Lust am Leben – Lust am Sterben - Christina Maria Werner - E-Book

Lust am Leben – Lust am Sterben E-Book

Christina Maria Werner

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Beschreibung

Die spannende Geschichte um Eric und Evina nimmt Sie mit auf eine Achterbahnfahrt durch die Wirren der materiellen Existenz. Licht und Schatten spiegeln sich gleichermaßen auf einem Weg, der mit Ängsten und Unsicherheiten gepflastert ist. Bedingungslos liebend, vertrauensvoll gehen die zwei Hälften durch alle am Weg lagernden Gefühle von Wut, Trauer und Verzweiflung hindurch und entdecken dabei einen wahren Schatz in ihrem Innern. Das Buch schenkt Inspiration für innige Freude und tiefen Seelenfrieden in einer hektisch-oberflächlichen Welt. Lassen Sie sich berühren und gehen Sie Hand in Hand mit Eric und Evina auf Entdeckungsreisen in Ihre ureigene Seele, die selbst dem Tod den Schrecken nimmt.

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Seitenzahl: 337

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Inhalt

Impressum

Vorwort

Kapitel I

Evina – Kindheit und Jugend

Kapitel II

Eric – Kindheit und Jugend

Kapitel III

Einzug Evina ins „Gelobte Land“

Kapitel IV

Aufeinandertreffen der beiden Hälften

Kapitel V

Bewährungsprobe am Arbeitsplatz

Kapitel VI

Auf dem Prüfstand der Ehetauglichkeit

Kapitel VII

Das kontrastreiche Leben

Kapitel VIII

Achterbahnfahrt durch die Gezeiten

Kapitel IX

Im Heim von Eric und Evina

Kapitel X

Unschuldsjahre

Kapitel XI

Schicksalswende

Kapitel XII

Vollendung

LITERATURHINWEISE

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2019 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-903271-05-0

ISBN e-book: 978-3-903271-06-7

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfoto: „Der Himmel“, Mario Sala

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Dieter Kraft

www.novumverlag.com

Vorwort

„Der Mensch ist ein Teil des Ganzen,

das wir Universum nennen,

ein in Raum und Zeit begrenzter Teil.

Er erfährt sich selbst,

seine Gedanken und Gefühle

als getrennt von allem anderen –

eine Art optische Täuschung des Bewusstseins.

Diese Täuschung ist wie ein Gefängnis für uns,

das uns auf unsere eigenen Vorlieben und

auf die Zuneigung zu wenigen beschränkt.

Unser Ziel muss es sein,

uns aus diesem Gefängnis zu befreien,

indem wir den Horizont unseres Mitgefühls erweitern,

bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur

in all ihrer Schönheit umfasst.“

Albert Einstein

7,47 Milliarden Herzen schlagen derzeit in ihrem ganz eigenen Takt. 7,47 Milliarden Herzen, jedes einzelne seit Adam und Eva erfüllt von einer tiefen Sehnsucht nach Anerkennung, Liebe und Einheit. Alle Herzen gehen getrennte Wege nach den Vorgaben einer Welt, die ausschließlich auf Äußerlichkeiten fixiert ist. Sie alle suchen rein über das Denkvermögen, den Verstand, nach einem Sinn und finden nur Vergängliches, Unbeständiges, das sie für eine kleine Weile zu befriedigen vermag.

„Lust am Leben – Lust am Sterben“ beschreibt die außergewöhnliche Liebesgeschichte zweier Menschen, die eingefleischte Muster und Prägungen hinter sich lassen und lernen, die Schönheit der Welt zu erfahren. Aufgewachsen in verschiedenen Ländern, unter dem Dach äußerlich andersartiger Familien, fügt das Schicksal die beiden Hälften wie von unsichtbarer Hand geführt zusammen. Magie, hörbares Knistern, schwängert die Luft, eine nicht zu beschreibende Anziehungskraft zwischen zwei Menschen macht den Weg frei zu einer Liebe, die unerschütterlich bleibt und Eric und Evina zu einer Einheit verschmelzen lässt.

Der Weg ist steinig, gepflastert mit Ängsten, Zweifeln und Trauer, führt vorbei an Wegkreuzungen, wo zahlreiche Markierungen und Hinweisschilder verunsichern. Ein Wegweiser, die „zufällige“ Begegnung mit Peider Baselgia, einem weisen Eremiten in den Bergen, stellt die Weichen zu einem ungewöhnlichen Pfad und bringt das Traumpaar Eric und Evina in ein tiefes Verständnis für das wahre Leben. Peider Baselgias Botschaften, die im Buch typografisch von der bewegenden Geschichte um Eric und Evina abgesetzt sind, geben Impulse für die eigene Entwicklung und betten das Geschehen in einen universellen Zusammenhang, dem wir alle angehören.

M.A.

Kapitel I

Evina – Kindheit und Jugend

In reiner Liebe war sie gezeugt worden und erblickte an einem kalten Februartag das Licht dieser Welt, liebevoll empfangen von beiden Elternteilen, die nach all den Kriegswirren und Entbehrungen ihr großes Geschenk dankbar in Händen hielten. Blau angelaufen ahnte dieser winzige Körper bereits, was eine Geburt in die materiell-energetische Existenz bedeutete, wusste um die Bürde, die leidvollen Erfahrungen, die sich nun in seinem Programm zeigen würden. Doch die Natur ist weise, sie hatte auch hier vorgesorgt. Auf den ersten Schock beim Eintritt in die Welt der Materie folgten zusehends quietschendes und heiter gestimmtes Vergnügen, vollkommene Unbeschwertheit als erste Zeichen eines tiefen Seelenfriedens, mitgebrachtes Rüstzeug in diese neue Inkarnation.

Frohgemut zog das Kind seine ersten Bahnen im Schoße einer neutralen Ebene, in der Denken und Ichbezogenheit noch keinen Platz hatten und völlig unbekannt waren. Wann immer, wer auch immer Kontakt mit dem Neugeborenen suchte, schaute aus diesen Augen ein unsagbarer Frieden, der die Gesichter der Umstehenden erhellen ließ, ein Lächeln, wie es herzerfrischender nicht hätte sein können. Die Verbundenheit mit der Quelle, die Einheit, soeben erst verlassen, war in diesem Stadium noch tief verwurzelt und wurde für die Außenwelt sicht- und spürbar gemacht. Herzen gingen auf. Das Sein, das allen Formen innewohnt, berührte die Seelen.

Das kleine Menschlein wuchs heran, gedieh prächtig, wurde umsorgt, gehegt und gepflegt, erblühte in der reinen Liebe von Vater und Mutter, versprühte klar und unverdorben das jedem Menschen innewohnende Leuchten, bis diese Unbeschwertheit einen ersten Dämpfer erhielt. Eine Aufforderung zur gesetzlich verankerten Pockenimpfung, der widerwillig seitens der Eltern gefolgt wurde, verursachte eine unwiederbringliche Störung im Gemüt, ließ die angeborene Fröhlichkeit verstummen und äußerte sich in Form von kläglichem Wimmern und kümmerlichem Aufbegehren. Obwohl die Mutter – einer natürlichen Intuition folgend – die Impfstelle unverzüglich ausgewaschen hatte, nahm das Einspritzen von Fremdeiweiß in diesen makellosen kleinen Körper seinen verheerenden Lauf und darf mit Fug und Recht als irreparable, destruktive Maßnahme und beschwerlichen Eingriff in dieses Leben gewertet werden.

Entstanden aus dem Nichts durch körperliche Vereinigung zweier äußerlich gegensätzlicher Formen zeigt sich ein gesund-kraftvolles neues Wesen in der Welt der Materie. Neun Monate lang war das All-Eine, das göttliche Bewusstsein, am Werk gewesen, wuchs ohne menschliches Einwirken eine neue Lebensform heran, und nun – kaum geboren – maßten sich weißgewandete Herren an, in die groß-gewaltige Schöpfung einzugreifen, Wohlgefühl einzuschränken, unbescholtenes Leben zu verstümmeln und dafür Lorbeeren einzufordern.

Hören wir, was Peider Baselgia uns zum Thema Impfungen zu sagen hat:

„Verfangen in unentwegte Gedankenspiele und durch vom Ego gesteuerten Selbst kreierte Angst – ohne jegliches Urvertrauen in eine höhere Macht, in den göttlichen Kern, der allen Formen innewohnt, lassen sich Menschenkinder immer wieder und immer mehr von ihrem falschen Selbst auf der Oberfläche führen und verführen. Die westlichen Zivilisationen kommen dem geistigen Verfall näher und näher, irren unbewusst durch die Welt der Materie, erschweren sich die Zeitreise durch aus Gedanken erschaffene, profitorientierte Regeln und Rituale und haben dabei längst vergessen, wer und wie kraftvoll und mächtig sie wirklich sind.

Eine neue Schöpfung, eine neue Form, materialisiert sich auf dem Übungsfeld Erde. Welch ein Wunder! Welch gewaltiger Schöpfungsakt! Welch unfassbares Zusammenwirken von Energie und Molekülen! Ein pulsierendes Energiefeld, wie es nur vom Formlosen, von der Essenz des All-Einen, erschaffen werden kann, die sich im Unsichtbaren, im ewigen ‚Sein‘, verbirgt.

Ohne tiefgründiges Wissen, ohne Weisheit und in Unkenntnis der reinen Liebe befolgen Menschenkinder die von Menschenhand geschaffenen Vorschriften, lassen sich von selbst ernannten Auserwählten in die Irre führen, geben alle Macht, die ihnen innewohnt, aus der Hand und sorgen für Aufruhr in den kleinen großen Seelen. Das Trauerspiel nimmt seinen Lauf.“

Ungeachtet dieses ersten Einschnitts in die äußere Lebensqualität setzte das Kind seine irdische Reise fort. Lebhaft kroch und spielte es sich durch die Tage, wohl behütet und geliebt von der Großfamilie und zahlreichen Mitwirkenden eines mittelständischen Bäckerei- und Lebensmittelbetriebes.

Angelpunkt des damaligen Lebensstadiums waren die elsässische Großmutter und der durch alle tiefen Täler des vorausgegangenen Kriegsgeschehens gewanderte Vater. Beide kannten Not und Leid aus kriegerischer Zeit und beide zeigten sich immerwährend erfüllt von tiefer Dankbarkeit und unerschütterlichem Vertrauen auf göttliche Führung.

Aus heutiger Sicht könnte man sagen, das Familienunternehmen glich einer uneinnehmbaren Festung. Es sorgte für leibliches Wohl ebenso wie für geistige Nahrung. Die äußeren Freiheiten waren groß, Spielgefährten für das Kind ebenso zahlreich wie die Räume, um sich zu begegnen, Streiche zu verzapfen und die Außenwelt zu erforschen. Straßen, Höfe, Feld, Wald und Wiese gehörten den Kindern, das Leben gestaltete sich zwang- und sorglos, die Verbindungen zu Mensch, Tier und Pflanze in diesem Umfeld waren geprägt von Natürlichkeit. Die Vergangenheit war vorbei, die Zukunft noch nicht da. Gegenwärtigkeit ließ die Tage angst- und stressfrei passieren. Hingebungs- und freudvoll gab man sich dem funktionalen Tun als Broterwerb hin, praktizierte Gemeinschaft nicht nur bei der Arbeit, sondern auch bei entspannten Zusammenkünften, die damals – nach Empfinden der kleinen Seele – Herzen öffneten.

Mit der Einschulung wurde der Tag kürzer, das unbekümmerte Da-Sein beschnitten. Die ersten Wolken zogen am Himmel auf, unverstanden von unserem inzwischen sechsjährigen Kind, das nicht begreifen wollte, warum es ab jetzt stundenlang täglich still auf einer harten Schulbank sitzen, Hieroglyphen und Zahlen in Form bringen und seine wahren Bedürfnisse verschweigen musste. So geschah es am dritten Schultag, dass Evina, wie unser Kind namentlich genannt wurde, die Lehrerin nach der Schulstunde aufsuchte und ihr frank und frei versicherte, dass es ihr an diesem Ort nicht gefalle und sie lieber wieder nach Hause gehen wolle. Es kostete Eltern, Großeltern und Lehrerin eine gehörige Portion berührender Argumente, unserer Schülerin zu erklären, dass sie aus dieser Gefangenschaft längere Zeit nicht mehr herauskommen würde, dass die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt keine andere Wahl zuließen.

Unverständlich war’s! Auf spielerische Art hatte sie in ihrem kleinen Leben doch schon so viel gelernt. Sie konnte Schweine füttern, der Großmutter im hauseigenen Garten helfen, bei der Kartoffelernte der umliegenden Bauern mitwirken, Äpfel schälen und in Schnitze teilen für die feinen Kuchen, welche die Bäcker Heinz und Hans so lecker herrichteten, Kirschen entsteinen, sich alleine die Schuhe binden, beim Abwasch in der Küche und beim Zusammenlegen kleiner Wäscheteile Regina und Käthe behilflich sein und sich bei samstäglichen Wanderungen in Gottes freier Natur mit Base Enya singend und trällernd vom Vater in Naturkunde unterweisen lassen. Wozu also dieser ganze Aufwand, sich künstliches Wissen anzueignen und dabei bewegungslos ruhig dazusitzen? Das war eindeutig zu viel für dieses unverdorbene kleine Geschöpf.

Schauen wir, was uns der Weise aus den Bergen zu Erziehung und Bildung mit auf den Weg geben möchte:

„Lang ist es her, seit die kleine Seele mit dem ersten einschneidenden Abschnitt auf ihrer irdischen Lebensreise konfrontiert worden ist. Was zu damaliger Zeit noch in den Anfängen einer vom falschen Selbst, dem Ego, geschöpften Gesetzmäßigkeit wurzelte, hat inzwischen nach eurer Zeitrechnung seinen Höhepunkt erreicht. Tiefes, seit Urzeiten allen Menschen innewohnendes wahres Wissen liegt unentdeckt und verborgen in euch Menschenkindern, wird immer mehr abgedrängt von oberflächlichen, in der dualen Welt vermeintlich wichtigen, kopflastigen Errungenschaften. Alle eure selbst erfundenen, vom Verstand erdachten Systeme führen weg von eurer Verbundenheit mit der euch innewohnenden Essenz und fördern bereits im Kindesalter konkurrenzierendes Denken, Einsamkeit, Leid und Leiden. Der Weg geht weiter und weiter zu elendem Siechtum, Krankheit und Gefühlen von Verlassensein – bis hin zum Zusammenbruch, wenn das Maß des Erträglichen die Seele der Kleinen verstümmelt.

Hammerschlägen gleich trichtern Eltern, Schulen und sogenannte wissenschaftlich fundierte Lehranstalten für ein wahres und wahrhaftiges Leben unnötiges und unwichtiges Wissen in die geschundenen Seelen ein, anstatt die in der Tiefe ihrer Seele verborgenen Talente und Gaben sich entfalten zu lassen.

Der Kommilitone wird zur Gefahr, zum Feind, den es zu besiegen gilt. Wettkämpfe finden statt, bei denen die Besten, die Ersten,gefeiert, vergängliche Freuden gewürdigt, die Samen des Ego in die Seele gepflanzt werden – statt das Saatkorn der Liebe und der Einheit zum Blühen zu bringen.

Die jeder in die Welt der Materie inkarnierenden Form innewohnende Vollkommenheit wird an euren Einrichtungen aberzogen. Wahrhaftiges Wissen aus den tiefen Gründen der Seele, der göttliche Funke, den der Schöpfer aller Dinge in jede seiner Schöpfungen hineinlegt, wird zugemüllt und darf das Sonnenlicht nicht schauen.“

Tagtäglich, bei Wind und Wetter, vier Jahre lang machte sich Evina, den ledernen Schulranzen auf dem Rücken und Zahlen- und Buchstabenallerlei im Kopf, mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter zu Fuß auf den Weg zur Lehranstalt. Vier lange Jahre – und dennoch blieb genügend Platz für Sport, Spiel und Spannung in Gottes freier Natur. Die samstäglichen Ausflüge mit Vater und Cousine Enya erweiterten sich mit dem Heranwachsen auf vierwöchige sommerliche Ferientage bei der Tante auf dem Land im Weinbaugebiet der Mosel. Die unverheiratete Schwester des Vaters empfing die kleine Reisegruppe mit unbändiger Freude in ihre natürliche Einfachheit, die sich im Außen durch Plumpsklo, Waschzuber und Selbstversorgung aus biologischem Anbau widerspiegelte. Das war unverfälschte Wellness pur. Das Leben zeigte sich echt und intensiv von seiner sonnigsten Seite, wo selbst Regentage zu freudvollen Erfahrungen führten. Die umliegenden Bauern und Waldarbeiter mutierten zur eigenen Familie. Die stillen Abende draußen am Kartoffelfeuer entlockten den Kehlen fröhliche Lieder und erfüllten die laue Luft und die Herzen mit unendlichem Frieden. Die Einfachheit, die Verbundenheit mit der Natur, die Gegenwärtigkeit des Augenblicks machten das Leben reich und hinterließen Spuren, erste Anzeichen einer tieferen Bewusstheit, die damals von Evinas begrifflichem Denken noch nicht erfasst wurde.

Inzwischen hatte sich die Ursprungsfamilie der materiellen Welt um ein weiteres Mitglied vergrößert. Cousine Rebecca hatte Zugang zur Erde gefunden und wuchs kräftig heran und unserer Evina ans Herz. Die Großmutter war nach wie vor der starke Rettungsanker und während des Tages Ersatz für die abwesende Mama, die eine Filiale im Ortszentrum betreute und daher nicht präsent sein konnte. Oma war es dann auch, die der erstgeborenen Enkelin einen prägenden Stempel aufdrückte, indem sie in jeder noch so ausweglos scheinenden Situation darauf hinwies: „Alles Gott zu überlassen und das Leben geschehen zu lassen.“ Dieses Urvertrauen in eine höhere Macht setzte sich unbemerkt im Herzen unseres Kindes fest. Während das Gros der Familienmitglieder Gott diente und seine Werke pries, lebte die Große Mutter ihre Erkenntnis auf Schritt und Tritt. Sie überstrahlte mit ihrem inneren Frieden gleichmütig alle Herausforderungen, die das irdische Da-Sein mit sich brachte.

Als der Tod erstmals ins Leben des mittlerweile zwölfjährigen Mädchens seinen Fuß über die häusliche Schwelle setzte, seine Flügel ausbreitete und die Große Mutter nach einjähriger Bettlägerigkeit mit familiärer Betreuung und Pflege unter seine Fittiche nahm, blutete Evina das Herz. Dennoch machten sich eine nicht zu eruierende Gelassenheit, ein stiller Friede breit, der dem Tod den Stachel nahm.

Ein im Haus schwarz verhängter Raum barg den Sarg mit diesem toten Körper, dessen friedvoll lächelndes Gesicht den Geruch nach Ausgelöschtsein verhüllte. Die Lebenskraft, die Eine Energie, hatte sich aus einer Form herausgelöst und war zur Quelle, zum Ursprung, zurückgekehrt. Für Evina schien alles vertraut zu sein. Erfüllt von einer nach wie vor tiefen Verbundenheit führte sie Kondolenzbesucher – die damals noch zahlreich ins Haus strömten – ans Totenbett, streichelte immer wieder Hände und Wangen des verblichenen Körpers, ging völlig auf in diesen friedvollen Momenten der Vertrautheit und nahm die Heiligkeit des Augenblicks, die hier durchschien, ganz bewusst wahr. Sie ahnte etwas von der Gnade, die ihr zuteil wurde, weil in diesem familiären Umfeld sogar das Geheimnis Tod gewürdigt wurde. Die gedankenleere Stille nahm Gevatter Tod den Schrecken. Tränen durften fließen.

Die Zeit des Abschiednehmens neigte sich dem Ende zu, als eine schwarze Kutsche, gezogen von schwarz ummantelten Pferden, im Hof einfuhr und der leblose Körper, das alte, vom vielen Tragen abgewetzte Kleid, darin abgelegt wurde. Eine Karawane von Menschen schritt andächtig und leise der Karosse zum entlegenen Friedhof hinterher. Still und heilig auch dieser Augenblick des Begleitens, der ein Gespür für das Einssein aller Formen erkennen ließ. Der nicht enden wollende Trauerzug versinnbildlichte aber auch Wirken und Trachten dieser Großen Mutter, die in wahrer Gottesliebe sich immer Ihm zu ergeben wusste, wodurch die Kraft und Klarheit, dieses undurchdringliche Energiefeld, sich auf andere spiegelte.

Das Zentrum der Liebe, das Asyl, der Zufluchtsort für alle mühselig Beladenen, war ausgelöscht, hatte aber markante Spuren in den Herzen hinterlassen. Man kehrte an seinen Arbeitsplatz zurück, nahm das funktionale Tun wieder auf – doch irgendwie wurden ab jetzt die Brötchen kleiner gebacken.

Die religiösen Ambitionen, der Eifer, mit dem die Restfamilie dem alten Gott huldigte, blieben unverändert und weckten in den mittlerweile pubertierenden Cousinen den Wunsch, sich ganz und gar dem Heiland durch die Erwachsenentaufe hinzugeben. Dieses Ereignis erschütterte die Älteste bis ins Mark. Bänke und Balken bogen sich unter der Last der Gläubigen, die diesem Schauspiel beiwohnten. Die Empore drohte unter der donnernden Hymne von „Näher mein Gott zu dir ...“ zu bersten. Die weißgewandeten engelsgleichen Täuflinge stiegen einzeln in das unter der Kanzel großzügig angelegte Taufbecken und näherten sich triefend nass bis unter die Haarwurzeln einem gottgefälligen neuen Abschnitt ihres Lebens.

Eine ähnliche, in ihrem Ausmaß jedoch noch gewaltigere Massenhypnose hatte Evina bereits miterleben dürfen. Ein wortgewaltiger Prediger mit Namen Billy Graham füllte die Hallen mit Heil suchenden Menschen aller Altersklassen – nicht wissend, dass alles Heil bereits in ihnen liegt und nur darauf wartet, erkannt zu werden. An all diesen Veranstaltungen, bei denen laut Hosianna gerufen und die Zuschauer und Zuhörer auf die Sünderbank gedrückt wurden, hatte auch Evina teilgenommen, konnte sich aber nie auf die dort vermittelten Darbietungen einlassen, deren Botschaften ihr fremd waren und blieben. Und so war sie denn auch wirklich bis ins Mark getroffen, als Enya und Rebecca ihr Zeugnis ablegten, um als Mitglied in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden.

Wie konnte es sein, dass drei kleine menschliche Wesen, in gleicher familiärer Gemeinschaft aufgewachsen, so unterschiedlich von Worten berührt wurden. Auch Evina hatte keine Sonntagsschulstunde versäumt, ihre Stimmgewalt bei jedem Kirchenlied herzhaft eingebracht, den Predigten aufmerksam gelauscht – und doch konnte sie sich nie auf das Gehörte wirklich einstimmen, geschweige denn die Symbole „Kreuzigung“ oder „Abendmahl“ nachvollziehen. Es fiel ihr schwer, deren Deutung „Er nahm alle Sünden auf sich und starb für dich auf Golgatha“ oder „die Oblate als Leib Christi zu verspeisen“ und „den Wein als Blut Christi zu trinken“ Glauben zu schenken. Im Gegenteil riefen diese nach menschlichem Ermessen ausgelegten Botschaften, die nach Kannibalismus rochen, in Evina Abschreckung und Unverständnis hervor, ja sie verängstigten geradezu ihr offenes Herz.

Gott ist Liebe, so hatte es zuhause immer geheißen. Was war das für eine Liebe, die Bedingungen an sich knüpfte und darauf beharrte, ihr Folge zu leisten? Ihr Kopf fand keine Antwort – und so folgte sie vertrauensvoll ihrem Herzen, das ihr den wahren Weg zeigen würde. Sie blieb das, was sie nach außen hin war: das schwarze Schaf in der Familie, die Heidin, weil immer noch ungetauft. Sehr zum Leidwesen der Mama, die nach der Taufaktion von Enya und Rebecca nichts anderes im Sinn hatte, als die Tochter auch auf diesen Weg zu befördern. Endlose Gespräche, die eher massiven geistigen Auseinandersetzungen glichen, führten dann letztendlich zu einem guten Schluss, nachdem der katholische Vater herbeigeeilt kam und klar und bestimmt verkündete, man solle das Mädchen in Ruhe seinen eigenen Weg gehen lassen. Diese Worte reichten aus, um den Haus- und Seelenfrieden langfristig zu besiegeln.

Alle Religionen geben vor, allein im Besitz der Wahrheit zu sein, und stiften dabei so viel Unfrieden. Wie konnte es dazu kommen – und was ist Gott wirklich?

„Ich freue mich, eine Botschaft zu übermitteln, die euch alle, die ihr fortwährend Suchende seid, in ein tiefes, bewusstes Verstehen bringt.

Über all die Jahrhunderte hat sich der Schöpfer aller Dinge in euren Köpfen zu einem durch Gedanken geformten, unwirklichen Wesen entwickelt, hat in euren Vorstellungen eine materielle Gestalt angenommen, die sich von der wahren Realität immer weiter entfernt. Dieser von euch erschaffene Gott, so wie ihr ihn wahrnehmt, ist eine Projektion eures Verstandes, degradiert zu einem Himmelsboten, der euch den Genuss auf Erden vermiesen und am Ende die Reisenden mit Auflösung und Tod bestrafen will. Ein Gott, der mit dem Ursprünglichen nichts gemein hat, abtrünnig geworden von der Wahrheit, der einzigen Wirklichkeit in euch, die ist, war und immer sein wird.

Selbst ernannte Auserwählte, die sich von machthungrigen, gierigen Gedanken getrieben in Gruppen und Institutionen formieren, führen euch gekonnt und unbemerkt, weil unbewusst, in die Irre, haben das Unendliche, das Ewige, die Ur-Energie, die allen und allem innewohnt, auf ein mentales Götzenbild reduziert. Das falsche Selbst in ihnen fordert das kollektive Ego auf, diesem nach ihrem Bild erschaffenen Vater-Gott nachzufolgen, an ihn zu glauben, ihm Ehre zu erweisen, ihn zu preisen und ihm zu lobsingen – nicht wissend, dass sie nur ihr eigenes Ego, die Illusion eines falschen Selbst anbeten und anbeten lassen. Wer in den Lobgesang einstimmt, wird willkommen geheißen als Kind Gottes, gesegnet – und unbeugsam geknechtet, wenn er Tun und Wirken dieser Verkünder des Wortes Gottes nicht würdigt oder gar in Zweifel zieht. Eure Geschichte hat es unzählige Male gezeigt – und zeigt es noch immer –, wie Ungläubige als Ketzer verhöhnt, verbannt und vernichtet wurden und heute noch werden. Könnt ihr sie noch zählen, die Götter eurer Welt der Dualität, die durch verknöcherte Denkstrukturen gewachsen sind, Leid und Leiden verursacht und Unfrieden in und um euch gestiftet haben?

In alle sich auf der Erde manifestierten Formen – Stein, Pflanze, Tier, Mensch – hat die Ur-Kraft, das All-Eine, seinen Fingerabdruck hineingelegt, euch auf die Reise in die materiell-energetische Existenz geschickt, die Schönheit des Seins zu erfahren. Diese eine unsägliche Freude, der Friede Gottes, der Einkehr hält, wenn geschehen darf, was geschieht. Bewusstheit ist das Schlüsselwort. Kein Verlangen mehr, kein Wünschen, kein Wollen ... Jetzt seid ihr Zeuge einer Kraft in euch, die alle Ketten des Verstandes zu sprengen vermag.“

Wenige Jahre nach dem Hinübergehen der Großen Mutter veränderten sich unmerklich die Strukturen innerhalb der Familie. Die Weisheit, die alle Fäden in der Hand gehalten hatte, war nicht mehr präsent-fassbar, die Einheit bröckelte, jeder zog sich hinter den Schutz eines eigenen Vorhangs zurück. Der enge Raum, der in den Nachkriegsjahren anschmiegsames Miteinander gewährte und Wohlgefühl vermittelte, erweiterte sich zusehends.

Hinter dem großelterlichen Anwesen erschloss sich neuer Platz, wo Vater, Mutter und Evina, abgesondert vom noch verbliebenen Clan, ein kuscheliges Heim errichteten, zu dem sich ein üppiger Garten gesellte, dem der Vater zu jeder Jahreszeit eine bunte Palette nahrhafter Früchte und Gemüse durch seiner Hände Arbeit unter Mitwirkung des Einen Schöpfers, der alles wachsen und gedeihen ließ, entlockte. Von dieser reichhaltigen Nahrungsquelle profitierten auch die Mitglieder der Restfamilie bei den sonntäglichen gemeinsamen Mittagessen.

Die Zeiten änderten sich und mit ihnen veränderten sich die Menschen. Die Identifikation mit materiellem Besitz und egoistischen Errungenschaften nahm deutlich zu. Wo früher ein trautes Mit- und Füreinander die Gemeinschaft prägte, jeder sich im anderen erkannte, gerieten die Menschen nun immer mehr in den Sog des sich vergleichenden Individualismus. Auch Evinas Mutter rutschte ab und zu in diesen Strudel hinein, zog die Tochter mit, während der Vater derlei Ambitionen nicht kannte.

Mittlerweile war Evina ins Gymnasium gewechselt, dessen Besuch die Eltern durch monatliches Schulgeld ermöglichten. Nach wie vor gab sich das Kind Mühe beim Lernen, nach wie vor hatte es Mühe damit. Rechnen, die abstrakte Zahlenwirtschaft, aber auch die Fächer Erdkunde und Geschichte weckten so gar nicht sein Interesse. Zu welchem Zweck, so fragte sich Evina immer wieder, musste man sich antiquierte Daten und Geschehnisse einverleiben und merken? Einzig das Erlernen von Sprachen gelang ihr mühelos. Fasziniert erlebte sie den Deutschunterricht und dessen schöngeistige Sprachgewalten, ja liebte es geradezu, diese „buchstäblich“ in ihre Aufsätze einfließen zu lassen. Mehrmals geschah es dabei, dass Themenarbeiten schlecht benotet wurden, weil ein alter Kauz namens Professor Birkenstein nicht wahrhaben wollte, dass ein kleiner Backfisch so ungewöhnliche Formulierungen und tiefgründige Beschreibungen seinem eigenen Hirn entlocken konnte. Er verkannte, dass wahre Kreativität nicht einem Hirn entspringen, sondern ausschließlich aus einer tieferen Ebene geschöpft werden konnte. Dies klarzustellen eilte die Mutter das erste und einzige Mal zur Lehrerschaft. Sie hatte längst begriffen, dass nur der Verstand, der Kopf, in der Lage war, Banales, Hässliches entstehen zu lassen, und sie verbürgte sich dafür, dass ihre Tochter sämtliche Schreibarbeiten allein, ohne äußere Fremdeinwirkung, zum Blühen gebracht hatte.

Im Gegensatz zu Evina meisterten Enya und Rebecca ihre schulische Laufbahn mit Bravour. Überall, wo Evina kläglich versagte, zeigten die Basen wahre Talente, waren begeisterte und virtuose Klavierspielerinnen, gingen auf in der Gemeindearbeit und füllten dank ausgezeichneter Schulnoten, die vom Großvater mit Geldstücken honoriert wurden, ihre Schatztruhen. Ihrer Programmierung entsprechend gingen alle drei Mädchen ihren Weg. Ein Weg, der für alle Menschen unterschiedlich beschaffen war, der an verschiedene Tränken – aber letztendlich immer zurück zur Quelle führte.

Während die Cousinen fleißig und emsig mit ihren Begabungen unterwegs waren, genoss Evina vermehrt die meditative Stille bei Gartenarbeiten und Pflege der häuslichen Atmosphäre. Ihr Blick war immer öfter auf den Vater gerichtet, der seine Hingabe an Beruf und Gartenbewirtschaftung unter freiem Himmel so unverdrossen und wahrhaftig zu leben wusste. Evina spürte die Stille, die ihn umgab, wenn er im Frieden mit sich und der Welt seinen harten Küchenstuhl bewohnte und sein wacher Geist gegenwärtig durch die Scheibe der Terrassentür in die grüne Vielfalt der Natur schaute. Dieser wahrnehmbare Frieden, von dem sie jedes Mal so berührt wurde, stellte sich ein, wenn das Denken mit seinen unzähligen Erwartungen stillstand. Es dauerte allerdings noch viele Jahre, bis dieses Phänomen sich ihr am eigenen Leib offenbaren würde.

Gottes Wege schienen wahrlich unergründlich. Der Tag kam, an dem das früher schon einmal aufgekeimte Gefühl, die Schulbank zu verlassen, sich erneut Luft verschaffte und dann Realität wurde. Wegen schlechter Noten hatte Evina eine Klasse wiederholen müssen. Sie saßen an diesem Morgen beim Frühstück in froher Runde, als der Vulkan ausbrach. Lavaströmen gleich flossen Tränen aus Evinas Augen, liefen über die heißen Wangen in ihren feuerspeienden Mund. Einer Explosion gleich knallten entschiedene Worte in die verblüfften Gesichter der Eltern, die völlig überrumpelt von diesem gewaltigen Ausbruch augenblicklich den Ernst der Lage erkannten. So geschah es tatsächlich, dass der Familienrat beschloss, die schulische Laufbahn der Tochter zu beenden und eine Ausbildung zur Fremdsprachen-Sekretärin zu bewilligen. Endlich – unter das Thema Schule und Studium war ein dicker, fetter Schlussstrich gezogen worden, den sie wiederum dem Väterchen zu verdanken hatte. Vater, der sich nie von Noten und Zeugnissen hatte beeindrucken lassen und in der Vergangenheit oftmals betonte, dass jeder Mensch alles wahre Wissen bereits in sich trage und das Leben dazu diene, diese Geschenke in sich zu entdecken und auszupacken. Die liebe Mama fügte sich und begleitete Evina ohne Unterlass verständnis- und liebevoll auf ihrem Weg – getreu ihrem Motto: „Der Heiland wird’s schon richten!“

In der Privatschule, die Evina nun regelmäßig frequentierte, fühlte sie sich wohl. Das Lernpensum war gewaltig, aber dank der kleinen Schülergruppe, die sich untereinander prächtig verstand, floss es leicht und spielerisch in die Berufsanwärter ein. Mit wehendem Diplom in der Hand startete Evina ihre erste Bewerbung bei einer bekannten Mode-Marke und wurde auf Anhieb von der Exportabteilung eingestellt. Trotz körperlicher Erschöpfung brachte Evina ab jetzt gute Laune und am Ende des Monats ihr erstes, selbst verdientes Geld nach Hause. Zwischendurch frischte sie bei einem zweimonatigen Aufenthalt in der französischen Schweiz ihre Sprachkenntnisse auf – nicht ahnend, dass dieses Land für sie einmal Heimat werden würde.

Nach vier arbeitsintensiven, kurzweiligen Jahren packte Evina das Fernweh. Sie kündigte mit einem Tropfen Wehmut im Herzen ihre Stelle und zog mit zwei Freundinnen aus Hamburg und München, Christa und Lisa, als Au-pair nach London. Einundzwanzig Lenze jung pulsierte das Leben nun kräftig in ihren Adern. Hausarbeit, Schulbankdrücken, kulturelle und allerlei wilde Abenteuer bereicherten ihren Erfahrungsschatz, gestalteten sich ungestüm zu einem Spiel ohne Grenzen.

Kapitel II

Eric – Kindheit und Jugend

Zur gleichen Zeit, eine lange Wegstrecke entfernt Richtung Süden, reifte die andere Hälfte heran, die in einer späteren Lebensphase mit Evina ein Ganzes bilden würde. Das Land, in das dieser männliche Gegenpol auf dem Höhepunkt des grassierenden Zweiten Weltkrieges eingeboren worden war, lebte in vollkommenem Frieden mit der restlichen Welt – getreu dem am 1. August 1291 auf der Rütliwiese abgelegten Eid: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern.“ Es galt weithin als Oase, in der eine viersprachige Nation sich gemeinschaftlich gegen eine Involvierung in die von ein paar Machthungrigen in Gang gesetzte Vernichtungsmaschinerie entschieden hatte.

Wie Evina, so zögerte auch Eric, wie das Kind benannt wurde, in die Welt der materiell-energetischen Existenz einzutreten. Längst überfällig, folgte daher die Mutter dem Rat ihres Hausarztes, die Treppen im Haus rauf und runter zu hüpfen, und tatsächlich konnte der winzige Körper sich nicht mehr halten und rutschte – ein Sonntag war’s – durch den Geburtskanal geradewegs in ein Umfeld, das in damaligen Zeiten an Glanz kaum zu überbieten war. Der materielle Wohlstand präsentierte sich als herrschaftlicher Prachtbau, umrahmt von schmuckem Ziergehölz, und war in den weiß geschürzten Kinderfrauen ebenso sichtbar wie in der Ausstattung von Erics Schlafstatt.

Draußen vor den Türen der umliegenden Länder tobte der Krieg in seiner höllischsten Form und zeigte den Betroffenen seine wütigen Grimassen, die an den dicht verriegelten Grenzen des Garten Eden abprallten. Wo einst saftig grüne Rasenflächen und formvollendete Rabatten, mit duftig bunten Blumen und Gewächsen gefüllt, Üppigkeit und Reichtum erkennen ließen, breitete sich jetzt die Eintönigkeit aber Nützlichkeit groß angelegter Kartoffelfelder aus. Wie sonst hätte das ausgegrenzte Land der Berge, Seen und Wälder überleben können? Und schließlich lag es ja in der Tradition dieses neutralen Fleckens Heimat, sich zu bescheiden und sämtliche innewohnenden Kräfte zu mobilisieren, um an der Außenseiterposition nicht hungers sterben zu müssen. So stand auch das einzige Kriegserlebnis des Knaben Eric sinnbildlich für die Wahrnehmung eines ganzen Volkes – als er, ausgelöst durch den massiven Druck einer grenznahen Detonation, unverhofft vom „Töpfchen“ fiel.

Wohlbehütet wuchs Eric im Schoße seiner Weltenfamilie kräftig heran, betreut und begleitet von Kinderschwestern, die allen dreien, Edda, Maya, ganz besonders jedoch dem kleinen Eric, zu engen Vertrauten wurden. Eric, ein scheues und dennoch ungestümes und wissbegieriges Kind, das sich fröhlich durch sein Umfeld plapperte, Fragen über Fragen zu seiner Umgebung stellte und in seiner Beharrlichkeit, überzeugende Antworten zu erzwingen, unschlagbar blieb. Dieser Eric, dem so vieles nicht einleuchtete und der unter anderem nicht verstand, warum zur Schlafenszeit Lichter gelöscht und Türen verschlossen werden mussten. Ohne Unterlass forderte er Licht in sein Dunkel ein, ließ nicht locker in seinem kindlichen Aufbegehren, das man – als die Nerven zu zerreißen drohten – mit den Worten niederzustrecken versuchte, der „liebe Gott“ wolle das so. Man hätte eigentlich wissen müssen, dass der blonde Lockenschopf um keine Antwort verlegen war. Dennoch reagierten die Anwesenden überrascht, als der Satz: „Ich habe mit dem ‚lieben Gott‘ schon gesprochen und er hat ja gesagt“ durch den Raum in deren verblüffte Gesichter flog. Der „liebe Gott“ schien diesem kleinen Wissbegier ein recht vertrauter Kumpane zu sein. Von jetzt an dämmerte ein mattes Licht in der Bettnische von Erics Schlafgemach und erhellte nachts seine zarte Seele.

Seit frühester Kindheit setzten Regeln und Rituale den innerfamiliären Beziehungen Grenzen. Der Zugang zu Vater und Mutter war wie in Geschäften durch Öffnungszeiten reglementiert, die zeitweise und immer öfter von Eric boykottiert wurden. So geschah es eines Abends – eine illustre Gästeschar hatte sich zu einem glanzvollen Fest in den unteren Hallen eingefunden –, dass Eric von unbändiger Neugier getrieben die Gitterstäbe seines Kinderbetts gefahrlos überwand, sich unbemerkt in seinem Nachtkostüm unter die Abendgesellschaft mischte, das Podium eines herangezogenen Stuhls bestieg und einem sprachgewandten Könner gleich souverän seine erste Rede hielt. Zur köstlichen Erheiterung der Geladenen und Erschütterung der sprachlosen Eltern.

Die Phantasie dieses Knaben war grenzenlos. Er unternahm Versuch um Versuch, die Schreie seiner kleinen Kinderseele vernehmbar zu machen, sich Gehör zu verschaffen, um endlich wahrgenommen zu werden. Nach Aufmerksamkeit ringend ersann er – im Gleichklang mit seiner Schwester Maya – ein weiteres Spiel, das den Unmut der Familie hervorrief. In ihren Kinderbettchen stehend bewegten sich beide so heftig hin und her, bis die ganze Fracht an der gegenüberliegenden Wand zum Stillstand kam. Niemand hat je erfahren, ob Maya unbewusst aus Solidarität zum Bruder oder aus ähnlichen Gefühlen an diesem Spiel so tatkräftig mitwirkte. Eltern, Erzieher, aber auch Edda, die Älteste, waren völlig rat- und hilflos.

Es bleibt auf ewig ein unentschlüsseltes Geheimnis, wer letztendlich der Idee zum Durchbruch verhalf, jedenfalls landeten die Betten mit den beiden Unschuldsengeln befrachtet kurzerhand im tiefen Keller. So abgrundtief wie der Vollzug dieses Gedankens tat sich der neue Raum vor den Geschwistern auf. Und dann – endlich. Auf dem Höhepunkt dieses nächtlichen Spektakels, als die Hilferufe der kleinen Seelen die Seele der anderen doch noch berührten, setzte der herbeigeklingelte Arzt mit der Vergabe homöopathischer Globuli dem Spuk ein Ende.

Ähnlich wie bei Evina gestaltete sich die Schulzeit bei Eric äußerst schwierig. Eric, so hatte es immer geheißen, Eric, dieses besondere Geschöpf, sollte später einmal etwas werden. Groß und berühmt wie sein Vater, dessen Bild Eric in seinen kindlich formulierten Nachtgebeten stets hochgehalten hatte, indem er vor dem „Amen“ einen Satz anfügte, der da lautete: „Lieber Gott, ich bin ein Christ, mach mich, wie mein Papi ist!“

Spielkameraden waren rar, die Räume zum Tollen und Toben begrenzt, jedes noch so kleine Vergnügen gab ausschließlich die Familie her und selbst Ferientage hoben die Beschränkungen durch gesittetes, artiges Benehmen nicht auf. Eric hatte keine Wahl. Wollte er die Anerkennung und Aufmerksamkeit seiner Eltern bewahren, das ahnte er, musste er sein ganzes Wirken, seine Kraft, auf Lernen und Leistung ausrichten. Nur diese Anpassung garantierte ihm häuslichen Frieden, traute Momente mit der verehrten Mutter und kurze Augenblicke der Beachtung seitens des so weit entrückten Vaters.

Fragen wir einmal, was der Alte aus den Bergen zur Institution Familie generell zu sagen hat:

„Willkommen im Reich der Unendlichkeit, im Weltenmeer der Einen Energie – willkommen ihr alle, die ihr euch auf der Suche nach dem vergessenen Schatz des Friedens und der Freude verloren habt in den Irrungen und Wirrungen eurer Gedanken.

In eurer dualen Welt sind Beziehungen im Allgemeinen wie auch inner- und außerhalb von ‚Familie‘ im gegenseitigen Wechselspiel untereinander von polaren Gegensätzlichkeiten geprägt. Die Frau bedingt den Mann, der Tag die Nacht, das Gute das Böse, die Lust das Leid. Nichts anderes kann auf der Oberfläche eurer Existenz wahrgenommen werden. Die Erscheinungsform der Familie, der Gruppe, die Zusammengehörigkeit, die Einheit, bedingt gleichsam die Individualität, das Alleinsein, das Getrenntsein vom Ganzen. Das eine bedingt das andere – so scheint es. Und doch, bei genauerem Hinschauen, unter dem Deckmantel eurer Gedanken, hat der Himmel, das All-Eine, in den entlegensten Winkel eures Herzens die Essenz seines Bewusstseins hineingelegt, des ‚Einen‘ Bewusstseins, das nicht trennt, sondern eint. ‚Familie‘, ein Gruppenverbund, einst die natürlichste Daseinsform für neues Leben, formiert, um es zu nähren, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf dessen Bedürfnisse zu richten, es liebevoll anzuleiten für die Welt draußen vor der Tür – und dann die Schubkraft des All-Einen wirken und geschehen zu lassen hin zum angstfreien, selbstbewussten Flug durch die Gezeiten.

‚Familie‘, eine heute von euch durch Denken ersonnene Unternehmensform, die vorgibt, Leben selbst erschaffen und darüber verfügen zu können, eine Einrichtung, die neues Leben in seiner wahren Größe missachtet und beschränkt, weil die echten Bedürfnisse verkannt werden.

So wie das Tierreich und unberührte Urvölker – einer natürlichen Wahrnehmung folgend – die Urkraft, die göttliche Energie, gedankenfrei fließen und wirken lassen, so ist Familie in ihrer ursprünglichen Daseinsform der gesunde Nährboden, der sprudelnde Quell schöpferischer Kreativität für Groß und Klein.

Durch alle Evolutionen hindurch hat sich der Mensch durch Denkstrukturen immer weiter und immer mehr von der ihm innewohnenden Urkraft entfernt. Abgeschnitten von seinem wahren Selbst, von der einzigen Wirklichkeit, vom ‚Dein Wille geschehe‘, sich seiner göttlichen Essenz klar nicht mehr bewusst, geben ihm seine aus der Erinnerung geborenen Gedanken vor, ‚Macher‘ seines Lebens und ‚Macher‘ seiner Nachkommen zu sein, denen er – je nach Gedankenkonzept – seine eigene Prägung aufsetzen will. In diesem Wahn sind Menschen sich nicht mehr bewusst, dass neues Leben von ihnen nicht geschöpft werden, sondern einzig durch sie Einzug halten kann in die Welt der Materie. Die Versuche, anderen gleich zu werden oder einem Ideal zu entsprechen, sind Vorstellungen in ihren Hirnen und werden langfristig zu großen Konflikten führen.

Alle Zeichen stehen auf Zerfall. Sich des wahren Inhalts ihres Geschenkpakets Kind nicht mehr bewusst, übergibt das Naturreservat Familie alle Macht in fremde Hände, schenkt sich nicht einmal mehr die Liebe, die Freude, dieses wunderbare Geschenk in seiner reinsten Form auszupacken.

Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne – und nähme doch Schaden an seiner Seele1. Das herauszufinden wird euer Abenteuer Leben in bewusste Bahnen lenken. Die Angst zu leben, die Angst zu sterben, Geburt und Tod – alles Gegensätze in eurer Welt der Dualität. Ihr ängstigt euch um eure Familie, Angst hier, Angst dort, angstvoll lasst ihr euch leben, treiben auf der Oberfläche der von eurem falschen Selbst kreierten Angst einflößenden Gedanken.

1 Markus, Kapitel 8, Vers 36

Warum nicht einfach der Angst direkt ins Auge sehen? Bewusst wahrnehmen, was ist. Lasst euch durchtränken von den heilenden Wassern des Augenblicks, die euch mit Frieden und Daseinsfreude umspülen. Gottes Brünnlein hat Wasser die Fülle, wenn ihr euch dem, was ist, ergebt. Mit diesem Urvertrauen geht ihr über die Grenzen eurer familiären Bande hinaus, werdet ihr euch in euren Kindern, in allen Formen wiedererkennen.“

Die Stürme des Krieges hatten nachgelassen. Draußen vor der Tür und innerhalb des familiären Regimes beruhigte sich die Lage. Die Menschen beeilten sich, Versäumtes nachzuholen, die Zeit der Angst und der Entbehrungen gänzlich zu vergessen und nun tatkräftig wieder mit frischem Potential voranzuschreiten. Die Epoche der materiellen Errungenschaften war geboren.

Eric und sein Vater indessen gerieten zusehends aneinander. Bislang war es Eric nicht gelungen, den Vorstellungen des Vaters zu entsprechen, und gleichermaßen war auch die Sehnsucht des Jungen in Bezug auf das väterliche Erbarmen ungestillt geblieben. Das pubertierende Kind schlüpfte vermehrt unter die weiten Röcke der Mutter, deren Einfluss auf die Tatsache, dass Eric in den Augen des Familienoberhauptes nicht reüssierte, so gering zu sein schien wie der von Mäusen auf die Katze. Eine Lösung bahnte sich an, als der Patriarch entschied, die Aufnahmebereitschaft von Wissen gezielt zu maximieren und den Sohn in speziell dafür ausgebildete Hände zu geben. Ein geeignetes Institut war schnell gefunden. Koffer wurden gepackt und mitsamt dem Knaben und dessen Tränen per Chauffeur in die Weiten der Bergwelt verschickt.

Nichts – außer der äußeren Situation – änderte sich. Erics Tränen schmeckten nach wie vor salzig, die Angst zu versagen saß ihm immer noch im Nacken. Auch die Gitterstäbe, die den Raum begrenzten, der ihn gefangen hielt, waren noch da, einfach neu besetzt durch Personen – sogenannte wandelnde Lexika –, die seinen Unverstand für die aussichtslose Lage zusätzlich verstärkten. Die Briefe, die in kurzen Abständen ins elterliche Haus flatterten, waren konserviert vom Salz seiner Tränen, und die darin formulierten Hilferufe ließen die nicht zu leugnende seelische Not erkennen. Es dauerte noch eine Weile, bis der Hitzegrad, der Stahl zum Schmelzen bringt, erreicht war. Vielleicht war es das Herz der Mutter, das – in pulsierendem Rhythmus mit dem des Sohnes – das Herz des Vaters erreichte und erweichte, sodass der sich schließlich und endlich geschlagen gab und Erics Rückführung in vertraute Gefilde veranlasste.

Freude herrschte, als die Limousine mit aller Bagage im Hof einfuhr, die kostbare Fracht entlud und Eric sich selig in die offenen Arme von Edda, der Ältesten, stürzen durfte. Die seit Langem unter den Geschwistern schwelenden Dämpfe des Mitgefühls und der Liebe nahmen Form an und würden bis zum Lebensende nicht mehr versiegen. Mit dieser Liebe, von unzähligen Dichtern als Himmelsmacht besungen, erblühte die Seele, die ab jetzt Wunder um Wunder auf Erics Lebensweg streute. Wundersam spektakulär prangten alsbald die Noten auf dem Maturazeugnis, wundersam spärlich in Worte gehüllt drang des Vaters Lob an des Sohnes Ohr.

Die erste große Hürde war geschafft – die zweite bereits sichtbar am Horizont. Gerade wollte Eric Anlauf nehmen, das nächste Hindernis zu überspringen, da legte ihm der Himmel unverhofft ein weiteres Geschenk vor die Füße. Eine süße Zeit des Nichtstuns auf des Meeres und der Liebe Wellen breitete sich einen Sommer lang vor ihm aus. Die unbändige Kraft des Wassers, die frische Brise der Luft, die wärmenden Strahlen der Sonne inmitten freiheitlicher Ausgelassenheit junger Menschen – noch nie hatte sich das Leben von einer so hochprozentigen Schokoladenseite gezeigt, die den Tank der Freude in seinem Herzen nahezu überquellen ließ. Die unsägliche Lust, mit der er unbekanntes Territorium erforschte, erstarkte das Blut in seinen Adern und den Glauben an sich selbst. Ganz zart wie eine sich öffnende Blume reiften in ihm eine nie gekannte Kraft und Klarheit heran, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und sie so anzunehmen, wie sie sich ihm präsentieren würden.

Der Ernst des Lebens machte vor ihm keinen Halt, doch Ernst wurde nicht mehr so ernst genommen. Selbst die Rekrutenschule und der Beginn des anstehenden Studiums konnten ihm keine Angst mehr einflößen. Sogar den Wechsel vom Fach Kunstgeschichte nach nur zwei Semestern ins Ressort der Juristerei, diesen Wunsch seiner Eltern, nahm er widerstandslos entgegen.

Edda, die enge Vertraute, die liebende und geliebte Schwester, zentrierte sich als ruhender Pol und verlässliche Gefährtin, die mit Eric durch dick und dünn watete. Ohne besondere Zwischenfälle flossen die Jahre dahin. Die Universität blieb – wie das sonntägliche Ausflugsziel Kirche – für Eric ein Ort des Grauens, den er mit Siebenmeilenstiefeln nach Beendigung der Vorlesungen verließ, um sich, zuhause angekommen, mittels eines heißen Vollbads und einer harten Bürste die maskierten Fratzen und Dämonen seiner Seele von der Haut zu schrubben. Äußerlich reingewaschen vom Quell des Lebens nahm er frisch und fromm erneut im Auditorium Platz.

Das Tempo, das Eric vorgab, erstaunte die Reihen. Den Orden eines „Licentiatus Iurisprudentiae“ auf der Brust legte er meisterlich sämtliche Prüfungen ab und setzte dem Ganzen die Krone und sich selbst im Eilverfahren noch den Hut eines „Doctor Iuris“ auf. Es war vollbracht. Früher als erwartet. Vollgepackt mit Sprach- und Rechtswissen, Neugier und gute Laune im Gepäck, das Schwert des Samurais im Gürtel, Nippons Fahne in der Hand stürmte er schnurstracks ins Kirschblütenland. Eine neue, freiheitliche Ära konnte beginnen.