Mina Moningham - Die Allianz der Neun - Jana Paradigi - E-Book

Mina Moningham - Die Allianz der Neun E-Book

Jana Paradigi

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Beschreibung

Das Schulhaus am Ende der Galaxis erstrahlt in neuem Glanz und Mina merkt schnell, dass die Magie auf sie abfärbt. Damit umzugehen, ohne das Haus oder gar die Gäste in die Luft zu sprengen, ist allerdings schwerer als gedacht. Und das soll nicht das Einzige bleiben, das Minas Leben mal wieder auf den Kopf stellt! Die Portale sind offen und Gäste strömen ins Schulhaus, um die skurrilsten Streitigkeiten zu schlichten, Vorträge von galaktischer Relevanz zu halten oder Hilfe in den verzwicktesten Angelegenheiten zu suchen. Während Mina daran arbeitet, das alles unter einen Hut zu bekommen, schmiedet die Allianz der Neun zusammen mit dem Verein für Pflanzenexoten weiter Pläne. Als sogar ein Anschlag auf Minas neue Familie verübt wird, muss sie sich einmal mehr fragen, wer ihre wahren Verbündeten sind. »Die Allianz der Neun« ist der zweite Teil der »Mina Moningham«-Buchreihe und gleichzeitig ein in sich abgeschlossenes, fantastisches Abenteuer. Jana Paradigi versteht es, in ihrem Cozy-Urban-Fantasyroman die Lesenden von der ersten Seite an in den Bann zu ziehen, sie in eine Decke aus Wohlfühlmagie zu hüllen und mit lustigen, liebenswerten und immer wieder überraschenden Charakteren zu unterhalten.

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Jana Paradigi

Mina Moningham – Die Allianz der Neun

 

 

Jana Paradigi

Mina Moningham – Die Alianz der Neun (2)

www.janaparadigi.de

 

Content Notes:

Insekten, Übelkeit und Übergeben, Tod auf dem Schlachtfeld, Eingesperrtsein, Fall aus großer Höhe, Atemnot, Brandwunde, unter Wasser.

 

1. Auflage

Copyright © Novel Arc Verlag, Fridolfing 2024

Novel Arc Verlag, Kirchenstraße 10, 83413 Fridolfing

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk darf im Ganzen, wie auch in Teilen, nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben, vervielfältigt, übersetzt, öffentlich zugänglich gemacht oder auf andere Weise in gedruckter oder elektronischer Form verbreitet werden.

 

www.novelarcshop.de

www.novelarc.de

 

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Credits Shutterstock: WhataWin, Marish, Alano Design, VRVIRUS, Yeti studio, N.D. Vector, Mary Ro, anitapol, Oleksandr Kostiuchenko, Iosw, Aurora72, klyaksun, BeauXscapes, Thanapat srisuk, Linusy; Illustrationen: Heavypong, klyaksun, Hub Design; Credits Envato Elements: roverto007, Knumina Studios, CollectiveOffset

Stil-Lektorat: worttief-Lektorat (Mareike Westphal)

Korrektorat: Tino Falke

 

Gebundene Ausgabe: 978-3-98595-685-2

E-Book: 978-3-910238-08-4

 

Weitere Titel zu Mina Moningham

Mina Moningham - Reise nach Beetle Burden (Graphic Novel Bilderbuch)

Mina Moningham - Das Schulhaus am Ende der Galaxis(1)

Mina Moningham - Sprung in die Vergangenheit (3)

 

Für all jene, die in der Dunkelheit

verloren waren und dennoch weiter

vom Licht geträumt haben.

Bis ihr Traum Wirklichkeit wurde.

Prolog

 

Liz duckte sich tief in die Schatten der Felsen und spähte durch ihr Okular. Blaues Mondlicht spiegelte sich in den von Eiskristallen überzogenen Siederium-Bäumen und erhellte die Welt von Aschbarak gerade genug, dass sich die patrouillierenden Schemen erkennen ließen. Erlmännchen, wie Liz aufgrund ihrer dürren Gestalt und ihrer hektischen Bewegungen vermutete. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Denn wenn die Dienerschaft der Kobolde das Hauptquartier der Allianz der Neun bewachte, reichten die Bündnisse des Handelskonsortiums deutlich weiter, als sie vermutet hatte.

Natürlich waren die Kobolde ein Volk, das vorrangig die eigenen Wünsche im Fokus hatte. Doch bisher war Liz davon ausgegangen, dass sich diese auf Reichtum und Besitz beschränkten. Auf Dinge, die man anfassen und horten konnte. Politik und das Spiel um die galaktische Vorherrschaft hatten sie doch früher nicht interessiert? Warum ausgerechnet jetzt? Wer hatte so viel Einfluss oder Charisma, um selbst die Kobolde in dem Maße zu bezirzen, dass sie für die Zwecke anderer arbeiteten?

Eine Frage, der Liz nachgehen wollte, noch bevor ihre Zeit ablief. Und die Uhr tickte. Sie musste handeln, auch wenn das bedeutete, erwischt zu werden. Sie wollte und sie konnte ihre Enkelin nicht zurücklassen, ohne ihr zumindest ein paar greifbare Hinweise zu liefern, wer genau ihrer gesamten Familie nach dem Leben trachtete.

Ein ganzes Jahr lang hatte es gedauert, bis Liz diese Welt zwischen den Dimensionen gefunden hatte. Aber sie war drangeblieben! Bis ihr ein abtrünniger Feilscher aus Eschwollkor den entscheidenden Tipp gegeben hatte: Aschbarak erreichte man nur über ein Dunkelportal – eines jener Tore, die verboten waren. Denn es kostete Seelenleben, sie zu betreten.

Aber selbst davon hatte Liz sich nicht abschrecken lassen. Immerhin war sie bereits gestorben. Ihre verbliebene Zeit unter den Lebenden war ohnehin geliehen. Also war sie dem Pfad in die Tiefen der Gesetzlosigkeit gefolgt, hatte den Durchgang gefunden und den Preis bezahlt, um Aschbarak zu betreten.

Sie hatte sich durch die feindselige Landschaft gekämpft, Hunderte Fallen überwunden, tapfer der Kälte und den trostlosen Nebeln getrotzt und schließlich das Hauptquartier entdeckt. Sie war so nah daran, die Wahrheit aufzudecken und Antworten auf jene brennenden Fragen zu erhalten, die Jasmina vielleicht das Leben retten würden. Warum will die Allianz das Schulhaus und all seine Hüterinnen vernichten? Wieso die ganze Galaxis ins Chaos stürzen?

Allein aus Machtgier? Diese Antwort reichte Liz nicht. Das erklärte nicht die Jagd auf Tasha. Sie hatte sich nach dem Drama mit James doch längst aus dem Schulhaus zurückgezogen gehabt und sogar einen magischen Schwur geleistet, niemals Hüterin des Schulhauses am Ende der Galaxis zu werden. Niemand hatte gewusst, dass sie damals schon ein Kind in sich getragen hatte. Niemand außer …

Liz presste die Lippen zusammen. Nein, sie würde den Namen nicht einmal denken. Er war nicht besser als James gewesen. Er hatte alles nur noch schlimmer gemacht, eben weil er Tasha und das Kind wirklich geliebt hatte. Aber er hätte die beiden niemals in Gefahr gebracht. Nicht wissentlich. Nicht freiwillig. Oder?

Liz erschauderte, und ihre Hülle faserte auseinander. Ihre Essenz formte eine Aura, so nebelgrau und kalt wie der Ort, an dem sie sich befand. Sie musste weiter. Immer weiter. Durch die Reihen der Wachen, hinein in die düstere Trutzburg, bis zum Zentrum des Übels, um jener Gestalt gegenüberzutreten, die für alles verantwortlich war.

Allein mit eiserner Willenskraft rief sie ihre Seele zurück in den geliehenen Körper. Doch auch das kostete Kraft und verschob den Zeiger der Uhr in Richtung Null. Mit all ihrer verbliebenen Konzentration griff sie in die Manteltasche und zog den Kompass hervor. Ein Erbstück, das von Hüterin zu Hüterin weitergegeben wurde. Mit ihm würde sie den richtigen Weg finden.

Nur mehr ein fahles Abbild ihrer selbst, bahnte sie sich weiter ihren Pfad durch die eisige Felslandschaft, bis sie die Straße erreichte. Auf ihr würde es keine Deckung geben, kein Versteck und kein Zurück.

Liz machte sich bereit für ihren letzten Marsch und wollte gerade hinaus aus den Schatten treten, als die Kompassnadel sich regte. Erst zitterte sie unschlüssig, drehte sich zur einen, dann wieder zur anderen Seite, bis sie sich schließlich entschieden hatte. Allerdings zeigte sie in die falsche Richtung. Statt zur Burg, wollte sie Liz zurück zum Portal führen.

»Vergiss es«, zischte sie das messingfarbene Schmuckstück in ihrer Hand an und schüttelte es.

Erneut wollte sie die Straße betreten, als sie ein fernes Schnauben hörte und abermals innehielt. Das Schnauben wurde lauter und mischte sich zwischen das Rattern von Wagenrädern und einem eigentümlichen Stampfen.

Lauter und immer lauter wurden die Geräusche, bis auf dem Weg eine Kutsche auftauchte. Das gewölbte Dach mit den kunstvollen Verzierungen war von dem bläulich reflektierenden Raureif überzogen, wie die Siederium-Bäume. Kein gutes Omen.

Gezogen wurde das Gefährt von zwei übergroßen, straußenartigen Tieren mit grell leuchtenden Augen, die in großen Schritten die Burg ansteuerten. Auf dem Kutschbock kauerte eine käferartige Gestalt und schnalzte unablässig mit den Zügeln, als ginge es ihr nicht schnell genug.

Liz besah sich die Kutsche, wägte in Sekundenschnelle ihre Chancen ab und stürmte genau in dem Moment aus ihrem Versteck, als das Gefährt auf gleicher Höhe mit ihr war.

Die großen Räder knirschten auf dem frostigen Belag der Straße und übertönten ihr Keuchen, als sie mit dem letzten Funken Magie ihre Geschwindigkeit erhöhte, ihre Hand nach dem Ziergitter auf der Rückseite ausstreckte und sich auf das schmale Trittbrett hinaufschwang, das unter der vollbepackten Kofferablage hervorragte.

Spieglein, Spieglein

 

Es ist mein erstes Weihnachten als offizielle Hüterin, doch es kommt mir vor, als hätte ich schon immer in dieses sonderbare Schulhaus gehört. Als wäre ich nur heimgekehrt. So viel ist seit dem Tod meiner Großmutter und meinem Einzug passiert. Ich musste mich mit meiner neuen Familie zusammenraufen und gleichzeitig die Probezeit bestehen. Dabei hat es mir die magische Welt da draußen in der Galaxis nicht leicht gemacht. Doch ein paar wenige waren und sind auf meiner Seite. Allen voran Paddy.

Mit ihm habe ich mein bisher größtes Abenteuer erlebt, als wir zusammen in Nugraam Hole einen Exoten für den Wettbewerb der Pflanzenexoten besorgt haben. Um ein Haar wäre das am Ende noch schiefgegangen. Aber das ist eine andere Geschichte. Fakt ist, ich habe mit meinem kleinen Eremiten-Nimmwurz meine Probezeit bestanden. Seither kann ich die Magie sehen, die um mich herum existiert. Und das ist nicht die einzige Weihnachtsüberraschung geblieben.

Ich habe mich gerade auf der Veranda mit Mischa ausgesprochen und festgestellt, dass mein Kater nicht von dieser Welt ist, als unerwartet Besuch im Garten auftaucht.

Am Fuß des Schlüsselbaums raschelt es so laut, dass die Gartenelfen die Flucht ergreifen. Doch das Mondlicht reicht aus, um eine Gestalt auszumachen. Und diese Gestalt sieht haargenau wie meine Oma Elizabeth aus!

Mischa, der im Begriff gewesen ist, sich nach drinnen zu verdrücken, starrt die Besucherin mit aufgerissenen Augen an, während ich etwas hilflos und perplex zwischen ihm und meiner Großmutter hin- und herblicke.

»Oma, bist du das?«, frage ich, als die Gestalt auf uns zukommt. Dabei weiß ich doch, dass sie gestorben ist. Immerhin bin ich vor einem guten Jahr auf ihrer Beerdigung gewesen, wenn man die magische Zeremonie im Garten samt leuchtendem Schlüsselloch so nennen kann.

Mein Kater steht immer noch wie angewurzelt da, den Schwanz hoch erhoben und zu einem dicken Puschel gesträubt. Seine Barthaare zucken nervös, als könnte auch er sich nicht entscheiden, wie er mit der Erscheinung umgehen soll.

»Jasmina …« Die Stimme ist so leise, dass ich unsicher bin, ob ich sie mir eingebildet habe.

Mischa hingegen legt die Ohren an, sträubt das Fell, macht einen Buckel und schießt dann im Zickzackgalopp davon. Na prima. Offenbar muss ich mich mal wieder selbst retten. Wenn es hier denn überhaupt etwas zu retten gibt.

»Ich bevorzuge Mina«, sage ich zögerlich und wage ein Lächeln.

»Natürlich. Mina Moningham. Weil du Alliterationen liebst«, erwidert die Gestalt mit einem Schmunzeln in der Stimme.

Sie scheint eher zu mir zu schweben, statt zu gehen. Ganz so, wie es Hilde für gewöhnlich tut. Und auch der Körper wirkt weniger fest, sondern eher durchscheinend und faserig, als würde er Schlieren in der Luft hinterlassen.

Ich bin es ja durchaus gewohnt, dass ungewöhnliche Dinge im Schulhaus passieren. Und ich habe mir im letzten Jahr viele Male gewünscht, meine verstorbene Großmutter treffen, mit ihr reden zu können. Doch dass Liz jetzt tatsächlich vor mir steht, auch wenn es nur ihr Geist sein mag, treibt mir die Tränen in die Augen.

»Liz? Bist du es wirklich?«

»Wer denn sonst?«, erklingt ihre Stimme, auch wenn ihr Mund sich nicht ganz synchron zu den Worten bewegt.

Ich schlucke. »Dich zu treffen, ist das beste Weihnachtsgeschenk von allen.«

Zaghaft versuche ich sie zu umarmen, doch meine Hände gleiten durch sie hindurch, verwischen ihr Bild, und ich glaube schon, sie würde sich endgültig auflösen, ohne dass wir ernsthaft miteinander reden konnten. Doch da formt sich der Nebelschleier neu zu ihrem Abbild aus und lächelt mich entschuldigend an.

»Tut mir leid, ich habe nicht mehr genug Kraft für echte Stofflichkeit übrig.«

»Mir tut es leid«, erwidere ich und schlucke erneut. »Es tut mir leid, dass wir uns nicht schon früher kennengelernt haben.«

»Schon gut, mein Liebling. Alles ist gut, jetzt, da ich dich noch einmal sehen konnte.« Sie streicht mir mit ihrer durchscheinenden Hand sanft über die Wange.

»Ich will dich so viel fragen«, bringe ich zwischen zwei Schluchzern hervor. »Zum Schulhaus. Zu Mum und noch so viel mehr.«

»Und ich würde dir gern all deine Fragen beantworten. Aber so viel Zeit bleibt mir nicht. Der Gestaltspiegelzauber ist fast aufgebraucht. Und es ist wichtiger, dass du etwas über die Gegenwart erfährst, statt über die Vergangenheit.«

Einmal mehr fühle ich ihre Berührung, sehe das Bedauern in ihren Augen und ein tröstliches Lächeln auf ihren Lippen.

»Du hast einen ersten Sieg errungen, hast dich als wahre Hüterin bewährt. Aber die Gefahr ist noch lange nicht vorüber.«

»Wer hat dich ermordet? Wer steckt hinter all den Attacken?«, frage ich, während mir nur noch mehr Tränen über die Wangen rinnen. »Ist es Francis? Ist er an all dem schuld?«

Liz schüttelt sacht den Kopf. »Ich habe den Sitz der Allianz der Neun nach langer Suche gefunden und hinter die Mauern ihrer düsteren Heimstatt geblickt. Und ich weiß jetzt, dass alles meine Schuld ist.«

Ihre Stimme wird leiser, ihr Abbild schwächer.

»Wie meinst du das?« Ich greife nach ihren Händen und fasse ins Nichts.

»… Tagebücher … Ostersonntag … 1952 …« Das sind ihre letzten Worte. Dann ist sie fort, und ich stehe allein, in eine Decke gehüllt auf der Veranda des Schulhauses, und blicke in den Garten. Unschlüssig, ob ich dankbar sein oder das Schicksal verfluchen soll, weil mir nur diese wenigen Augenblicke mit dem Geist meiner Großmutter vergönnt gewesen sind. Falls es denn überhaupt ihr Geist gewesen ist, der da zu mir gesprochen hat. Denn ich habe keine Ahnung, was genau dieser Gestaltspiegelzauber ist, den sie erwähnt hat.

Ich könnte es im Haushaltsbuch nachschlagen, ihren spärlichen Hinweisen nachgehen, doch im Moment ist mir viel eher danach, einfach nur in den Sternenhimmel zu blicken und an meine Familie zu denken. An meine Oma Liz, an meine verschollene Mutter und an meinen unbekannten Vater, dessen Bild ich zusammen mit ihrem seit Neuestem in einem Medaillon um den Hals trage. Wenn es denn mein Vater ist, der mir daraus entgegenblickt.

Ich seufze. So viele Wenns. So viele Fragen. Immer noch so viel Ungewissheit, seit ich vor gut einem Jahr vom Nachlassverwalter Kartasto Winkelbaum und seinem Notariatspartner Terenz Tulpin von meinem Erbe erfahren habe.

Vorher war mein Leben so viel kleiner, eintöniger, aber auch deutlich geordneter. Da ging es höchstens um die Frage, ob noch genug Klopapier im Haus war und ob mein Geld für eine Pizza reichen oder mein Abendessen aus einer weiteren Tütensuppe bestehen würde. Ich wusste genau, wann ich das Grafikdesign für den neuen Shop um die Ecke abliefern musste, und war der festen Überzeugung, dass es sprechende Tiere nur in der Fantasie meiner Mutter gab.

Die Erbschaft hat all das verändert. Seitdem gehört ein Kater zu meiner Familie, der gern in Rätseln spricht. Darüber hinaus lebt eine waschechte Muse mit mir zusammen, hin und wieder meldet sich der schlecht gelaunte Geisterwolf Tristan zu Wort und im Gästezimmer taucht in unregelmäßigen Abständen ein Cowboy auf, der durch Raum und Zeit reisen kann und von Liz mit einem Fluch belegt worden ist.

James. Bei dem Gedanken an ihn zieht sich mein Magen zusammen und mir wird mein Herz eng. Wie kann jemand, der so sinnliche Gedichte und Briefe schreibt, so ein verdammter Mistkerl sein? Und wie gnadenlos treuherzig muss ich gewesen sein, dass ich auf ihn und seine Worte hereingefallen bin?

Tatsächlich tröstet und schmerzt mich der Gedanke gleichermaßen, dass es meiner Mutter genauso ergangen ist. Auch sie hat sich in ihn verliebt. Er ist schuld, dass sie dem Schulhaus und allem, was damit zusammenhängt, den Rücken gekehrt hat. Das verstehe ich mittlerweile. Aber es erklärt nicht, wohin sie verschwunden ist und warum sie mich allein im Internat zurückgelassen hat. Wo bist du, Mum? Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Noch nicht.

Mein Blick wandert zurück zum Schlüsselbaum. Ein japanischer Federahorn, der mit seinen weit ausladenden Ästen den Gartenbewohnern selbst ohne Blätter als Schutzschirm dient. Er strahlt genau wie das Schulhaus diese schier magische Geborgenheit aus. Und wer weiß, vielleicht ist er ebenso lebendig wie das Haus. Das haben mich in den zurückliegenden Monaten sehr deutlich seine Launen spüren lassen. Und gerade deshalb liebe ich es. So wie ich meine gesamte Familie liebe, die ich hier im Schulhaus gefunden habe.

Ich bin angekommen, habe eine Aufgabe, trage Verantwortung. Mehr, als ich mir jemals gewünscht habe. Und trotzdem fühle ich mich dem gewachsen. Weil ich nicht allein bin.

Wie aufs Stichwort kommen die Gartenelfen aus ihren Verstecken, wie kleine verschiedenfarbige Glühwürmchen in Menschengestalt. Ihre Anführerin Srafa schwirrt aufgebracht zwischen den Ästen umher. Ihr Licht reflektiert an den Schlüsseln, die dort hängen – Türöffner in unzählige Welten, die ich noch zu erkunden habe.

Aber zuerst werde ich nach Mischa und den anderen sehen. Immerhin ist Heiligabend. Mein schönstes Geschenk hat mir Liz gemacht. Weil ich ihr dieses eine Mal begegnen durfte, weil sie mir eine Aufgabe gegeben hat und die Hoffnung, dass alles gut werden kann, obwohl die Allianz der Neun noch immer da draußen ist und wahrscheinlich bereits neue Pläne schmiedet.

Neues Jahr, neue Glückskarte

 

Die nächsten Tage vergehen ohne weitere Überraschungen, und das ist mir ganz recht. Silvester will ich es langsam angehen lassen. Ganz ohne galaktische Party in der Bibliothek. Ohne dass ich unbedacht in ein Himbortörtchen beiße und mich in eine Maus verwandle, ohne magische Liebesschwüre und ohne Wutanfall des Schulhauses.

Einzig Paddy habe ich eingeladen, um mit mir bei einem guten Glas Brombelwein das neue Jahr zu begrüßen. Obwohl es erstaunlich viele Welten in der Galaxis gibt, die eine ähnliche Zeitrechnung wie wir auf der Erde haben, unterscheiden sich die Bräuche und Feiertage natürlich.

Ein Mutabor wie Paddy begrüßt das neue Jahr wohl nicht so pompös. Dennoch oder gerade deswegen kommt er zu Besuch. Ein Portalhüter und alter Bekannter der Familie, der mir spätestens nach unserem gemeinsamen Abenteuer auf Nugraam Hole ein guter Freund geworden ist. Das gibt uns die Gelegenheit, nochmals über die Sache mit Liz und diesem Gestaltspiegelzauber zu reden, von dem ich ihm per Rohrpost bereits berichtet habe.

Mischa hat sich bereits mittags verkrochen, um den Böllern und Raketen auszuweichen, die in der Nachbarschaft gezündet werden. Und meine sonst so gesellige Muse Hilde scheint für diesen Tag andere Pläne zu haben. Einzig Tristan gibt am frühen Abend ein lang gezogenes Heulen von sich, als ein Feuerwehrwagen mit Sirene den Berg hoch zur Kirche braust und sich dann wieder entfernt.

Bis zum Abend bin ich allein. Ich erledige routiniert die anfallenden Aufgaben, die im Haushaltsbuch für diesen Tag verzeichnet sind, und beschränke mich beim Kochen auf ein Blech selbst gemachte Pizza ganz ohne magische Zutaten.

Dabei genieße ich die Ruhe und dieses wohlige Gefühl, zu Hause zu sein. Ich summe vor mich hin, tanze durch das Wohnzimmer und lache. Einfach so.

Kurz bevor Paddy eintrifft, fülle ich die Schälchen, die draußen auf der Veranda für die Elfen bereitstehen, mit Milch und Honig auf. Anschließend gehe ich ins Pflanzenzimmer.

»Na, mein kleiner Nimmwurz, wie geht es dir? Soll ich die Vorhänge zuziehen, damit dich die bunten Lichter nicht erschrecken?«

Der Exot schwenkt sein violettes Blütenköpfchen in meine Richtung und zeigt mir ein kleines, zahnbewehrtes Lächeln.

»Gute Entscheidung. Diese ganze Ballerei wird meiner Meinung nach völlig überbewertet«, sage ich und prüfe dabei die Feuchtigkeit im Topf.

Ein Eremiten-Nimmwurz – so habe ich es gelernt und am eigenen Leib erfahren – liebt eine warme und feuchte Umgebung ohne direktes Sonnenlicht. In ihrem natürlichen Habitat sind sie dazu noch reichlich bissig. Umso stolzer bin ich, dass meine kleine Nachzucht handzahm ist. Allerdings auch ziemlich allein. Ein Zustand, den ich im nächsten Jahr unbedingt ändern möchte. Das ist einer der vielen Vorsätze, die ich mir notiert habe.

»Dann bekommst du ein paar Freunde«, sage ich laut.

Ein Gedanke, der mich daran erinnert, dass die Unterlagen für den nächsten Wettbewerb des Vereins für Pflanzenexoten noch ungeöffnet im Schrank liegen. Dabei wollte ich sie schon längst gelesen haben. Wieder so eine Sache auf meiner langen Liste an Vorsätzen. Denn die letzte Teilnahme lief mehr als chaotisch ab. Das soll sich – jetzt, da ich offizielle Hüterin des Schulhauses bin – ändern.

Ich überlege, mir die Aufgabe sofort anzusehen. Doch da rumpelt es im ersten Stock. Offenbar ist Paddy überpünktlich.

Ich eile die alte Holztreppe hinauf und werfe gewohnheitsmäßig einen Blick in Richtung Gästezimmer. Kein Licht fällt unter der Tür hindurch. James verbringt seinen Silvesterabend also an einem anderen Ort und womöglich in einer anderen Zeit. Vielleicht sogar mit einer Familie. Oder mehreren. Zuzutrauen wäre es diesem hinterlistigen Kerl.

Durch den Glaseinsatz in der Tür zur Bibliothek dringt dagegen gedimmtes Licht. Eine Sicherheitsmaßnahme, damit sich Besucher, die dort aus den Portalen kommen, im Dunkeln nicht verletzen, weil sie gegen den Flügel oder die Bücherregale laufen.

»Fröhlichen Jahresübergang, Mina!«, begrüßt mich Paddy und gibt ein kleines vogelartiges Glucksen von sich. Ein Zeichen dafür, dass er nervös oder besonders aufgeregt ist. Wie immer trägt er einen farbenfrohen fedrigen Umhang über seiner sonst eher schlichten Kleidung. Sein strubbeliges Haar erstrahlt in einem grellen Gelb, passend zu einer gelben Schärpe.

»Kommst du von einer anderen Festlichkeit oder hast du dich für mich so herausgeputzt?«, frage ich, während ich ihm das obligatorische Saftglas zur Begrüßung reiche. Eine Kirsch-Ananas-Mischung, weil die gut zur Pizza Hawaii passt, die ich im Ofen habe.

»Nur für dich. Immerhin ist heute ein Festtag«, erwidert Paddy verschmitzt und zieht mit der freien Hand ein Päckchen unter seinem Umhang hervor.

»Aber …«, setze ich an, doch da hat er es mir schon zugeworfen, sich umgedreht und zum Ledersofa aufgemacht. Genauer gesagt zur gut sortierten Bar, die sich im Inneren des Globus befindet, der direkt danebensteht.

»Ist nur eine Kleinigkeit, die ich an einem der Marktstände in Beetle Burden entdeckt habe. Nicht der Rede wert«, sagt er so beiläufig, dass ich es ihm beinahe glaube.

Doch die geröteten Flecken, die sich an seinem Hals abzeichnen, deuten darauf hin, dass dieses Geschenk sehr wohl eine Bedeutung für ihn hat.

Das bringt mich wiederum ins Schwitzen. Was, wenn ich den Wert dahinter nicht erkenne? Oder wenn es etwas ist, das nur für einen Mutabor Bedeutung hat, für einen Menschen aber belanglos oder sogar eklig erscheint?

Unschlüssig lege ich die kleine Schachtel auf dem Couchtisch ab und eile in die Küche, um das Essen und ein paar Snacks für später zu holen, während Paddy seinen Saft mit einem Schuss grünen Gin aus seiner Heimat ergänzt.

Als ich es mir wenig später im Sessel gegenüber gemütlich mache, reicht er mir ein Glas mit diesem besonderen Likör, der himmlisch nach Erdbeer-Bananensplit schmeckt. Dazu ein noch dampfend heißes Stück Pizza in die Hand, und wir sind startklar für den Abend.

Und natürlich beginnen wir damit, über Liz zu reden. Nicht nur, weil sie mir als eine Art Geist erschienen ist, sondern weil sie einfach dazugehört. Zu meiner Familie und zum Schulhaus. In jedem Winkel ist sie immer noch zu spüren. Die Wände und Dinge scheinen von ihrer Liebe und der Kraft durchdrungen, die sie aufgebraucht hat, um als Hüterin all das zu beschützen und zu lenken, das nun mein Reich und meine Aufgabe ist.

»Sie war eine wirklich gewiefte Frau und eine wirklich gute Schachspielerin«, schwärmt Paddy.

»Schach?«, hake ich nach, während ich nach einem weiteren Stück Pizza und einer Serviette greife.

»Es braucht viel Vorstellungskraft und strategisches Denken, um so weit über den eigenen Tod vorauszuplanen.«

Das leuchtet mir ein, und tatsächlich bin ich selbst schon auf einige Kostproben in dieser Hinsicht gestoßen. Damals, als ich das Schulhaus zum ersten Mal betreten habe, hat bereits alles für eine gute Tasse Tee bereitgestanden. Dazu hat ein Obsttörtchen mit einer kleinen Notiz im Kühlschrank auf mich gewartet. Bei der Erinnerung wird mir immer noch ganz warm ums Herz. Allerdings hätte sie mich vorwarnen können, dass ich einen sprechenden Kater als Mitbewohner erhalte.

»Wie genau funktioniert der Zauber, den sie angewandt hat?«, frage ich, bevor ich mich in den Erinnerungen verliere.

»Oh, dazu kann ich nicht viel sagen. Immerhin bin ich nur ein Portalhüter. Die Magie deiner Großmutter war mir immer schon ein Rätsel.«

Paddy sagt es mit einem so liebevollen Lächeln, als wäre das Teil ihrer Neckereien gewesen. Ich bin versucht nachzuhaken. Doch ich habe mir fest vorgenommen, es ihm zu überlassen, wann und wie viel er mir von ihrer Verbundenheit erzählen möchte. Immerhin hat mir meine Reise nach Nugraam Hole und der Besuch bei Minsh gezeigt, dass in meinem fedrigen Freund ein kleiner Casanova steckt.

»Dann stimmt es, dass sie auch außerhalb des Schulhauses Zauber wirken konnte?«, frage ich stattdessen nach.

»Da bin ich ganz sicher. Auch wenn sie das nicht oft getan hat.« Und nachdem er einen Schluck getrunken hat, fügt er sinnend hinzu: »Wahrscheinlich weiß niemand, was wirklich in ihr gesteckt hat.«

Ein Gedanke, der mir einen Stich versetzt. Denn er erinnert mich daran, dass ich keine Chance gehabt habe, meine Großmutter zu Lebzeiten kennenzulernen. Ein weiterer Grund, nach ihren Tagebüchern zu suchen, um mehr über sie zu erfahren. Welche Sorgen sie geplagt haben. Was sie geliebt und was ihr Angst gemacht hat.

»Ihre Spiegelgestalt hat mir nicht mehr viel sagen können, außer dass sie der Allianz der Neun auf der Spur war. Weißt du, wie das Jahr 1952 damit in Verbindung stehen könnte?« Aber auch damit kann Paddy mir nicht helfen, denn ihre Freundschaft reicht nicht so weit zurück.

Schweigen macht sich zwischen uns breit. Im Schulhaus ist es still. Das Licht des Kronleuchters wird eine Nuance dunkler, und ich meine, ein paar graue Stellen in den Zimmerecken zu erkennen. Mir entfährt unwillkürlich ein tiefer Seufzer.

Als ich wieder zu Paddy blicke, sieht er mich seltsam unergründlich an.

»Ich weiß, der Brauch verlangt, dass man sich erst um Mitternacht umarmt«, sagt er mit so ernster Miene, dass ich schon wieder nervös werde. »Aber soweit ich weiß, gilt das nicht für das Öffnen von Geschenken.«

Tatsächlich habe ich heimlich gehofft, es nicht in seinem Beisein öffnen zu müssen, um eventuellen Fettnäpfchen zu entgehen. Doch jetzt bleibt mir nichts anderes übrig. Also greife ich nach der schlichten Schachtel, die mit einer wunderschönen roten Schleife verziert ist.

Okay, zusammenreißen und Freude zeigen, ganz egal, was drin ist, schärfe ich mir in Gedanken ein, bevor ich das Band vorsichtig löse und dann den Deckel mit beiden Händen fasse.

Was, wenn er unsere Freundschaft falsch gedeutet hat?, schießt es mir durch den Kopf. Ist er deswegen so aufgeregt gewesen, als er mir das Geschenk überreicht hat? Vielleicht spielt der große Altersunterschied bei seinem Volk keine Rolle. Immerhin hat er mir einmal erzählt, dass seinesgleichen selten besonders alt wird. Aber was genau ist schon alt für ein Wesen, das sich in einen riesigen Gerippe-Hahn verwandeln kann? So groß, dass ich in seinen Brustkorb hineinklettern konnte.

Um Zeit zu schinden, greife ich zu meinem Glas und trinke ein paar Schlucke. Paddy sitzt derweil vornübergebeugt auf dem Sofa, sein Glas in beiden Händen, und blickt mir wie ein Habicht auf die Finger.

Da es wohl kein Entkommen aus dieser Situation gibt, halte ich es mit der Pflaster-Methode, hebe den Deckel mit einem Ruck hoch und reiße die Augen auf.

»Karten?«, entfährt es mir mit unverhohlener Verblüffung.

»Glückskarten«, korrigiert Paddy mich grinsend. »Zumindest hat das der Händler behauptet, dem ich sie für ein paar Advokaten abgefuchst habe.«

»Abgeluchst«, verbessere ich ihn, nun ebenfalls grinsend.

Paddy lacht auf, und die Anspannung fällt von uns beiden ab. »Es ist immer wieder verwunderlich, wie oft Tiere in eurem Sprachgebrauch vorkommen, obwohl die meisten auf der Erde immer noch fest davon überzeugt sind, dass Tiere überhaupt nicht sprechen können.«

»Wie sollen wir das auch wissen, wenn sie sich zu fein sind, es zu tun?«, erwidere ich und lache mit ihm.

Tatsächlich habe ich bis vor Kurzem auch nicht daran geglaubt, obwohl mich meine Mutter in meiner Kindheit unablässig vor ihnen und ihrer Heimtücke gewarnt hat. Sie selbst hat oft auf Krähen oder Katzen eingeredet, ihnen vorgeworfen, uns auszuspionieren, oder sie wortreich verscheucht.

»Eine gute Frage«, erwidert Paddy.

Als er uns daraufhin sinnend nachschenkt, greife ich nach dem Kartenset und betrachte es genauer. Die Rückseiten sind mit wunderschön verschnörkelten Mustern geschmückt, feine schwarze Linien, die nicht aufgedruckt, sondern wie handgezeichnet wirken. Bei genauerem Hinsehen finde ich darin zwei Schnörkel versteckt, die wie winzige Initialen aussehen: ein T und ein B.

Die Ränder der Karten zeigen Gebrauchsspuren, sind ein wenig abgegriffen. Die Vorstellung, dass das Set schon durch etliche Hände gewandert ist, macht sie nur noch wertvoller für mich. Als ich die Vorderseiten betrachten will, ist die Enttäuschung daher umso größer, denn sie sind leer. Ganze zweiundfünfzig Karten, die, von ein paar vergilbten Flecken abgesehen, einfach nur weiß sind.

»Schöner Scherz«, sage ich und kann die Enttäuschung in meiner Stimme nicht gänzlich verbergen.

»Wie?«, fragt Paddy offenbar noch ganz in Gedanken versunken.

Ich halte die Karten hoch. »Jemand hat dich mächtig übers Ohr gehauen. Die Rückseiten sind zwar hübsch gestaltet, aber mehr ist nicht drauf. Kein kluger Spruch, keine galaktischen Weisheiten oder so. Carte blanche, ganze zweiundfünfzig Mal.«

Paddy stellt sein Glas ab, und sein Kopf wird puterrot, als er nach dem Stapel greift. Erst wendet er sie in seinen Händen, dann riecht er daran und seufzt erleichtert auf, während ich ihn nur mit einem großen imaginären Fragezeichen über dem Kopf ansehe.

»Mit den Karten ist alles in Ordnung. Man kann die darin wohnende Magie riechen. Wahrscheinlich musst du sie nur richtig anwenden.«

»Du riechst Magie?« Wieder einmal wird mir bewusst, wie wenig ich noch von all dem verstehe.

»Klar! Du nicht?«, erwidert Paddy nun wieder deutlich entspannter.

»Keine Ahnung«, gebe ich unumwunden zu.

Ich kann den Duft der verschiedenen Teesorten wahrnehmen. Dass ich dabei womöglich die Magie wahrnehme, statt der reinen Inhaltsstoffe, ist mir nie in den Sinn gekommen.

Vielleicht ist es aber auch eine Fähigkeit, die sich speziell bei einem Mutabor zeigt, aber nicht bei Menschen. Wieder so eine Sache, die ich Liz gern gefragt hätte. Dank der Erzählungen von Paddy, Mischa und Hilde weiß ich, dass sie zumindest in geringem Maße selbst Magie wirken konnte. Ob dazu aber das Schulhaus als Quelle nötig ist oder ich einfach nur sehr lange darin leben muss, damit der Zauber auf mich abfärbt, das konnte mir bisher keiner so genau sagen.

»Hast du nachgesehen, ob auf einer der Karten eine Anleitung steht?«, wirft Paddy ein.

Ich schüttle den Kopf und fächere die Karten auf, um es nachzuprüfen. Aber da ist nichts. Kein Hinweis oder Orakelspruch und auch sonst nichts Ungewöhnliches, das mir auffällt.

»Vielleicht musst du einfach eine ziehen?«, schlägt mein fedriger Freund vor. Also versuche ich auch das. Mit dem selben Ergebnis.

Enttäuscht lege ich die einzelne Karte samt Stapel auf den Tisch und greife nach meinem Likörglas. »Trotzdem danke. Die Rückseiten sind wirklich wunderschön.«

Paddy will etwas erwidern, doch da erscheinen aus dem Nichts große leuchtende Zahlen unterhalb des Kronleuchters. Ein übergroßer Countdown, mit dem uns das Haus dezent an den eigentlichen Grund unseres Beisammenseins erinnert. In wenigen Sekunden ist Neujahr!

Paddy füllt rasch nochmals unsere Gläser auf, und wir erheben uns, um anzustoßen. Während es draußen knallt und pfeift, erscheint Schlag Mitternacht ein Miniaturfeuerwerk an der Zimmerdecke und lässt Glitzerstaub auf uns herniederregnen.

»Ich wünsch dir ein wundervolles neues Jahr und mir, dass du weiterhin an meiner Seite bleibst. Als Teil meiner neuen Familie«, sage ich ein wenig rührseliger, als das eigentlich geplant war. Muss wohl am Likör liegen. Oder am Glitzer, der mir ein Tränchen in die Augen treibt.

Paddy gibt eine Mischung aus Gurren und Glucksen von sich, und die Federn seines Umhangs wiegen sich in einem imaginären Wind hin und her, als mein Freund feierlich mit mir anstößt. »Dir, liebe Mina, wünsche ich, dass du bleibst, wie du bist – eine mutige Abenteurerin, liebenswerte Freundin und bemerkenswerte junge Hüterin.«

Das Gläserklirren scheint sich wie bei einem Echo zu vervielfachen, während draußen die Raketen den Himmel in bunte Farben tauchen.

Nachdem wir einen ordentlichen Schluck getrunken haben, stellen wir uns an die großen Fenster, um den Blick über die Dächer von Petlington zu genießen. So muss es sein. So ist mein Leben perfekt.

»Was feiert ihr in deiner Welt?«, frage ich nach einer Weile. »Gibt es so etwas wie Kalender und Uhren überhaupt? Oder Jahreszeiten?«

Ein Thema, das mich schon auf Nugraam Hole beschäftigt hat. Denn dort erschien mir der Wechsel von Tag und Nacht ein anderer zu sein als auf der Erde.

Paddy lacht so laut auf, dass mir automatisch die Schamesröte in die Wangen schießt. »Was? Was ist? Was habe ich nun wieder gesagt?«

»Nur weil in meiner Welt äußerlich die Natur mehr Raum einnimmt als auf der Erde, heißt das nicht, dass wir unsere Eier noch mit den Schnäbeln aufpicken.«

Ich habe zwar keine Ahnung, wieso er dabei über Schnäbel und Eier spricht, dennoch ist mir klar, was Paddy sagen will. Nur weil sein Portal nicht in einer hübschen Bibliothek mit Klavierflügel und Ledersofa steht, sondern in einer Scheune zwischen Heuballen – wie ich selbst erleben durfte -, lebt sein Volk nicht hinterm Mond.

»Ja, wir haben Uhren und auch einen Jahreszyklus, dem alles Lebendige folgt. Aber wir gehen damit anders um. Uns muss kein Zeiger sagen, wann es Zeit ist, schlafen zu gehen, und kein Kalender, wann wir unser Leben feiern sollen«, erwidert er sanft.

»Dann findest du unseren Silvesterbrauch albern?«

»Ich bin nicht wegen einem eurer Bräuche hier, sondern wegen einer guten Freundin. Um mit ihr zu feiern und um meine innigen Gefühle ihr gegenüber auszudrücken.«

Als ich die Augen aufreiße, hebt er abwehrend die Hände. »Freundschaftliche Gefühle! Weil ich unsere Freundschaft schätze.«

Mein erleichtertes Aufseufzen lässt ihn erneut auflachen, und diesmal lache ich mit. Dabei wandert mein Blick zu den Karten, die er mir als Beweis unserer Verbundenheit geschenkt hat, und ich stutze unvermittelt.

Die einzelne Karte, die ich vorhin gezogen habe, liegt noch immer auf dem Tisch. Nur dass sie nicht mehr leer ist!

Trollo Broom

 

Perplex blinzle ich ein paarmal, um sicher zu sein, dass mir die Müdigkeit keinen Streich spielt. Doch die Karte auf dem Tisch hat sich eindeutig verändert.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, stelle ich mein Glas auf der Fensterbank ab, gehe zurück zum Sessel und setze mich. Das Set scheint unverändert, doch auf der gezogenen Karte, die mit der Vorderseite nach oben liegt, ist etwas erschienen, was vorher nicht da gewesen ist.

Auf den ersten Blick eine zusammengewürfelte Ansammlung von Buchstaben, aber als ich mich vorbeuge und die Karte in die Hand nehme, bewegen sie sich, purzeln durcheinander, nur um sich im nächsten Moment zu Wörtern und schließlich zu einem Satz zusammenzufügen:

 

Wenn der Tod erscheint, muss ein Freund gehen.

 

»Paddy«, sage ich alarmiert. »Wie hast du die Karten genannt?«

»Das sind Glückskarten«, erwidert mein fedriger Freund und dreht sich in einer verspielten Pirouette zu mir um.

»Aber was genau heißt das? Ist das Set so etwas wie ein Scherzartikel? Ein makabrer Witz, der einen erschrecken soll?« Selbst wenn es so sein sollte, ist mir bei solch einer Nachricht ganz und gar nicht nach Lachen zumute.

Das scheint auch Paddy zu begreifen, denn er kommt mit gerunzelter Stirn zu mir. »Da brat mir doch einer ’nen Struwal. Warst du das?«

»Ich glaube nicht. Nicht absichtlich zumindest«, erwidere ich und drehe die Karte in alle Richtungen, um zu sehen, ob sich die Buchstaben erneut vermischen.

Nichts passiert. Der Satz prangt unverändert in der Mitte der Karte. Die Buchstaben sehen aus, als hätte jemand sie mit einer Tintenfeder wieder und wieder nachgezeichnet. Ich schüttle die Karte und schlage sie am Ende sogar einmal gegen die Tischkante. Doch das Ergebnis bleibt dasselbe.

»Sag schon, Paddy, ist das ein übler Scherz?«

Der Mutabor gibt ein leises Keckern von sich, während er – die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt – ebenfalls auf die Karte starrt.

»Woran hast du gedacht, als du sie aus dem Stapel gezogen hast?«, fragt er nach eine Weile des Schweigens, während draußen weiterhin Silvesterböller zu hören sind und bunte Raketen am Himmel explodieren.

»Keine Ahnung! An nichts Besonderes.«

»An keine spezielle Person?«, hakt Paddy viel zu ernst nach.

Angstvoll blicke ich zu ihm auf. »Ich weiß nicht. Nicht bewusst. Vielleicht habe ich an meine Familie gedacht oder an Liz. Vielleicht auch an …«, ich stocke, »… dich. Weil ich so gerührt von dem Geschenk war und gleichzeitig beschämt, selbst keines für dich zu haben.«

Ich strecke ihm die Karte hin, damit er sie aus der Nähe betrachten kann, doch er belässt es dabei, sie mit Blicken abzutasten. Das steigert meine Panik nur noch weiter.

»Vielleicht ändert sich der Satz ja, wenn du sie hältst«, versuche ich es erneut. Doch Paddy schüttelt den Kopf.

»Ich fürchte, die Karten haben sich auf dich als neue Besitzerin geprägt, als du sie benutzt hast. So ist das oft mit magischen Utensilien. Sie sind treuer, als man glaubt. Im Grunde ist es ein Freundschaftsbeweis, dass sie sich nach so kurzer Zeit auf dich eingelassen haben.«

Das ist endgültig zu viel. Ich schleudere die Karte auf den Tisch und springe auf. »Dann findest du also, ich sollte auch noch dankbar für diese Todesdrohung sein? Was, wenn sie dich betrifft?«

Daraufhin schweigt Paddy. Auge in Auge stehen wir uns gegenüber. Ich kann sehen, wie er mehrfach angestrengt schluckt und sein Kopf dabei wie bei einem Vogel leicht nach vorne wippt.

»Wenn ihr euch jetzt küsst, muss ich mich auf der Stelle übergeben. Und das wäre doch schade um die schöne Pizza«, erklingt da eine trockene Stimme von der Eingangstür.

Egal wie ernst die Situation gerade ist, Mischa bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Ich blinzle und wende mich ihm zu, während er betont gemächlich mit erhobenem Schwanz auf uns zu schlendert.

»Pizza? Ich dachte, ich hätte die Reste im Ofen gelassen«, erwidere ich und trete ein Stück beiseite.

»Das fällt wohl unter Küchenmysterien«, lautet die schnodderige Antwort. »Viel wichtiger ist doch, was da gerade zwischen euch los war.« Seine Schnurrhaare vibrieren, während er sich auf Katerart einen Überblick verschafft.

»Da war nichts. Alles nur ein großes Missverständnis«, meldet sich nun Paddy zu Wort.

Aber so leicht lasse ich die Sache nicht auf sich beruhen. Immerhin weiß ich mittlerweile, dass in diesem Schulhaus einfach alles eine tiefere Bedeutung haben kann. Beim schwarzen Kreis im Keller angefangen, der als Unterschlupf für die Kohlefresserchen dient, bis hin zu Hunderten Toilettenbildern im Dach, die als Portale in andere Welten dienen.

»Paddy hat mir Glückskarten geschenkt«, erkläre ich mit einem Seitenblick auf meinen Freund.

»So, so«, ist alles, was Mischa erwidert, während er sich zwischen uns hindurchschlängelt. Ein wenig enthusiastischer Satz genügt und er landet auf dem Tisch.

»Ich hab das Set auf dem Kuriositätenmarkt gekauft«, erklärt Paddy und gesellt sich zu ihm.

»So, so«, wiederholt Mischa, während er die einzelne, hingeworfene Karte genau beäugt.

»Vorhin war sie noch leer«, sage ich.

»Und jetzt nicht mehr«, ergänzt er das Offensichtliche, ohne sonderlich beeindruckt zu klingen.

Nervös schaue ich zu, wie mein Kater die Karten einmal umrundet und immer wieder daran schnuppert.

»Der Spruch ist sicher nur ein Scherz, oder?« Ich knibble an meinen Fingernägeln herum.

Als draußen ein weiterer Böller dicht vor dem Schulhaus explodiert, kann ich mir einen Aufschrei gerade so verkneifen. Mischas Haare stäuben sich, und der immer noch hoch erhobene Schwanz wird eine Spur bauschiger. Doch er bleibt, wo er ist. Das lässt auf etwas Ernstes schließen.

Ein kurzer Pfotenhieb genügt und er hat die Karte umgedreht. Ein weiterer intensiver Blick, dann schmatzt er auf diese etwas abschätzige Art, die er gern an den Tag legt, wenn er mehr weiß als ich.

Am liebsten würde ich ihn packen und schütteln, damit er endlich ausspuckt, was er entdeckt hat. Stattdessen bohre ich die Fingernägel der linken Hand in den Ballen der rechten.

Mischa springt auf das Ledersofa, dreht sich ein paarmal, um die beste Position auf dem Kissen zu finden, und setzt sich schließlich.

Ich beiße mir auf die Unterlippe.

»Trollo Broom.« Mischa sagt die Worte, als wäre damit alles klar. Doch für mich ist gar nichts klar. Paddy hingegen zieht die Brauen in die Höhe.

»Was heißt das? Kannst du bitte nur ein einziges Mal nicht in Rätseln sprechen? Immerhin hat hier gerade einer meiner Freunde eine Todesdrohung erhalten! Das könnte auch dich betreffen!«

»Das ist ein altehrwürdiger Künstler, der sich auf das Spinnen und Verweben von Magie spezialisiert hat«, erklärt stattdessen Paddy. »Das macht die Karten viel wertvoller als gedacht. Ein wahres Schnäppchen, wenn ich den Preis bedenke, den ich dafür bezahlt habe.«

Mein Freund klatscht begeistert in die Hände. Ich dagegen muss mich erst mal kneifen, um sicher zu sein, dass ich das alles nicht träume.

»Ein Künstler also«, sage ich langsam. »Dann ist das so was wie ein magisches Gemälde, das seine Fingerfertigkeit demonstrieren soll?«

Paddy nickt. »So könnte man es ausdrücken.«

Ich atme auf.

»Trollo Broom hat sich schon immer gern mit der Zukunftsschau beschäftigt. Ein Thema, das sich durch sein gesamtes Werk zieht«, ergänzt Mischa im typischen Dozententonfall.

Ich kneife die Augen zusammen. »Was ist es denn nun? Ein Kunstwerk oder eine eckige Wahrsagekugel?«

»Beides«, ertönt die einhellige Antwort meiner Freunde.

»Aber die Zukunftsschau ist ein wirklich weit gefasstes und äußerst unsicheres Arbeitsfeld«, ergänzt Paddy, während er mit seinem Glas den Globus ansteuert, in dem die Alkoholika aufbewahrt werden. »Überhaupt muss man kausale Zusammenhänge immer im Gesamtkontext betrachten, um sie wirklich begreifen zu können.«

»Was gibt es denn da zu begreifen? Für mich klingt das ziemlich eindeutig danach, dass jemand sterben wird!«, schreie ich die beiden an, während sich meine Augen vor Wut und Verzweiflung mit Tränen füllen.

»Oder es heißt, dass eine Fliege just in dem Moment gegen die Scheibe eines vorbeifahrenden Autos klatscht, wenn ich die Rückreise antrete«, erklärt Paddy vergnügt.

Mischa hingegen scheint endlich begriffen zu haben, wie viel Angst mir das alles macht, denn er beginnt leise zu schnurren. Eine beruhigende Geste, die an meinem gefiederten Freund völlig vorbeigeht. Stattdessen zählt er weitere, immer skurrilere Möglichkeiten der Deutung auf. So lange, bis selbst ich tatsächlich schmunzeln muss.

Gemeinsam sitzen wir noch eine Weile beisammen. Paddy erzählt uns ein wenig beschwipst von seinem ehemaligen Leben als Schmuggler, während Mischa an einem Stück Pizzarand knabbert, das er ungesehen vom Tisch stibitzt hat. Ich hingegen lehne mich in meinem Sessel zurück und genieße den Moment zusammen mit meinen Lieben.

Ein neues Jahr hat begonnen, und ich nehme mir fest vor, das Schulhaus und alles, was damit zusammenhängt, noch ein wenig besser kennenzulernen. Angefangen bei meiner Großmutter. Doch dafür muss ich erst die erwähnten Tagebücher finden.

Mein Blick wandert hinüber zu den Bücherregalen. So viel Wissen und so viele Geheimnisse sind dort verborgen und doch jederzeit greifbar, wenn ich mich nur darauf konzentriere.

Ich überlege gerade, es dort als Erstes zu versuchen, als unvermittelt ein ganzes Dutzend Bücher aus dem Regal schießt und krachend neben meinem Sessel zu Boden fällt.

Mischa schreckt aus dem Halbschlaf hoch, gibt ein Fauchen von sich und galoppiert in weitem Bogen um die Bücher herum aus der Bibliothek.

Ich blicke verdattert zu Paddy. »War ich das?«

»Hast du dir gewünscht, von Büchern erschlagen zu werden?«

»Nein …«, beginne ich und stocke. »Aber ich habe an sie gedacht. Besser gesagt, an die Regale und dass ich dort mit der Suche nach den Tagebüchern beginnen will.«

»Dann kommst du wohl mehr nach deiner Großmutter, als du vielleicht dachtest«, sagt Paddy mit wissendem Lächeln.

Ich dagegen habe mal wieder keine Ahnung, was er meint. Mir wäre neu, dass die Regale mir die benötigten Bücher direkt vor die Füße werfen. Dennoch betrachte ich einige Titel, ob nicht doch ein Tagebuch dabei ist.

Fehlanzeige.

»Halt!«, sage ich, als Paddy Anstalten macht, sich zu verabschieden. »Was hast du eben damit gemeint, dass ich Liz ähnlich wäre?«

Paddy legt den Kopf schief und schüttelt seinen Federumhang aus. »Ist das nicht offensichtlich?«

Ich blicke ihn halb auffordernd, halb erwartungsvoll an.

»Die Magie färbt auf dich ab, Mina.«

Fluch oder Segen

 

Nachdem Silvester mit einer unerwarteten Entdeckung zu Ende gegangen ist, liege ich die halbe Nacht wach und male mir aus, was ich mit meiner neuen Fähigkeit alles anstellen könnte. Ich meine … Magie! Wer träumt nicht davon?

Selbst nach dem Aufstehen bin ich immer noch so von diesem Gedanken eingenommen, dass ich Hilde erst bemerke, als ich mich in meinen Bademantel gehüllt, mit einer dampfenden Tasse Tee an den Küchentisch setze.

»Steckst du in einem Traum fest?«, fragt die Muse amüsiert und schwebt in ihrer zartrosa Erscheinung auf den Stuhl gegenüber.

»So ähnlich«, antworte ich grinsend und tauche mein Gesicht in den herrlich würzig-warmen Dampf, der über der Teetasse aufsteigt.

»Na, das wird ja auch Zeit!«

Die Muse sagt es so enthusiastisch, dass ich stutzig werde. Seit ich in das Schulhaus gezogen bin, haben die selbstverständlichsten Dinge und Aussagen eine zweite versteckte Bedeutung. Und jeder in meiner Umgebung scheint diese zu kennen, nur ich wieder nicht.

»Ich habe von meiner neuen Magie geträumt«, erkläre ich daher über den Tassenrand hinweg.

Hilde hebt die Brauen. »Ach so?«

Das hat sie nicht erwartet. Ein seltener Moment in Anwesenheit einer Muse. Ich trinke genüsslich mehrere Schlucke von meinem Tee, während Hilde von Moment zu Moment unbehaglicher dreinblickt.

»Gestern sind Bücher aus dem Regal geflogen, und Paddy sagt, ich habe das von Liz geerbt«, erlöse ich sie schließlich. Doch die erwartete Erleichterung in ihren Gesichtszügen bleibt aus. »Freust du dich nicht?«

Sie seufzt. »Ach, Kindchen. Magie klingt nach Spaß, aber sie ist viel eher ein Fluch. Das hat zumindest deine Großmutter immer gesagt.«

»Aber wieso denn? Magie ist wundervoll! Schau dir doch das Schulhaus an. Oder das Haushaltsbuch. Wie kann das denn bitte schön ein Fluch sein?«

»Dann, wenn man seine sieben Zaubersinne nicht beisammen hat«, ertönt Mischas Stimme, noch bevor der Kater würdevoll um die Ecke schreitet und erst mir und dann dem Kühlschrank einen unmissverständlichen Blick zuwirft.

Also erhebe ich mich artig und serviere ihm seine Frühstücksportion Käsewürfel mit einem Klecks Sahne, der noch übrig ist.

»Klar, ich muss erst noch lernen, die Magie zu kontrollieren. Aber wenn Liz das geschafft hat, dann schaffe ich das auch«, gebe ich kämpferisch zurück.

»Noch mal dieses Chaos erleben«, stöhnt Hilde. »Das ist doch nicht auszuhalten.«

Mir scheint, die Muse übertreibt mal wieder, also wende ich mich in der Sache lieber meinem Kater zu. »Es muss meiner Großmutter doch viel Arbeit erspart haben, zaubern zu können. Oder nicht?«

»Dafür ist Magie nicht gedacht«, erwidert Mischa zwischen zwei Käsewürfeln.

Aber so leicht lasse ich mich nicht abspeisen. »Wofür dann?«

»Magie braucht Sinn und Zweck. Ein Ziel. Und noch viel wichtiger: einen Anker. Sonst flutscht sie davon und macht sich selbstständig«, erläutert Hilde mit tadelnder Oberlehrerinnen-Miene.

»Aber sich Arbeit zu ersparen, hat doch einen Sinn. Man hat dadurch mehr Zeit«, halte ich dagegen.

»Sich Zeit zu wünschen, kann nach hinten losgehen«, mahnt die Muse nun mit erhobenem Zeigefinger. »Und sie kostet etwas.«

Der Nachsatz lässt mich nun doch hellhörig werden. Sofort sind meine Gedanken bei Superheldengeschichten, Fantasyfilmen und Videogames. Habe ich ein eingebautes Punktekonto für Magie? Oder verliere ich mit jedem Zauber ein bisschen mehr den Verstand? Aber selbst, wenn es so wäre, müsste es doch auch ein Gegenmittel geben. Etwas, mit dem ich mich auftanken kann, etwas, das meinen Wahnsinn wieder vertreibt.

Wahrscheinlich ist es am besten, mich erst einmal in die Materie einzulesen. Trockentraining sozusagen. Genau wie beim Segelschein. Man paukt Theorie, um die Regeln und Grundhandgriffe zu kennen. Erst dann geht es aufs Boot und mit vollen Segeln in den Wind gelegt übers Wasser. Ob in der Bibliothek Zauberbücher stehen? Oder zumindest ein Exemplar Magie für ahnungslose Hüterinnen?

Eine Frage, der ich etwas später nachgehen werde. Zuerst stehen die üblichen Pflichten an. Daran erinnert mich in der nächsten Sekunde auch das Haushaltsbuch, das mit einem hörbaren Rums auf dem Esszimmertisch landet.

Ich stelle meine Tasse in die Spüle, räume Mischas leeres Käseschälchen beiseite und will mich gerade dem Buch widmen, als ich mitten im Wohnzimmer etwas entdecke. Schwebend! Erst glaube ich, es ist Hilde, doch die ist immer noch bei mir in der Küche.

Wenn das ein Besucher ist, dann bin ich im Bademantel höchst unpassend gekleidet. Mal ganz davon abgesehen, dass ich auch noch nicht geduscht habe. Hin- und hergerissen zwischen dem Drang, hoch in mein Schlafzimmer zu sausen oder doch lieber rasch ein Glas Saft bereitzustellen, verharre ich auf der Stelle und starre weiter das Etwas an, das sich dort direkt neben dem kleinen Sofa zu einer festen Form bildet. Vornehmlich rot, wie mir auffällt. Was mir wiederum den Abend und Paddys Geschenk ins Gedächtnis ruft.

»Mischa! Hilde! Schnell, versteckt euch! Der Tod will einen von euch holen!«

Die Muse gibt einen erstickten Schrei von sich und verschwindet augenblicklich in einer durchscheinend rosa Wolke. Mein Kater ist dagegen weniger von meinem heroischen Rettungsversuch beeindruckt. Er hält kurz inne, folgt meinem Blick hinüber ins Wohnzimmer und fährt dann unbekümmert fort, sich nach der Speisung akribisch sauber zu lecken.

Bereit, ihn mit meinem Leben zu verteidigen, greife ich nach dem Nächstbesten, das ich finden kann. In der einen Hand den Kochlöffel, in der anderen die große Schöpfkelle, gehe ich todesmutig auf das rote Wabern zu.

Nur um festzustellen, dass es sich nicht zu einer Ausgeburt des Todes verfestigt, sondern zu ein paar dicken, runden und wirklich riesigen Ziffern mit einem ebenso monströsen Doppelpunkt dazwischen.

»Es ist sinnlos, gegen die Zeit zu kämpfen. Früher oder später bringt sie uns alle um«, kommentiert Mischa so trocken, dass ich unfreiwillig glucksen muss.

Okay, vielleicht war ich ein wenig voreilig, aber noch bin ich nicht gewillt, das alles nur als Missverständnis abzutun. Besonders, da diese im Raum schwebende rote Uhr rückwärts zählt. Ein Countdown, aber wofür?

»Lass die Scherze, Mischa. Sag mir lieber, was diese Erscheinung zu bedeuten hat. Was oder wer genau zählt da herunter?«

»Das Haus«, lautet die lapidare Antwort.

---ENDE DER LESEPROBE---