Bezeichnung für Rachitis immer »die englische Krankheit«.
Es gibt die allgemeine Besessenheit, angefangen mit Gerüchten, verstärkt durch Wiederholung und durch Hysterie vervollkommnet, die schließlich allgemeine Akzeptanz findet.
Es gibt die vorsätzliche Fälschung, die sehr sorgfältig angefertigt werden muss, aber in diesem Moment ihren Zweck erfüllt, auch wenn sie letztlich aufgedeckt wird.
Es gibt die Auslassung von Passagen in offiziellen Dokumenten, von der nur wenige Beispiele angeführt werden; und die »Richtigkeit« von Wörtern und Kommas in parlamentarischen Bescheiden, die Verschleierungen der Wahrheit verbergen.
Es gibt bewusste Übertreibungen, wie zum Beispiel die Berichte über die Zerstörung Löwens:
»Löwen hat aufgehört zu existieren.« (The Times, 29. August 1914)
In der Tat wurde geschätzt, dass etwa ein Achtel der Stadt gelitten hat.
Es gibt die Verschleierung der Wahrheit, zu der gegriffen werden muss, um zu verhindern, dass irgendetwas, das den Feinden zu Gunsten kommt, an die Öffentlichkeit gerät. Ein Kriegsberichterstatter, der eine ritterliche Tat eines Deutschen einem Engländer gegenüber während eines Kriegseinsatzes erwähnte, erhielt ein tadelndes Telegramm von seinem Vorgesetzten: »Ich will nichts von guten Deutschen hören«; und Sir Philip Gibbs sagte in Realities of War: »Am Ende des Tages haben sich die Deutschen ritterlich verhalten, was ich zu dem Zeitpunkt nicht sagen durfte.«
Es gibt die gefälschte Fotografie (»die Kamera kann nicht lügen«). Diese war in Frankreich beliebter als hier. In Wien hat eine geschäftstüchtige Firma Gräuelfotos mit Leerstellen für die Überschriften angeboten, damit sie von beiden Seiten zu Propagandazwecken genutzt werden konnten.
Auch das Kino spielte eine wichtige Rolle, vor allem in neutralen Ländern, und trug wesentlich dazu bei, die Meinung in Amerika zugunsten der Alliierten zu verändern. Bis heute wird hierzulande versucht, die Wunde mithilfe von Filmen offenzuhalten.
Es gibt den »Russischen Skandal«, dessen bestes Beispiel während des Krieges komischerweise das Gerücht über den Marsch russischer Truppen durch Großbritannien war. Eine belanglose und unvollständig verstandene Darstellung der Tatsachen erreicht durch ständige Wiederholung von einer Person zur anderen enorme Ausmaße.
Lügen über Gräueltaten waren die beliebtesten von allen, besonders in diesem Land und in Amerika; kein Krieg kommt ohne sie aus. Die Diffamierung des Feindes wird als patriotische Pflicht angesehen. Ein englischer Soldat schrieb: »Die Geschichten in unseren Zeitungen sind nur Ausnahmen. Solche Leute gibt es in jeder Armee« (The Times, 15. September 1914). Aber zum frühestmöglichen Zeitpunkt müssen absichtlich Geschichten über die Misshandlung von Gefangenen in Umlauf gebracht werden, um Kapitulationen zu verhindern. Das wird selbstverständlich auf beiden Seiten gemacht. Wobei natürlich jede Seite versucht, ihre Gefangenen so gut wie möglich zu behandeln, um andere anzuziehen.
Die Wiederholung einer einzelnen Grausamkeit und ihre Übertreibung können zu einer vorherrschenden Gewohnheit des Feindes werden. Unbewusst gibt jeder sie ausgeschmückt weiter und versucht doch, sich selbst zu überzeugen, dass er die Wahrheit sagt.
Es gibt Lügen, die aus der Unzuverlässigkeit und der Fehlbarkeit von Zeugenaussagen hervorgehen. Keine zwei Personen können den Hergang eines Straßenunfalls so schildern, dass die beiden Geschichten übereinstimmen. Wenn Voreingenommenheit und Emotionen hinzukommen, werden die Zeugenaussagen völlig wertlos. In Kriegszeiten werden solche Aussagen als beweiskräftig anerkannt. Die dürftigsten und unzuverlässigsten Hinweise reichen aus – »der Freund eines Bruders von einem Mann, der getötet wurde«. Oder, wie ein deutscher Ermittler seine eigenen Lügner beschreibt, »jemand, der es gesehen hat«, oder »eine äußerst respektable alte Dame«.
Es gibt pure Romantik. Briefe von Soldaten, die sich die Tage und Wochen unerträglichen Wartens damit vertrieben haben, nach Hause zu schreiben, enthielten manchmal mitreißende Beschreibungen von Einsätzen und Abenteuern, die nie stattgefunden haben.
Es gibt Ausflüchte, Verschleierungen und Halbwahrheiten, die auf geschicktere Weise täuschen und allmählich zu einer Gewohnheit der Regierung werden.
Es gibt offizielle Geheimhaltung, die die öffentliche Meinung zwangsläufig in die Irre führen muss. So schrieb beispielsweise ein bekannter englischer Autor, der wahrscheinlich besser informiert war als der Großteil der Öffentlichkeit, einen Brief an einen amerikanischen Autor, der am 21. Mai 1918 in der Presse abgedruckt wurde und in dem es heißt:
»Es gibt keine Geheimverträge irgendeiner Art, an denen dieses Land beteiligt ist. Das hat unser Außenminister mehr als einmal öffentlich und deutlich erklärt, und abgesehen von der Ehre wäre es politischer Selbstmord für jeden britischen Beamten, eine falsche Aussage dieser Art zu machen.«
Dennoch existierte eine Reihe von Geheimverträgen. Es ist nur gerecht zu sagen, dass der Autor und nicht der Außenminister hier der Lügner ist. Nichtsdestotrotz wurde das offizielle Pamphlet The Truth about the Secret Treaties, das von Mr. McCurdy zusammengestellt wurde, mit einer Reihe von unbestätigten Auslassungen veröffentlicht, und sowohl Lord Robert Cecil 1917 als auch Mr. Lloyd George 1918 erklärten (Letzterer vor einer Delegation des Trade Union Congress), dass unsere Politik nicht auf die Zerrüttung Österreich-Ungarns abzielte, obwohl sie beide wussten, dass gemäß dem im April 1918 geschlossenen Geheimvertrag Teile Österreich-Ungarns an Italien übergeben und das Land von der See abgeschnitten werden sollte. Zu Geheimverträgen gehören selbstverständlich ständige Leugnungen der Wahrheit.
Es gibt eine unechte offizielle Empörung, die von einer echten Empörung des Volkes abhängt, eine Form der Unwahrheit, zu der manchmal in einem unachtsamen Moment gegriffen und die später bereut wird. Der erste Einsatz von Gas durch die Deutschen und der U-Boot-Krieg sind gute Beispiele dafür.
Die Verachtung des Feindes kann sich, wenn sie bildlich dargestellt wird, als eine unkluge Form der Unwahrheit erweisen. Es gab eine Zeit, in der deutsche Soldaten vorzugsweise geduckt, mit erhobenen Armen und »Kamerad« ausrufend abgebildet wurden, bis die Presse- und Propagandabehörden bemerkten, dass die Leute sich fragten, warum wir sie nicht ein paar Wochen vom Schlachtfeld gefegt hatten, wenn das der Stoff war, gegen den wir kämpften.
In einer voreingenommenen Kriegsatmosphäre werden persönliche Anklagen und falsche Anschuldigungen erhoben, um Personen zu diskreditieren, die sich weigern, die konventionelle Einstellung zum Krieg zu übernehmen.
Es gibt verlogene Schuldzuweisungen zwischen den einzelnen Ländern. Beispielsweise wurden die Deutschen beschuldigt, die Massenmorde an den Armeniern angezettelt zu haben, und sie ihrerseits erklärten, die Armenier hätten, angeregt von den Russen, 150 000 Muslime getötet (Germania, 9. Oktober 1915).
Zwar mag es noch andere, raffiniertere und schwerer fassbare Lügen geben, aber die oben genannten decken den Bereich ziemlich gut ab.
Sehr viel hängt von der Qualität der Lüge ab. Es muss intellektuelle Lügen für intellektuelle Menschen geben und plumpe Lügen für den allgemeinen Konsum, aber wenn deine allgemeinen Lügen zu offensichtlich sind und der intellektuellere Anteil schockiert ist und sie durchschaut, können sie anfangen (und tatsächlich haben sie das auch), misstrauisch zu werden, ob sie nicht auch getäuscht wurden. Nichtsdestotrotz sind die Menschen in den Hochschulen genauso leichtgläubig wie die Bewohner der Armenviertel.
Möglicherweise hat nichts die öffentliche Meinung stärker beeindruckt – und das gilt für sämtliche Länder – als die Unterstützung der Propaganda durch Intellektuelle und literarische Berühmtheiten. Sie verstanden es besser als die Staatsmänner, den schwierigen Stoff der Unwahrheit mit literarisch wertvollen Formulierungen und wortgewandten Äußerungen zu bedecken. Auch ohne den Schatten eines Beweises konnten sie mithilfe ihrer literarischen Fähigkeiten dieser oder jener Lüge einen Stempel unzweifelhafter Glaubwürdigkeit aufdrücken oder sie beiläufig als eine anerkannte Tatsache ausgeben, manchmal durch Ausdrücke falscher Unvoreingenommenheit, ein anderes Mal durch rhetorische Empörung. Der engstirnigste Patriotismus konnte edel erscheinen, die widerlichsten Anschuldigungen konnten als entrüsteter Ausbruch von Menschlichkeit dargestellt werden und die bösartigsten und rachsüchtigsten Ziele konnten fälschlicherweise als Idealismus getarnt werden. Alles war legitim, was die Soldaten zum Weiterkämpfen bewegen konnte.
Die fieberhaften Rekrutierungsversuche der Geistlichen mithilfe von Kriegspropaganda hinterließen einen so tiefen Eindruck in der Öffentlichkeit, dass sie hier nicht weiter kommentiert werden müssen. Die wenigen, die mutig herausstachen, wurden zu gezeichneten Männern. Der daraus resultierende erhebliche Verlust des spirituellen Einflusses der Kirchen ist an sich schon ein ausreichender Beweis für die Reaktionen auf den Verrat der elementarsten Gebote des Christentums in Krisenzeiten durch diejenigen, denen das sittliche Wohl der Menschen anvertraut ist.
In diesem Nebel der Unwahrheiten, ein großer Teil davon unentdeckt und als Wahrheit anerkannt, werden Kriege geführt. Der Nebel entsteht aus Angst und wird durch Panik genährt. Jeder Versuch, auch nur die unwahrscheinlichste Geschichte anzuzweifeln oder abzustreiten, muss sofort als unpatriotisch, wenn nicht gar als verräterisch verurteilt werden. Dadurch hat die rasche Verbreitung von Lügen freie Bahn. Würden sie nur dazu dienen, den Feind im Kriegsspiel zu täuschen, wären sie nicht die Mühe wert, sich darüber Gedanken zu machen. Da aber die meisten von ihnen darauf abzielen, Empörung zu entfachen und die Blüte der Jugend des Landes darauf vorzubereiten, das höchste Opfer zu bringen, werden sie zu einer ernsten Angelegenheit. Daher kann ihre Enthüllung auch nach dem Kampf noch nützlich sein, um den Betrug, die Heuchelei und den Schwindel aufzudecken, auf denen jeder Krieg beruht, sowie die unverhohlenen und geschmacklosen Mittel, die seit so langer Zeit angewandt werden, um das arme, unwissende Volk daran zu hindern, den wahren Sinn des Krieges zu erkennen.
Man muss zugeben, dass viele Menschen sich bewusst und bereitwillig täuschen ließen. Viele andere aber waren sich dessen nicht bewusst und aufrichtig in ihrem patriotischen Eifer. Wenn sie nun feststellen, dass sie auf raffinierte und sorgfältig inszenierte Weise hinters Licht geführt worden sind, verspüren sie einen Groll, der ihnen nicht nur die Augen öffnet, sondern sie auch dazu veranlassen könnte, ihre Kinder dazu zu bringen, ihre Augen offenzuhalten, wenn das nächste Signalhorn ertönt.
Versuchen wir, eine sehr schwache und unzulängliche Analogie zwischen dem Verhalten der Nationen und dem Verhalten der Individuen herzustellen.