Magic Agents - In Dublin sind die Feen los! - Anja Wagner - E-Book
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Magic Agents - In Dublin sind die Feen los! E-Book

Anja Wagner

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Beschreibung

1. Die Tätigkeit magischer Agenten (kurz: Magenten) ist streng geheim.
2. Die landestypischen Legenden des jeweiligen Einsatzortes sind zu studieren und zu respektieren.
3. Magentenfaustregel: Traue niemandem und traue jedem alles zu.


Kaum hat die 12-jährige Elia Evander ihre Magentenprüfung bestanden, ist sie auch schon mitten in ihrer ersten Mission: In Dublin wurde ein magisches Artefakt gestohlen! Nun tauchen immer mehr Fabelwesen in der Stadt auf, die nicht nur sich selbst sondern auch die Menschen in Gefahr bringen.
Ein klarer Fall für Elia, Agentin im Auftrag der Magie! Doch die verirrten Kreaturen undercover zurück in ihre Welt zu schleusen, stellt sie vor ungeahnte Herausforderungen: Warum nur sind die Wesen plötzlich so angriffslustig? Und wie soll Elia etwas finden, von dem ihr keiner sagen kann, wie es aussieht?

Fabelwesen, magische Action und eine Prise irisches Fernweh: Der erste Einsatz für Magentin Elia Evander!

Alle Bände der Magic Agents -Reihe:
Magic Agents – In Dublin sind die Feen los! (Band 1)
Magic Agents – In Prag drehen die Geister durch! (Band 2)

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Seitenzahl: 317

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2023 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Text: © Anja Wagner 2023. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb Alle Rechte vorbehalten Coverillustration & -gestaltung sowie Kapitelvignetten: Nele Schütz Design/Sonja Gebhardt unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com/Monspix Gestaltende Elemente im Innenteil: Shutterstock.com/Lia_Russy, Tartila, StudioAnomali, Gryva ah · Herstellung: AJ Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

Allgemeingültige Richtlinien

Allgemeingültige Richtlinien für Magent*innen auf Mission

1.

Die Tätigkeit magischerAgenten (kurz: Magenten) ist streng geheim.

2.

Sollte die Tarnung auffliegen, muss unverzüglich für Vergessen gesorgt werden, vorzugsweise mit Vergiss-es-Tropfen.

3.

Vergiss-es-Tropfen sind auch das Mittel der Wahl bei magischen Missgeschicken.

4.

Magentenhilfsmittel sind stets verschlossen zu halten und dürfen nur im Verborgenen angewendet werden.

5.

Merke: Der magische Begleiter ist deine magische Ladestation, sein Wohlbefinden hat höchste Priorität. (Der Ratgeber Mein magischer Begleiter – wie er wirklich tickt gehört in jedes Magentengepäck.)

6.

Der Notknopf führt zum sofortigen Abzug aus der Mission und zur Versetzung in den Innendienst. Er darf nur im Notfall betätigt werden.

7.

Die magische SmartWatch muss stets aufgeladen sein, das Passwort ist täglich zu ändern.

8.

Magentenfaustregel: Traue niemandem und traue jedem alles zu.

9.

Erwachsene können sich nicht vorstellen, dass Kinder einen wichtigeren Auftrag haben als sie. Sie sind in dem Glauben zu belassen.

10.

Die landestypischen Legenden und Mythen des jeweiligen Einsatzortes sind zu studieren und zu respektieren.

Die Tätigkeit magischerAgenten (kurz: Magenten) ist streng geheim.

Sollte die Tarnung auffliegen, muss unverzüglich für Vergessen gesorgt werden, vorzugsweise mit Vergiss-es-Tropfen.

Vergiss-es-Tropfen sind auch das Mittel der Wahl bei magischen Missgeschicken.

Magentenhilfsmittel sind stets verschlossen zu halten und dürfen nur im Verborgenen angewendet werden.

Merke: Der magische Begleiter ist deine magische Ladestation, sein Wohlbefinden hat höchste Priorität. (Der Ratgeber Mein magischer Begleiter – wie er wirklich tickt gehört in jedes Magentengepäck.)

Der Notknopf führt zum sofortigen Abzug aus der Mission und zur Versetzung in den Innendienst. Er darf nur im Notfall betätigt werden.

Die magische SmartWatch muss stets aufgeladen sein, das Passwort ist täglich zu ändern.

Magentenfaustregel: Traue niemandem und traue jedem alles zu.

Erwachsene können sich nicht vorstellen, dass Kinder einen wichtigeren Auftrag haben als sie. Sie sind in dem Glauben zu belassen.

Die landestypischen Legenden und Mythen des jeweiligen Einsatzortes sind zu studieren und zu respektieren.

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1. KAPITEL

1. KAPITEL

Unnormal normal

Es ist faszinierend, dass Menschen sich gerade dann auffällig benehmen, wenn sie nicht auffallen wollen. Das gilt besonders für diejenigen, die ein großes Geheimnis umweht und die alles dafür tun würden, dass niemand es je herausfindet. So wie meine Familie.

Ich konnte den Schwefel schon riechen, als ich aus dem Bus stieg. Es war mir sofort klar, wer für den beißenden Gestank verantwortlich war. Das wusste jeder im Erlenweg. Trotzdem tat ich so, als würde ich nichts bemerken, und schlenderte durch unsere Straße nach Hause.

»Wenn du mich fragst, hat der nicht alle Latten am Gartenzaun«, krächzte der alte Theo aus Haus Nummer zwei gerade unserer Nachbarin Ilseborg entgegen. Er hatte dafür sogar seinen Laubbläser ausgeschaltet, was nicht oft vorkam, besonders nicht an sonnigen Herbstnachmittagen. Überhaupt war im Erlenweg allgemein bekannt, dass Theo immer dann besonders mies gelaunt war, wenn er so wie jetzt mit den Daumen seine Hosenträger fletschen ließ.

Ilseborg, die mit gerümpfter Nase verwelkte Blätter von ihrem Ginsterbusch pflückte, drehte sich zu mir, als hätte sie meine Anwesenheit gespürt. »Ah, Elia. Wird auch Zeit, dass du nach Hause kommst.« Sie sah mich mit gerunzelter Stirn an, was man bei ihr nicht an den Falten erkennen konnte, sondern daran, wie sich ihr mausgrauer Pottschnitt über ihre Augen senkte. »In eurer Garage gab es vorhin schon wieder grüne Blitze.«

»Und eure neue Kehrmaschine riecht nach Schwefel«, donnerte Theo dazwischen und deutete mit seinem knorrigen Zeigefinger auf unseren Garten. »Dein Vater jagt uns eines Tages noch allesamt in die Luft.«

Ja, das fürchtete ich auch. Und es war eine berechtigte Sorge. Erst vor zwei Jahren hatte mein Vater es fertiggebracht, seine Werkstatt in der Zentrale abzufackeln. Das Tarnungskommando hatte damals alle Hände voll zu tun gehabt, den Unfall für die Feuerwehr wie einen normalen Zimmerbrand aussehen zu lassen. Am Ende sind wir dann in den beschaulichen Erlenweg am Stadtrand gezogen, wo Enno seinen Arbeitsraum in unserer Garage eingerichtet hat und dort jetzt alte Autos restauriert. So glaubt jedenfalls die Nachbarschaft.

»Ich sag ja immer, dass nichts Gutes dabei rauskommt, wenn man den ganzen Tag zu Hause hockt.« Ilseborg warf einen missbilligenden Blick zu unserem Grundstück. Sie zupfte ihr geblümtes Kleid zurecht, unter dem ihre Gummistrümpfe hervorblitzten. »Das bringt einen nur auf komische Ideen.«

»Recht hast du, Ilseborg«, brummte Theo. »Ausnahmsweise«, fügte er noch hinzu, doch das ging schon zur Hälfte im aufheulenden Dröhnen seines Laubbläsers unter.

Weil ich niemandem sagen durfte, dass mein Vater dafür bezahlt wurde, sonderbare Dinge zu erfinden, ignorierte ich Ilseborgs Worte. »Ich gehe dann mal.«

»Mach das!«, rief Ilseborg gegen Theos Lärm an und deutete auf unser Haus. »Und sieh mal besser schnell nach ihm. Da scheint irgendwas nicht mit rechten Dingen zuzugehen.«

Wie zur Bestätigung zuckte in dem Moment ein giftgrüner Blitz hinter den kleinen Fenstern des doppelflügeligen Garagentors auf. Ich vermied es, Ilseborg noch einmal anzusehen, und ging die letzten Meter im Laufschritt. Erst vor der Garagentür blieb ich stehen und klopfte an. Das war aber keine Höflichkeit, sondern reiner Selbstschutz.

»Einen Moment noch!«, rief mein Vater Enno von drinnen. Ich hörte es scheppern, dann einen lauten Fluch. Während ich auf ihn wartete, lehnte ich mich ans Tor und sah seiner neuesten Erfindung bei der Arbeit zu: Unsere Mülltonne fuhr kreuz und quer durch den Garten und saugte das Laub ein. Die Idee war genial, ich konnte sogar darauf wetten, dass Theo im Grunde seines Herzens neidisch auf Ennos Laubsauger-Tonne war. Es gab nur ein Problem damit.

Mein Vater verstand die Bedeutung von normal nicht. Er war felsenfest davon überzeugt, dass seine übel riechende Erfindung ein Meisterwerk war. »Ich weiß gar nicht, was ihr habt. Unser Garten ist ab sofort genauso aufgeräumt und laubfrei wie der von Theo und Ilseborg, und wir müssen nichts dafür tun. Wir haben genug Zeit für wichtigere Dinge, während die Mülltonne sich selbstständig füllt. Jetzt werden die Nachbarn endgültig davon überzeugt sein, dass wir ganz normale Leute sind.« Dummerweise setzte Enno zum Antrieb seiner Maschinen aber ausschließlich auf Magie. »Das ist so schön leise und umweltfreundlich«, war sein Lieblingssatz. Nur leider stank zu viel Magie eben nach Schwefelwasserstoff, kurz gesagt: nach faulen Eiern.

Die Garagentür wurde einen Spaltbreit geöffnet und Enno blickte heraus. Sein schwarzer Schopf stand ihm vom vielen Haareraufen zu Berge und über sein Gesicht zog sich eine dicke Schmauchspur. »Du kannst jetzt reinkommen. Aber lass Ratz nicht entwischen!«

Ich folgte ihm in die Garage und schloss das Tor hinter mir. »Es läuft heute wohl nicht gut?«

»Kann man so nicht sagen, aber irgendwas stimmt hier noch nicht«, murmelte mein Vater. Er hatte sich zwischen den vollgestopften Regalreihen nach hinten geschlängelt. Durch die angestaubten Fläschchen in einer Glasvitrine sah ich, dass er vor seiner großen Tafel stehen geblieben war und mit einem Stück Kreide in einer Formel herummalte.

Ich warf meine Tasche in die Ecke neben Ratz’ Körbchen und fischte ein Cornichon aus dem offenen Gurkenglas im Regal. »Na, wo steckst du, du kleines Leckermäulchen?«, lockte ich und hockte mich hin.

Ratz ließ nicht lange auf sich warten. Er kam unter dem Regal hervorgekrochen und schnupperte mit seiner schwarzen Schnauze an der Minigurke.

Während der kleine Zwicker das saure Leckerli anknabberte, streichelte ich ihm über das weiche Fell. Es war schneeweiß mit zwei dicken schwarzen Streifen, die von seiner Schnauze ausgehend über Augen, Ohren und Rücken verliefen und in den Schwanz mündeten. Ratz sah aus wie eine Mischung aus Dachs und weißer Ratte und gehörte zu Enno.

»Hoffentlich habe ich auch so viel Glück bei der Zuteilung meines magischen Begleiters«, sagte ich leise und gab Ratz den Rest der Gurke.

»Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst«, brummte mein Vater.

Enno behauptete immer, dass er den Tag verfluchte, an dem Ratz in sein Leben gekommen war. Aber so ganz glaubte ich ihm das nicht. Sicher, er musste sich von Ratz zwicken lassen, um sich magisch aufzuladen, und wenn der schlechte Laune hatte, war er nicht gerade sanft. Doch ich fand das deutlich harmloser als die Prozedur, durch die meine Mutter jeden Tag gehen musste.

Im Gegensatz zu meinem Vater hatte Edvina nämlich als Zwölfjährige einen gewöhnlichen Eileger zugeteilt bekommen. Krok, der eine Mischung aus boshafter Krähe und gerupfter schwarzer Eule war, konnte einen mit seinem lauten Gekrächze auf die Palme bringen. Noch schlimmer war aber das schwarze Ei, das er täglich legte und das meine Mutter roh ausschlürfen musste, um sich mit Magie aufzuladen. »Das ist eben der Preis, den man für seine Kräfte zahlt«, pflegte Edvina tapfer zu sagen, nachdem sie die schwarz-gelbe Glibbermasse hinuntergewürgt und aufgehört hatte, sich vor Ekel zu schütteln. »Wäre es nicht ein Traum, wenn Magie einfach angeboren sein könnte?«

Enno hielt uns dann immer einen langen Vortrag über Relativität und Wahrscheinlichkeit – mit dem Fazit, dass angeborene Magie beim Menschen unmöglich sei. »Deshalb brauchen wir ja unser internationales Späher-Netzwerk«, schloss er jedes Mal mit stolzem Blick zu den Familienfotos auf unserem Kaminsims. Kein Wunder, Enno stammte aus einer der berühmtesten Späher-Familien.

Späher nannte man erwachsene, ehemalige Magenten, die weltweit nach neuen Talenten für die anspruchsvolle Ausbildung bei der S.A.M. suchten. So wie meine Tante Elvira. Schon drei der von ihr entdeckten Talente waren bis in die Leitung des Geheimdiensts aufgestiegen. Sie hatte eine gute Nase für besondere Begabungen, denn nicht jedes Kind war für die Ausbildung zum magischen Agenten geeignet. »Die Eigenschaft, auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren, eine schnelle Auffassungsgabe und eine gewisse Sportlichkeit sind Grundvoraussetzungen für einen Magenten«, zählte Elvira immer auf und fügte gern mit einem breiten Grinsen hinzu: »Genauso wie ein unempfindlicher Magen.«

Deshalb machte es mich richtig stolz, dass sie auch mich damals vorgeschlagen hatte.

»Wann kriege ich eigentlich meinen Begleiter? Direkt morgen, an meinem zwölften Geburtstag?«, rief ich nach hinten und sah Ratz zu, wie er sich satt und zufrieden in seinem Körbchen einrollte.

»Nein, erst am Montag. Ich denke, sie verbinden die Zuteilung mit deinem ersten Tag in der weiterführenden magischen Akademie«, murmelte Enno abwesend. Seine Kreide quietschte über die Tafel.

»Aber das dauert ja noch ewig.« Enttäuscht stand ich auf, schlängelte mich zwischen den Regalen zu Enno hindurch und setzte mich auf seine Schreibtischplatte.

Wenn ich die Tafelskizze richtig deutete, arbeitete mein Vater gerade an der Erfindung eines magischen Fingerrings. Er rieb sich grübelnd das Kinn, was weiße Kreidespuren in seinem Gesicht hinterließ.

Meine Kehle schnürte sich zusammen. »Ich habe wirklich geglaubt, das ginge schneller.«

Enno sah mich so irritiert an, als müsste er erst überlegen, woher wir uns kannten. »Was hast du denn gedacht? Dass die S.A.M. am Wochenende nichts anderes zu tun hat, als Neu-Magenten ihre Tiere zuzuteilen?«

Um ehrlich zu sein, genau das hatte ich erwartet. Seit sechs Jahren sehnte ich schließlich genau diesen Tag in meinem Leben herbei und hatte vor einer Woche mit der bestandenen Magentenprüfung alle Voraussetzungen dafür erfüllt. Als Klassenbeste sogar, doch das beeindruckte meine Eltern nicht besonders. »Magent ist Magent«, hatte Enno nur gebrummt. »Eine blutrünstige Bestie fragt dich nicht zuerst nach deinen Noten.«

»Dann kann ich ja auch erst ab Montag auf Mission geschickt werden«, sagte ich niedergeschlagen.

Mein Vater legte die Kreide weg, rieb sich seine Hände an der Hose sauber und setzte sich zu mir auf den Schreibtisch. »Tut mir leid, wenn du falsche Vorstellungen hattest. In manche Geheimnisse werden Magenten erst nach dem Bestehen ihrer Prüfung eingeweiht. Sicher ist sicher. Aber sieh es doch positiv. So kannst du den wichtigsten Geburtstag in deinem Leben auf jeden Fall mit uns verbringen. Und irgendwann geht es auch für dich auf Mission.«

»Irgendwann?«, flüsterte ich entsetzt.

Enno nickte und schob mir eine Haarsträhne hinter das Ohr, als ob das nötig wäre. Leider hatte ich nicht Edvinas blonden Lockenschopf, sondern Ennos schwarze Bindfadenhaare geerbt, und die klemmten auch von ganz alleine hinter meinen etwas zu großen Ohren.

Mein Vater griff hinter sich und nahm einen kleinen, verstaubten Bilderrahmen von der Wand. Das Foto zeigte ihn als Jugendlichen in Uniform inmitten einer Schulklasse. »Bei mir war es drei Wochen nach meinem zwölften Geburtstag so weit. Von heute auf morgen ging es los. Das war eine aufregende Sache. Ich wurde als Gastschüler in ein Londoner Internat eingeschleust und sollte dort einen aus der Grabkammer entflohenen dreihundert Jahre alten Geist wieder einfangen.«

»Das war alles?« Meine Vorfreude verglomm wie ein Schwefelhölzchen.

»Na, hör mal!« Enno tat eingeschnappt. »Das war nicht so einfach, wie es klingt. Der Geist war immerhin davon überzeugt, dass er eine der Lehrerinnen töten muss.«

Das klang schon vielversprechender, und ich war halbwegs versöhnt.

Da kam ein Auto in unsere Einfahrt gefahren und der Motor verstummte vor der Garage.

»Wer kann das sein?« Ich sah Enno fragend an. Für meine Mutter war es noch viel zu früh. Sie arbeitete in der Verwaltung der S.A.M., seit Ennos Malheur in der Erfinderwerkstatt die einzige Abteilung, zu der Erwachsene noch Zutritt hatten. Dort dachte sie sich neue Identitäten für junge Magenten im Einsatz und für enttarnte Magentenfamilien aus. Und sie stellte Kontakte in der ganzen Welt her, um die magischen Agenten undercover unterzubringen. Manchmal gab es Notfälle und dann arbeitete sie bis tief in die Nacht. Ich war mir sicher, dass sie auch für uns schon neue Identitäten in der Schublade liegen hatte. Wenn man ein Familienmitglied wie Enno hatte, sollte man besser vorbereitet sein.

Eine Autotür wurde zugeschlagen und jemand kam auf das Garagentor zu.

»Vielleicht die Post«, meinte mein Vater, griff nach dem Bonbonglas und sprang von der Schreibtischplatte.

Uschi, unsere Postfrau, war die einzige Person, die uns wirklich gefährlich werden konnte. Keiner kam näher an unser geheimes Leben heran als sie. Und nur sie kannte die Absender unserer Briefe. Zum Glück war Uschi kurzsichtig. Jedenfalls ließ sie sich nie etwas anmerken, wenn sie mir die Umschläge überreichte. So, als wäre es ganz normal, dass wir Post von der Spezialeinheit junger Agenten für Magisches, kurz S.A.M., bekamen.

Zur Sicherheit bot Enno ihr aber trotzdem in regelmäßigen Abständen ein Kirschsahnebonbon an, seine wohl köstlichste Erfindung. Uschi liebte die Bonbons und nahm immer gleich zwei – eins für sofort und eins für den Weg. Ich fand es faszinierend, die Wirkung an ihr zu beobachten: Dank der eingearbeiteten Vergiss-es-Tropfen löschte sich alles Magische aus Uschis Gedächtnis. Kaum hatte die Süßigkeit ihre Zunge berührt, guckte sie ganz verwirrt und prüfte dreimal ihre Zustellerliste, als wüsste sie gar nicht mehr, was sie eigentlich bei uns wollte.

Die Garagentür wurde vorsichtig geöffnet und tatsächlich trug jemand mehrere Pakete herein. Aber nicht Uschi, sondern meine Mutter.

»Edvina, du bist schon zurück?«, rief Enno in einer Mischung aus Erleichterung und Verwunderung und stellte das Bonbonglas wieder auf den Schreibtisch.

»Hallo, ihr zwei!« Edvina zog mit dem Fuß die Tür hinter sich zu und balancierte die Päckchen durch die Regalreihen.

Enno eilte ihr entgegen und rettete das Kuchenpaket, das oben auf dem Stapel bedrohlich wankte. Er öffnete den Deckel und wollte schon seinen Finger in die Sahne bohren.

»Untersteh dich, Enno. Der ist für morgen.« Edvina ließ die restlichen Pakete auf den Schreibtisch fallen und nahm meinem Vater die Torte weg. »Epione hat mir heute Nachmittag freigegeben. Also war ich noch schnell in der Stadt.« Sie suchte aus den Päckchen das kleinste heraus und überreichte es mir feierlich. »Sie hat mir sogar ein Geschenk für dich mitgegeben.« Edvina starrte auf den braunen Karton und überlegte. »Warte, ich sollte dir dazu was sagen. Aber was war es noch mal? Also ich glaube, du sollst es nicht vor deinem Geburtstag auspacken.« Sie nickte zufrieden. Im nächsten Moment schüttelte sie ihren Lockenkopf. »Nein, jetzt weiß ich es wieder! Du sollst es sofort auspacken.«

Meine Finger zitterten ein bisschen, als ich die Klebestreifen löste. Ich hatte noch nie ein Geschenk aus der Zentrale bekommen. Die Schachtel ließ sich nach hinten aufklappen. Ich nahm einen kleinen Zettel heraus, und darunter kam eine Armbanduhr zum Vorschein, laut Aufkleber auf dem Display eine WitchWatch. Was sollte das sein? In unserer Ausbildung hatten wir an einer gewöhnlichen SmartWatch und mit Tablets die Anwendung der wichtigsten magischen Apps trainiert.

»Wow«, machte Edvina.

»Jung-Magent müsste man noch mal sein.« Enno war nicht nur beeindruckt, sondern auch augenscheinlich neidisch. »Als ich mit zwölf meine Ernennungsurkunde erhalten habe, gab es nur die neueste Ausgabe von Die größten Magenten Europas. Jetzt fühle ich mich alt.«

Edvina lachte. »Bei uns gab es DiezehnspektakulärstenMissionen aller Zeiten.«

Ich nahm die WitchWatch aus der Schachtel und legte sie mir ums linke Handgelenk. Während ich den Sticker abzog und über den glänzenden Bildschirm streichelte, öffnete Enno den kleinen Anleitungszettel und las vor: »Diese WitchWatch ist bereits aufgeladen und verfügt über eine SIM-Karte der S.A.M., die nicht entfernt werden darf. Das Passwort ist Magent40137 – unbedingt nach dem ersten Einloggen ändern!« Enno ließ den Zettel sinken und sah mich gespannt an.

Ich holte tief Luft und drückte auf den Knopf unter dem Display.

»Passwort«, sagte eine hohl klingende Stimme in der Uhr.

»Magent40137«, rief ich.

»Willkommen, Elia Evander, du hast 26 verpasste Anrufe!«, verkündete die Stimme. Der Bildschirm wurde schwarz, dann erschien das grünliche Gesicht einer jungen Hexe. »Mein Name ist Glenda, deine persönliche Witch in der Watch. Bitte lege dein Passwort fest.«

»Wie wäre es mit Himbeerbaiser?«, schlug Enno vor und sah sehnsüchtig zu dem Kuchenpaket auf seinem Schreibtisch.

»Himbeerbaiser?« Ich lachte über Ennos Idee.

»Akzeptiert. Dein heutiges Passwort ist Himbeerbaiser.« Glenda verschwand vom Bildschirm, denn ein Anruf ging ein. Epione ruft an stand dort. Ich sah meine Eltern erschrocken an.

»Nun geh schon ran«, drängte Edvina.

Nervös tippte ich auf den grünen Telefonhörer.

Das Gesicht der Geheimdienstleiterin erschien auf dem Display. Ihr hellblonder Bob umrahmte ihr jugendliches Gesicht. »Elia, endlich erreiche ich dich! Vor über drei Stunden habe ich Edvina schon mit deiner WitchWatch nach Hause geschickt.«

»Dass ich sofort nach Hause gehen soll, hat sie nicht gesagt«, zischte Edvina mir leise zu.

»Hallo, Epione«, sagte ich. »Tut mir leid, meine Mutter war noch Besorgungen machen. Jedenfalls vielen Dank für die Uhr, und …«

»Hör zu, Elia«, unterbrach Epione mich. »Das ist keine gewöhnliche SmartWatch. Wir haben dir den Prototypen einer völlig neuartigen Uhr zur Erprobung zugeteilt. Diese WitchWatch hat ein paar … ähm, nun ja … sie hat gewisse Extras. Ich bin wirklich gespannt auf deinen Testbericht. Aber der eigentliche Grund für meinen Anruf ist: Ich brauche dich für einen Einsatz. Einer unserer Magenten hat den Notknopf betätigt und wird gerade aus seiner Mission abgezogen. Kannst du einspringen?«

»Ich? Einspringen! Wieso ausgerechnet ich? Und wann, etwa jetzt sofort? Wohin soll es gehen?« Als mir auffiel, wie aufgeregt ich mich anhörte, verstummte ich.

»Das erfährst du alles noch. Es tut mir wirklich leid, dass du so Hals über Kopf einberufen wirst. Wir müssen natürlich warten, bis du zwölf bist, das können wir nicht umgehen. Daher erwarten wir dich um Mitternacht vor der Tür der Zentrale. Edward wird dich in Empfang nehmen. Deine Eltern dürfen dich nicht in den Magentenbereich begleiten, aber das wissen sie ja selbst.«

Aufregung kribbelte durch meinen Körper, als würde dort eine ganze Ameisenhorde herummarschieren. »Alles klar«, sagte ich so professionell wie möglich.

»Prima!« Epiones ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Und denk dran: ein einziges Gepäckstück. Mehr ist nicht drin. Bis dann, wir sehen uns.« Das Display wurde wieder dunkel und ganz hinten lehnte Glenda wartend an der Uhrwand.

Aufgeregt sah ich meine Eltern an. Mitternacht, hatte Epione gesagt.

»Heute schon?«, flüsterte Edvina. Ihre Stimme zitterte.

Enno zog die Kuchenschachtel heran und öffnete wieder den Deckel. »Verwunderlich ist das nicht. In unserer Familie läuft doch immer alles ein bisschen anders.« Er nahm den Löffel aus seiner Kaffeetasse und schaufelte sich ein dickes Stück Himbeertorte in den Mund. »Der Kuchen wird ja dann morgen nicht gebraucht«, sagte er kauend.

S.A.M. international

Hamburg – Boston – Rio de Janeiro – Johannesburg – Tokio

Sehr geehrte Elia Evander,

wir gratulieren zur bestandenen Magentenprüfung mit der überragenden Höchstpunktzahl von 999 Punkten. Als Anerkennung Ihrer Leistungen wird Ihnen hierfür die

Ehrennadel in Silber

verliehen.

Herzlichen Glückwunsch und immer gutes Geschick!

Im Auftrag:

Amanda Adams

S.A.M. international, Headquarters

2. KAPITEL

2. KAPITEL

Die Zentrale

Den Notknopf zu betätigen ist keine Schande«, sagte Edvina zum mindestens zwanzigsten Mal, seitdem wir das Haus verlassen hatten. Sie kurvte uns durch die Stadt, die auch kurz vor Mitternacht noch voller Leben war. »Es gibt in der S.A.M. auch andere schöne Aufgaben für begabte Magentinnen.«

»Die da wären?«, fragte Enno interessiert. Er saß wie immer angespannt auf dem Beifahrersitz, denn gewöhnlichen Motoren traute er nicht über den Weg. Ratz hatte sich wie ein Pelzkragen um seinen Nacken geschlungen und schlief leise schnarchend.

Edvina warf Enno einen warnenden Blick zu.

»Doch, doch«, beeilte mein Vater sich daraufhin zu versichern. »Es ist auch eine wirklich schöne Herausforderung, Assistent in der Aufzuchtabteilung für magische Begleiter zu sein. Käfige ausmisten kann sehr erfüllend sein. Oder denkt mal an die Kantine. Es muss ja auch jemand den aufstrebenden Magenten das Essen servieren und denen in der Grundausbildung, die noch keinen eigenen magischen Begleiter haben, die tägliche Portion Magie untermischen. Das ist ein sehr verantwortungsvoller Job.«

»Enno!«, mahnte Edvina. Sie parkte unseren Wagen vor einem siebenstöckigen Backsteinbau am Straßenrand. In der Bäckerei im Erdgeschoss brannte nur noch spärliches Licht. Am frühen Morgen würde sich RosiesBackstube allerdings vor Kunden kaum retten können, denn die Besitzerin, die eigentlich Edelrosa hieß, verkaufte die leckersten Zimt-Croissants der Stadt.

Was mich an RosiesBackstube aber viel mehr als ihre Zimt-Croissants faszinierte, war die Leichtigkeit, mit der Erwachsene zu täuschen waren. Niemand wunderte sich darüber, dass viel mehr Menschen die Bäckerei betraten als sie wieder verließen. Das lag natürlich daran, dass RosiesBackstube nur Tarnung war. Während normale Kunden sich morgens vor der Verkaufstheke tummelten, gingen die erwachsenen Mitarbeiter der S.A.M.-Verwaltung an ihnen vorbei durch eine Nebentür mit der Aufschrift Privat: Zutritt nur für Personal zur Arbeit.

Wenn jemand dem Geheimnis doch einmal zu nah kam und sich über die vielen Mitarbeiter in der Backstube wunderte, reichte Rosie schnell einen Teller mit Kuchenstückchen über die Theke. »Eine kleine Kostprobe gefällig?«, fragte sie dann so überzeugend, dass man ihr Angebot auf keinen Fall ablehnen konnte. Ich hatte ja den Verdacht, dass Rosie Vergiss-es-Tropfen in die Geschmacksproben einbackte, aber bislang hatte sie immer nur sehr geheimnisvoll zu meiner Vermutung gelächelt. Überhaupt schien niemand der rundlichen Rosie mit dem breitesten Lächeln und den besten Croissants der Stadt ein faustdickes Geheimnis zuzutrauen.

Angehende Magenten in der Grundausbildung, so wie ich bis vergangene Woche eine gewesen war, betraten den Gebäudekomplex der S.A.M. aber nicht durch RosiesBackstube, sondern durch die MaximalSchülernachhilfe, die rechts neben der Bäckerei lag und natürlich keine Nachhilfe anbot, sondern der Zugang zur magischen Akademie, kurz Makademie war. Auch PietsZoohandlung nebenan war selbstverständlich nur Tarnung und führte zwischen Regalen voller Hunde-, Katzen- und Hamsterfutter Eingeweihte in die Tierarztpraxis für magische Begleiter.

»Hast du auch ein paar Sahnebonbons eingesteckt?«, fragte Enno und kramte in seiner Jackentasche.

»Einen ganzen Beutel. Vergiss-es-Bonbons in drei Geschmacksrichtungen und das Handbuch für magische Begleiter.« Ich klopfte auf den alten Seesack, den Enno mir heute Abend mit Stolz vermacht hatte. »Der hat mich auf alle Missionen begleitet, und ich hoffe, er bringt dir genauso viel Glück wie mir«, hatte er gesagt, und in seiner Stimme hatte ein Hauch von Rührung mitgeklungen.

Edvina stieg aus dem Wagen und öffnete die hintere Autotür, um nach dem Seesack zu greifen. »Ich drücke dir wirklich die Daumen, dass du keinen Eileger zugeteilt bekommst. So einen Vogel auf einer Mission geheim zu halten, ist eine Riesenherausforderung.«

»Wohl nichts im Vergleich zu einem verspielten Jungzwicker, der alles kneifen will, was zwei Beine hat.« Auch Enno war ausgestiegen. Er klopfte seine Hosentaschen ab und zog ein kleines Päckchen hervor. »Ha, da ist es ja!«

Ich kletterte aus dem Wagen und sah an der S.A.M.-Zentrale hoch, die noch hell erleuchtet war. Wo sich wohl der Haupteingang für die ausgebildeten Magenten versteckte?

Edvina reichte mir den Seesack und streichelte mir zum Abschied über die Wange. »Versprich mir, dass du den Notknopf benutzt, wenn es zu gefährlich wird.« Sie deutete auf meine WitchWatch. »Und vergiss das Aufladen nicht.«

»Ich finde, dass die Magenten heutzutage viel zu leichtfertig auf den Notknopf drücken können«, sagte Enno kopfschüttelnd. »Wir mussten früher erst mal ein Telefon suchen und in höchster Gefahr mit bebenden Fingern dreimal die Null wählen. Da hast du es dir gut überlegt, ob du dich nicht doch lieber selbst rettest. Andererseits …«

»Enno!«, zischte Edvina meinem Vater zu.

»Was denn?« Er zuckte mit den Schultern. »Andererseits ist mehr Sicherheit ja durchaus von Vorteil. Früher ist es immer mal wieder vorgekommen, dass ein Magent von seinem Einsatz gar nicht zurückkehrte.«

»Glaub ihm kein Wort.« Edvina sah meinen Vater aus zusammengekniffenen Augen an.

»Ach ja?« Enno zog die Brauen hoch. »Darf ich dich an Emilia Ebert erinnern? Einfach grauenhaft war das! Oder an Erik Essmann, der im schottischen …?«

»Ach guck, es geht los«, unterbrach Edvina ihn und deutete die Straße hinab.

Hinter der Schülernachhilfe öffnete sich eine Tür und ein Junge in Jeans und Karohemd trat hinaus in die Nacht. Er blieb auf dem Gehweg stehen und sah sich um. Sein Blick streifte mich, und er nickte mir flüchtig zu. Dann trat er zurück ins Gebäude.

»Das ist also der Eingang«, murmelte Edvina überrascht. »Das hätte ich nie erwartet. Ich musste damals noch durch die Warenannahme der Zoohandlung gehen.«

Mein Vater pfiff anerkennend. »Die Tarnung ist wirklich genial. Den Notausgang zu benutzen, nein so was.«

Notausgang war der Name des schummrigen Ladens neben der Schülernachhilfe, der von einem Jugendlichen mit langen Haaren und dicker Brille betrieben wurde. Es war eine Art Jugendtreff und vermittelte laut Schaufensterplakat AbenteuerderanderenArt. Gruppen von Jugendlichen wurden irgendwo in der Stadt in einem Raum eingeschlossen und mussten Rätsel lösen, um sich wieder zu befreien. Solche Escape-Room-Spiele gehörten natürlich auch zum Magententraining, nur dass wir echte Übungsgeister und Bestien zu bekämpfen hatten.

Und plötzlich hatte ich einen dicken Kloß im Hals. Mir wurde klar, dass ich nie wieder mit der Anzucht sprechender Schlingwurzeln, dem Ausprobieren von Magentenhilfsmitteln oder dem Lösen kniffliger Trainingsfälle beschäftigt sein würde. Statt meine tägliche Portion Magie vermischt mit süßem Schokoladenpudding zu löffeln, würde ich mich ab sofort von meinem Begleiter zwicken lassen müssen oder Schlimmeres. Jetzt wartete die Realität auf mich.

Auf einmal wurde mir bewusst, wie schön und aufregend die Grundausbildung an der Makademie gewesen war. Ich würde sogar Ewald vermissen, der uns dienstags mit Historie der magischen Spionage gelangweilt hatte. Und Erin, die mich für meine zukünftigen Einsätze fit gemacht hatte – mit Kampfsport zur Verteidigung in brenzligen Situationen, Sprinttraining und Geschicklichkeitsübungen.

»Dann heißt es jetzt wohl Abschied nehmen«, sagte Edvina und drückte mich fest an sich.

Enno räusperte sich und reichte mir das kleine Päckchen. »Für dich, Elia. Meine neueste Erfindung. Ich musste mich ein bisschen beeilen, sie noch fertig zu bekommen, also wende es erst einmal ganz vorsichtig an. Steht aber alles auch in diesem Brief.« Er zog einen handgeschriebenen Zettel aus seiner Brusttasche und ein Tütchen grün-gelb gestreifte Vergiss-es-Bonbons. »Apfelkuchengeschmack, meine beste Kreation. Steck sie dir in die Jackentasche für alle Fälle.«

»Danke«, sagte ich gerührt. Ich verstaute das Päckchen mit dem Brief vorsichtig in der Seitentasche meines Seesacks und horchte auf, denn aus der WitchWatch erklang ein lautes Tröten, und dann begann Glenda »Happy Birthday« zu singen. Ein Pärchen, das gerade vorüberging, sah neugierig zu uns. Ich schob den Ärmel meiner Jacke hoch und flüsterte »Danke, Glenda, aber ganz falscher Zeitpunkt!« in die Uhr.

»Dann eben nicht«, blaffte Glenda daraufhin beleidigt und spazierte aus dem Bildschirm.

»Eventuell muss ich meine Meinung korrigieren«, sagte Enno kopfschüttelnd. »Vielleicht hat man mit so einer Uhr auch noch mehr Schwierigkeiten am Hals.«

»Tja, das war’s dann wohl. Unser kleines Mädchen ist nun offiziell eine Magentin.« Edvina schniefte und küsste mich auf die Stirn. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Kind.«

»Passt auf euch auf«, flüsterte ich so beherrscht wie möglich.

Enno schob sich vor Edvina. »Also, wenn ihr den Abschied noch dramatischer macht, errät wirklich jeder, dass hier was faul ist.« Er drückte mich kurz an sich.

Ich rieb meine Wange an Ennos Wollpulli, der vertraut nach Schwefel roch. »Es wäre toll, wenn unser Zuhause bei meiner Rückkehr noch steht«, sagte ich.

Sogar Ratz öffnete zum Abschied die Augen, und ich streichelte ihm über das glänzende Fell. Dann lief ich auf den Notausgang zu, ohne mich noch einmal umzudrehen.

Die Ladentür stand offen, und in dem Büro roch es genau so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte: muffig.

»Ich nehme an, du bist Elia Evander?«, fragte der Junge, der auf mich gewartet hatte, und schloss die Tür hinter mir ab. Mit Pferdeschwanz und ohne Brille hätte ich ihn kaum erkannt und ich schätzte ihn auf gerade mal sechzehn oder siebzehn.

»Genau, die bin ich.« Ich sah mich neugierig um. Der Ladenraum war nicht sehr groß. In der Mitte stand ein alter Schreibtisch mit einem noch älteren Computer und ringsum waren ein paar alte Sessel verteilt. Das war alles? Von hier sollte ich auf meine erste Mission geschickt werden? Ich war ein bisschen enttäuscht. Irgendwie hatte ich mir die S.A.M.-Einsatzleitung ganz anders vorgestellt, vor allem viel spektakulärer.

»Mein Name ist Edward, ich bin Epiones Stellvertreter.« Der Junge legte den Schlüssel in die oberste Schreibtischschublade. Dann drehte er sich herum und öffnete eine Klappe in der hinteren Wand. »Dein Gepäck kommt hier hinein.«

Als ich zögerte, grinste er mich verständnisvoll an. »Keine Sorge, du kriegst es zurück. Ist nur ein Sicherheitscheck. Wir überprüfen es auf Wanzen und magische Störfelder.«

Ich legte meinen Seesack in die Öffnung und sah zu, wie Edward die Klappe schloss und auf einen Knopf daneben drückte. »Und abwärts«, sagte er, als ein leises Brummen ertönte.

Ich überlegte, ob ich ihm von Ennos Geschenk in der Seitentasche erzählen sollte. Doch er ging schon zu einem schweren Vorhang und verschwand dahinter. »Kommst du?«, hörte ich ihn gedämpft rufen.

Ich horchte erleichtert auf. Der Notausgang war also auch nur Tarnung. Ich schob den Vorhang zur Seite und folgte Edward in einen langen, spärlich beleuchteten Flur, in dem es sonderbar modrig roch.

»Pass auf, wo du hintrittst!«, warnte Edward und stieg über eine Schlingpflanze, die unter einer Tür hindurchwuchs. »Hier züchten wir das Spezialfutter für die magischen Begleiter.« Edward deutete auf die Milchglastüren links und rechts. »Und natürlich die Pflanzen und Kräuter für unsere Hilfsmittel.«

»Darf ich mal hineinsehen?«, fragte ich gespannt und sprang ebenfalls über eine dicke Ranke.

Edward schüttelte den Kopf. »Das Betreten der Gewächshäuser ist ohne Schutzkleidung nicht gestattet, denn manche der Pflanzen haben ein … Eigenleben.« Er steuerte auf den Paternoster am Ende des Flurs zu. »Wir fahren zuerst hinauf in die Gepäckausgabe. Magisches Gepäck«, fügte er zwinkernd hinzu. »Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal durch diesen Gebäudeteil geführt worden bin.«

Noch nie zuvor hatte ich so einen offenen Aufzug benutzt. Zum Glück fuhr er sehr langsam, sodass es ganz leicht war, die Kabine zu betreten. Gemächlich beförderte uns der Paternoster nach oben. Wir ließen die Gewächshäuser unter uns, es wurde für einen Moment finster, und dann erschien im nächsten Stockwerk ein Gang, der ganz mit Sägespänen ausgelegt war.

»Das ist die Aufzuchtabteilung für magische Begleiter. Dorthin gehen wir gleich nach der Gepäckausgabe«, sagte Edward. »Sicher bist du schon gespannt, welches Tier dir zugeteilt wird.«

Ich nickte aufgeregt und kreuzte die Finger hinter dem Rücken.

»Nur keinen Eileger, was?« Edward grinste, als hätte er meine Gedanken erraten. »Wenn du es keinem weitersagst: Meiner heißt Joshi, und er ist eine grüne Schreck-Ente. Jeden Morgen muss ich grünlich gelben Glibber schlürfen.«

Ich war mir nicht sicher, ob Edward bluffte. Vielleicht wollte er mich auf die Probe stellen? Zur Vorsicht tat ich so, als würde mich grüner Schleim zum Frühstück nicht schocken. »Wie hoch fahren wir eigentlich?«, fragte ich stattdessen.

Edward lehnte an der Aufzugwand und machte keine Anstalten, den Paternoster bald wieder zu verlassen. Gerade passierten wir einen Flur, der gar keiner war. Es war vielmehr eine große, offene Halle mit vielleicht zwanzig Schreibtischen. In dieser Etage konnte man den Aufzug nicht verlassen, denn der Ausstieg war mit einem Gitter versperrt.

»Das ist die Verwaltung, die einzige Abteilung, zu der auch Erwachsene Zutritt haben. Deshalb die Gitter.« Edward klopfte an das Metall und sah mich fragend an. »Arbeiten deine Eltern hier?«

»Meine Mutter«, sagte ich und war froh, als es im Aufzug wieder dunkel wurde. Hoffentlich merkte Edward nicht, dass ich meinen Vater mit Absicht verschwieg.

Der Paternoster tuckerte weiter aufwärts, und in der nächsten Etage stiegen wir aus. Wir hatten einen riesigen Saal erreicht, der wie eine Bibliothek erschien, nur dass hier in zahllosen Regalreihen keine Bücher, sondern Gepäckstücke aller Art lagerten. Auf den vielen Wegweisern und Schildern standen Zahlenkombinationen. Ich fühlte mich wie in das Fundbüro eines Bahnhofs versetzt.

Edward trat vor einen Tresen, der aussah wie eine altmodische Theaterkasse. Er drückte auf die Rezeptionsklingel und stützte sich wartend auf die Theke. »Und, Elia, was arbeitet dein Vater?«

Ich spürte, wie Hitze in mein Gesicht stieg. »Er ist Erfinder für magische Hilfsmittel.«

»Ah, cool.« Edward nickte. Plötzlich veränderten sich seine Gesichtszüge und er sah mich aus halb zusammengekniffenen Augen musternd an. »Ist dein Vater etwa Enno Evander? Der Enno Evander, der vor ein paar Jahren unsere Erfinderwerkstatt in Schutt und Asche gelegt hat?«

»Ich fürchte, ja«, sagte ich zerknirscht.

Zum Glück trat in diesem Moment ein vielleicht fünfzehn oder sechzehn Jahre altes Mädchen verschlafen an die Theke. »Ja, bitte?«, fragte sie und gähnte. Dann erblickte sie Edward. »Oh, hey, Edward.« Verlegen fuhr sie sich durch ihr zerzaustes Haar.

»Hi, Erna. Ich bringe dir Elia Evander.«

»Hi, Elia.« Erna reichte mir ihre Hand über den Tresen. »Erster Einsatz?«

»Genau«, sagte ich nervös.

Erna seufzte. »Ein ganz heißer Tipp von mir: Vermeide es unbedingt, den Notknopf zu drücken, denn sonst endest du so wie ich in der Gepäckausgabe und haust dir die Nächte um die Ohren.«

»Ich werde mir Mühe geben.« Ich grinste.

Edward zog einen kleinen Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn Erna. »Wir brauchen das Gepäck zu dieser Einsatznummer, bitte.«

Erna überflog die Nummer und stutzte. »Das soll ein Witz sein, oder?«

»Keineswegs.« Edward schüttelte den Kopf.

»Na, hör mal! Dieses Gepäck ist heute erst zurückgekommen und aufgefüllt worden. Ich habe es eigenhändig zu Beginn meiner Schicht ins Regal geräumt. Da hättet ihr Eddi doch einfach dortlassen können, wenn seine Mission noch gar nicht abgeschlossen war.«

Edward zuckte mit den Schultern und beugte sich über den Tresen. »Das hätten wir liebend gern getan, doch Eddi hat den Notknopf gedrückt«, raunte er leise, aber ich verstand trotzdem jedes Wort.

Erna riss ihre Augen weit auf. »Eddi hat den Notknopf gedrückt? Unser Eddi? Der mutigste und coolste Magent des ganzen Geheimdiensts?«

Edward warf mir einen kurzen Seitenblick zu und nickte dann zögerlich. »Ja, ich fürchte der Eddi.«

Erna zog einen Kaugummistreifen aus ihrer Hosentasche, wickelte ihn aus und steckte ihn sich in den Mund. Dann musterte sie mich kauend. »Und ausgerechnet die Kleine hier soll seinen Einsatz übernehmen? Seid ihr eigentlich wahnsinnig?«

Ich hätte ihr am liebsten zugestimmt, auch wenn ich ihr das mit der Kleinen übel nahm.

Edward legte mir einen Arm um die Schultern. »Unterschätze Elia nicht. Sie hatte verblüffende 999 Punkte in der Magentenprüfung.«

»999 Punkte?« Erna sah mich beeindruckt an. »Du hast alles gewusst?«

»Fast«, sagte ich verlegen. »In Historie der magischen Spionage hatte ich einen Zahlendreher im Geburtsjahr des Magenten, der den Diebstahl des Grimoire von Armadel aus dem Britischen Museum durch einen berüchtigten Hexenclan aufgeklärt hat.«

»Nicht zu fassen!« Erna war die Kinnlade heruntergeklappt.

»Und jetzt brauchen wir das Gepäck«, drängte Edward und tippte auf den Zettel mit der Einsatznummer. »Der Fall ist eilig.« 

»Ja, kommt sofort.« Erna murmelte die Nummer vor sich hin und verschwand in einem langen Gang zwischen hohen Regalen. Zwei Minuten später kehrte sie mit einem dunkelgrünen, fahrbaren Lederkoffer zurück, der eine merkwürdige, leicht dreieckige Form hatte und mit Stickern zugeklebt war.

»Das ist mein Gepäck?«, fragte ich und runzelte die Stirn.

»Japp, hübsch, nicht wahr?«, meinte Edward. »Das ist ein alter Instrumentenkoffer, ich glaube, für eine Harfe.«

»Ich spiele gar nicht Harfe.« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Egal, wohin ich in dieser Nacht geschickt werden sollte, ich schämte mich schon jetzt für mein Reisegepäck. Ein alter Seesack und ein Harfenkoffer. Schlimmer konnte es wohl nicht kommen.

»Nächste Station: Magischer Begleiter«, verkündete Edward, nachdem ich den Empfang des Harfenkoffers unterzeichnet hatte.

»Ich kann es kaum abwarten«, sagte ich ironisch. Bei meinem Glück bekam ich jetzt noch einen krächzenden blau-lila Eileger zugeteilt.

Da die menschliche Spezies über keine angeborenen magischen Kräfte verfügt, muss die Magie durch externe Quellen zugeführt werden. Magenten in der Grundausbildung sollte ihr täglicher Löffel Magie bis zu ihrem zwölften Geburtstag ins Essen gemischt werden. Hierzu empfehlen sich besonders aromatische Lebensmittel, da Magie immer mit einer leichten Note von Schwefelwasserstoff verbunden ist. Mit Vollendung des zwölften Lebensjahres erhalten die ausgebildeten Magenten ihren eigenen magischen Begleiter, der sie als Ladestation unabhängig mit Magie versorgt.

Auszug aus:

Mein magischer Begleiter – wie er wirklich tickt

1. Kapitel: Allgemeine Gesetzmäßigkeiten

23., überarbeitete Auflage

S.A.M. international Publications

3. KAPITEL

3. KAPITEL

Ein Muffel namens Selmor

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