Männergespräche in Wustermark - Johannes Simang - E-Book

Männergespräche in Wustermark E-Book

Johannes Simang

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Beschreibung

Bei dem Blick auf die Kirchengeschichte des Havellandes von Wustermark aus wird deutlich, wie eng das Schicksal der Gemeinde mit den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der jeweiligen Epochen verwoben war. Von der Reformation bis zur Nachkriegszeit des II. Weltkrieges haben die Pfarrer nicht nur als Seelsorger, sondern auch als moralische Kompassgeber agiert. Ihre Verantwortung erstreckte sich über die Grenzen der Gemeinde hinaus, indem sie die Entwicklungen im Havelland, in Spandau und auch in der Metropole Berlin aufmerksam verfolgten. Im ausgehenden 19. Jh. wurde die Superintendentur Potsdam II (Land) in Wustermark angesiedelt. Nun gingen von dem damaligen 500-800 Seelendorf erstaunliche Impulse aus - als Vertreter der Bekennenden Kirche setzten sie sich für die Werte des Glaubens und der Menschlichkeit ein. Die Gespräche sind literarische Ergänzungen, die helfen sollen, Ereignisse und Situationen zu verinnerlichen.

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Gewidmet:

Meinen Gesprächspartnern in Wustermark:

Rüdiger Vogel, Günther Tessenberg, Rainer Schulze, Udo Klaus, Dirk Herrmann, Wolfgang Schröder

Ganz besonders den Leitern des Männerkreises:

Pfr. i.R. Gottfried Wiarda Wolfgang Schröder Rüdiger Vogel

Inhalt

Kap. I Wustermark und seine Anfänge

Kap. II Gedanken zur Kirche seit Luther

Kap. III Ernst Fidicin über das Dorf Wustermark

Kap. IV Unsere Pfarrer in Wustermark Nr.1

Kap. V Der zweite Pfarrer von Wustermark

Kap. VI Der dritte Pfarrer von Wustermark

Kap. VII Der vierte Pfarrer von Wustermark

Kap. VIII Der fünfte Pfarrer von Wustermark

Kap. IX Der sechste Pfarrer von Wustermark

Kap. X Der siebte Pfarrer von Wustermark

Kap. XI Der achte Pfarrer von Wustermark

Kap. XII Der neunte Pfarrer von Wustermark

Kap. XIII Der zehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XIV Der elfte Pfarrer von Wustermark

Kap. XV. Der zwölfte Pfarrer von Wustermark

Kap. XVI Der dreizehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XVII Der vierzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XVIII Der fünfzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XIX Der sechzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XX Der siebzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XXI Der achtzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XXII Der neunzehnte Pfarrer von Wustermark

Kap. XXIII Der zwanzigste Pfarrer von Wustermark

Kap. XXIV Der 21. Pfarrer von Wustermark

Kap. XXV Der 22. Pfarrer von Wustermark

Kap. XXVI Pfarrerliste und Schlussgedanken

Vorwort

Vor fast 20 Jahren hat Pfr. i.R. Gottfried Wiarda, Landesmännerpfarrer der EKBO den Männerkreis in Wustermark, seinem damaligen Ruhesitz, gegründet. 2018, als ich in den Ruhestand ging, und Nachfolger des inzwischen verstorbenen Gottfried Wiarda in der Männerarbeit wurde, lud mich Wolfgang Schröder nach Wustermark ein. Daraus ergab sich eine recht regelmäßige Teilnahme (mit Unterbrechungen). Nachdem Gott auch Wolfgang Schröder zu sich nahm, übernahm Rüdiger Vogel diesen Dienst – zum einen, um des Männerkreises willen, aber auch, um den Dienst seiner Vorgänger zu würdigen.

Immer wieder sorgt er für Impuls-Vorträge durch Menschen aus den umliegenden Gemeinden, oder aus dem eigenen Kreis. So bleiben wir im steten Gespräch. Der Gedanke, solche Gespräche in einem Buch zu veröffentlichen, brachte uns dann auch darauf chronistisch zu arbeiten, weil niemanden eine Kirchenchronik von Wustermark bekannt war. Mangels Studium der Kirchbücher wurde es dann eine kirchengeschichtliche Betrachtung aus der Sicht der Wustermarker Pfarrer auf das Geschehen im Havelland. Aus Potsdamer Sicht wird ein Historiker ‚blinde Flecken‘ wahrnehmen, also mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. In den Jahren zuvor lag der Focus eher in Richtung Spandau und Berlin, da von dort auch lange das ‚ius patronatus‘ ausging. Anfangs von Kloster in Spandau, später von der Petrikirche in Berlin-Cölln.

Wustermark war aufgrund seiner Lage ein Ort, der immer ein wenig Nabel der Welt war, durch seine Lage ein landwirtschaftliches Zentrum. Als es dem Kreis Potsdam II (Land) zugeordnet wurde, erwies es sich Ende des 19. Jahrhunderts als idealer Ort für die Superintendentur. Obwohl es bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ein Dorf von etwas über 800

Bewohnern war, gingen von dort doch viele Impulse aus. Für eine Chronik dürfte sich also viel Material finden. Wie haben uns mit dem begnügt, was wir vorgefunden haben und werden noch manches Gespräch über die Ereignisse in Wustermark führen. Alle genannten Ereignisse sind historisch und finden sich bei Daniel Friedrich Schulze oder Ernst Fidicin aus Spandau und Berlin, die natürlich ihre Umgebung auch immer im Blick hatten – wie wir umgekehrt aus Wustermark diese Orte.

Wir, im Männerkreis, sind nicht mehr die Jüngsten, aber vielleicht lockt es ja jüngere Männer, solche gepflegten Gespräche über unser Christsein und über Gott und die Welt zum Teil ihres Lebens zu machen. Uns bereichert es jedenfalls sehr, was Rüdiger Vogel und seine Vorgänger für uns immer neu ‚aufbereitet‘ haben.

Johannes Simang

Kap. I Wustermark und seine Anfänge

Johannes: Ihr lebt hier in diesem Ort Wustermark, indem wir uns seit Jahren als Männerkreis treffen. Wisst ihr eigentlich etwas von den Anfängen?

Rüdiger: Ich lebe zwar in Falkensee, bin aber seit der Gründung des Männerkreises durch Pfarrer Gottfried Wiarda dabei. Aber ich habe natürlich manches wahrgenommen. Wustermark, eine kleine Gemeinde im Havelland in Brandenburg, die immer ein ländliches Zentrum war, nun leben hier mehr als 2600 Menschen, zählt man die eingemeindeten Orte mit, sind es über 11.000. Die Wurzeln von Wustermark reichen weit zurück in die frühgeschichtliche Zeit, als das Gebiet von verschiedenen Völkern besiedelt war. Die reiche Geschichte der Region, die durch archäologische Funde und historische Dokumente belegt ist, erzählt von den verschiedenen Kulturen, die hier lebten, und den bedeutenden Veränderungen, die das Havelland über die Jahrhunderte hinweg durchlief.

Günther: Aus Ausstellungen weiß ich: Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung im Raum Wustermark lassen sich bis in die Zeit der Germanen zurückverfolgen. Der germanische Stamm der Semnonen hatte sich um den mittlerweile verlandeten Wublitz-See und entlang der Wublitz-Rinne niedergelassen. Archäologische Funde, darunter Keramiken und Überreste von Lagerplätzen, belegen die Anwesenheit dieser frühen Siedler. Bei Buchow- Karpzow und Priort wurden sogar Gräberfelder entdeckt, die auf eine organisierte Gesellschaft hinweisen. Diese frühen Gemeinschaften lebten von der Landwirtschaft und der Jagd und hinterließen ein Erbe, das bis in die heutige Zeit nachwirkt.

Rainer: Mit der Völkerwanderung im 4. und 5. Jahrhundert verließen die meisten Germanen das Havelland, und die Region erlebte einen Wandel. Etwa im 6. Jahrhundert n. Chr. wanderten die ersten Slawen, die Wenden, in das Gebiet ein. Diese Gruppe formierte sich zum Stamm der Heveller, dessen Einfluss auf die Region bis heute spürbar ist. In Wustermark sowie in Buchow-Karpzow und Dyrotz zeugen Reste alter Burganlagen von der slawischen Herrschaft und der strategischen Bedeutung des Gebiets.

Udo: Ich leben im jüngsten Teil der Kommune Wustermark, im Enstal. Ich weiß mehr über unsere jüngere Geschichte, aber manches eben doch auch von den Anfängen.

Im 12. Jahrhundert erlebte das Havelland eine entscheidende Wende, als Albrecht der Bär die Region eroberte. Um ihre Herrschaft zu sichern, errichteten die Askanier Burgen und befestigte Siedlungen, wobei sie oft auf bestehende slawische Wälle zurückgriffen. In Wustermark nutzten die deutschen Eroberer später den alten slawischen Wall, der sich an der engsten Stelle der Wublitz-Rinne befand, um ihre Position zu festigen. Diese militärischen Maßnahmen waren nicht nur für die Verteidigung wichtig, sondern trugen auch zur Ansiedlung deutscher und flämischer Einwanderer bei, die in der Region dörfliche Siedlungen gründeten.

Dirk: Ich kenne die Geschichte eher aus Urkunden, die zu allen möglichen Gelegenheiten gezeigt wurden. Die Ersterwähnung von Wustermark in mittelalterlichen Urkunden ist ein wichtiger Meilenstein, der den Beginn einer neuen Ära für die Gemeinde markiert. Die dörfliche Struktur, die in dieser Zeit entstand, legte den Grundstein für die heutige Gemeinde. Die Geschichte von Wustermark ist eng mit den märkischen Landadelsfamilien verbunden, wie den Bredows und Ribbecks, die über Jahrhunderte hinweg Einfluss auf die Entwicklung der Region hatten. Später kamen auch die Montetons hinzu und prägten die Geschichte weiter.

Wolfgang: Die Entwicklung von Wustermark setzte sich über die Jahrhunderte fort. Die landwirtschaftlich geprägte Region erlebte im 19. Jahrhundert eine Phase der Industrialisierung, die durch die Nähe zu Berlin begünstigt wurde. Diese Veränderungen führten zu einem Anstieg der Bevölkerung und einer Urbanisierung vieler Orte wie Staaken. Wustermark blieb jedoch seinem ländlichen Charakter treu und entwickelte sich zu einem attraktiven Wohnort für Pendler, die die Ruhe und Natur der Umgebung schätzen.

Rüdiger: Ich konstatiere: Die Geschichte von Wustermark ist ein Beispiel für die Entwicklung einer Gemeinde über Jahrhunderte. Von den frühen Besiedlungen durch die Semnonen und die Heveller über die Eroberung durch Albrecht den Bären und die Ansiedlung deutscher Einwanderer bis hin zur modernen Gemeinde ist Wustermark ein Ort, der von den Veränderungen der Zeit geprägt ist. Die Verbindung von Geschichte, Kultur und Natur macht Wustermark zu einem einzigartigen Ort, der sowohl die Vergangenheit ehrt als auch die Zukunft aktiv gestaltet. Wir werden uns all das auch genauer ansehen, aber ein Grundthema ist unsere Kirche.

Rainer: Richtig. Wie stellt sich unsere Kirche eigentlich heute dar. Das geht natürlich über Wustermark hinaus, aber wir werden manches hier vor Ort noch beschreiben.

Kap. II Die Entwicklung der Kirche seit Luther

Die Entwicklung der Kirche seit den Zeiten Martin Luthers im 16. Jahrhundert ist von tiefgreifenden Veränderungen geprägt, die sowohl die Struktur als auch die Theologie der Kirche betreffen.

Die Reformation und ihre Folgen

Martin Luther löste mit seinen 95 Thesen im Jahr 1517 die Reformation aus, die zu einer Spaltung der westlichen Christenheit führte. Luther kritisierte die Praktiken der römisch-katholischen Kirche, insbesondere den Ablasshandel, und forderte eine Rückkehr zu den biblischen Grundlagen des Glaubens. Seine Lehren führten zur Gründung der lutherischen Kirche und später zu weiteren protestantischen Bewegungen.

Sola Scriptura

Ein grundlegendes Prinzip der Reformation war „Sola Scriptura“ (Allein die Schrift), das die Bibel als höchste Autorität in Fragen des Glaubens und der Praxis betont. Dies führte zu einer stärkeren Betonung der individuellen Bibelauslegung und der persönlichen Beziehung zu Gott, was das Bild der Kirche als institutionelle Autorität veränderte.

Priestertum aller Gläubigen

Luther und andere Reformatoren lehrten das Konzept des „Prie-stertums aller Gläubigen“, das besagt, dass jeder Gläubige direkten Zugang zu Gott hat und eine aktive Rolle in der Gemeinde spielt. Dies führte zu einer Demokratisierung des kirchlichen Lebens und einer Abkehr von einer stark hierarchischen Struktur.

Vielfalt der Glaubensgemeinschaften

Die Reformation führte zur Entstehung verschiedener protestantischer Konfessionen, die unterschiedliche theologischen Ansichten und Praktiken entwickelten, darunter die lutherische, reformierte, anglikanische und baptistische Tradition. Diese Vielfalt führte zu einer pluralistischen Kirchenlandschaft, die bis heute anhält.

Veränderung der Gottesdienste

Die Liturgie und die Gottesdienste wurden in vielen protestantischen Kirchen vereinfacht und ins Volkssprachliche übersetzt. Dies machte den Gottesdienst für die Gläubigen zugänglicher und förderte die aktive Teilnahme der Gemeinde. Die Sakramente wurden oft neu interpretiert, wobei der Fokus auf der Gnade Gottes lag.

Soziale Verantwortung

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Rolle der Kirche in der Gesellschaft weiterentwickelt. Während des 19. und 20. Jahrhunderts engagierten sich viele protestantische Gemeinschaften verstärkt in sozialen Fragen, wie der Arbeiterbewegung, der Bildung und der Wohlfahrt. Dies führte zu einer stärkeren Verbindung zwischen Glauben und gesellschaftlicher Verantwortung.

Ökumene und interreligiöser Dialog

Im 20. Jahrhundert begann eine verstärkte ökumenische Bewegung, die den Dialog zwischen verschiedenen Konfessionen förderte. Die evangelische Kirche hat sich zunehmend für die Einheit der Christen eingesetzt, was auch eine Abkehr von der früheren Konfrontation zwischen den Konfessionen bedeutet.

Herausforderungen der Moderne

Die Kirche sieht sich heute Herausforderungen wie Säkularisierung, dem Rückgang von Kirchenmitgliedschaften und dem Verlust von Einfluss in der Gesellschaft gegenüber. Dies hat viele Gemeinden dazu gebracht, neue Wege zu suchen, um Menschen zu erreichen und relevant zu bleiben.

Rüdiger: Man kann also sagen, die Entwicklung der Kirche seit den Zeiten Luthers ist von einer Vielzahl von theologischen, sozialen und kulturellen Veränderungen geprägt. Die Reformation hat nicht nur die Struktur und das Selbstverständnis der Kirche grundlegend verändert, sondern auch die Beziehung der Gläubigen zur Kirche und zu Gott neu definiert. Die Herausforderungen und Chancen der modernen Welt erfordern eine fortwährende Reflexion über die Rolle der Kirche und ihr Verständnis von Gemeinschaft, Mission und Glauben. Aber hat sie nicht auch viel aufgegeben?

Johannes: Die evangelische Kirche hat im Vergleich zur lutherischen Kirche der Reformationszeit einige Veränderungen und Entwicklungen durchlaufen, die sowohl theologische als auch praktische Aspekte betreffen. Zentrale Punkte, die aufzeigen, was die evangelische Kirche im Laufe der Zeit im Vergleich zur lutherischen Kirche der Reformationszeit aufgegeben oder verändert hat, sind: Dogmatische Strenge - in der Reformationszeit war die lutherische Kirche stark von den theologischen Ideen Martin Luthers geprägt, die in bestimmten dogmatischen Aussagen und Bekenntnissen festgehalten wurden (z. B. im Augsburger Bekenntnis). Im Laufe der Zeit hat die evangelische Kirche eine größere Vielfalt an theologischen Positionen und Interpretationen zugelassen, was zu einer breiteren Palette von Glaubensauffassungen innerhalb des Protestantismus geführt hat. Der Nachteil: Viele sind in Freie Kirchen abgewandert, wo sie viel intensivere Glaubenserfahrungen suchen und wohl auch finden.

Rainer: Die lutherische Kirche der Reformationszeit hatte eine relativ klare hierarchische Struktur, die in vielen Fällen von staatlicher Autorität unterstützt wurde (z. B. in lutherischen Territorien). In der modernen evangelischen Kirche gibt es eine stärkere Betonung der Autonomie der Gemeinden und eine Vielzahl von Organisationsmodellen, einschließlich congregationalistischer Ansätze, die die hierarchische Struktur aufweichen.

Wolfgang: Die lutherische Kirche der Reformation hatte eine spezifische liturgische Praxis, die stark auf der Tradition basierte. In vielen evangelischen Kirchen hat sich die Liturgie im Laufe der Zeit verändert, um zeitgemäßer und zugänglicher zu sein. Dies hat zu einer Vereinfachung der Gottesdienstformen und einer stärkeren Betonung von informellen Elementen geführt. Aber offenbar erfahren einige Menschen dadurch nicht das spirituelle Erlebnis, das sie mit einem Gottesdienstbesuch verbinden.

Dirk: Die lutherische Kirche betonte die Bedeutung der Sakramente, insbesondere von Taufe und Abendmahl, als Mittel der Gnade. Während viele evangelische Kirchen diese Sichtweise beibehalten haben, gibt es auch Gemeinden, die die sakramentale Praxis weniger betonten oder unterschiedliche Auffassungen über die Bedeutung und Wirkung der Sakramente vertraten … und sie damit marginalisierten.

Udo: Die Reformationszeit war geprägt von einer stark schriftorientierten Theologie, die die Bibel als alleinige Autorität betonte (Sola Scriptura). In der modernen evangelischen Kirche gibt es eine Vielzahl von Ansätzen zur Bibelauslegung, einschließlich historisch-kritischer Methoden, die in der Reformationszeit weniger verbreitet waren. Dies hat zu unterschiedlichen Interpretationen und theologischen Positionen geführt. Zugleich hat die Kirche aber die Bildung fast komplett dem Staat übergeben – oder der hat sie eingefordert – und der Staat nimmt alle religiösen Aspekte aus dem Unterrichtsstoff, selbst ethische Bildungsangebote entzieht er den zu bildenden jungen Menschen. Sogar im Medizinstudium ist der Ethikunterricht den Spezialisierungen geopfert werden. Die Folge: Ärzte folgen kaum ethischen Grundsätzen, vielmehr haben viele monetäre Interessen.

Günther: Die lutherische Kirche der Reformationszeit hatte eine stark religiöse Ausrichtung, während die moderne evangelische Kirche oft ein stärkeres Engagement in sozialen und politischen Fragen zeigt. Viele evangelische Gemeinschaften setzen sich aktiv für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Menschenrechte ein, was in der Reformationszeit nicht so ausgeprägt war.

Das Gleiche gilt für die Ökumene. Die lutherische Kirche der Reformationszeit war stark auf die eigene Konfession fokussiert und oft in Konflikt mit anderen christlichen Gruppen. Die moderne evangelische Kirche hat sich zunehmend der ökumenischen Bewegung geöffnet und sucht den Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen und Religionen.

Rüdiger: Ich konstatiere: die evangelische Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte sowohl Fortschritte als auch Veränderungen im Vergleich zur lutherischen Kirche der Reformationszeit gemacht. Diese Entwicklungen spiegeln sich in der Vielfalt der theologischen Ansichten, der Kirchenstruktur, der Liturgie und des gesellschaftlichen Engagements wider. Die Herausforderungen und Gegebenheiten der modernen Welt haben die evangelische Kirche dazu veranlasst, sich neu zu definieren und ihre Rolle in der Gesellschaft zu überdenken.

Bleibt ein letztes großes Thema: Gemeinde als Gemeinschaft – das fängt doch damit an, dass ich mich bemerkt fühle.

Johannes: Die Erfahrung kenne ich. Ich gehe in Kirche, suche mir einen Platz … obwohl nur 10-15 Gottesdienstbesuchende sehe, fühle ich mich unbemerkt.

Wolfgang: Die aktive Förderung einer einladenden und gemeinschaftlichen Atmosphäre in der Gemeinde kann ebenfalls zur Evangelisation beitragen. Wenn Menschen sich willkommen und geschätzt fühlen, sind sie eher geneigt, zurückzukehren und mehr über den Glauben zu erfahren.

Rainer: Um die Gemeinde als Gemeinschaft zu erfahren und zu fördern, gibt es verschiedene konkrete Maßnahmen und Aktivitäten, die eine Gemeinde ergreifen kann. Das fängt mit regelmäßigen Veranstaltungen an, die die Mitglieder der Gemeinde zusammenbringen, wie Gemeindeessen oder Potlucks. Gemeinsames Essen fördert das Miteinander und schafft Gelegenheiten für persönliche Gespräche.

Dirk: Und was sind Potlucks?

Rüdiger: Potlucks sind eine beliebte Möglichkeit, Gemeinschaft zu fördern und soziale Bindungen zu stärken, indem Menschen zusammenkommen, um gemeinsam zu essen und ihre kulturellen oder persönlichen kulinarischen Beiträge zu teilen. Sie sind besonders in kirchlichen und gemeinnützigen Kontexten geschätzt, da sie sowohl eine spirituelle als auch eine soziale Dimension haben. Die Kürbissuppe am Reformationstag macht doch vielen Spaß. Schade nur, dass sie mit Halloween verbunden ist, aber die Kinder lieben Halloween.

Günther: Spieleabende oder Filmnächte, wie unsere Kinoabende in der Gemeinde sind doch schön: Solche informellen Zusammenkünfte können dazu beitragen, Beziehungen aufzubauen und die Gemeinschaft zu stärken.

Rainer: Bildung von kleinen Gruppen oder Hauskreisen, in denen Mitglieder sich regelmäßig treffen, um gemeinsam zu beten, die Bibel zu studieren oder einfach Gemeinschaft zu erleben. Diese Gruppen, wie unserem Männerkreis bieten doch einen Raum für tiefere Beziehungen und persönliche Unterstützung.

Udo: Engagieren sich die Gemeinden in sozialen Projekten oder Freiwilligenarbeit, die der Gemeinschaft zugutekommen. Dies könnte die Unterstützung von Bedürftigen, die Organisation von Nachbarschaftsaktionen oder die Zusammenarbeit mit lokalen Hilfsorganisationen umfassen. Gemeinsame Dienste stärken das Gemeinschaftsgefühl.

Wolfgang: Einrichtung von Mentoring-Programmen, in denen erfahrene Mitglieder neue oder jüngere Mitglieder unterstützen und begleiten. Früher waren Älteste der Gemeinde Begleiter der Katechumenen. Dies fördert nicht nur persönliche Beziehungen, sondern auch das Wachstum im Glauben.

Dirk: Unsere Ältesten sehen wir doch nicht einmal in den Gottesdiensten, geschweige denn, dass sie Menschen ‚begleiten‘.

Rüdiger: Holla, das ist doch eine abschätzige Verallgemeinerung. Ich kenne auch viele andere, denen Gottesdienst wichtig sind. Damit sind wir aber auch schon beim nächsten Thema: Gottesdienste und Anbetung.

Günther: Es geht darum, Gottesdienste so zu gestalten, dass sie eine einladende Atmosphäre schaffen. Dies könnte durch kreative Elemente, persönliche Zeugnisse oder interaktive Teile geschehen, die die Gemeinde aktiv einbeziehen.

Dirk: Letzteres hört sich für mich eher abschreckend an.

Wolfgang: Zum Glück sind Menschen verschieden, für andere ist es ein Grund wiederzukommen. Natürlich braucht es auch Willkommens- und Integrationsprogramme, also Programme, um neue Mitglieder willkommen zu heißen und ihnen zu helfen, sich in die Gemeinde zu integrieren. Dies könnte durch spezielle Willkommensveranstaltungen, Informationsmaterialien oder persönliche Kontakte geschehen.

Rainer: Kannst du dich erinnern, das je im GKR gemacht zu haben? Ich nicht. Damit will ich nicht sagen, dass ich es ablehne, ich bedaure es vielmehr.

Udo: Es braucht auch Familien- und Kinderprogramme. Das macht unsere Pfarrerin wirklich intensiv. In dem Kontext steht auch Halloween. Allerdings fand ich unsere Lutherspiele früher auch ganz schön. Wichtig ist aber, dass es Programme für Familien, Kinder und Jugendliche gibt, die sowohl geistliche als auch soziale Aspekte berücksichtigen. Solche Angebote fördern nicht nur den Glauben, sondern stärken auch die familiären Bindungen innerhalb der Gemeinde.

Rüdiger: Das Wie des Miteinandersprechens in der Gemeinde spricht auch wieder andere an. Damit kommen wir zum Thema ‚Offene Kommunikation‘. Das ist doch das Ziel der Gemeinde mit den regelmäßigen Gemeindebriefen, Newslettern oder Online-Plattformen. Es soll die Informationen über Veranstaltungen, Anliegen und Gebetsanliegen bereitstellen. Auch kulturelle und kreative Veranstaltungen bringen Menschen ins Gespräch.

Günther: Kulturelle Veranstaltungen, wie Konzerte, Kunstausstellungen oder Workshops, bezeugen auch Talente der Gemeindeglieder und die Gemeinschaft einbeziehen. Solche Veranstaltungen können auch Menschen außerhalb der Gemeinde anziehen. Viele Menschen hat die Kirche dadurch als Miteinander gewinnen können. Früher kamen 60% der Geistlichen aus Pfarrhaushalten, das zeigt doch, wie erfolgreich dies oft war. In der Regel wurden die jungen Menschen in Jungen Gemeinden für diese Berufe begeistert. Das fehlt uns heute. Und männliche Jugend erreichen wir schon gar nicht. Sicher sind Frauen im Pfarramt eine große Bereicherung, aber die Kirche wird das Übersehen der Männer teuer bezahlen.

Rüdiger: Als Männerkreis will ich das vorläufig als Schlussfrage akzeptieren.

Johannes: Die Frage, warum es der Kirche zunehmend schwer-fällt, Männer für den Pfarrberuf zu begeistern, ist komplex und wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Hier sind einige zentrale Aspekte, die zu dieser Entwicklung beitragen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Rolle von Männern in der Gesellschaft erheblich gewandelt. Traditionelle Geschlechterrollen werden hinterfragt, und viele Männer suchen nach Berufen, die ihnen eine klare Identität und berufliche Sicherheit bieten. Der Pfarrberuf, der oft mit emotionaler Arbeit und sozialer Verantwortung verbunden ist, wird möglicherweise nicht immer als attraktiv oder passend für die Vorstellungen vieler Männer angesehen.

Der Pfarrberuf wird von einigen als wenig attraktiv wahrgenommen, insbesondere in einer Zeit, in der die Kirche an Einfluss und Mitgliederzahlen verliert. Die Herausforderungen, mit denen die Kirche konfrontiert ist, wie sinkende Mitgliederzahlen, finanzielle Engpässe und die Notwendigkeit, innovative Ansätze zu finden, können potenzielle Bewerber abschrecken.

Günther: Die beruflichen Perspektiven im Pfarrberuf können als begrenzt wahrgenommen werden. Viele Männer könnten sich für Berufe entscheiden, die ihnen eine größere Vielfalt an Karriere-wegen und Entwicklungsmöglichkeiten bieten.

Dirk: Die Gesellschaft wird zunehmend säkular, und viele Menschen, einschließlich Männer, haben möglicherweise weniger Kontakt zur Kirche oder zu religiösen Praktiken. Dies kann den Anreiz verringern, sich für einen geistlichen Beruf zu entscheiden, da die Verbindung zur Kirche nicht mehr so stark ist wie in früheren Generationen.

Udo: Es gibt möglicherweise auch Vorurteile oder Stereotypen über den Pfarrberuf, die ihn als weniger „männlich“ oder als weniger herausfordernd wahrnehmen. Dies könnte dazu führen, dass Männer sich nicht für diesen Beruf interessieren oder sich nicht angesprochen fühlen. Im Lehrerbereich erlebe ich es ja ähnlich.

Wolfgang: Ein Mangel an männlichen Vorbildern in der Kirche kann ebenfalls eine Rolle spielen. Wenn in einer Gemeinde oder einem Kirchenkreis keine männlichen Pfarrer vorhanden sind, könnte dies potenzielle Bewerber davon abhalten, diesen Weg zu wählen.

Die Ausbildung zum Pfarrer ist aber auch langwierig und anspruchsvoll, was einige Männer davon abhalten könnte, diesen Weg einzuschlagen. Die Anforderungen an das Studium der Theologie und die anschließende praktische Ausbildung können als hinderlich empfunden werden.

Johannes: Du hast ja recht. Die Herausforderung, Männer für den Pfarrberuf zu gewinnen, ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von gesellschaftlichen, kulturellen und institutionellen Faktoren. Um dem entgegenzuwirken, könnten Kirchen und Gemeinden gezielte Programme entwickeln, die Männer ansprechen, sowie Mentoring- und Unterstützungsangebote schaffen, um den Pfarrberuf attraktiver zu gestalten und ein positives Bild von der geistlichen Arbeit zu vermitteln. So hat man es ja auch für Frauen in Führungspositionen in der Kirche gemacht. Als Mitglied des Gleichstellungsausschusses der Kirche habe ich erlebt, wie erfolgreich es bei den Pfarrerinnen ankam. Also auch die Förderung einer offenen und einladenden Kultur innerhalb der Kirche könnte dazu beitragen, mehr Männer für den Dienst zu begeistern. Denn geschieht es nicht, verliert unsere Kirche an Reputation in der Gesellschaft. Ein Beispiel ist der Beruf von Erziehenden.

Rüdiger: Das erfahre ich als Erzieher oft genug. Also, eine Gemeinde als Gemeinschaft zu erfahren, erfordert bewusste Anstrengungen und kreative Ansätze. Indem Gemeinden eine einladende, unterstützende und engagierte Umgebung schaffen, können sie tiefere Beziehungen aufbauen, das geistliche Wachstum fördern und ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickeln. Es ist wichtig, dass die Gemeindeglieder in den Prozess einbezogen werden und ihre Ideen und Talente zur Gestaltung der Gemeinschaft einbringen können.

Congregationalistische Modelle fördern eine starke Gemeinschaft und Eigenverantwortung unter den Mitgliedern, was zu einer lebendigen und dynamischen Kirchenkultur führen kann. Die Betonung auf Autonomie und demokratische Mitbestimmung ist ein charakteristisches Merkmal, das diese Modelle von anderen Kirchenorganisationen unterscheidet, die zentralisierte oder hierarchische Strukturen haben.

Wolfgang: Überprüfen wir es doch an unserer eigenen Gemeinde. Lasst uns die Pfarrer unserer Gemeinde in den Anfängen bis in unser Jahrhundert ansehen und dabei auch die Entwicklung unserer Gemeinde im Auge behalten. Was finden die ersten evangelischen Prediger wohl in Wustermark vor.

Rüdiger: Da es bei uns bis auf die kleine Ausstellung und die Kirchbücher keine uns bekannten Aufzeichnungen gibt, habe ich mich mit Johannes geeinigt auch Berliner und Spandauer Quellen zu sichten. Kirchengeschichte, die Wustermark berührt hat, kam ja meist auch aus Berlin, Spandau oder Potsdam.

Kap. III Chronisten der Umgebung über Wustermark

Ernst Fidicin über Wustermark

(Leiter des Berliner Stadtarchivs):

Wustermark, ein zum Amt Spandow gehöriges Dorf,1 1/8 Meilen südöstlich von Nauen.

Nach seinem Namen wurde dies Dorf zu deutscher Zeit auf der wüsten Mark oder Grenze des ‚Landes um Nauen‘, wie der mittlere Teil des Havellandes sonst hieß, angelegt.

Es wird zuerst in einer Urkunde von 2012, nach welcher der Vogt Albrecht zu Spandow dem Kloster Lehnin zwei Hufen Landes „in Wustermarke“ zu seinem und dem Seelenheil seiner Ehegattin schenkte, erwähnt; und in gleicher Art wird es in Urkunden vor Jahr 1215, 1220 und 1307, worin der Bischof von Brandenburg über die Zehnten des Dorfes disponiert und der Trugess des Markgrafen Hermann (Das Truchsessenamt gehört wie Marschall, Schenk und Kämmerer zu den höchsten Hofämtern), der Ritter Busse Gruvelhut, der Lazaruskapelle von Spandow vier Hufen in der Feldmark dieses Dorfes schenkt,2 wie in allen späteren Urkunden geschrieben. Es hatte im Jahre 1313 bereits eine Kirche, an welcher ein Pfarrer Weger fungierte,3 und eine Burg, die an der alten Heerstraße zwischen Brandenburg und Spandow erbaut, vielleicht in älterer Zeit zu kriegerischen Zwecken oder zur Sicherung der Umgegend bestimmt gewesen sein mochte – im Jahre 1434 belehnte der Markgraf Johann den Ritter Hasse von Bredow mit einer jährlichen Hebung von der Burg zu Wustermark (s. Riedel).

Nach dem Landbuch vom Jahr 1375 hatte Wustermark 44 Hufen, von welchen der Pfarrer 2, der Schulze 3 Lehnhufen und ein Zinshufe besaßen, und die übrigen 38 Hufen waren im Besitz folgender 12 Bauern: Bolling, Brunning, Clodow, Fetzen Guris, Herbert, Hun, Kartzow d. Ält., Kartzow d. Jü., Mewes, Nibede und Zabel. Den größten Teil der Abgaben, welche dieselben an Pacht, Zins und Bede zu leiden hatten, erhoben: Ernst von Etzin, Nicolaus von Gröben, Andreas von Eulen, Matthias von Kare, Arnold von Kartzow, Johann von Knobloch, Prigard, Tamme von Röbel, Nikolaus Schlaberndorf, die Mönche in Lehnitz, Herr Johann Zabel (Geistlicher), ein Altar in Spandow (Lazaruskapelle von Spandow), der Pfarrer Crummensee in Zeestow, der Schulze Ronneborn, der Schulze in Zeestow, die Witwe Gures, die Bauern: Fetzen, Eckendorf, Pausin und der Bürger Dammeker in Nauen (Landbuch S.104). Alles Übrige, sowie auch die obere und niedere Gerichtsbarkeit und die Dienste besaß der Markgraf zum Schloss Spandow (Erbregister Land Spandow 1590). Das Patronatsrecht ging später ans Domstift zu Cölln (Berlin) über. Das Schulzengericht kam in den Besitz in der von Priort, die es, nach einem Lehnbrief von 1536, den Gebrüdern Levin und Bertold von Wilmersdorf veräußert hatten.6 Es bestand in drei freien Hufen, Zinsen und Renten vom Kruge, von einem Kossätenhof, in Wiesen, Bau- und Brennholz aus dem Brieselang, ein Drittel der Strafen (Straßen?), Fischerei auf den Pfühlen und Mist aus der Schmiede.

Die von Wilmersdorf traten diese Besitzung gegen Ende des 17 Jh. dem kurfürstlichen Rat und Bibliothekar Ernst Siegismund Crellius ab, der sie 1715 dem Etatsrat von Fuchs veräußerte, und von dessen Enkeln sie der Familie Schmidt überlassen wurde.

Im Jahre 1375 waren mit Einschluss des Schulzen, 13 Hüfner vorhanden, die im 17. Jh. um zwei vermehrt wurden. – Sie hatten zum Amt Spandow Holzzins zu entrichten, wie die Amtsrechnung von 1550 ergibt. In derselben sind die Namen der damaligen Ortseinwohner dahin angegeben: Bredow, Beltin, Dame, Ereber, Goris, Hornigmann, Kuhelier, Lange, Martzan, Moeß, Mertin, Wunderlich und Zander. Aus dieser Mitteilung ergibt sich, dass von denjenigen Familien, welche im Jahre 1375 zu Wustermark angesessen waren, nur noch eine einzige, die Familie Goris, sich im Besitze erhalten hatte.

(Die Hochzahlen gelten für Quellen bei Riedel und Waldemar Kidden, weitere Angaben sind im Text zu finden.)

Pfr. Daniel Friedrich Schulze – Chronist Spandows

Wustermark: Nach dem Landbuch zum Spandauer Schloss gehörig, das Hebungen und Spanndienste einfordern konnte und die Gerichtsbarkeit ausübte. Schon1375 hatte es zwei Krüge. Im 18. Jh. hatte es zwei Postverbindungen, a) nach Brandenburg und Magdeburg, b) nach Rathenow und die Altmark. 1779 hatte Wustermark 300 Einwohner, um 1850 über 500. Das Kirchenpatronat hatte das Domkapiteldirektorium zu Berlin. Das Amt Spandow vertrat das Patronat im Dorf Wernitz, nahe Wustermark. Als erster Pfarrer von Wustermark wurde 1220 ein Pfarrer Benedict genannt.

Zwei katholische Pfarrer sind also vor der Reformation bekannt: 1220 Pfarrer Benedict und 1313 Pfarrer Weger.

Kap. IV Der 1. ev. Pfarrer in Wustermark

Rüdiger: 1539 Die letzte Kirchenversammlung vor der Reformation suchte die kirchlichen Schäden zu heilen. Allgemein war es in der Mark Brandenburg übel bestellt. Alle Laster und Ausschweifungen, besonders das ‚Volltrinken‘ waren im Schwunge und die Geistlichkeit ging mit dem bösen Beispiel voran. Sie war so entartet, dass sie nicht nur den Volksunterricht gänzlich vernachlässigte, sondern absichtlich jede Art von Aberglaube beförderte. Allgemein war der Glaube an die Wunderkraft der Reliquien, an Hexen und Hexenmeister, an Zauberer und Teufelsbeschwörer. Gott und sein Reich ward nicht gesucht und wo es gesucht wurde, fehlte beim Suchenden der klare Blick, es zu finden. (A. Crüger, Chronik der Stadt und Festung Spandow). Hier ist sicher auch Polemik im Spiel.

Rainer: Sehen wir erst einmal auf den Regierenden der Mark: Der Hohenzollern Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, Hector (1505-1571) regierte von 1535-1571. Er war verheiratet mit Magdalena von Sachsen (1507-1534) und Hedwig Jagiellonica (15131573).

Johannes: Nun zu dem Geschehen, welches die ganze Mark beschäftigte: Zur Reformation (nach Superintendent Daniel Friedrich Schulze zu Spandow, aufgeschrieben um 1780)

„Dieses Jahr ist in der Spandowschen Geschichte sehr merkwürdig, weil darin Stadt und Kloster öffentlich die evangelische Lehre angenommen haben und besonders der Churfürst hier am Tage Aller Heiligen in der Nicolai Kirche mit seiner Mutter, die hier ihre Leibgedinge hatte (Rentensitz), in Gegenwart des ganzen Hofes, der Land Stände und vieler hierher verschriebener Lehrer das Abendmahl unter beyderley Gestalt genommen; seit welcher Zeit noch das Fest Aller Heiligen hier jährlich als Dankfest gefeyert und ein Danck Gebet, das vielleicht noch von jenen Zeiten her, wenigstens sehr alt, abgelesen wird. [Als den 1.Nov.1539 der Bischof Matthias von Jagow hier die erste Predigt hielt, waren alle neuen Evangelischen Prediger, für die Churmark bestimmt, zugegen; auch begaben sich die Berlinschen Bürger in großen Schaaren her, um sich in der Verbesserung ihres bisherigen Gottesdienstes unterrichten zu lassen; s. Königs Historie Schild von Berlin Th.1. S.77.78].

Es ist merkwürdig, dass von der wichtigen Sache weder eigene acta, noch Nachrichten in der Kämmerei- oder Kirchen-Rechnung vorhanden sind; man müsste dahin rechnen die zum Rathause befindliche Handlung und Beschluss von 1539 zwischen dem Rat und Capitel allhier zu Spandow, wie es in der Folge mit Predigern, Kirchendienern und derselbigen Ämtern in gemeiner Stadt und Kloster Kirche mit der Bestellung des Soldes soll gehalten werden. Das Capitel verspricht dazu 44 Gulden, 4 Ruthen Holz aus der Kloster Heyde und 1 Wispel Roggen; und dass der Vier Zeiten Pfennig von des Klosters Diener, dem der Johann Kauliz und Herr Heinrich M. werden genannt. Dem Capitel solle in dessen Kloster Kirche wöchentlich einen Tag, wenn es möglich ist, zwey gepredigt werden.

Nach Jubilate 1539 wurde an der Pfarre gebauet, auch die alte Zelle auf dem Kirchhofe ausgebessert.

Zu der feyerlichen Communion am 1.Nov.1539 fand sich hier nicht nur der Churfürstliche Hof ein, sondern auch ein großer Teil von den Land Ständen und viele Lehrer, die hierher verschrieben waren, unter welchen auch Thomas Baiz von Brandenburg und Johann Ludecus von Franckfurt zugegen waren. Der Churfürst empfing nebst der hier residierenden verwitweten Churfürstin Elisabeth, dem ganzen Hof Staat und den versammelten Land Ständen in dieser Kirche, nach der von George Buchholzer, Hof Prediger der verwitweten Churfürstin, gehaltenen öffentlichen Predigt, das heilige Abendmahl nach der Einsetzung des Erlösers, aus den Händen des Bischofs von Brandenburg, Matthias von Jagow. Wenn Heinrich Schmidt in seiner Brandenburgischen Kirchen- und Reformations-Historie hiervon redet; so sagt er: der Churfürst erwählte zu solcher öffentlichen Änderung das bey ihm sehr beliebte Spandow, zumal die Churfürstliche Mutter hier ihr Leibgedinge hatte und längst sehnlich auf diese glückliche Veränderung gehofft hatte, als die immer begierig gewesen war, dies wichtige Werck noch zu erleben. Hier wurde dann am besagtem Tage erst eine öffentliche evangelische Predigt gehalten, was die verwitwete Churfürstin bisher nur in ihrem Zimmer hatte thun lassen. Es soll ein solcher Zulauf von Hohen und Niedrigen dabey gewesen seyn, dass nicht nur die Leute aus Berlin, sondern auch aus anderen benachbarten Städten häufig hierhergefahren und gelaufen, solche öffentliche Predigt mit anzuhören und der Communion des Churfürsten mit zuzusehen. Dass eine der zahlreichen Versammlung an diesem Tage hier gewesen, beweist auch das Hauß Buch der ausgestorbenen adligen Schwanebeckschen Familie, darin Matthias von Schwanebeck, Erb Lehn Richter zu Teltow, folgendes darin eingetragen: Als der Hochwürdige Bischof Matthias von Brandenburg, anno 1539 im Heimzug von Cölln in Teltow gewesen, haben sich die Edlen und Junkern aus dem Teltow in meines Vaters seel. Hause fleißig zu ihm versammelt und sich mit ihm wegen der reinen göttlichen Lehre beratschlagt und sind alle eines Sinns und Wissens gewest, selbige anzunehmen und standhaft zu bekennen, auch, dass sie ihre Pfarrer und plebanos, die sich sperren wollten, zwar nicht durch Gewalt verjagen und verfolgen, sondern ihnen Unterhalt reichen und sich inmittelst nach Predigern der reinen Lehre umthun wollten. Dies haben sie alle in einem vorgelegten Revers bezeuget, unterschrieben und besiegelt. So geschehen am 18ten April 1539. Die Namen hießen: Jochen von Schwanebeck zu Teltow, Jochen von Hake zu Sand Machenow, Jochen von Schlabrendorff zu Schloss Beuthen, Hans von Berne zu Groß Berne (Beeren), Christoph zu Berne zu Schoenow, Carl Sigmund von der Liepen zu Blankenfelde, Otto von Britzke zu Britzke, Christoph von Spiel zu Dalem, Sigmund von Otterstaedt zu Daalwiz, Heinrich von Thümen zu Leuenbruch. All diese Junker und Landsassen sind am 31.Oct. des benannten Jahres nach Spandow gereist, wohin mein Vater seel. mich hat mitgenommen und haben Tages darauf nach dem Vorgang des Durchlauchtigen und Hochgebohrnen Churfürsten, Herrn Joachim des Jüngern löbl. Gedächtnisses in der dasigen Pfarr Kirchen das reine Evangelium öffentlich bekannt und das heilige Sacrament von gedachtem Herrn Bischof Matthias empfangen. (George Buchholzer, der Churfürstin Elisabeth Prediger, predigte hier am 1. November 1539, wurde in der Folge Propst an der Nicolaikirche zu Berlin, verfiel in Streitigkeiten mit dem Agricola, wurde 1565 abgesetzt und starb 1566).

Bei der zustandegekommenen Reformation bekannte sich auch schon in diesem Jahr das ganze Kloster zur evangelischen Lehre, zu welcher willigen Annahme wohl der ehemalige Propst desselben, Matthias von Jagow, einen guten Grund gelegt haben mochte. Die Jungfern verließen indes das Kloster nicht, sondern blieben beysammen und fanden ihren fernern Unterhalt in demselbe, ob es ihnen gleich frey stand, das Ordenskleid abzulegen.

In der Kirchenrechnung wird bloß ohne Namen der beyden Prediger erwähnet. Dies waren Herr Heinrich (Machelt) und Herr Johann Kauliz; der erste war wahrscheinlich der Pfarrer, der andere der Caplan. (Als jener 1540 entweder gestorben oder weggekommen, kam im Feb. 1541 Johann Herz oder Cordus von Zerbst hierher, der vermutlich Pfarrer geworden, weil sein Gehalt höher berechnet wird als des Kauliz und er 10 Schock 40 Gr. Besoldung bekömmt, wenn Kauliz nur 9 Schock 36 Gr. empfing).

Joachim II. nimmt hl. Abendmahl in beiderlei Gestalt – Bernhard Rode (1783)

Günther: Aber nicht alles änderte sich sofort, denn in Wustermark gab es geistliche Kalandsbrüder - Kalend ist der erste Tag im Monat, daher Kalender. Kalandsbrüder waren Wandergesellen. 1544 zahlten sie noch Pächte. Gewechselt hatte nur der Empfänger, das war nun die Nikolaikirche in Spandow. Der Rat in Spandow hatte zudem die Getreidepächte von Dyrotz, Wustermark, Paretz, Carpzow, Buchow, Falkenrehde, Priort, Fahrland, Staaken und Linum. 1526 kann man in den Kämmereibüchern von Spandow noch lesen: Die Pächte des Rats zu Spandow waren von Dyrotz, Senzke, Paretz, Priort, Fahrland, Wustermark, Staaken Schoenow und Falkenrehde sehr hoch.

Johannes: Nach Wustermark kam als erster ev. Prediger Joachim Bellin um 1550. Der Name Bellin kam in den folgenden Jahrzehnten in der Region immer wieder vor, vielleicht Söhne und Enkel, die auch Prediger und Pfarrer wurden. Er war verheiratet mit einer Frau namens Margarethe geb. Zander.

Udo: Der neue Pfarrer war natürlich das wichtigste Gesprächsthema in Wustermark. Was würde er anders machen als die früheren Pfarrer. In allen ländlichen Orten war man skeptisch, aber die Kirchen waren wieder voll … und, o Freude! … sie blieben auch voll. Gottesdienst und Predigt in Deutsch, das machte Glauben wieder interessant.

Viele schauten aber auch skeptisch in die große Welt, so hatten viele Stadträte Beschwerden über den Kurfürsten geschrieben. Der aus Spandow ist uns erhalten geblieben:

Dass der Churfürst ihnen die Jagd wider ihre Privilegien und altem Brauch auf ihrer Heide und vor der Stadt unverschuldeter Sache verbiete und nehme.dass er, wenn ein unechtgeborener ohne Leibes Erben sterbe und Güter nach sich lasse, diese Güter zu sich nehme, ungeachtet, dass davon das den dritten Teil vorhin die Richter bekommen;dass der Amtmann sich unterstehe, auch unverhörter Sache, die Bürger gefänglich anzunehmen und in die Türme zu setzen, beyde in der Stadt und auf dem Schloss, ungeachtet sie keine handsame Tat begangen; welches wider des Rats Privilegium sei;dass der Rat mit den Fuhren nicht wie vor Alters, etwas bis Dyrotz und Pausin, sondern wohl bis Brandenburg und Ruppin beschweret werde;dass, wenn der Churfürst auf der Jagd sei und des Rats Pferde habe, die Pferde lange zu Berlin aufgehalten würden, auf des Rats Unkosten; auch, wenn ein Pferd des Rats in Churfürstlichen Diensten umkäme, es ihm nicht bezahlet werde;dass der Churfürst das Wasser der Mittelmühle vor Teltow in andere Wege leiten ließe, wodurch die Mühle verderbt werde und die Armen des hiesigen Heiligen Geist Hospitals ihre Pacht nicht richtig bekämen;dass er den Einwohnern der Stadt die Hütung, die sie seit alters her in der Woche zwei Tage vor dem Mühlentor gehabt, verbieten lasse;dass, wenn ein Diener der Mühle von Spandow verstürbe und etwas Geld auf der Behns (Benitz/Kolk) in des Rats Gerichten nach sich lasse, er nicht haben wollte, dass desselben Erben Abschoss, wie kürzlich geschehen, davon geben sollten, ohngeachtet, dass wieder die Kaiserlichen Rechte und alten Gebrauch sei.

Dirk: Als Trostpflaster erhielt die Stadt wieder pfandweise das Halsgericht. Aber welcher Wustermarker hatte damit schon zu tun. Mörder und dergleichen gab es nur in den Städten. Immerhin kam der Kurfürst nach Spandow zu Verhandlungen. Die Spandower brauten fleißig Bier für diesen Anlass und brauchten vor allem Anspanndienste. Die Staakener als Filialdorf von Spandow waren ja verpflichtet, diese zu übernehmen, die Wustermarker verdienten sich damit ein Zubrot. Meist wurden sie mit vollen Bierfässern bezahlt. Bier ließ sich leicht verkaufen.

Wolfgang: Der neue Pfarrer berichtete von einem Streit, dem sog. Osiandrischen Streit. Der Osiandrische Streit wurde zur Zeit der kirchenpolitischen Reformation in Deutschland um die Rechtfertigungslehre geführt, der die ‚essentielle Gerechtigkeit‘ des neuen Menschen behauptete. Dies sollte bedeuten, dass die Rechtfertigung des Menschen vor Gott darin bestehe, dass Christus als ewiges Wort Gottes im Menschen real präsent sei und der Mensch so durch die Gerechtigkeit Christi gerecht werde. Die Lutherischen, vor allem Philipp Melanchthon, warfen Andreas Osiander vor, die Grenze zwischen Rechtfertigung und Heiligung zu verwischen und zu lehren, dass der Mensch vor Gott durch seine guten Werke gerecht werde. Das war eine grobe Verzeichnung der Position Osianders, setzte sich aber durch, wie die 1558 erschienene Confessio Augustana bezeugt. Der Nürnberger Reformator Andreas Osiander wurde 1549 von Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Herzog in Preußen, als Theologie-Professor an die 1544 neu gegründete Universität nach Königsberg berufen. Bis zu seinem Tode (1568) hielt der Herzog an der Lehre fest, und erst, als er verstarb, endete der Streit, denn der Osiandrismus als besondere Bekenntnisform war gescheitert. Jener Herzog war der letzte Ordensmeister des Deutschen Ordens, der die kümmerlichen Reste des einst so mächtigen Deutschordensstaates Preußen verwaltete.

Rainer: Die Wustermarker Bauern werden gedacht haben: Dieser neue Pfarrer hat Sorgen? Mehr interessierte manche junge Leute, dass in Spandow ein Stück am Tag der Ursula aufgeführt wurde. Die ‚Historia von Susanne‘. Der Lohn für die Schauspieler: 2 Schock 20 Gr., etliches Essen und eine halbe Tonne Bier.

Johannes: Wieder berichtete Pfarrer Bellin von einem Streit. Wegen der Uneinigkeit der Theologen in Frankfurt in der neuen Universität wurde in Spandow eine Theologentagung abgehalten, wo die Berliner Theologen mit 37 Gr verköstigt wurden. Pfarrer Bellin fuhr hin, um dies zu erleben, aber man kam vorerst zu keinem Ergebnis, denn der sog. 2. Abendmahlsstreit in Frankfurt / Oder dauerte von 1552 bis 1559. Was einst Streitpunkt um die Realpräsens Christi zwischen Luther und Zwingli war, verlief jetzt zwischen Nikolaus von Amsdorf und Calvin und es ging um die Ubiquitätslehre – einfach gesagt, dass Christus bei jedem Abendmahl gegenwärtig ist, auch wenn sie alles zeitgleich gefeiert werden. Von der Einigung sprach Pfr. Bellin auch später und wies erfreut auf die ‚Konkordienformel‘. Dort konnte man all die Bekenntnistexte lesen, altkirchliche, lutherische und nun auch calvinistische.

Dirk: Wieder werden die Wustermarker gedacht haben: Unser Pfarrer hat Sorgen, denn an der Abendmahlsfeier änderte sich für sie ja nichts. Für sie war interessanter, dass es in Spandow nun eine angestellte Hebamme gab – vier Bürgermeisterfrauen hatten sie angestellt. Hier in Wustermark halfen sich noch die Landfrauen gegenseitig. Es starben aber auch viele Kinder. Und in Spandow wurden Bewässerungen gebaut – Wasser aus der Wand, das konnte man sich gar nicht vorstellen, aber einige, die dort im Hospital waren erzählten davon. Auf dem Markt gab es sogar eine Bad-Stube, wo sich jeder gründlichen ‚einweichen‘ konnte … die Haut war danach richtig blank und weiß.

Rüdiger: Am Pfingsttag erzählte der Dorfschulze: „Am Pfingsttage erfuhr der Kurfürst, dass die Kurfürstenmutter, die Frau Joachim I. schwach geworden, eilte nach der Vesper zu ihr her, holte sie nach Cölln und in die Dechaney nächst dem Dom, der damals ledig stand, wo sie nach wenigen Tagen entschlief und in vigilia corporis Christi im Domstift herrlich zur Erde bestattet wurde. Sie war 72 Jahre alt und hier sehr geliebt und verehrt.“ Das war wichtig für die Wustermarker, denn sie hatten an das Schloss in Spandow, wo sie lebte, separate Abgaben zahlen müssen. Man hoffte, dass dies nun entfiel. Wieder einmal war die Hoffnung stärker als die Trauer.

Rainer: Sie blieb auch nicht lange, denn zwei Jahre später kündigte man an, das Schloss in eine Festungsanlege umzubauen. Schon der Festungsarchitekt, Baumeister Christoph Römer, erhielt für seine Pläne so viel Geld, wie Wustermark nicht in 10 Jahren an Abgaben aufbringen konnte. Ein Jahr später zeigte der Kurfürst dann auch, wie er das Geld dafür aufbringen wollte: Die Klostergüter, bisher vom Klosteramt Spandow verwaltet, nahm er in seinen Besitz. Damit kassierte er auch einen beträchtlichen Teil der Wustermarker Abgaben, die bisher an das Klosteramt und früher an das Kloster geflossen waren. Alle wussten: mit einem Besitzwechsel steigen auch die Abgaben. Das hat sich bis heute nicht geändert.

Als das geregelt war, bestellt der Kurfürst auch gleich 200 italienische Bauleute … und erhöhte damit seine Schulden beträchtlich. Bevor der Bau begann zog aber die zweite Gemahlin des Prinzen Johann George in das Schloss. Dafür wurden die Schulden der Spandower in eine Hypothek umgewandelt, die auf den Ländereien lagen, die Spandow der Prinzessin Sabina abtreten mussten. Also mussten die Wustermarker nun wieder an das Schloss Abgaben leisten.

Und 1560 kamen denn auch die italienischen Bauleute und bauten um das Schloss schon einmal Bastionstürme, die den Namen ‚König‘, ‚Königin‘, ‚Kronprinz‘ und ‚Brandenburg‘ trugen. Für den Festungsbau wollte der Kurfürst dann aber auch 60.000 Taler. Das Geld floss aber nur spärlich.

Johannes: Pfarrer Bellin prangerte im Gottesdienst die Zustände in der großen Welt an. Er hatte wohl von der Rede des Rektors der Spandower Stadtschule gehört, der damals sagte: „Peculiaris est huic civitati fastus rusticanus, quoferme nimium superbit; licentia inprimis juventutis intolerabilis est, ad eam provecta petulantiam, ut reprimi non posse videatur, quod sit vitio disciplinae, modestiae et litterariae.” (= Diese Stadt zeichnet sich durch einen ländlichen Stolz aus, auf den sie überaus stolz ist; Die Zügellosigkeit der Jugend ist aber in solchen Ausmaßen unerträglich, dass es den Anschein hat, als könne sie nicht unterdrückt werden, weil sie in Sachen Disziplin, Bescheidenheit lasterhaft ist und sich der Literatur versagt.“ Gut spricht der Rektor der Schule also nicht von seinen Zöglingen. Die Wustermarker Jugendlichen mussten nach dem Unterricht beim Dorflehrer meist auf den Höfen der Familie arbeiten, da blieb für Unsinn kein Raum … hoffte man.

Eine Schulvisitation hatte auch in Wustermark stattgefunden. Man hoffte nun auf einen richtig angestellten Lehrer. Die in Staaken hatten schon einen, der eine richtige Besoldung hatte, aber dennoch Getreide nach Spandow abführen musste, wofür er aber einen festen Preis bekam, nicht wie die Bauern, denen stets mehr für weniger Geld abverlangt wurde.

Wolfgang: Pfr. Bellin hat 1563 mit großer Freude von der Kanzel verkündet: „Der Kurfürst hat angeordnet, dass wir künftig das Dankfest zum ‚rechten Gebrauch der Sakramente‘ feiern sollen. Damit wir daran denken, erhält jeder, der es feiert in diesem Jahr 1 Taler, wenn er Kirchen- oder Schuldiener (Lehrer) ist, und Schüler, die einen Beitrag leisten, erhalten einen Groschen.

Günther: Das hat den Wustermarkern bestimmt Freude gemacht, sie hatten aber auch manchen Grund an dem Kurfürsten zu zweifeln, denn 1565 ließ der Kurfürst aus Spaß am Krieg einen solchen spielen. Geschütze wurden aufgefahren und den Turm der Nikolaikirche beschossen. Sie waren heilfroh, dass die einstige Burg in Wustermark nicht vom Kurfürst bewohnt wurde, man wüsste ja nicht, ob er dann nicht die Dorfkirche beschießen lassen würde.

Udo: Die Wustermarker müssen sich überhaupt über die Welt gewundert haben, denn vom Pfarrer von Rohrbeck hieß es 1566, er hätte 6 Schock Groschen Strafe zahlen müssen, weil er sich auf dem Zollhof zu Spandow mit mehreren Krämern geschlagen hatte – für die Strafe 360 Groschen hätte er rund 100 Pfund Fleisch kaufen und in Rohrbeck ein Fest feiern können. Groschen kommt eigentlich aus dem lateinischen und heißt ‚dicker Pfennig‘ und war ursprünglich Silbergeld.

Johannes: Das Wundern der Wustermarker wird nicht nachgelassen haben, denn 1567 hatte der Kurfürst den grandiosesten Einfall, alle Menschen in der Mark schüttelten den Kopf:

Gefecht zwischen Spandowern und Berlinern. Der Kurfürst forderte ein ‚Gefecht‘ zwischen den Spandowern und den Berlinischen. Dazu begab er sich früh auf die Festung. Ließ den reg. Bürgermeister Bartholomäus Bier aus dem Bett holen und auf die Festung bringen. Dort wurde ihm kundgetan, dass die erste Schlacht zu Schiff auf der Havel stattfinden solle. Jede Gruppe erhielt gleichwertige Waffen. Über Bord gehende Kämpfer wurden sofort von Fischern aus dem Fluss gezogen. Die Berliner teilten sich auf in einen rechten Berliner Flügel und einen linken Cöllnischen Flügel, die Mitte bildeten die Trabanten des Kurfürsten.

Die Schlachtordnung der Spandow’schen (800 Männer) war nur einfach und ungeteilt, aber als die Staakener, heimlich mit dem Versprechen geködert, ihnen würden ihre Schulden erlassen, in das Gefecht für die Spandower mit Knüppeln und Heugabeln eingriffen, neigte sich die Waage ihnen zu.

Die Berliner wehrten sich mit aller Gewalt, aber als das Pferd des Kurfürsten durch einen Spieß getroffen wurde, zog er sich aus dem Gefecht zurück, Die Berliner taten dies ebenso und drangen in den Kurfürsten, den Streit zu beenden.

Der Kurfürst ließ allerdings zuvor noch von der Festung aus den Nikolai-Turm mit Kanonen beschießen und warf den Spandower Bürgermeister Bartholomäus Bier für zwei Monate ins Gefängnis. Nun drang die Bürgerschaft Spandows und der Rat in den Kurfürsten, den Beschuss zu unterlassen. Elf Tage musste die Kirche innen und außen, an Decke und Dach repariert werden.

Dieser wahnwitzige Einfall des Kurfürsten ist in die Geschichte den Staakenern zu Ehren als der ‚Knüppelkrieg‘ eingegangen. Die Mark lachte über den Kurfürsten, die Wustermarker sicher gleichermaßen.

Dirk: Im Jahr 1568 durfte Pfarrer Bellin nach Berlin zum Theologenkongress reisen, es gab für sie sogar ein ‚Zehrgeld‘. Die theologischen Erkenntnisse interessierten die Menschen wenig, denn wieder ging es um den Streit zwischen lutherische und reformierte Theologen. Interessanter war die Botschaft: „In den Bürger-Artikeln von 1568 wurde die Kurrende, ein Schülergesang, um Spenden einzutreiben, auf Anordnung des Kurfürsten wiederbelebt.“ Singende Kinder im Dorf, das gefiel allen, die Spenden aber an den Kurfürsten zu geben … da rechnete wohl keiner mit einem hohen Spendenaufkommen, denn die Abgaben drückten alle genug.

Rüdiger: 1570 gab es wieder besondere Nachrichten vom Kurfürsten – wieder für alle Gesprächsstoff: Dienstag nach Luciae (13.Dez.) fuhr der Kurfürst mit einem Schlitten nach Spandow. Der Schlitten stürzte um. Zu Weihnachten am Stefanstag fuhren sie wieder mit vielen Bürgerfrauen und Jungfern, die sie vor der Heimfahrt nach Berlin vor ihre Häuser brachten.

Udo: Am 3. Januar starb Kurfürst Joachim II., ihm folgte sein Sohn Johann George. Der Verstorbene hinterließ seinem Sohn 20 Mill. Taler Schulden.

Leider mussten die Wustermarker sich auch von ihrem Pfarrer Bellin verabschieden. Nach mehr als 20 Jahren war es ein schwerer Schlag. Viele sahen bange in die Zukunft. Doch in den ersten 15 Jahren waren fast 1000 junge Prediger nach Brandenburg gekommen. In Wittenberg gab es eine unerschöpfliche Quelle, davon zehrte auch Wustermark. Der alte Kurfürst hatte ja versucht, die jungen Theologen nach Frankfurt zu locken, ohne dass Studium dort, sollte kein Prediger mehr in der Mark eine Gemeinde bekommen. Aber es gab inzwischen die erste Gemeindeordnung der Evangelischen Kirche, Gemeinderäte hatten sich gebildet und nahmen ihre Rechte wahr, unabhängig davon, ob der Kurfürst tobte.

Rainer: Bevor wir zum neuen Pfarrer kommen, würde ich gern einen Rückblick auf den Kurfürsten Joachim II. geben. Er war wahrlich kein großer Herrscher, auch wenn wir ihm die Reformation zuschreiben: Kurfürst Joachim II. Hector (regierte 1535–1571) war ebenfalls ein Herrscher mit hohen Schulden, die aus seinen politischen und militärischen Ambitionen resultierten. Unter seiner Herrschaft wurden die Steuerlasten in der Stadt Berlin, ja im ganzen Land erhöht, um die finanziellen Verpflichtungen zu bedienen.

Der Kurfürst war bezüglich der Steuern nicht so ‚kreativ‘ wie seine Vorgänger, erhöhte aber alle bisher erdachten Steuern.

Das Geld brauchte er: wegen der enormen militärische Ausgaben. Joachim II. war während seiner Herrschaft mit verschiedenen militärischen Konflikten konfrontiert, insbesondere im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg (1546–1547). Die Kosten für die Aufrüstung, die Unterbringung von Truppen und die militärischen Unternehmungen führten zu einer erheblichen Belastung der Staatsfinanzen. Um die militärische Stärke zu erhalten, mussten hohe Summen investiert werden.

Politische Ambitionen: Joachim II. strebte nach einer stärkeren politischen Rolle für Brandenburg und versuchte, seinen Einfluss innerhalb des Heiligen Römischen Reiches auszubauen. Diese politischen Ambitionen erforderten finanzielle Mittel, um Allianzen zu schließen, diplomatische Missionen durchzuführen und die Verwaltung zu stärken.

Kostenfaktor war auch die Reformation und religiöse Auseinandersetzungen: Die Reformation führte zu religiösen Spannungen und Konflikten innerhalb des Reiches. Joachim II. versuchte, die protestantischen Strömungen in Brandenburg zu integrieren, was jedoch auch zu politischen und finanziellen Belastungen führte. Die Unterstützung von Reformbewegungen erforderte Ressourcen, um die Loyalität der Bürger zu gewinnen.

Kurfürst Joachim II. Hector von Brandenburg profitierte dagegen erheblich von der Reformation, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Während der Reformation, die im frühen 16. Jahrhundert begann, kam es zu einer Vielzahl von Enteignungen kirchlichen Eigentums, die den Landesherren, einschließlich Joachim II., die Möglichkeit gaben, erhebliche Vermögenswerte zu erwerben. Dies geschah durch Enteignung von Kirchenbesitz. Als der Protestantismus in Brandenburg Fuß fasste, wurden viele katholische Kirchen und Klöster enteignet. Die Vermögenswerte dieser Einrichtungen, einschließlich Gold, Silber, Kunstgegenständen, Kelchen und anderen wertvollen Objekten, gelangten oft in die Hände des Kurfürsten.

Steuerliche Einnahmen: Durch die Übernahme von Kirchenbesitz konnte Joachim II. die Kontrolle über die daraus resultierenden Einkünfte erlangen. Diese Einnahmen konnten zur Stabilisierung der Staatsfinanzen und zur Tilgung von Schulden verwendet werden.

Politische Macht: Die Unterstützung der Reformation stärkte auch die politische Position des Kurfürsten. Indem er sich auf die Seite der Reformatoren stellte, konnte er seine Autorität in Brandenburg festigen und den Einfluss der katholischen Kirche reduzieren.

Es ist schwierig, genaue Zahlen bezüglich der Gewinne zu nennen, da die Aufzeichnungen aus dieser Zeit oft unvollständig sind und die wirtschaftlichen Verhältnisse stark variieren konnten. Historiker schätzen jedoch, dass die Enteignung kirchlichen Eigentums und die Übernahme von Vermögenswerten durch Joachim II. mehrere tausend Gulden an Wert gehabt haben könnten. Dies könnte in einer Zeit, in der eine Summe von 10.000 bis 20.000 Gulden für einen Landesherrn erheblich war, als sehr profitabel angesehen werden.

Zusätzlich zu den materiellen Gewinnen hatte Joachim II. auch die Möglichkeit, seine Macht und Autorität in der Region zu festigen, was für seine politische Karriere von entscheidender Bedeutung war. Insgesamt lässt sich sagen, dass Joachim II. Hector durch die Reformation sowohl finanziell als auch politisch erheblich profitierte. Die genauen Beträge sind schwer zu beziffern, doch die Umverteilung von kirchlichem Eigentum und die damit verbundenen Einnahmen stellen einen bedeutenden Vorteil für ihn dar.

Am Ende hinterließ er aber zwischen 1,5 und 2 Mill. Reichstaler Schulden.

Dazu trug bei: Verschwendung und unkontrollierte Ausgaben. Joachim II. war bekannt für einen gewissen Lebensstil und für die Förderung von Kunst und Kultur. Diese Ausgaben führten zusätzlich zu einer Verschärfung der finanziellen Situation. Der Hof benötigte Mittel für Feste, Unterhaltung und den Unterhalt des kurfürstlichen Hauses, was auch die Frauen einschloss, die Joachim zur Befriedigung seiner Libido in seinem Umfeld hatte.

Um die Schulden zu decken, sah sich Joachim II. gezwungen, die Steuern zu erhöhen und neue Abgaben einzuführen, was wiederum zu Unmut und Widerstand unter der Bevölkerung führte. Diese Maßnahmen waren oft nicht ausreichend, um die Schuldenlast zu reduzieren. Dazu gehörte die Biersteuer, die sein Vater eingeführt hatte, die Joachim II. aber zurücknehmen musste.

Die Schuldenproblematik war nicht nur ein persönliches Dilemma des Kurfürsten, sondern auch ein bedeutendes Thema in der Geschichte Brandenburgs und eine Katastrophe für die Entwicklung des Kurfürstentums. Genaugenommen war der wegen der Reformation so geschätzte Herrscher ein völliger Versager, der den Hohenzollern mehr geschadet hat, als all das, was den Hohenzollern bis heute anzukreiden ist.

Joachim II.

Ein Streitgespräch

Pfr. Bellin aus Wustermark traf zum Dankfest zum ‚rechten Gebrauch der Sakramente‘ in Spandow den Diakon Magister Colerus. Schon nach kurzer Zeit gerieten sie in Streit über Osiander, nach dem der Osiandrische Streit benannt war.

Johannes: