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"Träume nicht, sondern mach einfach, und zwar selbst" Manu und Konny Reimann sind die wohl bekanntesten Auswanderer Deutschlands. Seit 2004 leben sie in den USA und schmieden sich Tag für Tag ihr eigenes Glück. Mit ihrem unerschütterlichen Lebensmotto "Einfach machen!" haben sie sich eine treue Fangemeinde erobert, die gespannt ihren Alltag verfolgt. In diesem Buch nehmen uns die Reimanns mit auf eine Reise von ihren Anfängen in Deutschland bis hin zu ihrem heutigen Leben auf "Konny Island III" in Hawaii. Dabei teilen sie humorvoll und ehrlich ihre Geschichten von abenteuerlichen Projekten, überraschenden Herausforderungen und inspirierenden Erfahrungen und geben völlig neue Einblicke in ihr ungewöhnliches Leben. Über die Jahre haben Manu und Konny ihren eigenen Weg gefunden, fernab von Risikoscheu und Konventionen. Sie zeigen, dass Träume Wirklichkeit werden, wenn man immer nach vorne schaut, und geben uns Mut, unsere eigenen Träume zu leben. - Die Reimanns hautnah: Exklusive neue Einblicke in das Leben der Reimanns – von Hamburg über Texas bis Hawaii - Von den Auswanderern lernen: Mit den Lebensweisheiten und Life-Hacks von Manu und Conny Reimann - Selber anpacken: Mit praxisgeprüften Anleitungen und Tipps eigene Projekte einfach umsetzen
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Seitenzahl: 306
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© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Projektleitung: Fabian Barthel
Lektorat: Sebastian Hofmann für booklab GmbH, München
Korrektorat: Andrea Lazarovici
Bildredaktion: Petra Ender, Natascha Klebl (Cover)
Covergestaltung: ki 36 Editorial Design, Bettina Stickel
eBook-Herstellung: Maria Prochaska
ISBN 978-3-8338-9160-1
1. Auflage 2023
Bildnachweis
Coverabbildung: Getty Image: M Swiet Productions; Kabel 1/LucyXYZ, Hawaii
Illustrationen: Bella Illenberger
Layoutelemente: Getty Images, Shutterstock
Fotos: Alle Bilder stammen aus dem Familienarchiv von Manu und Konny Reimann, mit Ausnahme von: Adobe Stock; Alamy; Franziska Wanninger; Getty Image; Kabel 1; Kabel 1/LucyXYZ, Hawaii; Shutterstock
Syndication: www.seasons.agency
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Moin, moin! Ein Buch über die Reimanns? Na klar! Seit 2004 werden wir jetzt schon von Kamerateams begleitet. Wir können es selbst kaum glauben, aber in dieser Zeit ist so unendlich viel passiert. Unsere Kinder sind erwachsen geworden und haben uns zu Oma und Opa gemacht, wir haben Häuser gebaut und wieder verkauft, Bäume gepflanzt, gehegt und wieder zurückgelassen, zweimal eine neue Heimat gefunden und vor allem sehr viel über uns selbst gelernt. Selbst wenn uns das Fernsehen noch mal 20 Jahre begleiten würde, die Zeit wäre nicht ausreichend, das alles nur in unserer Sendung zu erzählen.
Unsere Geschichte ist aber nicht unser einziges Anliegen für dieses Buch. Wir bekommen seit vielen Jahren regelmäßig Zuschriften von Menschen, die verstehen wollen, wie wir das alles geschafft haben. Jetzt sind wir wirklich keine Gurus oder Life-Coaches, aber wenn wir aus heutiger Sicht unseren Werdegang ansehen, gibt es natürlich ein paar Grundsätze, die uns ausmachen. Grundsätze, nach denen wir leben und die uns unser Dasein schon oft bedeutend erleichtert haben. Denn man kann zwar nicht ändern, was einem passiert, aber man kann sehr wohl ändern, wie man damit umgeht.
Wir beide haben Zeiten hinter uns, die andere Menschen vielleicht gebrochen hätten. Auch wenn ihr uns heute vielleicht im Fernsehen seht, wie wir in Hawaii an unserem Pool liegen und lecker Konny Island Drinks schlürfen, unser Leben war nicht immer ein Honigschlecken. Aber wir schafften es zum Glück, unabhängig von anderen zu sein und immer wieder weiterzumachen.
Jetzt sind wir aber keinesfalls besser als andere, nicht falsch verstehen. Wir haben das alles auch nur geschafft, weil wir vielleicht eine ganz bestimmte Sicht auf die Dinge haben, und diese Sicht wollen wir euch anhand unserer Lebensgeschichte erzählen. Geht mit uns gemeinsam zurück an den Anfang, als alles begann, weiter nach Texas und Hawaii, zu den vielen Stationen, den Herausforderungen, Höhen und auch Tiefen, die aus uns die Menschen gemacht haben, die wir heute sind.
Viel Freude beim Lesen!
Wie ich mich heute definieren würde? Als German Hula-Girl mit viel Aloha!
Wie heißt du?
Manuela Monika Reimann.
Ich bin geboren am: 23. September 1968 in Bruchsal.
Hobbys: Reisen, Laufen, Yoga.
Wofür gibst du viel Geld aus?
Ich reise gern bequem und möchte eine schöne Unterkunft haben.
Wo sparst du?
Bis vor ein paar Jahren hatte ich noch nie ein Auto, das mehr als 5000 Dollar gekostet hat.
Bei welcher Tätigkeit bist du ganz bei dir?
Beim Nähen und beim Laufen.
Wenn du es dir aussuchen kannst: Camping oder Hotel?
Ich mag beides gern.
Was ist das Schöne daran, berühmt zu sein?
Ich finde es schön, wenn Menschen uns erkennen und sich darüber freuen, uns zu treffen. Einfach nur, weil wir so sind, wie wir sind.
Was ist anstrengend, wenn man so bekannt ist?
Es ist manchmal anstrengend, wenn Menschen immer und überall Fotos von einem machen, ohne zu fragen.
Was waren deine größten Sorgen seit der Auswanderung?
Wir sind ja als Familie in die USA gegangen. Meine größte Sorge damals war eigentlich, was wäre, wenn sich die Kinder dort nicht wohlfühlen.
Wovor hast du Angst?
Vor Wellen und tiefem Wasser und vor Turbulenzen im Flugzeug.
Welches Gericht kannst du am besten kochen?
Ich kann viel besser backen als kochen und liebe alles, was süß ist.
Mein Motto ist: Life is short, eat dessert first!
Wie würdest du dich definieren? Bist du jetzt eine hawaiianische Hessin?
Schwierig! Früher habe ich immer gesagt: German by blood, Texan by heart. Wenn ich aber ehrlich bin, fühle ich mich in Hawaii viel wohler als in Texas. Hier sind die Menschen viel weltoffener und freundlich, das entspricht viel mehr meiner Natur. Ich bin eine Mischung aus Deutschland und Hawaii, glaube ich: German Hula-Girl mit viel Aloha.
Was ist das teuerste Kleidungsstück, das du besitzt?
Ich besitze eine Markenjeans, die 360 Dollar gekostet hat. Über den Preis bin ich ganz schön erschrocken. Aber da hatte ich vorher in drei Monaten 17 Kilo abgenommen und das war meine Belohnung.
Wenn jetzt die 17-jährige Manu neben dir sitzen würde, welchen Tipp würdest du ihr mit auf den Weg geben?
Eigentlich würde ich alles, was ich gemacht habe, wieder machen. Das einzige Ziel, das ich nicht erreicht habe, ist, Modedesignerin zu werden. Dann hätte ich aber meine Kinder nicht so früh bekommen dürfen und auf die hätte ich nie verzichten wollen.
Aus einem Wohltätigkeitslauf entwickelte ich eine Passion für die Langstrecke.
Die Grundlagen für mein handwerkliches Geschick bekam ich während meiner Lehrjahre auf einer Schiffswerft.
Wie heißt du?
Eduard Konrad Reimann.
Ich bin geboren am: 10. September 1955 in Hamburg.
Hobbys: Heimwerken, Lösungen finden, Gartenarbeit.
Wofür gibst du viel Geld aus?
Werkzeug, Baumaterial.
Wo sparst du?
Teure Kleidung, ich kaufe auch keine schicken Autos, das ist mir nicht wichtig.
Bei welcher Tätigkeit bist du ganz bei dir?
Beim Handwerken und bei der Gartenarbeit.
Wenn du es dir aussuchen kannst: Camping oder Hotel?
100 % Camping!
Was ist das Schöne daran, berühmt zu sein?
Überall, wo wir in Deutschland hinkommen, werden wir herzlich empfangen. Und wir haben heute durch die Bekanntheit finanzielle Mittel, die wir vorher nicht hatten. Generell aber hat sich nicht viel geändert. Ich habe früher Häuser umgebaut und an Sachen rumgeschraubt, und das mache ich auch heute noch.
Was ist anstrengend, wenn man so bekannt ist?
Nichts ist anstrengend, weil wir nur das machen, was uns Spaß macht.
Was waren deine größten Sorgen seit der Auswanderung?
Ich glaube, es gibt weder große noch kleine Sorgen. Wir hatten keine Sorgen. Wir hatten vielleicht mal Bedenken, als wir zum Beispiel irgendwann unsere Jobs gekündigt hatten, weil das mit dem Filmen immer mehr geworden ist. Weil man das eben so drin hat, dass man jeden Tag morgens in die Arbeit geht, um Geld zu verdienen. Aber Sorgen in dem Sinn hatte ich keine.
Wovor hast du Angst?
Dass mir die Arbeit ausgeht. Aber die wird mir nicht ausgehen, vermute ich.
Welches Gericht kannst du am besten kochen?
Steak und Kartoffeln. Aber ich gehöre zu den Leuten, die den Kühlschrank öffnen, gucken, was da ist, und dann was daraus zaubern.
Wie würdest du dich definieren? Bist du ein Hamburger, der in Hawaii lebt, oder ein norddeutscher Amerikaner?
Ich bin ein Hamburger mit einem texanischen Herzen, der in Hawaii lebt.
Was ist das teuerste Kleidungsstück, das du besitzt?
Eine Lederjacke mit Fransen für 500 Euro. Das ist aber was fürs Leben.
Wenn jetzt der 17-jährige Konny neben dir sitzen würde, welchen Tipp würdest du ihm mit auf den Weg geben?
Nichts. Der soll das so machen, wie ich das gemacht habe. Das ist schon gut so.
DU KANNST ABER ÄNDERN, WIE DU DAMIT UMGEHST
Alles eine Frage der Haltung
Eine schwierige Kindheit in einer Patchwork-Familie zwischen den Ruinen Hamburgs und eine schicksalsreiche im Kreise der Liebsten: So entstand bei uns beiden die Sehnsucht nach der großen Freiheit.
Ich wurde 1955 in Hamburg als Eduard Konrad Reimann geboren. Ich weiß, ihr kennt mich alle unter dem Namen „Konny“ und eigentlich hatten meine Eltern auch genau diese Reihenfolge vereinbart: Konrad Eduard Reimann. Mein Vater war aber wohl ob des eben geborenen Sohnes so im Glückstaumel und wahrscheinlich auch so beschwipst, dass er es beim Standesamt einfach durcheinanderbrachte.
In den Wellblechbaracken von Hamburg-Harburg wuchs ich mit meinen Geschwistern auf.
Von Hamburg, diesem Tor zur Welt, das schon so viele Abenteurer verabschiedet oder aufgenommen hatte, wusste ich da natürlich noch nichts. Denn mein Radius in den Wellblechbaracken von Hamburg-Harburg war ein sehr kleiner und weit entfernt von den prächtigen Bauten an der Elbchaussee. Obwohl diese Straße tatsächlich noch wichtig für mich werden würde, aber alles der Reihe nach.
Diese Baracken heißen auch „Nissenhütten“, benannt nach dem Offizier Peter Norman Nissen, der sie ursprünglich als billige Unterkunft für britische Soldaten im Ersten Weltkrieg entworfen hatte. Hamburg lag nach dem Zweiten Weltkrieg in der britischen Besatzungszone. So wurden in den Nachkriegsjahren dann allein in Hamburg Tausende dieser halbrunden Wellblechbaracken errichtet, um der Flut an obdachlosen Menschen schnell kostengünstigen Wohnraum zu ermöglichen. Zwei Familien teilten sich, nur durch einen Vorhang getrennt, 40 Quadratmeter. Wie beengt das war, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. In diesen Baracken habe ich die ersten fünf Lebensjahre verbracht. Und es gab mit uns viele Familien, die in der schlechten Zeit dort eine Wohnung gefunden hatten. Jetzt war es aber nicht so, dass ich als Kind den Eindruck hatte, es fehlte mir an irgendetwas, ich kannte es ja auch nicht anders.
Schon früh versuchte ich, mein eigenes Ding durchzuziehen, und war alleine oder mit meinen Geschwistern stundenlang draußen, um gefundenen Eisenschrott zu verscherbeln, die Gegend unsicher zu machen, und vielleicht auch, um möglichst wenig zu Hause zu sein.
Meine Mutter war gerade einmal 16 Jahre alt, als ich auf die Welt kam. Nach mir kamen noch zwei kleinere Geschwister. Mein jüngerer Bruder Dieter hatte denselben Vater wie ich. Unsere Eltern trennten sich, da war mein Bruder ein Jahr alt, ich war drei. Kurz nach der Trennung traf meine Mutter auf den Vater meiner 1958 geborenen kleinen Schwester Manuela. Beide Männer lernte ich als Kind nicht bewusst kennen, ich war einfach noch zu klein und sie waren zu schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Die erste männliche Figur, die ich bewusst wahrnahm, war mein Stiefvater Uwe. Der sollte noch lange eine Rolle in meinem Leben spielen, wenn auch keine besonders schöne.
Als er bei uns einzog, fuhr er beruflich zur See. Meiner Mutter zuliebe hörte er aber bald damit auf, sie hatte schließlich mit uns drei Kindern alle Hände voll zu tun. Damit ist aber auch schon das einzige Positive gesagt, das mir zu ihm einfällt, denn er war ansonsten kein guter Mensch. Nach seiner Zeit als Seemann hielt er sich mit den unterschiedlichsten Hilfsjobs über Wasser. Mal arbeitete er auf dem Bau, mal füllte er in einer Getränkefabrik Flaschen ab und mal verlud er irgendwo irgendwelche Kisten. Das Problem war nur, er ließ fast seinen ganzen Lohn in der Kneipe. Darum reichte das Geld für die Familie auch vorne und hinten nicht. Und meine Mutter musste sich doch wieder sorgen, wie sie alles bezahlen sollte – und wir Kinder kannten ihn vor allem betrunken.
Jetzt macht der Alkohol ja mit den Menschen die unterschiedlichsten Dinge. Die einen werden lustig, andere sentimental und wieder andere werden gewalttätig. Leider zählte mein Stiefvater zu letzterer Riege. Durch ihn kam ich schon als kleines Kind mit roher Gewalt in Berührung. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist eine Szene, da bin ich vielleicht vier Jahre alt, stehe auf dem Bett in unserer Wellblechbaracke und muss zusehen, wie mein Stiefvater meinen kleinen Bruder, ein Kleinkind, brutal verprügelt. Er hielt meinen Bruder an den Füßen, also kopfüber, hoch in die Luft und schlug ihn mit voller Wucht mit einem Gürtel. Mit einem Gürtel! So ein kleines Kind, was kann das schon groß verbrochen haben? Ja, Leute, das waren grausige Zeiten.
Die Menschen traumatisiert, die Städte zerstört – grausige Zeiten, aber auch große Freiheit.
Interessanterweise hatte ich diese Episode schon vergessen oder vielleicht auch einfach verdrängt. Erst jetzt, als ich mich für dieses Buch noch mal an meine Kindheit erinnern sollte, mit 68 Jahren, kam das alles plötzlich wieder hoch. Wahrscheinlich hat sich das so eingebrannt, weil es die erste schlimme Gewalterfahrung mit meinem Stiefvater war, der allerdings noch Hunderte weitere folgen sollten.
Das Verprügeln war bei uns an der Tagesordnung, oft schlug er uns auf den nackten Hintern. Wenn wir alle bestraft wurden, mussten wir uns der Reihe nach aufstellen, er zog den Gürtel raus und dann hat er uns versohlt. Volles Rohr! Diese Gewalt fand so oft statt, ich kann mich erinnern, dass die Schläge irgendwann gar nicht mehr richtig wehtaten. Ich ließ das einfach immer wieder über mich ergehen. Die Demütigung war das Schlimme daran, nicht der Schmerz.
Jetzt könnte man vielleicht meinen, ich hätte Angst gehabt, als Kind abends nach Hause zu kommen. Hatte ich aber tatsächlich nie. Mein Stiefvater konnte uns verprügeln, wie er wollte, letztendlich hat ihm seine Gewalt überhaupt nichts gebracht. Wir drei Kinder waren wilde und zügellose Rabauken und haben trotz der Schläge weiter unsere Freiheit genossen und zusammen jede Menge Blödsinn angestellt. Die drohenden Konsequenzen waren uns einfach nie bewusst. Im Nachhinein muss ich fast schmunzeln, denn ich glaube, der Spaß war uns letztlich immer wichtiger als die Angst vor der Bestrafung.
Gott sei Dank war meine Mutter ein warmherziger und lieber Mensch und hatte uns wirklich gern. Aber sie hatte auch mit ihrem Leben zu tun, das war natürlich eine ganz andere Zeit. Sie wuchs eigentlich auf einem Gestüt in Königsberg, Ostpreußen, auf. Als kleines Kind musste sie dann mit ihrer Mutter fliehen. Die genauen Umstände der Flucht weiß ich nicht, ich habe nie nachgefragt. Ich vermute aber, dass sie früh erwachsen werden musste.
Ihre Situation in Hamburg war natürlich auch verheerend. Mit 19 Jahren, als „Flüchtling“, hatte sie bereits drei Kinder von zwei Männern, war unverheiratet und ohne Ausbildung. Das war damals noch viel schlimmer als heute, eine Frau in dieser Situation war gleich abgestempelt. Selbst so ein Fehlgriff wie mein Stiefvater war wohl in ihren Augen besser, als mittellos mit drei Kindern alleine dazustehen. Vielleicht war es aber gar nicht das Ansehen oder die finanzielle Absicherung. Denn mein leiblicher Vater zahlte pünktlich seine Alimente und mein Stiefvater verzechte ohnehin das meiste Geld. Und es gab auch die Wohlfahrt und andere Einrichtungen. Vielmehr habe ich das Gefühl, dass meine Mutter selbst Angst vor ihm hatte. Das war wohl auch der Grund dafür, warum sie nie für uns in die Bresche sprang. Nur ein einziges Mal hat meine Mutter überhaupt etwas verlauten lassen, nachdem mein Stiefvater mich verprügelt hatte. Ein einziges Mal fragte sie ihn: „Musst du immer so zuhauen?” So lernte ich schon früh, dass ich für mich selbst einstehen musste.
Sehr viel Liebe und Fürsorge habe ich in meinen ersten Lebensjahren wohl von meiner Oma mütterlicherseits bekommen. Ich kann mich leider kaum noch an sie erinnern, aber meine Mutter hat mir erzählt, dass meine Oma mir immer alles recht machen wollte und mich, auf gut Deutsch, ziemlich verzog. Vielleicht, weil ich seit Generationen der allererste Junge war, der in die Familie hineingeboren wurde.
Obwohl ich eine sehr junge Oma hatte, hat sie in meinem späteren Leben leider keine Rolle mehr gespielt. Ich war erst sechs Jahre alt, als sie starb. Der Krieg hat den Menschen damals sehr viel abverlangt, heute würde man wohl sagen, meine Oma war schwer traumatisiert. Aber nicht nur die Flucht hatte sie nachhaltig verändert, sie wurde im Krieg auch noch bei einem der vielen Luftangriffe in einem Luftschutzkeller verschüttet und konnte sich davon nie mehr ganz erholen. Es dauerte einige Tage, bis man sie, eingeklemmt und verletzt, gefunden hatte. Und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, musste sie auch noch mit ansehen, wie ein Mann wenige Meter entfernt unter dem Gewicht eines schweren Eisenträgers starb. Das Schlimmste aber war, dass sie anschließend neben der immer weiter verwesenden Leiche ausharren musste, bis man sie endlich aus ihrem Gefängnis barg. Die Tiefflieger konnten noch so oft kommen, meine Oma setzte danach nie wieder einen Fuß in einen Luftschutzkeller. Die eindrücklichste Erinnerung, die mir von ihr blieb, ist aber leider von einem Besuch in einem Krankenhaus. Letztlich kam die ganze Geschichte wieder hoch und sie verlor darüber den Verstand.
Als ich ungefähr fünf Jahre alt war, konnten wir die Nissenhütten und Harburg endlich verlassen und zogen nach Bramfeld. Schon vorher sind viele unserer Nachbarn weggegangen, weil ihnen neue Wohnungen zugewiesen wurden. Nach und nach wurde es immer stiller dort und ich wusste, dass auch wir bald umziehen würden. Am Ende zählten wir aber zu den letzten Familien, die ein neues Heim bekamen.
„Der is noch nich so weit“ ... mit meinem Bruder zur Einschulung in Hamburg-Bramfeld.
In Hamburg-Bramfeld sollte ich dann auch eingeschult werden, da stand ich erst kurz vor meinem sechsten Geburtstag. Die Lehrer stellten aber früh fest: „Der is noch nich so weit!”, und schickten mich in den Schulkindergarten zurück, eine Art Vorschule. Dieses eine Jahr habe ich wohl wirklich noch gebraucht, denn als die Schule dann auch für mich anfing, war ich ein begeisterter Schüler. Ich hatte nur noch meinen Finger oben und war mit glühendem Eifer dabei. Jetzt waren meine Eltern aber noch nicht so wirklich angekommen und wir zogen während dieses ersten Schuljahres erneut um. Dieses Mal in eine Altbauwohnung in Hamburg-Hohenfelde.
Hohenfelde war zu diesem Zeitpunkt stark vom Krieg gezeichnet. Es standen nur noch wenige Häuser, die meisten waren ausgebombt. So schlimm sich das jetzt anhört, aber für uns Kinder war das herrlich. Wir kletterten in den Ruinen herum und hoben dort so manche Schätze. Heute noch habe ich einen Hammer, den ich als Kind aus einem zerstörten Haus in Hohenfelde mitnahm.
Wenn ich nicht gerade die ausgebombten Wohnungen erkundete, so zog es mich immer ans Wasser. Schließlich waren wir ja in Hamburg! Es gibt für einen kleinen Jungen keinen beeindruckenderen Wasserspielplatz. Wenn ich mich heute an meine Kindheit erinnere, denke ich da nicht nur an die Gewalt, da denke ich auch viel an die Freiheit, mit der ich aufgewachsen bin.
Geschwisterbande: Mit Bruder Dieter und Schwester Manuela machte ich die Gegend unsicher.
Unbehelligt erkundeten mein Bruder und ich mit dem Schlauchboot die verschiedenen Wasserstraßen. Durch den Kanal bis zur Alster und von da bis zur Schleuse Richtung Elbe, und das alles mit nur einem Paddel, das war natürlich sehr anstrengend für uns Kinder. Vier, fünf Kilometer paddelten wir da am Stück, auch Sturm oder Wind konnten uns nichts anhaben. Heute kämen da vermutlich die Wasserwacht und das Jugendamt, wenn ein paar Grundschulkinder allein auf einem Schlauchboot Richtung Elbe unterwegs wären. Damals war das ein ganz normaler Dienstagnachmittag.
Mit meiner Schwester liefen wir drei auch oft zu Fuß Richtung Alster. Solange wir am Wasser entlanggingen, wussten wir, dass wir auch wieder zurückfinden würden. Für unser junges Alter waren das fast Gewaltmärsche! Wir liefen von Hohenfelde aus über die Landungsbrücken bis nach Wedel, das waren sicher 20 Kilometer. Kein Wunder, dass solche Spaziergänge manchmal den ganzen Tag dauerten.
Meistens machte ich die Welt mit meinem Bruder Dieter unsicher, er war mir altersmäßig auch am nächsten. Aber irgendwann war dann auch meine drei Jahre jüngere Schwester Manuela mit von der Partie. Draußen in der Welt waren wir drei eine wunderbare Einheit. Dort stellten wir Erkundungen an, kletterten auf Bäume, bastelten uns Pfeil und Bogen und balancierten auf gefährlich hohen Geländern. Zu Hause aber konnten wir uns bis aufs Blut streiten, gegenseitige Zerstörung war da an der Tagesordnung und meine Mutter hatte es sicher nicht einfach mit uns.
13 Jahre und 13 Tage Abstand: Ich 1974 bei meiner Einschulung im hessischen Münster.
Im selben Jahr: Konny in Uniform nach seiner Einberufung zur Bundeswehr.
Meine Geschichte beginnt genau 13 Jahre und 13 Tage nach Konnys Geburt, im Jahr 1968. Obwohl ich später in Hessen aufwuchs, begann meine frühe Reise in Baden-Württemberg – die ersten und sehr prägenden Jahre meiner Kindheit verbrachte ich mit meiner Mutter und meinen beiden Tanten bei meinen Großeltern in Bruchsal in der Nähe von Karlsruhe. Was war das für eine schöne Zeit!
Als ich zur Welt kam, war meine Mutter Anfang 30, meine beiden Tanten waren in ihren 20ern und wohnten noch zu Hause. Meine jüngste Tante Renate war für mich äußerst faszinierend. Eine schillernde, lustige Persönlichkeit, die gern feierte, nach Ibiza flog und bei der die Männer Schlange standen. Neben ihr gab es außerdem noch meine Patentante Monika. Und da meine Großeltern ohnehin sehr lieb zu mir waren, wuchs ich auf als kleine Königin, fest geborgen zwischen fünf heiteren und liebevollen Erwachsenen.
Mein Vater kam uns regelmäßig besuchen und wir fuhren auch zusammen in den Urlaub. Meine Eltern hatten sich damals in einer Pension in Mühlberg im Allgäu kennengelernt, wo sie später auch ihre Flitterwochen verbrachten. Und auch wir trafen uns mit der Familie meiner Mutter lange Zeit Jahr für Jahr in ebendieser Pension in den bayerischen Alpen. So wurde das Allgäu für mich schon bald zu einer zweiten Heimat. Auf dem Tegelberg lernte ich das Skilaufen und von meinem Pensionszimmer hatte ich einen Premiumblick auf das Schloss Neuschwanstein, wie es sich eben für eine kleine Königin gehört.
Ich war bereits fünf Jahre alt, als meine Eltern beschlossen, die wilde Ehe zu beenden und zu heiraten.
Erst nachdem meine Eltern 1973 geheiratet hatten, zogen wir bei meinem Vater in Hessen ein. Ich weiß gar nicht genau, warum es mit der Heirat so lange gedauert hat. Ich vermute aber, dass es daran lag, dass es sich damals einfach nicht gehörte, unehelich zusammenzuleben. Leider gibt es heute niemanden mehr, den ich fragen kann.
Ich war schon von klein auf sehr abenteuerlustig und neugierig, einfach ein richtiger Wirbelwind. Aber kein Wunder, mit der Familie meiner Mutter wurde es auch nie langweilig. Es gab fünf Erwachsene und ein quietschlebendiges Kind dazu und der Grundton im Haus war ohnehin eher heiter und ausgelassen. Die Erwachsenen wussten auch immer etwas Lustiges zu erzählen und wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, dann geht mir noch immer das Herz auf.
Wir lebten im zweiten Stock eines typisch badischen Mietshauses. Noch heute ist der Geruch von Bohnerwachs für mich Heimat. Das Haus lag in der Nähe einer Niederlassung der Firma Siemens und meine Oma verdiente sich etwas dazu, indem sie für die Kinder einiger Siemens-Angestellter als Tagesmutter arbeitete. So kam es, dass neben den Erwachsenen und mir immer noch ein paar weitere Kinder bei uns zu Hause waren. Langweilig wurde es uns so nie.
Bis zu unserem Umzug nach Hessen hatte ich wirklich eine Bilderbuchkindheit. Ganz in der Nähe gab es im Ort einen kleinen Tante-Emma-Laden, in dem mir meine Oma immer meinen Lieblingsjoghurt oder Kekse mit Schokolade kaufte. Im Dachgeschoss des Hauses gab es das Mädelszimmer, in dem meine beiden Tanten und meine Mama als Jugendliche zusammen gewohnt hatten. Es war natürlich total aufregend für mich, wenn ich da hochdurfte.
Zwar gab es in Bruchsal keine Schiffe, denen ich sehnsüchtig nachsehen konnte, aber es gab direkt gegenüber einen großen Güterbahnhof. Da habe ich mich oft heimlich hingestohlen und die Zettel mit den Wagenanschriften herausgefischt. Manchmal waren die Waggons auch offen, dann kletterte ich schnurstracks hinein und träumte von der weiten Welt: vom Reisen und dass ich mal Schauspielerin werden will und eines Tages viele Menschen meinen Namen kennen würden.
Für diesen Traum habe ich auch regelmäßig geprobt. Der zentrale Ort der Wohnung war eine große Wohnküche. Das war meine Bühne! Als Kind stand ich oft auf dem Esstisch, den Parfumzerstäuber meiner Oma als Mikrofon in der Hand, und gab die Entertainerin. Später, als wir nicht mehr dort lebten, aber am Wochenende zu Besuch kamen, gab es oft Linsensuppe. Nie mehr habe ich eine Linsensuppe gegessen, die so schmeckte wie die meiner Oma. Richtig verwöhnt hat sie uns dann am Nachmittag mit einer selbst gebackenen Linzer Torte, die war ihr heilig. Und mir ist meine Oma bis heute heilig. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag backe ich ihr zu Ehren eine solche Linzer Torte.
Mein Opa war damals mein großes Vorbild. Und er hat mich tatsächlich wie eine berühmte Schauspielerin behandelt. Dazu muss man wissen: Vor seiner Rente hat er als Chauffeur für einen General gearbeitet – und so hat er auch mich am liebsten mit seinem riesigen Opel Admiral durch Bruchsal chauffiert. Ich thronte dann im Fond wie eine kleine Adelige und platzte fast vor Stolz. Bei diesen Autofahrten legte er immer dasselbe Lied auf. Den „Kriminal-Tango“! Denn dieser Tango geht nie vorbei, geht nie vorbei, geht nie vorbei, geht nie vorbei …
Fünf Erwachsene, ein quietschlebendiges Kind, der Grundton heiter und ausgelassen, was für eine schöne Zeit!
Du selbst kannst entscheiden, was du aus deinem Leben machst. Und selbst wenn du erst einmal am Boden liegst: Oft gewinnt man durch Veränderungen und Brüche einen ganz neuen Blickwinkel.
So aufregend meine Freizeitgestaltung in Hamburg-Hohenfelde war, umso unglücklicher wurde ich jetzt in der Schule. Es gab ein Lesebuch, die Fibel, nach dem richtete sich der gesamte Unterrichtsstoff. In Bramfeld waren wir ungefähr bei der Mitte des Buches, als wir umzogen. In Hohenfelde war die Klasse aber bereits am Ende des Buches und fing schon mit der Schreibschrift an. Ich hatte natürlich keine Ahnung.
Später habe ich mir noch viele Gedanken über mein Leben gemacht und ich glaube, an diesem Punkt in Hohenfelde habe ich irgendwie den Anschluss verpasst. Diesen Bruch, diese fehlenden drei Wochen, habe ich in meiner ganzen Schulzeit nicht mehr eingeholt. Von da an interessierte mich die Schule in keinster Weise. Ich war eine Flitzpiepe im Rechnen, in Rechtschreibung sowieso. Das einzige Fach, in dem ich brillieren konnte, war Sport.
Die Schule war meiner Mutter zum Glück nicht so wichtig. Irgendwie hatte sie das unerschütterliche Vertrauen, dass jeder irgendwann seinen Weg finden würde, und ließ uns dementsprechend viel Freiraum. Ansonsten hatte meine Mutter aber durchaus Werte, die sie uns vorlebte oder vermittelte. Unsere Wohnung war in meiner Kindheit beispielsweise immer sehr sauber. Am Sonntag gab es ein gemeinsames Familienessen und wir wurden stets dazu angehalten, Erwachsenen ordentlich die Hand zu geben. Auch hat sie mir schon früh nahegelegt, eine gute Ausbildung zu machen, womit sie sicherlich recht hatte.
Meine Mutter war zwar eigentlich Hausfrau, aber weil das Geld nicht reichte, ging sie oft abends zusammen mit meinem Stiefvater noch in irgendwelche Gaststätten putzen. Da kam dann aber kein Babysitter, wie man das vielleicht heute kennt. Nein, wir Kinder waren einfach den ganzen Abend allein zu Hause. Ich war der Älteste, aber höchstens zwölf Jahre alt, und wie unbeaufsichtigte Kinder eben sind: Wir nahmen die Bude natürlich auseinander. Nur leider wohnten wir in einer Altbauwohnung im vierten Stock und die Nachbarn waren von dem Halligalli natürlich nicht sonderlich begeistert. Einmal riefen sie dann auch in der Arbeit bei den Eltern an, um sich zu beschweren. Als diese dann nachts nach Hause kamen, durften wir uns wieder in Reih und Glied aufstellen, zur Züchtigung. Mein Stiefvater hat dabei so stark ausgeholt, dass wir Kinder glatt zur Seite flogen.
Ich denke, dass die 1950er- und 1960er-Jahre eine Zeit waren, in der es viel üblicher war, Kinder zu schlagen. Für mich war die Härte und Häufigkeit aber so normal, ich wäre gar nicht darauf gekommen, dass es bei meinen Freunden abends zu Hause nicht ebenso zuging. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Stiefvater Uwe auch meine Mutter schlug, ich vermute aber stark, dass es so war. Denn oft täuschen einen die Erinnerungen und man hat es gesehen, aber man hat es letztlich verdrängt.
Auch weiß ich noch, dass wir irgendwann die Wohnungstür zugenagelt haben, damit mein Stiefvater nicht reinkommt. In dieser Situation war meine Mutter mit uns in der Wohnung. Er hat es natürlich trotzdem versucht und wild dagegengedroschen und als das nichts brachte, ging er zur Polizei. Als die Beamten kamen, sagten sie im Prinzip, dass sie nichts für uns machen könnten. Das waren wirklich noch andere Zeiten.
Ich weiß nicht, inwiefern das alles auf meinen Charakter Einfluss nahm, aber ich habe Gewalt stets verabscheut. Dabei war ich immer schon körperlich zäh und hatte viel Kraft. Aber im Gegensatz zu meinem Stiefvater begann ich schon früh darüber nachzudenken und stellte für mich fest: Ich kann doch nicht, nur weil ich stärker bin, jemand anderen verhauen. Warum sollte ich? Das ist nicht gerechtfertigt! Darum habe ich mich auch nie geprügelt, geschweige denn meine Kinder gehauen. Gewalt verstehe ich höchstens als Mittel zur Notwehr.
Vielleicht auch wegen der vielen Gewalt war ich als Kind und auch als Jugendlicher eher zurückhaltend und schüchtern. Wie sehr, wird mir erst heute richtig bewusst, wenn ich meine Enkelkinder beobachte. Sie gehen unvoreingenommen auf jeden zu, sprechen einfach Erwachsene an. Weder ich noch mein Bruder waren so. Beim Spielen tobten wir wie wild, aber den Erwachsenen gegenüber waren wir richtig eingeschüchtert.
In der Schule war ich zwar immer der Kleinste, ich merkte aber bald, dass ich mich auf meinen Körper ganz gut verlassen konnte. Das war von Vorteil, wenn es jemand auf mich abgesehen hatte. Einmal musste ich mich in der Schule gegen einen viel größeren Jungen verteidigen. Ich war zwar klein, aber ich hatte durch den vielen Sport auch ordentlich Kraft. Also sprang ich hoch und versetzte meinem Kontrahenten im Sprung einen Kinnhaken. Fortan ließ er mich in Ruhe. Es ist beruhigend, wenn man sich im Notfall verteidigen kann, aber ein Mensch, der auf Wehrlose einprügelt, ist für mich unfassbar klein.
Ich habe auch lange keinen Alkohol angefasst. Das hatte verschiedene Gründe. Ich war mein ganzes Leben lang sportlich sehr aktiv. Beim Sport sind ein paar Dinge unerlässlich: Leistung, Disziplin und Konzentration. Wenn du jetzt täglich einen Kater vom Bechern hast, geht das natürlich nicht lange gut. Ich war auch überhaupt kein Discogänger, allein schon, weil mir von dem vielen Rauch ständig die Tränen runterliefen. Das war einfach nichts für mich und wer sich nicht in Kneipen und Diskotheken aufhält, kommt natürlich auch weniger in die Verlegenheit zu trinken.
Ich war da aber durchaus eine Ausnahme. Während der Lehre saßen meine Mitschüler immer wieder mit einem dicken Kopf in der Berufsschule. Und ich hatte da, mit 17 Jahren, noch nicht einmal Alkohol getrunken. Ich wollte es dann natürlich auch mal wissen, wie dieses Gefühl ist, einen Kater zu haben. Reines Interesse!
Mein Stiefvater eröffnete eine Kneipe auf dem Kiez – für mich eine Zeit der Abnabelung von der Familie.
An Silvester habe ich mir also mit einem Kumpel eine Flasche Rum geteilt. Und jetzt kommt’s! Ich spürte absolut nichts, ich war stocknüchtern und tatsächlich sauer, dass ich jetzt nicht wusste, wie es war, einen Kater zu haben. Es sollte danach noch 15 Jahre dauern, bis ich wieder einmal etwas trank. Mit 32 Jahren habe ich mir mein erstes Bier aufgemacht und war auch danach keiner, der es übertrieb. Meine Kinder waren bestimmt schon Jugendliche, als sie mich das erste Mal mit Alkohol gesehen haben. Ich kann nicht sagen, dass ich mich wegen der Erfahrung mit meinem Stiefvater gegen den Alkohol entschieden habe, aber unterbewusst saß mir diese Kindheit wohl doch noch ordentlich in den Knochen.
Dabei habe ich eine wichtige Geschichte noch gar nicht erzählt! Jahrelang waren wir Kinder diesem Theater mit meinem alkoholsüchtigen Stiefvater ausgesetzt, natürlich immer in dem Glauben, dass das unser Vater war. Ich hieß damals auch nicht Reimann, sondern Nothmann und war selbstverständlich der festen Überzeugung, dass das mein echter Name wäre.
Eines Tages, ich war vielleicht 15 Jahre alt, musste ich aus irgendeinem Grund zum Arzt. Zu dieser Zeit benötigte man dafür einen Krankenschein von den Eltern, den man dann der Sprechstundenhilfe vor der Behandlung auszuhändigen hatte. Diesen Krankenschein füllte meine Mutter für mich aus, gab ihn mir aber immer in einem Kuvert mit. Vielleicht spürte ich doch irgendetwas oder war plötzlich neugierig, auf jeden Fall öffnete ich an diesem Tag heimlich das Kuvert. Auf dem Krankenschein stand aber ein völlig anderer Name! Konrad Reimann.
Zu Hause wurde mir dann recht knapp erklärt, dass ich einen anderen Vater hätte, der Reimann hieß. Ich weiß noch, dass ich diese Information ganz gut aufnahm. Ich war zum Glück immer schon recht pragmatisch veranlagt und das hat mir nicht nur einmal im Leben sehr geholfen. Irgendwie war es für mich nicht relevant, ich akzeptierte meinen Stiefvater als Vater, weil er uns auch großzog. Spannend fand ich lediglich, dass da draußen noch ein weiterer Vater herumlief, und ich wurde von Tag zu Tag neugieriger, ihn kennenzulernen. Nach einiger Zeit wurde dann auch ein Treffen mit ihm arrangiert, nur war auch meine Mutter dabei und es dauerte nicht lange, da fetzten sich die beiden derart, dass an eine Fortführung oder Wiederholung erst mal nicht zu denken war.
Ich musste erst 17 Jahre alt werden, bis ich meinen leiblichen Vater, Paul Reimann, so richtig kennenlernen konnte. Dieser Mann war für mich eine echte Bereicherung, das ist auch der Grund, warum ich bis zum Schluss Kontakt zu ihm gehalten habe. Es gab einfach eine emotionale Ebene zwischen uns. Irgendwie tickten wir ähnlich. Auch er war enorm wissbegierig und konnte sich viel merken. Auch er wusste über viele unterschiedliche Dinge wirklich gut Bescheid. Aber bei Paul zeigte sich das in einer gewissen Besserwisserei. Nicht falsch verstehen, mein Vater war ein allseits beliebter und engagierter Mensch. Er konnte nur eben auch etwas sehr Schulmeisterhaftes an sich haben. Mir ist das bewusst, weil ich es bei meinem Vater immer beobachten konnte. Ich vermute, ich habe diesen Hang zur Besserwisserei auch, aber ich halte das bewusst zurück. Es ist manchmal klüger, den Mund zu halten, selbst wenn man es tatsächlich besser weiß.
Ich bin sehr froh, dass Paul dann doch noch recht lang eine Rolle in meinem Leben gespielt hat, er war ein wirklich guter Typ. Jetzt vielleicht nicht unbedingt einer, der beruflich enorm viel auf die Kette bekam, aber einer, dem man vertrauen konnte. Er hat sehr darunter gelitten, dass er uns nicht großziehen konnte. Sobald mein Stiefvater auf der Bildfläche erschienen war, hat sich Paul bewusst herausgehalten. Rückblickend war das auch schlau, sonst wäre es vielleicht eskaliert. Mein Vater wie auch mein Stiefvater waren beide aus Harburg, daher kannten sie sich. Als wir noch klein waren, gerieten sie wohl sogar einmal aneinander. Mein Stiefvater war wie üblich betrunken, als mein Vater ihn aufforderte, endlich gegenüber seinen Stiefkindern Verantwortung zu zeigen. Das Ganze endete in einer Prügelei und Paul zog sich zurück.
Paul blieb meiner Mutter nichts schuldig und meinte es sicher gut. Das bemerkte ich auch später, als der Kontakt zu ihm wieder aufflammte. Seine Tür stand offen, sobald ich alt genug war und einen Schritt auf ihn zuging. Man darf dabei nicht vergessen, dass meine Eltern verdammt jung waren, als wir auf die Welt kamen. Für meinen Vater war es übrigens eine unheimliche Genugtuung, dass wir später dann durch das Fernsehen so bekannt wurden. Oft spazierte er mit stolzgeschwellter Brust durch Harburg und erzählte jedem: „Ich bin der Vater von Konny Reimann.” Es freut mich, dass er so auch ein bisschen was zurückbekommen hat.