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Was taugen die Manager eines Unternehmens? Wie lassen sich teure Managementfehler vermeiden? Wie erkennt man die Toptalente unter den Führungskräften? Das Management Appraisal beantwortet als zentrales Instrumentarium zur Analyse des Potenzials der Manager eines Unternehmens diese Fragen. Die Autoren sind Berater bei Europas größter Personalberatungsfirma Egon Zehnder, die das Konzept des Management Appraisal entwickelt hat.
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Seitenzahl: 208
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Ritter, Jörg; Gerhardt, Tilman
Management Appraisal
Kompetenzen von Führungskräften bewerten und Potenziale erkennen
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E-Book ISBN: 978-3-593-40071-6
Der Siemens-Konzern ist immer stolz auf seine Personalpolitik gewesen. Zu Recht, wie ich meine. Ein Großteil unserer Führungskräfte hat seinen Weg in unserem Unternehmen gemacht, von den ersten beruflichen Schritten zu zunehmend anspruchsvolleren Aufgaben und manchmal bis hinauf in den Vorstand. Sorgsam geleitet und gefördert von Vorgesetzten, denen bewusst ist, dass Führung von Menschen vor allem Verantwortung für diese bedeutet. Betreut von Personalmanagern, die mit einer breiten, stimmigen Palette von Entwicklungsmaßnahmen und HR-Werkzeugen auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters individuell eingehen können. Dennoch haben wir in den vergangenen Jahren unsere Führungskräfte mehrfach auch von Außenstehenden unter die Lupe nehmen lassen.
Was ist geschehen, dass wir ausgerechnet im sensiblen Personalbereich externen Rat suchen? Sehr viel! In der Tat hat sich Siemens in den vergangenen zehn Jahren stark verändert; so sehr, wie in kaum einer anderen Phase seiner mehr als 150-jährigen Geschichte. Ich möchte diese Veränderungen hier skizzieren. Siemens heute, das sind mehr als 400000 Mitarbeiter in 190 Ländern, fast 80 Milliarden Euro Jahresumsatz, davon 80 Prozent außerhalb Deutschlands, Tätigkeitsfeld Elektrotechnik und Elektronik. Das ist ein Arbeitsgebiet, das viel mit Infrastruktursystemen zu tun hat, wie etwa Telekommunikation, Energieversorgung oder Bahntechnik. Hier haben sich in den turbulenten 90er Jahren die Rahmenbedingungen für unser unternehmerisches Handeln grundlegend gewandelt.
Als ich im Oktober 1992 das Amt des Vorstandsvorsitzenden bei Siemens übernahm, wurden wir gerade aus der Euphorie des Wiedervereinigungsbooms in die kalte Welt der Deregulierung, Liberalisierung |8|und Privatisierung gestoßen. Bis dahin waren die Käufer unserer Infrastruktursysteme überwiegend Behörden oder Institutionen gewesen, die mit mehr oder weniger monopolartiger Marktmacht ausgestattet waren. Unsere gegenseitigen Beziehungen verliefen in wohl geordneten Bahnen: Wir entwickelten die Technologien gemeinsam mit unseren Kunden, die Preise orientierten sich an den Kosten, der Marktzugang für Wettbewerber war begrenzt.
Innerhalb kurzer Zeit änderten sich diese Spielregeln radikal. Die Märkte öffneten sich. Unsere Kunden wurden privatisiert und in den Wettbewerb gestellt. Preis-, Wettbewerbs- und Innovationsdruck wuchsen enorm. In weniger als fünf Jahren halbierten sich auf den genannten Gebieten die Preise.
Unsere Antwort in dieser ersten Phase der Globalisierung hieß »top«: »time optimized processes«. Das Programm beinhaltete Maßnahmen zur Verbesserung der Produktivität und zur Beschleunigung der Innovationen. Und damit diese Entwicklungen leichter aufgefangen werden konnten, haben wir zudem auf Wachstum gesetzt, vor allem auf Wachstum in neuen Märkten. So nahm zum Beispiel unsere erfolgreiche Asieninitiative in dieser Zeit ihren Anfang. Als Basis und Motor des top-Programms haben wir gleichzeitig die Veränderung der Unternehmenskultur in Angriff genommen. Im vollen Wettbewerb hart am Wind zu segeln verlangte von unseren Mitarbeitern andere Verhaltensweisen als das gewohnte Geschäft mit Behörden.
Etwa Mitte der 90er Jahre setzte die zweite Phase der Globalisierung ein. Geprägt war sie durch den zunehmenden Einfluss der Kapitalmärkte. Das Konzept des Shareholder Value etablierte sich. Die damit verbundene Notwendigkeit, den Ertrag und den Wert der Unternehmen ständig zu steigern, rückte in den Mittelpunkt der Strategien. Bei Siemens kamen eine Reihe von Sonderfaktoren hinzu: die Asienkrise, die Krise auf dem Halbleitermarkt und gravierende technische Probleme bei einigen Großprojekten im Kraftwerksbau und in der Bahntechnik.
Wir reagierten umgehend und erweiterten »top« zu einem 10-Punkte-Programm. Zu seinen Schwerpunkten gehörte eine systematische Portfoliopolitik. Sie zielte zum einen darauf ab, besonders volatile und kapitalintensive Aktivitäten abzugeben. Das galt vor allem für das Geschäft mit Halbleitern. Zum anderen ging es darum, nur noch Geschäftsgebiete im Portfolio zu behalten, auf denen wir auf den globalen Märkten führende Positionen einnehmen oder uns dahin entwickeln können. Nur so können wir auf Dauer genug Geld verdienen. |9|Zur Umsetzung dieser Strategie hat es vieler Einzelschritte bedurft.
Die Börsengänge von Epcos und Infineon gehören ebenso dazu wie der Verkauf des Bereichs Elektromechanische Komponenten und des Geschäfts mit Starkstrom- und Nachrichtenkabeln oder Geldautomaten und Kassensystemen. Andererseits haben wir zugekauft: die fossile Kraftwerkstechnik von Westinghouse, die Gebäudetechnik der schweizerischen Elektrowatt, den Ultraschallhersteller Acuson und das Servicegeschäft von Shared Medical Systems auf dem Gebiet der Medizintechnik sowie die Automobiltechnik und die Logistiksysteme von Atecs Mannesmann.
Der zweite Schwerpunkt des 10-Punkte-Programms war ein neues Führungssystem. Es steht unter dem Titel top + und hat das Motto: Klare Ziele, konkrete Maßnahmen, eindeutige Konsequenzen. Klare Ziele, das sind Vereinbarungen mit jedem operativen Bereich über den Geschäftswertbeitrag, der in einem Zieljahr erreicht werden soll. Damit haben wir das System des Economic Value Added – auf unsere Verhältnisse zugeschnitten – übernommen. Konkrete Maßnahmen, das sind Managementwerkzeuge wie Benchmarking, Geschäftstreiber-Scorecards, Forcierung von Asset Management, Qualitäts-Management und Innovations-Management. Dazu sind Methoden entwickelt worden, die verbindlich einzusetzen sind. Dies kontrollieren wir regelmäßig.
Die eindeutigen Konsequenzen dokumentieren sich vor allem in neuen Incentive-Systemen. Zum Beispiel sind für die Top 100 unserer Führungsmannschaft nur noch 50 bis 60 Prozent des Jahreszieleinkommens fix. 40 bis 50 Prozent sind davon abhängig, ob die vereinbarten Wertsteigerungsziele erreicht werden. Diese Maßnahmen haben konkrete Veränderungen bewirkt. Und sie haben den Kulturwandel beschleunigt.
Das Ziel des 10-Punkte-Programms, für den Konzern insgesamt einen positiven Geschäftswertbeitrag zu erwirtschaften, haben wir im Geschäftsjahr 2000 erreicht. In der nächsten Phase sind wir dann einen Schritt weiter gegangen und haben im Dezember 2000 mit jedem geschäftsführenden Bereich individuelle Margenziele vereinbart, die im Geschäftsjahr 2003 erreicht werden sollten. Die Höhe der Margenziele orientierte sich am Wettbewerb, an der Einschätzung der Marktmöglichkeiten und der eigenen Potenziale.
Wenige Monate später – im Frühjahr 2001 – platzte die Blase der New Economy. Dadurch wurden vor allem die von den Marktentwicklungen bei Informations- und Kommunikationstechnik direkt |10|und indirekt abhängigen Aktivitäten betroffen. Fünf Bereichen haben wir deshalb für ihre Margenziele über das Geschäftsjahr 2003 hinaus Zeit gegeben. Unter der Überschrift »Operation 2003« wurden konkrete Handlungsfelder definiert, die für die Wiedergewinnung der Ertragsstärke besonders hohe Priorität erhielten: Rückkehr in die Gewinnzone bei den IC-Bereichen, Restrukturierung und Integration der von Atecs Mannesmann übernommenen Aktivitäten, Asset Management zur Stärkung des Cashflows, Initiative zur Schaffung einer angemessenen Profitabilität unserer US-Gesellschaften und Senkung der Kosten in der Konzernzentrale und in den Headquarters der Bereiche und Regionalgesellschaften.
Die Operation 2003 war ein Erfolg. Wir haben den Ansatz der vergangenen Programme mit Beginn des Geschäftsjahrs 2004 nun in ein transparentes und in sich geschlossenes Siemens Management System überführt. Es dient dazu, die Unternehmensvision umzusetzen, wie sie in unserem Claim »Siemens – global network of innovation« manifestiert ist. Basis sind die Unternehmensleitsätze, in denen wir die für uns wichtigen Verhaltensregeln festgehalten haben. Kernstücke des Siemens Management Systems sind die drei Unternehmensprogramme »Innovation«, »Kundenfokus« und »Globale Wettbewerbsfähigkeit«. Sie werden von einer Reihe von verpflichtenden Initiativen unterlegt und flankiert von zielgerichteten Maßnahmen auf dem Gebiet der Führungskräfteentwicklung und Kompetenzvermittlung. Mit diesem System sehen wir gute Chancen, um diejenigen Bereiche, die bereits Benchmarks für ihre Wettbewerber setzen, oben zu halten und die anderen Bereiche möglichst zügig nach oben zu führen.
Obschon wir uns vom – wie wir heute wissen – ruinösen New-Economy-Hype nicht haben mitreißen lassen, haben auch wir uns die Frage gestellt, welche Möglichkeiten uns Internet und E-Business bieten. Uns war aber klar, dass wir diesen Weg behutsam gehen müssen. Unsere E-Business-Strategie zielt nicht darauf ab, die bewährten Strukturen zu zerstören, sondern vielmehr darauf, die traditionellen Stärken von Siemens um die Vorteile zu ergänzen, die wir aus der elektronischen Vernetzung ziehen können. Wir erschließen uns entlang der gesamten Wertschöpfungskette Potenziale bei Geschwindigkeit, Produktivität und Qualität. Wir geben dem internen Knowledge Management bessere Voraussetzungen. Wir optimieren unsere Beziehungen zu Lieferanten und Kunden und schaffen uns auch ganz neue Geschäftsmöglichkeiten.
|11|Was hat all das nun mit unserer Personalpolitik zu tun? Ich habe die Umwälzungen bei Siemens etwas ausführlicher beschrieben, um zu verdeutlichen, dass wir unseren Mitarbeitern in den vergangenen Jahren einiges abverlangt haben. Im Rampenlicht standen dabei besonders die Führungskräfte, die als Agenten des Wandels die Veränderungen nicht nur mittragen, sondern vielmehr vorantreiben sollten. Doch konnte und wollte jeder Manager, der einmal unter ganz anderen Voraussetzungen gearbeitet hatte, ein Change Agent sein? Und wie waren die Fähigkeiten jener Führungskräfte einzuschätzen, die durch Mergers und Akquisitionen neu in den Konzern gekommen waren? Wir haben in dieser Situation, in der Zeit ein kritischer Faktor war, mit großem Erfolg Management Appraisals eingesetzt. Damit konnten wir schnell und punktgenau identifizieren, welche Stärken und Schwächen unsere Führungsmannschaft in Bezug auf die notwendigen neuen Kompetenzen in einem stark veränderten Umfeld hatte. Mit unserem bewährten HR-Instrumentarium konnten wir die Weiterentwicklung dann gezielt angehen. In der Personal- und Managementberatung Egon Zehnder International haben wir dabei einen Partner gefunden, der nicht nur professionell, sondern auch mit der notwendigen Sensibilität auf die Menschen einging, die das Unternehmen Siemens zu dem gemacht haben, was es heute ist.
Ich werde intern oft gefragt, wann denn nun endlich Schluss sei mit den Veränderungen. Die Antwort ist natürlich: Nie! Siemens ist ein lebender Organismus, der sich ständig den Marktverhältnissen entsprechend erneuern muss. Bei allem Wandel dürfen aber bestimmte strategische Elemente und Grundwerte nicht geopfert werden. Was waren und sind die wesentlichen Voraussetzungen, die den nachhaltigen Erfolg unseres Unternehmens über mehr als 150 Jahre bewirkt haben? Wir meinen: die hohe, nie versiegende Innovationskraft, das Setzen auf ein robustes Geschäftsportfolio, die finanzielle Solidität, die echte Globalität und nicht zuletzt die Verankerung des Unternehmens in bestimmten Grundwerten. Diese Grundwerte sind Tugenden, die zeitweise aus der Mode gekommen schienen: Fleiß, Disziplin, Ehrlichkeit, Durchhaltevermögen, Qualitätsbewusstsein, Verlässlichkeit. Die Anforderungen an Kompetenzen mögen sich ändern, diese Werte nicht!
Heinrich von Pierer
Vorsitzender des Vorstandes, Siemens AG
Angenommen, Sie müssten eine wichtige Führungsposition in Ihrem Bereich besetzen – wüssten Sie genau, anhand welcher Kriterien Sie die zur Auswahl stehenden Kandidaten beurteilen und vergleichen wollten? Wären Sie sich überhaupt sicher, alle relevanten Kandidaten auf Ihrem Radar zu haben und in Ihre Überlegungen einbeziehen zu können? Wären Sie sicher, dass der von Ihnen gewählte Kandidat einem kritischen Vergleich mit dem Industrie-Standard oder gar der Best Practice standhält?
Oder Sie wollten ein neues Geschäftsfeld aufbauen oder eine grundsätzlich neue Strategie in einem Geschäftsbereich einführen – wüssten Sie genau, ob die vorhandenen Kompetenzen und das Potenzial in der Führungsmannschaft ausreicht, einen solchen Schritt zu tun? Wären Sie in der Lage, treffsicher zu sagen, in welchen Kompetenzfeldern welcher Handlungsbedarf bestünde und wo man sich eventuell von außen verstärken müsste?
Das frühzeitige Erkennen von fähigen Führungskräften und die situationsgerechte Zusammenstellung eines effizienten Management Teams gehören zur Führungsverantwortung des CEO. Hierbei liefert die systematische und objektivierte Beurteilung der obersten Führungskräfte in Form von Management Appraisals wichtige, zukunftsorientierte Entscheidungsgrundlagen.
Dr. Jürgen Dormann, CEO und Chairman ABB
Es sind solche oder ähnliche Fragestellungen, die durch ein Management Appraisal beantwortet werden. Immer mehr Entscheider erkennen den Nutzen dieses Instruments und setzen es als eine zusätzliche |13|Facette ein, um Entscheidungen zu treffen oder Entwicklungsmaßnahmen anzustoßen. In manchen Unternehmen sind Management Appraisals nicht mehr wegzudenken. Sie sind eine alltägliche Dienstleistung mit – in der Regel – sehr hoher Akzeptanz geworden.
Wir sehen in diesem Trend die Professionalisierung eines Segments, in dem lange unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit am liebsten mit Bordmitteln und hinter verschlossenen Türen gearbeitet wurde. Intransparenz und fehlende Systematik wurden billigend in Kauf genommen. Nur zu oft beeinflussten und bestimmten Zufälligkeiten dabei wichtige Besetzungsentscheidungen.
Kontinuierliche Wachstumsraten im Bereich Management Appraisal bei Egon Zehnder International spiegeln die ständig steigende Nachfrage wider. Hätte vor zehn Jahren jemand vorhergesagt, dass Egon Zehnder International in Deutschland heute fast 30 Prozent des Umsatzes mit Management Appraisals erzielt, hätte man es kaum geglaubt oder als wünschenswert angestrebt. Denn nach wie vor ist Egon Zehnder International zuallererst eine Executive Search Firma, die sich durch die Beratung im Zusammenhang mit der Identifikation und Gewinnung von Führungskräften auf der ersten und zweiten Ebene definiert.
Weder der Ursprung noch das hohe Wachstum im Bereich Management Appraisal sind bei genauem Hinsehen allerdings überraschend. Es entsprach schon immer unserer Firmenphilosophie, bei Suchaufträgen interne und externe Kandidaten gleich zu behandeln. Immer häufiger machten Klienten davon Gebrauch, interne und externe Kandidaten mit ein- und demselben Raster durch einen Externen evaluieren und vergleichen zu lassen.
Die ersten Management Appraisals, die in ihren wesentlichen Grundzügen mit der heutigen Methode vergleichbar sind, waren deshalb auch Beratungsprojekte, bei denen es im Kern darum ging, die Führungskräfte in einer gegebenen Struktur auf ihre Tauglichkeit in einer veränderten Wettbewerbssituation zu überprüfen – nämlich in der Privatisierung von Staatsbetrieben in Südamerika Anfang der 90er Jahre. Entwickelt wurde das Instrument damit nicht – wie man vielleicht vermuten möchte – in einer der Management-Schmieden oder von den Business Gurus in USA und auch nicht in der »Alten Welt Europas«. Die große Nachfrage und das damals bereits erkennbare Potenzial dieses Instruments gaben den Anstoß für die Bildung einer weltweit tätigen Management Appraisal Practice bei Egon Zehnder |14|International, die in den folgenden Jahren die Methode systematisierte und ein einheitliches Vorgehen entwickelte.
Bewusst haben wir uns bereits vor mehr als zehn Jahren für den Begriff Appraisal und nicht das gefälligere, weil intuitiv verständlichere Wort Audit entschieden. Allerdings ist diese Entscheidung eher eine Frage der Einstellung als der Methodik. Der Begriff Audit impliziert einen rückwärts gerichteten Blick und einen revisionsartigen Prüfungsansatz. Ein solchermaßen mechanistischer Ansatz mag im Zusammenhang mit Maschinen oder Bilanzen gerechtfertigt sein. Führungskräfte aber, Menschen mit ausgeprägter Persönlichkeit, zu »auditieren«, klingt fast ein wenig verächtlich und kann manche Vorbehalte gegenüber dem Instrument unterstützen. Ganz klar: Ein Management Appraisal hat das Ziel, pointierte Aussagen in systematischer und einheitlicher Form zu Führungskräften zu erstellen. Aber es geht nicht darum, Führungskräfte in schlechte und gute Manager zu sortieren. Immer ist es das vorrangige Ziel, zu erkennen, ob eine Führungskraft und eine Aufgabe zueinander passen, oder wie Entwicklungspotenziale erschlossen werden können. Gerade weil wir Kompetenzen und Potenziale bewerten, wollen wir klar zum Ausdruck bringen, dass wir nicht nur kritisch, sondern in hohem Maße wertschätzend an diese verantwortungsvolle Aufgabe herangehen.
Auch der zweite Grund, aus dem das Management Appraisal für Egon Zehnder International in den vergangenen fünf Jahren Wachstumsraten von mehr als 25 Prozent pro Jahr verzeichnete, hat seinen Ursprung auf der Nachfrage-Seite: Unternehmen, die aufgrund der geringeren Marktdynamik weniger Aufträge im Bereich Executive Search vergaben, bedienten sich zunehmend des Instruments des Management Appraisals, um den Wirkungsgrad in der eigenen Führungsorganisation zu erhöhen oder die Strukturen im Zuge von Restrukturierungen zu verschlanken. Dieselben Klienten fragten in den vergangenen Jahren also verstärkt eine andere Dienstleistung nach.
Allein in Deutschland hat Egon Zehnder International in den letzten drei Jahren mehr als 4000 Führungskräfte evaluiert und gebenchmarkt. Dies fand mit einer erprobten und weitestgehend einheitlichen Methode statt. So wird ein Benchmarking zwischen Branchen und Unternehmen möglich. Damit können der Durchschnitt, aber auch eine Best Practice bezüglich Kompetenzausprägungen und Potenzial erkannt werden.
|15|In diesem Buch stellen wir die umfangreichen Erfahrungen von Egon Zehnder International mit Management Appraisals dar. Wir wollen damit ein besseres Verständnis und eine höhere Akzeptanz für dieses Instrument erreichen. Kritiker des Instruments meinen nach wie vor, es würden zu viele sensible Informationen aus dem Unternehmen nach außen gegeben. Anwender sagen, der hineingeholte wertvolle Rat und die Perspektive eines Neutralen glichen diese Gefahr bei weitem aus. Kritiker meinen auch, sich einen Externen bei diesem Thema ins Haus zu holen, zeuge von der eigenen Unkenntnis oder Unfähigkeit. Anwender behaupten das Gegenteil: Es sei ein Zeichen von Mut und Unabhängigkeit, sich kritisch zu hinterfragen und sich an einem einheitlichen Maßstab mit den Besten der Branche messen zu lassen und sich schließlich durch die neue Perspektive zu entwickeln.
Gleichzeitig muss hier aber auch gewarnt werden: Wer ein Management Appraisal durchführen möchte, sollte sehr genau planen und höchsten Wert auf die Qualität legen. Wenn kein ausreichendes Budget vorhanden ist, sollte lieber darauf verzichtet werden. Hier an den Kosten zu sparen und Qualitätsabstriche in Kauf zu nehmen, heißt, mit der sensibelsten Ressource – die gleichzeitig den größten Hebel im Unternehmen hat – nicht angemessen umzugehen. Die einbezogenen Führungskräfte bemerken dies sehr schnell. Im günstigsten Fall reagieren sie mit gleichgültiger Verwunderung, im ungünstigsten Fall mit destruktiver Verweigerung, da das Vertrauensverhältnis zerstört ist.
Dieses Buch richtet sich ebenso an Entscheider und Personalverantwortliche wie an Führungskräfte, die sich mit dem Thema Management Appraisal befassen wollen – etwa, weil in ihrem Unternehmen ein Management Appraisal geplant ist.
Neben einer ausführlichen theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema haben wir der Praxis breiten Raum gegeben. In zahlreichen Fallbeispielen stellen wir dar, wie Unternehmen in unterschiedlichen Situationen vorgegangen sind, und welchen Nutzen sie jeweils aus dem Management Appraisal gezogen haben. Die Fallbeispiele sind in sich geschlossene Einheiten, die unsere Klienten jeweils gemeinsam mit Beratern von Egon Zehnder International verfasst haben. Wir danken unseren Klienten an dieser Stelle herzlich für ihr Vertrauen und ihr Engagement. Abgeschlossen wird das Buch mit einem Ausblick: Was folgt einem Management Appraisal? Die gewonnenen Erkenntnisse bleiben eine ungenutzte Chance und sind nicht viel wert, wenn nichts daraus folgt.
|16|Richtig eingesetzt und angewandt ist das Management Appraisal mehr als nur ein modernes Thema aus der bunten Angebotspalette derPersonal- und Managementberater. Es hat sich zu Recht als eine sinnvolle Dienstleistung für unterschiedlichste Unternehmen in verschiedenen Situationen etabliert; oft mit erheblicher Langzeitwirkung. Somit ist ein Management Appraisal eine wertvolle Facette in entscheidungs- und entwicklungsorientierten Führungsfragen.
»Wir kennen unsere Führungskräfte doch selbst am besten«, wirft mancher Manager ein, wenn in seinem Unternehmen über ein Management Appraisal nachgedacht wird. Viele halten es ohnehin für die vordringlichste Aufgabe einer jeden Führungskraft, selbst Führungskräfte zu entwickeln. Die Erkenntnisse, die ein Management Appraisal liefern kann, müssten also theoretisch im Unternehmen vorhanden sein. Diese Meinungen sind ebenso wichtig wie richtig. Nur klaffen Anspruch und Wirklichkeit nicht selten deutlich auseinander.
Das Management Appraisal hilft ganz entscheidend mit, die Führungsmannschaft neu auszurichten; sei es durch Versetzungen innerhalb des Managementteams oder durch das Forcieren gezielter Neueinstellungen für Funktionen im Unternehmen, die derzeit nicht adäquat besetzt sind. Darüber hinaus hilft das Management Appraisal, eine leistungsorientierte Firmenkultur zu verstärken.
Christian G. Schwarz, CEO und stellv.Vorstandsvorsitzender, Glunz AG
Nach unseren Erfahrungen haben nur wenige Unternehmen die Stärken und Schwächen ihrer Führungskräfte einheitlich, konsequent und Flächen deckend evaluiert. Nur wenige Unternehmen können stolz auf ihre Nachfolgeregelungen sein, weil sie mehr leisten als die Auflistung der potenziellen Nachrückkandidaten für definierte Positionen nach dem Senioritätsprinzip. Nur wenige Unternehmen sind wirklich in der Lage, klar zu unterscheiden, welche Leistungsträger durch passgenaue Aufgaben, Inhalte und Rahmenbedingungen angespornt werden und |18|sich weiterentwickeln können, und wo Potenzialträger ungeduldig auf neue Herausforderungen warten. Oder welche Führungskräfte in ihren derzeitigen Aufgaben überfordert sind, sodass entweder ihre Aufgaben neu zugeschnitten werden müssen, oder sie dringend entsprechende Entwicklungsmaßnahmen brauchen. Ein Management Appraisal kann hier zu oftmals überraschenden Erkenntnissen führen. Eine Bestandsaufnahme nach einheitlichen Maßstäben ermöglicht eine klare Aussage über das angemessene Fordern und Fördern einzelner Führungskräfte. So können ebenso kurzfristig Besetzungsentscheidungen getroffen wie auch Entwicklungsmaßnahmen mit unterschiedlichen Zeithorizonten angestoßen werden.
Selbst wenn eine ganze Reihe von Unternehmen inzwischen über eigene ausgefeilte Verfahren und Methoden verfügt, um Führungskräfte in ihren Aufgaben und hinsichtlich ihres Potenzials zu bewerten, so dürfte doch ein Management Appraisal von außen einige entscheidende Vorzüge aufweisen. Zu nennen wäre hier vor allem die Neutralität eines unabhängigen Beraters. Außerdem kann ein externer Dritter seine intensiven Kenntnisse über den Markt und Standards bezüglich der Führungskompetenzen bei relevanten Wettbewerbern für ein Benchmarking einsetzen. Das hilft, die Glaubwürdigkeit der Erkenntnisse und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu sichern.
Abbildung 2.1: Funktion des Management Appraisal
|19|Mit dem Anspruch, sowohl neue Informationen zu liefern als auch einen Prozess in Gang zu setzen, hat das Management Appraisal immer zwei Adressaten, deren Interessen gleichermaßen beachtet werden müssen: das Unternehmen und jede einzelne Führungskraft. Ein erfolgreiches Management Appraisal muss sowohl aus der Sicht des Unternehmens als auch aus der jeweiligen Perspektive der einbezogenen Führungskräfte spürbaren Mehrwert stiften. Das bedeutet nicht, dass alle beteiligten Manager mit den Ergebnissen, die ihre eigene Person betreffen, übereinstimmen müssen oder zufrieden sein sollen. Aber nur, wenn alle Beteiligten die Ergebnisse der Bewertung als fair, professionell erstellt und vor allem als relevant, sowohl für das persönliche Fortkommen als auch für das der Organisation, akzeptieren, kann jene breite Einsicht entstehen, die den Anstoß zu notwendigen Veränderungen gibt.
Der Nutzen für das Unternehmen basiert zuallererst auf der gewonnenen Transparenz, die in ihrer Systematik eine ausgezeichnete Grundlage ist, um vorhandene Informationslücken effizient zu schließen. Je nach aktueller Situation und Ausgangslage des Unternehmens sind diese Lücken mehr oder weniger groß. Bei Firmenzusammenschlüssen und -zukäufen etwa ist das Wissensdefizit besonders groß, denn keine Seite kennt die andere. Ein Management Appraisal kann hier kurzfristig helfen, die nötigen Informationen zu gewinnen. Bei dem Tempo, das die Globalisierung in den vergangenen Jahren entwickelt hat, überrascht es auch nicht, wenn in international tätigen Unternehmen häufig keine Länder übergreifende Transparenz vorhanden ist, was Managementkompetenzen und Potenziale angeht. Die Konzernzentralen haben selten eine klare Vorstellung davon, wie die Führungsmannschaften in einzelnen Landesgesellschaften ausgestattet sind, welche Stärken und Schwächen dort vorhanden sind, und wie das Management für weitreichende Maßnahmen im Rahmen strategischer Neuausrichtungen gerüstet wäre.
Der neutrale Blick von außen auch auf Teilbereiche einer Organisation erlaubt eine Stärken- und Schwächenanalyse, die nicht nur eine solide Basis für personelle Entscheidungen bildet, sondern gelegentlich sogar beeinflussen kann, wie die strategischen Weichen gestellt werden. Immer häufiger wollen Unternehmen wissen, wie das eigene Management beim externen Vergleich abschneidet, um die Voraussetzungen für die Umsetzung neuer Strategien zu prüfen.
Der Nutzen, den das Unternehmen aus den neu gewonnenen Informationen |20|ziehen kann, hilft auch jeder in das Appraisal einbezogenen Führungskraft persönlich weiter: Wo steht der oder die Einzelne mit seinen Stärken und Defiziten in der Organisation, aber auch im Vergleich mit ähnlichen Positionen bei anderen Unternehmen? Wo gibt es individuelle Kompetenzlücken, die geschlossen werden müssen? Wo liegen die persönlichen Stärken, die ausgebaut werden sollten, um das vorhandene Potenzial zu erschließen und um die bisherige oder neue Aufgabe besser zu erfüllen? Nach anfänglichem Unbehagen reagieren die meisten Manager selbst auf kritische Beurteilungen durchaus positiv. Nicht selten erleben die einbezogenen Führungskräfte eine faire, weil unparteiische und von jeglicher Firmenpolitik unbelastete Bewertung ihrer Stärken und Defizite zum ersten Mal. »Das hat mir so noch niemand gesagt!« ist eine Reaktion, die wir häufig sogar in Unternehmen hören, die eine hoch entwickelte Feedback-Kultur haben.
Abbildung 2.2: Nutzen eines Management Appraisals
Ein neutraler Dritter kann eben frei von der Firmenhistorie, unbelastet von persönlichen Sym- oder Antipathien und unbefangen im Hinblick auf eine zukünftige Zusammenarbeit in ein Feedback-Gespräch hineingehen. Er gerät in keinen Konflikt hinsichtlich einer kurzfristig notwendigen Motivation und der langfristigen Entwicklung einer Führungskraft, der jeden Vorgesetzten tendenziell dazu verleitet, die kurzfristige Verträglichkeit eines Feedbacks höher zu bewerten |21|als dessen mittel- oder gar langfristige Wirkung. Unangenehme Wahrheiten, die aber unbedingt gesagt werden müssten, wollte man wirklich etwas verändern, bleiben so oft ungesagt. Oder sie werden so verpackt, dass der Adressat sie nicht verstehen muss oder nicht verstehen kann. Ohne die Rolle des neutralen Dritten überzubewerten: Unsere Erfahrung zeigt, dass eine professionelle, verantwortungsbewusste und entsprechend sorgfältige Analyse in Feedback-Gesprächen intensiv von den Führungskräften genutzt wird, um sich so objektiv wie möglich einschätzen zu lassen und daraus Ansätze für die persönliche Entwicklung abzuleiten.
Natürlich hängt der Nutzen für das Unternehmen oder die Führungskraft von der Ausrichtung eines Management Appraisals ab. Der Fokus kann stärker auf die Auswahl von Führungskräften oder auf deren Entwicklung zentriert sein. Bei Merger & Acquisition steht in der Regel eine unmittelbare Besetzungsentscheidung im Vordergrund. Es geht darum, zügig aus zwei oder mehr möglichen Kandidaten die am besten passenden für definierte Positionen auszuwählen und den Vorgang so zu gestalten, dass er den ohnehin schwierigen M&A-Prozess |22|möglichst spannungsfrei unterstützt und Vertrauen stiftet. Es wäre jedoch zu kurz gedacht, jede einzelne Position isoliert zu betrachten. Berücksichtigt werden muss ein Gesamtoptimum, denn auch eine Gruppe von hervorragenden, aber wahllos zusammengewürfelten Solisten erzeugt nicht unbedingt ein symphonisches Konzert. In der Praxis werden deshalb auf der Basis des Management Appraisals verschiedene Besetzungsszenarien diskutiert und bewertet.
|21|Abbildung 2.3: Ausrichtung eines Management Appraisals
|22|Der Gegenpol zur Merger-Situation ist die Entwicklungsplanung. Hier geht es dezidiert nicht um Auswahl, sondern allein um das Ziel, eine Bestandsaufnahme zu erhalten und herauszuarbeiten, wie sich einzelne Führungskräfte, verschiedene Teilbereiche oder gegebenenfalls die Gesamtheit der Führungskräfte entwickeln sollte. Zwischen den rein auf die Entwicklung und rein auf die Auswahlentscheidung ausgerichteten Management Appraisals gibt es Zielstellungen, die Mischformen dieser beiden Ausrichtungen darstellen.
Insbesondere bei einer Restrukturierung kann das Management Appraisal einerseits kurzfristige Besetzungsentscheidungen im Fokus haben. Andererseits ergibt sich durch die Analyse des vorhandenen Potenzials oder der zu entwickelnden Kompetenzen, welche Unternehmensstruktur überhaupt kurzfristig möglich oder sinnvoll ist. Nicht selten wird dann in einem Phasenmodell eine Übergangslösung skizziert, die dem vorhandenen oder dem kurzfristig auffrischbaren Potenzial entspricht, um mittelfristig zu einer anderen strukturellen Lösung zu gelangen, sobald die erforderlichen Kompetenzen und das Potenzial vorhanden sind.