Männer, Frauen und andere Herausforderungen - Custodia Luminis - E-Book

Männer, Frauen und andere Herausforderungen E-Book

Custodia Luminis

4,9

Beschreibung

Dieses Buch zeigt Stimmungen und Gefühle einer Frau, die durch Kindheit, Jugend, junges Erwachsensein und Heranreifen zur Frau einen weiten Weg geht, der durch die zwei heftigen Diagnosen Schizophrenie und Bipolarität gezeichnet ist. Die Autorin erzählt intime Details, da ihre Identität sich darüber definiert und hier wird deutlich, dass nicht alle Menschen nach einem monogamen Ehekonzept leben (müssen). Das Buch ist spannend wie ein Thriller und genauso verwirrend, doch leicht zu lesen und man kann es als Geheimtipp betrachten, diese Lektüre bei Sitzungen auf der Toilette zu lesen, da die Kapitel und das ganze Buch bewusst kurz und übersichtlich gehalten wurden. Jedes Kapitel ist um die 10 Seiten nur lang. Durch die langjährige Beschäftigung mit Carl Friedrich von Weizsäcker hat die Autorin sich seine Schreibweise des Rundgangs durchs Buch zu Eigen gemacht. Auch hier ist es möglich ein Kapitel aus der Mitte des Buches zu lesen, ohne dass es deswegen unklar würde. Es empfiehlt sich aber, mit dem Vorwort zu beginnen.

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Für Papa

„In der Nacht, als Ronja geboren wurde, rollte der Donner über die Berge, ja, es war eine Gewitternacht, dass sich selbst alle Unholde, die im Mattiswald hausten, erschrocken in ihre Höhlen und Schlupfwinkel verkrochen.“

(Astrid Lindgren, Ronja Räubertocher)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: September 2011

Kapitel 2: Mai 1998

Kapitel 3: September 1980

Kapitel 4: Februar 2000

Kapitel 5: Mai 2005

Kapitel 6: Mai 2002

Kapitel 7: Februar 2012

Kapitel 8: Oktober 1993

Kapitel 9: April 2014

Kapitel 10: August 1986

Epilog

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

(Wenn du es chronologisch lesen möchtest, beginne mit Kapitel 3, dann Kapitel 10, Kapitel 8, Kapitel 2, Kapitel 4, Kapitel 6, Kapitel 5, Kapitel 1, Kapitel 7 und am Schluss Kapitel 9.)

Vorwort

Der Ich-Erzähler des Buches bin ich. Ich bin von einer schweren Krankheit betroffen. Vielmehr sind es eigentlich zwei Diagnosen. Die erste Diagnose lautet Bipolarität. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Himmelhoch-jauchzend und zu-Tode-betrübt oder auch manisch-depressiv. Die zweite Diagnose lautet schizoaffektive Störung und das beinhaltet, was die Psychologie Beziehungsideen nennt, nämlich, dass man Zusammenhänge zum eigenen Leben herstellt, wo keine sind. Das klingt unangenehm und die ersten Jahre war es das auch, ABER man kann lernen, mit dieser Krankheit umzugehen und ein quasi normales Leben zu führen (siehe dazu auch die Anmerkungen).

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich Geld brauchte und nicht meinen Körper verkaufen wollte. Lach. Scherz beiseite. Nein, weil ich gerne Leuten mit psychischen Krankheiten, Problemen, Krisen - man nenne es, wie man will - ansprechen möchte und ihnen von meinem Weg heraus erzählen. Vielleicht ist ja auch das ein oder andere Nützliche für jemanden dabei, der z. B. eine Depression hat. Oder unter Angst leidet. Es gibt eigentlich in den Kliniken viele therapeutische Ansätze, die für alle Erkrankungen herangezogen werden. Ich versuche in meinem Buch die Erfahrung aus vielen Jahren der Klinikaufenthalte urbar zu machen, so dass man vieles davon für sich alleine zu Hause anwenden kann.

Dieses Buch erzählt auch die Geschichte einer Frau, die polyamor (siehe dazu auch die Anmerkungen) lebt, was bedeutet in der Liebe mit mehreren Kontakt zu haben. Das ist nicht unbedingt moralisch verwerflich, denn ich betrüge niemanden. Alle wissen Bescheid. Ich hab vor 2005 auch in „normalen“ Beziehungen gelebt, aber für mich ist diese Zeit der Zweisamkeit einfach vorbei.

Im Moment (Juni 2014) geht es mir sehr gut und wer mich auf der Straße trifft, kommt nicht auf die Idee, dass ich krank bin. Im Mai 1998 brach die Krankheit zunächst in Form einer schizoiden Psychose aus. Ich war ein halbes Jahr am Stück in der Klinik. Kaum entlassen, versuchte ich mein Studium wiederaufzunehmen, was aber scheiterte, denn nach zwei Jahren erlebte ich eine weitere Psychose. 4 Monate Klinikaufenthalt. Der Arzt riet mir davon ab, mit den universitären Studien fortzufahren. Ich begann eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, die dann in Depressionen und einem 2 monatigen Klinikaufenthalt endete. Es folgten Jahre des Probierens eines Jobs und immer wieder der Zusammenbruch in eine große Depression mit stationärem Aufenthalt, bis mich 2010 mein Arzt in Rente schickte. Seitdem geht es mir gesundheitlich sehr gut und schlimme Depressionen gehören absolut der Vergangenheit an. Auch heftige Manien oder gar Psychosen.

In diesem Buch werde ich aus allen Phasen erzählen. Ich glaube nämlich vor allem an den verhaltenstherapeutischen Ansatz, der besagt, dass man in einer Krisensituation alles tun muss, um Normalität und Struktur mit Sinn und Verstand zu schaffen. Eine andere Möglichkeit ist natürlich die tiefenpsychologische Herangehensweise, nur, finde ich, hat man wenig gewonnen, wenn man die „Schuldigen“ aus seiner Kindheit kennt. Ich ziehe es in Krisen vor, möglichst schnell wieder zurückzufinden zu einem normalen gesunden Alltag. Das klingt simpel – ist es ganz und gar nicht.

Ich hoffe, du hast Freude an diesem Buch, denn ich habe es unter anderem extra für dich geschrieben. Lächel.

Kapitel 1

September 2011

Ich saß am Schreibtisch. Dampfender Kaffee und ein nettes Gespräch über Chat. Ein Fotograf, der Models für erotische Aufnahmen suchte. Er machte einen höflichen und seriösen Eindruck. Die Fotos, die er veröffentlicht hatte, waren wirklich toll und kein bisschen pornografisch.

Sollte ich mich trauen? Eigentlich mochte ich gar keine Fotos von mir. Eigentlich mochte ich es auch nie fotografiert zu werden. Doch plötzlich … kam in mir die Begeisterung hoch und die Aufregung. Wie wäre das wohl? Zu einem wildfremden Mann fahren, in sein Fotostudio gehen und sich nackt ausziehen? Ich fand es sehr aufregend. Und gefährlich. Eigentlich. Aber Joe gab sich alle Mühe, Vertrauen aufzubauen. Er war intelligent und einfühlsam. Sehr vorsichtig. Ich glaubte ihm, dass er sich wirklich auf die Fotos konzentrierte und keine Models suchte, weil er gaffen wollte oder Befriedigung suchte. Wir verabredeten uns einfach für das nächste Wochenende. Zunächst auf einen Kaffee. Danach sollte ich entscheiden, ob ich mit ihm ins Studio gehen wolle.

Voller Vorfreude saß ich also wieder am Schreibtisch und surfte in der Weltgeschichte umher, da las ich plötzlich den Namen eines Freundes aus der Kindheit. Gleich schrieb ich Tim an. Ja, er wohne noch in der Nähe! Wir hatten uns über 20 Jahre nicht gesprochen. Ich freute mich so sehr. Auch mit ihm verabredete ich mich für das nächste Wochenende an dem Tag vor dem Fotoshooting.

Am Donnerstag fuhr ich in mein Geburtshaus. Meine hochschwangere Schwester empfing mich an der Tür. Strahlend. Sie strahlte immer mehr, seit die kritische Zeit der Schwangerschaft vorbei war. Sie war so bezaubernd! Ich küsste ihren Nacken.

Ende Januar hatte sie mich angerufen und mir erzählt, dass ihre Tage nicht kommen. Ich sagte sofort: „Mach´n Schwangerschaftstest!“ – „Ach was, es kann nichts passiert sein!“ Ich wusste es damals schon. Ich war mir total sicher. Wenige Tage später ging wieder das Telefon und endlich war die Nachricht da, dass sie definitiv schwanger war und sich noch in ziemlicher Unsicherheit auf das Kind freute. Und danach konnte man sehen, wie sie von Tag zu Tag glücklicher und mehr Mutter wurde.

Sie lächelte. „Wir bekommen einen kleinen Ritter, einen Ritter ohne Furcht und Tadel!“, sagte ich zu ihr. Sie sagte: „Ach, das weißt du doch gar nicht!“ Ich lächelte. „Vielleicht wird es ein unheimlich nerviges Balg!“, fuhr sie fort. Ich lächelte in mich hinein. Meine Mutter versuchte es meiner Schwester möglichst angenehm zu gestalten und erreichte mit ihrer Hektik eher das Gegenteil – ich lächelte. Schön, wenn sie sich lieb haben und gegenseitig auf den Keks gehen.

Freitag. Tim stand in der Tür. Ein großer Mann. Schwer. Lud zum Anlehnen ein. Der berühmte Fels in der Brandung? Als er mich umarmte, hatte ich das Gefühl, ich versinke in so viel Körper. Ein wunderbares Gefühl, weiches Fleisch überall um mich rum. Wir lachten, saßen auf dem Bett und tranken Kaffee und Cola. Wir schnupperten an uns. Gerüche aus der Kindheit graben sich so tief ein! Überall ließen wir unsere Nasen kreisen. Zogen uns mehr und mehr aus. Das hatten wir als Kinder nie gemacht, aber wir spürten, dass dies eine alte Lust ist. Ein Spiel der Nasen und der Finger und der Zunge. Nie enden wollend genossen wir uns ausgiebig. Wechselspiel der Höhepunkte. Als er abends ging, schlief ich wie gewiegt ein und war sehr glücklich.

Am nächsten Morgen legte ich mich eine Stunde in die Wanne und schrubbte mich, versuchte mich möglichst makellos zu rasieren. Mein Herz klopfte im heißen Wasser. Willst du dich wirklich vor einem fremden Fotografen ausziehen? War ich für sowas nicht viel zu dick? Ich dachte an die Bilder, die ich schon von Joe gesehen hatte. Da waren auch XL-Models und sahen klasse aus. Ich fasste Mut. Außerdem dachte ich an Joe. Ehrlich gesagt, fand ich ihn nicht nur als Fotografen interessant, aber was, wenn der Eindruck im Internet getäuscht hatte? Dann fahre ich nach dem Kaffee trinken nach Hause, beruhigte ich mich selbst. Ich atmete tief. Atme alles aus, alles an Aufregung ausatmen, sagte ich mir dabei. Atmete ein, atmete Ruhe und Gelassenheit ein. Langsam und tief, aber nicht zu tief. Nach ein paar Wiederholungen, war ich ruhiger. Ich cremte mich genüsslich ein und zog mir, wie von ihm „befohlen“, weite Sachen an, damit die Haut keine Einschnürungen aufweisen würde. Ich checkte ein letztes Mal den aus dem Internet herausgeschriebenen Fahrplan. PC offline? Fenster zu? Herd aus? Kerzen? Schlüssel? Tabak? Geld? Handy? Alles gut. Es ging los.

Ich saß in der U-Bahn. Seit der Wanne war mein Herzschlag noch lauter geworden und er schien sich immer weiter zu steigern. Ich tippte eine Kurznachricht. Sei nun losgefahren und die voraussichtliche Ankunftszeit. Frühen Nachmittag. Joe antwortete, dass er sich freue und am Bahnhof auf mich warten würde.

Umsteigen in den Zug. Mein Herz war so laut! Hörte das nicht eigentlich jeder hier? Der Zug fuhr in einen winzigen Bahnhof im Ländlichen ein. Ein Mann mit Hut am Bahnsteig. Joe. Ich stieg aus, lief auf ihn zu. Lächelte. Wir umarmten uns zurückhaltend, doch unsere Wangen berührten sich leicht. Jeder Mensch hat seinen ganz eigenen Duft und Joes Duft war leicht und schmeichelnd. Ich wollte ihn. Vom ersten Moment an. Gleichzeitig kam ich mir komplett unmöglich vor und stellte mir unablässig die Frage: Was tust du hier? Joe lächelte gewinnend. Ich plapperte. Irgendwas. Ich kenne das Problem nicht, dass ich nicht wüsste, was ich sagen soll. Oder sagen wir, es tritt sehr selten auf. Doch was ich zu Joe sagte, war wirklich mehr Geplapper als Gerede. Joe schwieg zu allem und schaute verständnisvoll. Wir waren zu ihm gefahren und tranken Kaffee im Wohnzimmer. Mein Herz MUSSTE jeden Moment bersten. Dann war ich plötzlich bereit. Und mein Herz wurde ruhig und mein Mund hörte auf zu plappern. Plötzlich war großes Vertrauen da. Wir gingen in den Keller. Dort war sein Studio. Er sagte: „Wir könnten ja zum warm werden ein paar angezogene Portraits machen.“ Ich nickte nur. Wollte den Fotograf nun nicht in seiner Arbeit stören und versuchte ernsthaft, meiner Arbeit als Model gerecht zu werden. Bei den ersten Portraits fiel mir das noch schwer, doch dann entschied ich mich als nächsten Schritt einfach mal alle Hüllen auf einmal fallen zu lassen. Wortlos. Ich drapierte mich auf dem Stoff am Boden. Verschiedene Körperhaltungen. Natürlich nie pornografisch – stets inspiriert von wahren Kunstwerken. Wir schwiegen meist. Klick – Klick. Selten gab er eine Anweisung, die das Licht betraf bzw. die Richtung, in der ich mich drapierte. Wir wechselten Untergrund und Hintergrund. Es war wirklich Arbeit. Und er machte auch wirklich keine Anstalten, in irgendeiner Weise zudringlich zu werden. Es war genauso wie er versprochen hatte. Schöner. Und ich fand es schade, dass er so gar keine Anstalten machte. Irgendwann gegen Ende, als ich mich für teilweise bekleidete Aufnahmen umzog, schnappte ich mir seinen Nacken, zog ihn zu mir und küsste ihn. Es geschah nicht viel mehr an diesem Tag, außer, dass bei mir am Ende Tränen flossen. Ich war so glücklich und Joe und ich waren uns sowohl als Fotograf und Model als auch als Verbandelte irgendwie nahe gekommen. Wir gingen hoch ins Büro und schauten uns die Fotos an. Er versprach mir, die Besten leicht bearbeitet in den nächsten Tagen zu schicken. Großartige Aufnahmen. Zurzeit hängt aus dieser Fotosession mein Lieblingsfoto in meiner Wohnung, darauf knie ich mit vornübergebeugtem Oberkörper. Ganz nackt. Schwarz-weiß. Man sieht nur Sohlen, Po, Rücken und Haare. Ich sehe darauf aus wie ein Cello. Ich habe dem Bild den Titel DEMUT gegeben. Es ist auf dem Cover abgebildet und nun für alle Frauen, die denken sie seien zu dick: Ich wog zu diesem Zeitpunkt 87 kg bei einer Größe von 1,62 m! Vielleicht wird nun der ungeheure Mut zu Erotikaufnahmen deutlich. Wir schossen auch einige ganz andere Aufnahmen. Ich band meine Haare im Nacken zusammen und zog ein Jackett an. Joe sagte verblüfft: „Du siehst aus wie Joey Kelly!“ Lächel. Ja wenn ich es so fühle, kann ich mich als Mann geben in Gesten und Mimik und Körperhaltung. Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust. Ein Mann und eine Frau.

Ich war in Hochstimmung. Ich hatte gleich zwei wunderbare Männer kennengelernt, in die ich mich zwar nicht verliebt hatte, aber doch liebevolle Gefühle für sie hegte, was ich übrigens immer noch tue. Zu Hause checkte ich mehrmals täglich mein Emailpostfach, ob die Fotos schon da wären. Doch noch bevor die Fotos da waren, kam der kleine Ritter.

Die Tante musste ins Krankenhaus fahren und den kleinen Schatz begrüßen gehen. Ich erschien am Tag nach der Geburt und sah sofort, dass ich Recht gehabt hatte: tatsächlich ein kleiner Ritter ohne Furcht und Tadel! Dieser kleine Ritter definierte das Leben seiner Tante völlig neu. Kraft und Stärke durchfloss mich neben dem Säuglingsbetchen, als er meinen kleinen Finger umklammerte. Es war Zeit, die Brust zu geben. Mein Schwager versuchte ungeschickt, den Kleinen an die Mutterbrust zu legen. Ich sagte: „Vom Grillmeister zum Stillmeister, was?“ Ich muss wie ein Honigkuchenpferd gegrinst haben. Mein Schwager und meine Schwester wirkten in diesen ersten Tagen manchmal etwas überfordert und sehr aufgeregt, aber mir wäre das sicher auch so gegangen. Ich schwor mir, immer eine gute Tante für den kleinen Schatz zu sein. Bis heute versuche ich es einmal die Woche einzurichten, zum Spielen vorbei zu kommen. Der Moment als der Kleine zum ersten Mal auf meiner Brust ein Schläfchen hielt, war unbeschreiblich schön. So nah war ich Muttergefühlen noch nie gekommen. Wenn ein Kind geboren wird, wird auch eine Mutter geboren und ein Vater und eine Oma und ein Opa und natürlich auch ich… die Tante. Es ist ein wunderschönes Gefühl bei lebendigem Leibe geboren zu werden! Seitdem der kleine Junge auf der Welt ist, habe ich das Gefühl, ein besserer Mensch zu sein. So als wäre ich das ganz automatisch geworden. Ich verstehe auch meine Eltern besser. Tiefer. Verstehe, inwiefern die Fürsorge für eigene Kinder im Leben Priorität Nummer Eins werden kann. Das kann man auch übertreiben, was natürlich nicht gut ist; wenn nämlich die Eltern gar kein eigenes Leben mehr haben. Ich fühlte mich in diesem Geboren–Werden erinnert an mein Geboren-Werden als große Schwester. Meine Schwester kam zur Welt als ich 3 war und sie hatte einen schlimmen Hüftschaden. Sie musste die ersten drei Jahre im Bett verbringen, an der Hüfte festgeschnallt. Als ich meine kleine Schwester zum ersten Mal in ihrem Bettchen sah, stand für mich fest: Ich werde sie beschützen! Ihre ersten drei Lebensjahre haben uns als Schwestern tief geprägt und für ein Verhältnis voller Liebe und Zärtlichkeit gesorgt, was bis heute Bestand hat. Und ich fühlte mich auch erinnert an die eigenen ersten Monate. Meine Mutter erzählte mir mal, dass ich schon mit 9 Monaten laufen konnte und sie kurz darauf für einige Wochen weg musste und ihre Mutter, also meine Oma, auf mich aufpasste und bei uns lebte. Meine Oma hatte die Angewohnheit Selbstgespräche zu führen und rechnete auch nicht damit, dass ein Baby, das noch kein Jahr alt war, sie verstand. Ich muss sie aber dennoch verstanden haben, denn sie erzählte meiner Mutter ganz aufgeregt, dass sie gemurmelt habe „Wo hat das Kind nur die Schöpfkellen hin geräumt?“ und ich sei wackelig herbeigelaufen und hätte die richtige Schublade aufgezogen. Das sei während ihrer Abwesenheit öfter vorgekommen, dass ich gezeigt hätte, wo meine Mutter die Haushaltsdinge aufbewahrt. Ich weiß, es klingt ziemlich unglaublich. Meine Erklärung dafür ist, dass ich schon immer eine ausgeprägte Intuition und große Sensibilität bewiesen hab. Und für meine Oma war ich das erste Enkelkind und bis dahin das einzige; sie hatte in mir wohl ein kleines Wunderwerk gesehen, genauso wie ich meinen kleinen Neffen als kleines Wunderwerk wahrnehme und alles großartig finde, was er tut. Es könnte sein, dass ich darin nicht wirklich neutral bin. Lächel.

Einige Tage später kamen die Fotos an. Sie warfen mich förmlich um, so gut waren sie geworden. Und ich sah unglaublich schlank aus. So als hätte ich eine traumhafte Figur. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich als Model so funktionieren und der Sache gerecht werden kann. Es ist nämlich ganz schön schwierig, stundenlang schweigend verschiedene Körperhaltungen einzunehmen und dabei den richtigen Ausdruck innerlich und äußerlich zu haben. Das sieht man nämlich auf dem Foto. Es gab meinem kleinen, aber feinen Ego einen immensen Schub. Ich hatte bisher den Modelberuf eigentlich eher verachtet, weil ich dachte, die Mädchen müssen nur gut aussehen. Das stimmt so nicht. Es gibt aber leider wenig Fotografen, die auch ältere Models oder XL-Models überhaupt in Betracht ziehen. Ich hatte so ein Glück, dass ich Joe kennenlernen durfte. Wir redeten jetzt viel über Internet am Vormittag, während er immer wieder mit seiner Arbeit beschäftigt war. Er war genauso begeistert von mir als Model wie ich von ihm als Fotografen. Und wir stellten beide fest, dass wir uns mal ohne Fotoapparat treffen möchten. Ich war begeistert.

Einige Wochen später rief mich eine Freundin an. Sie brauchte eine Übersetzung ins Englische. Natürlich war ich so lieb und sagte zu. Sie hatte schon selbst versucht zu übersetzen. Ich las ihre Versuche und machte mich an die Arbeit, diese zu verbessern. Ich kam an meine Grenzen. Da fiel mir ein, dass Tim in Canada gelebt hatte und ich rief ihn an, ob wir uns nicht mal wieder treffen könnten, ich hätte da eine kleine Frage. Am nächsten Wochenende war er da. Der Baum. Ich versank zur Begrüßung wieder in ihm. Herrlich. Er las sich ihren und meinen Versuch durch und sagte, ihr versucht beide die deutschen Redewendungen wörtlich wiederzugeben und das kann man einfach nicht. Warum war ich da nicht selbst drauf gekommen? Sehr peinlich! Und plötzlich fing er an zu lachen und zu lachen. Er konnte sich kaum beruhigen. Ich wollte unbedingt wissen, was so lustig ist. Und er sagte: „Dieser Übersetzungsversuch von deiner Freundin ist der Wahnsinn. Das versteht kein Mensch aus dem englischsprachigen Ausland!“ Sie hatte den Brückenfunktionstag zur Vernetzung sozialer Einrichtungen übersetzt mit Bridge-Function-Day. Wir kicherten ob der Verwirrung, die das auslösen würde. Und seitdem verabreden Tim und ich uns nur noch zu Bridge-Function-Days. Die „Brücke“, die Tim und ich im Sinn haben, ist aber eher die der körperlichen Verschmelzung. Wir verschmolzen an diesem ersten Bridge-Function-Day. Zwei Körper ineinander. Ich in ihm und er in mir. Tim hatte seit unserer ersten Begegnung eine große beruhigende, erfüllende und befriedigende Wirkung auf mich. Erstaunlich war auch, dass wir, so oft wir uns trafen, immer zur gleichen Zeit keine Lust mehr auf Zweisamkeit hatten und wieder getrennte Wege gingen. Das Schöne und Harmonische war immer, dass keiner von uns unzufrieden mit irgendetwas war, auch nicht mit dem Zeitpunkt des Sich-Wieder-Lösens.

Dann einige Wochen später traf ich im Internet Lukas. Da wir in der Nähe wohnten, beschlossen wir bald mal Kaffee zu trinken. Lukas war fasziniert vom Singen, vor allem vom klassischen Gesang und von Kirchenmusik. Ich liebe diese Musik auch sehr. Wir hörten zusammen Mozarts Zauberflöte mit René Pape als Sarastro. Wir schwiegen und lauschten. Ich berührte Lukas vorsichtig an der Brust. Streichelte ihn etwas. Plötzlich begann er leise von seiner Mutter zu erzählen, die nach langer Krankheit sehr jung gestorben war, so dass Lukas sie nicht gesund kennengelernt hatte. Er weinte. Ich legte seinen Kopf an meine Brust und hielt ihn fest. Streichelte ihn. Wiegte ihn. Schweigend. Der Wiener Opernchor sang Mozarts Kompositionen und ich war froh, dass die Musik mir half, ihn zu trösten. Es war ihm peinlich, doch das brauchte es wirklich nicht. Ich bin es schon lange gewohnt, dass Menschen mir sehr intime Dinge erzählen, sich öffnen und manchmal auch dabei weinen. Wenn das geschieht, betrachte ich das immer als ganz schönes Geschenk des Vertrauens an mich. Wenn man zu sehr helfen will, ist das nicht gut. Nicht für den, der hilft und auch nicht für den, dem geholfen wird. Hat man aber die Grenzen der Hilfsbereitschaft gut und realistisch im Auge, kann man von Mensch zu Mensch unendlich viel erreichen und sich gegenseitig ein Gewinn sein. Nur sind die meisten Menschen leider entweder viel zu wenig hilfsbereit und sensibel oder aber viel zu sehr. Es kommt im Leben mit großer Wichtigkeit auf das rechte Maß der Dinge an. Das erkenne ich immer mehr. Lukas genoss es, als ich in ihn eindrang. Wieder und wieder drang ich ein. Verharrte und bewegte mich in ihm. Finger sind so talentiert und viel fähiger als der beste Teil des Mannes beim Analsex. Wir verschmolzen. Er bäumte sich auf. Schrie ekstatisch. Ruhe. Sperma auf dem Bauch. Lukas war total matt. Ich saß neben ihm und rauchte. Bedachte ihn mit zärtlichen Blicken. Zärtlich zu sein, ohne sich zu berühren, ist eine ganz eigene Kunst. Wir beschlossen, uns etwas zu essen zu bestellen und im Bett zu essen. Danach tranken wir noch einen Kaffee und Lukas fuhr wieder nach Hause mitten in der Nacht, denn ich schlafe am liebsten alleine in meinem großen Bett.