Manuelle Triggerpunkt-Therapie und Dry Needling bei chronischen Schmerzen - Beat Dejung - E-Book

Manuelle Triggerpunkt-Therapie und Dry Needling bei chronischen Schmerzen E-Book

Beat Dejung

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Beschreibung

Chronische Schmerzen - ein weltweit ungelöstes Problem. Wie wir unsere Schmerzmedizin verbessern können. Die Schmerzmedizin hat in den letzten 50 Jahren wenig Fortschritte gemacht. 16 % unserer Bevölkerung geben an, unter chronischen Schmerzen zu leiden, für die sie trotz jahrelanger Behandlung bei unterschiedlichen Ärzten keine nachhaltige Hilfe finden konnten. Triggerpunkt-Therapie-Experten haben das haben das myofasziale Konzept in den letzten Jahrzehnten in ihrem therapeutischen Alltag integriert und damit auch bei komplexen chronischen Problemen gute Resultate erzielt. Instruktoren der "Interessengemeinschaft für Myofasziale Triggerpunkt-Therapie" IMTT Schweiz stellen in diesem Buch 33 komplexe Fälle von chronischen Schmerzpatienten vor, die sie mit manueller Triggerpunkt-Therapie und mit Dry Needling nachhaltig von ihren Schmerzen befreien konnten. Anhand dieser Fallbeispiele werden auf didaktisch einheitlich gestalteten Doppelseiten die Diagnostik, Pathophysiologie und Chronifizierung myofaszialer Schmerz-Syndrome nachvollziehbar dargestellt und als Fazit ermutigende und überraschende Erfolge bei bisheriger Therapieresistenz beschrieben.

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Beat Dejung

Manuelle Triggerpunkt-Therapie und Dry Needling bei chronischen Schmerzen

Die myofasziale Wissenschaft als Hilfe für eine ungelöste Herausforderung

unter Mitarbeit von

Daniel Bühler

Roland Gautschi

Ursula Gloor-Disler

Daniel Grob

Bernard Grosjean

Alexander Gürtler

Heinz O. Hofer

Regula Koller-Biel

Johannes Mathis

Yvonne Mussato

Heidi Tanno-Rast

Gabriela Vital

Manuelle Triggerpunkt-Therapie und Dry Needling bei chronischen Schmerzen

Beat Dejung

Programmbereich Medizin

Dr. phil., Dr. med. Beat Dejung

Spezialarzt FMH für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Rheumatologie

Rychenbergstrasse 40

CH 8400 Winterthur

E-Mail: [email protected]

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Hogrefe AG

Lektorat Medizin, z.Hd.: Susanne Ristea

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

[email protected]

www.hogrefe.ch

Lektorat: Susanne Ristea

Bearbeitung: Anja Becker, München

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung und Fotos (Innenteil): Martin Glaser, Münsingen

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Satz: punktgenau GmbH, Bühl

Format: EPUB

1. Auflage 2022

© 2022 Hogrefe Verlag, Bern

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96165-19)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76165-7)

ISBN 978-3-456-86165-4

https://doi.org/10.1024/86165-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Dank

Vorwort

1 Abriss der Geschichte der Schmerzmedizin

2 Diagnostik myofaszialer Schmerzen

3 Abriss der Pathophysiologie myofaszialer Schmerzsyndrome

4 Chronifizierung myofaszialer Schmerzen

5 Therapie myofaszialer Schmerzsyndrome

5.1 Kältebehandlung

5.2 Dry Needling

5.3 Manuelle Triggerpunkt-Therapie

5.4 Wirkprinzip des Dry Needling und der manuellen Triggerpunkt-Therapie

6 Erfolge und Therapieresistenz

7 Fallbeispiele von chronischen Schmerzpatienten, die von IMTT-Instruktoren erfolgreich und nachhaltig behandelt worden sind

Fall 1: Auch normale Arbeit kann eine myofasziale Lumbalgie auslösenBeat Dejung

Fall 2: Exotische Verursachung einer LumbalgieBeat Dejung

Fall 3: Wie einer Unfallpatientin Unrecht angetan wurdeBeat Dejung

Fall 4: Persistierende Schmerzen nach einer SpondylodeseBeat Dejung

Fall 5: Triggerpunkt-Therapie kann manchmal die sportliche Leistungsfähigkeit verbessernBeat Dejung

Fall 6: Wenn das Kreuz einen zur Verzweiflung bringtBernard Grosjean

Fall 7: Chronische Lumbosakralgie mit ProstataschmerzYvonne Mussato

Fall 8: Coccygodynie – unangenehme Folge eines Sturzes aufs GesäßBeat Dejung

Fall 9: HerzinfarktBeat Dejung

Fall 10: Interskapuläre Schmerzen – Kombination von Hands-on- und Hands-off-Techniken.Roland Gautschi

Fall 11: Kopfschmerz nach BergunfallBeat Dejung

Fall 12: Manchmal ist eine Migräne muskulär bedingtBeat Dejung

Fall 13: Botox versus Triggerpunkt-TherapieHeidi Tanno

Fall 14: Wangenschmerz beim Essen Alexander Gürtler

Fall 15: Schulterschmerz nach Sturz beim EislaufenBeat Dejung

Fall 16: Schulterschmerz und „Einschlafen“ der HandRoland Gautschi

Fall 17: Chronische Nacken- und Armschmerzen bei einer MusikerinBeat Dejung

Fall 18: Wenige Sitzungen retten eine KünstlerkarriereUrsi Gloor

Fall 19: Jodeln kann Schmerzen verursachenRegula Koller

Fall 20: Invalidisierung durch eine mediale EpikondylodynieBeat Dejung

Fall 21: Ein echter TennisellbogenAlexander Gürtler

Fall 22: Chronische Epikondylodynie lateral und medial beidseitsRegula Koller

Fall 23: Ein Röntgenbefund ist keine klinische DiagnoseHeinz O. Hofer

Fall 24: Lockerung einer Hüft-Totalprothese oder myofaszialer Schmerz?Daniel Bühler

Fall 25: Oberschenkelschmerzen nach Osteosynthese einer SchenkelhalsfrakturBeat Dejung

Fall 26: Der Leistenschmerz will einfach nicht verschwindenJohannes Mathis

Fall 27: Chronischer Leistenschmerz unbekannter GeneseGabriela Vital

Fall 28: Gonarthrose mit überlagertem myofaszialen SchmerzgeschehenBeat Dejung

Fall 29: Laufsport löst oft muskuläre Schmerzen ausBeat Dejung

Fall 30: Hartnäckige persistierende Wadenschmerzen beidseitsDaniel Grob

Fall 31: Achillodynie beidseits bei einem SpitzensportlerBeat Dejung

Fall 32: Herausforderung am BehandlungslimitHeinz O. Hofer

Fall 33: Jugendlicher mit ungeklärten BauchschmerzenHeidi Tanno

8 Schlussfolgerungen

Literatur, verwendete und weiterführende

Abkürzungsverzeichnis

Über den Autor

Adressverzeichnis der IMTT-Experten

Sachwortverzeichnis

|7|Dank

Vor allem haben wir unseren Patienten zu danken, die sich entschlossen haben, im Kampf gegen ihre Schmerzen die nicht ganz einfache und ziemlich schmerzhafte Triggerpunkt-Therapie in Betracht zu ziehen. Sie haben uns ermöglicht, mit der neuen Therapie in unserem therapeutischen Alltag Erfahrungen zu sammeln und Verbesserungen zu etablieren. Ein großer Teil von ihnen hat unser Behandlungsprocedere bis zum Schluss durchgehalten. Die meisten alltäglichen, unspezifischen Schmerzen sind dabei definitiv verschwunden, aber auch komplexe chronische Schmerzen konnten in vielen Fällen einer Heilung zugeführt werden.

Zu großem Dank sind wir unseren verstorbenen Lehrern Janet Travell und Dave Simons und den vielen Wissenschaftern rund um den Erdball verpflichtet, welche die wertvolle Therapie erfunden, erforscht und verbessert haben. Und ein großer Dank gebührt den Physiotherapeuten vieler Länder, die unser Therapiekonzept gründlich erlernt haben und in ihrem therapeutischen Alltag anwenden. Speziell gedankt sei vor allem unseren Freunden (Physiotherapeutinnen und -therapeuten, Ärztinnen und Ärzten) in der Schweiz und in Deutschland, die es sich seit bald 30 Jahren zur Aufgabe gemacht haben, das Wissen über die Triggerpunkt- und Bindegewebsbehandlung in Kursen weiter zu geben.

Erneut sei unserem Zeichner Bernhard Struchen für seine schönen Anatomiezeichnungen gedankt.

Daniel Bühler sei für die Ermöglichung der neuen Fotos und das Coverbild herzlich gedankt.

Schließlich sei dem Verlag Hogrefe und vor allem dessen Lektorinnen Frau Susanne Ristea, Frau Dr. Anja Becker und Frau Christina Nurawar Sani gedankt, die unserem Projekt stets ihre wohlwollende und umsichtige Hilfe haben zukommen lassen.

Beat Dejung,

Winterthur, April 2022

|9|Vorwort

Die Schmerzmedizin hat in den letzten 50 Jahren wenig Fortschritte gemacht. 16 % unserer Bevölkerung geben an, unter chronischen Schmerzen zu leiden, die bisher von niemandem unter Kontrolle gebracht werden konnten. Wir denken allerdings, seit Janet Travell und Dave Simons 1983 ihre Monographie „Myofascial Pain and Dysfunction – The Trigger Point Manual“ publiziert haben, könnte man die Lage der Schmerzmedizin etwa positiver zu sehen beginnen. Wir haben das myofasziale Konzept dieser Autoren, gemäß welchem viele unspezifische Schmerzen in der Muskulatur entstehen, in den letzten 3 ½ Jahrzehnten in unseren therapeutischen Alltag integriert und damit auch bei komplexen unspezifischen, chronischen Schmerzproblemen gute Resultate erzielt. Instruktoren der „Interessengemeinschaft für Myofasziale Triggerpunkt-Therapie“ IMTT Schweiz stellen in diesem kleinen Buch 33 komplexe Fälle von chronischen Schmerzpatienten vor, die sie mit manueller Triggerpunkt-Therapie und mit Dry Needling nachhaltig von ihren Schmerzen befreien konnten. Wir denken, dass verschiedene Leser durch unsere Beispiele an eigene Patienten erinnert werden können. Und wir würden uns darüber freuen, wenn einige unserer Leser angeregt würden, die nicht mehr ganz neue Therapieform näher kennen zu lernen.

Beat Dejung,

Winterthur, April 2022

|11|1  Abriss der Geschichte der Schmerzmedizin

Schon in der Antike litten Menschen unter mancherlei Schmerzen. Damals haben viele versucht, ihre Leiden in heißen Quellen zu lindern. Bekannte Orte waren die 40 °C heißen Schwefelquellen am geschichtsträchtigen Ort der Thermopylen in Mittelgriechenland oder die heißen Quellen von Puteoli in den Phlegräischen Feldern am Golf von Neapel. Im Mittelalter suchten beispielsweise die Reformatoren Ulrich Zwingli und Ulrich von Hutten Linderung ihrer Schmerzen in den Thermen von Bad Ragaz in der Schweiz. Johann Wolfgang von Goethe hat 13-mal in seinem Leben den Badekurort Karlsbad in Böhmen besucht.

Später wendete man zur Schmerzlinderung auch Schröpfkuren, Blutegelbehandlungen und kneipsches Wassertreten an [76, 100]. Gegen die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entstand die physikalische Medizin. Neben den Bädern verwendete man nun auch heiße Wickel und Fangopackungen. Man brauchte die Kältetherapie mit Eiswickeln zur Behandlung von akuten Schmerzen, heute auch mit Kältespray und Kältekammern (gefüllt mit verdampfendem flüssigem Stickstoff) angewendet [80]. Es entstanden außerdem viele Formen der Elektrotherapie, die Ultraschallbehandlung, die Phototherapie, die Extension und die Lymphdrainage. Heute steht im Vordergrund die Schmerzbehandlung mittels Stoßwellen. Man begann, die passive von der aktiven Therapie zu unterscheiden. Es entwickelten sich neben der Massage, die bis auf Hippokrates (um 400 v. Chr.) zurückgeht, viele Formen der Bewegungstherapie und der Krankengymnastik. Die Physiotherapie ist weltweit zum verbreitetsten Schmerzbehandlungsberuf geworden. Sehr wichtig ist heute die medizinische Trainingstherapie an Geräten [50]. Das aus der indischen Kultur stammende Yoga wird auch bei uns als Therapie eingesetzt. Und nach chinesischen Vorbildern hat die Akupunktur in der westlichen Welt eine große Verbreitung gefunden.

Eine neue Seite in der Schmerztherapie wurde aufgeschlagen, als Daniel David Palmer (1845–1913) die Chirotherapie erfand [97]. Anfänglich dachten die Chiropraktiker, sie würden mit ihrer Methode innere Organe beeinflussen, heute wird diese hauptsächlich gegen muskuloskelettale Schmerzen eingesetzt. Wissenschaftler der evidenzbasierten Medizin bezweifeln die Wirksamkeit der Chirotherapie. Immer noch ist sie aber bei den häufigen und schmerzhaften mechanischen Blockierungen der Iliosakralgelenke die Therapie der Wahl [9].

Die schmerzlindernde und berauschende Wirkung des aus dem Schlafmohn extrahierten Opiums war wahrscheinlich schon in der Jungsteinzeit bekannt, sicher aber in der Antike. 1804 destillierte Friedrich Wilhelm Sertüner aus Paderborn aus verschiedenen Alkaloiden des Opiums das Morphium [96], das seither in der Medizin in vielen Abwandlungen eine breite Anwendung gefunden hat. Kelten, Germanen und Römer kannten bereits die schmerzlin|12|dernde Wirkung der Weidenrinde. 1897 entdeckten Arthur Eichengrün und Felix Hofmann die schmerzstillende Wirkung der daraus destillierten Salicylsäure, die auf einer irreversiblen Hemmung der Produktion von Prostaglandin beruht [97]. Die Firma Bayer, bei der die beiden angestellt waren, brachte bald darauf das Medikament Aspirin auf den Markt. Daraus entstand in vielen Abwandlungen die Medikamentengruppe, die wir heute als Antirheumatika bezeichnen. Die Medizin hat sich aber auch mit den oft gravierenden Nebenwirkungen der verbreiteten Medikamente auseinanderzusetzen: Suchtpotenzial sowie Tendenz zu Übelkeit und Atemlähmung beim Morphin, Gerinnungsstörung mit nicht seltenen intestinalen Blutungen beim Aspirin und seinen vielen Nachfolgepräparaten.

Hinsichtlich der Schmerzursachen herrschten in der Antike abenteuerliche Vorstellungen. Hippokrates glaubte noch, Schmerzkrankheiten, damals schon Rheuma genannt (griechisch „rheúma“ für Fluss oder Strömung), würden dadurch entstehen, dass eine schlechte Mischung der vier Körpersäfte (Blut, Lymphe, gelbe und schwarze Galle) aus dem Hirn in den Körper herabflösse [100]. In unserem medizinischen Alltag werden oft Teilwahrheiten verallgemeinert. Für viele sind die nicht entzündlichen Schmerzen im Bewegungsapparat die Folge von Formveränderungen des Skelettes oder degenerative Veränderungen in den Gelenken im Achsenskelett und in der Peripherie [26, 47]. Von den Manualtherapeuten wurden früher Fehlstellungen, heute Blockierungen von Gelenken, als Schmerzursache angesehen. Andere betrachten die Überbeweglichkeit von Gelenken oder deren Instabilität als Schmerzursache. Populär ist derzeit die Ansicht, dass Schmerzen das direkte Resultat von Mangel an Kraft seien [50]. Janda brauchte 1978 als Synonym für Bewegungsapparatschmerzen den Begriff der muskulären Dysbalance, worunter er die Verkürzung gewisser Muskeln und die Abschwächung ihrer Antagonisten verstand [44]. Verallgemeinert wird oft das Phänomen, dass Schmerzen aus Kompression von Nervenstrukturen resultieren können. Zurzeit ist die Ansicht im Trend, dass Veränderungen an den Faszien die Hauptursache von Bewegungsapparatschmerzen sind [75, 77, 94]. Einige betrachten alle Schmerzen, die nicht von selbst wieder verschwinden, als neuroplastische Veränderungen im zentralen Nervensystem (ZNS). Für andere sind chronische Schmerzen schlicht eine Folge von psychischen Störungen oder zumindest biopsychosoziale Phänomene [48].

Da in vielen Fällen eine Schmerzursache als sicher angenommen werden kann, haben sich Chirurgie und Orthopädie solcher Schmerzen angenommen. Schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges, der zu einer Unzahl von Verletzungen führte, wurden Läsionen der peripheren Nerven chirurgisch zu behandeln versucht [97]. 1934 haben William Jason Mixter und Josef Seaton Barr zum ersten Mal Bandscheibenvorfälle operiert [64]. 1938 hat Philip Wiles die erste Totalprothese in ein Hüftgelenk implantiert [97]. Erst 1959 wurde durch Sir John Charnley die erste dauerhaft haltbare Hüfttotalprothese mit einem Schaft und einem Kopf aus rostfreiem Stahl und einer Polyethylenpfanne eingesetzt, das Vorbild aller heutigen Totalprothesen [97]. Operationen sind heute ein wichtiger Bereich der Schmerzmedizin geworden. Möglich wurde dies durch die Entwicklung der Narkosetechnik und die Entdeckung der schmerzlöschenden Wirkung der vom Kokain abgeleiteten Lokalanästhetika (Lidocain u. a.), die durch Blockierung der Natriumkanäle in den afferenten Schmerznerven Unempfindlichkeit bewirken. Die Indikationen haben sich stark ausgeweitet. Manchmal mit ungünstigem Resultat auch zu weit [13, 87].

In ihrer ganzen Geschichte haben sich die Menschen viel einfallen lassen, um ihre Schmerzen zu reduzieren. Und doch waren sie in ihren Bemühungen nur teilweise erfolgreich. Gemäß der „Gesundheitsberichterstattung des Bundes“ in Berlin liegt die Einjahresprävalenz von Schmerzen in Deutschland bei 91 % [97]. Man kann also annehmen, dass die Lebenszeit|13|prävalenz nahe bei 100 % liegt. Da gemäß Schmidt und Kohlmann die Lebenszeitprävalenz für Rückenschmerzen bereits bei 80 % liegt [78], kann man schließen, dass die Schmerzen wegen Erkrankungen der inneren Organe nur einen kleinen Teil aller Schmerzen ausmacht und die allermeisten Schmerzen im Bewegungsapparat entstehen.

Viele dieser Schmerzen verschwinden spontan oder nach Therapie wieder. Gemäß der Studie „Pain in Europe“ von Mundipharma entwickelt sich jedoch ungefähr bei jedem fünften Einwohner Europas ein chronischer Schmerz (je nach Autor ein Schmerz von mehr als 3 beziehungsweise 6 Monaten Dauer), der mit den bisherigen Therapiemethoden nicht mehr zum Verschwinden gebracht werden kann [27]. Ein Drittel dieser Menschen berichtet, dass ihre Schmerzen sie an den Rand ihrer Existenz bringen würden. Diese größte aller bisherigen Studien gibt an, dass 16 % aller Schweizer betroffen sind (das sind etwas mehr als 1,3 Millionen Menschen). Bei den Deutschen sind es 17 %, bei den Italienern 21 % [27]. Das heißt, eine niedrige dreistellige Millionenzahl aller Europäer leidet täglich unter nicht behandelbaren Schmerzen. Die wenigen Tage, an denen ich in Ostafrika eine Schmerzsprechstunde abgehalten habe, hat in mir den Verdacht bestärkt, dass dies in den Entwicklungsländern nicht anders ist.

Nach allgemeiner Übereinkunft sind 85 % aller Rückenschmerzen unspezifisch [97], was eine vornehme Umschreibung der Tatsache ist, dass wir keine Ahnung haben, was ihre Ursache ist. Bei anderen Schmerzlokalisationen dürfte dies ähnlich sein. 1990 sagte der Präsident der North American Spine Society, Scott Haldemann: „We do not know the cause of back pain“ [35]. 2021 wurde die gleiche Meinung auf der Homepage der Rheumaliga der Schweiz immer noch vertreten: „85 % der Rückenschmerzen haben keine genau angebbare Ursache. Man vermutet unspezifische Ursachen wie …“ [97].