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Die Cesaren
Wir schreiben das 12. Jahrhundert nach Christi. Fast die ganze Erde wurde vom Römischen Imperium erobert. In der Ewigen Stadt herrscht der Cesar Aticus. Zur Sicherung seiner Macht dienen ihm fliegende Drohnen und menschenähnliche Roboter ...
Moment mal - im 12. Jahrhundert? Wie kann das sein? Liegt die Lösung des Rätsels vielleicht in dem geheimen Helfer des Cesaren, einer hochgewachsenen, orangefarbenen Gestalt mit Tentakeln am Kopf? Und wie würde die reagieren, wenn Rom aus dem Weltreich herausgestanzt und auf eine postapokalyptische Erde versetzt würde?
Teil 1 eines Doppelbandes
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Seitenzahl: 156
Cover
Impressum
Was bisher geschah …
Die Cesaren
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Lektorat: Michael Schönenbröcher
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
Autor: Jana Paragidi und Ramon M. Randle
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8400-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, „Maddrax“ genannt, dessen Staffel durch einen Zeitstrahl vom Mars ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde. Bis sie durch ein Wurmloch in ein Ringplanetensystem versetzt werden, während der Mond auf die Erde zu stürzen droht. Matt findet Hilfe und Verbündete, und die Rettung gelingt in letzter Sekunde – aber sie hinterlässt Spuren: Areale aus verschiedenen Parallelwelten tauchen plötzlich auf der Erde auf …
Matt und Aruula wissen nicht, was bei dem Wurmloch-Unfall geschah; nur, dass der Mond wieder in seinem alten Orbit ist. Vom Untergang der Kasynari im Ringplaneten-System ahnen sie nichts, und dass Colonel Aran Kormak mit seiner Flucht durch das Wurmloch zur Erde die Katastrophe ausgelöst hat. Sie entdecken fünfzig Kilometer durchmessende Areale von Parallel-Erden, die von einer hohen Dornenhecke umgeben sind, die offenbar die Vermischung beider Welten eindämmen soll! Im ersten erschien die von Dampfmaschinen und dem Britischen Empire bestimmte Stadt Lancaster, im zweiten eine Metropole, in der die Nachfahren der Dinosaurier leben. Im dritten herrscht die Inquisition des Vatikans über Berlin. Doch was hat diese Versetzungen ausgelöst, und kann man sie rückgängig machen? Im Zentrum der Areale scheint es eine Verbindung beider Universen zu geben, die sporadisch „flackert“.
Ein Transfer gleich nach dem Wurmloch-Kollaps blieb indes unbemerkt: Das Königreich Agartha wurde in eine Parallelwelt versetzt, in der eine Art Zombie-Virus wütet. Dort wird es zur letzten Bastion der Nichtinfizierten, ist aber für die „MX-Welt“ verloren.
Um weitere Areale aufzuspüren, nutzen Matt & Co. ein im Erdorbit installiertes Satelliten-Netzwerk, das plötzlich auftauchende Polarlichter über dem Ort der Versetzung anzeigen kann. Dabei sind sie mit einem Gleiter des Androiden Miki Takeo unterwegs und können so den Pflanzenwall überwinden. So auch in Yucatán, wo die Sauroiden bereits auf Ex-Technos gestoßen sind und ein Krieg droht. Als ihre Friedensmission zu scheitern droht, findet Aruula telepathischen Kontakt zu dem Szousss Ydiel und kann mit seiner Hilfe vermitteln. Als endlich Frieden herrscht, will Ydiel die Gefährten bei ihrer Reise begleiten. Die führt – nach einem besorgten Funkruf aus dem Hort des Wissens – nach Schottland, wo sie einem Techno-Paten das Geschäft mit dem Zeitstrahl verderben und selbst hineingeraten, wodurch ihre Zellalterung wieder gehemmt wird.
Nur knapp verpasst Colonel Kormak in Yukatán ihren Abflug. Aber er belauschte Matt über Funk, erfuhr so von Takeos Gleiterfabrik bei Sub’Sisco, und es gelingt ihm, sich dort undercover einzuschleichen und einen Gleiter zu stehlen.
Die Cesaren
von Jana Paradigi und Ramon M. Randle
Die Rauchbombe explodierte auf den Stufen des Palasteingangs und verbarg für einige Augenblicke die vermummte Gestalt vor den Augen der Verfolger. Dennoch setzten die Leibwächter des Amerikanischen Kaisers dem Dieb mit unvermindertem Tempo nach. Sie stürmten blindlings den Paradesteg entlang, die zahllosen Treppen hinunter und weiter über die Brücke und den Pfad, der zu den Mohnplantagen im Osten führte. Immer wieder schossen sie, doch der Rauch erschwerte das Zielen.
Dann die Chance! Für einen Augenblick verhielt der vermummte Dieb. Ein weiterer Schuss riss ihm die Kapuze zurück und enthüllte … ein Monstrum! Die Gestalt mit den Kopffühlern machte einen Schritt zur Seite – und war im nächsten Moment verschwunden.
In der Domäne, Jahr 920.833
Der junge Archivar mit der Kennung │┤╟│┼║▌│ wartete auf der Portal-Ebene, um seinen Tutor in Empfang zu nehmen. Eine Aufgabe, die außerordentlich viel Geduld verlangte.
Im zeitlosen Raum war das Konzept von Geduld eine der drei höchsten Tugenden. Man lernte dabei nicht etwa, auf etwas oder jemanden zu warten, sondern sich und alles andere vollkommen zu vergessen. Ein Sein ohne Ziel. Ein Punkt im Universum, der weder Anfang noch Ende für sich in Anspruch nahm, auch wenn das Außen dies von ihm üblicherweise erwartete und ihn darüber sogar definierte. Ein Widerspruch, der sich in diesem Zustand nur mehr wie ein fernes Ziehen anfühlte.
Für den Adepten war solcherlei Übung keine wirkliche Herausforderung mehr. Er konnte mit Leichtigkeit in diesem Zustand ausharren. Die Schwierigkeit lag darin, sich aus dieser totalen Passivität wieder zurück in den aktiven Zustand zu versetzen. Und das wünschenswerterweise von einem Moment auf den anderen.
│┤╟│┼║▌│, der sich selbst am liebsten Karanor Blyzz nannte – viele Archivare benutzten statt ihrer Kennung den Namen, mit dem sie sich auf ihrer ersten Portalreise benannt hatten – fühlte die Energie kommen, bevor sie zu sehen war. Das Portal lud sich auf, öffnete sich und spuckte seinen Tutor aus, gerade als sich Blyzz wieder auf das Hier und Jetzt fokussiert hatte.
Der ältere, großgewachsene Archivar in seinem weiten schwarzen Umhang schnaufte schwer. Doch sein Gesichtsausdruck unter der übergroßen Kapuze ließ bereits erahnen, dass die Mission ein Erfolg gewesen war.
„Seid Ihr unbeschadet?“, fragte Blyzz und bot routiniert seinen Arm als Stütze an.
„Das bin ich. Und das Artefakt ist es auch“, erwiderte der Archivar und zog mit selbstzufriedener Miene den Sicherungsbehälter unter dem Umhang hervor.
„Ward Ihr rechtzeitig genug in Raum und Zeit, um die Welt in ihrem dortigen Bestehen zu erhalten?“, hakte Blyzz förmlich nach, um das Reiseprotokoll für seinen Meister ausfüllen zu können, wie es sich für einen gewissenhaften Adepten gehörte.
„Die Dimensionsfugen waren schmal und die Umstände mehr als widrig“, antwortete sein Tutor. „Dennoch habe ich eine Chance gesehen und sie ergriffen. Der Anführer dieser Paralleldimension hatte den wahren Nutzen des Artefakts noch nicht in seiner Gänze erfasst. Ich konnte mir sein Vertrauen sichern. So sehr, dass er mir im Gegenzug seine wertvollsten Schätze präsentieren wollte.“
Karanor Blyzz leckte sich aufgeregt die harte Oberlippenkante, während seine Kopffühler erwartungsvoll zuckten. „Und war es wirklich ein Armageddon-Bumerang, wie vermutet? Oder doch nur ein Artefakt der Mittelklasse, das uns in seiner Signalfärbung getäuscht hat?“
Der Armageddon-Bumerang wurde von den meisten Bewohnern der Domäne für eine Legende gehalten, obwohl es im Wissensdom durchaus Aufzeichnungen darüber gab. Die Zeichnung, die Blyzz in Erinnerung hatte, zeigte das Artefakt als eine kleine technische Apparatur, sichelförmig auf der Oberseite und kaum handtellergroß, aber mit einer Zerstörungskraft, die angeblich eine ganze Welt auslöschen konnte.
In einigen der weniger belegten Beschreibungen hieß es sogar, die Apparatur besäße ein eigenes Bewusstsein und würde sich nach dem Aussenden der apokalyptischen Welle in eine zufällige andere Dimension katapultieren, um dort ihr tödliches Werk fortzuführen. Doch daran mochte der junge Archivar nicht recht glauben.
Begierig streckte Blyzz die Hand nach dem Schutzbehälter aus, doch sein Tutor zog die Hand zurück und verstaute den Kasten erneut unter seinen Umhang. „In der Tat handelt es sich um ein gefährliches Stück Technik, auch wenn die Funktionsweise in den alten Aufzeichnungen übertrieben dargestellt wurde.“
Blyzz seufzte unterdrückt und schob seine übereifrig vorgestreckte Hand in die Ärmelöffnung der anderen, fasste sein Handgelenk und ließ die Arme sinken. „Also bringen wir es ins Riskarium?“ Er war darum bemüht, dass seine Stimme nicht vor Aufregung zitterte. Denn nun würde sich entscheiden, worauf er seit langem hoffe. Seit dem ersten Verdacht, der ihm gegenüber seinem Meister gekommen war.
Im Riskarium wurden üblicherweise gefährliche Gegenstände und Geräte aus eigener Herstellung und aus den Parallelwelten gelagert: ein Sammelsurium aus Tausenden von Artefakten, die dort genauestens katalogisiert und sorgsam behütet aufbewahrt wurden. Aber wenn er richtig lag, würde sein Tutor das Artefakt dort eben nicht einlagern.
Blyzz legte die Kopffühler untergeben auf die Schädeldecke und harrte stumm der Entscheidung seines Lehrers. Und tatsächlich:
„Aufgrund des nach meiner Analyse überaus großen Vernichtungspotentials, gepaart mit einer unkomplizierten Bedienung, habe ich das Artefakt als ‚besonders gefährlich‘ eingestuft. Deshalb werden wir es in der Demolekularkammer zerstören, wie es das Protokoll in solchen Fällen vorschreibt.“ Der Ton des Tutors war nüchtern belehrend. Doch nach einem weiteren gestrengen Blick fügte er etwas milder hinzu: „Du kannst dich also zumindest auf ein kleines Feuerwerk freuen.“
Karanor Blyzz lächelte, auch wenn ihm nicht danach zumute war. Der nächste Schritt würde entscheidend für sein weiteres Vorgehen sein. „Darf ich den Behälter dann vielleicht bis zur Kammer tragen?“
Blyzz konnte förmlich spüren, wie sich der Unmut seines Tutors über ihm zusammenballte. Doch zu seiner Erleichterung willigte der Meister ein, zog den Behälter unter seinem Umhang hervor und übergab ihn ihm.
Blyzz straffte die Schultern und schritt voran, während er die Box in seinen Händen wog. Auf diese Gelegenheit hatte er gelauert, gehofft und sich davor gefürchtet.
Er hatte Ewigkeiten in seinem Zimmer damit verbracht, einen Behälter wie diesen mit verschiedenen Inhalten in der Hand zu wiegen, um sein Gewicht abschätzen zu können. Diese Box hier fühlte sich nicht schwerer an als im leeren Zustand. So, als wäre rein gar nichts enthalten.
Dem jungen Archivar stockte unwillkürlich der Atem, als er seinen Verdacht bestätigt sah. Er versuchte sich zu konzentrieren, obwohl ihm das Blut in den Kopf schoss und in rasendem Takt in seinem Ohr pochte.
Natürlich gab es auch Artefakte, deren Eigengewicht bei null lag – aber die waren extrem selten. Auch war es möglich, dass ihm seine Aufregung jetzt etwas vorgaukelte – einfach, um ihn in seinem Verdacht zu bestärken. Weil er ansonsten viel zu lange schon einem Irrtum aufgesessen wäre, sich etwas eingebildet hätte, vielleicht aus dem unreifen Wunsch heraus, gegen seinen Meister rebellieren zu müssen.
Andererseits würde die Verifizierung dieser Erkenntnis auch für ihn Unliebsames mit sich bringen. Er würde seinen Lehrmeister verlieren. Wenn sich bewahrheiten sollte, dass sein Tutor besonders gefährliche Artefakte entgegen des Sicherheitsprotokolls einbehielt und nur zum Schein eine leere Box vernichtete.
Und dann standen sie vor dem Demolekulator. Und sein Tutor wartete darauf, dass er den Behälter in die Schublade legte und den Initialisierungsknopf drückte.
Blyzz zögerte. Er müsste die Box jetzt öffnen und hineinschauen, um seinen Verdacht zu bestätigen – doch er fürchtete sich vor den Konsequenzen. Er würde sich vorzeitig verraten. Was, wenn sein Misstrauen unbegründet war?
Wie von fremder Hand gesteuert, startete er stattdessen den Vernichtungsprozess.
Ein automatischer Schieber beförderte das Fach samt Inhalt in einen kugelförmigen Ofen – das Herzstück des Apparates. Durch ein Bullauge konnten die Archivare mitverfolgen, wie das Innere der Kammer zu glühen begann. Verschiedene Stoffe wurden über armdicke Röhren eingeleitet. Gelbe Flammen färbten sich blau, dann violett und schließlich grellweiß. Ein dumpfer Schlag ertönte. Nebel füllte explosionsartig das Innere.
Dann war es vorbei. Das Licht erlosch, die Maschine fuhr herunter und die Reste des Artefakts inklusive Behälter wurden abgesaugt.
Und noch immer hatte Blyzz keine Gewissheit. Er musste jetzt dranbleiben. Wenn sein Tutor das Artefakt entnommen hatte, würde er es in ein Versteck bringen. Eine Kammer voller unterschlagener Artefakte – das war es, was er als Beweis brauchte.
„Was starrst du weiter ins Dunkel? Träumst du?“, fragte der ältere Archivar. „Geh nach Hause und melde dich erst wieder bei mir, wenn du wieder ganz bei der Sache bist.“
Verdammt! Karanor Blyzz hätte sich für so viel Dummheit am liebsten selbst geohrfeigt. Wie sollte er seinen Meister überführen, wenn er jetzt nicht in seiner Nähe bleiben konnte?
Zerknirscht verließ er die Demolekularkammer und begab sich zum Schein auf den Weg zu den Adepten-Sälen. Doch bei der ersten Gelegenheit drückte er sich in eine Nische und wartete mit klopfendem Herzen. Wenige Augenblicke später eilte sein Tutor nichtsahnend an ihm vorbei und Blyzz folgte ihm.
Das Ziel war ganz offenbar sein privates Wohnareal. Dies eröffnete ein weiteres Problem: Wie sollte er seinem Meister ungesehen dort hinein folgen?
Der alte Archivar verschwand in seiner Kammer, die Tür schloss sich und Karanor Blyzz blieb unschlüssig davor zurück. Wenn sein Meister das Artefakt gestohlen hatte, dann konnte es nur mit ihm in diesem Zimmer sein. Doch dieses Wenn wog schwerer als jeder Schutzbehälter.
Mittelmeer, Erde
Quart’ol glitt mit kräftigen Beinschlägen durch das Wasser und ließ die Luft entspannt durch seine Kiemen strömen. Es tat so gut, wieder in seiner Welt zu sein: auf der Erde und umhüllt vom endlosen Meer, den bekannten salzigen Geschmack auf den Lippen und unter sich ein Sammelsurium aus Pflanzen und Tieren, die hier im Bereich der Adria heimisch waren.
Als er sich dem Festland im Osten Richtung Rooma näherte, tauchten bunt bewachsene Korallenriffe auf. So sauber und klar war das Meer; ein wahrhaftiges Paradies! Und genau deshalb hatte Quart’ol sich dieses Fleckchen auch als Rückzugsort ausgewählt.
Natürlich war er wie die anderen heilfroh, dass all die Mühen letztendlich Erfolg gehabt hatten: Die Erde war gerettet und der Mond dazu. Es war eine nervenaufreibende und kräftezehrende Zeit gewesen. Als er im Nachgang mit Miki Takeo in PROTO gesessen hatte, um den Mehrzweckpanzer nach Sub’Sisco zu bringen, war ihm schier die sprichwörtliche Decke auf den Kopf gefallen. Er hatte das Gefühl gehabt, ausbrechen zu müssen, sich freizuschwimmen von all den düsteren Erinnerungen.
Doch die Pflicht hatte Vorrang gehabt. Wie mit Matt vereinbart, war er von Sub’Sisco weiter nach Vernon gereist, der Hauptstadt des Sieben-Städte-Bundes und Sitz des HydRats. Er hatte der Obersten ausführlich von den Geschehnissen rund um die Mondrettung und den Vorfall mit dem Flächenräumer berichtet und sich persönlich versichert, dass auch in der Welt der Hydriten alles wieder in Ordnung war. Zumindest, soweit es sich zu diesem Zeitpunkt sagen ließ.
Dann endlich war er frei gewesen.
Von der britanischen Küste aus hatte es nur mehr einer Tagesreise über das Transportröhren-System bedurft, um nach Corallblu zu kommen – ein kleiner idyllischer Außenposten, den Quart’ol aus alten Zeiten kannte. Das perfekte Ziel, um endlich Abstand zu gewinnen und durchzuatmen. Und das tat er seither in vollen Zügen.
Vergnügt ließ er sich von der Strömung mitziehen, jagte den Fischen hinterher und wollte gerade tiefer hinab zu einem der Korallenriffe tauchen, als ihn eine unerwartete Unterwasserwelle ins Trudeln brachte. Der darauf folgende Sog war so stark, dass Quart’ol unfreiwillig mehrere Purzelbäume vorwärts machte.
Sofort spreizte er seine Kopfflosse und suchte mit Händen und Beinen Balance. Doch erst hundert Meter hinter dem Riff schaffte er es, sich zu fangen und in großem Bogen zurück zu der ungefähren Stelle zu schwimmen, an der es passiert war.
Er suchte nach einem Auslöser, Spuren eines Erdbebens, Hinweise auf ein abgebrochenes Stück Fels. Doch die Ursache musste außerhalb seines Sichtfeldes liegen. Denn das Einzige, was er am Grund des Meeres sah, waren sich schlängelnde Algenranken, die in die Höhe wuchsen.
Er wusste, es gab etliche Vulkankrater in diesem Teil des Kontinents, sowohl an Land als auch unter Wasser. Normalerweise hätte er also nicht weiter darüber nachgedacht und wäre seines Weges geschwommen. Doch sein inneres Alarmsystem schlug an, ohne dass es äußerlich einen Anlass dafür gab.
Irgendetwas fühlte er. Eine Vibration. Und offenbar war er nicht der Einzige. Die Bewohner des eben noch bunten Riffs zogen sich reflexartig in ihre Häuschen, Höhlen und Korallenköcher zurück. Fischschwärme schossen in gerader Linie nach Westen davon, instinktiv fort von der unsichtbaren Gefahr.
Der Hydrit sah sich besorgt um. Lauerte im trüben Dunkel am Meeresboden ein Feind? Mit langsamen Schwimmbewegungen umkreiste er das Areal. Immer noch zerrte dieser Sog an ihm, wenn er dem Küstenbereich im Osten zu nahe kam. Zusätzlich wirbelte jetzt Sand auf und trübte die Sicht. Auch das hätte Quart’ol noch als natürliches Phänomen abtun können, wenn sich nicht diese unsichtbare Grenze gezeigt hätte. Es sah aus, als wäre eine gigantische Glasscheibe ins Meer gesteckt worden. Ein durchsichtiges Hindernis, an dem die Sandkörner nicht vorbeikonnten.
Der Hydrit tastete vorsichtig mit der Hand. Doch da war nichts. Keine Energiebarriere, wie er sie auf dem Mars kennengelernt hatte. Es war das Wasser selbst, das so seltsam reagierte. Es strömte an der Grenzkante zu beiden Seiten, statt dem Gezeitenfluss zu folgen. Konnte das durch einen ähnlichen Effekt wie in Lancaster ausgelöst worden sein? War dies eine weitere Spielart einer Weltenverschiebung?
Höchst beunruhigt schwamm Quart’ol auf dem schnellsten Weg zurück nach Corallblu. Von dort mochte es die Möglichkeit geben, mit Maddrax Kontakt aufzunehmen. Er musste ihm davon erzählen und hören, ob er zusammen mit Aruula in der Zwischenzeit weitere Informationen über diese Phänomene gesammelt hatte.
Zurück im Außenposten, gab sich Quart’ol so entspannt wie möglich. Er wollte auf keinen Fall aus einem Schlammwurm einen Riesenaal machen. Zumindest, bis er das Ganze näher geprüft hatte. Dafür würde er allerdings ein Team und Ausrüstung benötigen.
Eine Zwickmühle. Wenn er den Leitern von Corallblu mitteilte, dass vielleicht ein Stück Parallelwelt dicht bei der Station aufgetaucht war, würde das ganz sicher Furcht und Hektik auslösen. Aber es zu ignorieren war für Quart’ol ebenfalls keine Option.
In der großen Halle suchte er den Informationsschalter auf, der mit einer älteren Hydritin mit erschlaffter Kopfflosse und ausgemergelten Gesichtszügen besetzt war. Ihre fröhlich funkelnden Augen ließen erahnen, dass sie einmal ein hübsches, abenteuerlustiges Ding gewesen war. „Wie kann ich helfen?“, fragte sie, als Quart’ol nähertrat.
„Mein Name ist Quart’ol“, stellte er sich vor und fragte frei heraus. „Ich wüsste gern, ob es in Corallblu eine Funkstation gibt, über die man einen Empfänger auf der Oberfläche erreichen kann.“
Die Hydritin blinzelte sichtlich überrascht. „Diese Möglichkeit besteht theoretisch, auch wenn deine Frage ungewöhnlich ist. Wende dich im Medienzentrum an Orto’fang; er ist für die Kommunikation zuständig und müsste dir helfen können.“
Nach einigem Herumfragen fand Quart’ol den Hydriten in einem abgelegenen Bereich des Zentrums. Seine in einem Halbkreis platzierten Monitore zeigten die Unterwasserwelt rund um die Station – unter anderem auch eine Antenne, die offenbar zu Forschungszwecken errichtet worden war. Hier war er auf jeden Fall richtig.
Der blassblau geschuppte Hydrit drehte sich schwungvoll zu ihm herum und grinste. „Du bist Quart’ol, hm? Miss’il hat mich vorgewarnt. Du interessierst dich für die Funkanlage?“
„Ich muss einen Freund erreichen, der mit einem Fluggerät auf der Oberfläche unterwegs ist“, sagte Quart’ol. „Maddrax. Vielleicht hast du seinen Namen schon gehört.“
Orto’fang bedeutete Quart’ol, näher heran zu schwimmen. „Maddrax, hm?“, brummte er. „In der Tat, der Name ist mir geläufig. Ein Mensch, richtig?“
Quart’ol nickte. „Einer der wenigen Freunde der Hydriten unter den Oberflächenbewohnern.“ Er erklärte in knappen Sätzen, worum es ihm ging, ohne den Grund für das Gespräch zu nennen.
Orto’fang schwamm zu einem chaotisch wirkenden Schaltpult aus bionetischem Material, drückte einige Knöpfe und legte ein paar Schalter um, bis die Leuchtdioden auf der Tafel von Rot zu Grün wechselten. Dann reichte er Quart’ol ein Headset. „Hast du die Kennung und Frequenz des Adressaten? Das würde unsere Chancen erheblich erhöhen.“
„Leider nicht. Sie könnten buchstäblich überall sein.“