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Das Buch liefert fundiertes Managementwissen und konkrete Werkzeuge für den Führungserfolg - in einer klaren und nachvollziehbaren Gesamtlogik, mit der Beschränkung auf das Wesentliche. Sie erfahren Schritt für Schritt, wie Sie Management situativ ausgestalten, damit es in komplexen Herausforderungen zu gelingender Führung wird. Inhalte: - Verantwortung übernehmen und den Führungsalltag kompetent meistern - Organisationen gesund und leistungsfähig gestalten - Herausforderung »Zusammenspiel« annehmen - Krisen bewältigen und Entwicklung fördern
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Seitenzahl: 486
Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Print: ISBN 978-3-648-10894-9 Bestell-Nr. 10262-0001
ePub: ISBN 978-3-648-10896-3 Bestell-Nr. 10262-0100
ePDF: ISBN 978-3-648-10895-6 Bestell-Nr. 10262-0150
Sven Lüngen/Joerg Schneider
ManagementMaster
1. Auflage 2018
© 2018 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Produktmanagement: Bettina Noé
Lektorat: Gabriele Vogt
Satz: kühn & weyh Software GmbH, Satz und Medien, Freiburg
Umschlag: RED GmbH, Krailling
Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe (einschließlich Mikrokopie) sowie der Auswertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, vorbehalten.
Sie halten ein Buch in Händen, das vom Management handelt. Sehr wahrscheinlich haben Sie Führungsaufgaben. Oder wollen sie. Oder Sie beraten Menschen mit Führungsaufgaben. Es ist nur fair, wenn wir Sie gleich zu Beginn vor dem warnen, was hier für Sie bereitliegt: Sie werden vertraute Orientierungspunkte vermissen! Der Begriff Strategie beispielsweise, der in die meisten Managementtexte so ehrenvoll eingebettet ist, taucht in diesem Buch überhaupt nicht auf. Und das geschieht mit voller Absicht. Wir sind dafür, ihn ganz und gar über Bord zu werfen. In unserem Verständnis gibt es auch keine Führungsaufgaben, die Planung[2] oder Delegation heißen. Lean und andere Moden haben bei uns ebenfalls keinen Platz. Und um die Häresie vollständig zu machen: Dies ist ein aktuelles Managementbuch, in dem es nicht um Agilität geht!
Wenn Sie es jetzt noch nicht aus der Hand gelegt haben, dann sind Sie ganz bestimmt eine abenteuerlustige Seele. Jemand, der sich nicht davor fürchtet, unorthodox über seinen Verantwortungsbereich nachzudenken. Jemand, der bereit ist, seine Führungsaufgaben mit Abstand zu betrachten. Dann sollten Sie weiterlesen, denn dabei können wir Sie unterstützen. Als Managementberater wissen wir, wie wichtig es ist, in herausfordernden Führungssituationen zunächst einmal seine Gedanken zu sortieren. Dabei helfen Managementmodelle. Sie erfüllen ihren Zweck aber nur dann, wenn sich darin auch die Realität wiederspiegeln lässt. Und wenn aus ihnen abgeleitet werden kann, was als Nächstes zu tun ist. Mit dem ManagementMaster bieten wir Ihnen ein solches Managementmodell an. Wir arbeiten damit im Coaching von einzelnen Führungskräften, in Teams, Bereichen und ganzen Unternehmen - und in vielen verschiedenen Branchen.
In diesem Buch entfalten wir dafür in einer logischen Reihenfolge über die Kapitel hinweg insgesamt dreizehn Erfolgsfaktoren, die Kapitel selbst bauen inhaltlich aufeinander auf. Überdies stellen wir nach und nach zahlreiche Bezüge zwischen den gegebenen Informationen her. Deshalb möchten wir Ihnen empfehlen, das Buch von vorne nach hinten zu lesen. So wird es Ihnen leichter fallen, Ihre Managementkompetenzen weiterzuentwickeln. Die Impulse, die wir in diesem Buch geben, folgen nicht aktuellen Trends oder Managementmoden. Sie geben nach unserer festen Überzeugung keine hinreichenden Antworten auf die Fragen, vor die wir in unserer unübersichtlichen Welt gestellt sind. Stattdessen wollen wir uns auf das besinnen, was für das Management von Organisationen wesentlich ist. Wir sind davon überzeugt, dass der ManagementMaster überall dort nützlich ist, wo es um die Führung von Organisationen geht - gleichgültig, wie groß oder klein sie auch sein mögen und welchem Zweck sie gewidmet sind. Als Systemiker[3] laden wir Sie zu einem Rundflug über Ihr Unternehmen ein. Dabei werden wir die Flughöhe immer wieder verändern: mal aufsteigen und uns einen Überblick über das große Ganze verschaffen, mal hinabtauchen in die Untiefen des Führungsalltags - dorthin, wo der Teufel bekanntlich im Detail steckt.
Unsere konzeptionelle Heimat ist St. Gallen. In den 70er Jahren wurde an der dortigen Universität erstmals eine systemische Managementlehre vorgestellt. Seither wird sie in vielen Facetten weiterentwickelt und bestimmt damit maßgeblich unseren Blick auf Unternehmen. Um unserem Anspruch auf Praxisrelevanz gerecht zu werden, verzichten wir in den nachfolgenden Kapiteln weitgehend darauf, die wissenschaftlichen Grundlagen unseres Modells zu erläutern. Lediglich im Nachwort geben wir dem interessierten Leser ein paar knappe Hinweise zu den systemischen und biokybernetischen Grundlagen des ManagementMasters.[4]
Den Buchtitel „ManagementMaster“ haben wir gewählt, weil der Inhalt des Buches wie der Folienmaster einer Präsentationssoftware wirken soll. Sie finden hier keine fertigen Lösungen für Ihre Probleme, wohl aber Schablonen, die Sie mit Ihren Themen befüllen können. Wenn wir auf diese Weise dazu beitragen, dass Sie nach der Lektüre unseres Buches im Management Ihres Verantwortungsbereichs der Meisterschaft ein paar Schritte nähergekommen sind, so hätten wir unser wichtigstes Ziel erreicht.
Das Wort Master stammt zudem vom lateinischen Begriff „magister“ ab. Das bedeutet Lehrer. Weil wir aus der Praxis kommen und uns die Praxistauglichkeit von Managementkonzepten ganz besonders am Herzen liegt, wollten wir ausdrücklich kein Managementlehrbuch schreiben, sondern eines für die Praxis. Wir hoffen, dass wir auf den nachfolgenden Seiten den Praxisbezug nie verloren haben - auch wenn am Ende trotzdem so etwas wie eine Managementlehre sichtbar wird. Denn als ehemalige Geschäftsführer wissen wir nur zu genau, worauf es bei einem guten Managementbuch ankommt: auf den Bezug zur Praxis! Diesen haben wir uns beim Schreiben zum Maßstab genommen. Systemische Zusammenhänge veranschaulichen wir mit Beispielen aus der Praxis. Ihre Weiterarbeit unterstützen wir mit Selbstchecks, konkreten Empfehlungen und Impulsen aus unserem Online-Angebot, letztere finden Sie unter www.managementmaster.net[5]. Indem Sie lesend über Ihre Führungsarbeit reflektieren und indem Sie Ihre Verantwortungsbereiche bewerten, setzen Sie das vermittelte Wissen in neue Handlungskompetenzen um. Im besten Fall wird Ihre Lesezeit damit zur Arbeitszeit, weil Sie die Ergebnisse dieses Lernprozesses unmittelbar für Ihren Führungsalltag nutzbar machen.
Unsere berufliche Heimat liegt in der Sozialwirtschaft. Dort hatte man uns für viele Jahre Unternehmen anvertraut, in deren Einrichtungen alte und behinderte Menschen unterstützt werden. In der Begegnung mit ihnen haben wir erfahren, wie wichtig es ist, sich gut verständlich zu machen. Erst dann kommt es zu einem Gedankenaustausch. Dafür, dass ein Satz beim anderen richtig ankommt, ist vor allem der verantwortlich, der ihn spricht oder aufschreibt. Dieser Grundsatz war uns auch Richtschnur für dieses Buch. Wo immer es möglich war, haben wir Fremdwörter durch passende deutsche Wörter ersetzt. Und wir wollten bewusst nicht so schreiben, wie manche Manager sprechen, wenn sie englische Modewörter im Munde führen und damit doch nur verdecken, was ihnen an konzeptioneller Klarheit fehlt. Wenn wir uns also um Einfachheit bemühen, dann um der besseren Verständlichkeit willen. Damit wandeln wir als Autoren beständig auf einem schmalen Grat: einerseits der sprachlichen Einfachheit und Klarheit verpflichtet und andererseits der Kompliziertheit von einzelnen Sachverhalten. Sollten Sie uns an der einen oder anderen Stelle nicht folgen können, so tragen allein wir dafür die Verantwortung.[6]
Sie finden in diesem Buch zudem zahlreiche Abbildungen. In der Entwicklungsphase unseres Managementmodells haben wir uns damit ein Bild von dem gemacht, worüber wir nachdenken. Hier sollen die Grafiken Ihnen ebenfalls helfen, das Gelesene in Ihrem Gedächtnis zu verankern. In unseren Abbildungen werden Zusammenhänge auf einen Blick sichtbar, die in der sprachlichen Reihung nur mit Mühe zu vermitteln sind. Ein Bild sagt eben mehr als tausend Worte. Wir haben uns auch hier darum bemüht, einfache Bilder zu finden. Wenn sie trotzdem der Komplexität des vermittelten Inhalts entsprechen und Ihnen zu einer Gedächtnisstütze werden, dann hätten wir hier ein weiteres unserer Ziele erreicht.
Wir widmen dieses Buch unseren Kindern: Noah, Milo, Momo, Jonas, Simon, Anne, Martin und Daniel.
Sven Lüngen und Joerg Schneider
In unserem Beratungsalltag treffen wir auf zahlreiche Unternehmen und Führungskräfte. Sie gewähren uns meist tiefe Einblicke in ihre sehr unterschiedlichen Führungsherausforderungen. Diese Offenheit ist mit der Erwartung verbunden, dass wir sie - mit dem Blick von Außenstehenden - bei der Bewältigung unterstützen. Auf diese Weise konnten wir im Laufe der Jahre zahlreiche, ganz unterschiedliche Momentaufnahmen aus dem Alltag von Unternehmen zusammentragen. Und noch jedes Mal lernen auch wir hinzu: was man tun kann, um Führungsherausforderungen souverän zu meistern, aber immer wieder auch, wie man die Dinge besser nicht angeht.[7]
Beginnen wir deshalb mit einem Beispiel aus unserer Beratungspraxis, das zeigt, was schiefgehen kann beim Managen:
Wie schwer die Bürde der Verantwortung bisweilen auf Führungskräften lastet, und auf welche Weise Menschen in herausfordernden Situationen reagieren, kann am Führungsverhalten von Herrn1 A. abgelesen werden. Als neuer Geschäftsführer stand er unter starkem Erwartungsdruck seiner Gesellschafter. Die Zahlen waren schlecht. Dringend erforderliche Investitionsentscheidungen hatte sein Vorgänger nicht getroffen. Man befand sich im Investitionsstau. Das Umfeld seines Unternehmens war politisch gewollt in Bewegung geraten, die Branche verunsichert. Das bislang erfolgreiche Geschäftsmodell war dadurch massiv infrage gestellt. Kunden beklagten sich über Mängel und Fehler oder wendeten sich kommentarlos gleich ganz ab. In diese unübersichtliche Lage mischten sich auch Stimmen aus der Belegschaft. Es gab sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was nun mit Priorität anzugehen sei. In den Strudel der allgemeinen Verunsicherung wurde bald auch Herr A. hineingezogen. Es kostete ihn große Mühe, den Überblick über diese komplexe, dynamische und in großen Teilen intransparente Situation zu gewinnen.
Richtigerweise beriet er sich ausführlich mit seinen Führungskräften, was nun getan werden könnte. Er erteilte ihnen Rechercheaufträge und investierte Zeit und Energie in die Informationssammlung. Die Informationen, die ihm von seinen Mitarbeitern daraufhin zur Verfügung gestellt wurden, waren allerdings meist nicht eindeutig. In Teilen widersprachen sie sich sogar. Den meisten schien eine gezielte, umfassende Investition derjenige Befreiungsschlag zu sein, der die Wende zum Guten bringen konnte - auch wenn dies nicht alle aus den bisherigen Informationen ableiten wollten. Öffentlich trat auch Herr A. für die Lösung durch eine Investitionsentscheidung ein und warb für diese Option.[8]
In die Zuversicht, damit einen gangbaren Weg aus der Krise gefunden zu haben, mischten sich im Unternehmen aber bald und immer lauter auch kritische Töne. Es wurde die Sorge ausgesprochen, dass dies wohl eher ein Weg sei, der geradewegs in die Firmenpleite hineinführen würde. Von diesen Stimmen ließ sich immer wieder auch Herr A. beeindrucken. Ihn beschlich die Sorge, dass die Kollegen Recht haben und der angedachte Weg falsch sein könnte. In der Folge entwickelte er ein Kommunikationsmuster, das auch seinen Mitarbeitern nicht verborgen blieb: Nach Gesprächen mit Investitionsbefürwortern kommunizierte er zuversichtlich und erteilte Aufträge, die bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung der anstehenden Investition standen. Hatte er indessen zuletzt Kontakt mit Investitionskritikern, äußerte er anschließend Zweifel und setzte mit Einzelanweisungen einen Prozess in Gang, an dessen Ende die Investition folgerichtig nur noch hätte gestoppt werden müssen.[9]
In der Art seiner Kommunikation und in seinem Führungsverhalten spiegelte sich die Verunsicherung von Herrn A. Im Coaching brachte er zum Ausdruck, dass er den Eindruck habe, dieser Führungsherausforderung nicht gewachsen zu sein, und dass er Angst hätte, deshalb seinen Job zu verlieren. Sein Führungsverhalten wirkte in der allgemeinen Verunsicherung wie ein Katalysator. Anstatt seinem Unternehmen und den Menschen mit klaren Entscheidungen Orientierung zu geben, übertrug sich seine Angst unmittelbar auf seine direkten Mitarbeiter und breitete sich anschließend im ganzen Unternehmen aus. Wo Nachdenken und Bedacht wichtig gewesen wären, ließ er sich immer wieder dazu hinreißen, dem Augenblick zu folgen und daraus konkrete Anweisungen abzuleiten. Die damit verbundenen Widersprüche führten dazu, dass Herr A. nicht nur keine Führungswirkung entfaltete, sondern die Menschen in seinem Unternehmen verwirrt und orientierungslos zurückließ.
Das ist die Geschichte von Herrn A.2 Wir könnten viele solcher Geschichten erzählen, jede ist anders. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Fragestellungen, zu denen wir beratend hinzugezogen werden, resultieren stets aus Situationen, die gekennzeichnet sind von Komplexität, Dynamik und Intransparenz. Herausfordernde Unternehmenssituationen sind meist von sehr vielen Einflussfaktoren bestimmt, die alle „irgendwie“ miteinander zusammenhängen: Umsatz - Kosten - Kunden - Konkurrenz - Mitarbeiter - Gesellschafter.
Sie kennen das vom Schachspiel. Da kann man sich als Spieler schon mal ziemlich lange so seine Gedanken machen: „Der schwarze Springer bedroht meinen weißen Turm. Ich könnte meinen Läufer heranholen, damit er meinen Turm deckt. Dann öffne ich aber eine Flanke und gefährde meine Königin. Was soll ich machen? Den Turm opfern?“[10] Das Schachspiel ist - obwohl es aus einer relativ überschaubaren Anzahl von Komponenten besteht - anerkanntermaßen eine hochkomplexe Angelegenheit. Trotzdem ist es ein Klacks im Vergleich zu dem, was wir im Unternehmenskontext kennengelernt haben.
Stellen Sie sich bitte vor, Ihre Schachfiguren würden nicht stillhalten und darauf warten, bis sie von Ihnen gezogen werden. Stellen Sie sich weiterhin vor, diese entfalteten plötzlich ein Eigenleben und würden bisweilen ohne Ihr Zutun auf dem Schachbrett hin- und herziehen. Wieviel schwieriger wäre es dann, ein Schachmatt zu verhindern? Genau dies aber geschieht in dynamischen Unternehmenssituationen, in denen sich die Einflussfaktoren auch ohne die Entscheidungen von Führungskräften verändern. Der Markt beispielsweise hält nie still! Kundenbedarfe verändern sich im Laufe der Zeit. Was heute „state of the art“ ist, kann morgen schon „out“ sein.
Und als ob eine mit Dynamik angereicherte Komplexität nicht schon Herausforderung genug wäre, gesellt sich schließlich auch noch die Intransparenz hinzu. Ziehen wir noch einmal die Schachmetapher heran: Bitte stellen Sie sich vor, dass über Teilen des Schachbretts dichter Nebel liegt. Sie können nicht erkennen, was sich dort unter dem undurchsichtigen Schleier verbirgt. Vielleicht gar nichts? Vielleicht aber liegt dort auch ein Bauer auf der Lauer, der wie aus dem Nichts zuschlagen könnte.[11]
Unternehmenssituationen sind davon geprägt, dass man vor Überraschungen nicht sicher ist. Manche Einflussfaktoren sind klar erkennbar - nicht selten auch in ihrer Wechselwirkung zu anderen Einflussfaktoren. Meistens kann man aus Erfahrung sogar vorhersagen, wie sie sich über die Zeit hinweg verhalten: „Wenn ich die Marketingmaßnahmen intensiviere, dann wird mein Umsatz steigen.“ Überraschungen hingegen sind meist den unsichtbaren Akteuren zuzuschreiben, zu denen man sich in diesem Fall ängstlich fragen könnte: „Wer in diesem globalisierten Markt arbeitet gerade an einer technologischen Lösung, die meinen marketingbedingt steigenden Umsatz wieder zunichtemacht und die auf lange Sicht vielleicht sogar mein gesamtes bisheriges Geschäftsmodell massiv gefährden könnte?“
Hauptgrund für eine immer komplexere, intransparentere und dynamischere Welt ist die Digitalisierung. Wir erleben sie in all unseren Lebensbereichen. Ausgehend von der Arbeitswelt durchdringt das Digitale nicht nur unser Arbeits-, sondern auch unser Privatleben. War es vor etwa fünfzehn Jahren noch das Privileg von Managern, auf einem Blackberry E-Mails und Kalenderdaten in Echtzeit zu synchronisieren, so trägt heute schon jeder zweite Grundschüler ein Smartphone in der Tasche, das ihm einen nahezu unbegrenzten Zugang zum Datenbestand dieser Welt verschafft. Wir haben den Eindruck, als ob alles um uns herum in Bewegung geraten ist und sich das Stetige, auf das wir uns bislang immer verlassen konnten, in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit verflüssigt[12]. Wir leben in einer sich immer schneller drehenden KID-Welt!
Die KID-Welt ist ein System und durch drei Eigenschaften charakterisiert. Sie ist …
komplex (lat. complecti „umschlingen“, „umfassen“). Immer mehr Systemkomponenten hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich wechselseitig. Die Bedeutung ihrer Zusammenhänge nimmt stetig zu. Die Eigenschaften der Zusammenhänge geben mittlerweile mehr Aufschluss über das System als die Eigenschaften der Systemkomponenten selbst.
intransparent (von lat. trans „(hin)durch“ und (ap)parere „sich zeigen, scheinen“). Komplexität führt dazu, dass wir Zusammenhänge häufig nicht mehr durchschauen können.
dynamisch (von griech. dynamiké „mächtig“). Indem sich die Systemkomponenten beeinflussen, entsteht in einem System Dynamik. Je mehr Komponenten sich miteinander vernetzen, umso dynamischer wird das System. Alles gerät in Bewegung. Das System selbst kann dadurch instabil werden.
Die Digitalisierung unserer Welt führt dazu, dass sich immer mehr Lebens- und Arbeitsbereiche in einer atemberaubenden Geschwindigkeit miteinander vernetzen. Und diese ansteigende Komplexität und Intransparenz machen es eigentlich notwendig, dass sich Führungskräfte immer mehr Zeit zum Nachdenken nehmen, um dem allen überhaupt noch gerecht werden zu können. Doch die geradezu irrwitzige Beschleunigung, mit der immer noch mehr Anforderungen auf sie zurollen, macht gerade das unmöglich. Damit sind die immer noch anwachsenden Herausforderungen beschrieben, vor die Führungskräfte gestellt sind. An sie ist die Erwartung gerichtet, dass sie all das irgendwie händeln, um ihre Verantwortungsbereiche sicher durch die Fährnisse dieser Zeit zu bringen.[13]
Dabei sind die Hilfen, die man ihnen dazu anbietet, meist nur unscharf formuliert: Man kann lesen, dass in der KID-Welt nun „Leadership“ vonnöten sei, dass nicht mehr nur Verwalter von Führungsverantwortung gesucht würden, sondern charismatische Macher, die vor allem eines auszeichne: Agilität! Wir haben den Eindruck, dass insbesondere agile Führung mittlerweile zu einer Zauberformel geworden ist, mit der man meint, alle verwirrenden Herausforderungen der KID-Welt bewältigen zu können.3 Unsere Auffassung ist, dass an diesen marktschreierischen Behauptungen nichts dran ist, und wir können nicht erkennen, dass sie Führungskräften Orientierung bieten. Dafür nehmen wir aber wahr, dass das Wesentliche aus dem Blick gerät. Wir sind davon überzeugt, dass Führungskräfte vor allem anderen eines benötigen: eine solide Management-Grundlage, die ihrem Denken und Handeln Richtung gibt.
Was sollte Herr A. in seiner Situation nun also tun, um die Herausforderung in seinem Unternehmen zu bewältigen? Auf diese Frage würden die meisten von uns vermutlich auch nicht sofort die richtige Antwort geben können. Das liegt daran, dass unserem Denken meist die Richtung fehlt. In unübersichtlichen Lagen sollten wir deshalb auf etwas zurückgreifen können, das uns hilft, einen kühlen und klaren Kopf zu behalten - etwas, an dem wir uns orientieren können. Uns geht es hier nicht um die eine geniale Idee, die vom Himmel fällt und das Problem von Herrn A. mit einem Schlag löst. Vielmehr geht es uns um ein möglichst allgemeingültiges Findeverfahren[14]4 für gute Führungsentscheidungen. Es sollte Herrn A. helfen, sein konkretes Problem zu lösen. Genauso aber sollte es auch allen anderen nützlich sein, die vor ihre eigenen besonderen Führungsherausforderungen gestellt sind.
Wir treten hier mit dem Anspruch an, Ihnen mit dem ManagementMaster ein solches allgemeingültiges Findeverfahren für gute Führungsentscheidungen anzubieten. Der ManagementMaster soll Ihnen Orientierung geben, wie Sie Ihre Führungsherausforderungen überblicken und meistern können. Wir haben ihn als eine Gedankensortierhilfe angelegt, die Ihnen als Leerstellengerüst für Ihre konkrete Führungssituation dienen soll. Befüllen Sie es mit Ihren Themen! An zahlreichen Beispielen werden wir aufzeigen, wie andere damit bereits zu guten Lösungen gekommen sind. Sie können diese Beispiele für sich nutzen, indem Sie schlussfolgern, was bei Ihnen als Nächstes dran ist, und was Sie - ähnlich wie Herr A. - nun tun können. Mit dem ManagementMaster geben wir Ihnen eine Struktur an die Hand und zeigen Ihnen einen Prozess auf, mit dem auch Sie zu guten Führungsentscheidungen kommen.[15]
Sie werden mit unserer Gedankensortierhilfe lernen, Wesentliches von Unwichtigem zu unterscheiden. Sie werden erkennen, dass Sie als Führungskraft nicht allen Erwartungen entsprechen müssen; und dass es allein auf die Erfolgsfaktoren für gelingende Führung ankommt, um in der KID-Welt zum Nutzen von Menschen und Organisationen verantwortungsvoll handeln zu können. Indem Sie sich grundsätzlich mit dem Thema Management befassen und indem Sie die dabei gewonnenen Einsichten nach und nach in Ihren Führungsalltag übertragen, werden Sie über die Zeit hinweg immer mehr Führungswirkung in Ihrem Verantwortungsbereich entfalten.
Bis zu dieser Stelle in unserem Buch haben wir zehnmal das Wort Verantwortung verwendet - und wir werden es in dem, was folgt, noch weitere 213mal tun. Das ist Grund genug, hier bereits über Verantwortung nachzudenken und zu erklären, warum sie uns im Zusammenhang mit Führung und Management so wichtig ist.
Verantwortung ist an Werte und Normen gebunden und deshalb ein ethisches Thema. Viele Philosophen haben sich mit ihr intensiv auseinandergesetzt. In unserem Managementkontext ist es ein unternehmensethisches Thema. Dazu gibt es viele Abhandlungen namhafter Autoren. Wird jemandem Führungsverantwortung übertragen, so resultiert daraus für ihn eine Pflicht. Nämlich die Pflicht, die Aufträge, die sich mit der Wahrnehmung der übertragenen Verantwortung verbinden, zu erfüllen. Auf diese Weise entsteht eine Bindung an den[16], der diese Pflicht einfordern kann, und an das, was mit der Pflicht verbunden ist. In Unternehmen ist derjenige, der Verantwortung überträgt und Pflichterfüllung einfordern kann, der Vorgesetzte.
Die Sache selbst, für die Führungsverantwortung übertragen wird, setzt sich meist aus vielen Teilen zusammen: Immer geht es um Verantwortung für Menschen, Organisationen, Strukturen, Prozesse und Resultate. Wenn wir von Verantwortung sprechen, so meinen wir damit immer diese beiden Aspekte: Pflichterfüllung durch professionelle Auftragserledigung und verantwortungsvolle Sorge um Menschen, Organisationen, Strukturen, Prozesse und Resultate.
Deshalb werden hier Menschen gebraucht, die Wissen und Handlungskompetenzen zur Führung haben oder entwickeln wollen. Das allein reicht aber nicht. Wenn Führung gelingen soll, werden Führungskräfte gebraucht, die sich überdies in ihrem Führungshandeln auf stabile persönliche Werte stützen. Sie sollten bereit sein, über Verantwortung und Führungsethik zu reflektieren. Ihre Haltung erst macht sie so vertrauenswürdig, um ihnen die Sorge für Menschen und Organisationen zu übertragen.
Wir wollen mit diesem Buch Führungswissen vermitteln und Handlungskompetenzen im Management fördern. Und wir hoffen darauf, dass Sie sich immer wieder auch unserer Haltung zu Führungsfragen anschließen. Daraus machen wir kein Hehl. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in Unternehmen einander Vertrauensvorschüsse geben sollten: Führungskräfte ihren Mitarbeitern und Mitarbeiter ihren Führungskräften. So gehen alle davon aus, dass ein jeder in einer Organisation seinen Beitrag5[17] leisten kann und will. Wir glauben, dass nur in einer konstruktiven, von Vertrauen und Respekt geprägten Führungsbeziehung die besten Resultate erzielt werden können. Aber wir sind uns genauso sicher, dass dies nur mit einem konsequenten, auf Ziele ausgerichteten Management gelingen kann.
Mit dem ManagementMaster wollen wir Ihnen Orientierung geben, wie Sie Ihrer Führungsverantwortung gerecht werden können. Dazu unterbreiten wir Ihnen zahlreiche Vorschläge, vor allem aber bieten wir Ihnen eine Logik an, die Ihnen helfen soll, Ihre Gedanken zu sortieren - in dieser so verwirrenden KID-Welt. Das Denken können wir Ihnen nicht abnehmen, aber wir können Ihrem Denken eine neue Richtung geben.
Dieses Buch handelt von Führung und was es bedeutet, als Führungskraft Verantwortung für Menschen und Organisationen zu übernehmen. Wir müssen uns zunächst darüber klar werden, dass Führung immer mit Einflussnahme verbunden ist. Mit dem, was Führungskräfte tun, beeinflussen sie ihre Mitarbeiter. Meist versuchen sie, Mitarbeiter nach ihren Vorstellungen in eine ganz bestimmte Richtung zu bewegen, zum Beispiel zu einem neuen Ziel, zu mehr Anstrengung oder zu höherer Leistung. Aber nicht nur mit dem, was sie tun, nehmen sie Einfluss, sondern ebenso mit dem, was sie nicht tun.[18]
Wir erinnern uns an eine junge Führungskraft, der gleich zu Beginn ihrer Karriere ein großer Arbeitsbereich mit vielen Mitarbeitern anvertraut worden war. Sie leitete eine Wohnstätte, in der Menschen mit geistiger Behinderung lebten. Wenige Wochen nach ihrem Dienstantritt ereignete sich ein gravierender Vorfall. Ein Mitarbeiter hatte einen behinderten Jugendlichen nachmittags zum Einkaufen in die Stadt begleitet. Das gehörte zu seinen Aufgaben. Als die Rückkehr der beiden lange überfällig war, machte man sich auf die Suche nach ihnen. Und fand sie schließlich im Gasthof „Zur Post“ - sternhagelvoll! Der Mitarbeiter hatte offenkundig seine Aufsichtspflicht (und zahlreiche andere Dienstpflichten) verletzt. Dieser Vorfall machte in der Einrichtung schnell die Runde. Und alle warteten gespannt darauf, auf welche Weise der neue Chef nun wohl zur Tat schreiten würde oder ob dieses Vergehen vielleicht doch (wieder) folgenlos für den Mitarbeiter bliebe. Ganz gleich, wie sich der junge Chef damals tatsächlich entschieden hat, in jedem Fall hätte sein Tun oder Lassen Einfluss genommen - auf das zukünftige Verhalten des Mitarbeiters und auf das aller anderen.
Auch wenn Sie der Gedanke beunruhigt: Führungskräfte stehen unter Dauerbeobachtung! Ihr Verhalten wird von Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kunden und vielen anderen unablässig ins Visier genommen. Standen Sie schon einmal auf einer Theaterbühne - jede Ecke hell ausgeleuchtet und Sie mittendrin in der Kulisse oder vorne am Bühnenrand? Das Publikum sehen Sie dann nicht. Sie sind geblendet von den Scheinwerfern. Aber Sie wissen, dass da viele Augen auf Sie gerichtet sind - und fühlen sich beobachtet. Manchmal nehmen Sie eine Publikumsreaktion wahr - ein Raunen vielleicht oder auch nur ein Räuspern. So ähnlich fühlt es sich an, wenn man sich Führungsverantwortung stellt. Machen Sie sich klar, dass Sie auf jeden Fall ein Vorbild sind, und entscheiden Sie sich bewusst dafür, ein gutes Vorbild sein zu wollen. Jedes Ihrer Worte und jede Ihrer Handlungen werden aufmerksam registriert. Tröstlich ist, dass man manchmal auch Applaus bekommt - meist aber erst, wenn der Vorhang fällt. Szenenapplaus ist extrem selten![19]
Es gehört zur Verantwortung von Führungskräften, zu entscheiden, welche Handlungen von Mitarbeitern erwünscht sind und deshalb gefördert werden und welche ihrer Handlungen unerwünscht und deshalb zu unterbinden sind. (Alkohol im Dienst ist mittlerweile in nahezu allen Organisationen unerwünscht und deshalb verboten.) Aber nicht nur das aktuelle Verhalten von Führungskräften beeinflusst Mitarbeiter, auch das vergangene wirkt fort. So müssen Sie immer damit rechnen, dass sich Ihre Worte in das Gedächtnis von Mitarbeitern wie auf einer CD-ROM einbrennen: „Bei der Mitarbeiterversammlung vor vier Jahren haben Sie eine Lohnerhöhung mit der Begründung abgelehnt, dass ein Anstieg der Personalaufwendungen unsere Wettbewerbsfähigkeit massiv gefährdet!“ Sie selbst können sich an eine solche Aussage längst nicht mehr erinnern - der Mitarbeiter aber dafür umso besser![20]
Diese Beispiele zeigen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen - für seine eigenen Worte, für sein eigenes Handeln, aber auch für Menschen und Organisationen. Dieser Verantwortung werden Führungskräfte nur dann gerecht, wenn sie Orientierung geben. Das setzt allerdings voraus, dass sie zuerst einmal selbst gut und richtig orientiert sind. Nur wer das Handwerkszeug beherrscht, Ziele für seinen Verantwortungsbereich zu bestimmen, wird auch anderen Orientierung geben können. Ein Skipper, der keine Ahnung hat von Kompass, Karte und Sextant, ist seiner Mannschaft keine Hilfe, wenn der Kurs angelegt und gehalten werden soll. Es geht also um nichts Geringeres als um Professionalität im Management.
Diese ist nicht selbstverständlich. Vielen wird Führungsverantwortung übertragen, nachdem sie sich als Fachleute hervorgetan haben. Ein Ingenieur beispielsweise, der Maschinenbau gelernt hat und das gut kann, wird - ehe er es sich versieht - zum Teamleiter ernannt und steht nun vor einer Gruppe von Facharbeitern, die er fortan führen soll. So fädelt seine Führungskarriere ein, die ihn höher und höher trägt, wenn er es nur geschickt genug anstellt. Eines aber bleibt meist über die gesamte Karriere hinweg gleich: Gelernt hat er seinen Führungsjob nicht! Das Management von Organisationen ist bevölkert von Menschen, die das Handwerkszeug des Managements nicht grundständig erlernt haben.
Nun gibt es sehr viele Vorstellungen davon, was professionelle Führungsarbeit auszeichnet. Viele davon sind zu theoretisch und lassen sich nur mit Mühe in den Führungsalltag übertragen, andere fokussieren lediglich auf einzelne Aspekte und werden damit der Komplexität von Führungsherausforderungen nicht gerecht. Und manche Konzepte reiten auch einfach nur eine modische Managementwelle - bis sie schließlich ausläuft und von einer anderen ersetzt wird. Wir stattdessen wollen Ihre Führungsprofessionalität mit solchem Handwerkszeug stärken, das leicht aufzunehmen ist, zugleich aber der Komplexität Ihrer Anforderungen entspricht. Dieses Handwerkszeug muss also anschlussfähig an Ihre Praxiserfahrungen und für Sie sofort und immer[21] einsatzbereit sein.
Komplizierte Organisations- und Führungsmodelle erfüllen diesen Zweck nicht. Eine Stunde, nachdem wir darüber gelesen haben, oder einen Tag nach einem entsprechenden Seminar haben wir sie schon wieder vergessen. Sie entfalten meist keine Wirkung. Im ManagementMaster fokussieren wir stattdessen auf zwei einfache, aber zentrale Managementfragen:
WIE müssen Führungskräfte ihre tägliche Führungsarbeit organisieren?
Und um WAS müssen sich Führungskräfte dabei immer kümmern?
Diesen beiden Fragen sind wir lange nachgegangen, haben Managementbibliotheken durchforstet, selbst viel ausprobiert und mit ungezählten Menschen in Führungsverantwortung, aber auch mit Mitarbeitern gesprochen. Nach all dem sind wir davon überzeugt,
dass es genau vier Managementaufgaben sind, die der täglichen Führungsarbeit Struktur geben. Sie beschreiben, WIE[22] Führungskräfte arbeiten.
Und dass es genau sechs Managementfunktionen gibt,die Führungskräfte erfüllen müssen. Sie beschreiben, um WAS sich Führungskräfte kümmern.
Beachten Führungskräfte diese Managementaufgaben und -funktionen und ihr jeweiliges Zusammenspiel, so werden sie ihrer Führungsverantwortung für Menschen und Organisationen gerecht. Deshalb widmen wir diesen beiden Themen die beiden zentralen Kapitel unseres Buches.
Beginnen wir also mit den vier Managementaufgaben.
1Wir haben immer wieder darüber diskutiert, ob unser Selbstverständnis von der Gleichberechtigung der Geschlechter auch in der von uns verwendeten Sprache zum Ausdruck kommen muss. So wünschenswert das ist, so wenig überzeugend finden wir allerdings die dazu gegebenen sprachlichen Möglichkeiten. Der Versuch, Texte auf Frauen und Männer gleichermaßen zu beziehen, geht nach unserem Dafürhalten immer zu Lasten des Leseflusses und des Textverständnisses. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, durchgängig nur ein sprachliches Geschlecht zu verwenden. Wenn wir in diesem Buch die männliche Form gewählt haben, so spiegelt sich darin der inakzeptable Umstand, dass Führungspositionen immer noch mehrheitlich von Männern besetzt sind. Wir bitten alle Leserinnen und Leser darum, bei männlichen Formulierungen immer auch die weibliche Variante mitzudenken.
2Wer genauer verstehen will, warum wir Menschen in solchen Situationen überfordert sind und deshalb oft unangemessen reagieren, dem empfehlen wir die Lektüre eines Buches des Leibniz-Preisträgers Dietrich Dörner: „Die Logik des Misslingens“ [23].
3Manchmal wird gar gefordert, Hierarchien und damit Führungskräfte gleich ganz abzuschaffen. Mitarbeiter würden alleine besser mit dem Anforderungschaos zurechtkommen.
4Findeverfahren bezeichnet man auch als Heurismen. Heuristik ist die Kunst, unter Zeitdruck und mit nur begrenztem Wissen zu guten Lösungen zu kommen.
5„Beitrag“ ist ein Schlüsselbegriff unseres Managementverständnisses. Wenn wir ihn immer wieder verwenden, so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, dass die unterschiedlichsten Aktivitäten der zahlreichen Akteure einer Organisation immer Beiträge zur gemeinsamen Sache sein müssen. Wenn den Akteuren die gemeinsame Sache stets bewusst ist, und wenn sie den übergeordneten Zweck ihrer Organisation verstanden haben, dann wissen sie, warum sie tun, was sie tun. Nur dann ist sichergestellt, dass ihre Aktivitäten auch auf diesen übergeordneten Zweck einzahlen. Dieser Zweck vermag zudem, ihrer Arbeit Sinn zu geben und sie anzuspornen. Darüber schreiben wir ausführlich im Kapitel 3.1 Identitätsfunktion.
Abb. 2.1: Vier Managementaufgaben in einer definierten Abfolge
Wollen Führungskräfte zu verantwortungsvollen Entscheidungen kommen und damit nachhaltige Wirkungen erzeugen, so müssen sie die in Abbildung 2.1 genannten vier Managementaufgaben nacheinander abarbeiten: Informieren - Reflektieren - Entscheiden - Umsetzen.[24]
In unübersichtlichen Situationen geht es zuerst darum, für eine hinreichende Informationsgrundlage zu sorgen (1). Dazu gehört, alle infrage kommenden Informationsquellen zu identifizieren: Wer kann zur Aufklärung beitragen? Welche Informationskanäle sind angemessen? Wie zuverlässig und objektiv sind Informanten und Informationen? Andererseits ist es wichtig, sich in gleichem Maße Gedanken über die Informationsverarbeitung zu machen: Wie bringe ich verschiedene Informationen „unter einen Hut“? Was hilft mir, nicht selektiv, sondern unverstellt wahrzunehmen? Wann habe ich genügend Informationen eingesammelt?
An diesen ersten Schritt schließt sich die Managementaufgabe (2) Reflektieren an. Die zusammengetragenen Informationen müssen durchdacht, abgewogen und bewertet - kurz: reflektiert werden. Wichtig ist, Antworten auf die nachstehenden Fragen zu finden: Wer kann mich in der Reflexionsphase unterstützen, indem er seine Perspektiven hinzufügt? Welche Aspekte sind wesentlich für den Fortgang? Welche Informationen beachte ich bewusst nicht (mehr)?
Liegen alle relevanten Informationen vor und sind daraus die wesentlichen Schlüsse gezogen, so steht anschließend die Managementaufgabe (3) an: Entscheiden. Das ist jedoch meist leichter gesagt als getan! Denn durch die ersten beiden Aufgaben kann eine Unternehmenssituation meist nicht vollständig aufgeklärt werden. Deshalb sind Führungsentscheidungen immer mit Risiken behaftet. Daher geht es dann u. a. um diese Fragen: Welches sind die logischen Konsequenzen aus den gewonnenen Einsichten? Welche Wirkungen erzeuge ich mit meiner Entscheidung? Welche unerwünschten Nebenwirkungen nehme ich bewusst in Kauf?[25]
Eigentlich müsste selbstverständlich sein, dass auf eine Entscheidung hin ihre Umsetzung 4 folgt. Wozu sollte der ganze Aufwand bis hierhin sonst getrieben worden sein? Vielleicht geht es Ihnen aber auch wie uns, und Sie erinnern sich an zahllose Führungsentscheidungen, die nicht umgesetzt wurden oder schon bald versandet sind? Wollen Führungskräfte also nicht nur entscheiden, sondern damit auch Führungswirkung entfalten, dann müssen sie sich auch um die Umsetzung kümmern: Welches sind die richtigen Maßnahmen, meine Entscheidung umzusetzen? Worin besteht mein Umsetzungsbeitrag als Führungskraft? Wie kommuniziere ich zielführend? Was bedeutet für uns eigentlich Disziplin?
Fassen wir die vier Aufgaben, vor die Führungskräfte u. E. immer gestellt sind, nachstehend noch einmal zusammen:
Werden diese vier Managementaufgaben durch Führungskräfte ernstgenommen und konsequent abgearbeitet, so kommt es zu verantwortungsvollen Führungsentscheidungen. Sie erachten wir als den Kern[26] guter Führung. Unter den jeweils gegebenen Umständen werden die bestmöglichen Entscheidungen vorbereitet, getroffen und umgesetzt. Sie bestimmen den weiteren Weg, den eine Organisation nehmen wird. Werden diese vier Managementaufgaben hingegen nur unzureichend oder unabhängig voneinander erfüllt, so resultieren unverantwortliche Entscheidungen. Sie können Menschen und Organisationen im Zuge der Umsetzung in ernste Gefahr bringen.
Damit haben wir die ersten vier Erfolgsfaktoren für gelingende Führung benannt. Auf sie gehen wir in den nachfolgenden Kapiteln jeweils genauer ein. Sie erhalten dort Orientierung und Prozesssicherheit für Ihren Führungsalltag, damit Sie in Ihrer speziellen komplexen, dynamischen und intransparenten Unternehmenssituation jederzeit Ihrer Führungsverantwortung gerecht werden und Führungswirkung entfalten können. Immer wieder greifen wir in den folgenden Kapiteln auf das Beispiel von Herrn A. zurück. So können wir überprüfen, ob die Managementaufgaben einen Beitrag zu einer guten Lösung für sein besonderes Problem leisten. Nehmen Sie deshalb unseren tragischen Fall von Orientierungslosigkeit gedanklich immer mit, wenn Sie in den nächsten Kapiteln lesen.
Am Anfang war das Wort. So lautet der erste Satz der heiligen Schrift des Christentums. Nach den Vorstellungen unserer Ahnen nimmt das Universum mit einem Wort seinen Lauf. Alles beginnt mit einer Information. Heute haben wir Zweifel an dieser überlieferten Schöpfungsgeschichte. Was genau vor Urzeiten das alles, was uns umgibt, einmal in Gang gesetzt hat, das wissen wir trotz des enormen wissenschaftlichen Fortschritts letztlich nicht - in den Mythen aber, die wir uns erzählen, stecken tief in das kollektive Bewusstsein der Menschheit eingegrabene Gewissheiten. Für unser Thema jedenfalls - Führung und Management - können wir nur bestätigen: Alles beginnt mit einer Information![27]
Dabei ist nicht ausschlaggebend, über welchen Sinneskanal Sie als Führungskraft eine Information aufnehmen. Ob Sie eine E-Mail lesen, oder eine Zahlentabelle auswerten, ob Sie in einer Besprechung oder am Handy Worte hören oder ob Sie unmittelbar in einer Situation dabei sind und ein Geschehen mit allen Ihren Sinnen wahrnehmen. Wir haben daher Auge und Ohr als Symbole an den Anfang dieses Kapitels gesetzt. Sie sollen Sie daran erinnern, wie wichtig es ist, als Führungskraft Augen und Ohren offenzuhalten. Wie und was Führungskräfte wahrnehmen und wie sie Informationen verarbeiten, ist entscheidend für alles, was darauf im Management folgt. Stellen Sie deshalb alle Ihre Sinne auf Empfang! Informationen sind immer der Ausgangspunkt für Ihr Führungshandeln. Sehen Sie sich die Dinge an! Hören Sie hin!
Informationen sind das Material, mit dem Sie als Führungskraft arbeiten. Wie ein Schlosser mit Metall arbeitet und ein Schreiner mit Holz, so arbeiten Sie mit Informationen. Daraus formen Sie Ihr Werkstück Führung. Und wie bei Metall oder Holz ist die Qualität des Materials maßgeblich für die Güte des Werkstücks. Die Qualität der von Ihnen genutzten Informationen bestimmt maßgeblich Ihre Führungsqualität. Arbeiten Sie mit ungültigen oder fehlenden Informationen, so werden Sie das im weiteren Führungsprozess nur noch mit Mühe ausgleichen können. Deshalb lohnt es sich, wenn wir uns näher mit der Managementaufgabe (1) Informieren[28] befassen.
Wir leben in einer digitalisierten Welt. Informationen sind eine Ware. Die weltweit am höchsten dotierten Unternehmen handeln mit Informationen und verdienen damit Milliarden. Nahezu jede beliebige Information steht mittlerweile auf Knopfdruck zur Verfügung. Das gilt insbesondere auch für Daten, die in Unternehmen zusammengetragen werden und die ihre Steuerungssysteme speisen. Die Zahlentapeten, die von Controllern verarbeitet werden, sprechen Bände davon, was alles bereitliegt und genutzt werden kann. So stehen dem Management heute meist nicht zu wenige, sondern viel zu viele Informationen zur Verfügung. Der Begriff Informationsüberflutung kennzeichnet sehr deutlich, dass wir größte Schwierigkeiten damit haben, die schiere Masse an Informationen zu bewältigen.
Über uns rollt eine Wissens- und Informationslawine hinweg! Das verfügbare Weltwissen stieg im Zuge der Aufklärung des 18. Jahrhunderts kontinuierlich an. So hatte es sich innerhalb von 150 Jahren bis hin zum Jahr 1900 nahezu verdoppelt. Aber das war erst der Anfang! Nach weiteren hundert Jahren lag die Verdoppelungsrate zum Millennium bereits bei fünf Jahren! Wissenschaftler gingen 1992 davon aus, dass sich das Weltwissen bis zum Ende dieser Dekade ca. alle 73 Tage verdoppeln würde. Angesichts unserer täglichen Erfahrungen ist zu vermuten, dass diese Annahme längst überholt ist und wir es mit einer weiteren Beschleunigung dieser exponentiellen Entwicklung zu tun haben. Sie ist maßgeblich von der digitalen Verfügbarkeit der Wissensinhalte und Informationen beeinflusst.[29]
Auch Ihnen wird es Probleme bereiten, im Informationsrauschen diejenigen Botschaften herauszufiltern, die relevant für Sie sind. Die überquellenden Posteingänge von Führungskräften sind das klassische Beispiel für die Informationsüberflutung. Es gibt Manager, die sich zum Nachweis ihrer Bedeutsamkeit und Arbeitsbelastung die täglichen Kennzahlen ihrer E-Mail-Accounts um die Ohren hauen: „200 in - 75 out!“ - „Was? So wenig? Das wäre mein Traum. Ich hatte gestern 250 in und 125 out.“ Und wir reden hier im Moment nur über die Anzahl der E-Mails, nicht über ihre Umfänge. Da wird erwartet, dass man nicht nur die E-Mail als solche liest, und den in ihnen abgebildeten bisherigen Kommunikationsverlauf, sondern auch noch ihre megabyte-starken Anhänge.
Wer sehnt sich da nicht nach einem persönlichen Assistenten, der die Informationsflut auf Relevanz hin durchforstet? Den meisten Führungskräften aber bleibt nichts anderes übrig, als diese Aufgabe selbst zu übernehmen. Dabei laufen sie Gefahr, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Für Führungsprozesse erweist sich das als fatal. Relevante Informationen gehen im Rauschen unter, eine Führungsherausforderung wird nur lückenhaft wahrgenommen und deshalb unzureichend beurteilt. Es kommt also gar nicht darauf an, dass Sie möglichst viele Informationen zur Verfügung zu haben, sondern darauf, dass die relevanten Informationen zu Ihnen durchdringen und von Ihnen erkannt werden können.[30]
Aber nicht nur die unübersichtliche Informationsmenge ist ein Problem. Auch die Verlässlichkeit von Informationen ist eines. Das Internet ist zwar grundsätzlich eine hilfreiche Informationsquelle für Führungskräfte; ungeprüft jedoch sollten Informationen daraus nicht übernommen werden. Das wissen wir nicht erst, seit Falschmeldungen6 vorsätzlich in die Welt gesetzt werden. Nur weil eine Information gegoogelt worden ist, ist sie deshalb noch lange nicht gültig. Und selbst, wenn es sich um eine richtige Information handeln sollte, ist deshalb noch lange nicht gesagt, ob sie in Bezug auf eine konkrete Fragestellung überhaupt hilfreich ist.
Oft verstellen die zuerst angezeigten Suchergebnisse den Blick auf möglicherweise bessere Ergebnisse, die erst weiter hinten folgen. Gute Treffer mit relevanten Inhalten lassen sich nur aufstöbern, wenn man hartnäckig ist. Machen Sie sich klar, dass es Suchmaschinenprogrammierungen7 sind, die die Ergebnisauswahl zu Ihrer Internetrecherche maßgeblich bestimmen. Ihnen werden stets Ergebnisse angezeigt, die zu Ihrem bisherigen individuellen Nutzungsverhalten passen. Sie haben bestimmt schon bemerkt, dass Ihnen nach dem Besuch eines Online-Shops immer wieder Werbung für Produkte angezeigt wird, für die Sie sich auch interessieren - niemals aber für Produkte, die gar nicht zu Ihnen passen. Auf diese Weise arbeiten auch die Suchmaschinen: Sie bestätigen mit den gelieferten Ergebnissen immer wieder Ihre bisherige Sicht der Dinge.[31]
Recherchieren Sie im Internet deshalb nach dem Wissenschaftsprinzip. In allen empirischen Wissenschaften werden Hypothesen auf die immer gleiche Weise geprüft: Man versucht, sie zu widerlegen! Und bezeichnet dieses Vorgehen als Falsifikation. Solange Hypothesen nicht widerlegt sind, ist es gerechtfertigt, sie beizubehalten. Die Suche nach bestätigenden Informationen (Verifikation) hingegen wird als unwissenschaftlich angesehen. Suchen Sie deshalb nicht nach Informationen, die Ihre Auffassung bestätigen, sondern suchen Sie bewusst nach Informationen, die sie widerlegen könnten.
Stützen Sie sich bei der Informationssammlung nicht allein auf eine Quelle. Auch wenn es auf dem Hintergrund der Informationsüberflutung paradox klingen mag, so raten wir Ihnen doch, das Suchfeld zunächst auszuweiten. Die Internetrecherche ist meist ein sinnvoller Anfang, um sich ein erstes Bild von der Lage zu machen. Danach aber ist es wichtig, gezielt nach weiteren Informationsquellen zu suchen. Was können Ihre Mitarbeiter zum Thema beitragen? Welche Experten können Sie einbinden? Wer bestätigt und wer widerspricht den gesammelten Informationen? Helfen Impulse aus ganz anderen Branchen, Ländern oder Forschungsrichtungen, die Lage besser zu verstehen? [32]
Versuchen Sie nicht, Führungsherausforderungen allein von Ihrem Schreibtisch aus zu begreifen. Lassen Sie sich nicht nur zusammenfassend präsentieren. Nehmen Sie nicht nur Berichte entgegen. Verlassen Sie Ihr Büro und begeben Sie sich an den Ort des Geschehens. Verschaffen Sie sich dort einen persönlichen Eindruck. Suchen Sie den Dialog mit den betroffenen Menschen. Fragen Sie sie gezielt nach Informationen und nach ihren Einschätzungen. Und hören Sie ihnen genau zu. Hinterfragen Sie Ihre eigenen Vorannahmen und nehmen Sie Ihre eigenen Wahrnehmungen nicht so wichtig. Handeln Sie wie ein psychologischer Forscher, der die Phänomene von anderen ergründen will. Argumentieren Sie nicht gegen ihre Sichtweisen; streiten Sie nicht um die Wahrheit. Nehmen Sie widersprüchliche Informationen emotionslos auf und versuchen Sie zu verstehen, wie es zu diesen Widersprüchen kommt. Bedenken Sie bei der Informationssammlung auch, ob Ihre verschiedenen Informationsquellen eigene Interessen verfolgen.8
Machen Sie sich bewusst, dass Zahlen und Quantifizierbares nur ein Abbild der Realität sind und damit nur ein Teil von dem, was wesentlich ist. Immer wieder erleben wir, dass Zahlenmenschen wichtige Informationen entgehen. Was nicht in Zahlen gefasst werden kann, das gibt es für sie schlicht nicht. Deshalb spielt es bei ihren Überlegungen oft keine Rolle. Wenn sich Führungskräfte bei ihren Entscheidungen nur auf ein Informationsformat stützen, so handeln sie fahrlässig. Das ist hochriskant und unverantwortlich! Vielmehr kommt es darauf an, sich ein differenziertes Bild von der Lage zu machen, damit darauf später auch differenzierte Entscheidungen folgen können.[33]
In vielen Unternehmen wird der Budgetplanung größte Bedeutung beigemessen. Mit ihr wird versucht, das operative Geschäft des kommenden Wirtschaftsjahres und die mittelfristige Entwicklung des Unternehmens in den Griff zu bekommen. Dann sind Führungskräfte und Controller zumeist wochenlang damit beschäftigt, Ist-Zahlen zu analysieren und daraus Plan-Zahlen abzuleiten. Mit dem Fokus auf die Eckwerte der obersten Leitung wird so lange an den Zahlen geschraubt, bis das gewünschte Plan-Ergebnis unten rechts in der Tabelle erscheint.
Die Auffassung, durch die Untersuchung von Details und mit der Erhebung von Einzeldaten zur Lösung eines Problems zu gelangen, ist weit verbreitet. Wer sich auf diese Weise ins Detail vertieft, der wird schon bald die Erfahrung machen: Je tiefer ich mich in den Wald hineinbegebe, umso wahrscheinlicher wird es, dass ich ihn schon bald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen werde. Viel zu selten resultiert aus der Datensammlung die erhoffte Lösung eines Problems; viel zu oft aber eine Informationsmenge, die alles nur noch schlimmer macht.
Dies hat einen einfachen Grund: Wie schon das Sprichwort andeutet, wird durch eine akribische Befassung mit dem Detail (Bäume) der Blick auf die Vernetzung der Systemkomponenten (Wald) verstellt. Die entscheidenden Informationen, wie die Dinge zusammenhängen und sich wechselseitig beeinflussen, bleiben unberücksichtigt. Erst im Erkennen von Zusammenhängen und Wirkmechanismen aber gelangt man zur Lösung eines Problems. Nur auf diesem Wege lässt sich die unhandliche und unüberschaubare Datenmenge auf das Wesentliche reduzieren.[34]
Das Beispiel von der Budgetplanung macht deutlich, wie wichtig es ist, auf Schlüsselkomponenten und ihre Wechselwirkungen zu achten. Man kann das kommende Haushaltsjahr hervorragend bis auf Nachkommastellen genau planen und man kann es mit den ausgefeiltesten Instrumenten tun. Am ersten Januar wird diese Planung aber bereits überholt sein, wenn systemrelevante Aspekte bei der Planung außer Acht gelassen worden sind. Ändert sich auch nur eine Rahmenbedingung für ein Geschäftsfeld substanziell, so hat dies Auswirkungen auf viele Systemkomponenten. Dann führt eine noch so akribisch vorgenommene lineare Fortschreibung des bisherigen Verlaufs zu falschen Ergebnissen.
Stellen wir uns für einen Moment vor, zwei Trainerassistenten beobachten im Auftrag des Cheftrainers ein und dasselbe Fußballspiel. Der eine steht am Spielfeldrand und benutzt ein Fernglas, um ganz nah an das Spielgeschehen heranrücken zu können. Nach dem Spiel berichtet er seinem Auftraggeber von der Augenfarbe des gegnerischen Torwarts, von der Schusstechnik des Mittelstürmers und dass er ein neues Tattoo auf seinem linken Unterarm trägt, welche Bandenwerbung beim 1:0 eingeblendet war und welche Schuhe der Schiedsrichter trug. Zum Spielverlauf selbst kann er nichts sagen. Er war ganz auf das konzentriert, was in das Sichtfeld seines Fernglases kam.[35]
Der zweite Trainerassistent setzt sich hingegen ganz oben auf die Tribüne, wo er einen guten Überblick über das Spielgeschehen hat. Von dort kann er erkennen, warum seine Mannschaft verloren hat. Nach neunzig Minuten berichtet er dem Cheftrainer, dass die Mannschaft nach einem Ballgewinn meist nicht schnell genug umschaltete und dass das Zusammenspiel der Mannschaftsteile Abwehr, Mittelfeld und Angriff unzureichend war. Zudem hat er beobachtet, dass zu viele Angriffsversuche durch die Mitte unternommen wurden, wo sie immer wieder in der gegnerischen Abwehr steckenblieben. Die Augenfarbe des gegnerischen Torwarts war ihm allerdings entgangen.
Mit welchen Informationen wird der Cheftrainer wohl mehr anfangen können?
Man muss kein Fußballfan sein, um diese Metapher zu verstehen. Das Beispiel macht deutlich, warum es bei der Informationssammlung auf die richtige Brennweite ankommt. „Um die Wirklichkeit als Ganzes zu erfassen, genügt es nicht, nur die Details aufzunehmen. So erfahren wir zwar sehr vieles über diese Details, aber nichts über das System als solches.”9Nur wenn Sie den Überblick behalten, können Sie die wesentlichen Informationen zusammentragen. Achten Sie deshalb gezielt auf das Zusammenspiel der Systemkomponenten. Und lassen Sie sich nicht von unwichtigen Details ablenken. Nachstehend haben wir für Sie einen kleinen Fragenkatalog zusammengestellt, der Ihnen helfen soll, die Relevanz und Qualität von Informationen zu beurteilen. Mit ihm finden Sie die richtige Balance zwischen Tele[36] und Weitwinkel. Dort, wo Sie von Informationen geradezu überflutet werden, sollten Sie Abstand nehmen und die Dinge aus der Ferne betrachten, um Muster erkennen zu können. Und dort, wo eine Information aus nur einer Quelle stammt, recherchieren Sie gezielt weiter.
Betrifft die Information mich oder einen für mich wichtigen Vorgang?
Ist die Information unmittelbar auf meine Situation übertragbar?
Nützt mir die Information, um Zusammenhänge besser zu verstehen?
Ist meine Informationsquelle neutral oder verfolgt sie Eigeninteressen?
Wo finde ich Bestätigung, wo Widerspruch zu dieser Information?
Ist die Information heute und auch zu einem späteren Zeitpunkt noch gültig?
Mit Hilfe des Fragenkatalogs könnte Herr A. über Relevanz und Qualität seiner Informationen und über die Motive seiner Informanden reflektieren. Verfolgen die Kritiker der Investitionsentscheidung eigene Interessen? Argumentieren sie dagegen, damit in ihrem Bereich alles beim Alten bleiben kann? Angekündigte Veränderungen treffen in der Belegschaft oft auf ein erhebliches Beharrungsvermögen. Deshalb müssen sie aber noch lange nicht falsch sein.[37]
Herr A. könnte sich auch an Experten wenden, die sein Vorhaben mit dem Blick von Außenstehenden beurteilen. So würde er die vorgetragenen Sorgen ernst nehmen und gleichzeitig die Tragfähigkeit seiner Entscheidung absichern.
Bestimmt sind Sie auch schon einmal einer optischen Täuschung erlegen, beispielsweise bei einem Kippbild. Da schwören Sie dann Stein und Bein, dass auf einem Bild nur eine alte Frau zu sehen ist, obwohl ein anderer dort eine junge Frau zu sehen glaubt. Sie haben beide Recht! Sie können auf dem Bild beide Frauen entdecken, je nachdem, was Ihr Gehirn als Figur und was als Hintergrund interpretiert. Darauf fällt man gerne herein; dort macht es uns nichts aus, wenn wir uns täuschen. Was aber, wenn uns unsere Wahrnehmung nicht nur bei den kleinen Tricks der Neuropsychologen einen Streich spielt? Was, wenn uns unsere Wahrnehmung auch im Führungsalltag trügen sollte? Wir verraten Ihnen ein Geheimnis: Auch Manager können sich irren - sie geben es nur nicht gerne zu!
Bislang sind wir davon ausgegangen, dass uns immer wieder die schier unüberschaubare Menge an Informationen den Blick auf das Wesentliche verstellt. Jetzt müssen wir uns auch noch damit auseinandersetzen, dass unser eigener Wahrnehmungsapparat die Angelegenheit erschwert. Der Mensch nimmt mit seinen fünf Sinnesorganen einen Datenstrom von 109 bit pro Sekunde auf. Obwohl das menschliche Gehirn ein phänomenales Organ ist, könnte es diese Informationsfülle doch niemals verarbeiten. Deshalb wird sie durch eine unbewusst ablaufende Auswahl zunächst auf 10² bit/s reduziert (das entspricht nur noch einem Zehnmillionstel des ursprünglichen Inputs!) und anschließend durch Assoziationsvorgänge in der rechten Hemisphäre wieder auf 107[38] bit/s angereichert.10 Assoziation bedeutet, dass unser Gehirn die reduzierten Informationen mit dem gespeicherten Wissen und den Erfahrungen aus der Vergangenheit abgleicht und ergänzt. Das alles können wir nicht steuern. Es geschieht unwillkürlich. In Abbildung 2.2 finden wir dieses Flaschenhalsmodell der Wahrnehmung dargestellt.
Abb. 2.2: Flaschenhals der Wahrnehmung
Damit macht es sich unser Gehirn ganz schön einfach. Was so ähnlich erscheint wie etwas, das wir schon kennen, wird nicht als das wahrgenommen, was es ist, sondern als das, was wir bereits im Kopf haben. Dieser Mechanismus ist überaus nützlich, wenn wir beispielsweise einen Tisch betrachten. Vier senkrecht zum Boden führende, etwa 75 cm lange Stützen, auf denen eine waagerechte Platte ruht, erkennen wir im Bruchteil einer Sekunde als Tisch. Unser Leben wäre massiv beeinträchtigt, müssten wir uns immer wieder von neuem einen Tisch erschließen, wenn ein entsprechendes Gebilde in unser Blickfeld rückte. Was bei der Ansicht eines Tisches sehr nützlich ist (und bei sehr vielen anderen Dingen auch), erweist sich bei der Beurteilung von komplexeren Sachverhalten aber als ein großes Risiko. Machen Sie sich bewusst, dass Sie jede neue Information mit Ihrem Vorwissen und Ihren Vorerfahrungen anreichern. Das aber erschwert die Wahrnehmung von Besonderheiten und Ausnahmen massiv.[39]
Dieses Verständnis von der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns erklärt auch so manches Missverständnis, das es zwischen Menschen geben kann. Jeder nimmt eine Situation auf seine Weise wahr und fügt sein Eigenes hinzu. Kein Wunder, dass es zu ein und demselben Sachverhalt unterschiedliche Meinungen geben kann. Jeder greift bei der Bewertung auf die eigenen Vorerfahrungen zurück. Und die können höchst unterschiedlich sein. Deshalb sollten Sie niemals davon ausgehen, dass auch alle anderen dasselbe wahrnehmen wie Sie, dass Worte von allen gleich verstanden und Situationen ähnlich empfunden werden. Das ist nur sehr selten der Fall.
Als ob die Beurteilung von komplexen Gemengelagen damit nicht schon genügend erschwert wäre, müssen wir nun auch noch ein weiteres Informationsverarbeitungsproblem hinzustellen: Informationen, die im Widerspruch zu unseren bestehenden Ansichten und Überzeugungen stehen, werden automatisch ausgefiltert! Wir neigen dazu, ausschließlich Bestätigungen für unsere Sicht der Dinge aufzunehmen. Damit verbindet sich ein hohes Risiko, dass unpassende, aber relevante Informationen unbeachtet bleiben und damit Wesentliches übersehen wird. Ereignisse, die unwahrscheinlich sind, oder Dinge, die wir uns nicht vorstellen können, haben wir einfach nicht auf dem Schirm.[40]11So waren bis zum 17. Jahrhundert alle Europäer noch fest davon überzeugt, dass alle Schwäne weiß sind. Erst mit der Entdeckung eines weiteren Kontinents, den man später Australien nannte, änderte sich dieses festgefügte Weltbild. Dort gab es - oh Wunder! - auch schwarze Schwäne! Rechnen Sie in Ihrem Führungsalltag immer damit, dass Ihnen dort ein schwarzer Schwan begegnen könnte. Bleiben Sie aufmerksam für die Besonderheiten, von denen Sie umgeben sind. Und wachsam, wenn Sie vorschnell meinen, etwas auf Anhieb schon verstanden zu haben. Wir können einfach nicht allem trauen, was wir sehen und hören. Und meistens liegt es an uns selbst!
Wir reichern also Informationen immer mit Eigenem an und unsere Aufmerksamkeit richtet sich zumeist auf das, was wir schon kennen. Zu diesen Wahrnehmungsverzerrungen gesellen sich schließlich auch noch unsere Gefühle hinzu. Sie steuern unsere Wahrnehmung und unser Verhalten maßgeblich: Freude, Angst, Wut, Mitleid, Bewunderung, Eifersucht, Verachtung, Neid, Liebe … Emotionen wirken wie ein Wahrnehmungsfilter. Wer kennt nicht die beiden Verliebten, die wochenlang alles durch eine rosarote Brille sehen und dabei den Kontakt zur Realität verlieren? Bei anderen Gefühlen tragen wir eine andere Brille - zum Beispiel eine, die uns alles rabenschwarz sehen lässt. Wenn wir wütend sind, dann haben es positive Informationen schwer, zu uns durchzudringen. Empfinden wir hingegen tiefe Befriedigung, so wird wahrscheinlich, dass wir Warnsignale übersehen. Herr A. hatte in seiner Führungsherausforderung vor allem Verunsicherung und Angst empfunden. Er betrachtete alles, was ihm widerfuhr, durch eine Angstbrille. Überall nahm er Bedrohungen, Risiken und Angriffe wahr. Überall witterte er Gefahren und begegnete selbst den wohlwollenden Stimmen mit Misstrauen. Seine Wahrnehmung war durch Angst verzerrt.[41]
Wenn wir als Führungskräfte nun erkennen müssen, dass unser Seh- und Hörvermögen derart eingeschränkt und verblendet ist, dürfen wir dann überhaupt Führungsverantwortung übernehmen? Wie können wir anderen Orientierung bieten, wenn wir so viele eigene blinde Flecken haben? Wir sind fest davon überzeugt, dass Führungskräfte ihrer Verantwortung für Menschen und Organisationen trotzdem gerecht werden können. Nämlich dann, wenn sie
ihren Wahrnehmungsverzerrungen aktiv etwas entgegensetzen,
sich ihrer Wahrnehmungslücken bewusst sind und nach ergänzenden und widersprechenden Informationen gezielt suchen und
über Denkmodelle verfügen, die sie dabei unterstützen, relevante Informationen aufzuspüren.
Es liegt an uns, ob wir uns den Wahrnehmungsverzerrungen ausliefern oder ob wir ihnen etwas Wirksames entgegensetzen. Erkenntnis ist hier schon mal der erste Weg zur Besserung. Aber nur dann, wenn wir auch bereit sind, fortan beständig über unsere Annahmen und Überzeugungen zu reflektieren, wird unsere Wahrnehmung auch tatsächlich objektiver. Nur wenn wir unserem Sinn und Verstand gegenüber misstrauisch bleiben und beide immer wieder infrage stellen, können wir unsere Wahrnehmungsverzerrungen ausgleichen. Wir haben hier drei Tipps für Sie, wie Ihnen das im Führungsalltag gelingen kann:[42]
Tipp 1: Gegenläufig wahrnehmen
Wenn wir einen Menschen kennenlernen und er uns bei der ersten Begegnung sympathisch ist, nehmen wir bei den nachfolgenden Begegnungen vor allem solche Informationen auf, die unseren positiven Ersteindruck bestärken. Wir werden blind für seine Fehler und Unzulänglichkeiten. Bei anderen, mit denen wir etwa einen Konflikt austragen, übersehen wir leicht die positiven Seiten, die es fraglos bei jedem Menschen gibt.
Wir raten Ihnen, immer wieder auch gegenläufig wahrzunehmen. Registrieren Sie bei sympathischen Menschen bewusst auch die kritikwürdigen Aspekte. Suchen Sie bei denen, die Sie ablehnen, gezielt nach Pluspunkten. Das wird Ihr Bild verändern, das Sie sich von den Menschen machen.
Tipp 2: Auszeit nehmen
Es ist richtig, wenn eine Führungskraft vor einer wichtigen Entscheidung ihr Team zur Beratung hinzuzieht. Allerdings sollte ihr bewusst sein, dass Beratungs- und Entscheidungsprozesse in Gruppen schnell eine destruktive Dynamik entwickeln können. Dann erhalten Argumente ein Gewicht, die der Sache nicht zuträglich sind. Mit einem Mal wird wichtiger, wer etwas sagt, als was er zu sagen hat. Und ohne dass man es sich versieht, wird man auch als Führungskraft in diese Dynamik hineingezogen. Die Gefahr ist groß, sich in einer solchen Situation der Mehrheitsmeinung oder der lautesten Stimme zu beugen - oder wider besseren Wissens auf seiner eigenen Meinung zu beharren.[43]
Wenn sich eine Diskussion von der Sache selbst entfernt hat und damit das Wesentliche aus dem Fokus gerutscht ist, müssen Sie Ihre Entscheidung vertagen. Wenn Sie rechtzeitig bemerken, dass Sie die Gruppendynamik vom richtigen Weg abzubringen droht, sollten Sie allen eine Auszeit geben - wie im Basketball. Sie verschafft Ihnen Zeit, die eigene Sichtweise noch einmal unabhängig von der Gruppe zu klären.
Tipp 3: Neustart denken
Erfolge sind klasse! Aber auch riskant! Wir sind verliebt in unsere Erfolge! Sie lassen uns glauben, wir seien auf dem richtigen Weg. Und wir nehmen irrtümlicherweise an, dass das, was uns einst erfolgreich gemacht hat, allemal auch für zukünftige Erfolge gut ist. Doch das ist ein Trugschluss! Die Welt um uns herum verändert sich, nichts bleibt, wie es ist. Was gestern noch erfolgreich war, kann morgen schon vorbei sein.
Wir raten Ihnen, immer mal wieder gedanklich neu zu starten. Lassen Sie dabei das Bestehende ganz außer Acht - auch Ihre bisherigen Erfolgsfaktoren. Was würden Sie tun, wenn Sie heute ganz neu starten müssten; wenn Sie nicht bereits täten, was Sie heute schon tun?
Wenn Sie diese drei Tipps beherzigen, geht die erste Runde im Kampf gegen die Wahrnehmungsverzerrungen schon mal an Sie. Indem Sie ganz bewusst immer wieder gegenläufig wahrnehmen, machen Sie Ihr Suchfeld weit. Indem Sie in hektischen Momenten Auszeiten nehmen, entziehen Sie sich einer verhängnisvollen Gruppendynamik. Und indem Sie immer wieder einen gedanklichen Neustart hinlegen, lösen Sie sich aus den Bindungen Ihrer erfolgreichen Vergangenheit. Ein Anfang ist gesetzt.[44]
In einer indischen Fabel wird in vielen Variationen von vier blinden Mönchen erzählt. Sie standen vor etwas Großem und rätselten darüber, was es wohl sei. Deshalb machten sich die Vier daran, es tastend zu erkunden - jeder an einer anderen Stelle. Der Erste fühlte einen Schlauch und glaubte, die Feuerwehr vor sich zu haben. Der Zweite erkannte ein Tau und meinte, dass damit ein Schiff festgemacht habe. Der Dritte umschlang eine Säule und war sich sicher, dass dies ein Baum sein müsse. Und der Vierte schließlich lehnte sich an eine Wand, die nach seiner festen Überzeugung nur die des Palastes sein konnte. In Wahrheit standen sie um einen Elefanten und tasteten seinen Rüssel, seinen Schwanz, ein Bein und seinen massigen Körper.