Manas - Alfred Döblin - E-Book

Manas E-Book

Alfred Döblin

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Döblins epische Reise in die indische Mythologie Heimgekehrt aus einer schrecklichen Schlacht, will sich der Fürstensohn Manas im Reich der Toten »zerreißen, zerknirschen lassen«. Als sein Leichnam zurückgebracht wird, glaubt Manas' Frau Sawitri nicht an den Tod des Geliebten und macht sich auf, ihren Mann ins Leben zurückzuholen … Ein bildgewaltiges, modernes Epos, »so gewagt wie gelungen, so außerordentlich wie überraschend« (Robert Musil). Herausgegeben und mit einem Nachwort von David Midgley

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 453

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alfred Döblin

Manas

Epische Dichtung

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort neu herausgegeben von David Midgley

Inhalt

Erstes Buch Das TotenfeldZweites Buch Sawitri[Fortsetzung]Drittes Buch Manas’ Rückkehr[Fortsetzung]AnhangEditorische NotizDaten zu Leben und WerkNachwortLiteraturhinweise1. Texte von Alfred Döblin2. Texte über Alfred Döblin und sonstige LiteraturAlfred Döblin Gesammelte Werke Herausgegeben von Christina Althen

Erstes BuchDas Totenfeld

Es war kein Regen mehr.

Stürme rissen die schwarzen Wolken hin und hinunter,

Von den östlichen Eishäuptern des Himalaya,

Bliesen sie auf die Berge und Zedernwaldungen,

Auf die Blumenwiesen, südlichen Abhänge,

Das Gewühl der Bäume und Tiere,

Euphorbien Akazien Bambusgebüsch,

Warfen sie, Wasserschwall und Eisnadeln,

Über die senkrechten Felswände,

Die wallenden Hügel und Sturzbäche,

Über die Flüsse, –

Donnernd rannten sie in den tiefen Tälern,

Kosi, Alaknanda, Jumna,

Rollten in die glühende indische Ebene, –

Stürme rissen die schwarzen Wolken hin,

Heulten.

Und die Schluchten Wiesen Felswände erwachten im Trommeln des Wassers,

Heulten wie Meere auf.

Und auf dem Meere fuhren Schiffe.

Was fuhren für Schiffe auf dem Meer,

Schaukelten Boote, huschten mit Segeln, kenterten, standen auf?

Im Wassergeprassel

Seelen, dunstweiße Seelen,

Glitten um Lianengeschling, zogen sich lang um greifendes Gestrüpp,

Im wirrenden wurrenden Lärm lautlos wie Lichtschein.

Rotteten sich zu weißen Massen, standen im Gießen still.

Wind schwang sie hoch, Hauch aus dem Munde Schiwas,

Des dreiäugigen Gottes auf dem kristallenen Kailas,

Schwang sie hoch, drehte sie im Rad,

Verschüttete sie, Dampf mit dem Wasser.

Am Fenster seiner Gartenhalle stand Manas.

Sie sangen im Garten:

»Manas, unser Juwel!

Als du zu Pferde stiegst, wußten wir, du rettest uns.

Du bist zurückgekehrt.

Komm zu uns, komm zu uns.

Komm an den Teich, komm in die Boote.

Die Krieger schrien wie wir, die verloren waren:

Manas, unsere Freude.«

Die Schattenspiele führten sie auf,

Hirtenspiele unter den Palmen,

Flöten bliesen, Tamtam.

Und Manas, Helm abgeworfen, Kettenpanzer am Boden:

»Wie lange soll ich stehn,

Wie lange soll ich stehn am Fenster,

Wie lange soll ich stehn an diesem Fenster,

Wie lange soll ich stehn an diesem blassen gläsernen verhaßten Fenster,

Und euch muß ich anhören,

Anhören Stunde um Stunde um Stunde.«

»Manas, unsere Freude! Zwei Tage singen wir für dich,

So lange warten wir.«

»Euch anhören, die mich berauschen wollen, verzaubern wollen,

Nicht mehr verzaubern sollen.«

Puto, der Gewaltige, berührte die Klinke.

Den Bart hatte er geflochten, Glöckchen klangen drin,

Silbergestickt seine Schärpe.

Am Fenster der streckte zu ihm die Hände:

»Nicht dich beugen. Nicht den Boden küssen vor mir,

Weil ich Feldherr bin, was habe ich vor dir.«

»Du hast Väter und Mütter geschützt,

Sie singen es dir,

Du hast die Kinder geschützt, dich und mich gerettet.«

»Wie lange soll ich stehn,

Wie lange soll ich stehn am Fenster,

Wie lange soll ich stehn an diesem Fenster,

Und laß mich preisen, beschämen, reizen, verhöhnen.

Faß nicht meine Hand, küß nicht meine irrsinnige Hand:

Ihre Aufgabe ist erfüllt.

Berühr nicht meinen Kopf: er hat schlechte Aufgaben gelöst.

Sag mir, Puto –«

»Was soll ich dir sagen, Manas?

Wann willst du kommen und sehen, was sie dir bereitet haben,

Im Palast, im ganzen Udaipur, das prangt und sich vor Jauchzen nicht hält?

Wann willst du das Glück deines Vaters sehen.

Wie die Sehnsucht deiner Frauen ist,

Wie Sawitri tanzt, die dein Herz hat?«

»Sag mir, Puto, welches Leben ist mir bestimmt?«

»Und wieder deine Hand berühren, die uns gerettet hat.

Du weißt es ja,

Wie ein Baum seinen Saft weiß.

Zugedacht ist dir: reiche Liebeslust zu genießen,

Wonnen sind da für dich auf den Feldern,

Kinder sind da zu spielen, Kriegsruhm ist da.

Die Götter sehen gern auf dich.«

Und Manas kniegeworfen vor dem Gewaltigen:

»Aber als sie dalagen in der Schlacht, tot und sterbend unter den Hufen,

– Oh, daß ich es aussprechen darf, jetzt, und du hörst es,

Und bist da und nimmst es und bist mein Freund,

Mein Lehrer, und wirst es mir sagen, –

In der Schlacht, in der letzten, am Narafluß, im Schlamm, in den Lagunen,

Da habe ich ihre Münder und Augen gesehen und Stirnen,

Die winselnden Gesichter meiner Feinde, die zu Blei erstarrten.

Die Seelen habe ich aufgestöbert in ihren Körpern.

Das Ei schlug ich auf: zum erstenmal sah ich Dotter quellen,

Gelbweißes, – ich speie, ich zittere noch, wenn ich daran denke.

Ich wäre fast erschlagen worden.«

»Du hast das Grauen der Kreatur gesehen, der sterbenden, Manas.

Was hat dich erschreckt?«

»Nun endlich kommst du, Puto. Sie haben dich gerufen.

Weil ich hier den dritten Tag stehe und nicht esse.

Sie fürchten um mich, weil ich nicht esse.

Endlich, Puto, mein Lehrer, fragst mich etwas,

Endlich lieg ich vor jemandem da.

Nichts weiter wollte ich die ganzen langen Tage.

Ich habe vor meinem Feind im Sand gelegen,

Ich habe mich zu ihm heruntergeworfen.

So habe ich gelegen und ihn angesehen und angerührt, meinen Bruder.

Oh, er ist mein Bruder, und ich bin es ja selbst, Puto,

Das gräßlich verzerrte Gesicht,

Das werde ich sein, das muß ich einmal sein.

Und das bin ich. Das bin ich.

Und das ist mein Schicksal und die Wahrheit von jetzt.

Von jetzt.«

»Wie du zitterst, Manas.«

»Ich zittere nicht. Ich steh schon auf.

Ich – erstarre.

Ich erstarre vor den Göttern.

Ich erstarre vor dem Tod.

Ich erstarre vor dem Jetzt.

Und als ich am Narafluß noch einmal zuschlug vom Pferd,

Zuschlug, – hat – die Lähmung meinen Arm erfaßt.

Ob ich schlage, ob sie mich schlagen, es ist eins.

Das Schwert, in der Kehle zugestoßen, es sitzt.

Puto, da wogt ein Meer unter dem Land,

Auf dem ich gehe.

Es brennt Feuer unter dem Land,

Auf dem ich gehe.

Alles Siegen nutzt nichts.«

»Und Manas sieht mich nicht, Manas spricht zu einer Wand,

Manas dreht sich nicht um zum Fenster

Und sieht, daß Udaipur ist.«

»Und ich bin verloren. Und kann die Sonne nicht mehr sehen.

Die liebe Sonne ist mir entrissen.

Die Elefanten, die ich zähme, brüllen in meinem Hain,

Die Wärter stehen und ich komme nicht und ich kenne sie nicht.

Ich schrei: Ah, uuih, uuih,

Ich Manas, Sohn des Fürsten,

Ich Sieger zurückgekehrt aus der Salzwüste,

Ich schrei: Uuih, ich will zu den Toten,

Ich will davon zu ihnen, will mich zerreißen, zerknirschen lassen,

Will zum Schmerz, zum Schmerz,

Lieber, lieber als leben, leben.

Lieber, als die süße Sonne sehen, als die süße geliebte Sonne sehen,

Die inbrünstig geliebte Sonne,

Ach Puto, als die Sonne, die ich so innig geliebt habe.«

»Oh, ich kenne dich, mein Kind. Komm, Manas, zum König.

Ich helfe dir, ich bin da. Hier nimm deinen Helm, hier ist dein Panzer.«

»Sterben gibt es, Puto, den furchtbaren furchtbaren Schmerz.

Hin will ich, wo das Grauen geboren wird,

Der tieftiefe Schmerz.

Ich will mich ihm nicht entziehen.

Führ mich nicht wie ein Tier zum Futternapf.

Du bist der Gewaltige, Puto,

Wir haben zusammen gejagt und viele Tiere erlegt.

Setz dich noch einmal auf das Pferd zu mir

Und reite mit mir, noch einmal, ein einziges Mal,

Auf diese Jagd.

Reit mit mir in das finstere Reich.«

»Du willst den Schmerz, Manas.

Leg die Fürstenkleider ab, wirf die Ringe weg.

Es haben viele so getan.

Streu Asche über dich.

Der Schmerz ist schon groß, ist schon unendlich groß

In unserem Leben.

O Manas, du brauchst nicht in das grausige Jenseits zu gehen,

Um Schmerz zu suchen.«

»Halt mich nicht zurück. Es ist zu spät.

Ich muß mich verdammen für das, was ich nicht gesehen habe.

Ich will abstoßen die Süße dieses Lebens,

Ich will ihre Lauheit und Weiche nicht mehr.

Ich will mich stellen: da bin ich.«

»Das finstere Land haben die Götter versperrt.

Der Riegel ist zugestoßen, Manas.«

»Du bist der Gewaltige, Puto.«

»Steht keinem Lebenden zu, was du willst.«

»Ich bin der Sieger, ich bin nicht berauscht.

Ich bin Manas.

Morgen früh sollst du zum König gehen und ihm sagen:

Manas, dein Sohn, ist als Sieger zurückgekehrt

Vom Narafluß, aus der Tharwüste.

Die Festungen sind alle erobert,

Ist keine einzige, die ihm und unserem Heere standhielt.

Die Wüste habe ich durchquert, die Küste unterworfen.

Den Radscha übergebe ich dem König.

Nur Manas, dein Sohn, ist heute aufgebrochen,

Heute früh, um einen neuen Feind zu bezwingen.«

»Der Riegel ist zugestoßen.

Kein Lebender hebt ihn.«

Der Zorn blutete auf der Stirn Manas’,

Die Fäuste wirbelte er über den Kopf:

»Ich bin der Sieger. Ich bin nicht berauscht,

Ich bin nicht verstört.

Udaipur berauscht mich nicht.

Ich bin Manas und gehe nicht bezwungen vor den König.

Wo sie jetzt singen im Garten, werden sie selber morgen in der Frühe

Holz aufstapeln zwischen den Banyanbäumen

Am Ort des Siegestheaters.

Das Holz sollen sie schmücken, wie es sich für mich ziemt.

Jetzt sollen sie singen, wenn das Holz flammt

Und ich brenne.«

»So haben Dämonen, die sich unter den Feind gemischt haben,

Dich verwirrt, die Verruchten, dich Unbezwinglichen.«

»Und so willst du mich betrügen, Gewaltiger,

Und sagen, daß ich lüge.

Noch tausend Schlachten willst du mir gönnen,

Noch tausend Gelächter von drüben,

Wie das Gelächter dieses Triumphes.

Sieh mein Armband, Nephrit mit Gold und Smaragd.

Mein Vater gab es mir nach der ersten Schlacht.

Ich war ein tapferer Krieger.

Seitdem ich weiß, daß ich nicht siegen kann, ruhe ich nicht.

So – knallt das Armband auf den Boden. Zehn Stücke.

Es ist gut. Sieh, das ist Manas.«

»Und sieh diese Fäden, die ich um den Hals geschlungen habe.

Gewaltiger nennst du mich. Schiwa ist mein Gott.

Die Fäden zerreiß ich.

Und will keine Gebete zu Schiwa sprechen,

Bis ich dich geführt habe, wohin du willst.«

Tiefschwarzer Himmel. Funkelnde Garben der Sterne.

Der Mond ertrunken im Himmelsmeer.

Kleines Boot fuhr Puto zur Halle des Königs.

Plätschern, Geriesel.

Pfauen schrien auf den Schlafbäumen,

Fliegende Hunde an den Ästen.

Im Halbkreis der dunkelbewaldeten Hügel dröhnend Udaipur.

Tausend Tempelpauken, Fackelträger.

Jubelnd durch die wimpelschwingenden Straßen,

Auf Elefanten Panzerträger, hoben die Schilde, schwenkten die Lanzen.

Mädchen mit schwarzen Scheiteln,

Opfergaben auf den Händen, Blumen und Reis,

Buntseidige Mädchen klirrten im Gehen.

Am Teich, auf der finsteren Steintreppe tastete Putos Fuß.

Dschag Newas die Insel.

Der Palast des Maharadschas,

Säulenhallen, Kuppeln, Galerien.

Der alte König schlief nicht.

Unter einer Tamarinde saß er. Die Wasseramsel sang herüber.

Und stumm nahm er an, was Puto brachte.

Die Silberpforte, Silberpforte verlor ihren Glanz.

Das Glitzern im Wasser, Glitzern erlosch.

Amsel fing wieder an. Hauchte seine Stimme:

»Ich werde sterben, mein Sohn wird mich nicht bestatten,

Mein Land hat das Schicksal von Tschitor:

Der Siegesturm steht da; jetzt hausen die Affen drin.«

»Die Gnädigen sind mit uns und mit ihm.«

»Manas verhöhnt sie. Er kennt sie nicht.

Er fordert sie heraus,

Muß sie herausfordern.

So schlagen mich die Gnädigen.«

Jajanta stand auf, legte den Arm um Putos Schulter:

»Jetzt du der Vater, der meinen Sohn noch einmal zur Welt bringen soll.

Puto, du warst immer mein, mein,

Nicht wie ein Fischlein dem Mann, der es an der Angel hält,

Sondern wie du zu – mir.

Du hast jetzt meinen Sohn. Ich geb ihn dir, halt mich fest, ich geb ihn dir.«

Und Morgenröte. Flammengüsse über den Wäldern.

Zu einem Schmied trieb der König Puto und den Sohn.

Der Schmied hämmerte einen Ring um ihre Arme.

Und wie die Kette glühte, schwor Puto den Eid,

Keinen Zauber zu brauchen, die Kette zwischen sich und Manas zu lösen,

Keinen Spruch zu tun, die Kette zu lösen.

Sie ließen den stöhnenden Vater zurück.

Und einen Stich empfand Manas in der Brust,

Als hätte ihn ein kalter Säbel aufgespalten.

Die bewaldeten Hügel waren verschwunden,

Die Häuser verdampften.

Und in den weißen Wolken schwammen Puto und Manas.

Die zitternde Luft aufgerissen.

Auf die leichten Nebel gewiegt, Puto und Manas,

Auf Schwaden gezogen,

Schäumend die Luft lichtdurchflossen,

Rieselrasselrauscht.

Und hin, grad hin, blasend hin,

Ins Flimmerflackern, ins gurrende Zackelzucken.

O zuckendes Herz, das dies singt, wohin reißt du mich.

Was wickelst du mich, bindest mich und schleppst mich wie in einem Tierfell,

Und ich schwanke und muß folgen und bin gebunden und muß mit,

Wie es mich auch auflöst.

Puto, wie seltsam, der lange hagere, in einen grauen Mantel gehüllt,

Die Kapuze flog hinter ihn.

Die Augen geschlossen, die Lippen geschlossen.

Sie flogen, sausten.

Putos Stimme kam: »Ich bringe dich zu Menschen, Manas,

Erschrick nicht, erschrick nicht.

Du warst Feldherr in vielen Schlachten,

Du hast viele Menschen getötet.

Ich zeige dir Menschen, du sollst sie berühren,

Sollst sie fühlen, als wärst du es, Manas.

Erschrick nicht, erschrick nicht.

Es sind nicht die Wesen, die vor dir getanzt und gesungen haben.«

Darauf schwieg seine Stimme, der Sturm verschlang sie,

Wolken traten zwischen ihn und Manas.

Der Sturm schüttete Hagel, der bürstete Manas’ Leib.

»Die Kette reißt, die Kette ist zerrissen«, fürchtete sich der Mann.

Aber da war schon Putos Stimme:

»O Manas, ich bin dein Lehrer, und ich muß dir gehorchen.

O daß ich, bei dem du aufgewachsen bist und der dich gepflegt hat,

Der dich von deiner Mutter empfing,

Daß ich fliegen muß mit dir.

O mein leidendes Kind, mein Kind.

Jetzt wappne dich.

Und wenn du ein Fürstensohn und Krieger bist

Und deine Väter in vielen Schlachten gekämpft haben

Und Schrecken erlebt haben,

Manas, Manas, ruf dein Blut, daß es komme,

Dein tapferes Blut, daß es da ist, wenn du es brauchst.«

Und das Schluchzen Putos zerriß der Wind.

»Was weinst du um mich, Puto, der neben dir fliegt,

An einer Kette mit dir?

Was soll ich erfahren?«

»Ich habe nicht allein geweint, Manas.

Waren auch die Geier, die mit mir fliegen.«

»Ich sehe die Geier nicht, Puto.«

»In meinem Haar sitzen sie.

Ihr seid da. Daß ich euch wiedersehe.«

Die Geier flogen furchtbar vor Manas, Kahlkopfgeier, Sukuni,

Nackt die Gurgel, schwarze Schnäbel, blutrot die Füße.

Es toste unter ihnen.

Ein Gebirge brauste heran.

Himalaya warf seine ersten Vorberge hin.

Zwischen Felsen an einen Strudelbach senkten sie sich.

Und Puto wand sich, drückte ihn an sich, der Gewaltige,

Blut auf der Stirn, wovon die Geier getrunken hatten.

»Bring mich weiter«, schrie Manas.

»So küsse ich dich, Manas, ruf ich deine Kräfte an,

Daß du bewahrt bleibst, mein süßes Kind.

Kein Ungetüm, keinen Teufel wirst du sehen.

Du wirst dein Blut und Blut fühlen

Und wirst nicht erstarren dürfen.

Du wirst alles erdulden, wie du willst,

Und wirst dich herausziehen, denn du bist stark.

Wenn deine Mutter mich gesegnet hat, als sie dich mir gab,

So segne ich dich. Und küsse dich.«

Und waren schon aufgestiegen, in furchtbare Wolken gewallt,

In wallende Wolken gerollt.

Sie wußten nicht, ob sie flogen oder standen,

Der Dampf stand wie aus einem Stück um sie herum.

– Und es war kein Regen mehr.

Stürme rissen die schwarzen Wolken hin und hinunter,

Von den Häuptern Himalayas,

Auf die Blumenwiesen und Abhänge,

Gewühl der Bäume und Tiere,

Euphorbien Akazien Bambusgebüsch,

Warfen sie, Wasserschwall und Eisnadeln, auf die Felsen, Hügel,

Auf die geschwollenen Flüsse, die in den tiefen Tälern donnerten,

Kosi, Alaknanda, Jumna,

Die in die Ebene des Pandschab rollten,

Stürme rissen die schwarzen Wolken hin,

Heulten.

Und Hügel Steppen Sawannen erwachten im Trommeln des Wassers,

Heulten wie Meere auf.

Und auf dem Meere fuhren Schiffe.

Was fuhren für Schiffe auf dem Meer,

Schaukelten wie Boote, huschten mit Segeln, kenterten, standen auf?

Seelen, dunstweiße Seelen,

Im Wassergeprassel,

Glitten um Lianengeschling, zogen sich lang um Gestrüpp,

Rotteten sich zu weißen Massen.

Wind schwang sie hoch, Hauch aus dem Munde Schiwas,

Drehte sie im Rad, verschüttete sie, Dampf mit dem Wasser.

Die Stimme Putos: »Jetzt laß ich dich. Jetzt geh.«

Da ging Manas.

Sausten drei Teufel über die Berge heran,

Böse Götter, von Schiwa unterworfen.

Und wie sie Manas sahen, stockten sie, faßten sich an:

»Wer ist es. Wer ist es. Ein Mensch.«

Sie brausten hoch. Erschraken, erschraken furchtbar,

Gewundene zappelnde Schwaden.

»Ein Mensch mit Fleisch und Bein. Mit Knochen und Kleidern.

Er hat die Grenzen durchbrochen. Sieh ihn, du.

Wer ist es. Was wollen wir tun?«

Da sahen sie auch die Geier fliegen,

An der Grenze des Totenfeldes hin und her,

Putos Sukuni.

Und auf den Ästen, im Laub einer Platane, starr wie gefroren, Puto selbst,

Der Gewaltige, den sie kannten.

Und sie sahen die Kette, die lief vom Oberarm des starren Puto,

Vom Baum her über den Abhang,

Dünn wie Luft,

Zog sich wie Gummi und zerriß nicht,

Lief zum Arm des Menschen auf dem Abhang.

»Ah Verruchter,« Schanda schrie »he Puto,

Du willst Priester des Schiwa sein?

Was tust du? Glaubst du, wir sehen dich nicht,

Wie du auf dem Baum sitzst und tust, als ob du schläfst.

Und heimtückisch schickst du einen Menschen her,

Verruchter, auf Schiwas Feld.«

Im Astwerk richtete sich Puto auf,

Hielt sie fest mit harten Augen.

Sie wischten zur Seite.

»Was sprichst du nicht. Was siehst du uns an aus deinen dicken Augen.

Glaubst, wir erschrecken vor deinen dicken Augen, verruchter Puto,

Du hinterlistiger Bösewicht, du scheinheiliger.

Ha, was suchst du auf dem Baum? Und deine Geier, he?«

Da hatten seine Hände den Ring an seinem Arm berührt,

Und schon vor der Bewegung bebten sie, versteckten sich hinter Bambusstauden.

»Er hat den Dienst Schiwas aufgegeben. Er kämpft gegen Schiwa.«

Und stießen sich zuckend mit den Füßen vom Boden ab,

Wie Panther beim Sprung,

Surrten lang hoch.

Schlug Putos Stimme hinter ihnen:

»Stürmt nicht davon. Seht euch vor.

Ihr Hunde, Schakale.

Euch hat der Gott wohl gebeten, sein Land zu bewachen,

Euch, weil ihr Munda, Schanda, Nischumba seid.

Dieser, der da geht, ist mein Kind.

Seht euch vor. Es ist, als ob ich gehe.

Ist Manas, ein Fürstensohn aus Udaipur im Lande Radschputana, wo ich wohne.

Als der Wollbaum seine roten Blumen trieb,

Als er genug gesiegt hatte, drängte er weg aus seinem Palast.

Ich werde ihn schützen.

Er sucht den Schmerz.

Er will schauern und leiden.

Ihr eingesperrten Untiere, seht euch vor.«

Erst umflogen sie Manas furchtsam und neugierig in weitem Bogen.

Wie Kinder einen ungeheuren eben gefesselten Elefanten

Umzogen sie ihn

Und belauerten jede Bewegung des Mannes.

Dabei waren die Dämonen riesengroß, und Manas hielt sie für Wolken.

Dann lachten sie auf.

Tapp tapp stießen sie sich ab, zogen sich lang,

Flirrten hoch auf, meckerten, jackjacherten.

»Ein Mensch. Will schauern und leiden, he.

Das soll er, Zwerglein, Krötchen.«

Schwirrten über die Felsen, durch die Schluchten:

»Geister, Geisterchen. He, ist Besuch da,

Neuer, leiblicher! Ein Mensch mit einem Leib!

Seht ihn euch an. Will schauern und leiden.

Ein Mensch. Seht ihn euch an. Hat einen Leib.

He Geisterchen.«

Hui über die Schlünde,

Hui in die Schlünde.

Da stieg Manas, ein leiblicher Mensch, über Klippen auf das Totenfeld,

Herunter zu einer Wiese mit roten Rhododendren,

Und war mit tiefer Sehnsucht gefüllt.

Der Regen, der Schnee ließ nach,

Der Sturm ließ nach.

Weit die Schneegipfel von Api, Nanda Dewi bis zum Jamnotri.

Das Nainital war dies

Und unten der See Nainis, der Göttin Schiwas.

Huschten die Schatten, Nebel huschten,

Umwanden ihn wie Stricke, Schlangen, glitten ab.

Und er war mit Sehnsucht gefüllt,

Streckte die Arme aus:

»Was liegt ihr nicht im Boden, ihr Gestorbenen?

Hat euch der Regen herausgewaschen?

Was liegt ihr nicht im Boden und wandert herum?

O kommt her. Ich bin zu euch gewandert.

Ich sehne mich nach euch.

Ich sehne mich so zu weinen und zu schmelzen.«

Es hat ihm keine Stimme geantwortet.

Sie stießen auf ihn zu. Sie stürzten vor.

Sie leckten an seinen Fersen, strichen über sein Haar.

Sie hängten sich an seine Arme.

Sie rangen hoch an seinem Leib, zu seinem offenen Mund, an sein Gesicht.

Und wie Manas über den Schotter klomm und der Himmel war hellgelb,

War zwischen dem Geröll eine Grube.

Drin saß ein Schatten,

Saß über sich gebückt, ein Mann, ein brauner,

Der Nebel wie ein Sack über ihm.

Bewegte sich nicht.

Und während die Geister davonstoben unter dem Steinsturz von Manas’ Füßen,

Saß er da, rührte sich nicht.

Kauerte sich Manas neben ihn hin, suchte sein Gesicht zu erkennen.

Aber der hatte den Kopf zwischen den Knien.

Flüsterte Manas: »Du hältst dein Gesicht versteckt.

Wer bist du? Darf ich dich sehen?«

Der rührte sich nicht.

»Hier ist meine Silberschärpe. Ich leg sie hin für dich.«

Da kam ein Prusten aus dem. Noch tiefer duckte sich der Mann.

Scharen um Scharen, am Abhang versammelt,

Schoben sich von oben um Manas,

Die Seelen anzwitschernd zwitscherten:

»Weck ihn, weck ihn, den Maulwurf.«

Wild prustete der Mann, schlug um sich,

War nur ein Buckel über der Erde, ein Lehmhaufen,

War plötzlich durch eine Pfütze in den Boden verschwunden.

Die Seelen schwangen sich: »Der Maulwurf!«

Und wie sich Manas an die Pfütze warf,

Blasen kamen herauf, da schnaubte es herauf:

»Was willst du mich holen. Warum willst du mich holen.

Warum mich. Soll ich wieder auf die Erde,

Nach Kaschmir?

Ich war ein Mann mit gesegnetem Leben,

Ich hab alles gehabt, was es gibt.

Frage nach mir.

Die Fürsten, die heute herrschen, wissen von mir, die Ratgeber,

Ich war ein starker Mann. Ich war schön.

Ich weiß nicht, was ich tat. Was ich tat, flog mir zu.

Der Reichtum kam, Landgüter, Frauen, Kinder,

Und der Palast und die Sklaven und die Herden.

Ich hatte immer Glück. Unaufhörlich Glück.

Und wenn ich Unglück hatte, war es ebenso:

Ich wußte nicht, wie es zu mir kam.«

Es spritzte aus dem Loch, er fuhr wieder hervor,

Jetzt grauschwarz, als wenn sein Kopf und die Schultern morastig wären:

»Bist du es vielleicht, der mein Leben für mich gelebt hat.

Laß dich ansehen. Bist du es? Wer bist du?«

Und gierig leer huschten seine Blicke über Manas

Und wichen schon über die Seelen, den Abhang, die Schneegipfel Api, Nanda Dewi.

Jetzt schnalzte gurgelte er, die Seelen schnellten zurück,

Er sprudelte röchelte quallte in das Loch zurück:

»Von meinem Platz weg. Ich bin schon gestorben.

Ich war immer gestorben. Soll mich keiner zurückholen.

Ich will nicht noch einmal zurück.

Ich will nicht zu euch Betrügern, ihr Diebe.«

Und er schlürfte unten, tobte, schluckte, schluchzte, spie.

Manas wankte abwärts, zum Nainital,

Schüttelte sich, sah sich um, sah die Seelen flattern,

Wie sie ihn verfolgten und beobachteten,

Und sah seine Silberschärpe an der Pfütze und lief weiter.

Er tastete nach seinem Arm, ihn drückte etwas,

Das war der Stahlring.

Er dachte: Was soll das, was ist das für ein Ring.

Und wie Schneeflocken dicht und wild und rasend

Stürzten sich über ihn Seelen herunter

Mit ausgebreiteten Armen, wie mit wallenden Umhängen,

Immer Haufen nach Haufen und einzelne mit langem Aufpfeifen,

Die felsigen Hänge herunter, als ob sie sich zerschmettern wollten.

Wollten sie sich zerschmettern?

In rastloser Verzweiflung einen grünen zackigen Schlund herunter,

Über den schräg Wasser sprühte,

Und wurden wieder hochgeweht, hochgedreht in langsamen Spiralen,

Trotz ihres Klagens, ihrer sperrenden Arme.

Und beängstigt stand Manas, sah auf seine Füße.

Sie sausten wieder vorbei, das Lärmen wurde deutlicher, heller.

Erst hatte er nur Surren und Zwitschern gehört,

Jetzt war es ein Atmen, Rufen, sanftes Schmauchen.

Er flüsterte: »Ich bin Manas. Ich ängstige mich vor ihnen nicht,

Vor ihnen allen nicht. Ich will sie ansprechen.«

Und sprach:

»Ach ihr, flieht vor mir nicht fort.

Ich bin ein Königssohn aus Udaipur.

Ich habe mich durch alles, was ich hatte,

Nicht blenden lassen zu euch zu kommen.

Ich will euch.

Ich will euch.

O ich will euch und nichts als euch.

Kommt, da bin ich.

Es soll nichts an mir sein, was nicht euer ist.

Und was ihr nicht haben könnt.

Ich will euch mich geben, ich will euch halten.

Ach, so haben euch die Götter zertreten,

So haben sie euch weggeworfen von der Sonne,

Ich wußte es ja.«

Und wie er an der furchtbaren Wand die Hände ausstreckte,

Geriet ins Zittern dieser Manas,

In Zittern vor unbezwinglicher Sehnsucht dieser Manas,

Vor seelenerweichender kniebrechender Sehnsucht dieser Manas.

Und er streckte die Arme aus.

Und ein Schatten entwischte ihm.

Und noch ein Schatten glitt von ihm ab,

Und noch ein Schatten.

Und dann hielt er einen im Arm

Wie einen Schleier,

Und Manas drückte ihn an sich und schloß beide Arme.

Und flirrend kühl schlug Dampf über seine Augen und Stirn.

Und er mochte den Mund nicht schließen,

Wenn ihm auch zum Ersticken wurde.

Er mochte den Schatten, den kühlen windenden Schatten nicht lassen,

Den Schatten zwischen seinen Armen, vor seiner Brust, an seinem Mund,

Er mochte ihn einschlürfen und weit für ihn offen sein,

Wie eine Höhle für einen Qualm,

Und kein Winkel soll ohne ihn sein.

Sollte immer der Dampf kitzelnd in seinen Rachen steigen,

Sollten seine Augen immer blendend aufgehellt werden.

O wie wurden seine Augen aufgehellt,

Welche Weiße, welche schreckliche, immer weißere Weiße,

Immer grellere Helle,

Immer stechendere Grelle.

»Ich muß ihn küssen und laß ihn doch nicht

Und werde ihn doch nicht lassen.

Und werde ihn nie und nimmer

Und nimmer und niemals lassen, lassen.«

Es paukte in der Grelle in ihm.

Es hämmerte, dröhnte grausiger von Minute zu Minute in ihm.

Und er: »Ich lasse ihn nicht,

Ich bin da,

Manas, du, du bist da.«

War er gedreht, aufgehoben über den Schlund,

Schwebte über dem grünen Wasserfall,

Hin über dem grünen spritzenden Wasser

Mit abgeschleiften Füßen?

»Hör auf«, wollte er schreien,

So paukte es durch ihn.

Da hatte sich die Seele schon in ihn gedrängt,

Er hatte sie aufgenommen, eingetrunken.

Sein Kopf kippte zur Seite.

Er röchelte, die Hände im Gras,

Die Knie am Boden, den Rumpf an der Felswand,

Gierte vor sich.

– Und Flammen. Und Flammen. Und Qualm.

Und Flammen.

Und erstickende Flammen.

Und Brand. Und Feuer.

Und dann Luft, die Flammen auseinander.

Und Luft. Und eine Stadt. Eine Straße.

Rollen, Stampfen, Zebuhufe,

Rollen, Klappern an Gewölben,

Und Stampfen der Hufe

Und Rasseln an den Häusern vorbei.

Rasseln, Klappern, Schreie der Wasserträger,

Rollen, Stampfen.

Was liegen für Schale in den Bazaren?

Ah, golddurchwirkte.

Und hundert Lampen, enge Bazare.

Und Edle mit geschorenen Schädeln

Und Yoghis mit Rosenkränzen.

Stampfen, Rasseln,

Rollen, Stampfen.

Gewühl der Pagoden, Kuppeln in Gold schimmernd.

Eine große Stadt, eine herrliche Stadt,

Benares.

Der Fluß zieht unten, der heilige große,

Die heilige Ganga.

Und Lachen, Rufen,

Stampfen, Rollen.

Hufe, klappernde Hufe und Rollen.

Wer sitzt im Wagen, und die Zebu laufen vorn,

Und die Deichsel hüpft auf und ab,

Und an den Wegbiegungen sprühen die Steine,

Wohin jagen die Zebu durch die Stadt aus den Menschenmassen?

»Ich fahre mit dir in den Wald an die Dhamakh Stupa.

Da wollen wir Blumen hinlegen, Dakscha, mein Freund.

Und du sollst die Eulen sehen, Eulenvolk,

Wie es sitzt bei Tag in dem Banyanbaum,

Und wie es schläft.«

Ein Weib, ein feines.

»Du Danu, Frau des Smirti,

Liebst den Banyanbaum so.«

»Nenne mich nicht Frau des Smirti.

Die Blättchen des Banyanbaums flirren auf und herunter,

Das ist mir ein süßes Gefühl.

Und du,

Es sitzt nur ein schwarzer Bhil auf dem Bock,

Und der ist taub.

Und kennst du die Eulen nicht?

Ich habe sie dir gezeigt, als sie eine Nacht flogen

Von einem Banyanbaum.«

»Und das willst du wiedersehen.«

»Und das will ich sehen, und du sollst es mit mir sehen.«

»Danu, gern bin ich mit dir gefahren.

Nicht nur bis Dhamakh Stupa,

Bis zum Meer, zum Gebirge würde ich mit dir fahren.

Du bist ja die Schönste, das Juwel aller Frauen von Benares.

Deinen Mann hat der Gott begnadet.

Große Verdienste hat dein Mann, daß er dich erworben hat.«

»Ich will dir die Eulen auf dem Banyanbaum

Und auf dem Turm von Dhamakh Stupa zeigen.

Was sprichst du so viel von meinem Mann.

Der Diener ist taub, und du kannst mir deine Hände geben.«

Und Rollen und Schütteln und Rasseln

Und Wiegen und Schütteln,

Flitzen auf weichem Boden.

»Doch mußt du mir sagen,

Dakscha, mein Freund, wenn ich dich hinfahre zum Banyanbaum

Und dir die Eulen zeige,

Und mit dir über das Land und die Bazare fahre,

Daß du dich erinnerst,

Daß du die Eulen kennst, auch wenn sie nicht schreien wie einmal,

Daß du mich liebst.

Das mußt du mir sagen, Dakscha, wo ich deine Hände halte,

Daß du mich liebst und daß du dich erinnerst.«

Wie kann sie lächeln, seine Hände nehmen, um ihre Hüften legen,

Wie hebt sie die Augenbrauen.

»Das alles will ich dir sagen.«

»Ja das mußt du.

Und mehr, Dakscha:

Was du vom Geheimnis meines Zimmers weißt,

Und wie alles war, als mein Mann mit der Karawane war,

Und du standst erst vor dem Haus

Und bewachtest es, wie es dein Amt war,

Und dann – dann bewachtest du mich allein!«

Wie kann sie lachen und ihn anstarren.

Und die Räder rollen leise

Im weichen Morast, rollen zwischen Maisfeldern.

Und Rütteln und Schaukeln,

Und Wiegen und Schütteln,

Und Flattern des Vorhangs,

Und immer wieder Qualm, der Qualm!

Und die Flammen, Flammen!

Woher die Flammen.

Brennen die Räder, bricht unten Feuer aus?

Der Qualm! Die schrecklichen Flammen!

»Ich will fahren mit dir, Danu du süße, du Gazelle,

So weit du willst und mich nimmst.

So weit will ich mit dir fahren

Und alles sagen.

Dein Hals ist mir süß,

Der Blumenschmuck hinter deinem Ohr ist mir süß.«

»Und weiter, Dakscha.«

»Und weiter?«

»Ja, Dakscha. Und weiter.

Was du gesehen hast, einmal,

Von deinem Munde will ich es hören.

Es ist getan, geschehn von dir, von mir,

Von deinem Mund muß ich es hören.«

»Dein Zimmer war dunkel, Danu,

Und du wagtest kein Licht anzustecken.

Und du saßt auf einer Matte im Dunkeln.

Und saßt und gabst keinen Laut.

Und ich: mich hattest du die Treppe hinaufgeführt.

Ich war nur der Wächter eures Hauses,

Und warst dann verschwunden.

Ich fürchtete mich. Danu, ich könnte anstoßen,

Ich könnte etwas umwerfen.

Ich hatte Furcht.

Da ließ ich mich auf den Boden nieder

Und kroch auf allen Vieren

Und tastete mit den Händen,

Bis ich etwas in der Hand hatte.

Unversehens hatte ich es berührt, und es zuckte.«

»Was war es, Dakscha.«

»Ich kann es nicht sehen. Es ist jetzt bedeckt,

Das braune Zuckende,

Dein großer Zeh, der rechte, der linke.«

»Welcher? Der rechte?«

»Ich weiß nicht mehr. Und dann –«

»Welcher Zeh war es, Dakscha? Du weißt es doch.«

»Du hast ihn bedeckt, Danu,

Deck ihn auf, so werde ich es wissen.«

»Dein Mund soll es sagen. Dein Mund ist oben. Er weiß alles.«

»Mein Mund? Und was preßt du mich so fest, Danu?

Wir fahren so weit,

Die Zebu laufen so rasch.

Dies ist, das ist ja Dhamakh Stupa, die Ruinen.

Ich will den Kutscher rufen.«

»Er hört nicht, er ist taub.«

»Ich werde ihm Zeichen geben.«

»Sag lieber, was du weißt. Von meinem Zimmer,

Von meinem Leib, meinem Zeh und was wir taten.«

»Und das ist ja der Banyanbaum, o Danu, süße Danu,

Und wir wollen halten und uns unter den Baum setzen.«

Und Rollen, Schütteln,

Stoßen, Stampfen,

Rollen.

»Und quäl mich nicht, süße Danu,

Und halte an und fahre zurück.«

»Du brauchst auch den Banyanbaum nicht sehen, Dakscha,

Sieh, wir fahren vorbei.

Die Eulen wecke ich nicht für dich,

Und ich habe etwas für deinen Mund,

Eine Feige, kleine Feige,

Ich will ihn belohnen, deinen Mund:

Selbst wenn er zu mir nicht spricht und mich nicht wissen läßt,

Was ich so gerne höre.«

Und er beißt hinein, sie sitzen umschlungen Mund an Mund,

Sie beißen, essen und küssen,

Und Danu quellen die Tränen aus den Augen,

Ihre Augen schwimmen, die Tränen stürzen heraus.

Und sie ißt, küßt weiter, schlingt das Tränenwasser.

Und er lacht und küßt und schluckt.

»Hab keine Furcht, Dakscha, ist kein Gift im Wasser

Und in der Feige und in meinem Speichel,

Ich wollte dich nur küssen.

Und wenn ich die Feige gegessen habe,

Will ich dich nicht wieder küssen.«

»Du sollst mich noch oft küssen, immer wieder küssen.«

»Will auch meinen Leib nicht wieder hinhalten für dich,

Wollte nur deinen Mund sauberwaschen, um ihn noch einmal zu küssen.

Deinen verfluchten Mund.«

»Meinen –«

»Ja. Du bist ein Verfluchter. Und ich liebe dich doch,

Und habe es dir gezeigt.

Und wenn der Wagen nicht so wild schleuderte,

Und du nicht so zittertest,

Könntest du noch einmal Mut haben,

Könnte ich mich dir noch einmal hingeben.

Müßte mich schämen, mich zerreißen

Und könnte doch nichts dagegen vor Liebe.

Wenn ich deine Stirne ansehe, friert mein Körper,

Und meine Zähne klappern: so liebe ich dich.

Wenn du deine Augen auf mich richtest,

Ist das Leben aus mir genommen,

Und ich kann nur warten, was du tust.

Wenn ich deinen Mund sehe, deine Lippe, deine Oberlippe,

Und wie die Zunge sie beleckt,

So bin ich nicht ich.

Ich küsse deine Zähne, ich muß in dich schlüpfen,

So bin ich zu dir.

Und du hast mich nicht bewahrt vor mir.«

»Was hätte ich tun sollen, süße süße Danu?«

»Es ist gut, daß du zitterst. Wir zittern zusammen.

Ich zittere auch. Ein grausamer Gott hat das über uns verhängt.

Laß den Wagen nur rollen.

Wir fahren nicht nach Benares zurück. Nie nach Benares zurück.«

»Danu. O Danu.«

»Nie nach Benares zurück. O bleib still, Dakscha, beweg dich nicht.

Ich laß dich nicht los.

Nicht den Banyanbaum wollte ich dir zeigen

Und die Eulen und die Ruinen von Dhamakh Stupa.«

»Was hab ich dir getan, Danu,

Was bist du für ein Weib.«

»Ein Weib wie alle,

Die feinste von Benares, die Gattin des Smirti,

Laß den Wagen nur rollen.

Ich bin einmal geschaffen worden,

Die Frau des Smirti zu sein, die geliebte gesegnete,

Und glücklich zu sein.

Und dann bin ich auch geschaffen worden,

An das Fenster zu gehen,

Herunterzublicken

Und dich zu erblicken,

Dich, vor der Türe, den Wächter des Bazars,

Und dich muß ich dann herumtragen mit mir,

Und mich sehnen nach dir

Und verzaubert sein.

Und mein Mann kann hier sein und da sein,

Und er kann dicht neben mir sein,

Und ich warte immer auf dich, nach dir.

Eine Stunde steh ich, und dann noch eine Stunde,

Und warum eine Stunde?

Und dann keine Stunde und keinen Augenblick!

Und ich muß dich immer haben, haben,

Und statt dessen, du süßes Gesicht,

Du giftiger geliebter Mund –«

»Statt dessen? O Danu. So sprich doch.

Ich liebe dich.

Wäre ich mit dir sonst gefahren,

Hätte ich das gewagt?«

Und sie heulte hoch, sie richtete sich auf,

Danu, die süße, den Blumenschmuck hinter dem Ohr,

Den Goldschmuck an der Nüster:

»Mich hast du gezeigt,

Auf dem Bazar mich gezeigt,

Der Straße hast du mich gezeigt,

Wie hast du mich gezeigt!

Dir nachschleichen mußte ich, dich immer sehen mußte ich.

Nach aus dem Haus,

Durch die Straßen, vor deine Kammer.

Vor deiner Kammer gestanden,

Als Dienerin, als Botin verkleidet.

Wie du drin sprachst, von mir, und lachtest.

War ein Mann bei dir oder ein Weib.

Es muß ein Weib gewesen sein,

Die du wie mich belogst.

Von meinen Hüften, von meinen Brüsten sprachst du

Und was ich mit dir tat, o du!

Und was du mit mir tatst, o du!

Und manchmal war es still, und dann kreischte sie,

Und dann fingst du wieder an.«

»Weh mir, Danu, ich bin schlecht.«

»Nicht das Gesicht verbergen, Dakscha.

Laß mir deine Hände. Ich liebe dich ja.

Und heute abend wirst du von der Feige prahlen.«

»Oh, ich bitte dich, Danu, laß den Wagen halten.

Du hast Schlimmes mit mir vor.«

»Wo wirst du heute mit der Feige prahlen?«

»Den Wagen halten!«

»Ich hasse dich ja nicht. Ich kann es dir sagen:

Wir werden am selben Ort von der Feige prahlen.«

»O Geliebte, o verzeih mir.«

»Und ängstige dich nicht. Ich ertrag es nicht.

Wir haben ein Schicksal, süßer Dakscha.

Wie das eine gewesen ist, muß das andere sein.

Sieh doch, wie ich weine, – um wen denn?

Um dich!

Bück dich,

Faß herunter an deinen Fuß.

Ich habe dir meine Tanzspange an den Fuß gelegt,

Sie ist an den Wagen geschlossen,

Du kannst nicht los vom Wagen

Wie ich!

Den Schlüssel hab ich weggeworfen!

O Dakscha, jetzt still.«

Und brüllend, geifernd Dakscha:

»Der Wagen soll halten,

Du willst mich ermorden.«

Und Rattern, Schleudern,

Rollen,

Spritzen des Moors,

Schaukeln, Knattern.

»Oh sieh, wie wir fahren, Dakscha.

Jetzt kommt eine Brücke. Der Wald fängt an.

Es hört dich niemand. Nur diesen Augenblick sei still.

Wein doch mit mir.

Nur diesen einen Augenblick gönne mir.

Nur diesen Augenblick noch wollen wir für uns leben.«

»Der Wagen soll halten.«

»Geliebter. Der Kutscher ist taub.

Erreg dich nicht, weine doch.

Stroh ist unter unseren Füßen.

Der Feuerschwamm liegt da. O sei still.«

Und der Mann hebt sich vom Sitz,

Reißt sich hoch, schlägt auf sie nieder.

Sie bückt sich zu Boden.

Feuer glimmt unter ihren Fingern.

Sie drückt den Kopf an seine Beine.

Sie schluchzt, bettelt, winselt:

»Nun ist es gut. Nun ist es aus.

Nun schlag mich, Dakscha.

Zürne mir nur und schlage mich!

Faß mich an, ach heb mich auf,

Noch einen Augenblick, süßer Dakscha, mein Mann, sei gut zu mir.«

Und er schlägt blind auf sie nieder,

Und rast und dreht sich um sich, schäumend.

Erbitterte Stöße.

Und er kreischt und winselt

Und zerrt an dem Sitz,

Sie wimmert, die Blicke immer auf ihn, und bettelt:

»Ach zu mir, zu mir, Dakscha!«

Und die Flamme steigt.

Und sie wirft sich winselnd hin, das Gesicht bedeckend,

Qualm schluckend, verzagend,

Und klagt und klagt und bettelt

Und läßt sich dem Feuer.

Und der Qualm umhüllt sie.

Sie stürzen brennend übereinander aus dem Wagen

Und werden geschleift.

Die Zebu gehen durch.

Der lodernde krachende Wagen.

Und Flammen, Flammen, Flammen.

Und Stämme, Wurzeln.

Und Staub und Stämme und brechende Äste.

Und sie winden sich noch,

Und er schreit und windet sich noch,

Und sie windet sich noch.

Heiße wühlende Flammen,

Erstickende brennende Flammen.

Und Manas, Manas stöhnt mit.

Und Manas wühlt im Gras,

Kniet, windet sich.

Und Manas kann noch die Hände vom Gras nicht abkrampfen,

Und dann kann er es.

Und aus der keuchenden Brust löst sich,

Löste sich der Schatten,

Weht, wehte ab von ihm,

Und ist schon entfernt:

»Leb wohl. Ich bin Danu. Leb wohl, du lebender Mensch.«

Und weggeweht.

Und keuchend Manas an dem sprühenden Fels.

Er schleppte seinen Leib hin,

Wo der Fall über den Fels sprühte,

Seinen Leib warf er hin,

Wälzte ihn in der Nässe, schluckte,

Ließ sich berieseln:

»Wasser, Wasser. Das Feuer weg. Löschen.«

Er knirschte, schluckte, kaute seine Lippen:

»Ah! Nicht leben! Nicht leben!

Und nicht geboren werden!

Und niemals wieder geboren werden.

Niemals niemals niemals geboren werden.«

Und schrie, wand sich, schrie, schluckte:

»Und nie und niemals geboren werden.

Und niemals niemals geboren werden.«

Taumelte auf, fand seinen Rumpf, richtete sich hoch.

Hui sausten die Geister,

Danu dabei, Dakscha dabei.

Und blühend zog sich unten die Wiese mit Rhododendren hin.

Taumelnd Manas, sah seine Knie wandern, seine Füße abwärts steigen.

Stammelnd: »Und niemals niemals geboren werden.«

Und drunten der Nainisee, die schwarze Fläche,

Und noch tiefer abwärts die Schneegipfel,

Im Spiegel nach unten stürzend.

»Das ist Manas, der geht.«

Und fand sich nicht, Manas.

»Manas, das ist Manas«, hell schrie er, schwenkte die Arme.

Er schloß die Augen, stand, schrie.

»Das ist Manas«, streckte die Arme, zog sie an, streckte sie:

»Das ist Manas.«

Stieß einen Ruf aus, daß das Echo kam.

»Das ist Manas.«

Das Echo kam: »Manas.«

Und wanderte weiter. Blühend die Rhododendronwiese.

Und sah im Schwung alles.

Und jetzt raste er wie ein Pferd,

Fiel auf die Knie, und das wütende Weinen stürzte aus ihm:

»Ah. Es war Benares.

Nicht, o nicht vergessen.

Der Wagen. Eine Deichsel.

Und Danu. Dakscha. Sie. Sie waren es.

Es ist die Wahrheit. Und sie sind hier.«

Und sprach zu sich stöhnend:

»O nicht verzagen, nicht erliegen, Manas.

Du bist der, der hierher wollte,

Den nach nichts so verlangte als hierher.

Fürchte dich nicht, Manas.«

Und war gleich voll blühender Sehnsucht und strotzte vor Sehnsucht

Und fühlte sich gefüllt von Sehnsucht,

Die in ihn einströmte

Wie Wasser von einem Berg herunter,

Wie eine schwarze Quelle in ein offenes klaffendes Bett,

Ein empfangendes schäumendes Tal.

»Nicht fortgehen von mir, Danu. Ich vergeß euch nicht.«

Und es war die alte Sehnsucht, die in ihm flutete.

Er hingegeben, er verzweifelt, leidend.

»Ich will euch halten. Euch in Benares. Und ihr anderen.

Ich will euch nicht vergessen.

Kommt näher. Kommt. Ich bin da. Ich bin nicht besiegt.

Ich will euch.

Euch liebe ich, liebe ich, liebe ich.

Nichts liebe ich als euch, mehr, tausendmal mehr als mich selbst.

Ihr süßen armen blutenden geliebten,

Ich versag mich euch nicht.

Ich will euch haben.«

Manas ächzte, stand still, drehte sich.

Die Seelen wehten an, bedrängten ihn, entwischten.

Er flüsterte starr:

»Zu dir. Zu dir.«

Dann glitten sie ab:

»Habt keine Furcht. Nichts an mir, was nicht für euch wäre.

Ich will euch. Ich liebe euch. Ich ächze nach euch.«

Die Seelen spielten um ihn.

Und immer brünstiger, tiefer lockte er: »Ja. Du. Ja. Du.

Ich bin für dich da.«

Eine Seele lag an ihm.

Die hob sich.

Und dann schwankte sie niedriger zu ihm

Und zitterte zurück, wie eine Ranke.

Und Manas war offen,

Er stand starr: »Ja, ja du!«

Er fühlte das Pochen und Klopfen im Gehirn,

Das Dröhnen fing an. Die Hände vereisten, Füße vereisten.

»Ja du bist es. Zögere nicht. Ich bewege mich nicht.«

Wie eine Säule still stand er, die Arme noch leicht angehoben,

Die Gelenke versteift,

Die Augen aufgerissen, die blinden Augen,

Der offene Mund:

»Es ist ein Kind«, fühlte er über sich, dehnte sich, erzitterte.

»Ein Kind. Ach es ist ein Kind.

Pelle pelle. Was ist das.

Pelle pelle.«

Und fühlte es tiefer, innerer in sich:

»Was will es.

Sind hinter ihm her Leute. Trepp auf, Trepp ab.

Warum sind sie hinter dir her, du liebes Kind, du junges.

Und du bist tot?

Was hat dich hergejagt?«

Und stand Manas:

»Ein reicher Palast. Ein Fürstenschloß.

Sie jagen dich. Sie sind hinter dem Kind.

Da ist eine Tür. Versteck dich.

Sie tun dir nichts. Es sind Menschen.

Und laß sie klopfen, fürchte dich nicht.

Es tut nur gut, daß du ruhig bist.

›Pelle pelle.‹ Nein, fürchte dich nicht.

›Mach auf, mach auf, verfluchter Hund,

Was hast du verfluchter Schuft getan.‹

Der Mann hat den Stock, den Stock in der Hand.

Versteck dich an der Wand, versteck dich hinter dem Rock.

Er brüllt: ›Verfluchter Hund, verfluchter Lump, verfluchtes Kind,

Wenn ich dich faß, wenn ich dich faß,

Du hast mich bestohlen.

Du bist der Hund, ich werde dich holen.‹

Und da stößt er die Tür ein, schlägt auf den Tisch, schlägt auf die Wand.

›Wo bist du Hund, wo bist du Lump,

Laß dich nicht fassen.‹

Da hat er ihn schon.

Wie er ihn stößt. Wie kannst du ihn fassen.

Es ist ja ein Kind.

›Sag mir, wie es gewesen ist,

Girre girre, ich schlag dir die Knochen entzwei.

Girre girre, aufgepaßt: hier ist ein Stock, hier ist ein Beil.

Ich schlag dir die Finger von der Hand ab,

Ich schlag dir die Zehen von den Füßen herunter,

Daß du nicht laufen kannst,

Du garstiger Lump, du Lumpenkind,

Girre girre, wie ist es gewesen?‹

›Was ist zu sprechen. Pelle pelle, guter Herr.

Ich hab nichts gefunden. Ich hab nichts mehr gefunden.

Das Gold lag im Graben. Sie schnupperten drin, sie rupperten drin.

Pelle pelle, tu mir nicht weh.

O weh, o weh, meine Finger, meine Hände.

Die Schafe liefen drüber. Hier sind meine Hände.

Laß mich doch heim.

Sie hattens im Maul, die Schafe. Ich fand nicht mehr.‹

›So haben die Schafe mein Gold gefressen.

Ich hab es verloren,

Die Schafe haben mein Gold geschluckt,

Geschmiedetes Gold, Spangen, Ringe,

Kri, kri, das willst du mir sagen.

Das wagst du zu sagen.

Drum läufst du die Treppe vor mir herauf, kleines Kind,

Kri, kri, verfluchter Lump.

Darum kriechst du in die Kammer hier.

Scha scha, das wagst du zu sagen.

Ich will dir sagen: Ich sperr dich ein,

Neben dem Stall, wo die Rinder brüllen,

Scha scha, ich laß dich verhungern.

Ich binde dich an und laß dich verdursten.

Wo hast du mein Gold?‹

›Die Schafe hattens im Maul. Ich fand nicht mehr.‹

›Zwölf Goldspangen hatten die Schafe im Maul,

Verfluchter Lump. Dann soll ich ihnen den Darm aufschneiden?

Wo hast du mein Gold.‹

›Pelle pelle.‹

Das Tuch zerreißt er, das tut er dem Kind.

Die Treppe stößt er es herunter, das tut er.

Das Kind liegt da.

Steht es noch auf?

Er zieht es hoch am Hals.

Es hat keine Eltern, die ihm helfen,

Es hat keinen Herrn, der für es hintritt,

Es ist allein, es ist ein Kind.

Und liegt da und schluchzt und blutet und weint.

Und über die blendenden Höfe getrieben,

Und neben dem Stall in einen Kofen,

Getreten in den Kofen.

O es ist noch nicht zu Ende, sei ganz still,

Ich weiß es gut.

So wahr die Sonne am Himmel steht, so sicher,

Jammerndes bluttriefendes Kind,

So sicher Augen über die Erde blicken,

So wahrhaftig eine Seele in mir blutet und in dir ist und in uns allen,

So heftig ich Tränen verschütte,

Es ist noch nicht zu Ende.

Die Tür ist nur jetzt zu.

– Und was ist das. O was ist das.

Und was wird. Wie langsam alles wird.

Das Sonnenlicht draußen erlischt. Es kommt niemand heran.

Die Kühe brüllen. Die Nacht ist lang.

Das Morgenlicht scheint durch die Latten.

An eine Latte haben sie dich gebunden.

Sie kennen dich.

So wahr ich ein Herz in der Brust habe, sie kommen und machen dich frei,

Und bringen dir zu essen.

Der Tag ist heiß, ist trocken, ist lang, unendlich lang.

Sie werden doch kommen.

Es ist schwer nicht zu verzagen.

Unser Leben ist schwer. Unser Leben ist gräßlich.

Aber nicht verzagen.

Und die Nacht vergeht auch.

– Und nichts zu trinken, nichts zu trinken.

Gebt ihm Wasser. Die Flüsse sind übervoll von Wasser.

Zu trinken.

Und es ist Nacht, schon die zweite Nacht,

Und es ist ein Kind. Es hat nichts gestohlen.

Man hat es in die Hütte gesperrt hinter dem Stall,

Und hat es vergessen!

Bald geht die Tür auf,

Und wenn die Bretter schmelzen sollen,

Ich weiß es, sie werden schmelzen,

Der Boden wird Räder bekommen,

Du wirst fortrollen von hier.

Reis und Mais und Wasser werden die Bretter werden.

– Aber brütende Hitze, stechende Fliegen,

Gärender Gestank, Durst, Durst, Durst

Zwischen den Lippen, am Gaumen, auf der Zunge,

Hinten am Rachen.

Und man kann die heiße Luft nicht trinken,

Wenn man sie auch schluckt,

Man kann sie mit vollen Backen schlucken,

Aber es wird nicht besser.

Und an der Wand das Kind.

Gärender Gestank, Durst, Durst, Durst.

Ich muß hinzu, ich kann nicht warten und warten,

Wer hält mich fest, ich muß hinzu,

Ich muß ihm Wasser bringen.

Wasser ist so viel in allen Flüssen.

Man hat ihn eingesperrt in einen Kofen,

Man hat ihn vergessen.

– Lecken an den Brettern,

Knabbern an den Brettern,

An den eigenen Fingern, Schnuppern am eigenen Kot,

Und Erbrechen, erbrechen wollen und nicht können.

Menschen auf den Äckern, Hilfe, in den Häusern!

Schiwa, hilf du!

Ich möchte mein Herz hingeben,

Wer, wer, wer hält mich fest?«

Und der Manas, eine starre Säule, keucht und stöhnt, ringt um sich:

»Ich muß hin, ich will hin. Man muß mich lassen.

Es ist ja ein Kind. Man muß ihm zu trinken bringen.

Und welches Ende nimmt dies. Welches Ende nimmt das.

Verschmachten. Vertrocknete Zunge.

Winsele nicht.

Hier sind meine Hände.

Was ist das? Ich kann nicht hin. Ich kann sie nicht heben.

Ich bin Mensch geworden, um das sehen zu müssen.

– Der Tag vergeht. Das Vogelzwitschern. Er liegt schon still.

Ah er ist tot!

Er ist tot!

Er ist verschmachtet, sie haben ihm kein Wasser gegeben,

Sie haben ihn verschmachten lassen,

Alle, die Menschen, die Götter, ich,

Und das ist sein Tod!«

Die Arme aufgehoben Manas:

»Er ist nicht tot. Ich bleibe hier. Es ist noch nicht zu Ende,

Wer sagt, daß das sein Tod sein kann?«

Da windet sich der kleine Schatten von ihm.

Eingefallene Schläfen, hohle Blicke,

Der hängende Kopf, die schlaffen dünnen Arme.

»Das ist ja nicht wahr.

Das war nicht sein Leben.

Das kann es ja niemals und niemals,

Nie und niemals gewesen sein.«

Der Schatten hat sich unter die anderen gemischt,

Und vom Blitz getroffen stürzt Manas.

Auf die Seite gestürzt liegt Manas,

Der lange massige tiefbraune Körper.

Dann zuckt er,

Dann richtet er sich hoch,

Und dann fällt er wieder zusammen, erloschen, vom Blitz getroffen.

Dann sitzt er.

Sind Vögel um ihn, die ihn kratzen.

Und kleine Zuckungen gehen durch ihn.

Und stunden- stunden- stundenlang sitzt er,

Es ist die gelbe große Sonne, die sich oben lautlos bewegt

Und hinter den Gipfeln des Nanda Dewi absteigt.

Die Nachtnebel dunsten her vom See.

Der Raum wird enger.

Und in völliger Nacht sitzt Manas,

Da wo der kleine Schatten ihn verlassen hat,

Schmale Nüstern, hängender Kopf, hohle Blicke, schlaffe Arme.

Und morgens im weißen Licht saß er noch da.

Die Seelen wanden sich wieder,

Die ganze Nacht hatten sie sich gewunden,

Und der Wind hatte sie geweht.

Da bog Manas seine schweren Knie, wog seine Arme,

Stand auf, stand.

Und wieder stand er stunden- stundenlang

Bis an den warmen Mittag,

Die Vögel erschraken nicht vor ihm.

Und sieh, langsam schob er sich vor, ging er,

Langsam ging sein Leib.

Wird er nicht stürzen?

Langsam ging der Leib den steinbesäten Hang abwärts,

Die Augen des Leibes abwärts geschlagen.

Auf der Wiese hielt er.

Auf der Wiese war es, wo der Weißdorn wuchs,

Wo die Felsblöcke bemoost lagen,

Da hielt der Leib und drehte den Kopf,

Und Manas sah um sich und drehte den Kopf zurück.

Und die Rhododendren blühten,

Und auf einen Felsblock flog ein kleiner Vogel, ein grüner,

Flatterte hin und her, pickte in das Moos,

Pickte einen Wurm oder einen Käfer oder einen Grassamen.

Vögelchen essen wenig, Vögelchen trinken wenig,

Mit wie wenig kommt ein Vögelchen aus.

Das aber, was so schwebt und sich hebt und schaukelt,

Das sind Nebel. Schatten sind es,

Geister, Seelen.

Und nicht stürzte der Manas zusammen,

Über seinen Magen krampfte es,

Zuckungen fuhren von den nackten Füßen

In seine Schenkel, seine Brust, sein Gesicht herauf.

Er tanzte auf und ab

Und erlitt es, litt es lange.

»Ja,« träumte es in ihm, »ich will weiter gehen.

Manas, du mußt weiter gehen.

Beweg ein Bein, krümme ein Knie. Geh.«

Er krümmte das Knie, und an der ersten Kiefer

Hielt er sich fest, bebte und verstand es nicht:

»War ein Kind bei mir. Hatte nichts als seinen Leib.

Das ist verschmachtet. Man hat es vergessen.«

Und wie der Vogel zwitscherte,

Durchfuhren ihn die Zuckungen heftiger,

Es krampfte ihn zu Boden,

Sein Gesicht verzerrte sich ruckweise. Er schluckte, drängte es herab:

»Da war Danu. Der Wagen, die Eulen, der Banyanbaum,

Dakscha, Danu und Dakscha,

Ließen sich verbrennen. Konnten nicht leben.

Konnten alle nicht leben.«

Was war da mit Manas geschehen?

Gibt es ein Weinen, das bitterlicher ist,

Gibt es ein hilfloseres Weinen, als das des braunen Mannes an der Kiefer?

Ein innerliches wimmerliches Winseln, ein salziges Vertriefen.

Es war der Mann, der in Udaipur in Radschputana geboren war,

Den die Lieblingsfrau des Königs geboren hatte,

Der Königssohn, der löwenstarke listige,

Am Tharfluß hatte er vor einem Monat

Die Feinde über die Salzwüste gejagt.

Dem schlugen die Zähne aneinander, und es war kein Fieberfrost.

Er sah die Luft nicht mehr vor Winseln Röcheln. Sein Kopf wogte.

Und bebte ganz und gar und spie.

Er, der den Kieferstamm mit eigenen Armen hätte umbrechen können,

Er hielt sich am Kieferstamm

Und war wie ein Säugling ohne Mutter.

»Die Seelen, die von mir gegangen sind,

Sie sollen mich nicht verlassen.

Der Schäferjunge, Danu, Dakscha, ich hab, ich hab, ich hab euch nicht verjagt.

Ich bin nicht schuld daran, daß ich lebe, und ihr tot seid,

Ihr sollt mich nehmen. Nehmen sollt ihr mich.

Wegnehmen ganz und gar mich, Manas,

Ich will, will, will nicht Manas sein.«

Er schrie, seine Hand tastete nach seinem Arm:

»Ihr sollt mich nehmen!

Puto, los, du bist nicht mein Richter.

Bist nicht mein Führer. Ich brauch keinen Führer.

Puto, Puto,

Gewaltiger, meinen Arm los.«

Er hatte den Willen, die tiefe gießende Sucht, und zerrte an der Kette.

Er umklammerte mit der Faust den Ring und knetete an ihm.

Vor sein Stöhnen und Heulen schlug der schreckliche Wind,

Der von den Eisgipfeln,

Schiwas Sturm,

Schiwas tobende Dämonen, die jachten, jacherten, huiten, schlagkrachten.

Puto, vom Baum gesunken, einen Hügel vor sich,

Stemmte sich rückwärts, die Kette um den Leib geschlungen,

Sein Gesicht verfärbt, kalter Schweiß an den Backen, Beben der Knie,

Lange konnte er nicht sprechen.

Er sah zu den Geiern:

»O meine Sukuni, Manas, den wir hergetragen haben,

Sie reißen ihn weg. Manas erliegt.«

Und dann: »Meine Sukuni, unser Kind will sterben.

Manas will nicht bei uns bleiben. Will nirgends bleiben.

Er erträgt es nicht mehr bei uns.

Er erträgt nicht mehr das Dasein.«

Stieg Manas um die Kiefer über die Wiese,

Der Sturm schaukelte die Schatten, stieg Manas zurück an den Abhang.

Die Hände löste er voneinander.

Die Blumen gaben einen zarten Geruch.

Rascher, rascher glitt dieser Manas hoch zwischen den Felsen.

Stürmisch drang er hoch. Sein Leib war gewandt.

Zwischen den Steinen und Blumen rief er Puto unaufhörlich:

»Puto, ich klage dich nicht an.

Ich bringe Dank für dich, daß du mich hergetragen hast.

Ich aber muß zu dir, du siehst mich, ich komme zu dir,

Wie ich einmal vor dir gelegen habe in der Gartenhalle,

Endlich lag ich da vor dir,

Ich hatte nichts weiter die langen Tage gewollt nach der Wüste,

Als daß ich es aussprechen durfte,

Und du hörtest es und nahmst es mir ab

Und warst da.

Ich will dich, und du weißt warum,

Du, Lehrer des alten, des verbrannten Manas.«

Den Spalt zwischen zwei Felsen übersetzte er im Sprung:

»Ich trag am Arm noch eine Kette,

Aus der Zeit, als du mich getragen hast und mit mir gingst und mich aufzogst.

Ich war, was du weißt,

Ich will es nicht aussprechen.

Mach mir die Kette ab!

Sie hängt an einem andern Wesen,

Ist nicht an diesem angeschmiedet,

Manas nicht Manas,

Ich bin nicht Manas.

Ich bin ohne Leib und Ufer, die Ufer sehe ich nicht,

Die Dämme sind gebrochen, das Land ist weg.

Mein Gesicht ist nicht mein Gesicht,

Puto, das ist kein Manas, der kommt und dich ruft

Und noch die alte Kette schleppt, die tote Kette.

Mach sie ab.«

Den Schotter klomm er höher,

Grün sprühte wieder der Gießbach auf, der Schlund war da,

In den sich die Geister stürzten, mit langem Pfeifen.

Langsam wehte sie der Bodenwind auf,

Drehte sie, die klagten.

»Puto, die Kette ab. Was mit mir auch geschieht, laß mich leiden.

Ich will dich nicht bedrängen, du mußt mich freigeben.

Wie du mich hergeführt hast –

Ich stand am Fenster, und du konntest mich nicht halten –,

So wirst du den Spruch tun und mich freimachen.

Du bist der Gewaltige.

Mein Sterben ist meins, wie mein Leben meins war.

Nein, es war nicht mein Leben. Aber mein Sterben ist meins.

Das ist mein Leben, Puto, das bin ich.