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"Die Weisheit kommt nicht in eine arglistige Seele und wohnt nicht in einem Leibe, der der Sünde verfallen ist." Ein salomonisches Wort, was uns vermuten lässt, das nicht alle Menschen eine Seele haben. Irrt Salomon? Wir sprechen über die Seele, fünf Männer, die immer wieder ins Gespräch kamen, die Seele von allen Seiten beleuchtet haben - drei von uns leben nicht mehr. Dennoch geht das Gespräch irgendwie weiter ... solange nur einer von uns lebt. Seele und Heimat - das liegt irgendwie nahe beieinander. Und so bedenken wir beides. Manches, was / wen bewundert haben, verliert sich im Unsagbaren ... Bewunderung ist da nicht mehr. Andere, die uns schienen, als würde sich alles in der Normalität verlieren, haben plötzlich große Momente gezeigt, für die sie keine Würdigung erfuhren, es wohl auch nicht erwartet haben. Man kann eine Philosophiegeschichte der Seele entwerfen und doch bleibt man am Ende dem Ziel so fern wie am Anfang ... aber man ist berührt. Das ist am Ende das Wichtige. Als Seelsorger habe ich immer gespürt, dass es die Seele geben muss, wie hätte ich auch sonst meinen Dienst an den vielen Menschen tun können ... heute weiß ich es.
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Seitenzahl: 412
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Gewidmet:
Meinen Gesprächspartnern
Andreas Althausen
Kreismännerpfarrer im Kirchenkreis an Oder und Spree
Volker Haby,
Landesobmann der Männerarbeit
Hans-Joachim Kratz
Landesobmann der Männerarbeit
Karl Ketelhohn
Landesobmann der Männerarbeit
Kap. I:
Das Wesen der Seele
Graf Rochus zu / von Lynar
Kap.II:
Seele –Vorstellungen der asiatischen Kulturen
Prediger Wendt – ein Reformator
Kap.III:
Seele – in der Wiege des Gemeinwesens
Weg zu den Göttern des Pharao Pepi I.
Kap. IV:
Ach so viele Seelen in meiner Brust
Die Dynastie George Neumeister
Kap. V:
Die klassische Zeit unserer Seelenvorstellungen
Spandauer Sagen und Geschichten
Kap. VI:
Die Seele im Einklang mit der Natur
Der ‚eiserne‘ Bürgermeister von Spandau
Kap. VII:
Mit jedem Lächeln streichelst du die Seele (Hildegard von Bingen)
Staakener Gedichte
Kap. VIII:
Anfechtungen sind Umarmungen Gottes
Superintendent Daniel Schulze
Kap. IX:
Die Seele in der Welt lebt in der Ewigkeit
Gäste des Spandauer Zuchthauses
Kap. X:
Gleich und gleich gesellt sich gern
Der bekannteste Spandauer Superintendent
Nachtrag:
Seelenwanderung und Tierseelen (?)
Prominente Gäste in Spandaus Gefängnissen
Anhang:
Die Exegese der Seele
Dieses Buch ist ein Lesebuch über die Seele. Mit alten Freunden gab es einst unendliche Gespräche über die Seele … zuerst mit meinem Kollegen Andreas Althausen, er war damals in Wellmitz an der Oder, ich in Eisenhüttenstadt. Mit straffälligen Jugendlichen reparierten wir Scheunen vor 30 Jahren auf dem Grundstück seiner Gemeinde, sammelten Obst von altpreußischen Apfelsorten und trafen uns bei Pfarrkonventen. Später waren Nachbarn, ich in Müllrose, er in Biegenbrück. Seelsorger sprechen eben die Seele – so begann es. Der Vorsitzende seines Gemeindekirchenrates kam dann vor fast 20 Jahren dazu, Volker Haby, er kam dann zu Veranstaltungen der Männerarbeit der Ev. Berlin-Brandenburgischen Landeskirche. In Heiligengrabe, der jährlichen Männerrüste sahen wir uns dann jedes Jahr mit dem Landesobmann, dem Laienvorsitzenden Karl Ketelhohn. Ein Ingenieur wie Volker Haby, wenn auch auf verschiedenen Gebieten, aber vor allem interessiert an theologischen Gespräch. Hans-Joachim Kratz kam hinzu, den ich schon seit fast 40 Jahren kenne, als mein Interessen an der Männerarbeit begann. Vor der Wende war ich auf einem regionalen Kirchentag in Eberswalde. Dort lernten wir uns kennen. Wir blieben im Gespräch … es waren unzählige Gespräche. Nun sind drei meiner Freunde verstorben. Aber erst mit diesem Buch konnte ich dieses Gespräch über die Seele zu einem Ende bringen. Es sind noch Themen offen, die uns am Herzen lagen … das Gespräch ist noch nicht zu Ende, wenn sich auch die Themen ändern. Irgendwie hatte ich auch immer das Bedürfnis von meiner jeweiligen Heimat zu erzählen. Meine Heimat habe ich immer da gesehen, wo ich gerade war. Meine Frau ist Spandauerin … für sie ist dieser Ort Heimat … und jetzt, wo sie mir nicht mehr von Pfarramt zu Pfarramt folgt, muss sie hier leben … so ist es meine Heimat geworden.
Aber zum Gespräch zurück. Wenn man zu erkunden sucht, was Menschen über die Seele denken, entsteht ganz unbewusst eine Art Philosophiegeschichte der Seele. Das Nachdenken darüber hat uns geholfen zu verstehen, warum man uns braucht … als Seelsorger. Wir sind für Menschen da, wollen aber weder Ursachen für etwas suchen helfen, noch irgendwelche Ziele anstreben … eigentlich geht es nur darum, mit dem, was einem zugedacht ist, leben zu können. Wenn man solche Wege miteinander geht, Seelsorger und Vertrauender, entdeckt man manchmal auch Dinge, die einem verborgen waren, verborgen vor einem selbst. Und gerade solche Entdeckungen können helfen, das Leben neu zu beginnen. Irgendwie ist in der Seele all das angelegt, sagen so viele Philosophen und Theologen … sie haben recht. Vielleicht ist da sogar mehr, als wir wirklich leben können. Wahrscheinlich geht es gar nicht um das Ausschöpfen der Möglichkeiten, sondern darum, ein Leben zu führen, dass uns immer wieder kleine Glücksmomente schenkt – und dazu brauchen wir die Menschen um uns. Volker, Karl und Andreas, sie fehlen mir … darum ist das Gespräch auch nicht zu Ende, es gibt noch so viele Themen. Und gut, dass ich noch die habe, die mit mir diese Zeit durchschreiten, sie schenken die Freude, die meiner Seele Nahrung geben, wie Augustinus das so schön gesagt hat.
Johannes Simang
Johannes: Herzlichen Dank dafür, dass ihr meiner Einladung nach Spandau gefolgt seid. Wir sind ihr in der Wilhelmstadt, nahe der Altstadt. Der Ort, der seit fast 800 Jahren mit Stadtrecht existiert und erst seit 1920 zu Berlin gehört, soll uns beschäftigen, das Thema wird darauf aber erst einmal nicht weisen.
Karl: Richtig, wir hatten auf der Männerrüste in Heiligengrabe über die Seele gesprochen.
Johannes: Genau das ist mein Anliegen. Ich würde euch bitten, zu definieren, was ihr als Seele versteht.
Volker: Ich nehme sie aus spirituell-religiöser Sicht wahr. Für mich ist die Seele nicht-materialistisch, unsterblich und vor allem aber eine unteilbare Essenz eines Menschen.
Achim: Da kann ich mich anschließen. Essenz bedeutet dabei für mich: es geht um den wahrhaftige Kern einer jeden Person und gibt ihr Identität, Bewusstheit, die Persönlichkeit, aber auch unsere Moral und unsere Beziehung zu Gott.
Andreas: Das sehe ich auch so. Die Essenz ist sozusagen das Wesentliche oder der Kern einer Sache. Die Seele ist das, was unveränderbar bleibt, wenn man alles andere wegnimmt.
Karl: Ich sehe das das eher von der chemischen Seite her. Diese Essenz kann eine Art Grundstoff sein, kann sich auf eine Idee, ein Konzept, eine Person oder eine Sache beziehen und kann oft durch Reduktion oder Konzentration auf die grundlegenden Elemente identifiziert werden.
Volker: Ich wusste gar nicht, dass du ein Verfechter der Homöopathie bist. Die Seele wäre dann so ein bleibendes Spurenelement … irgendwoher ist mir diese These doch vertraut. Ich komm noch drauf.
Karl: Mit Homöopathie kannst du mich jagen. Ich bin Ingenieur bei Schering. Das ist für mich alles Humbug. Ich wollte damit eigentlich sagen, dass ich die Seele objektiv als eine Art Konzeptbegriff betrachtet, der je nach Glaubensrichtung oder Philosophie unterschiedlich interpretiert wird.
Achim: Na, das wird ja spannend. Dann frage ich mich wie daraus etwas Wahrnehmbares entstehen kann?
Karl: und was soll das sein?
Andreas: Achim hat das Wahrnehmbare doch aufgezählt: unsere Identität, Bewusstheit, die Persönlichkeit, aber auch unsere Moral und unsere Beziehung zu Gott. Und nicht zuletzt Emotionen und mentale Zustände. Damit haben wir Seelsorger doch vor allem zu tun.
Johannes: Ich glaube zum Beispiel, dass die Seele eine unsterbliche und göttliche Essenz ist, die den Menschen befähigt, über das rein Materielle hinauszuschauen und ein spirituelles Leben zu führen. Wir bewundern doch solche Menschen, die in materieller Armut leben, aber als Persönlichkeit beeindruckend sind und zudem glücklich und in sich gefestigt wirken.
Achim: Für mich hat die Seele noch anderen Aspekte. Ich sehe die Seele als die Summe aller menschlichen Erfahrungen, Emotionen und Gedanken. In diesem Zusammenhang könnte man wohl mit Recht sagen, dass die Seele maßgeblich dazu beiträgt, wer wir sind und wie wir uns verhalten.
Volker: Das heißt, das die Weisheit des Alters auch so eine Folge der Seele ist, die also durch Lebenserfahrungen die Persönlichkeit formt. Damit könnte ich mich anfreunden.
Karl: Ich denke ja, letztendlich ist die Frage, was die Seele mit dem Menschen macht, eine philosophische Frage, die je nach Weltanschauung unterschiedlich beantwortet werden kann.
Johannes: Vielleicht sollten wir den Impuls ja aufnehmen und uns die Meinungen von Philosophen und religiösen Denkern ansehen.
Am Schluss können wir dann ja noch einmal unsere Standpunkte vergleichen. Immerhin haben wir ja die christliche Weltanschauung als ein gemeinsames Gut.
Ich wollte euch nun am Ende einer jeden Gesprächsrunde mit der Seele Spandaus vertraut machen.
Volker: Da die Seele eines Ortes stets die Menschen sind, willst du uns mit besonderen Persönlichkeiten Spandaus bekannt machen, oder?
Johannes: So ist es.
Guerrini, jung, von Adel, entstammte einer florentinischen Familie. Nach der Zeit des religiösen Eifers unter Savonarola, der Vertreibung der Medicis, ihrer Wiedereinsetzung durch die Borgias und ihre erneute Vertreibung, war offenbar die Familie Linari mit untergegangen. Sie entsagten der Grafenwürde. Der zehnjährige Guerrini wurde als Page zum Herzog Alessandro von Florenz gegeben, der zu den Medicis gehörte, il Moro genannt, der Dunkle … wegen seiner Hautfarbe. Er war Stadtherr von Florenz, also Duca della città di Penn. Mit 15 Jahren wurde er Kammerjunker beim französischen Thronfolger (Dauphin), den späteren König Heinrich II. Zum König wurde er nach dem Tod seines Vaters und Bruders 1547. Offenbar hat Guerrini eine Laufbahn beim Militär. Sicher half bei seiner Karriere, das Heinrich II. Katharina von Medici heiratete.
Schon 1552 leitete er die Verteidigung von Metz als Oberst. Schnell wurde seine ingenieurtechnische Begabung sichtbar. Das brachte ihm zwei Jahre später eine Stellung im Generalstab als Generalmajor und Generalkommissar für alle Festungsanlegen in Frankreich ein und ein stehendes Heer von 1000 Arkebusiere, Männer mit Vorderladern (leichte Infanterie) – schwere Infanterie waren die Musquetiere. In den Jahren 1556–1560 nahm er am Feldzug gegen Spanien teil. Hier war er unter anderem an der Schlacht bei St. Quentin und der Einnahme von Diedenhofen (Thionville) beteiligt, bei der er ein Auge verlor.
1560 nahm er an den katholisch-hugenottischen Auseinandersetzungen teil und schlug sich auf die Seite der Protestanten. Er trat schließlich zum protestantischen Glauben über. 1563 lag er mit seiner Garnison in der Stadt Metz und sorgte für den weiteren Ausbau der Festung, indem er einen neuen Zitadellentypus entwarf.
Am 15. Mai 1564 heiratete er Anna von Montot, mit der er mehrere Töchter und Söhne hatte. Sie stammte aus der alten burgundischen Familie der Freiherren von Montot; heiratete in erster Ehe einen Herrn de Barbé, in zweiter Ehe am 15. Mai 1564 Graf Rochus von Lynar, zog mit ihm und den gemeinsamen Kindern nach Heidelberg, Dresden, Dessau und schließlich nach Spandow, wo sie auch starb.
1567 ging er wegen der Unsicherheit für Protestanten in Frankreich von Metz aus zum Grafen Johann von Nassau nach Saarbrücken, von wo ihn sein Freund Pfalzgraf Casimir nach Heidelberg holte; 1569 war er dann als Artilleriemeister und Befehlshaber aller Festungen in kursächsischen Diensten. Dort benutzte er ab 1571 wieder den Grafentitel.
1574 ließ ihn Kurfürst August von Sachsen seines Glaubens wegen entlassen; 1577 zog er mit seiner Familie nach Dessau, mit dessen Herzog er befreundet war: Ab 1578 trat er dann als General und Oberst der Artillerie, Zeug- und Baumeister zugleich in den Dienst von Kurfürst Johann Georg von Brandenburg und zog mit seiner Familie nach Spandau, wo er bis zu seinem Lebensende wohnte; baute die Zitadelle von Spandau, die Festungen in Küstrin und Peitz aus und beteiligte sich an den Schlossbauten in Oranienburg und Grunewald; er legte Salz- und Eisenwerke an und verbesserte die Pulverfabriken, Eisen- und Geschützgießereien in Brandenburg; beriet den Kurfürsten in allen wichtigen Finanzangelegenheiten und beim Artilleriewesen; inspizierte nebenher noch die Festungen der sächsischen und pfälzischen Kurfürsten sowie der anhaltischen und hessischen Fürsten; 1585 starb seine Frau; 1588 heiratete er Margarethe von Thermo. Aus dieser Ehe gab es einen Sohn, der als Säugling starb. Er arbeitete ab 1588 für Christian I. von Sachsen an militärischen Bauten in Dresden, Herzberg, Liebenwerda u.a. sächs. Städten.
Darüber hinaus war er auch als Diplomat in diplomatischen Angelegenheiten tätig und diente als Gesandter der preußischen Könige.
Zugleich unterstützte er beim Kurfürsten auch Krells religionspolitische Pläne; seine Beziehungen zu Hessen und Brandenburg benutzte er zu einer Unterstützung der kursächsischen Politik Christians; Krell galt als Kryptocalvinist.
Der Begriff „Kryptocalvinismus“ diente der lutherischen Polemik für den Vorwurf, dass „verborgen“ unter angeblich lutherischer Theologie der Calvinismus eingeführt wird, wofür das preußische Königshaus nach dem Erbe in Kleve stand.
1591 setzte er sich bei Wilhelm von Hessen und Johann Georg von Brandenburg erfolgreich dafür ein, der Übertragung des Oberbefehls für die Frankreichexpedition an Christian von Anhalt zuzustimmen; er selbst unterstützte diesen Zug mit 3000 fl. (Gulden) aus eigener Tasche (= 5mal das Jahresgehalt eines Geheimen Rats).
Nahezu zeitgleich wurde Lynar durch den Markgrafen Georg Friedrich den Älteren von Brandenburg-Ansbach und Kulmbach zur Beratung beim Bau der Festung Wülzburg (Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, Bayern) herangezogen. Lynar fertigte einen neuen Entwurf und ein Baumodell, nach dem die Wülzburg 1590 bis 1605 vollendet wurde. Neben der Spandauer Zitadelle ist die Festung Wülzburg der am besten erhaltene Bau Lynars.
Während der Peitzer Ausbauarbeiten wurde Lynar 1593 zum Amtshauptmann in Spandau ernannt. Lynar stiftete den Altar der St.-Nikolai-Kirche in Spandau.
Der am Heiligabend geborene arbeitete etwa 1590 an einem Traktat zum Artilleriewesen und Festungsbau, das aber verschollen ist und wahrscheinlich über den ersten Abschnitt gar nicht hinausgekommen war.
Drei Tage vor seinem 71. Geburtstag verstarb Rochus Quirinus Graf zu Lynar am 22. Dezember 1596 in Spandau und wurde am 4. Januar 1597 in der Gruft der Nikolaikirche bestattet.
Von ihm stammt die in der Niederlausitz in Lübbenau ansässige Adelsfamilie von Lynar (gräfliche und fürstliche Linie) ab.
Johannes: Wie stellt ihr euch eigentlich vor, hat sich die Vorstellung von einer Seele in der Menschheit entwickelt, angesichts dessen, dass sich eine Zivilgesellschaft erst langsam entwickelt hat. Denn unabhängig von Vorstellungen, ob sich ein Mensch aus Primaten entwickelt hat oder mit der Paradiesgeschichte, brauchte es ja erst einmal das Nachdenken über das eigene Leben, die Fähigkeit aber auch, mit Menschen zusammenzuleben. Wie also hat sich die Vorstellung von einer Seele in der Menschheit entwickelt?
Karl: Na, ein Unterscheid ergibt sich aus der Einstellung über das Entstehen des Menschen ja schon. Gemäß der Evolutionstheorie hieße es ja, dass Seele etwas ist, das vor dem Menschen schon da war und ein Teil dessen ist, was wir Leben nennen. Demnach haben auch Tiere eine Seele. Im Falle der göttlichen Schöpfung ist die Seele etwas, das zum bewusst lebenden und entscheidungsfähigen Menschen gehört.
Volker: Wir können doch Tieren nicht absprechen, bewusst zu leben, und entscheidungsfähig sind sie auch. Lege nur eine Banane auf eine vielbefahrene Straße. Da macht er eine Art Gefahrenabwägung und … verzichtet.
Achim: Aber darum ging es Johannes gar nicht bei seiner Frage. Ich glaube, die älteste Vorstellung von Seele findet sich in den religiösen Vorstellungen der prähistorischen Kulturen. Es gibt zwar keine direkten schriftlichen oder archäologischen Belege für diese Vorstellungen, da es noch keine Schreibsysteme gab, und wahrscheinlich Materialien wie Holz oder Leder als rituelle Gegenstände verwendet wurden, die sich nicht so gut erhalten haben wie Stein oder Ton.
Andreas: Am häufigsten gab es sicher die Vorstellung von einer unsterblichen Seele, die den Tod des physischen Körpers überlebt.
So haben sich meines Erachtens überhaupt religiöse Vorstellungen angesichts der Erfahrung der Endlichkeit entwickelt.
Volker: Diese Vorstellungen waren ja auch in vielen anderen Kulturen der Antike weit verbreitet, wie in der griechischen Philosophie (Platonismus) und der indischen Religion (Hinduismus).
Karl: Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass sich die Vorstellungen von Seele in verschiedenen Kulturen und historischen Kontexten unterscheiden können und daher nicht auf eine einzige Vorstellung reduziert werden können.
Johannes: Was glaubt ihr, ist denn die älteste verschriftlichte Vorstellung von der Seele.
Andreas: Die älteste bekannte schriftliche Aufzeichnung über das Konzept der Seele stammt aus dem alten ägyptischen Totenbuch, das erstmals im Mittleren Reich (2080 bis 1640 v. Chr.) verwendet wurde. Hier findet man die Vorstellung von ‚Ka‘ (Lebenskraft), ‚Ba‘ (Persönlichkeit) und ‚Ach‘ (Schatten) als Bestandteile der Seele.
Karl: Ich sehe da eher die noch älteren Kulturen wie China und Indien, auch wenn die gefundenen Schriften nicht so alt sind. Wir wissen ja, wie unglaublich weit Erzählzyklen der mündlichen Überlieferung in die Vergangenheit reichen. Man denke nur an die Psalmen, die gab es schon bei Sumerern und Babyloniern als Gebete und haben mehr als tausend Jahre mündlich überlebt, bevor sie verschriftlicht wurden.
Achim: Da haben wir schon das erste Problem. Denn chinesische, indische und sumerische Kulturen werden alle mit rund 5000 Jahren angegeben.
Johannes: Vielleicht ist es ja sinnvoll, sich darum mit der Kultur zu beschäftigen, die unseren Vorstellungen am Fernsten steht.
Karl: Dann wäre ich für das Eintauchen in die Vorstellungen über die Seele in die chinesische Kultur:
In der alten chinesischen Weisheit gibt es eine Vorstellung von der Seele als subtiler Energie, die im Körper fließt und durch die Meridiane zirkuliert.
Volker: Meridiane sind?
Karl: Energiebahnen im Körper. Diese Energie wird ‚Qi‘ genannt und ist der Schlüsselbegriff in der chinesischen Tradition von Akupunktur, Qigong und ‚TCM‘, also der traditionellen chinesischen Medizin. Die Seele wird hier als Teil des Qi betrachtet und ist mit dem Geist und den Emotionen verwoben. Für das Ende des Lebens steht die Vorstellung ist, dass die Seele nach dem Tod den Körper verlässt und in eine andere Form übergeht.
Johannes: Dieser vitale Energiefluss, der durch alle Wesen fließt und sie belebt, diese Energieform beeinflusst auch die Funktionen des Körpers und dessen Gesundheit, die wird eben durch diesen Fluss des Qi durch Meridiane (Energiebahnen) reguliert.
Andreas: Die Vorstellung von Qi als vitalen Energiefluss geht auf das Konzept des Daoismus und der chinesischen Medizin zurück. Die Idee von Meridianen als Energiebahnen wurde erstmals im Huangdi Neijing, auch bekannt als Innerer Klassiker des Gelben Kaisers, einem medizinischen Text aus dem 3. Jahrhundert vor Christus, beschrieben. Das Alter der Schrift sagt aber nichts über das Alter der Vorstellung. Denn auch der Daoismus ist eine erst im 4. Jahrhundert vor Christus entwickelte Weisheit.
Volker: Und die besagt?
Karl: Im Dao oder Tao liegt die Einheit der Gegensätze, der Zusammenfall von Sein und Nichtsein. Und daraus gehen Yin und Yang hervor - das Gegensatzpaar, das gemeinsam das Sein der Welt prägt. Der sich ergänzende Gegensatz von Yin und Yang, des Kalten und des Warmen, die sich im stetigen Übergang befinden und die Welt antreiben.
Achim: Mir ist noch eine ganz andere Vorstellung von der Seele bekannt. Sie bezieht sich auf die Konzepte von Hun und Po, die als geistige und körperliche Komponenten der Seele betrachtet werden. Hun wird auch als die ‚geistige Seele‘ bezeichnet und ist die Vorstellung von einem höheren Selbst, während Po als die ‚körperliche Seele‘ betrachtet wird und mit den körperlichen und emotionalen Aspekten verbunden ist.
Andreas: Die Vorstellung von ‚Hun‘ und ‚Po‘ als geistige und körperliche Komponenten der Seele findet sich in der chinesischen Philosophie und Religionen wie dem Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus. Der Klassiker der Lieder ‚Shijing‘, ein Sammlung von Gedichten aus der Zeit der Zhou-Dynastie, die vom 10.7. Jahrhundert vor Christus Bestand hatte, erwähnt die Konzepte von ‚Hun‘ und ‚Po‘. Später wurden diese Vorstellungen weiter in den Werken wie dem Zhuangzi und dem Huainanzi entwickelt. Interpretation und Betonung dieser Vorstellungen in verschiedenen Kontexten und Denkschulen.
Volker: Na, da hat sich aber einer in die chinesische Philosophie vertieft. Aber es stimmt natürlich. Darum ist es wichtig zu beachten, dass die Vorstellungen von Seele in der altchinesischen Weisheit sehr komplex und vielfältig sind und sich je nach Denkschule und Zeitraum unterscheiden können. Und zu den verschiedenen Sichtweisen zur Seele in der altchinesischen Weisheit finden sich daher unzählige unterschiedliche Quellen in der chinesischen Literatur und Kultur.
Johannes: Solch ein Hinweis auf eine große Zahl von Denkschulen und Quellen weist meistens darauf, dass im Grunde alles gesagt. Wenden wir uns also den hinduistischen Vorstellungen zu. In meinem Vikariat in Südindien habe ich neben hinduistischen Traditionen auch viele animistische Riten gesehen. Das lässt mich ahnen, dass hier die ältesten Vorstellungen von der Seele zu finden sind, wovon einige auch durch die indogermanischen Wanderungen vor rund 4500 Jahren bis nach Europa kamen. Ich zähle zu diesen Völkern übrigens auch die Sumerer, aber ich weiß nicht, ob Archäologen da mitgehen, wenn man auch nicht genau weiß, wo sie herkamen.
Karl: Mit der Induskultur weisen sie auf jeden Fall früheste Siedlungsspuren auf … ich sage nur Harappa-Kultur.
Achim: Hättest du Induskultur gesagt, hätte ich dir recht gegeben. Die Harappa-Kultur wird eher auf 2400 vor Christus datiert, die Induskultur aber, zu der natürlich die Harappa-Kultur gehörte, geht schon auf rund 3500 Jahre vor Christi Geburt zurück.
Andreas: Und doch ist die Kultur um Catal Höjük noch mehr als 2000 Jahre älter.
Johannes: Daten sind doch nicht entscheidend. Ein Fund, und wir schreiben die Weltgeschichte neu. Lasst uns alle zu den Seelenvorstellungen im alten Indien kommen.
Karl: Wie ihr wisst, war mein letztes berufliches Event der Bau eines Scheringwerkes in Indien. Da hatte ich auch Muße, mich mit der dortigen Religion auseinanderzusetzen. Man kann ja nicht nur an die Arbeit denken.
Da habe ich mich unter anderem mit dem Vedanta beschäftigt. Es ist die wichtigste Quelle, die die hinduistische Vorstellung der Seele definiert. Das Vedanta ist eine Sammlung von hinduistischen Schriften und philosophischen Konzepten, die auf den Veden basieren. Insbesondere der Vedanta-Text Upanishad enthält ausführliche Diskussionen über die Natur der Seele und ihre Verbindung zum kosmischen Bewusstsein.
Andreas: Und wie wird die Natur der Seele definiert?
Volker: Da kann ich helfen. Das Werk Upanishad definiert die Seele als das unveränderliche, ewige Selbst, das das Bewusstsein und die Individualität des menschlichen Wesens ausmacht. Wir erinnern uns, das sehen viele Menschen auch heute noch so. So wird die Seele als unsterblich, transzendent und unendlich beschrieben und als das Element, das für die Verbindung zwischen dem individuellen Selbst und dem universellen Selbst verantwortlich ist. Die Seele wird als das höchste Ziel des spirituellen Lebens angesehen und als der Zustand, in dem man eins mit dem Universum wird.
Achim: Ich ahne schon, wo der Weg hinführt. Die Seele wird dort als das höchste Wesen angesehen, das alle anderen Teile des menschlichen Wesens, wie Körper, Geist und Wahrnehmung, durchdringt und vereint. Das Ziel, das verfolgt wird, ist dann die unendliche und transzendente Natur der Seele zu erkennen und zu erfahren, um dann eins mit dem Universum zu werden. Diese Erkenntnis kann, man kann sich kaum etwas Anderes vorstellen, durch die Praktiken der Meditation, der Selbstreflexion und der Hingabe an das Göttliche erreicht werden.
Karl: Gut gebrüllt, Löwe. Das Werk Upanischad sagt auch, dass die Seele nicht an den Körper gebunden und somit unsterblich ist, was bedeutet, dass das Leben eines Menschen nicht nur auf das Dasein im physischen Körper begrenzt ist. Letztendlich muss der, der die Erkenntnis und damit die Vereinigung sucht oder beibehalten will, die Vision der Einheit mit der Seele anstreben, um Frieden, Freiheit und Glückseligkeit zu erreichen.
Andreas: Wie gelingt mir das aber?
Volker: Das Werk Upanischad beschreibt verschiedene Wege, um das Streben nach Einheit mit der Seele zu erreichen. Einige der wichtigsten Methoden sind:
Durch Meditation: Durch kontemplative Praktiken wie Dhyana, also höhere Bewusstseinsstufen der Versenkung, oder Yoga-Meditation. Mit Dhyana kann man die eigene Wahrnehmung und Konzentration auf die Seele und das Göttliche lenken.
Karl: Eine weitere Form der Hingabe ist Bhakti oder die Hingabe an das Göttliche.
Bhakti wird als ein wichtiger Weg zur Erleuchtung angesehen. Durch die Hingabe an ein höheres Wesen oder an eine göttliche Kraft kann man Selbstlosigkeit und die Vereinigung mit der Seele erreichen.
Volker: Nicht zu vergessen die Selbsterforschung.
Das Werk Upanischad ermutigt zur Selbsterforschung und Selbsterkenntnis als wichtige präventive Schritte, um den Weg zur Einheit mit der Seele zu finden.
Karl: Und das Karmayoga:
Durch Handlungen und Taten, die frei von weltlichen Wünschen und Absichten sind, kann man das Ego transzendieren und in den Zustand der Einheit mit der Seele gelangen, z.B. durch Hilfe für Bedürftige und Notleidende.
Andreas: Wenn ich das alles höre, kann ich das gar nicht mehr von buddhistischen Vorstellungen unterscheiden.
Karl: Das fängt doch schon damit an, dass es im Buddhismus keine göttliche Schöpfervorstellung gibt.
Johannes: Last uns darauf noch nicht eingehen, denn Karl und Volker haben ja nur eine Seite der hinduistischen Quellen benannt. Die Vorstellung von Seele ist in einem solchen alten Kulturkreis mit einer Unzahl von religiösen Philosophien viel reichhaltiger.
Karl: Genau, aber ich will mich nur auf eine weitere Hauptquelle beziehen, damit wir irgendwann weiterkommen. Ein weiteres wichtiges Werk ist nämlich die Bhagavad Gita. Sie behandelt auch die Natur der Seele und betont ihre Unsterblichkeit und ihre Rolle bei der Verwirklichung des höchsten spirituellen Ziels.
Volker: Genau, ich habe mir sogar ein Zitat gemerkt. Die Bhagavad Gita sagt zur Unsterblichkeit der Seele oder des Atman in Kapitel 2, Vers 23, „Die Seele ist unzerstörbar, unvergänglich und unveränderlich. Sie ist ewig und unendlich, und kann weder durch Waffen noch durch Feuer noch durch Wasser noch durch Wind zerstört werden."
Der Text betont auch, dass der Tod lediglich ein Übergang in eine andere Form des Daseins ist und dass die Seele sich in einem dauerhaften Zustand des Seins befindet. Die Bhagavad Gita betont auch, dass die Seele durch Selbsterkenntnis und spirituelle Praktiken befreit werden kann, um mit demselben ewigen und unendlichen Geist, dem Brahman, verschmelzen zu können.
Achim: Da zeigt sich schon ein Unterschied, denn die Seele im Buddhismus sucht ja die Erlösung in der Unendlichkeit des Nirwana, hier geht es um Verschmelzung mit dem unendlichen Geist des Göttlichen.
Karl: Scharf beobachtet. Darum will ich jetzt auch auf die Frage von Andreas kommen. Du hast ja gerade eine Beziehung zwischen dem Werk Upanischad und dem Buddhismus vermutet.
Andreas: Genau, weil beide Vorstellungen auf spirituelle Wege setzen.
Karl: obwohl ja beide, der Buddhismus und das Werk Upanischad zur Spiritualität gehören und beide auf die Erleuchtung abzielen, gibt es auch inhaltliche Unterschiede. Einige der wichtigsten Unterschiede sind:
Wahrnehmung des Selbst: Im Werk Upanischad wird die Seele als eine unveränderliche und ewige Entität angesehen, die das Bewusstsein und die Individualität des menschlichen Wesens ausmacht. Im Buddhismus jedoch gibt es keine unveränderliche und ewige Entität des Selbst, sondern Anatta (Nicht-Selbst), was bedeutet, dass jede Identität aus der Interaktion verschiedener Faktoren entsteht und damit letztendlich veränderbar ist.
Johannes: Dein fragender Blick sagt mir, das dir Begriff ‚Entität‘ nicht so selbstverständlich ist. Eine ‚Entität‘ bezeichnet ein existierendes Ding oder Objekt, das eine eigenständige Existenz hat und als eine Einheit betrachtet wird. In der Regel wird der Begriff Entität für Dinge oder Objekte verwendet, die als selbstständig oder unabhängig von anderen Elementen oder Systemen angesehen werden. Heute z.B. im Kontext von Management, IT oder Wissenschaft kann ‚Entität‘ auch eine Organisation, eine Person, eine Datenbank oder eine Softwarekomponente bedeuten, die als separat und unabhängig behandelt werden soll. Vielleicht erklärt es sich selbst am besten, wenn man darauf weist, dass das Wort in Identität steckt
Volker: Wir sind aber noch bei den Unterschieden. Ein wichtiger Unterscheid ist der Karma-Dualismus.
Im Werk Upanischad wird die Welt als duales System aus Licht und Finsternis, Gut und Böse gesehen, und jede Handlung produziert Karma, welche das Karma und Reinkarnation beeinflusst. Im Buddhismus wird Karma und Reinkarnation ebenfalls anerkannt, jedoch wird die Welt als eine Illusion gesehen, die letztendlich nur ein unvollständiges Abbild der Wirklichkeit ist, und das Ziel besteht darin, sich durch Erlangung von Nirwana von dem endlosen Kreislauf von Samsara, Geburt und Wiedergeburt, zu befreien.
Karl: Ein weiterer Unterschied liegt in Buddha selbst begründet. In der buddhistischen Tradition wird der Buddha als Lehrer und Vorbild angesehen, der die Wahrheit entdeckt hat und diese durch seine Lehren weitergegeben hat. Die Upanischaden hingegen beziehen sich auf die älteren Schriften der Veden, die auf göttliche Offenbarung zurückgeführt werden, und betonen, dass die Wahrheit durch Askese und Meditation erlangt werden kann.
Achim: Ich ahne schon, was jetzt kommt: Diese Unterschiede sind natürlich nur einige der bemerkenswerten Unterschiede zwischen Buddhismus und das Werk Upanischad.
Andreas: Das habe ich auch schon gedacht … und wieder werden wir hören: Das ultimative Ziel all dieser Praktiken ist das Erreichen einer tiefen Erkenntnis und Erfahrung der Seele, um so den Zustand der Einheit mit dem Universum und dem Göttlichen zu erreichen und letztendlich Frieden, Freiheit und Glückseligkeit zu finden.
Volker: Das geschieht in vielen Konzepten der indischen Religion und Philosophie auf der Basis einer unsterblichen Seele, die zentral für Ideen von Wiedergeburt und Karma sind. Hindus und Buddhisten glauben, dass die Seele (Atman) oder das Bewusstsein (Buddhi) nach dem Tod in neuen Körpern wiedergeboren wird, basierend auf dem Karma, das in früheren Leben angesammelt wurde.
Achim: Mit der Seelenwanderung kann ich weniger anfangen, aber, aber letztendlich Frieden, Freiheit und Glückseligkeit zu finden … sehnsuchtsvoll: Das erhoffe ich mir von meinem Glauben auch.
Johannes: Glaubt mir, wir sind alle auf einem guten Weg. Aber der Wege gibt es viele. Ich will euch den Weg eines Spandauers beschreiben, der sein Glück aber erst in der Ferne fand.
‚Das wurde den Herren vom Rat nun doch zu viel. Der für Staaken und Seeburg zuständige Spandauer Pfarrer hielt Schmähreden gegen die alte Kirche, fast wie der Dr. Luther zu Wittenberg! Ungebührliches Gemurmel und empörte Rufe gab es unter den Kossäten (Bauern mit Pachtland) und den armen Leuten in der Kirche, wenn der Wendt predigte.‘ Sorgenvoll thronten die Ratsherren in ihrem Kirchengestühl – nie besuchten sie die Gottesdienste der kleinen Dorfkirche zu Staaken mehr wie zu jener Zeit. – ‚Wo war die demütige Rede von einst geblieben? Jetzt wollten schon die Prediger darüber befinden, was Recht und Unrecht sei in der Stadt. Dem gemeinen Mann sollte es zustehen, alle Ämter zu besetzen: Pfarrer, Bürgermeister und Ratsleute zu berufen. Und das Evangelium sollte in Deutsch gepredigt werden ohne Behinderung.‘ Das war den Bauern, Feldarbeitern und Handwerkern aus dem Herzen gesprochen. Der Prediger Wendt wohnte zwar in nobler Gegend hinter der Nikolaikirche, aber er hatte nicht vergessen, dass er ein Staakener Handwerkersohn war. Er sagte das, was sie alle seit langem dachten. Argwöhnisch und zornig blickten die prächtig gekleideten Herren im Ratsgestühl auf die unruhige Menge. ‚ Beim Wendt in der Kirche,‘ so fanden sie, ‚ging es jetzt, im Jahre des Herrn 1523, toll und lästerlich zu wie in einem Bierhaus.‘ Dabei dienten die Staakener dem Heiligen Vater zu Rom genau 250 Jahre treu und gehorsam. 1440 war die Dorfkirche neu errichtet worden. Die alten Feldsteine der zuvor abgebrannten Kirche waren wiederverwendet worden. Großzügig hatte der Rat das Dorf mit einer immensen Anleihe unterstützt – ein reicher Kaufmann stiftete zur Zeit des Predigers sogar einen Schnitzaltar. Die Gläubigen versuchten mit mancherlei Stiftungen etwas für ihr Seelenheil zu tun. Der Prediger Wendt musste in einem Jahr 1500 Seelenmessen lesen. Aber die Prediger und Kapläne, die Messpriester und Mönche der Umgebung sorgten immer wieder für Skandale – manche Kirchen, besonders die auf dem Land, wurden zum öffentlichen Bierausschank, die Stadtknechte entdeckten bei einer Kontrolle sogar Frauen und Mädchen dort. 1508 soll sogar der Ablassprediger Tetzel in Staaken erschienen sein. Seine marktschreierischen Auftritte brachten die Dorfkirche ein weiteres Mal in Verruf. ‚Für reichliches Geld sollte man seine Sünden vergeben bekommen. Sobald das Spendengeld im Kasten klingelt, fährt die Seele, für die man geopfert hat, in den Himmel, versprach er.‘ Seinen Gegnern wollte er die Köpfe abreißen und sie in die Hölle befördern. Bis 1510 flossen Unsummen in Tetzels Ablasskasten (für den Petersdom im Vatikan und den Kölner Erzbischof ), aber viele zweifelten, ob so ein böses Spiel mit dem Aberglauben gottgefällig sei. Das Maß war voll. Aus Leipzig und aus Erfurt brachten vorüberziehende Kaufleute und aus Wittenberg kommende Studenten brachten so manche kleine Druckschrift mit. Prediger Wendt las seiner Gemeinde mit Vergnügen vor, wie der Dr. Luther mit den Missbräuchen der Papstkirche derb und wohlbegründet zu Gericht ging. Als dann der Hofastrologe Johann Carion für den 25.Juli 1525 prophezeite, dass Berlin und damit auch Spandau und Staaken durch ein Unwetter zerstört werden würden, verließen der kurfürstliche Hof und die Spandauer Ratsherren die Stadt. Peter Wendt rief an diesem Tag seine Gemeinden Staaken und Seeburg in die Staakener Dorfkirche zusammen und hielt bei den Verängstigten und Bedrohten aus. Da merkte er hautnah, wie viele unzufrieden waren mit der harten und eigennützigen Ratsherrschaft und mit den Übeln der Kirche – schon lange lockten die kurfürstlich verordneten Fronleichnamsprozessionen keine Staakener (und nur noch wenige Berliner) auf den Kirchplatz. Im Gottesdienst sprach der Prediger aus, wie ihnen ums Herz war. Als die Ratsleute von ihren Sommersitzen zurückkamen, ermahnten sie ihn zur Mäßigung. ‚Er sollte das gemeine Volk nicht zu Ungehorsam und Aufruhr ermuntern.‘ Unterdessen hatte er aber manche Schrift von Luther gelesen und für gut befunden. Da gab es für ihn kein Einlenken, mochten auch die Handwerker und Bauern zuweilen mehr aus seinen Worten hören, als er meinte. Er hatte doch all die Ungerechtigkeiten im Dorf nicht verschuldet. Der Bürgermeister von Spandau und der Stadtschreiber hielten ihm am 1. Advent 1525 in scharfen Worten vor, er habe nicht das Evangelium studiert, sondern etliche Schwarten, und das habe er unverdaut und dumm unters Volk gebracht. Sie rieten ihm gar, sich davonzumachen. Für zwei Jahre wurde er nach Hakenfelde versetzt, aber sein Nachfolger Nikolaus Schulz predigte bald auch im Sinne Luthers und hielt die Erinnerung an seinen mutigen Vorgänger wach. 1528 kamen die Bauern in Bewegung, und die Handwerker waren drauf und dran, dem Magistrat Zugeständnisse abzuzwingen. In der Hoffnung, die erregten Gemüter etwas zu besänftigen, ließen die Ratsherren schweren Herzens den Prediger Wendt zurückkommen. 1530 hielt er – so sagt man – in der alten Dorfkirche eine ‚evangelische‘ Predigt. Es folgten Abendmahl, Beichte und Taufe nach evangelischem Brauch. Die Handwerker und einer aus ihren Reihen, der Prediger Wendt, hatten damit in Staaken und darüber hinaus in Spandau und Berlin der Reformation die Tore geöffnet. Nicht nur mit der Macht der Worte. Als dann, lange danach, am 1.11.1539, Kurfürst Joachim II., Hektor von Brandenburg mit dem Adel des Teltows, Barnims und Havellands in der Spandauer Nikolaikirche das Abendmahl in beiderlei Gestalt einnahmen und als erstes öffentliches Abendmahl in beiderlei Gestalt deklarierte, lachte man in Staaken, ließ den Spandauern aber achselzuckend diesen Ruhm und feierte in Staaken einen entsprechenden Gottesdienst mit den Ärmsten der Gemeinde. Die Ratsherren konnten dies freilich nicht verwinden und ließen Peter Wendt 1540 ablösen. Pfarrer Johann Crüger wurde gesandt, der sich in die Dorfgemeinden Staaken und Seeburg gut einführte… zu gut offenbar. Die Ratsherren verweigerten dem Pfarrer die ihm zustehenden Gehaltszahlungen, bis dieser 1541 kündigte – ein kurfürstliches Gericht gab ihm später Recht. Den Staakenern wurde eine Kirchen- und Schulvisitation verordnet, die immerhin zur Folge hatte, dass man den Nachfolger, Kaplan Andreas Ebel, zweiter Kaplan in Spandau, aus den Einkünften der Pfarrer in Staaken und Seeburg besoldete.
Diese Geschichte habe ich vor fast 35 als junger Pastor gehört und aufgeschrieben. Nun ist sie mir wiederbegegnet und ich wollte wenigsten recherchieren, wie es dem Prediger Wendt, Nikolaus Schulz und Johann Crüger weiter erging. Der einzige, der in Frage kommt, wäre Andreas Wendt, der als Prediger dann in Kuhsdorf im Kreis Pritzwalk Dienst tat, 1572 emeritiert wurde und 1581 starb. Von Nikolaus Schulz erfährt man, dass er 1566-1574 in Luckenwalde als Diakon tätig war. Mehr ist auch von ihm nicht zu erfahren. Johann Crüger findet sich um 1550 als Prediger in Seefeld, Kreis Bernau. Der Name kommt allerdings häufiger vor, so gab es auch einen Johann C(K)rüger, der erst Schulmeister in Coswig war und 1544-48 auch Diakon in Golzen, Kreis Luckau. Da die ‚Schulgesellen‘ alle ehem. Theologiestudenten waren, wurden sie auch schon vor der Ordination als Prediger auf Dörfern eingesetzt, was sie auch gern wahrnahmen, denn Prediger wurden besser bezahlt als Lehrer – die Geschichte der Stadt Spandow ist ja auch durchzogen von ungehörten Klagen der zu schlecht bezahlten ‚Schulkollegen‘. Es gibt noch einen dritten Johann C(K)rüger, der aber wohl im Raum Cottbus blieb, was die dürftigen Aufzeichnungen erkennen lassen.
Johannes: Was seht ihr eigentlich als die Wiege der Zivilisation?
Achim: Das dürfte das Land sein, dass ein Schulwesen hatte, eine Gerichtsbarkeit, ein Kulturleben, wie es noch bei uns erkennbar ist. Für mich sind es die Sumerer.
Volker: Nicht nur für dich, sondern für alle Europäer, obwohl die Sumerer ja auch aus dem Osten gekommen sein müssen, denn sie waren im 3. Jahrtausend plötzlich im südlichen Mesopotamien.
Andreas: Der Sprache nach kamen sie aus der Uralgegend, denn sie ähnelt den agglutinierenden Sprachen wie Ungarisch, Finnisch und Türkisch. Das Spannendste aber war, dass sie eine Schrift hatten. Johannes, hast du nicht Keilschrifttexte übersetzt?
Achim: Was bedeutet ‚agglutinierend‘?
Andreas: ‚agglutinierend‘ heißt ‚aneinanderheften‘, das heißt, Artikel, Zeiten und Aspekte machen das Wort immer länger. Richtige Freude macht dann ein substantiviertes Verb in der vollendeten Gegenwart – ein Hauptgewinn bei Scrabble.
Johannes: Ich habe aber nur die folgenden Dialekte Akkadisch, Babylonisch und Assyrisch gelernt. Mit Sumerisch habe ich damals die biblischen Texte kaum verbunden, was sicher eine falsche Einschätzung war, aber damals war ich Student, heute sind mir einfach andere Dinge näher. Die Vorstellung von der Seele zum Beispiel.
Karl: Darauf hättest du bei den Sumerern aber auch eine Antwort gefunden. Die Vorstellungen von Seele bei den Sumerern waren komplex und vielfältig. Es gab allerdings mehrere Begriffe, die verwendet wurden, um verschiedene Aspekte von menschlichen Wesen und Lebewesen zu beschreiben. Einige dieser Begriffe beziehen sich auf Seele und Geist.
Johannes: Die sind mir auch geläufig, weil die Akkader sie im Wesentlichen übernommen haben.
Eines der am häufigsten verwendeten Wörter war ‚Namtar‘, was eigentlich wörtlich übersetzt ‚Schicksalserfüller‘ bedeutet. Wir haben es also mit einer aktiven Seele zu tun, eine kraftvolle Geistigkeit, die menschliches Leben beeinflussen oder sogar kontrollieren konnte. Nicht umsonst wurde Namtar auch als eine Art Schutzpatron der Stadt oder des Landes verehrt.
Achim: Einzelne Begriffe sind mir auch im Gedächtnis geblieben, wie zum Beispiel ‚Limmu‘, der sich auf einen spirituellen, unsterblichen Teil eines menschlichen Wesens bezieht, der fortbesteht, auch nachdem der physische Körper gestorben ist. Der Limmu konnte im Jenseits reformiert werden und wurde als ein Teil der menschlichen Identität betrachtet.
Andreas: Es gab auch den Begriff ‚Gidim‘, der sich auf die Seelen der Toten bezieht. ‚Gidim‘ wurden als bewaffnete Wesen beschrieben, die in der Unterwelt lebten und den Verstorbenen begleiteten und beschützten.
Karl: Insgesamt hatten die Sumerer ein hoch entwickeltes Verständnis von der menschlichen Spiritualität und den Vorstellungen von Seele und Geist. Erstaunlich, wenn wir davon ausgehen, dass es die Wiege des Gemeinwesens ist. Da ist irgendwie alles schon fertig. Man vermisst Entwicklungsstufen. Die Schule bei uns funktioniert, wie bei denen, auch das juristische System und so vieles andere. Es ist bemerkenswert.
Achim: Nicht nur das. Diese Konzepte spielten eine wichtige Rolle in der religiösen und kulturellen Identität der Sumerer, sie beeinflussten aber auch später viele andere Kulturen im Nahen Osten und darüber hinaus.
Johannes: Bis hin zu den Begriffen. Die Babylonier übernahmen deshalb viele der Vorstellungen der Sumerer, einschließlich ihrer Vorstellungen von Seele und Geist. Aber klar, einige dieser Vorstellungen wurden im Laufe der Zeit weiterentwickelt und verändert umso ihre religiöse Identität und ihre Beziehung zum Göttlichen zum Ausdruck zu bringen.
Eines der bedeutendsten Beispiele für die Übernahme von sumerischen Vorstellungen durch die Babylonier ist die Übernahme des Konzepts von ‚Limmu‘. Die Babylonier teilten die Vorstellung von ‚Limmu‘ als unsterblichen Teil des menschlichen Wesens, der auch über den Tod hinaus Bestand hatte. Einige Babylonische Texte beziehen sich auch auf eine Art Seelenwanderung, bei der der ‚Limmu‘ nach dem Tod in eine neue Form und Existenz eingehen konnte.
Andreas: Wie du schon sagtest: Zusätzlich zu den sumerisch beeinflussten Vorstellungen von Seele und Geist entwickelten die Babylonier auch eigene Vorstellungen. Ein solcher Begriff war "Ziqqurratu", der auf das babylonische Tempelkonzept von Stufenpyramiden verwies. Die Babylonier glaubten, dass Stufenpyramiden den Bewohnern göttlichen Schutz und spirituelle Erhebung bieten würden. Einige Tempel wurden auch als Orte betrachtet, an denen die Seele nach dem Tod des Körpers Trost und Unterstützung finden konnte.
Karl: Wir sprechen doch über den Turmbau zu Babel.
Volker: Das Babylonische Konzept, das sich auf Stufenpyramiden bezieht, ist ja vor allem die spirituelle Erhebung bezieht, das ist "Ziggurat" oder "Ziqqurratu".
Achim: Ein ‚Ziggurat‘ ist erst einmal Turmbauwerk, das aus Stufen besteht und normalerweise einen Tempel oder ein Heiligtum an der Spitze hat. Diese Bauwerke waren im alten Mesopotamien weit verbreitet und hatten eine bedeutende religiöse Bedeutung. Es ging aber um den erhöhten Tempel … und den Weg dahin.
Andreas: Der gemeine Babylonier glaubte aber, dass ‚Ziggurats‘ den Bewohnern göttlichen Schutz und spirituelle Erhebung bieten würden. Ja, sie dienten den Menschen und auch den Theologen als Verbindung zwischen Himmel und Erde, wo die Götter wohnten. Die Menschen glaubten, dass diese pyramidenartigen Strukturen die spirituelle Kraft der Götter auf die Menschen übertrugen. Es wurde angenommen, dass diejenigen, die die Treppenstufen des ‚Ziggurats‘ erklommen haben, sich der Welt der Götter näher fühlten und ihre spirituelle Stärke und Erleuchtung erhöhten. So dienten die ‚Ziggurats‘ nicht nur als religiöse Stätte, sondern auch als ein Ort, an dem das menschliche Bewusstsein erweitert und spirituelle Erhebung erlangt werden konnte.
Johannes: Insgesamt können wir jedenfalls sagen, dass die Babylonier im Wesentlichen viele der Vorstellungen von Seele und Geist von den Sumerern übernahmen, aber auch eigene Vorstellungen von der Seele entwickelten. Allerdings sind die Überlieferungen darüber relativ spärlich und es gibt auch keine einheitliche Vorstellung. Daher sind diese oft nur aus verschiedenen Texten und Inschriften rekonstruierbar und sind mit den 6 bekannten Dialekten, akkadisch, Babylonisch, assyrisch, neubabylonisch, neuassyrisch und chaldäisch innerhalb von 3-4000 Jahren einer starken Veränderung unterworfen.
Volker: Ein Beispiel dafür ist das Konzept, das ‚Nassu‘ (auch ‚Nesu‘ oder ‚Nephesu‘ genannt), was oft als ‚Atem‘ oder ‚Lebenskraft‘ übersetzt wird, allerdings aber auch eine Art von ‚persönlichem Schutzgeist‘ darstellen kann.
Achim: Nach all dem, was ich bisher in diesem Gespräch erfahren habe, sagt mir doch eine Analyse dessen, dass dieses Konzept auch mit dem Konzept des Körpers und des Geistes verbunden sein muss. Das haben wir doch in jeder religiösen Vorstellung erfahren.
Andreas: So ist es ja auch hier. Wie die Sumerer und andere antike Kulturen glaubten die Babylonier, dass der Körper aus elementaren Bestandteilen wie Erde, Wasser, Luft und Feuer besteht und dass der Geist eine Art immaterielle Komponente des Menschen ist. Der Nassu kann somit als eine Art vermittelnde Vorstellung zwischen Geist und Körper gesehen werden.
Volker: Diese Vorstellung hat ja schon alttestamentliche Aspekte, denn NÄPHÄSCH und RUACH, die hebräischen Worte für Seele und Geist, können ja auch mit Atem, Hauch übersetzt werden.
Aber davon will ich euch noch einmal wegführen, denn es gibt ja noch ein weiteres Konzept: das ‚Lamu‘ (oder ‚Lambu‘), das als ‚Schatten‘ oder ‚reflektierendes Bild‘ übersetzt werden kann. In manchen Schriften findet sich auch der Name ‚lilitu‘, als Gott der Krankheit, der Verhaltensstörungen und der Geisteskrankheit. Es wird als eine Art von Doppelgänger der physischen Person angesehen, der aber eigenständig auftreten oder als Teil einer Ahnenverehrung verehrt werden kann.
Achim: Bei dem Namen Lilith spüre ich ein richtiges Feuerwerk zwischen den Ganglien des Gehirns.
Volker: Und doch ist es ja nur ein Teil der Seele. Man muss sich vorstellen, dass sie aus verschiedenen Schichten besteht, die je ihre eigenen Funktionen haben. Zum Beispiel ‚awilu‘ ist der Teil, der dem Menschen Persönlichkeit und das Selbst gibt – er entwickelt sich im Lauf des Lebens und wird ständig beeinflusst – offenbar resultiert daraus in den Augen der Sumerer das, was man einen weisen Menschen nennt. Andere Schichten umfassen die ‚girru‘, sie gibt den Menschen Lebenskraft, oder ‚zamru‘, die für das Bewusstsein des Individuums verantwortlich war.
Karl: Das heißt, alles, was der Mensch braucht, um mit seiner Mit- und Umwelt zu interagieren, kam von der Seele.
Achim: Wenn sie eine so komplexe Vorstellung von der Seele hatten, müssen sie doch auch an eine Art Fortsetzung des Lebens nach dem Tod geglaubt haben.
Johannes: So ist es auch, schon bei den Sumerern findet sich die Vorstellung, dass die Seele nach dem Tod in die Unterwelt ging. Dort musste sie sich einer Art Gericht unterziehen. Das Urteil entscheidet dann darüber, ob sie endgültig sterben oder sich auf den Weg in das Leben nach dem Tod machen.
Andreas: Genau, denn es gibt ja auch Inschriften, die sich auf eine Art von ‚querenden Seele‘ beziehen, die den Verstorbenen nach dem Tod zum Jenseits führt. Wie bereits erwähnt, können diese Vorstellungen aufgrund des Mangels an einheitlichen Texten und Interpretationen schwierig zu verstehen sein. Vielleicht ist das auch von der ägyptischen Kultur beeinflusst, aber das könnte ich nur mutmaßen.
Johannes: Wir sehen, insgesamt zeigen diese Konzepte, dass die Babylonier, wie viele antike Kulturen, eine Vorstellung von der Seele hatten, die oft als eine Art immaterielle und spirituelle Komponente des Menschen angesehen wurde und auch mit Vorstellungen von Schicksal, Ahnenverehrung und Jenseits verbunden war.
Achim: Das werden wir dann oft auch den nachfolgenden Völkern finden. So haben die Völker, die in den Bergen ein karges Leben führten, oft die satten Völker an den Flüssen überfallen, denen den Reichtum genommen und schließlich auch die Kultur. Von der eigenen Kultur blieb oft nicht viel übrig.
Karl: So ist es ja auch hier, aber bevor wir darauf kommen, wollte ich noch einmal etwas zu den Quellen sagen, denn wir denken uns das ja nicht aus.
Achim: Mir fällt da nur der Gilgamesch-Epos ein, in dem der König nach der Unsterblichkeit strebt.
Karl: Richtig, da kann man alles über die Vorstellung der Sumerer von der Unterwelt und dem Leben nach dem Tod erfahren, In der Dichtung ‚Enmerkar und der Herr von Aratta‘ erfährt man etwas über die Entstehung der menschlichen Sprache. Dort finden sich auch die Vorstellungen von den verschiedenen Schichten der Seele. Hier geht es also in der Tat um Interaktion mit der Umwelt.
Andreas: Sehr eindrücklich ist – finde ich – ‚Ein Hymnus auf Ninkasi‘, ein Lied über das Bierbrauen, das als göttliche Kunst betrachtet wird. Interessanterweise ist jene Göttin des Bieres auch die Schöpferin der menschlichen Seele. Dieser Hymnus sollte in Bayern zur Landeshymne erklärt werden.
Volker: Also, Herr Pfarrer! Dir hätte ich eher eine Liebe zu dem Text ‚Der lichterfüllte Gebetsweg‘ zugetraut, beschreibt er doch die rituelle Praktik, die verschiedenen Schichten der Seele, um so eine höhere spirituelle Realität zu erreichen. Kann man das nicht unter Seelsorge subsumieren?
Johannes: Diese und weitere Texte bieten jedenfalls einen Einblick in die komplexen Vorstellungen der Sumerer über die Seele und ihre Beziehung zum Leben und zum Tod. Man beachte jedoch, dass die Interpretation dieser Texte oft schwierig ist, da sie in einer alten Sprache geschrieben und oft metaphorisch oder symbolisch sind. Nun gibt es unter den Altorientalisten viel zu wenig Theologen, daher werden viele Texte auch nicht adäquat gedeutet.
Vergessen wir aber nicht Achims Anfrage. Die Chaldäer waren eine Gruppe von semitischen Menschen, die im südlichen Mesopotamien lebten und die Kultur und Religion der Sumerer beeinflussten. Ihre Vorstellungen von der Seele waren eng mit ihren religiösen Überzeugungen verbunden.
Andreas: Da sind wir ja schon fast in unserer Lebenswelt angekommen, denn als semitisches Volk haben sie teils Vorstellungen von den Sumerern und den späteren Babyloniern übernommen, teils deren Religion beeinflusst. Hier sind wir allerdings schon in einem Zeitraum der letzten dreitausend Jahre, darum müssten wir uns eigentlich erst den Ägyptern zuwenden, denn zu den Juden kommen wir doch ganz gewiss noch.
Achim: Damit kann ich gut leben, denn die ägyptische Kultur ist uns durch den immer wiederkehrenden Hype für die ägyptische Kultur ja sehr vertraut.
Karl: Bei den großen Kulturen gibt es bezüglich der Vielfalt der Vorstellungen von der Seele durch die 5000jährigen Geschichte immer wieder weitere Entwicklungen. Die ägyptische Vorstellung der Seele entwickelte sich nicht nur im Laufe der Geschichte, sondern wurde auch von verschiedenen Texten und Quellen beeinflusst, die mitunter von benachbarten Völkern kamen. Ein wichtiger Text in Bezug auf die ägyptische Vorstellung der Seele ist das Buch Amduat (Das Buch der verborgenen Kammer), welches die Reise der Sonne durch die zwölf Stunden der Nacht darstellt. In dieser Reise rettet die Sonne den verstorbenen König aus der Unterwelt und bringt ihn zurück ins Leben.
Achim: Ein anderer wichtiger Text ist das weltweit bekannte Totenbuch, auch bekannt als ‚Das Buch vom Jenseits‘, welches Gebete, Zaubersprüche und Anweisungen enthält, um den Verstorbenen auf seiner Reise durch die Unterwelt zu führen und ihn im Jenseits zu schützen.
Andreas: Aus der Polemik des Alten Testaments ist uns ja auch vertraut, dass die ägyptische Religion den Glauben an eine Vielzahl von Göttern und Göttinnen betonte, von denen viele enge Verbindungen zur Seele hatten. Zum Beispiel wurde der Gott Anubis oft als Beschützer der toten Seelen dargestellt und die Göttin Maat war für das Wiegen der Herzen von Verstorbenen zuständig, um zu entscheiden, ob sie ins Jenseits eintreten dürfen. Deshalb ist die ägyptische Vorstellung der Seele eine sehr komplexe und vielschichtige Mischung aus Texten und kulturellen Überzeugungen, die im Laufe der Geschichte Ägyptens entwickelt wurden.
Volker: In der ägyptischen Mythologie (ab etwa 3000 v. Chr.) ging man davon aus, dass jeder Mensch eine Ka genannte 'zweite Seele' hat, die das Leben unterstützt und nach dem Tod weiterlebt. Vor allem geht es aber um ‚Ba‘. Ägypter glaubten, dass der ‚Ba‘ die Persönlichkeit, den Charakter und die Identität des Individuums enthält und vom Körper bei Tod getrennt wird. Der ‚Ba‘ wurde als Vogel dargestellt und hatte die Fähigkeit, zwischen der Welt der Lebenden und der Toten zu reisen. Um sicherzustellen, dass der ‚Ba‘ nach dem Tod des Körpers in die Unterwelt gelangte und das Leben nach dem Tod fortsetzen konnte, wurden rituelle Bestattungspraktiken wie die Mumifizierung, das Aufstellen von Opfergaben und das Lesen von magischen Formeln durchgeführt.
Achim: ‚Ba‘ wurde als ein Teil der menschlichen Seele angesehen, der als Geist oder beseelende Kraft des Körpers dachte. Der ‚Ba‘ galt als die Persönlichkeit, die Fähigkeit des Menschen, zu denken und zu fühlen, sowie er auch die individuellen Eigenschaften enthält. Als Vogel dargestellt konnte er den Körper nach dem Tod verlassen und durch die Unterwelt fliegen, um das nächste Leben zu erreichen. Die alten Ägypter glaubten, dass der ‚Ba‘ einen wichtigen Teil der Unsterblichkeit einer Person ausmachte und dass es notwendig war, ihn – wie Volker schon sagte - durch rituelle Praktiken, einschließlich der Mumifizierung des Körpers, zu erhalten.
Karl: Die Hauptquellen über die Seele ‚Ba‘ im alten Ägypten sind die ägyptischen religiösen Texte und Hieroglypheninschriften, die auf Grabstätten, Tempeln und anderen antiken Bauwerken gefunden wurden. Einige der wichtigsten ägyptischen Texte, die sich auf den ‚Ba‘ beziehen, sind das ‚Buch der Toten‘ und das ‚Buch der Tore‘, die beide Beschreibungen der Reise der Seele ins Jenseits und ihrer Begegnungen mit verschiedenen Gottheiten und Dämonen in der Unterwelt enthalten.
Andreas: