Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben - Anne-Laure Bondoux - E-Book

Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben E-Book

Anne-Laure Bondoux

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Beschreibung

Als der berühmte Schriftsteller Pierre-Marie Sotto ein dickes Kuvert in seinem Briefkasten findet, hat er, im Glauben, es handle sich um ein Manuskript, zunächst nur eines im Sinn: zurück damit an die Absenderin! Doch anstatt Adeline, „groß, brünett, dick“ (wie sie sich selbst beschreibt), und ihre mysteriöse Sendung so schnell wie möglich wieder loszuwerden, kommen sich die beiden – per E-Mail – schon bald so nahe, dass einer ohne die Nachrichten des anderen nicht mehr sein kann. Bis das ominöse Paket seine Überraschung preisgibt ... Eine Liebesgeschichte der besonderen Art, ein E-Mail-Roman voller Witz und Eleganz – beste Unterhaltung aus Frankreich!

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Seitenzahl: 364

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Als der berühmte Schriftsteller Pierre-Marie Sotto ein dickes Kuvert in seinem Briefkasten findet, hat er zunächst nur eines im Sinn: zurück damit an die Absenderin! Denn was kann in dem Kuvert schon stecken, wenn nicht ein höchstens mittelmäßiges Manuskript. Also bittet Pierre-Marie die Dame kurz angebunden um ihre Adresse. Doch anstatt Adeline, »groß, brünett, dick« (wie sie sich selbst beschreibt), und ihre mysteriöse Sendung so schnell wie möglich wieder loszuwerden, kommen sich die beiden per E-Mail schon bald so nahe, dass einer ohne die Nachrichten des anderen gar nicht mehr sein kann. Bis das ominöse Paket seine Überraschung preisgibt …

Deuticke E-Book

Anne-Laure Bondoux

Jean-Claude Mourlevat

Lügen Sie,

ich werde Ihnen

glauben

Roman

Aus dem Französischen

von Ina Kronenberger

Deuticke

Die Originalausgabe erschien erstmals 2015 unter dem Titel Et je danse, aussi im Verlag Fleuve Éditions, Paris.

www.centrenationaldulivre.fr

ISBN 978-3-552-06329-7

© 2015, Fleuve Éditions, département d’Univers Poche

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Motive: © Ute Lübbeke

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Von: Pierre-Marie Sotto

24. Februar 2013An: Adeline Parmelan

Liebe Madame Parmelan,

bei meiner Rückkehr von einer Reise am gestrigen Samstag finde ich in meinem Briefkasten einen voluminösen Briefumschlag vor, der auf der Rückseite Ihre E-Mail-Adresse trägt. Ich nehme an, es handelt sich um ein Manuskript. Sollte dem so sein, danke ich Ihnen für das mir entgegengebrachte Vertrauen, muss Sie jedoch darüber in Kenntnis setzen, dass ich keine mir zugesandten Texte lese. Diese Aufgabe fällt gemeinhin den Verlegern zu. Ich selbst bin nur ein einfacher Schriftsteller und habe mehr als genug mit meiner eigenen Schreiberei zu tun, um mir anmaßen zu wollen, anderer Leute Texte zu beurteilen.

Folglich habe ich Ihren Briefumschlag nicht geöffnet. Gern sende ich den Brief am Montag an Ihre Postanschrift zurück, wenn Sie mir diese mitteilen wollen. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht allzu übel.

Herzliche Grüße

Pierre-Marie Sotto

Von: Adeline Parmelan

24. Februar 2013An: Pierre-Marie Sotto

Lieber Monsieur Sotto,

ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mir gleich nach Ihrer Rückkehr zu schreiben, auch wenn mich Ihre Antwort etwas aus dem Konzept bringt. Um ehrlich zu sein, war ich davon überzeugt gewesen, Sie würden meinen Briefumschlag öffnen. Nach einigem Nachdenken kann ich Sie jedoch verstehen: Ihre Berühmtheit wird Ihnen allerlei ärgerliche Anfragen einbringen, und Sie tun gut daran, sich davor zu schützen. Da Sie die Liebenswürdigkeit besessen haben, mir eine Nachricht zu schicken, erlaube ich mir, ergänzend hinzuzufügen, dass der Inhalt des Umschlags eher außergewöhnlicher Natur ist. Und obwohl ich zum Kreis Ihrer großen Bewunderinnen gehöre, glaube ich, behaupten zu können, dass ich keine Leserin bin wie jede andere.

In der Hoffnung, Ihre Neugier geweckt zu haben und nicht zu aufdringlich zu erscheinen, verbleibe ich

in grenzenloser Bewunderung

Adeline Parmelan

Von: Pierre-Marie Sotto

25. Februar 2013An: Adeline Parmelan

Liebe Madame Parmelan,

wenn ich Ihren Briefumschlag nicht geöffnet habe, so liegt das daran, dass ich über meine Lektüre gern selbst bestimme. Des Weiteren habe ich mit der Zeit gelernt, mich nicht zu verzetteln. Es ist nur ein einziges Mal vorgekommen, dass ich mit einer Leserin einen Briefwechsel begonnen habe, und, verzeihen Sie mir meine Offenheit, es besteht kein objektiver Grund, weshalb ich diese Erfahrung mit Ihnen wiederholen sollte.

Vielen Dank, dass Sie meine Bücher lesen.

Herzliche Grüße

Pierre-Marie Sotto

Von: Adeline Parmelan

25. Februar 2013An: Pierre-Marie Sotto

Lieber Monsieur Sotto,

ich bin es nicht gewohnt, Berühmtheiten zu schreiben, und Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich vor der Versendung des Briefs gezögert habe und welche Anstrengungen ich unternommen habe, um Ihre Anschrift ausfindig zu machen. Anscheinend hatte die Leserin, mit der Sie seinerzeit korrespondiert haben, gewichtigere Argumente als ich, um Ihnen etwas Zeit zu stehlen. Ich frage mich nun natürlich, wie sie es angestellt hat!

Der nüchterne Ton Ihrer Nachricht ist eher entmutigend, trotzdem will ich mein Glück noch einmal versuchen: Vielleicht ruft das im Anhang beigefügte Foto in Ihnen Erinnerungen wach.

Ergebenst

Adeline Parmelan

Von: Pierre-Marie Sotto

25. Februar 2013An: Adeline Parmelan

Liebe Adeline Parmelan,

verzeihen Sie den nüchternen Ton, ich hatte keineswegs die Absicht, Sie zu kränken. Ich stelle mich gelegentlich ungeschickt an, vor allem im Moment.

Besagte junge Frau hatte mich zunächst anlässlich meines Romans über eine Gehörlose angeschrieben. Da sie selbst gehörlos und Mutter zweier tauber Kinder war, hatte das Thema sie sehr angesprochen. Wir haben uns jahrelang geschrieben. Ganz entspannt und ohne Erwartungen an den anderen zu haben. Ihre Mails hingegen lösen bei mir ein leichtes Unbehagen aus, das muss ich zugeben. Inwiefern sind Sie eine Leserin, die anders ist als andere?

Hinsichtlich des angehängten Fotos muss ich Sie bedauerlicherweise enttäuschen, es löst rein gar nichts in mir aus. Haben Sie es geknipst? Wohnen Sie in dieser Gegend?

Herzliche Grüße

Pierre-Marie Sotto

Von: Adeline Parmelan

25. Februar 2013An: Pierre-Marie Sotto

Lieber Pierre-Marie Sotto,

wenn dieses Foto keine Erinnerungen in Ihnen weckt, vergessen Sie es, aber lassen Sie mich meine Verwunderung in einer Sache zum Ausdruck bringen: Für Menschen, die sich nichts zu sagen haben, schreiben wir uns sehr viel! Im Übrigen ehrt mich Ihr zeitlicher Einsatz! Muss ich daraus schließen, dass Sie gerade nicht sehr intensiv am Schreiben sind? Oder haben Sie möglicherweise kürzlich einen neuen Roman abgeschlossen? Das wäre die beste aller Neuigkeiten, und ich habe rein gar nichts gegen gute Neuigkeiten, die in meinem Leben seit längerem Mangelware sind.

Ihre Ungeschicklichkeit verzeihe ich Ihnen gern. Sie haben mich nicht gekränkt. Dafür ist leider sehr viel mehr vonnöten.

Adeline Parmelan

Von: Pierre-Marie Sotto

26. Februar 2013An: Adeline Parmelan

Liebe Adeline Parmelan,

in der Tat schreiben wir uns sehr viel, aber es besteht keine Ebenbürtigkeit zwischen uns: Sie wissen viel über mich, und ich weiß nichts über Sie. Sie brauchen nur ins Internet zu gehen und meinen Namen in eine Suchmaschine einzugeben. Dort finden Sie mein Geburtsdatum (o ja, ich bin sechzig), meine Biografie, Fotos, die mich in jedem Alter zeigen, die letzten gnadenlos mit beginnender Kahlköpfigkeit. Sie können meine Stimme hören. Kurzum, ich bin Ihnen schutzlos ausgeliefert. Ungeschminkt. Sie hingegen können sich bequem hinter Ihrer Anonymität verstecken. Und die spärlichen Angaben, die Sie zu Ihrer Person machen, sind nicht sehr aussagekräftig.

Es freut mich, dass Sie einen neuen Roman von mir als gute Neuigkeit einstufen, aber leider werden Sie darauf noch lange warten müssen, fürchte ich.

Ich wiederhole noch einmal mein Angebot bezüglich Ihres Manuskripts. Eine einfache Postanschrift genügt, und ich schicke es Ihnen zurück. In der Zwischenzeit deponiere ich es auf dem untersten Regalbrett meiner Bibliothek, wo es geduldig neben Ordnern mit Bankauszügen und Autorenverträgen warten kann.

Herzliche Grüße

Pierre-Marie Sotto

Von: Adeline Parmelan

26. Februar 2013An: Pierre-Marie Sotto

Lieber Pierre-Marie Sotto,

groß, brünett, dick.

34 Jahre alt.

Stimme: Alt. (Ich singe in einem Laienchor.)

Kahlköpfigkeit: noch nicht erreicht.

Mir ist bewusst, dass ein solches Porträt nichts Einladendes an sich hat und dass ich jener Gehörlosen in Endlose Stille (wenn mich meine Erinnerung nicht trügt) nicht das Wasser reichen kann. In diesem Zusammenhang und da die taube Frau Sie sehr berührt hat, meine Frage, warum haben Sie die Korrespondenz beendet? Ist zwischen Ihnen etwas vorgefallen?

Es war vielleicht nicht richtig von mir, Ihnen diesen Brief zu schicken, und ich möchte Ihr Bücherregal nicht länger mit Beschlag belegen.

Meine Adresse:

1, Impasse Marc-Bloch, 72727 Le Cloître

(Vielleicht können Sie mir den Brief recht bald zurückschicken, denn ich plane in Kürze einen Umzug. Ich erstatte Ihnen die Portokosten.)

Ihre weiterhin treue Leserin

Adeline Parmelan

PS: Sie scheinen Probleme mit Ihrem nächsten Roman zu haben, aber seien Sie versichert, dass ich ihn dennoch mit Ungeduld erwarte. Und ich bin nicht die Einzige!

Von: Pierre-Marie Sotto

27. Februar 2013An: Adeline Parmelan

Liebe Adeline,

natürlich ist EndloseStille gemeint.

Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, trotzdem muss ich es Ihnen erzählen: Nach Ihrer zweiten Mail bin ich in der Nacht um drei Uhr aufgewacht. Kennen Sie das? Mitten in der Nacht haben Sie plötzlich eine Eingebung: Mein Sohn hasst mich … Mein Vater liegt im Sterben … Ich bin alt … oder etwas in der Art. Wie dem auch sei, Ihre Nacht ist gelaufen. Diesmal handelt es sich nicht um etwas derart Dramatisches, es ist nur ein Gedanke zu Ihrer Person, der sich in wenigen Worten zusammenfassen lässt: Diese Frau ist ein harter Knochen. An ihr werde ich mir die Zähne ausbeißen.

Ich weiß nicht, was der Briefumschlag enthält, aber ich muss zugeben, dass ich ihn jetzt mit anderen Augen sehe. Gestatten Sie mir, ihn noch eine Weile zu behalten?

Die junge Frau und ich haben aufgehört, uns zu schreiben, als sie mit ihrem Mann nach Irland zog. Wenn es Sie mal nach Dublin verschlägt, hat sie mir geschrieben, kommen Sie mich besuchen. Ich bin natürlich nie nach Dublin gereist. Im Grunde war ich derjenige, der als Erster die Lust an ihren Texten verloren hat. Sie klebte einfach zu sehr an der Realität. Dabei hätte ich es ihr bereitwillig nachgesehen, wenn sie ein wenig geflunkert hätte. Ich selbst hielt mich da nicht zurück!

Ich beneide Sie, dass Sie singen. Welches Repertoire? Ich selbst bin dafür zu sehr Verstandesmensch. Ich singe falsch und tanze wie ein Trampeltier.

Und danke für das nichts beschönigende Porträt, das Sie in groben Zügen von sich zeichnen. Es verleiht Ihnen etwas Menschliches, das mich berührt. Ob es zutreffend ist oder nicht, interessiert mich letztlich wenig. Es ist wie im Roman: Wichtig ist, dass man Interesse entwickelt, finden Sie nicht auch?

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Pierre-Marie

PS: Sackgasse, Kloster … O ja, ziehen Sie bloß bald um!

Von: Adeline

27. Februar 2013An: Pierre-Marie

Lieber Pierre-Marie,

man kann Ihnen nicht absprechen, dass Sie empfänglich für Doppeldeutigkeiten sind! Übrigens bin ich heute Morgen mit einem dicken Schnupfen aufgewacht. Es gibt keine Zufälle. Das soll keineswegs heißen, dass ich Ihnen die Schuld in die Schuhe schieben will: Die Gegend, in der ich in »klösterlicher Abgeschiedenheit« wohne (ich sehe, dass Ihnen meine Adresse und die damit verbundene Bürde nicht entgangen ist, und ich bedaure es, nicht über Ihren Weitblick verfügt zu haben, als ich vor neun Jahren hier eingezogen bin), ist ausgesprochen feucht. Kennen Sie Sarthe? Mir ist aufgefallen, dass Sie das Departement in Ihren Romanen nie erwähnen, mir ist aber ebenso aufgefallen, dass Sie auch Ihre eigene Region nicht beschreiben, als müsste sich Ihre Phantasie von der Umgebung lösen, um sich entfalten zu können. Ich beneide Sie um diese völlige Freiheit, sich dem Alltag zu entziehen.

Nach allem, was Sie schreiben, werden Sie meinen Briefumschlag also nicht so bald an mich zurückschicken? Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Das heißt, doch: Im Moment wäre es mir lieber, er bliebe dort, wo Sie ihn deponiert haben.

Ihr Bild von dem harten Knochen hat mich laut auflachen lassen. Bisher hat mich noch nie ein Mensch mit einem Knochen verglichen. Das Porträt, das ich von mir gezeichnet habe, ist leider nur allzu zutreffend … Meine ganze Jugend hindurch habe ich unter den grausamen Blicken meiner (Klassen-)»Kameraden« gelitten.

Nach allem, was ich über Sie gelesen habe, nehme ich an, dass das auf Sie nicht zutrifft, aber ich vertraue auf Ihre Vorstellungskraft, um sich in ein junges Mädchen in einer Stadtrandschule einzufühlen, das nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Die Zurückweisung und die Demütigungen hätten mich fertigmachen können. Doch ich habe es geschafft abzustumpfen. Mich zu betäuben. Nun haben mich gewisse Ereignisse der letzten Zeit aus dieser Lethargie herausgeholt, und ich will das Leben künftig in vollen Zügen und ohne Einschränkung genießen.

Und ja, ich singe! (Das Repertoire unseres Chorleiters reicht von Gospels über Volkslieder bis hin zu christlich-orthodoxen Chorälen, er ist ein feiner Mensch.) Und stellen Sie sich vor, ich tanze auch! Und es ist mir schnurzegal, wenn ich dabei wie ein Trampeltier oder ein Nilpferd aussehe. Sie sollten es versuchen. Auch wenn man die verlorene Zeit nicht aufholen kann, kann man dafür sorgen, keine mehr zu verlieren: Das ist auch der Grund, weshalb ich meinen Umzug plane. Die Kisten sind noch nicht gepackt, aber ich habe schon angefangen, alles zu sortieren, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, und der Briefumschlag, den ich Ihnen geschickt habe, hat direkt mit dieser Sortierarbeit zu tun.

Sollten Sie ein weiteres Mal an Schlaflosigkeit leiden, lassen Sie es mich wissen: Ich stelle wunderbare Kräutertees zusammen, die mehr oder weniger alles heilen können.

Ihr »Knochen«

Adeline Parmelan

Von: Adeline

27. Februar 2013An: Pierre-Marie

Ich bin’s noch mal. Nach einem kurzen Ausflug in den Nachbarort (mit dem bezeichnenden Namen »Mouron«, »Sorgen« – ich lüge nicht) kamen mir plötzlich Bedenken bezüglich meiner Mail. »Zu lang! Und vor allem zu persönlich!«, habe ich überlegt. Nur um Sie zu beruhigen: Ich habe im wahren Leben durchaus Freunde, Männer wie Frauen. Das war’s.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, und denken Sie an meine Kräutertees!

Von: Pierre-Marie

27. Februar 2013An: Adeline

Liebe Adeline,

packen Sie Ihre Bedenken getrost wieder weg. (Kann man das sagen?) Sie stören mich überhaupt nicht. Ihre Mail war nicht zu lang. Wenn ich gerade an meinem besten Roman säße, ja, dann würde ich mich vielleicht ärgern. Ich habe es schon öfter erlebt und träume davon, dass es wieder losgeht, dass ich so sehr in die Arbeit vertieft bin, dass ich alles andere als unerträgliche Zeitverschwendung empfinde! Wenn es beim Schreiben flutscht, dann ist das eine unvergleichliche Freude, das schwöre ich Ihnen. Doch leider bin ich davon im Moment weit entfernt. Ich stecke in keinem literarischen Projekt. Es herrscht totale Flaute. Und auf die völlige Freiheit, um die Sie mich beneiden, würde ich liebend gern verzichten, ich hasse sie. Ich würde es bei weitem vorziehen, von mir selbst verzaubert zu werden, von einer atemberaubenden Geschichte gefesselt zu sein, die ich mir gerade ausdenke. Aber nichts da, absolute Stille. Nicht einmal ein leises Lüftchen. Doch Schluss jetzt. Ich will Sie nicht mit meinen Sorgen langweilen. Lieber sage ich Ihnen (ja, ich wage einen Vorstoß!), dass ich mich freue, wenn Ihr Name in meinem Postfach auftaucht.

Nein, das Departement Sarthe kenne ich nicht. Sollte ich es kennen? Und nein, ich siedle meine Romane tatsächlich nie in der Region an, in der ich lebe. Dabei ist es sehr hübsch hier in Drôme. Aber daraus die Kulisse für meine Romane zu machen kommt nicht in Frage! Ich weiß nicht, warum. Ich kann solche Fragen nicht beantworten. Fragen, die mit warum beginnen, bringen mich auf die Palme. Im Allgemeinen halten mich die Leute für viel intelligenter, als ich es bin. Am liebsten würde ich ihnen sagen: Ich habe es geschafft, ein paar lesbare Romane zu verfassen, okay, aber bitte fragen Sie mich nicht, wie ich es anstelle! Wenn es einfach wäre, den Akt des Schreibens zu erklären, wäre es auch einfach, ihn auszuführen, dabei ist es eher schwierig. Verdammt schwierig.

Ich kann mich in die andersartige Jugendliche, die Sie waren, gut hineinversetzen, kann mir Ihren Kummer und Ihre verzweifelten Tränen mühelos vorstellen. Halbwüchsige können sich wie fiese kleine Faschisten verhalten, wenn sie wollen. Ich selbst war nicht dick. Ich war vielmehr übertrieben schrecklich verzweifelt unleugbar … schüchtern. Vor allem bei Mädchen. Ich fürchtete mich nicht vor einem Nein (ich war alles andere als hässlich), ich hatte eine Heidenangst vor ihrem Ja. Darum gab ich mich uninteressiert. Manchmal stelle ich sie mir in einer Reihe vor, all die hübschen Mädchen, die ich hätte haben können und die ich nicht hatte, die ich umarmen, auf den Mund küssen, streicheln und ins Bett hätte kriegen können: all die Brünetten, die Blonden, die Rundlichen und die Schlanken, die mit heller Haut und die Gebräunten. Stattdessen verging ich vor Einsamkeit. Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke. Tja. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, nicht wahr?

Ich bezweifle nicht, dass Sie die Freunde haben, die Sie verdienen. Ich selbst habe nicht viele. Die besten sind weit weg oder tot. Tut mir leid, dass ich mit diesen Worten schließe.

Ich muss zum Ende kommen. Will gleich ins Kino. Ich werde berichten.

Ich habe Sie nicht nach diesen Ereignissen der letzten Zeit gefragt. Ein andermal. Wir haben keine Eile, stimmt’s? In der Zwischenzeit: Tanzen Sie, singen Sie, küssen Sie, wen Sie wollen.

Pierre-Marie

Von: Adeline

28. Februar 2013An: Pierre-Marie

Lieber Pierre-Marie,

mein Schnupfen ist seit gestern schlimmer geworden, und meine berühmten Kräutertees (dabei sind sie im ganzen Süden der Sarthe bekannt) bleiben ihre Wirkung schuldig. Ich schreibe Ihnen daher zwischen zwei Tränen, zwei Taschentüchern, den Kopf in einem Nebel, der dichter ist als der vor meinen Fenstern. Es spielt keine Rolle, da ich keinerlei Verpflichtungen habe: Ich kann sogar den ganzen Tag im Bett verbringen, wenn mir danach ist. Ich hoffe nur, über ausreichend graue Zellen zu verfügen, um Ihnen ein paar zusammenhängende Zeilen zu schreiben.

Zunächst wiederhole ich noch einmal meinen Wunsch: Bitte lassen Sie meinen dicken Briefumschlag zwischen Ihren Bankauszügen und Verlagsverträgen liegen. Es ist absurd und widersprüchlich, ich weiß: Ich zerbreche mir stundenlang den Kopf darüber, wie er in Ihre Hände gelangen könnte, und jetzt bereue ich es, dass er sich dort befindet. O wie so trügerisch sind Weiberherzen, wie es so schön heißt … Aber die Wahrheit ist, dass es mir unerwartet Vergnügen bereitet, mit Ihnen zu korrespondieren, und ich fürchte, dass das Vergnügen endet, sobald Sie feststellen, was ich Ihnen geschickt habe.

Ich habe keine Ahnung von kreativer Tätigkeit. Sie ist eine geheimnisvolle Domäne, einer Kategorie von Menschen vorbehalten, zu der ich nicht gehöre. Ich sehe mich selbst auf der anderen Seite, im Saal, nicht auf der Bühne. Darum verstehe ich nicht, warum Sie die Freiheit hassen, die Sie genießen. Entschuldigen Sie bitte, Pierre-Marie, aber es kommt mir vor wie das Gejammer eines verwöhnten Kindes. Ihnen fehlt die Inspiration, okay, aber ist das ein Grund zu hassen, worum die meisten Menschen Sie beneiden? Sie haben sich entschieden, Schriftsteller zu sein, oder? Dann stellen Sie sich der Herausforderung! Seien Sie ein Schriftsteller im Moment des Schweigens und der Verwirrung, seien Sie ein Schriftsteller ohne Worte, ohne Punkt und Komma. Leben Sie diese schwere Zeit mit derselben Intensität wie die berauschenden Momente, nach denen Sie sich sehnen: Das ist der Preis!

Sie finden mich knallhart? Schieben Sie die Hartherzigkeit auf meinen Schnupfen: Er enthemmt mich wie ein Vollrausch und stachelt mich an zur Provokation. Also, hochwürdiger Schriftsteller, sagen Sie mir, was Sie davon abhält, die Zügel loszulassen! Sagen Sie mir, was Ihnen Angst einjagt! Und wenn Ihnen meine Fragen auf die Nerven gehen, dann schlagen Sie zurück, reagieren Sie sich ab, nur zu, ich bin gut gepolstert! Sie traurig zu wissen macht mich traurig, wenn ich darüber nachdenke, sind Sie mir wütend lieber. Sagen Sie nicht, Sie hätten keinen Grund, wütend zu sein, das nehme ich Ihnen nicht ab.

Sie beschreiben sich als schüchternen Teenie, das überrascht mich nicht. Schriftsteller sind von Natur aus schüchtern, wie mir scheint, sonst wären sie Rocksänger oder Schauspieler geworden. Allerdings fällt es mir sehr schwer, Sie mir im Umgang mit jungen Mädchen so unbeholfen vorzustellen, wie Sie es mich glauben machen wollen! Habe ich nicht irgendwo gelesen, dass Sie dreimal verheiratet waren?

Um großzügig zu sein, da über mich keinerlei biografische Hinweise im Netz zu finden sind, werde ich mich meinerseits entblößen: Auch ich war verheiratet. Ein einziges Mal mit einem grässlichen Typen. Ich hatte so sehr unter der Ablehnung in meiner Jugend gelitten, dass ich mich dem Erstbesten an den Hals geworfen habe, der mich haben wollte, das Ganze endete in einer Katastrophe. Aber das sind alte Geschichten, damit habe ich abgeschlossen. Heute habe ich begriffen, dass ich mich zuerst selbst lieben muss, bevor ich geliebt werden kann, für diese Erkenntnis habe ich dreißig Jahre gebraucht. Anstatt also stumpf auf den Märchenprinzen zu warten, pflege ich Freundschaften, Begegnungen und Beziehungen zu Menschen, die mir guttun. Ich plaudere mit den alten Leutchen, die im Dorf auf der Bank sitzen und sich langweilen, ich trage ihre Einkäufe nach Hause, helfe ihnen, eine Glühbirne auszuwechseln oder Bettwäsche aufzuhängen. Halten Sie mich jetzt ja nicht für eine Heilige! O nein! Ich habe bloß eine neue, wunderbare Erfahrung gemacht: Anderen Zeit zu opfern, Aufmerksamkeit zu geben, zur Hand zu gehen erfüllt mich mehr (und besser) als alle Chipstüten oder Kekspackungen, die ich verschlungen habe, um meine Ängste zu ersticken. Ob Sie es glauben oder nicht, seit ich andere mit Aufmerksamkeit bedenke, nehme ich ab! Nicht genug bisher, um beim Miss-Sarthe-Wettbewerb anzutreten, aber so viel Ehrgeiz habe ich auch nicht …

Um zum Ende zu kommen, lieber Pierre-Marie, ich verspreche Ihnen, Sie nie mehr zu fragen, »warum« oder »wie« es Ihnen gelingt, uns mit Ihren Romanen zu entzücken. Großes Ehrenwort! Da Sie mir allerdings (noch) nicht untersagt haben, Sie zu fragen, warum und wie Sie in diese schriftstellerische »Sackgasse« geraten sind, werde ich Sie zu diesem Thema weiterhin belästigen. Und ich werde Ihnen erzählen, sofern Sie mich danach fragen, wie es gekommen ist, dass ich selbst in einer Sackgasse wohne. Und dort seit neun Jahren vor mich hin vegetiere … Machen Sie es wie ich: Sortieren Sie Sachen aus, packen Sie alles, was Ihnen wichtig ist, in einen Karton, schmeißen Sie den Rest weg und ziehen Sie um!

Alle Achtung, ich merke gerade, dass sich der Nebel in meinem Kopf, der mich vor Beginn dieser Mail beeinträchtigt hat, allmählich lichtet: Ihnen zu schreiben lässt mich genesen. Sind Sie womöglich wirksamer als ein Kräutertee?

In furchtloser Erwartung Ihrer ausgefahrenen Krallen, Ihrer Faustschläge … und Ihrer Filmkritik zum gestrigen Kinobesuch.

Ihre Wichtigtuerin

Adeline

Von: Pierre-Marie

1. März 2013An: Adeline

Liebe Adeline,

Donnerwetter! Welch Rhythmus! Welch Elan! Chapeau! Und Sie haben mit kreativer Tätigkeit nichts am Hut? Von wegen! Wissen Sie, dass es auf der Welt zahlreiche Schriftsteller gibt, deren einziges Versäumnis darin besteht, niemals etwas geschrieben zu haben? Ich bin davon überzeugt, dass wir täglich – jedenfalls fast – irgendwelchen Prousts, Kafkas oder Faulkners begegnen, die davon selbst nichts wissen und daher Immobilienmakler, Judotrainer oder Fahrlehrer bleiben. Ich übertreibe nicht. Umgekehrt kenne ich viele Schriftsteller, die sich nur selbst für Schriftsteller halten, aber das ist ein anderes Thema.

Die Filmkritik? Tja, leider bin ich nach wenigen Minuten eingeschlafen. Das wäre mir früher nicht passiert. Machen Sie sich jetzt nicht über die Alten und Reichen lustig, Sie könnten es früher sein als gedacht (vor allem alt). Dem Schlaf kann man sich nicht widersetzen, man kann sich nicht dagegen wehren, außer man ohrfeigt sich brutal und stößt dabei selbststimulierende Schreie aus, aber inmitten der Zuschauer eines Kinosaals kommt das nicht gut an. Ich wurde mehrmals kurz wach und bin dann wieder weggedöst. Von dem Film habe ich daher nichts mitbekommen.

La donna è mobile – O wie so trügerisch sind Weiberherzen, in der Tat. Und jetzt, wo Sie nicht mehr wollen, dass ich den Umschlag öffne, verspüre ich eine unbändige Lust, es zu tun, es ist verrückt! Ich bin wie die junge Frau im Märchen vom Blaubart, die den Schlüssel zu der kleinen Kammer in der Hand hält. Aber seien Sie unbesorgt, ich öffne ihn nicht ohne Ihr Einverständnis. Zu groß ist meine Angst vor möglichen Toten, die an Fleischerhaken hängen.

Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen. Glauben Sie nicht alles, was Sie über mich lesen. Dreimal verheiratet? Das stimmt nicht, viermal ist richtig. Und ich habe sechs Kinder. Eins mit meiner ersten Frau. Zwei mit meiner zweiten. Drei mit der dritten. Alle Frauen, mit denen ich zusammen war, wollten Kinder von mir haben, weiß der Himmel, warum, und sie waren versessen darauf, den Rekord der Vorgängerin zu brechen. Ich habe immer in großen chaotischen Häusern gelebt, um mich herum meine lärmenden Kinder (ich selbst bin friedlich und ruhig, aber ich habe nur plärrende Kinder gezeugt) und die Kinder meiner Frauen, die sie mit anderen Männern hatten. Okay, Ihnen zuliebe werde ich etwas Freches tun: Ich werde jede meiner Ehen in wenigen Zeilen zusammenfassen. Möge das zu Ihrer Erheiterung beitragen. Ich lege los.

Meine erste Frau. Sie hat mich vollkommen mit Beschlag belegt, so wie Sie es möglicherweise mit Ihrem grässlichen Typen gemacht haben, der Sie gern genommen hat. Sie hat ihre Rolle mit großem Talent gespielt: hübsch, kochfreudig, neugierig, kokett. Als ich dann den Ring am Finger hatte, erfolgte die Verwandlung. Ende der Vorstellung. Kein Applaus.

Meine zweite Frau. Ich kann mich nicht erinnern, warum ich sie geheiratet habe, aber ich weiß noch sehr genau, warum ich mich von ihr getrennt habe. Überall, wo ich mich wohlfühlte (Buchhandlungen, Abendeinladungen bei Freunden), sagte sie nur: Wollen wir los, Schatz? Acht Jahre habe ich durchgehalten.

Meine dritte Frau war Norwegerin (und ist es immer noch). Kulturschock. Wir haben uns in bestem Einvernehmen getrennt. Unsere drei Kinder sind zweisprachig aufgewachsen. Ihre Mutter sehe ich von Zeit zu Zeit.

Über meine vierte Frau will ich nichts sagen, sie ist die Einzige, mit der ich keine Kinder habe (sie war über das Alter hinaus). Ein andermal vielleicht. Sobald ich von ihr erzähle, ist es so, als würde jemand einen Knopf drücken, ich … Nein, ein andermal.

Einige Ihrer Fragen sind unbeantwortet geblieben. Meine literarische Flaute? Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, schonungslos, wie ich es in der Öffentlichkeit nicht tun kann. Sind Sie bereit? Ich interessiere mich nicht mehr für das, was ich schreibe. Rums! Was gibt es dazu noch zu sagen? Ich glaube nicht mehr an meine Figuren. Sie gehen mir auf den Geist, kaum dass ich sie mir ausgedacht habe. Und ich hasse mich selbst, weil ich ihnen und ihrer armseligen Geschichte hinterherrenne. Die Leute können sich die Verzweiflung nicht vorstellen, die ein Autor darüber empfinden kann. Der einzige vergleichbare Moment für einen Mann ist vielleicht der Augenblick in seinem Leben, in dem er erkennt, dass er keinen Sex mehr haben kann. Oje! Oje! Jetzt geht es mit mir durch! Langsam, Pferdchen! Ihre ungestüme Art ist ansteckend, wirklich wahr! Das Lustige ist: Während ich Ihnen schreibe, spüre ich wieder ein wenig von der Freude am Schreiben, die ich seit Monaten vermisse. Es ist nicht viel, halb Erinnerung, halb Versprechen. Aber es tut gut. Darum danke ich Ihnen, liebe verschnupfte Nordfranzösin, was auch immer aus unserer Korrespondenz wird.

Ja, ich würde gern mehr über Sie erfahren, über das, was Sie in diese feuchte Höhle verschlagen hat. Bitte sagen Sie es mir. Und wohin ziehen Sie jetzt, nachdem Sie ein ganz neuer Mensch geworden sind? Nach Barcelona?

Das Telefon klingelt. Ich muss für heute Schluss machen.

Ihr berühmter Schriftsteller

Pierre-Marie

Von: Adeline

1. März 2013An: Pierre-Marie

Lieber Pierre-Marie,

ich finde Sie eher gut in Form für einen »Alten«, der im Kino wegsackt! Und ich freue mich, dass mein Elan Sie ansteckt: Er ist eine wunderbare Mikrobe.

Ich bin weder Ärztin (noch Fahrlehrerin oder Judotrainerin, ha! ha! ha!), aber beim Lesen Ihrer Mails diagnostiziere ich eine baldige Genesung von Ihrer Krankheit. Glauben Sie mir, ich bin ein instinktgetriebener Mensch, und wenn ich Ihnen aus der Ferne wieder in den Sattel helfen kann (um im Pferdejargon zu bleiben …), ehrt mich das sehr. Widmen Sie mir Ihr nächstes Buch? Zum Beispiel mit einem vorangestellten Satz im Stil von »Der dicken Nordfranzösin, die mit ihrem dicken Briefumschlag in mein Leben geplatzt ist«? Das würde die Neugier Ihrer Fans wecken und sie zugleich eifersüchtig machen: Ich würde mir dieses kleine Vergnügen nicht entgehen lassen.

Seit wann sind Sie von Ihren Figuren genervt? Wann haben Sie Ihr Feuer eingebüßt? Brauchen Sie ein Feuerzeug? Ich beabsichtige, mit dem Rauchen aufzuhören (neben weiteren künftigen Neuerungen). Sobald es geschafft ist, schicke ich Ihnen ein Päckchen voller Streichholzschachteln und lege noch ein altes Zippo bei, das mir mein Vater hinterlassen hat.

Ach ja, nachdem Sie mich mit den Porträts Ihrer Exfrauen (was für eine Ansammlung! Darauf komme ich noch zurück!) amüsiert haben, ist es an mir, Sie mit einer Familiengeschichte zu unterhalten. Just gestern Abend habe ich alte Fotos ausgegraben, die in einer Kellerecke vor sich hin gammeln, und dabei bin ich unverhofft auf einen Geist gestoßen: den meines Vaters eben. Ja, ich glaube an Geister, zumindest glaube ich, dass wir alle von irgendetwas oder irgendjemandem heimgesucht werden, und um Ihr Bild von der Kammer aus dem Märchen Blaubart aufzugreifen, so hing er da im Dunkeln an einem Fleischerhaken. Brr …

Wie alle Mädchen war ich ganz verrückt nach meinem Vater. Bis er in meinem dreizehnten Lebensjahr an einem Abend im April meine Liebe verriet. Damals wohnten wir in einer Pariser Vorstadt (die Gemeinde hieß Deuil-la-Barre – wenn Sie glauben, ich sei mit einem Fluch belegt, gießen Sie etwas Weihwasser über Ihren Rechner), und ich fuhr nach der Schule mit dem Bus nach Hause. Ich saß ganz vorne, drückte die Nase an der Scheibe platt, um mich dem Lärm der anderen zu entziehen, als ich plötzlich unterhalb von mir in einem Auto, das vor der Ampel wartete, eine Gestalt sah, die ich unter Tausenden erkennen würde.

Mein Vater saß nicht in unserem Wagen, sondern auf dem Beifahrersitz eines kleinen blauen R5. Neben ihm am Steuer saß eine Person, von der ich nur das Knie und ein Stück der Jeanshose erkennen konnte. Das Knie hat sich bis heute in mein Gedächtnis eingebrannt. Wissen Sie, warum? Weil mein Vater es streichelte, befummelte und begrapschte, wie Männer es gerne tun, wenn sie erregt sind. Obwohl ich damals nur eine sehr vage Vorstellung von Sexualität hatte, fühlte ich mich mit meinen dreizehn Jahren plötzlich so schlecht, dass meine Nase anfing zu bluten.

Der Bus fuhr weiter, das Auto auch, und es entführte meinen Vater in den Straßenverkehr. Das Blut strömte nur so aus meiner Nase, die anderen Schülerinnen fingen an zu schreien, jemand hielt mir ein Päckchen mit Papiertaschentüchern hin, und als ich an meiner Haltestelle ausstieg, stand ich völlig neben mir und konnte mich kaum noch auf den Beinen halten.

Da ich meinem Vater am Abend nicht in die Augen schauen konnte, stellte ich mich krank und blieb in meinem Zimmer.

An den folgenden Tagen versuchte ich mein Unbehagen zu verscheuchen und dieses Knie zu vergessen. Ich versuchte mir einzureden, ich hätte geträumt, bis ich meinen Vater eines Tages in seiner Gärtnerei besuchte und entdeckte, wem der R5 und das Knie gehörten.

Seine Flamme hieß Estéban. Ein junger, hübscher Spanier, der powackelnd zwischen Geranien und Petunien herumlief. In seiner Gegenwart war mein Vater ein anderer Mensch. Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, wie verliebt er war. Was macht ein Mädchen von dreizehn Jahren mit einer derart offensichtlichen Erkenntnis?

Ich erspare Ihnen meine seelische Verfassung, meinen Ekel und die zahllosen Kilos, die ich zugenommen habe, um das Geheimnis, das mich verzehrte, zuzudecken.

Mein Vater brauchte noch zwei Jahre, bis er sich traute, meine Mutter zu verlassen. Er verließ sie nicht für Estéban, sondern für Pierre, Paul oder Jacques, keine Ahnung. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Er starb an Aids, als ich 22 war. Er hatte so ein kaputtes Leben, dass er fast nichts hinterließ. Als meine Mutter, mein Bruder und ich seine Wohnung leerräumten, habe ich sein Zippo an mich genommen, ich weiß nicht, warum.

Wie Sie sehen, habe ich erfolgreich ein Ablenkungsmanöver gefahren: Sie haben mich gefragt, wie ich in meiner feuchten Sackgasse gelandet bin, und ich erzähle Ihnen etwas völlig anderes. Aber das Leben kennt viele Verknüpfungen, und alles hängt irgendwie zusammen, wie in Ihren besten Büchern! Davon erzähle ich ein andermal.

Wenn ich jetzt die Stimmung etwas gedämpft habe, tut es mir leid. Ihre Mail hatte einen leichten Ton, der mir sehr gut gefallen hat. Ich strebe nach Leichtigkeit (in jeder Beziehung!), das kann ich Ihnen versichern, aber noch erreiche ich sie nicht.

Ich versuche Sie mir in Ihrem großen chaotischen Haus vorzustellen mit sechs Kindern an Ihren Rockschößen und verfolgt von Ihren verschiedenen Frauen! Wie konnten Sie unter solchen familiären Gegebenheiten schreiben?

Über Ihre zweite Frau musste ich lauthals lachen! Es ist sehr komisch, sich einen Schriftsteller wie Sie in Begleitung einer Schlafmütze vorzustellen … oder einer grässlichen Kastratin … entscheiden Sie selbst. Sie haben gut daran getan, die Flucht zu ergreifen, auch wenn es mir stets schwerfällt, mich auf die Seite der Männer zu schlagen, die eine Frau verlassen – Sie wissen jetzt, warum.

Ihre Norwegerin macht einen besseren Eindruck, auch wenn ich keine Ahnung von Norwegen habe. Ich nehme an, Ihre drei Kinder sind blond, kühl und fahren Ski.

Mich interessiert natürlich vor allem Ihre vierte Frau. Ich brenne vor Neugier. Aber ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, ich nehme an, dass Sie immer noch mit ihr zusammenwohnen, und ich bin nicht Ihre Vertraute. Wobei.

Jedenfalls steht im Internet viel Schwachsinn, das werde ich mir merken. Vier Ehen! Gibt es weitere Irrtümer zu Ihrer Person? Ich habe beispielsweise gelesen, dass Sie für den Nobelpreis gehandelt werden, ist das richtig? (Vielleicht sitzt Ihre Ex-Norwegerin in der Jury? Vetternwirtschaft?)

Nach all dem Gesagten möchte ich Ihnen nun für die Komplimente danken, mit denen Ihre letzte Nachricht begonnen hat. Ich fühle mich gebauchpinselt, dass Sie mir eine »stilistische Eleganz« bescheinigen, wie es so schön heißt. Aber ich verwahre mich dagegen, als Kreative zu gelten. Alles, was ich Ihnen erzähle, ist der Realität entnommen, das macht es leichter. Ich bin unfähig, mir eine Situation, Figuren etc. auszudenken. Wenn meine Sätze nicht allzu holprig klingen, dann liegt es ganz einfach daran, dass ich eine Leseratte bin und beruflich Zugang zu Orten gefüllt mit Worten habe. Aber für heute Abend lasse ich es dabei bewenden. Ich gehe nachher noch aus und muss mich vorher »hübsch machen«. Mit anderen Worten: Ich habe alle Hände voll zu tun!

Wenn Sie brav sind, werde ich berichten.

Freundschaftliche Grüße (wenn Sie gestatten)

Adeline

Von: Pierre-Marie

2. März 2013An: Adeline

Liebe Adeline,

etwas Technisches vorab: In Ihren Mails verwandeln sich alle Auslassungszeichen in ein großes S. Das ist nicht weiter störend, ich kann es mir nur nicht erklären. Und Gott sei’s gedankt, greifen Sie selten auf Auslassungszeichen zurück, was ich sehr begrüße. Ich mag diese Pünktchen nicht, und ich bin mir sicher, auch wenn Sie alle meine Bücher zusammennehmen, finden Sie keine fünfzehn Exemplare. Menschen, die sie verwenden, erinnern mich an Typen, die so tun, als wollten sie sich prügeln, und die einen zwingen, sie am Ärmel zurückzuhalten, indem sie brüllen: Haltet mich fest, oder ich polier dem Arsch die Fresse! In Wahrheit hätten sie ein ziemlich großes Problem, wenn man sie in den Kampf ziehen ließe. Ebenso scheinen einem all diejenigen, die von Auslassungszeichen besessen sind, zu sagen: Tja, wenn man mich nur machen ließe, dann würden Sie sehen, was für eine wunderschöne Beschreibung ich mit groben Pinselstrichen aufs Papier werfen könnte, und was für einen perfekten Dialog und welch brillante Analyse. Alles steckt mir schon in den Fingern, aber ich halte mich zurück. Ausnahmsweise! Am liebsten würde man ihnen ins Ohr flüstern: Lass dich ruhig gehen, mein Lieber, leg dem Genie in dir, das nur danach trachtet, sich entfalten zu können, keinen Maulkorb an. Sei locker, und die literarische Welt steht unter Schock, garantiert.

Und Ihr Abend? Alles gut gelaufen, trotz Ihres Schnupfens? Hat er sich denn verzogen? Ja, natürlich, dank Ihrer Wundertees. Haben Sie schon mal versucht, sich den Oberkörper mit Lavendelextrakt einzureiben? Auch wenn man dadurch nicht gesund wird, riecht es gut und lindert die Beschwerden.

Ihre Geschichte hat mich sehr berührt. Tja, Töchter und ihre Väter … (Asche auf mein Haupt! Gerade habe ich, ohne darüber nachzudenken, Auslassungszeichen gesetzt! Aber Sie müssen zugeben, wenn man sie hier nicht setzt, nach Tja, Töchter und ihre Väter, wann dann? Niemals. Eigentlich sollte man Schriftstellern raten: Verwendet niemals Auslassungszeichen außer – und dies ist die einzig akzeptierte Ausnahme – nach dem Satz Tja, Töchter und ihre Väter …)

Zu Beginn Ihrer Erzählung habe ich mich gefragt, inwiefern der Mann Ihre Liebe verraten hat. Dass er diesen Estéban geliebt hat, hat der Liebe, die er Ihnen, seiner Tochter, entgegengebracht hat, keinen Abbruch getan. Und außerdem sagen Sie selbst: Bis zum Alter von dreizehn Jahren waren Sie ganz verrückt nach ihm und er bestimmt auch nach Ihnen. Er hatte doch das Recht, seine Leidenschaft auszuleben, oder? Wäre es Ihnen lieber gewesen, er wäre einer ungeliebten Frau treu geblieben, unglücklich, innerlich erloschen? Doch dann schreiben Sie: Er ist gegangen, und ich habe ihn nie mehr wiedergesehen, und in dem Moment hat natürlich kein einziges Argument mehr Bestand, zurück bleibt nur noch ein großer Schmerz, bleiben all die Chips und Kekse (die Sie schon vor diesem Ereignis bis zum Exzess in sich hineingestopft haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Ein Bösewicht ist, wer anstatt mitzufühlen sich lediglich auf die äußere Chronologie der Ereignisse stürzt! Es tut mir leid). Bewahren Sie Ihr Zippo sorgfältig auf. Eines Tages verzeihen Sie Ihrem Vater vielleicht das Unverzeihliche, und Sie werden glücklich sein, Ihr Zippo zu haben.

Sie glauben an Geister? Ich nicht. Dabei sollte ich, ich habe nämlich schon mal einen gesehen. Gut, ich erzähle Ihnen die Geschichte, da es um meinen Vater geht und Sie mir von Ihrem erzählt haben.

Mein Vater ist 1987 an einem Herzinfarkt gestorben. Ein schöner Tod, wie man gemeinhin sagt. Und tschüss! Keine lange Krankheit, kein Krankenhausaufenthalt, keine Remission, kein Rückfall, kein Hemd, das hinten offen ist und den Blick auf den Po freigibt, keine OP bei Vollnarkose, kein Aufwachen mit blasser abgemagerter Hand, die man in der eigenen hält, es ist gut verlaufen, alles bestens, Papa. Nein, nichts davon. Mein Vater ist langsam in sich zusammengesackt, die Nase am Schaufenster eines Schuhladens in Dieulefit (Departement Drôme) an einem Nachmittag im Winter 1987. Er ist auf die Knie gesunken. Und seine Brille ist heruntergefallen. Meine Mutter, die dabei war, hat zuerst die Brille aufgehoben, ein Reflex, bevor sie sich um ihn gekümmert hat, deswegen hat sie sich ihr ganzes Leben lang Vorwürfe gemacht: Und ich kümmere mich um seine Brille! Wie dumm von mir! Mein Gott, wie dumm! Sie haben ihr hundertmal erklärt, das sei ganz normal. Sie habe bestimmt auf der Stelle den Ernst der Lage erkannt, und ihr Gehirn habe einen Abwehrmechanismus in Gang gesetzt, wie wenn man ohnmächtig wird, um großen Schmerzen zu entgehen. Ihr Gehirn habe ihr gesagt: Es ist nicht schlimm, es ist nur eine Brille, und so hat sie die Brille aufgehoben, das ist ganz normal, Mama. Mag ja sein, trotzdem, wie dumm von mir! Mein Vater war 75, ich 35. Ich war ganz traurig, ich habe ihn sehr gemocht, nicht so bedingungslos wie meine Mutter, aber ich mochte ihn gern, alles in allem war er ein anständiger Kerl. Nur konnte ich nicht heulen, weder als ich von dem Drama erfuhr, noch als die Verwandtschaft eintraf, nicht in der Kirche und auch nicht auf dem Friedhof.

Monate sind vergangen. Jahre.

Und eines schönen Tages, ich bin in Paris, gehe die Rue du Cherche-Midi entlang. Es regnet, und die Erinnerung an meinen Vater taucht in mir auf, einfach so. Vor allem jene an einen Winterabend, als er mich durch den Schnee trug. Okay, ich muss noch etwas weiter ausholen, sonst kommen Sie nicht mit.

Ich war sieben oder acht Jahre alt und hatte mir das Bein verbrüht, als meine Bettflasche mit heißem Wasser platzte. Es war Winter, es war Abend, es schneite heftig. Mein Vater nimmt mich auf den Arm und trägt mich zu seinem kleinen Lieferwagen, um mich zu einer Bäuerin in den Bergen zu fahren, die Verbrennungen durch Besprechen heilen kann. Unterwegs nimmt er einen Kumpel mit, den Tischler, und weiter geht’s, ich sitze zwischen den beiden Männern. Scheibenwischer. Flüche. Das schaffen wir nie! Ich weine viel, es brennt ganz fürchterlich, im Bein, am Bauch. Der Hof vor dem Bauernhaus ist völlig zugeschneit. Mein Vater trägt mich durch den Schnee. Drinnen ist es dunkel, die Alte schickt mich nach oben. Ich lasse die Hose herunter, und sie beginnt zu beten, zu flüstern. Ihre Finger bewegen sich über meine Haut. Als wir aufbrechen, habe ich aufgehört zu weinen. Nach zweihundert Metern halten wir im Dorf, die Kneipe hat noch geöffnet, hinter den Fensterscheiben brennt Licht. Warte hier, sagt mein Vater, wir trinken noch einen Schluck, dann kommen wir wieder. Sie gehen zusammen weg. Ich warte brav im Wagen, aber nach höchstens einer Minute kommt mein Vater allein zurück. Komm, sagt er, und zum dritten Mal nimmt er mich auf den Arm. In der Kneipe sitzen sechs, acht Männer und trinken Wein, vor allem aber gibt es auf einem Regalbrett ganz oben, direkt unter der Decke, einen Fernsehapparat. Dort läuft eine ZIRKUSGALA. Ich schreibe das Wort groß, weil wir zu Hause keinen Fernseher hatten, und diese Zirkusgala war für mich das Taj Mahal plus der Karneval in Rio plus das Polarlicht plus alles andere, was einen Jungen begeistert. So habe ich mir mit meinem verbrannten Oberschenkel, mit dem ganzen Schnee draußen und den Armen meines Vaters diese Zirkusgala angeschaut und eine Orangenlimo getrunken.

Kurz und gut, ich gehe die Rue du Cherche-Midi entlang und denke an diesen Abend. Und plötzlich kommen mir die Tränen, die vorher nicht kommen wollten. Ich bitte ihn um Verzeihung, ich weiß nicht genau, wofür. Dass ich nicht früher geweint habe? Dass ich ihn nicht genug geliebt habe? Dass ich es ihm nie gesagt habe? Dann ist er plötzlich da, läuft neben mir. Er sagt, es sei nicht schlimm, alles sei gut, ich sei ein guter Junge. Seine physische Präsenz ist unglaublich, seine Brille, sein Geruch, seine Stimme. Er fragt, ob es mir gutgeht. Ich sage ja. Und ihm? Gut, gut. Gern würde ich ihn in die Arme schließen, aber ich fürchte, für verrückt gehalten zu werden, wenn ich nur Luft umarme. Wir laufen beide die ganze Rue du Cherche-Midi hinunter, die ziemlich lang ist. Mit der Zeit wird seine Präsenz schwächer. Bevor er vollends verschwindet, verabschiede ich mich von ihm. Bei meiner Ankunft im Hotel fühle ich mich unglaublich ruhig.

Ich meine es ernst, bewahren Sie Ihr Zippo gut auf.

Meine Mutter ist mittlerweile ebenfalls verstorben. Die Folge: Ich bin ein großer Waisenjunge (ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich 1,92 Meter groß bin? Das war ich schon mit siebzehn), der vier Frauen gehabt hat, sechs Kinder und abends allein ins Kino geht. Und dort bisweilen einschläft.

Erneut bleiben jede Menge Fragen offen, die Sie stellen und auf die ich nicht geantwortet habe. Das kommt noch.

Ihre freundschaftlichen Grüße nehme ich gerne entgegen, liebe Adeline, und biete Ihnen im Gegenzug meine eigenen an.

Ihr großer Schriftsteller (1,92 Meter, vergessen Sie das nicht)

Pierre-Marie

Von: Adeline

2. März 2013An: Pierre-Marie

Da Sie mir die Ehre erweisen, beginne ich den Brief mit Lieber Freund.

Lieber Freund,

wie leichtsinnig Sie sind! Sie ahnen nicht, worauf Sie sich einlassen! Ich will Sie sogleich mit folgender Aufforderung auf die Probe stellen: Nennen Sie mir zehn gute Gründe, warum das Leben schön ist.

Nur zehn, das reicht für heute. Ihre Aufgabe ist es, mich nach dem gestrigen Abend, der komplett in die Hose gegangen ist, wieder aufzubauen. Nein, warten Sie, ich bin ungerecht! Nennen Sie mir neun gute Gründe, denn der erste ist bereits gefunden: dass ich Ihre Freundin sein und Ihre Mails lesen darf.

Als ich die letzte in meinem Posteingang vorgefunden habe, ist meine Stimmung sofort nach oben geschnellt. Da sie gestern Abend gegen 22 Uhr aber auf unter Meereshöhe gerutscht war, reicht das noch nicht. Ich setze daher auf Ihre Rettungsbojen.

Im Gegenzug verspreche ich Ihnen, auf die Verwendung jeglicher Auslassungszeichen zu verzichten, außer wenn ich Ihnen erneut von meinem Vater erzählen sollte …! Von Ihren Erinnerungen war ich sehr ergriffen. Ich muss zugeben, ich habe sogar Tränen vergossen. Und daran war keinesfalls der Schnupfen schuld, er scheint geheilt. Schuld waren Ihre Worte, oder sollte ich eher sagen, Ihren Worten habe ich es zu verdanken: die Verbrennungen, der Schnee, die Arme Ihres Vaters, die Heilerin, die Zirkusgala, schon war es um mich geschehen. Daraus ließe sich doch ein Romananfang stricken, oder?