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Lukian von Samosata war ein grch. Schriftsteller und Satiriker des 2. Jh. n. Chr. 75 seiner Werke, die hier zu finden sind, sind bekannt für ihren scharfen Witz und ihre kritische Haltung gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen und philosophischen Themen. Lukian kritisiert häufig die Philosophen seiner Zeit, insbesondere die Sophisten und die Stoiker. Er verspottet deren Übertreibung und die oft abstrakten Theorien, die er als realitätsfern ansieht. Er hinterfragt Aberglauben und die religiösen Praktiken seiner Zeit, oft mit einem ironischen Unterton, ebenso die Götterverehrung und die Rituale, die er als irrational erachtet. Er beleuchtet Heuchelei, Machtspiele und die Absurditäten des Alltags. Er spielt mit literarischen Formen und konventionellen Erzähltechniken, um seine satirischen Anliegen zu verdeutlichen. Die Wissenschaft und die technischen Fortschritte thematisiert er oft mit einer skeptischen Haltung gegenüber deren Auswirkungen auf die Menschen. Lukian stellt oft das Individuum in den Mittelpunkt und reflektiert die Beziehungen zwischen Menschen und die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft mit dem Maßstab der Ethik und der Moral. Seine scharfsinnige Beobachtungsgabe und eine kritische, oft humorvolle Perspektive auf die Welt lassen seine Schriften auch heute noch als relevant erkennen.
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Seitenzahl: 2084
Lukians Traum
Der Hahn, oder Der Traum des Menschen
Der Ungläubige, oder: Der Lügenfreund
Hermitimos, oder von den philosophischen Sekten
Der Verkauf der philosophischen Sekten – auch als ‚Leben unter dem Hammer‘ bekannt.
Der Kyniker
Lucius und der magische Esel
Der Parasit oder: Der Beweis, das Schmarotzen eine Kunst ist
Timon
Hetärengespräche
1. Buch: Eine wahre Geschichte: Kampf des Mondvolkes, im Walfisch
2. Buch: Eine wahre Geschichte: Die Insel der Glückseligen
Vorrede zu den Göttergesprächen
Der alte und neue Götterhof
Prometheus
Göttergespräche I-XXVI
Die Überfahrt
Die Götterversammlung
Der überwiesene (überlistete) Zeus
Meergöttergespräche
Bacchus
Totengespräche
Charon oder die Weltenbeschauer
Der doppelte Ankläger
Der Fischer oder die Auferstandenen
Der tragische Jupiter
Anarchis oder von der Gymnastik
Apophras
Das Gastmahl oder Die Lapithen
Das Schiff oder Die Wünsche
Demónax
Der Bernstein und die Schwäne am Po
Die erste Phalaris
Der zweite Phalaris
Der Eunuch
Der Saal
Der Skythe oder Der Fremdling
Der Tyrannenmörder
Der verstoßene Sohn
Der Wiedergänger oder der Fischer
Die Altgewordenen
Die Dipsaden oder Über die Garamanten
Die Entlaufenen
Die gedungenen Gelehrten
Schutzschrift für ‚Die Gedungenen Gelehrten‘
Die Rednerschule
Die Versteigerung der philosophischen Orden
Ein Ignorant, der sich viele Bücher kaufte
Die Verleumdung
Ein kleiner Streit mit Hesiod
Der Lexiphane
Der Flötenspieler Harmonides
Herodot und Aëtion
Nero oder Der Isthmus-Kanal
Menippus oder Das Totenorakel
Die Opfer
Toxaris oder Die Freundschaft
Tragopodagra
Über das Trauern über die Verstorbenen
Lob des Demosthenes
Lob der Vaterstadt
Über das Versehen in der Begrüßung
Von der Astrologie
Hippias oder Das Bad
Philopatris
Sartunalische Verhandlungen
Die syrische Göttin
Bilder
Herkules
Rechtfertigung für die ‚Bilder‘
Zeuxis und Antiochus
Die Fliege
Charidemus oder Über die Schönheit
Sinngedichte
Nachwort
Gewidmet:
Meinem Bruder Georg Roggl
„Roger“
Nach dem Fertigstellen des Buches habe ich noch folgende Erzählungen von Lukian gefunden: Über die Liebe – Ocypus - Über grammatische Fehler – Über den mymischen Tanz.
Dieses Buch ist ein Lesebuch. Es enthält Texte, die Christoph Martin Wieland († 1813) einst übersetzt hat. Als Student habe ich selbst einige Texte aus dem Griechischen übersetzt und habe den Spötter der Antike schätzen gelernt. Einige Texte fehlten bei Wieland, ich fand sie aber bei F.G. Fowler († 1918) und habe sie aus dem Englischen übersetzt.
Lukian zeigt Philosophen auf, dass ihr Diskurse klug klingen mögen, aber für die Wirklichkeit nichts austragen. Die Liebe zur Weisheit sollte aber das Leben erklären können. Ähnlich sieht er Theologen, deren theologisches Gedankengebäude allzu schnell an der Wirklichkeit zerschellen. Was nützen 10.000 Seiten, wenn sie einem frommen Menschen nicht helfen, seinen Glauben zu leben. Er entlarvt auch Politiker und Ärzte, die in einer eigenen Blase leben und gar nicht wahrnehmen, dass ihr Leben mit dem der anderen gar nichts zu tun hat. Ein Arzt, der für seine dritte Eigentumswohnung arbeitet, wird einem Menschen, der kaum weiß, wie er die Krankenversicherung bezahlen kann, körperlich helfen, aber der Arme bleibt im Strudel der Versehrtheit, weil der Mangel an ihm nagt. Politiker sehen sich als sozial, wenn sie Steuern senken, die die Ärmsten gar nicht bezahlen. Und die Sinnlosigkeit der verpassten Lebenschancen enthüllen sich vor allem in den Totengesprächen: Das letzte Hemd hat keine Taschen, das heißt, nichts, was das Leben wertvoll macht kann man mitnehmen oder kaufen. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind ein Geschenk. Die erhalten auch Reiche nicht, die nach Lukians Ansicht auf Kosten der Armen leben und zudem diese brauchen, um ihren Reichtum ‚genießen‘ zu können … wenn man Reichtum überhaupt genießen kann, denn glücklich machen andere Dinge.
Natürlich hat Spott auch seine Grenzen. Es gibt Menschen, die Zynismus nicht verstehen: Kinder und Bedürftige. Deshalb dürfen Pfarrer, Lehrer, Erzieher, ob männlich oder weiblich keine Zyniker sein. Ich kenne viele zynische Menschen, die Pfarrer sind, aber ich habe noch keinen erlebt, der wirklich Seelsorger wäre. Freunde aus den anderen Berufen sagen Ähnliches von ihrer Sparte.
Spotten macht allerdings auch nicht glücklich, es ist nur eine ganz besondere Sicht der Welt, die für Menschen mit einem ‚normalen‘ Blick aufs Leben ermüdend wirken. Normal ist, durchs Leben zu gehen mit dem Gefühl, das Leben hat einen Sinn, Das Leben hält für mich etwas Besonderes bereit, das es zu entdecken gilt; Ziele im Leben zu haben und ihnen mit Hoffnung entgegen zu gehen. Spötter sehen letztlich immer nur das, was andere ihnen voraushaben / was ihnen fehlt. Das kann man zwar mit Spott belegen, aber macht das glücklich? Sehen wir, ob Lukian uns das Gegenteil beweist?
Johannes Simang
Ich hatte vor kurzem aufgehört, die öffentlichen Schulen zu besuchen, und das Alter, wo der Knabe sich in den Jüngling verliert, beinahe erreicht, als mein Vater mit seinen Freunden zu Rate ging, was für eine Profession er mich lernen lassen sollte. Die meisten erklärten sich sogleich gegen das Studieren; es erforderte, meinten sie, große Mühe, lange Zeit und nicht geringen Aufwand; es gehörten schon ziemlich glänzende Glücksumstände dazu; die Unsrigen wären gering und bedürften vielmehr einer schleunigen Nachhilfe. Wenn ich ein Handwerk erlernte, so würde ich mich gar bald durch meine Kunst selbst ernähren können und nicht nötig haben, so ein großer Bursche als ich schon sei, des Vaters Brot zu essen; ja es würde nicht lange währen, so würde ich meinem Vater selbst zum Trost sein und ihn durch meinen Erwerb unterstützen können.
Es kam also nur noch auf den zweiten Punkt der Beratschlagung an, nämlich welche unter den mechanischen Professionen die beste, das ist einem freigeborenen Menschen anständig und leicht zu erlernen sei, die wenigsten Anstalten und Kosten erfordere und gleichwohl ihren Mann ernähre. Als nun jeder, je nachdem er Kenntnis oder Erfahrenheit hatte, der eine diese, der andere jene herausstrich, wandte sich mein Vater an meinen ebenfalls gegenwärtigen Mutterbruder, der einen stattlichen Bildhauer und unter den Steinmetzen unsrer Stadt abgab und unstreitig der Geschickteste war. „Es wäre nicht erlaubt“, sagte mein Vater, „in deiner Gegenwart einer anderen Kunst den Vorzug zu geben; nimm also den Jungen da mit dir nach Hause, und mach einen tüchtigen Steinmetz und Bildhauer aus ihm; an Anlage fehlt es ihm nicht, wie du weißt.“ Er bezog sich deshalben auf gewisse Spielwerke, womit ich mich als Knabe abgegeben hatte. Denn sobald ich von meinen Lehrern abgefertigt war, kratzte ich allenthalben Wachs zusammen und machte Ochsen, Pferde, ja, Gott verzeihe es mir! sogar Menschen, und recht ähnlich, wie es meinen Vater dünkte. Dies Kinderspiel, worüber ich manche Ohrfeige von meinen Schulmeistern bekommen hatte, wurde jetzt als ein Beweis meines natürlichen Berufs geltend gemacht; und man fasste die besten Hoffnungen, dass ich es mit diesem plastischen Naturtrieb in kurzem sehr weit in der Kunst bringen würde.
Sobald man also einen glücklichen Tag zum Antritt meiner Lehrjahre gefunden zu haben glaubte, ward ich meinem Oheim übergeben, ohne dass ich es mir eben sonderlich leid sein ließ: im Gegenteil, ich stellte es mir als etwas sehr Lustiges vor, und dass es mir ein Ansehen unter meinen Kameraden geben würde, Götter zu machen und allerlei kleine Bilderchen für mich selbst und andere, denen ich wohlwollte, zu fertigen.
Inzwischen gab mir mein Oheim, wie es bei Anfängern gebräuchlich ist, ein Grabeisen in die Hand und befahl mir, auf einer am Boden liegenden Tafel sachte damit hin und wieder zu beginnen: er fügte noch den alten Weidspruch hinzu: „Wohlangefangen ist halb getan“ und überließ mich nun meiner eigenen Geschicklichkeit. Weil ich aber aus Unerfahrenheit zu hart aufdrückte, ging die Tafel entzwei. Darüber entrüstete er sich, griff nach einer neben ihm liegenden Peitsche und gab mir damit einen so unfreundlichen Willkommen, dass mir alle Lust zur Kunst auf einmal verging. Ich lief davon, kam heulend und weinend in das väterliche Haus zurück, erzählte die Geschichte von der Peitsche, wies meine Striemen vor und erhob über die Grausamkeit meines Oheims große Klage; gewiss hätte er aus bloßem Neid so mit mir verfahren, sagte ich, weil er besorgt sei, ich möchte ihn einst in der Kunst übertreffen. Meine Mutter wurde darüber sehr aufgebracht und machte ihrem Bruder die bittersten Vorwürfe. Indessen kam die Nacht heran. Ich brachte sie in großer Betrübnis und beständigem Nachdenken über mein Schicksal zu, bis ich endlich mit tränenvollen Augen einschlummerte.
So weit, meine Freunde, ist freilich meine Erzählung nichts als ein läppisches Knabengeschichtchen: aber was nun folgt, ist schon weniger unbedeutend und verdient eure ganze Aufmerksamkeit. Es erschien nämlich, um mit Homer zu reden, im Schlaf ein göttlicher Traum mir durch die ambrosische Nacht, und zwar so deutlich und lebhaft, als ob ich wachte; dergestalt, dass nach langer Zeit die Bilder dessen, was ich gesehen, noch in meinen Augen waren und die Worte, die ich hörte, noch in meinen Ohren klangen. Zwei Frauenspersonen fassten mich zu gleicher Zeit bei den Händen und zogen mich jede mit solcher Gewalt und Heftigkeit auf ihre Seite, dass sie mich, weil keine die Schande haben wollte nachzugeben, beinahe darüber in Stücken zerrissen hätten. Bald wurde die eine Meister und hatte mich fast ganz, bald darauf fand ich mich wieder in den Armen der andern. Beide verführten ein gewaltiges Geschrei gegeneinander: „Er ist mein“, rief die eine, „ich habe ein älteres Recht an ihn und lass ihn mir nicht nehmen!“ – „Er geht dich nichts an“, schrie die andre, „du bemühst dich vergeblich, ihn von mir abzuziehen.“ Die erstere hatte ein arbeitsames und männliches Ansehen, ihre Haare waren schmutzig, ihre Hände voller Schwielen, ihr Rock hoch aufgeschürzt, ihre ganze Person mit Kalk bestäubt; kurz, sie sah geradeso aus wie mein Oheim, wenn er Steine polierte. Die andere hingegen war eine Frau von feiner Gesichtsbildung, von edlem Anstand und zierlich gekleidet. Endlich wurden sie zu meinem Glück einig, es auf mich selbst ankommen zu lassen, bei welcher von beiden ich bleiben wollte. Zuerst fing also jene derbe und männlich zu sprechen an:
„Lieber Sohn“, sagte sie, „ich bin die Bildhauerkunst, der du dich gestern zu widmen anfingst und die schon von langem her in deinem Hause einheimisch und, sozusagen, deine Blutsverwandte ist. Denn dein Großvater (hier nannte sie mir den Vater meiner Mutter) war ein Steinmetz, und deine beiden Mutterbrüder stehen unter den Unsrigen im Ruf einer vorzüglichen Geschicklichkeit. Wenn du dich nun der Possen und Lappalien dieser Närrin hier entschlagen und dich mir ergeben willst, so verspreche ich dir dafür ein gutes Auskommen und starke Schultern; die Plagen des Neides sollen dir was Unbekanntes bleiben; du wirst niemals nötig haben, dein Vaterland und deine Familie mit dem Rücken anzusehen; der Ruhm wird dich in deiner eigenen Heimat aufsuchen, und du wirst allgemeinen Beifall nicht durch Worte, sondern durch Werke erhalten. Übrigens stoße dich ja nicht an meinem schlichten Aufzug und dieser schmutzigen Kleidung! Jener große Phidias, der uns den Jupiter sehen ließ, Polykletus, dem seine Juno so viel Ehre macht, der berühmte Myron, der bewunderte Praxiteles haben keinen anderen Anfang gehabt, wiewohl sie nun die Kniebeugungen der Menschen mit den Göttern teilen. Wenn du also ihresgleichen würdest, wie könnte es dir fehlen, einen Namen in der Welt zu erhalten? Du würdest sogar deinen Vater beneidenswürdig machen und die Augen der Welt auf deine Vaterstadt ziehen.“
Dieses und noch mehr, wovon ich das meiste wieder vergessen habe, brachte die Kunst, stotternd und in einer pöbelhaften Provinzialmundart, vor. Die gute Frau ließ sich’s recht eifrig angelegen sein, mich zu überreden, und konnte lange das Ende nicht finden. Da sie aber doch endlich aufhören musste, fing die andre folgendermaßen an:
„Ich, mein Sohn, bin die Gelehrsamkeit. Auch in mir siehst du eine Person, deren Gesicht dir nicht fremd ist, wiewohl noch viel daran fehlt, dass du mich völlig kennen solltest. Das Beste, was du zu erwarten hättest, wenn du ein Steinmetz würdest, hast du von dieser hier vernommen: nämlich, am Ende würdest du doch nichts mehr sein als ein Handarbeiter, der die ganze Hoffnung seines Fortkommens in der Welt auf seine Hände gründet, ohne Ansehen, wenig besser als ein Taglöhner bezahlt, niedrig und beschränkt in deiner Denkungsart, eine unbedeutende Person im gemeinen Wesen, gleich unvermögend, dich deinen Freunden nützlich und deinen Feinden furchtbar zu machen, kurz, wie gesagt, ein bloßer Handwerksmann, einer vom großen Haufen, der sich vor jedem Vornehmern ducken und schmiegen muss, vor jedem Sprecher Respekt hat, ein wahres Hasenleben lebt und immer die Beute des Mächtigen ist. Gesetzt auch, du würdest ein Phidias oder Polykletus und hättest eine Menge bewundernswürdiger Werke gearbeitet: so wird zwar jeder, der sie sieht, deine Kunst erheben, aber gewiss keiner von allen, solange er bei Verstand ist, deinesgleichen zu sein wünschen. Denn wie groß du auch in deinem Fache sein möchtest, wirst du doch immer mit den Leuten, die ihr Leben mit ihren Händen gewinnen müssen, in eine Klasse geworfen werden. Folgest du hingegen mir, so werde ich dich vor allen Dingen mit allem, was die edelsten Menschen der Vorwelt Bewundernswürdiges gesprochen, getan und geschrieben haben, und überhaupt mit allem, was wissenswürdig ist, bekannt machen; vorzüglich aber werde ich dein edelstes Teil, dein Herz, mit Mäßigung, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Sanftmut, Billigkeit, Klugheit und Standhaftigkeit, mit der Liebe zum Schönen und mit Aufstreben nach jeder Vollkommenheit zieren; denn diese Tugenden sind der Seele wahrer unvergänglicher Schmuck. Es soll dir nichts verborgen sein, was ehemals Denkwürdiges geschah, noch was jetzt geschehen muss; ja, du wirst durch mich sogar das Künftige vorhersehen: mit einem Worte, ich will dich in allen göttlichen und menschlichen Dingen, und zwar in kurzer Zeit, vollständig unterrichten. Und nun höre auch, was die Folgen davon sein werden. Du, der nämliche arme Schlucker, der du jetzt bist, eines Mannes ohne Namen Sohn, der noch in Zweifel ist, ob er sich nicht einer so unedlen Kunst ergeben wolle, wirst in kurzem von jedermann beneidet und mit Eifersucht angesehen werden; denn du wirst überall geehrt und gepriesen und als ein Mann von den schätzbarsten Talenten, selbst von denen, die durch Geburt und Reichtum über die andern hervorragen, geachtet werden. Du wirst nicht schlechter als du mich hier siehst gekleidet sein, und man wird dir nicht nur in deinem Vaterlande die Oberstelle einräumen, sondern, wenn du verreisest, wirst du auch im Auslande weder unbekannt noch ohne Ansehen sein; denn ich will dich mit solchen Kennzeichen versehen, dass jeder, der dich erblickt, seinen Nachbar anstoßen und mit dem Finger auf dich weisend sagen wird: ‚Das ist der berühmte…!‘ Sobald deinen Freunden oder der ganzen Stadt irgendetwas Wichtiges und Bedenkliches zustößt, werden alle Augen auf dich gerichtet sein; und wenn du zum Reden auftrittst, wird dir die Menge mit weit offenem Mund zuhören und dich anstaunen und wegen der gewaltigen Beredsamkeit dich und den Vater, der einen solchen Sohn aufgestellt hat, seligpreisen. Die gemeine Sage, dass einigen unter den Menschen die Unsterblichkeit zuteilwerde, will ich an dir wahrmachen; denn, wenn du auch aus dem Leben scheidest, wirst du doch nicht aufhören, unter den Gelehrten zu wohnen und mit den edelsten Menschen Umgang zu pflegen. Denke an jenen großen Demosthenes, wessen Sohn er war, und welch einen Mann ich aus ihm gemacht habe! War nicht Äschines der Sohn einer Schellentrommelschlägerin? Gleichwohl brachte ich ihn soweit, dass ein König wie Philippus sich um seine Gunst bewarb. Sokrates selbst war, wie du, bei dieser Bildhauerkunst aufgewachsen; aber, weil er in Zeiten das Bessere ergriff und von ihr zu mir überging, hörst du, wie ihm von allen Menschen lobgesungen wird? Und so große und vortreffliche Männer, denen du an Weisheit und Tugend gleich werden könntest – ein Leben voll Ansehen, Ruhm und Ehre, kurz alle die Vorteile, die dir bei mir nicht fehlen können, die schöne Figur, die du in der Welt machen, die allgemeine Achtung und Bewunderung, die du dir durch deine Beredsamkeit und Wissenschaft erwerben würdest, alles das wolltest du von dir stoßen, um in einen armseligen groben Kittel zu kriechen, einen sklavenmäßigen Anstand anzunehmen, Hebel und Grabeisen und Schlägel und Meißel in den Händen zu führen, immer den Kopf über deine Arbeit gebückt mit Leib und Gemüt am Boden zu kleben und in jeder Betrachtung ein niedriger Mensch zu sein, der nie den Mut hat, sein Haupt wie ein freier Mann zu tragen und wie ein freier Mann zu denken, sondern, im Gegenteil, über dem Bestreben, seinen Werken Ebenmaß und Wohlgestalt zu geben, an nichts weniger denkt, als diese Eigenschaften an sich selbst zu zeigen, und also im Grunde weniger geachtet wird als die Steine, die er bearbeitet.“
Sie war im Begriff noch fortzusprechen, als ich, ohne das Ende ihrer Rede abzuwarten, aufsprang, jener unansehnlichen Tagelöhnerin den Rücken kehrte und mich voller Freuden der Gelehrsamkeit in die Arme warf: eine Entschließung, wozu die Erinnerung an die Peitsche, womit mir jene gleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft einen so unfreundlichen Einstand gegeben hatte, vielleicht das meiste beitrug. Die Verlassene geriet über die Schmach, die sie von mir zu erleiden glaubte, in die heftigste Gemütsbewegung; sie schlug die Hände zusammen und knirschte mit den Zähnen; ja zuletzt erstarrte sie wie eine zweite Niobe und ward in einen Stein verwandelt; eine Begebenheit, deren Unwahrscheinlichkeit euch meine Erzählung nicht verdächtig machen muss; denn ihr wisst, die Träume sind Wundertäter.
„Es ist nun Zeit“, sagte die andere, indem sie mich freundlich ansah, „dass du für diese gerechte Entscheidung meiner Sache von mir belohnet werdest. Wohlan! komm und besteige diesen Wagen!“ - indem sie dies sprach, stand ein Wagen neben ihr, mit geflügelten Pferden, die dem Pegasus glichen, bespannt - „und du sollst sehen, wie viele sehenswürdige Dinge dir unbekannt geblieben wären, wenn du dich nicht für mich erklärt hättest.“ Ich stieg ein, sie ergriff die Zügel und kutschierte; wir fuhren durch die Lüfte empor, und indem wir so vom Aufgang bis zum Niedergang dahinfuhren, sah ich eine unendliche Menge Städte, Völker und Reiche unter mir, während ich überall, wie ein andrer Triptolemus, im Vorbeiziehen etwas auf die Erde herabstreute. Was es eigentlich war, erinnere ich mich nicht mehr; nur dies weiß ich noch, dass die zu mir aufschauenden Leute Freude darüber bezeugten und mir überall, wo ich vorbeiflog, Lob und gute Wünsche nachriefen.
Nachdem sie nun alle diese Dinge mir, und wiederum jenen dankbaren Seelen mich gezeigt hatte, brachte sie mich wieder an Ort und Stelle; aber nicht mehr in meinem vorigen Aufzuge: denn mir deuchte, ich käme in einer prächtigen Kleidung zurück. Es schien mir auch, als ob sie meinen Vater, der dabeistand und mich erwartete, auf die stattliche Figur, worin ich zurückkam, aufmerksam machte und ihm etwas darüber sagte, dass er mich beinahe so übel beraten hätte. – Und dies ist es, was mir von dem Traumgesichte noch erinnerlich ist, was sich mir in meiner ersten Jugend darstellte und vermutlich ein bloßes Werk der heftigen Gemütsbewegung war, in welche mich die Furcht vor der Peitsche meines Oheims gesetzt hatte.
Indem ich dies erzähle, höre ich jemand sagen: „Nun, bei Gott! das nenn ich einen langen und advokatenmäßigen Traum!“ – „Vermutlich war es ein Wintertraum“, setzt ein anderer hinzu, „wenn die Nächte am längsten sind“ – „oder vielleicht gar dreinächtig wie Herkules,“ sagt ein dritter. Aber was kam ihn an, dass er uns für gut genug hält, solchen Possen zuzuhören? Uns so ein kindisches Nachtstückchen von einem vor Alter grau gewordenen Traum zu erzählen! Wahrlich, eine frostige Unterhaltung! Oder sieht er uns etwa gar für Traumdeuter von Profession an? – „Das nicht, mein Freund!“ – Als Xenophon einst seinen Traum erzählte, wie ihm vorgekommen sei, als höre er einen plötzlichen Donnerschlag und der Blitz falle in sein väterliches Haus usw. (ihr kennt die Stelle), da war seine Meinung wohl auch nicht, seine Zuhörer, in einem Augenblicke, wo sie den Feind im Nacken hatten und ihre Sachen in einem verzweifelten Zustande waren, mit einer zur Kurzweil erdichteten Posse zu unterhalten, sondern seine Erzählung hatte einen nützlichen Zweck. Ebenso habe auch ich bei Erzählung meines Traumes keine geringere Absicht, als junge Leute dadurch zum Studieren und zu allem, was das Schönste und Edelste im Leben ist, aufzumuntern; zumal wenn sich etwa ein guter Kopf unter ihnen befände, der aus bloßer Dürftigkeit irgendeine schlimme Partei ergreifen wollte und also Gefahr liefe, ein schönes Naturell im Keime verderben zu lassen. Ich bin gewiss, ein solcher wird sich durch meine Erzählung gestärkt fühlen. Er wird mich zum Beispiele nehmen und bedenken, in was für Umständen ich mich der Gelehrsamkeit gewidmet und, ohne durch meine damalige Armut den Mut zu verlieren, zu dem, was das Schönste und Edelste ist, mich emporgearbeitet habe: kurz, was ich einst war, und wie ich jetzt zu euch zurückgekommen bin – wenigstens mit keinem unbekannteren Namen, als sich irgendein Bildhauer unsrer Zeit gemacht hat.
Der Schuster Mykillos, der Hahn, später Simon
Mikyllos: „Da soll doch gleich Zeus selber dreinfahren, verfluchter Hahn, und dir den Rest geben, du missgünstiger Schreihals!“ Ich wiegte mich im süßesten Traum, war reich und schwelgte im höchsten Glück; da musstest du mich mit deinem auf die Nerven fallenden durchdringenden Geschrei aus dem Schlaf reißen. Ich soll also nicht einmal des Nachts der Armut entgehen, die ich noch vielmehr verabscheue als dich. Noch umgibt mich tiefe Stille, es fröstelt mich auch noch nicht, wie gewöhnlich bei Morgengrauen - und das ist ja das untrüglichste Anzeichen für das Nahen des Tages; also kann es noch nicht Mitternacht sein. Aber dieses Vieh bleibt ohne Schlaf, als ob er das berühmte goldene Vlies zu bewachen hätte, und kräht schon gleich am Abend los. Doch das soll dir nicht so hingehen; pass auf, ich werde dir helfen; wenn es erst Tag ist, schlage ich dich mit meinem Stock zu Brei. Jetzt würdest du mir nur unnötige Mühe machen, wenn du im Dunkeln um mich herumhüpfst.
Hahn: „Mikyllos, mein Gebieter, ich glaubte gerade recht nett zu dir zu sein, wenn ich dir die Nacht so sehr wie möglich kürzte, damit du recht früh aufstehen und deine viele Arbeit erledigen könntest. Wenn du vor Sonnenaufgang wenigstens einen Schuh fertig hast, wirst du im Bemühen ums tägliche Brot schon ein Stück weiter sein. Wenn dir aber der Schlaf lieber ist, will ich stille und noch viel stummer als die Fische sein. Aber sieh nur dann zu, dass du über dein Träumen von Reichtum nicht dazu kommst, beim Aufwachen zu hungern.“
Mikyllos: „Zeus, Gott der wunderbaren Vorzeichen, und Herakles, Helfer in der Not, um Himmels willen, was für ein Unglück kündigt sich an! Der Hahn, hat gesprochen wie ein Mensch!“
Hahn: „Scheint dir das so ein Wunder zu sein, wenn ich rede wie ihr?“
Mikyllos: „Natürlich, wieso denn nicht? Ihr Götter, ich bitte euch, wendet ab das Schreckliche, das mir droht!“
Hahn: „Ich glaube fast, Mikyllos, du verfügst über keine große Bildung und hast nicht einmal die Epen Homers gelesen, wo Achills Ross Xanthos, weit entfernt davon zu wiehern, mitten im Kampf dasteht und eine Rede hält, ja ganze Verse deklamiert und nicht wie ich jetzt ohne metrische Bindung. Es prophezeite sogar und sagte die Zukunft voraus, und doch erschien das seinem Herrn nichts Außergewöhnliches, und der es hörte, rief nicht den Helfer in der Not an, weil er etwa meinte, was vernommen, sei etwas Abscheuliches. Was hättest du gesagt, wenn der Kiel der Argo zu dir gesprochen oder die stimmbegabte Eiche im Dodona dir prophezeit hätte, wenn du die abgezogenen Häute der Rinder hätte herumkriechen sehen und ihr halbgares Fleisch an den Bratspießen hättest brüllen hören? Bedenke doch, ich sitze neben Hermes, dem redseligsten und beredtsten aller Götter, lebe gemeinhin mit euch zusammen und nehme an eurem Tische teil, und da sollte es mir schwerfallen, eure Sprache zu erlernen? Doch versprichst du mir, verschwiegen zu sein, so will ich nicht zögern, dir den eigentlichen Grund für mein Sprechvermögen anzugeben, und wieso es mir vergönnt ist, so zu reden wie ihr.“
Mikyllos: „Sollte das wirklich kein Traum sein, ein Hahn, der sich so mit mir unterhält? Nun denn, beim Hermes, verrate mir, mein Bester, den weiteren Grund dafür, dass du reden kannst. Du brauchst nicht zu befürchten, dass ich nicht schweigen und die Sache ausplaudern könnte. Wer sollte mir denn Glauben schenken, wenn ich was erzählte unter Berufung darauf, ich hätte es von einem Hahn gehört?
Hahn: Was ich dir sagen werde, wird dir gewiss recht seltsam vorkommen, Mikyllos; doch höre: Der, der dir jetzt ein Hahn erscheint, war vor nicht langer Zeit noch ein Mensch.
Mikyllos: Ich entsinne mich, so eine Geschichte, die dich betraf, schon früher einmal gehört zu haben. Es handelte sich um einen jungen Mann namens Alektryon, dem Ares besonders zugetan war, mit dem er trank und schmauste und den der Gott auch als Helfer bei seinen galanten Abenteuern verwandte. Wenn er nun zu einer Liebesnacht bei Aphrodite aufbrach, soll er auch den jungen Alektryon mitgenommen und ihn jedes Mal vor der Tür zurückgelassen haben, damit dieser ihm melde, wenn der Sonnengott erschiene; denn den hatte Ares, am meisten in Verdacht, er würde, wenn er ihn erblickte, es dem Hephaistos hinterbringen. Dabei ist Alektryon, so hieß es weiter, einmal eingeschlafen und ohne böse Absicht seinem Posten nicht gerecht geworden. So hat unversehens der Sonnengott die beiden überrascht, als Ares sorglos in Aphrodites Armen ruhte, weil er sich darauf verließ, Alektryon würde ihm, wenn sich jemand blicken ließe, davon Meldung machen. Von jenem hat es Hephaistos erfahren und sie in dem Netz gefangen, das sich um sie legte und das er längst für sie angefertigt hatte. Einmal freigelassen, hat Ares in seiner Wut Alektryon mitsamt seinen Waffen sogleich in einen Vogel, den jetzigen Hahn, verwandelt, und daher trägt dieser noch heute den Helmbusch auf seinem Kopf.
Und das ist auch der Grund, weswegen ihr - wenn es auch zu nichts führt - zur Rechtfertigung vor Ares, sobald ihr das Aufgehen der Sonne bemerkt, schon lange vorher euer Geschrei erhebt und ihr Erscheinen der Welt verkündet.“
Hahn: „So sagen wohl die Leute, Mikyllos, aber mein Fall liegt anders, und ich habe erst ganz vor kurzem die Gestalt eines Hahns angenommen.“
Mikyllos: „Wie ging denn das zu? Das musst du mir genau erzählen.“
Hahn: „Hast du schon einmal von einem gewissen Pythagoras aus Samos gehört, der der Sohn des Mnesarchos war?“
Mikyllos: „Du meinst doch den sogenannten Weisen, den Marktschreier, der gebot, kein Fleisch zu essen, mein Leib und Magengericht, die Bohnen von der Tafel verbannte und die Menschen zu bereden suchte, fünf Jahre lang in Schweigen zu verharren?“
Hahn: „Wisse, dass er, bevor er Pythagoras wurde, Euphorbos war.“
Mikyllos: „Ja, lieber Hahn, der Mann soll ein großer Schaumschläger und Tausendkünstler gewesen sein.“
Hahn: „Ich selber bin dieser Pythagoras; daher hör auf mit deinen Lästerreden, zumal da du sein Wesen offenbar verkennst.“
Mikyllos: „Das wird ja immer schöner; ein Hahn, der ein Philosoph ist! Indes berichte mir, Sohn des Mnesarchos. wie du aus einem Menschen zu einem Hahn, aus einen Samier ein Tanagräer geworden bist. Das klingt nämlich, unglaubwürdig und ist nicht ohne weiteres hinzunehmen; meine ich doch bereits zwei Eigenschaften an dir entdeckt zu haben, die sich mit Pythagoras gar nicht vertragen.“
Hahn: „Und die wären?“
Mikyllos: „Einmal bist du ein Schwätzer und Krakeeler. während jener, wie ich denke, für ganze fünf Jahre das Schweigen empfahl. In dem zweiten Punkt aber hast du dich ganz und gar gegen seine Vorschriften vergangen. Denn als ich gestern nicht wusste, was ich dir vorsetzen sollte, und Bohnen mit nach Hause brachte, hast du sie ohne Bedenken aufgepickt. Demnach musst du entweder gelogen haben oder ein andrer sein oder, wenn du Pythagoras bist, deine eigenen Gesetze missachtet und mit der Bohnenmahlzeit einen ebensolchen Frevel begangen haben, wie wenn du deines Vaters Haupt verspeist hättest.“
Hahn: „Kannst du dir denn nicht den Grund dafür denken, Mikyllos, und dir klarmachen, dass der jeweiligen Lebensform etwas Anderes gemäß ist? Damals aß ich keine Bohnen, weil ich ein Philosoph war; jetzt verspeise ich sie, weil diese Nahrung der Natur eines Vogels entspricht und ihm nicht verboten ist. - Indes, wenn dir daran gelegen ist, vernimm, wie ich vom Pythagoras zum Hahn wurde, in was für Gestalten ich bisher gelebt habe und was an jeder Verwandlung Gutes gewesen ist.“
Mikyllos: „Sprich nur immerzu; dir zuzuhören, wird mir das größte Vergnügen sein, und wenn man mich vor die Alternative stellte, ob ich vorzöge, derlei Dinge berichten zu hören, oder den himmlischen Traum, den ich kurz zuvor hatte, noch einmal zu träumen, ich weiß nicht, was ich dann wählen würde; für so gleichwertig sehe ich deine Geschichte und das, was ich im Schlaf erlebte, an, und ich schätze eins so hoch wie das andere, dich und den köstlichen Traum.“
Hahn: „Mag er gewesen sein, wie er will - kannst du dich denn noch immer nicht von ihm losreißen? Klammerst du dich noch weiter an nichtige Trugbilder und jagst einem Glück nach, das ohne Inhalt und, wie der dichterische Ausdruck lautet, wesenlos ist?“
Mikyllos: „Und doch, lieber Hahn, werde ich jenen Traum bestimmt nie vergessen; so süß war der Honig, den er auf meine Augen geträufelt hatte, dass ich die Lider kaum zu öffnen vermochte, vielmehr zogen sie sich gleich wieder zum Weiterschlafen herab. Was ich erblickte, kitzelte mich ebenso wie Federn, mit denen man sich in den Ohren krault.“
Hahn: „Donnerwetter, du bist ja ordentlich verliebt in deinen Traum, wenn er, der doch Flügel haben soll und dessen Flug normalerweise mit dem Schlaf endet, bereits die Gräben überspringt und dich auch bei offenen Augen nicht loslässt; so greifbar deutlich steht er vor dir in seiner Honigsüße. Ich will doch hören, wie er war, da du ihn so sehnlich herbeiwünschst.“
Mikyllos: „Dazu bin ich gern bereit; es ist mir eine Freude, mir ihn ins Gedächtnis zu rufen und dir einiges davon zu erzählen. Doch, mein lieber Pythagoras, wann willst du da zu deinem Bericht über die Geschichte deiner Verwandlungen kommen?“
Hahn: „Wenn du, Mikyllos, aufgehört hast zu träumen und dir den Honig aus den Augen gewischt hast. Doch erzähle erst einmal, damit ich erfahre, ob er durch das Tor aus Elfenbein oder das aus Horn zu dir kam.“
Mikyllos: „Durch keins von beiden, Pythagoras.“
Hahn: „Aber Homer spricht doch nur von diesen zwei Möglichkeiten.“
Mikyllos: „Ach, lass doch diesen Einfaltspinsel von Poeten, der ja von Träumen keine Ahnung hatte. Mag sein, dass die armseligen Träume, wie sie jener sah - und bei seiner Blindheit doch nur sehr verschwommen -, durch so eine Pforte gehen; der meinige kam beglückend durch eine goldene Pforte, golden er selbst, golden seine Kleidung, und viel Gold führte er mit sich.“
Hahn: „Hör auf, Gold von dir zu geben, du trefflicher Midas; denn ein Wunsch, wie er ihn hatte, hat natürlich auch deinen Traum hervorgerufen, und der Schlaf hat dir anscheinend ein ganzes Goldbergwerk eingebracht.“
Mikyllos: „Ja, ich habe viel, viel Gold gesehen, Pythagoras. Was denkst du, wie herrlich das war, wie das gleißte und glänzte! Wie sagt doch Pindar an der Stelle, wo er das Gold preist? Bringe mich doch drauf, wenn du sie kennst, da, wo er das Wasser als das Beste bezeichnet und dann doch das Gold bewundert, mit Recht; gleich zu Beginn des Buches, weißt du; es ist eins der schönsten von seinen Liedern.“
Hahn: „Meinst du etwa diese Stelle:‘
‚Bester Urstoff ist das Wasser.
Aber Gold besiegt alle anderen Schätze
Die eines Mannes Gemüt beglücken,
wie flammendes Feuer das nächtliche Dunkel‘.“
Mikyllos: „Eben das war's, beim Zeus; als hätte Pindar meinen Traum gehabt, so preist er das Gold! Doch ich will dich nicht länger auf die Folter spannen; höre also schön zu. Wenn ich ihn dir schildere, weisester Hahn! Dass ich gestern nicht zu Hause aß, weißt du; der reiche Eukrates, den ich auf dem Markt traf, lud mich nämlich ein, nach dem Bad pünktlich bei ihm zum Mahl zu erscheinen.“
Hahn: „Ich weiß es recht gut, nachdem ich den ganzen Tag über hatte hungern müssen, bis du erst am späten Abend angesäuselt nach Hause kamst und mir die fünf Bohnen brachtest; eine magere Mahlzeit für einen Hahn, der einstmals ein Athlet war und bei den Olympischen Spielen nicht unrühmlich gekämpft hatte.“
Mikyllos: „Als ich nach dem Essen zurückkam, schlief ich gleich ein, nachdem ich dir die Bohnen hingeworfen hatte. Und da trat zu mir, um mit Homer zu sprechen, ‚ein wahrhaft göttlicher Traum durch die ambrosische Nacht hin‘.“
Hahn: „Erzähle mir doch, Mikyllos, erst einmal, wie es bei Eukrates zuging, wie das Mahl verlief, und alle Einzelheiten vom Gelage. Warum solltest du es dir nicht gönnen, in einer Art willkürlich hervorgerufenem Traum jenes Diner noch einmal durchzukosten und alle Speisen in der Erinnerung wiederzukäuen?“
Mikyllos: „Ich glaubte, dir lästig zu fallen, wenn ich auch das noch berichtete; da du es aber wünschst, so sei es denn. Niemals zuvor in meinem ganzen Leben, Pythagoras, hatte ich bei einem reichen Mann gespeist. Da will es mein guter Stern, dass ich gestern den Eukrates treffe. Ich begrüßte ihn, wie gewöhnlich, mit ‚mein Herr und Gebieter‘ und drückte mich schon zur Seite, um ihm keine Schande zu machen, wenn ich in meinem abgeschabten, alten Mantel neben ihm herginge, als er mir zurief: ‚Mikyllos, ich gebe heute für meine Tochter einen Geburtstagsschmaus und habe sehr viele Freunde dazu geladen. Da nun einer von ihnen, wie es heißt, unpässlich ist und sich außerstande sieht, mit uns zu speisen, so vertritt du ihn und komme nach dem Bade zum Mahl, es sei denn, er sagte doch noch zu; denn zurzeit ist er sich noch nicht schlüssig.‘ Darauf bedankte ich mich bei ihm mit einer tiefen Verbeugung und flehte auf dem Heimweg zu allen Göttern, sie möchten jenem kränkelnden Gast, den ich vertreten und ersetzen sollte, doch einen Schüttelfrost, das Seitenstechen oder das Podagra (Gichtanfall) schicken. Die Zeit bis zum Bade dünkte mich endlos lang, und immerfort sah ich nach der Sonnenuhr, um festzustellen, wie lang der Schatten des Zeigers sei und wann ich mit dem Bad fertig sein müsse. Und als endlich der ersehnte Augenblick da war, säubere ich mich und mache mich schleunigst auf die Beine, nicht ohne mich recht herausgeputzt und meinen Mantel gewendet zu haben, so dass die reinere Seite nach außen kam. Am Tor finde ich unter vielen anderen tatsächlich auch jenen Krankgesagten vor, den ich vertreten sollte und der von vier Mann in einer Sänfte hergetragen wurde. Offensichtlich ging es ihm schlecht; wenigstens stöhnte und hustete er, spuckte einen tiefsitzenden Schleim aus, so dass man sich hütete, ihm zu nahe zu kommen, war leichenblass und aufgedunsen, ein Mann von etwa sechzig Jahren. Es hieß, er sei ein Philosoph von der Sorte, die den jungen Leuten ihren Unsinn vorschwatzt; sein Bart war auch danach, ein richtiger Bocksbart, der für die Schere des Friseurs überreif war. Als der Arzt Archibios ihm Vorwürfe machte, dass er in einem solchen Zustand herkäme, erwiderte er: ‚Erst kommen die Pflichten, insonderheit bei einem Philosophen, und wenn sich noch so viele Krankheiten hindernd in den Weg stellen; Eukrates wird ja sonst glauben, unsereins sehe ihn über die Achsel an.‘ - ‚Durchaus nicht‘, warf ich. ein, ‚vielmehr wird er dich loben, wenn du lieber bei dir zu Hause den Tod erwarten als dir beim Gastmahl zugleich mit dem Schleim die Seele aus dem Leibe husten woIItest.‘ Jener war so großmütig, so zu tun, als habe er die spöttische Bemerkung nicht gehört. Kurz darauf trat auch Eukrates, der aus dem Bade kam, zu uns, und als er den Thesmopolis erblickte - so hieß nämlich der Philosoph, meinte er: ‚Meister, es ist schön von dir, dass du selbst zu uns gekommen bist; aber es würde dir auch so nichts entgangen sein: Wenn du weggeblieben wärest, hätte ich dir von allem deinen Anteil ins Haus geschickt.‘ Mit diesen Worten reichte er Thesmopolis die Hand und führte ihn hinein, wobei dieser sich obendrein auf seine Diener stützte. Ich wollte mich schon entfernen, da drehte sich Eukrates um und sagte, als er mich so betrübt dastehen sah, nach langem Schwanken: ‚Komm ebenfalls mit, Mikyllos, und speise mit uns; ich wiII meinem Sohn sagen, er soll mit seiner Mutter im Damenzimmer essen, damit Platz für dich da ist.‘ Daraufhin trat ich ein. Dabei kam ich mir vor wie der Wolf, der beinahe vergeblich das MauI aufgesperrt hätte, und es war mir äußerst peinlich, dass es so aussah, als hätte ich Eukrates' Sohn von der Tafel vertrieben. Als es nun Zeit war, Platz zu nehmen, hoben, glaube ich, fünf junge Leute von ansehnlicher Größe wahrhaftig nicht ohne Anstrengung Thesmopolis in die Höhe und legten ihn auf das Sofa, nachdem sie ihm von allen Seiten Kissen in den Nacken geschoben hatten, damit er in dieser Lage bleibe und es längere Zeit aushalten könne. Und da niemand sich entschließen konnte, den Platz in seiner Nähe einzunehmen; verwiesen sie mich kurzerhand dahin, so, dass wir Tischnachbarn waren. Dann, Pythagoras, ging es an ein reichhaltiges, opulentes Mahl auf viel Gold und Silber; wir tranken aus goldenen Bechern, schöne Knaben bedienten, zwischen den Gängen gab es Musik, und Spaßmacher traten auf; kurz, es war für die angenehmste Unterhaltung gesorgt. Nur eins machte mir nicht geringen Kummer, das Geschwätz des Thesmopolis, der mir mit seinem Vortrag über wer weiß was für eine Tugend auf die Nerven fiel und mich belehrte, dass zwei Verneinungen eine Bejahung ergeben und dass es, wenn es Tag ist, nicht Nacht sei. Dann wieder wollte er mir einreden, ich hätte Hörner. Lauter solches philosophisches Zeug setzte er mir vor, obwohl es mich nicht im Geringsten interessierte, und redete ununterbrochen auf mich ein, brachte mich damit um mein Vergnügen und ließ mich nicht zuhören, wenn sie Zither spielten oder sangen. Da hast du, guter Hahn, den Verlauf des Essens.“
Hahn: „Keine sehr erfreuliche Sache, Mikyllos, zumal da du diesen albernen Alten zum Tischnachbar hattest.“
Mikyllos: „Lass dir nun auch den Traum erzählen. Ich vermeinte, Eukrates selber käme, ich weiß nicht wie, zum Sterben. Da habe er mich rufen lassen und sein Testament gemacht, in dem er mich zum Universalerben einsetzte. Kurz darauf habe ihn wirklich der Tod ereilt. Nach Übernahme des Vermögens schüttete ich die Gold- und Silbermünzen immerfort in eine Art große Bütten, und doch hörte der glänzende Strom nie auf zu fließen; auch alles übrige, Kleider und Tische, Trinkgefäße und Diener, war natürlich mein. Dann fuhr ich in einem mit Schimmeln bespannten Wagen lässig zurückgelehnt aus, von allen, die mich sahen, bewundert und beneidet. Viele Läufer und Reiter eröffneten den Zug und mehr noch folgten meinem Wagen. Ich, in jenen Mannes Kleidern und mit etwa sechzehn schweren Ringen an den Fingern, ließ ein Galadiner zum Empfang meiner Freunde vorbereiten. Die waren, wie es im Traum zu gehen pflegt, gleich da; das Essen wurde eben aufgetragen, das Getränk gemischt. Ich war mit ganzer Seele dabei, trank jedem der Anwesenden aus goldener Schale Gesundheit zu, und schon wurde der Kuchen aufgetragen, da hobst du mit deinem vorzeitigen Krähen die Tafel auf, stießest die Tische um, zerstreutest den ganzen Reichtum und machtest, dass er sich mit Windeseile verflüchtigte. Meinst du da, ich wäre dir grundlos böse gewesen? Gern hätte ich noch drei Nächte so weiter geträumt.“
Hahn: „Bist du denn ein so großer Freund des Goldes und des Reichtums, Mikyllos, dass du von allen Dingen nur diesem deine Bewunderung zollst und du glaubst, dass der Besitz von recht viel Geld glücklich macht?“
Mikyllos: „Nicht ich allein, Pythagoras, bin dieser Meinung; nein, auch du selber dachtest so, als du noch Euphorbos warst; denn du zogst mit goldenen und silbernen Fäden um deine Locken aus zum Kampf mit den Achäern, zu einem Kampf, wo es besser gewesen wäre, in Eisen einherzugehen statt in Gold. Aber du zogst es auch damals vor, dich mit golddurchflochtenem Haar in die Schlacht zu wagen. Das scheint mir auch der Grund zu sein, warum Homer dein Haar mit dem der Chariten vergleicht, weil auch sie es mit Gold und Silber umspannen; denn sie wirkten bei weitem schöner und anmutiger, wenn ihre Flechten von Gold umwunden waren und in seinem Scheine glänzten: Doch bei dir, du Goldgelockter, ist immer noch zu verstehen, dass du, nur eines Panthoos Sohn, das Gold so hoch einschätztest; aber auch der Vater aller Götter und Menschen, der Sohn des Kronos und der Rhea, wusste, als er das Mädchen von Argos begehrte, keine gewinnendere Form der Verwandlung für: sich und keine bessere Möglichkeit, des Akrisios Wächter zu bestechen, als dass er, wie dir doch wohl bekannt ist, als goldener Regen durch das Dach in den Schoß der Geliebten herabfloss. Was soll ich dir also noch weiter schildern, was für Vorteile das Gold mit sich bringt; wie es die, zu denen es kommt, schön, klug und stark macht, Ehre und Ruhm an sie heftet und unbekannte Leute ohne Bedeutung rasch in angesehene Männer verwandelt, die man in Liedern preist. Du kennst doch meinen Nachbar und Spezialkollegen Simon, der erst vor kurzem bei mir aß, als ich am Kronosfest Erbsenbrei gekocht und noch zwei dicke Stücke Knoblauchwurst hineingetan hatte?“
Hahn: „Ich weiß, du meinst den Kleinen mit der plattgedrückten Nase, der die irdene Schüssel an sich nahm, die einzige, die wir hatten, und mit ihr unter dem Arm nach dem Essen abrückte. Ich hab's mit eigenen Augen gesehen, Mikyllos.“
Mikyllos: „Also war der Kerl doch der Dieb und hat dann bei so viel Göttern seine Unschuld beschworen! Aber, Freund Hahn, warum hast du dich damals nicht geregt und Lärm geschlagen, als du sahst, wie man uns beraubte!“
Hahn: „Ich krähte immerzu; das war das einzige, was ich damals vermochte. Was aber ist's mit Simon? Mir schien, du wolltest etwas von ihm erzählen.“
Mikyllos: „Er hatte einen unverschämt reichen Vetter namens Demylos. Der gab bei seinen Lebzeiten Simon auch nicht einen Obolus. Wie sollte er auch; rührte er doch selber sein Geld nicht an. Nachdem dieser nun kürzlich gestorben ist, gehört all das mit Fug und Recht dem Simon, und er, der bisher seine schmutzigen Lumpen trug und mit Wonne die Schüssel ableckte, zeigt sich jetzt in Scharlach und Purpur, hat Dienerschaft, Pferd und Wagen, goldene Becher und Tische mit Füßen aus Elfenbein; alles fällt vor ihm nieder, und unsereins sieht er nicht mehr. Als ich ihm neulich aus dem Haus treten sah, begrüßte ich ihn mit den Worten: ‚Guten Tag, Simon!‘ Er aber rief unwillig: ‚Sagt doch dem Bettler da, er soll meinen Namen nicht verstümmeln; nicht Simon heiße ich, nein, Simonides.‘ Doch das schönste ist: nun sind auch die Weiber hinter ihm her; er aber zeigt sich zurückhaltend und tut nichts dergleichen. Manche lässt er in Gnaden an sich heran; die übrigen drohen sich aufzuhängen, wenn er ihnen kerne Beachtung schenkt. Da siehst du, wieviel Gutes das Gold schafft, wenn es sogar die Verunstalteten verwandelt und ihnen Anmut verleiht wie jener berühmte Gürtel in der Dichtung. Du hörst es auch von den Poeten, wenn sie sagen: ‚Gold, schönste Gabe, die man gerne sieht‘, und ‚Macht über alle Menschen hat das Gold‘. Aber was lachst du da, guter Hahn?“
Hahn: „Weil du dich, Mikyllos, in deiner Unkenntnis hinsichtlich der Reichen der gleichen Täuschung hingibst wie die große Mehrzahl der Menschen. Sie sind, darüber sei dir klar, im Leben viel unglücklicher als du und deinesgleichen. Ich sage dir das als einer, der oftmals arm und dann wieder reich gewesen ist und jede Art des Lebens erprobt hat; du wirst auch selber sehr bald dahinterkommen, wenn du es im Einzelnen hörst.“
Mikyllos: „Ja, beim Zeus, es wird ja, wirklich Zeit, dass auch du mir berichtest, welche Verwandlungen du durchgemacht und was du dabei für Erfahrungen gesammelt hast.“
Hahn: „So höre denn; doch will ich so viel vorausschicken, dass mir keiner unter die Augen gekommen ist, der glücklicher lebte als du.“
Mikyllos: „Als ich, Freund Hahn? Das Glück solltest du einmal haben! Du hast eh so richtig in die Wolle gebracht, dass ich gar nicht anders kann als dir so etwas wünschen. Doch nun los und erzähle, wie aus Euphorbos Pythagoras wurde, und dann immer weiter bis zum Hahn! Sicherlich hast du ja allerlei gesehen und erlebt in den diversen Formen des Lebens, die du durchlaufen hast!“
Hahn: „Zu berichten, wie meine Seele zuerst von Apoll zur Erde hinabgeflattert und in einen menschlichen Leib geschlüpft ist, um irgendeine Strafe abzubüßen, dies würde zu weit führen, besonders da es auch ein Frevel gegen die Gottheit wäre, wenn ich so etwas in den Mund nähme und deinen Ohren preisgäbe. Also als ich Euphorbos war …“
Mikyllos: „Wer bin ich denn selber vorher gewesen, du großer Mann? Sage mir doch erst einmal, ob auch ich dereinst verwandelt wurde wie du?“
Hahn: „Freilich.“
Mikyllos: „Wer war ich denn? Kannst du es mir sagen? Ich wüsste es gar zu gern.“
Hahn: „Eine indische Ameise von der Sorte, die Gold gräbt.“
Mikyllos: „Und da habe ich Unglückswurm es verabsäumt. mich dort mit auch nur einigen wenigen Körnern davon für dieses Leben zu versehen! - Doch was werde ich danach sein? Du kannst mir bestimmt darüber Auskunft geben. Wenn es etwas Rechtes ist, erhebe ich mich gleich und hänge mich an dem Pflock auf, auf dem du sitzt.“
Hahn: „Du kannst anstellen, was du willst: erfahren wirst du das vorher nicht. AIso, um wieder zur Sache zu kommen, als ich Ephorbos war, kämpfte ich vor Ilion und fiel in des Menelaos Hand. Nach einer guten Weile wurde ich Pythagoras. Bis dahin stand ich ohne Bleibe da, bis schließlich Mnesarchos meiner Seele eine neue irdische Wohnung schuf.“
Mikyllos: „Und solange bliebst du ganz ohne Speise und Trank, Freundchen?“
Hahn: „Natürlich, denn nur der Körper bedurfte dieser Dinge.“
Mikyllos: „Dann berichte mir also erst einmal von dem, was vor Ilion geschah. War's wirklich so, wie Homer es schildert?“
Hahn: „Woher sollte der es wissen, Mikyllos, wo er doch zu jener Zeit ein Trampeltier in Baktra war? Nur so viel sage ich dir: ‚Es war damals gar nichts Besonderes los, und weder war Aias so groß noch Helena so schön, wie die Leute denken. Ich sah nur so etwas wie einen langen weißen Hals, der auf die Tochter eines Schwans schließen ließ, im Übrigen aber eine schon reichlich alte Frau vor mir, die der Hekabe an Jahren nicht viel nachstand.‘ Theseus war der erste, der sie entführt hatte und in Aphidnä besaß. Das war zu Lebzeiten des Herakles, und der hatte Troja schon einmal eingenommen, ungefähr als unsere damaligen Väter noch klein waren. Das hat mir Panthoos selbst erzählt, der behauptete, er habe in seiner frühesten Jugend noch Herakles gesehen.“
Mikyllos: „Wie? War denn Achilleus ein solcher Held, wie es heißt, und tatsächlich in allem der Tüchtigste, oder ist auch das nur Sage?“
Hahn: „Mit dem hatte ich nie zu tun, Mikyllos, und ebenso wenig kann ich dir über das, was bei den Achäern vorging, genauere Auskunft geben; woher sollte ich es auch wissen; da ich auf der gegnerischen Seite stand? Jedoch war es für mich kein Kunststück, seinen Kameraden Patoklos zu erledigen, den ich mit meinem Speer durchbohrte.“
Mikyllos: Und für Menelaos ein noch viel Geringeres, dir den Garaus zu machen. Doch genug davon; erzähle lieber aus deinem Leben als Pythagoras.“
Hahn: „Alles in allem war ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, auch nur ein Sophist, doch im Übrigen nicht ohne Bildung und Erfahrung in den vornehmsten Wissenschaften. Ich unternahm auch eine Reise nach Ägypten, um von der Weisheit der dortigen Propheten zu profitieren, stieg hinab in die allerheiligsten Gemächer und prägte mir die Bücher des Horus und der Isis ein. Dann segelte ich wieder weg nach Italien und erreichte bei den Griechen jene Gegend, in der sie mich für einen Gott hielten.“
Mikyllos: „Ich hörte das schon und dass man von dir glaubte, du seiest nach deinem Tode wieder zum Leben erwacht; auch, dass du ihnen einmal deinen goldenen Schenkel vorgewiesen hättest. Aber sage mir noch, wie kamst du darauf, ein Gesetz zu geben, wonach man kein Fleisch und keine Bohnen essen soll?“
Hahn: „Nach so etwas frag nicht, Mikyllos.“
Mikyllos: „Warum denn, mein Hahn?“
Hahn: „Weil ich mich schäme, dir die Wahrheit darüber zu sagen.“
Mikyllos: „Gegenüber einem Freund und Hausgenossen brauchtest du dich doch wirklich nicht zu genieren: denn als deinen Herrn möchte ich mich nicht länger bezeichnen.“
Hahn: „Die Sache hatte weder Sinn noch Verstand; aber ich erkannte, dass ich die Menschen nicht im Geringsten veranlassen würde, mir Weihrauch zu streuen, wenn ich nur die allgemein üblichen Anordnungen träfe wie die anderen auch; war aber andrerseits der Meinung, dass ihnen umso verehrungswürdiger erscheinen würde, je seltsamer meine Gebote wären. Daher zog ich es vor, etwas ganz Neues auszuhecken, wobei ich mit dem Grund dafür recht geheimnisvoll tat, damit jeder etwas Anderes dahinter vermute und alle vor Ehrfurcht erschauerten wie bei den dunklen Orakelsprüchen. - Siehst du wohl? - Jetzt lachst du über mich.“
Mikyllos: „Nicht so sehr über dich wie über die Einwohner von Kroton, Metapont, Tarent und die andern alle, die dir folgten, ohne einen Laut von sich zu geben, und die Fußstapfen küssten, die du beim Gehen hinterließest. Aber als du nun den Pythagoras abgetan hattest, welche Gestalt nahmst du danach an?“
Hahn: „Die der Aspasia, der Hetäre aus Milet.“
Mikyllos: „Hör einer an! Pythagoras war also zwischendurch auch ein Weib! Und es gab einmal eine Zeit, wo du; Verehrtester aller Hähne, Eier legtest und, als du Aspasia warst, mit Perikles verkehrtest, von ihm schwanger wurdest, Wolle spannst, webtest und dich hingabst nach Hetärenart?“
Hahn: „Alles das tat nicht nur ich, sondern vor mir auch Teiresias und des Elatos Sohn Kaineus, so dass der ganze Spott, mit dem du mich bedenkst, auch jene trifft.“
Mikyllos: „Im Vertrauen: welche Art zu leben fandst du vergnüglicher, die als Mann oder die, als dich Perikles hatte?“
Hahn: „Du weißt, dass Teiresias die Antwort auf Fragen solcher Art nicht gut bekam.“
Mikyllos: „Auch, wenn du dich in Schweigen hüllst, Euripides hat die Sache bereits hinreichend geklärt, wenn er Medea sagen. Lässt:
‚Dreimal im Feld zu stehen, zög ich vor einmaligem Gebären‘.“
Hahn: „Gut, ich werde dich daran erinnern, Mikyllos, wenn du in Kürze selber in die Wehen kommst; denn auch du wirst ein Weib sein und nicht nur einmal im reichen Wechsel der Gestalten.“
Mikyllos: „Einen Strick um deinen Hals, du Hahn, wenn du denkst, alle müssten Milesier oder Samier sein! Übrigens munkelt man von dir, du wärest, als du noch Pythagoras im Glanz deiner jugendlichen Schönheit warst, gar oft Aspasia für den Tyrannen gewesen. Und nach Aspasia - welcher Mann oder welche Frau wurdest du dann?“
Hahn: „Der Kyniker Krates.“
Mikyllos: „Bei den Dioskuren, welche Wandlung! Nach der Hetäre ein Philosoph!“
Hahn: „Dann ein König, dann ein armer Schlucker, kurz darauf ein Satrap, dann wieder ein Pferd, eine Dohle. ein Frosch und tausenderlei anderes: es würde zu viel, wenn ich alles herbeten wollte. Schließlich nahm ich des Öfteren die Gestalt eines Hahnes an; denn ich fühle mich wohl in dieser Haut; vielen leistete ich Dienst. Königen sowohl wie arm und reich, und so bin ich nun bei dir gelandet und amüsiere mich täglich, wenn du über deine Armut jammerst und klagst und die Reichen bewunderst, weil du ihre Schmerzen nicht kennst. Wenn du über die Sorgen, die sie begleiten, Bescheid wüsstest, du lachtest selber über dich und deinen anfänglichen Glauben, Reichtum mache überglücklich.“
Mikyllos: „Also, Pythagoras - oder welche Anrede hörst du am liebsten; denn ich möchte die Unterhaltung nicht ins Stocken bringen, dass ich dich bald so, bald so nenne.“
Hahn: Es macht nichts als ob du mich Euphorbos oder Pythagoras, Aspasia oder Krates nennst; denn ich bin das alles in einem. Indes dürftest du besser daran tun, mich nach der Gestalt, in der du mich jetzt vor dir siehst mit Hahn anzureden, schon um zu beweisen, dass du nicht verächtlich denkst von einem Vogel, der gering erscheint und doch so viele Seelen in sich vereinigt.“
Mikyllos: „Also, mein lieber Hahn, da du ja fast alle nur möglichen Formen des Daseins ausprobiert hast und schon alles warst, schildere mir nunmehr ausführlich und gesondert das Leben des Reichen und des kleinen Mannes, damit ich mir klar darüber werde, ob deine Behauptung zutrifft, ich sei glücklicher als jene.“
Hahn: „Betrachte die Sache mal so, Mikyllos. Dir macht ein Krieg nicht viel aus, wenn es heißt, die Feinde nahen, und du machst dir keine Sorgen, dass sie beim Vormarsch deinen Acker verwüsten, deinen Park zertrampeln oder die Weinstöcke herausreißen könnten; sondern, wenn du die Trompete hörst, hältst du höchstens nur danach Umschau, wohin du dich wenden sollst, um dich zu retten und der Gefahr zu entgehen. Die Reichen hingegen kommen aus der Furcht für ihre Person nicht heraus und sehen zugleich von den Stadtmauern mit Schmerzen, wie alles, was sie draußen auf ihren Ländereien hatten, geraubt und fortgeschleppt wird. Und wenn es gilt, Kriegssteuern zu zahlen, werden sie allein aufgerufen; wenn ein Ausfall gemacht werden muss, tragen sie als Feldherrn oder Reiterführer zuerst ihre Haut zu Markte. Du jedoch mit deinem Weidenschild bist gut daran und unbeschwert genug, um dich retten zu können, und wenn der siegreiche Feldherr das Dankopfer bringt, gleich bereit, als festlichen Schmaus teilzunehmen. Im Frieden wiederum steigst du, der Mann des Volkes, hinauf in die Versammlung und tyrannisierst die Reichen; die aber zittern vor dir und dienern und suchen dich durch Zuteilungen von Geld und Getreide günstig zu stimmen. Sie rackern sich ab, damit du Bäder, Wettkämpfe, Schauspiele und alles sonstige in hinreichendem Maße hast; du aber bist ihr erbitterter Kritiker und ein strenger Richter über ihr Verhalten und trittst als ihr Herr auf, bisweilen sogar, ohne ihnen auch nur die Möglichkeit einer Rechenschaft zu geben. Und wenn dir's beliebt, bedenkst du sie mit einem kräftigen Hagel von Steinen oder ziehst ihr Vermögen ein. Weder hast du Angst vor einem Denunzianten, noch brauchst du zu fürchten, dass ein Dieb über den Zaun steigt oder die Mauer durchstößt und dir dein Geld wegnimmt noch bist du genötigt, schwer zu rechnen, geliehenes Geld einzutreiben oder dich mit üblen Hausverwaltern herumzuschlagen, und du brauchst dir über derlei Dinge nicht viel Gedanken zu machen. Aber wenn deine Sandale fertig ist und du dafür deine sieben Obolen eingestrichen hast, machst du dich im späten Nachmittag: auf, badest, wenn du Lust hast, kaufst dir einen Hering. oder Sardellen oder ein paar Zwiebeln, trällerst häufig vergnügt vor dich hin und hängst dabei in glücklicher Armut deinen Gedanken nach. Daher bist du auch gesund und stark, und die Kälte macht dir nichts aus, denn die Arbeit stählt dich, und du stemmst dich tapfer gegen Misshelligkeiten, die den andern unüberwindlich scheinen. Sicher bleibst du von den schweren Krankheiten verschont, wie sie jene treffen; doch wenn dich wieder einmal ein leichtes Fieber packt, bist du ihm für kurze Zeit unterworfen, dann schüttelst du die lästige Verstimmung ab und bist auf der Stelle wieder völlig obenauf. Das Fieber aber macht sich gleich entsetzt davon, wenn es sieht, wie einer ganze Kannen kaltes Wasser trinkt und die ständigen Arztvisiten weit von sich weist. Was haben dagegen die Unglücklichen, die ihre Unmäßigkeit zu büßen haben, nicht alles für Leiden: Podagra (Gicht), Schwindsucht, Lungenentzündungen und Wassersucht! Das kommt bloß von ihren üppigen Diners. Daher ereilt manche von ihnen auch das Schicksal des Ikaros: sie schwingen sich in schwindelnde Höhen und nähern sich der Sonne, ohne zu bedenken, dass ihre Federn nur mit Wachs verklebt sind, und dann stürzen sie plötzlich kopfüber ins Meer, wobei ihr Körper bisweilen mit mächtigem Prall auf den Wellen aufschlägt. Diejenigen hingegen, die wie Daidalos nicht so hoch hinauswollen und nicht den Himmel stürmen, sondern hübsch nahe an der Erde bleiben, so dass der Gischt manchmal das Wachs benetzt, fliegen meist, ohne Schaden zu nehmen, hinüber.“
Mikyllos: „Vernünftige und einsichtige Leute sind das.“
Hahn: „Doch die andern, Mikyllos! Als elende Wracks er- scheinen sie vor dir, so der flü-gellahme Krösos, der auf dem Scheiterhaufen den Persern zum Gespött dient, oder Dionysios, der sich nach Aufhebung der Tyrannei in Korinth als Schulmeister betätigen muss und, nachdem er so große Macht besessen, den Kindern das Buchstabieren beibringt.“
Mikyllos: „Sag mal, lieber Hahn, du bist doch nach deiner eigenen Angabe auch einmal König gewesen; wie lebte sich's denn damals als Herrscher? Da musst du doch sicherlich ganz glücklich gewesen sein, wo du den Gipfel aller menschlichen Seligkeit erklommen hattest.“
Hahn: „Erinnere mich nur nicht daran, Mikyllos; todunglücklich fühlte ich mich damals! Alle die Außenstehenden dachten wie du, ich führte ein Götterleben, und dabei stand ich in meinem Herzen unzählige Qualen aus.“
Mikyllos: „Qualen, wieso? Was du da sagst, kann ich weder fassen noch glauben.“
Hahn: „Ich herrschte über ein nicht eben kleines fruchtbares Land, das an Menge des Volks und Schönheit der Städte es mit den meisten anderen aufnehmen konnte, von schiffbaren Flüssen durchströmt wurde und am Gestade des Meeres gute Häfen und Ankerplätze aufwies. Ich hatte eine zahlreiche Truppe, eine geübte Kavallerie, eine stattliche Leibwache, Trieren (Kriegsschiffe), eine unendliche Menge Geld, sehr viel verarbeitetes Gold, und das ganze übertriebene Gepräge königlicher Macht stand mir zur Verfügung, so dass, zeigte ich mich in der Öffentlichkeit, das Volk vor mir niederfiel und vermeinte, ein höheres Wesen zu sehen, und alles, was Beine hatte, zusammenlief, um meines Anblicks teilhaft zu werden, manche sogar auf die Dächer kletterten und sich glücklich schätzten, mein Gespann, mein Kleid, mein Diadem, die Vorreiter und den Nachtrab in aller Deutlichkeit gesehen zu haben. Ich hingegen war mir aller der Sorgen bewusst, die mich bedrückten und in Atem hielten, und verzieh ihnen ihre Unwissenheit. Ich tat mir selber leid wegen meiner Ähnlichkeit mit jenen kolossalen Statuen, wie sie Pheidias, Myron oder Praxiteles geschaffen hatten. Jede von ihnen ist, von außen gesehen ein herrlicher Poseidon oder Zeus aus Gold und Elfenbein mit Donnerkeil, Blitz oder Dreizack in der Rechten; wenn man sich aber niederbeugt und ins Innere hineinsieht, kann man so etwas wie Balken, starke Nägel, hindurchgetriebene Stifte, Kloben, Keile, Pech, Lehm und allerlei unter der Hülle verborgenes Hässliches erblicken. Gar nicht zu reden, von der Masse Mäuse und Ratten, die sich manchmal häuslich darin niedergelassen haben. So steht es auch mit der Größe eines Königs.“
Mikyllos: „Aber du hast noch nicht gesagt, was beim Königtum unter dem Lehm, den Balken und den Nägeln zu verstehen ist und worin das viele Hässliche besteht. Das Zur-Schau-Stellen in der Öffentlichkeit, die Bewunderung, die Macht über so viele Menschen, die Verehrung, das alles passt vortrefflich zu deinem Beispiel von der Riesenstatue; auch sie ist ja etwas ganz Herrliches. Aber jetzt sage mir: Was meint dein Vergleich mit dem Hinweis auf das Innere des Kolosses?“
Hahn: „Was soll ich dir da zuerst nennen, guter Mikyllos? Die Ängste und Bilder des Schreckens, der Argwohn im Herzen, Hass und Intrige in der nächsten Umgebung und demzufolge wenig Schlaf - und auch der nicht fest; unruhige Träume, verwickelte Gedankengänge und immer in Erwartung von etwas Schlimmem; oder die ständige Unruhe, Verhandlungen, Rechtsentscheidungen, Ausmärsche, Befehle, Staatsverträge und Rechenschaftsberichte - all das lässt einen nicht einmal angenehm träumen; nein, man muss als einziger für alle überlegen und sich mit unzähligen Dingen abmühen. Hielt doch auch den Atriden Agamemnon nicht ‚süßer Schlummer umfangen, da ihn viele Sorgen beschwerten‘, und das, während alle Achäer schnarchten. Den Lyderkönig schmerzte, dass sein Sohn taubstumm war, den Perserkönig, dass Klearch Söldner für Kyros warb; Dionysios wurde unruhig, wenn Dion einigen Syrakusanern etwas zuflüsterte, Alexander, wenn Parmenion gelobt wurde; Ptolemaios fürchtete den Perdikkas, Seleukos den Ptolemaios. Aber das ist nicht das einzige, was Sorgen macht; es genügt schon ein unwilliger Lieblingsknabe, eine Mätresse, die einen andern gernhat; auch ein paar angeblich Abtrünnige und zwei oder vier Trabanten, die miteinander tuscheln, können das Leben schwermachen. Das Härteste aber ist, dass man am wenigsten denen trauen kann, die einem am nächsten stehen, und immer auf etwas Schlimmes von ihrer Seite gefasst sein muss. Es ist ja notorisch, dass den einen Herrscher sein Sohn, den zweiten ausgerechnet der geliebte Jüngling vergiftete und den dritten vielleicht eine ähnliche Todesart dahinrafft.“
Mikyllos: „Geh mir damit! Das sind ja schreckliche Dinge, lieber Hahn, von denen du da sprichst. Da ist mir's doch sicherer, über meinen Leisten gebückt zu sitzen und Leder zu