Mara und die Bischofbande - Manuela Schoop - E-Book

Mara und die Bischofbande E-Book

Manuela Schoop

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Hier ist vierte Band der Bischofreihe. Mara hasst Eric aus tiefsten Herzen. Ständig lästert er über ihre roten Haare und die vielen Sommersprossen in ihrem Gesicht, dabei fand er die, bevor sie Bischofanführerin und er Chef der Willems wurde, richtig toll. Mit vierzehn gesteht er ihr bei einer Strandparty, dass er sie mag und dann küsst er sie auch noch vor der Schule. Mara kann dem gar nichts abgewinnen und nutzt sein Schwärmen für sie im Kampf gegen die Willemsbande aus. Verletzt und wütend bekämpft Eric sie nun ebenfalls wieder wie vorher. Zwei Jahre später fühlt sich Mara plötzlich von ihm angezogen, aber das darf auf keinen Fall sein. Blöd nur, dass sie sich in den unmöglichsten Situationen hin und wieder heimlich küssen und Mara schließlich nur noch an ihn denken kann.

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Seitenzahl: 309

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Mara und die Bischofbande

Bandenjahrgang

1993 - 2001

Von

Manuela Schoop

Weitere Bände dieser Reihe:

Band 1 Lissi und die Bischofbande

Bandenjahrgang 1969 – 1977

Band 2 Jessi und die Bischofbande

Bandenjahrgang 1977 - 1985

Band 3 Dana und die Bischofbande

Bandenjahrgang 1961 – 1969

Bandenjahrgang 1985 – 1993

Band 5 Alex und die Bischofbande

Bandenjahrgang 2001 – 2010

Band 6 Franzi und die Bischofbande

Bandenjahrgang 2010 – 2019

IMPRESSUM

Texte: © Copyright by Manuela Schoop

Umschlaggestaltung: © Copyright by Manuela Schoop

Verlag:

Manuela Schoop

Im Bendchen 22

50169 Kerpen

www.die-bischofbande.de

Lektorat: 

Agnes Spengler M.A.

c/o wortspenglerei.de

Wortspenglerei | Werkstatt für Lektorat und Text in München

Schlüsselbergstraße 23

81673 München

Illustrationen: 

Indigodesign.de Generative KI, Midjourney

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin, 2024

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Am 5. August 1905 gründete Franz Bischof, gerade erst neun Jahre alt geworden, die Bischofbande.

Fast alle Kinder des kleinen im Süden liegenden verträumten Dorfes Weißwald wurden Mitglied, aber als Erstes hatte er seinen besten Freund Karl Willem dazu eingeladen der Bande beizutreten.

Die Kinder verbrachten zwei wunderbare Jahre miteinander. Doch die Harmonie fand ein jähes Ende, als ein heftiger Streit zwischen Franz und Karl entbrannte. Die restlichen Bandenmitglieder ergriffen verschiedene Parteien und die einstmals große Bande spaltete sich in zwei Gruppen. Karl wurde Anführer des anderen Teils, den er von nun an Willemsbande nannte.

Die beiden Banden hassten sich sehr und bekämpften sich, wo sie nur konnten.

Als die Kinder jedoch zu jungen Leuten herangewachsen waren, vergaßen sie allmählich ihre Streitigkeiten. Sie trafen sich nicht mehr in ihren Lagern und verbrachten ihre Zeit mit anderen, ihnen jetzt wichtiger erscheinenden Dingen. Die nächste Generation der Kinder, beeindruckt von den Bandenspielen, wollte nicht akzeptieren, dass es die beiden Banden nicht mehr geben sollte. Und so beschlossen sie, deren Rollen zu übernehmen.

Kapitel 1

Achtundachtzig Jahre später.

»Die Banden werden weitergegeben! Heute Nachmittag um sechzehn Uhr ist es endlich so weit. Um diese Zeit erwarten uns die ehemaligen Anführer in ihren Lagern.« Marian Pauls genoss sichtlich die Aufmerksamkeit der ihn umringenden Mitschüler. »Wir müssen uns jetzt überlegen, wer zu welcher Bande darf.«

Sofort entstand ein großer Lärm im Klassenraum. Alle riefen sich untereinander zu, in welche Bande sie wollten.

Sich die Ohren zuhaltend, stieg Marie Raphaela Thomas auf einen Tisch und rief laut, um die anderen Kinder zu übertönen. »Am besten, wir ziehen Lose. Eric, machst du bitte schnell genügend und auch ein paar Nieten dazu?«

»Ich …« Eric verstummte, als er Frau Wollnik, die Klassenlehrerin, das Zimmer betreten sah.

»Was ist denn hier los? Mara … Marie Raphaela, könntest du mir bitte erklären, was du auf dem Tisch zu suchen hast?«, fragte sie erstaunt.

»Die Banden werden weitergegeben!«, eilte Eric seiner Freundin sofort zu Hilfe. »Wir müssen bis sechzehn Uhr entschieden haben, wer in welche Bande darf!«

»Und das geht nicht leiser und gesitteter? Man hat euch bis auf den Flur hinaus gehört!«

»Frau Wollnik, wir brauchen Lose«, sagte Mara, die inzwischen vom Tisch gestiegen war. »Können Sie uns dabei helfen?«

»Natürlich kann ich das, ja, das ist wohl sogar meine Pflicht bei einem solch großen Ereignis«, seufzte die Lehrerin und ließ sich schmunzelnd auf ihrem Stuhl nieder. »Es ist ja schließlich nicht das erste Mal. Beschäftigt euch leise, bis ich fertig bin!«

Kaum zehn Minuten später legte die Lehrerin die angefertigten Lose auf ihren Tisch und bat nun die Schüler einzeln nach vorn.

Ängstlich nahm Mara ein zusammengefaltetes kleines Stück Papier und öffnete es vorsichtig.

»Bischof, ja!«, rief sie überglücklich. Genau das war ihr Traum gewesen.

»Willem?«, hörte sie dann Eric, der nach ihr dran war, sagen.

Erschrocken blickte sie zu ihrem besten Freund. »Was, du bist ein Willem? Oh nein, das darfst du nicht!«

»Hey Mara, ich habe das Los gezogen. Ich bin jetzt ein Willem und daran wird sich nichts ändern. Es war schön, mit dir befreundet gewesen zu sein.«

Ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen, stellte er sich vor die Tafel. »Alle Willems zu mir!«

Innerhalb von nur wenigen Sekunden war er von fünf Kindern umringt.

»Lukas, Robin, Angela, Thanee und Melanie, ihr gehört nun zu den Willems. Wir treffen uns pünktlich um vier Uhr vor dem Willemslager.«

Das hatte Mara gerade noch gefehlt. Ihre Lieblingsfeindin Stefanie Fischer hatte ein Bischof-Los gezogen. Wütend warf sie ihr einen giftigen Blick zu.

Verdammt, warum waren Angela und Eric nur in der anderen Bande? Sie konnte es nicht fassen, da hatte sie an einem Tag ihre beiden besten Freunde verloren. Wie ungerecht konnte die Welt doch sein!

Kopfschüttelnd schob sie schnell diese düsteren Gedanken beiseite und blickte zu den Kindern, die sich inzwischen zu ihr gesellt hatten.

»Shirin und Celine! Habt ihr aber ein Glück, dass ihr zusammen in der Bande seid. Marian, Florian und … Stefanie … ich heiße euch bei den Bischofs willkommen.« Mara räusperte sich kurz und registrierte dabei den wütenden Blick, den ihr Stefanie zuwarf. »Wir treffen uns sechzehn Uhr am Bischoflager. Seid bitte pünktlich!«

»Also, wenn dann jetzt alles geklärt ist, würde ich gerne den Unterricht fortsetzen«, meldete sich Frau Wollnik, die die ganze Szene schmunzelnd beobachtet hatte. »Jeder setzt sich auf seinen Platz, schließlich haben wir noch fünfundzwanzig Minuten Unterricht.«

»Mama, ich bin bei den Bischofs aufgenommen worden!« Strahlend blickte Mara ihre Mutter an. »Du ahnst gar nicht, was das für eine große Ehre ist. Und außerdem ist damit mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen.«

»Du bist bei den Bischofs?« Lucy Thomas sah ihre Tochter nachsichtig an und strich ihr über den kleinen Kopf. »Dein Vater war früher auch in einer Bande.«

Verwirrt beobachtete Mara, wie mit einem Male das Gesicht ihrer Mutter einen traurigen Ausdruck annahm. Was hatte sie denn nur, Papa war doch bloß ein paar Tage im Urlaub, oder?

»In welcher Bande war er denn?«, fragte sie interessiert.

»Ich glaube, er war auch bei den Bischofs. Deshalb konnten wir uns damals nur abends treffen. Er hatte jede freie Minute mit seiner Bande oder im Fußballverein verbracht. Was ist mit Eric, ist er auch ein Bischof?«

Mara blickte traurig ihre Mutter an.

»Nein, er kam zu den Willems«, murmelte sie.

»Oh, wie schrecklich!« Betroffen kniete Lucy sich vor ihre kleine Tochter und umarmte sie. »Kann er nicht mit jemandem tauschen?«

»Nein, er ist froh, dass er dort ist. Ich muss jetzt los, ich darf nicht zu spät zum Lager kommen.« Schnell löste sich Mara aus der Umarmung ihrer Mutter. »Bis nachher.«

»Können wir losgehen?«

»Wie bitte?«

»Gehen wir endlich zu den Bischofs?«

»Gleich.« Shirin starrte angestrengt zum Eingang der Gasse, aus der Mara eigentlich jeden Moment kommen sollte.

»Wir kommen noch zu spät!«

»Mara kommt gleich.«

»Wir warten auf die Thomas?« Angewidert verzog Stefanie ihr Gesicht. »Das fehlt mir gerade noch.«

»Hey, Steffi, weshalb kannst du Mara nicht leiden? Sie ist so nett! Vergiss nicht, dass du sie von nun an jeden Tag sehen wirst.«

»Das ertrage ich nie.«

»Du hättest wohl lieber ein Willems-Los gezogen?«

»Natürlich, ich gebe es ja sogar zu. Mara ist eine eingebildete Kuh und mit ihren Sommersprossen und den roten Haaren sieht sie aus wie eine Hexe.« Sie stöhnte kurz auf, als sie Mara aus der Gasse kommen sah. »Mir reicht es jetzt schon. Ich gehe zum Willemslager und frage, ob jemand mit mir tauschen will.« Schnell drehte sie sich um und lief davon.

»Aber Steffi!«, rief Shirin ihr verblüfft nach.

»Lass sie nur gehen!«, sagte Mara, die die letzten Worte noch gehört hatte, lachend. »Hoffentlich kommt sie nie wieder.«

»Ich kann euch beide nicht verstehen.« Verwundert schüttelte Shirin ihren Kopf. »Ihr zwei habt euch noch nie gemocht. Woran liegt das nur?«

Mara hob nur amüsiert ihre Schultern. »Sie ist blöd, was soll ich da noch groß erklären? Los, wir müssen uns beeilen!«

Insgeheim hoffte sie, dass Eric bereitwillig tauschen würde.

»Kinder!«, sagte Adrian Hoffmann, der bisherige Bischofanführer, und lächelte dabei verschmitzt. »Ihr wollt also Bischofs werden? Stellt euch das nicht zu einfach vor. Ihr müsst die Willems richtig hassen lernen, sie sind eure Feinde. Vergesst, dass sie gestern noch eure Freunde waren. Ab jetzt wird alles anders. Wer damit nicht klarkommt, sollte besser jetzt das Lager verlassen.«

Heimlich tauschten die Kinder untereinander fragende Blicke aus, doch niemand wagte es auch nur, zur Tür zu sehen.

»Gut, weiter. Es ist sinnlos, wenn ihr euch zu Schlägereien hinreißen lasst. Erstens bringen sie nichts und zweitens sieht ein blaues Auge nicht besonders schön aus.«

Leise öffnete sich die Tür des Lagers und Angela schlüpfte mit rotem Kopf durch einen kleinen Spalt ins Lagerinnere.

»Angela, hast du die Willems verlassen?«, fragte Mara vorsichtig, doch als ihre Freundin lächelnd nickte, lief sie strahlend auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Wenigstens hatte sie Angela nicht verloren!

»Ich habe mit Stefanie getauscht«, klärte sie ein paar Sekunden später die anderen auf. »Ich hätte es nicht ausgehalten, Mara zur Feindin zu haben.«

»Können wir jetzt weitermachen?«, meldete sich schließlich der ehemalige Anführer der Bischofbande wieder zu Wort. »Es ist ein Muss, dass ihr den Willems Streiche spielt und dabei solltet ihr möglichst immer die Oberhand behalten. Ist das klar so weit?«

Die Kinder nickten verschüchtert und doch beeindruckt.

»Okay, nun kommen wir zu dem wichtigsten Teil.« Der Junge ging zum Schrank, nahm zwei Bücher heraus und legte sie vor den Kindern auf den Tisch.

»Das ist unser … äh euer Heiligtum. Diese Bücher wurden von den Gründern der Bande angefertigt und haben jeweils eine spezielle Funktion. Dieses hier ist das Buch der Bischofbande. Darin befindet sich die Gründungsgeschichte und die Bischofgesetze, nach denen ihr euch zu richten habt. Und hier haben wir die Chronik. Dort dürft ihr auch etwas hineinschreiben, und zwar wann ihr die Bande übernommen habt, eure Namen, besonders gelungene Streiche und wann ihr die Bande weitergegeben habt. Wie ihr seht, befinden wir uns in einer neuen Laube. Wir haben sie durch Spenden ehemaliger Mitglieder kaufen können. Ihr glaubt gar nicht, wie viel Zeit wir und die Willems für die Lauben aufbringen mussten. Ich möchte, dass ihr das Lager gut pflegt und mindestens jedes zweite Jahr die Holzlasur außen erneuert. Ist das klar?«

Eifrig nickten die Kleinen.

Mara konnte es noch immer nicht fassen. Sie war ein Bandenmitglied! Und besonders glücklich machte sie, dass Stefanie jetzt bei den Willems war. Sie hasste deren arrogante Art, die blonden Haare und das sommersprossenfreie Gesicht.

»Wählen wir jetzt einen Anführer!«, schlug Shirin vor.

»Wie sollen wir abstimmen?«, fragte Marian.

Angela holte Papier und Stifte aus ihrer Tasche. »Wie wäre es damit?«

Jeder der Siebenjährigen nahm ein Blatt und einen Filzstift und versuchte, den Namen seines Favoriten aufzuschreiben.

Angela war die Beste in Lesen und Schreiben. Ihr fiel die Auswertung zu.

»Also, wir haben eine Stimme für Florian, zwei für Marian und drei für Mara. Ich gratuliere dir, Mara.«

»Ich?«, fragte Mara erstaunt. Ihr sollte diese Ehre zuteilwerden?

»Warum habt ihr gerade mich gewählt?«

»Du kannst dich gut durchsetzen und außerdem spielst du schon die ganze Zeit den Anführer«, antwortete Marian schmunzelnd. »Du schaffst das schon. Du hast ja nun ein paar Jahre Zeit, dich daran zu gewöhnen.«

»Gehen wir zum See?«, fragte Angela, während sie mit ihrem Zopf spielte. »Es ist so warm.«

Alle blickten erwartungsvoll zu Mara.

»Also, ich habe nichts dagegen.«, entschied sie und errötete verlegen.

Am See trafen die beiden Banden aufeinander. Durch Erics herrisches Auftreten erriet Mara sofort, dass er der neue Anführer der Willems war. Dies bedeutete nun wohl endgültig das Aus einer lebenslangen Freundschaft.

»Hey, Bischofs!«, rief Eric hochmütig, während er Marian musterte. »Wer ist euer Anführer?«

Mutig trat Mara einen Schritt vor, schließlich war er ja trotz allem noch immer Eric, der kleine Junge, mit dem sie schon in den Windeln liegend gespielt hatte.

»Ich bin die Anführerin der Bischofs.«

Überrascht brach Stefanie in Lachen aus und steckte die anderen Willems damit an.

»Sei still, du dumme Kuh!«, fuhr Mara ihre Lieblingsfeindin an und diese verstummte tatsächlich sofort.

»Hey, Thomas, du hast meiner Bande gar nichts zu befehlen. Vielleicht lasse ich es mal zu, wenn du keine Sommersprossen mehr hast.«

Verwirrt starrte Mara Eric an. Er war noch nie so gemein zu ihr gewesen und ihre Sommersprossen hatte er immer gemocht. Ja, er hatte sie sogar bewundert und war neidisch darauf gewesen!

»Was haben die Bischofs denn für einen laschen Anführer?«, höhnte Eric weiter. »Wenn das so weitergeht, können wir die Banden schon in einer Woche weitergeben.«

Wütend biss Mara ihre Zähne zusammen, schließlich hieß doch der erste Grundsatz, dass man sich nicht schlagen sollte. Man konnte alles ausdiskutieren, oder etwa nicht?

»Findet ihr es gut, solch einen Feuerwehrhydranten als Anführer zu haben?«

Mara glaubte, sich verhört zu haben. Ihre Wut steigerte sich ins Unermessliche und ohne noch lange zu überlegen, rannte sie los, warf Eric zu Boden und schlug ihm voller Kraft ins Gesicht.

Überrascht blieb Eric einen Moment lang liegen, doch schnell versuchte er, sich zu wehren. Wie sah das denn aus, er unterlag beim Kämpfen einem Mädchen! Was sollten die Willems denn von ihm denken? Doch so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, ging es nicht. Mara kannte verdammt viele Kniffe und Tricks und parierte seine Angriffe sehr geschickt.

Erst nach einer Weile gaben beide erschöpft auf.

Verblüfft wischte sich Eric Blut von seiner Nase. Ihm war ja schon immer klar, dass Mara stark war, doch bis jetzt hatten sie immer nur zum Spaß im Garten miteinander gebalgt.

Es würde nicht leicht werden, in Zukunft gegen sie anzukommen.

Nachdem sich Mara vom Boden erhoben hatte, zogen sich die Bischofs schnell in ihr Lager zurück.

»Mensch Mara.« Angela reichte ihr ein Taschentuch. »Du blutest ziemlich stark. Der blöde Watts hat dir auf die Nase geschlagen. Wie konnte er nur? Er ist so gemein!«

»Hey, für ein Mädchen, warst du echt gut.« Anerkennend schlug Marian mit einer Hand auf Maras Schulter. »Das hätte nicht mal ich besser hinbekommen. Bist du in einem Verein, oder so?«

»Mein Vater übt oft Selbstverteidigungsstrategien mit mir. Er meinte, dass ich das sicher mal brauchen kann. Anscheinend hat er recht gehabt«, antwortete Mara fröhlich. Nicht, dass sie gewonnen hätte, aber dennoch fühlte sie sich als Siegerin.

Deprimiert registrierte Eric die vorwurfsvollen Blicke der Willemsbande.

»Das war schwach von dir«, meinte Robin als Erstes, während er an einem Schokoriegel kaute. »Die Thomas ist doch nur ein Mädchen.«

Thanee stieß ihn grob von der Seite an. »Hey, überleg dir gut, was du sagst, sonst bekommst du es mit mir zu tun. Ich fand Maras Mut super. Sie ist auf Eric wie eine Furie losgegangen. Wir haben ziemlich schnell ihre empfindliche Stelle gefunden.«

»Also, meinetwegen hättest du ihre Nase ruhig noch blutiger schlagen können. Das wäre bei diesen roten Haaren gar nicht aufgefallen«, sagte Stefanie, während sie in Erics Gesicht mit einem Tuch herumwischte.

»Soll das jetzt immer so ablaufen?«, warf Melanie neugierig ein.

»Ich habe keine Ahnung«, musste Eric zugeben. »Warten wir ab, was beim nächsten Aufeinandertreffen passiert.«

Er würde Mara … nein, von nun an würde er sie nur noch mit ihrem richtigen Namen ansprechen, schon noch beweisen, dass die Willems die bessere Bande waren.

Gleich am nächsten Nachmittag trafen die beiden Banden am See wieder aufeinander. Es hatte den ganzen Tag in Strömen gegossen, doch bei dem ersten Sonnenstrahl waren alle Kinder aus ihren Lagern ins Freie gelaufen.

Das Zusammentreffen gestaltete sich ähnlich wie am Tag zuvor. Eric lästerte wieder lauthals über Maras rote Haare, ihre Sommersprossen und ihre angebliche Unfähigkeit, ein guter Anführer zu sein.

Maras Wut steigerte sich wieder mit jeder Minute ins Unermessliche, dabei hatte sie sich doch so fest vorgenommen, diesmal nicht auf Eric loszugehen. Aber verdammt, er wusste ganz genau, wie er sie zur Weißglut treiben konnte.

Warum musste er diese normalen braunen Augen und solch schönes dunkles Haar besitzen? An ihm war einfach nichts, über das man hätte lästern können. Und genau das war der Grund, weshalb Mara mit der rechten Hand ausholte und ihm ins Gesicht schlug.

Unvorbereitet verlor Eric im Schlamm sein Gleichgewicht und rutschte auf dem nassen Boden aus. Sein hübsches Gesicht war vor Schmerz verzogen, als er verblüfft sein Auge berührte.

Sofort lief Stefanie zu ihm und wollte ihm helfen, doch Eric stieß sie widerwillig von sich, sodass auch sie auf den nassen Boden plumpste.

Dann sprang er schnell auf. Seine Wut spiegelte sich deutlich in seinen Augen wider. Blitzschnell rannte er los und stieß Mara nieder. Gleich darauf warf er sich auf sie und drückte ihre Hände auf den Boden. Doch Mara befreite sich sofort, nahm eine Ladung Schlamm und warf sie direkt in sein Gesicht.

Mit Wut im Bauch revanchierte er sich, darauf hoffend, endlich eine empfindliche Stelle bei ihr zu entdecken.

Mara lachte laut los, als sie Erics schwarzes Gesicht sah, sprang auf und lief mit dem Rest der Bischofs schnell davon.

»Verdammtes Luder!«, schrie der Willemsanführer ihr wütend hinterher.

»Oje, das wird ein blaues Auge.« Thanee berührte vorsichtig seine Wange und besah sich sein rechtes Auge. »Du warst noch immer viel zu sanft zu ihr.«

»Dieses rothaarige Biest!« Ratlos blickte Stefanie auf ihre schmutzigen Sachen. »Eric, das war so gemein von dir. Ich wollte dir nur helfen, wieso hast du mich weggestoßen?«

Eric lächelte sie vergnügt an. Wenigstens etwas Gutes hatten die letzten Minuten gebracht, die Fischer nervte ihn wirklich sehr.

»Also, ich fand es toll, wie ihr euch im Schlamm gewälzt habt«, meinte Robin schmunzelnd. »Aber eure Mütter werden das gleich wohl ganz anders sehen.«

Entsetzt blickte Frau Thomas ihre kleine Tochter an. »Wo hast du dich denn schon wieder herumgetrieben? Nun erzähl mir aber nicht, dass das dein neuer blauer Pullover ist!«

Mara nickte beklommen und blickte schuldbewusst auf ihre vor Dreck nicht wiederzuerkennenden Schuhe. An ihre Kleidung hatte sie keine einzige Sekunde gedacht, als sie auf die Willems gestoßen waren. Demnächst würde sie Ersatzkleidung zum Wechseln im Lager bunkern.

»Ich war bei den Bischofs und wir haben am See die Willems getroffen«, stammelte sie schließlich.

»Ach so, die Willems wieder!« Die Mutter stemmte ihre Arme in die Hüften. »Diese Ausrede wirst du jetzt wohl immer benutzen?«

»Es ist aber die Wahrheit.«

»Weshalb verträgst du dich nicht einfach wieder mit Eric? Ihr habt euch doch vor zwei Tagen noch so gut verstanden? Willst du die nächsten Jahre ständig so nach Hause kommen?«

»Ich werde mich nicht mit diesem Blödmann vertragen. Ich bin die Anführerin der Bischofbande und daran wird sich in den nächsten Jahren nichts ändern.«

»Womit habe ich das verdient?« Nun wieder lächelnd, blickte Lucy kurz zur Zimmerdecke. »Geh jetzt besser duschen, bevor du mir noch die ganze Küche einsaust! Ach, bevor ich es vergesse. Vorhin bekam ich die Zusage der Ballettlehrerin. Der neue Kurs startet am Donnerstag um sechzehn Uhr.«

Mara dachte kurz nach. Da sollte ein Bandentreffen stattfinden, aber eigentlich wollte sie auch gerne tanzen lernen.

»Sag nur, du willst jetzt nicht mehr? Ich habe die Kursgebühr schon überwiesen.«

»Ich möchte auf alle Fälle zum Ballett«, entschied Mara spontan. »Dann sehe ich die Bischofs halt donnerstags nicht.«

Dann lief Mara schnell in das Bad und duschte sich gründlich. Nein, natürlich wollte sie nicht jeden Tag ramponiert zu Hause erscheinen, doch für die Bande würde sie alles tun. Und sie freute sich schon riesig auf ihre erste Tanzstunde.

Zwei Tage später war es so weit.

Aufgeregt betrat Mara gleich nach ihrer Mutter einen der Übungsräume der Tanzschule.

Die Lehrerin, eine junge Frau im Tanztrikot, empfing sie beide lächelnd.

Während sie sich kurz mit der Mutter austauschte, sah Mara sich um. Die Wände des Raumes waren eine einzige große Spiegelfläche. Und an einer waren zwei lange Ballettstangen in verschiedenen Höhen angebracht.

Die Tür öffnete sich erneut. Entsetzt beobachtete Mara, wie Stefanie in Begleitung ihrer Mutter den Raum betrat.

Steffi erblickte Mara und verzog feindselig ihren Mund.

»Mist«, fluchte sie leise. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie konnte nur hoffen, dass die Thomas schnell das Interesse am Tanzen verlieren würde.

Mara beschäftigte in diesem Moment ein ähnlicher Gedanke.

Auch sie wünschte sich nichts sehnlicher, als das Stefanie den Kurs vorzeitig verlassen würde.

Kapitel 2

Fünf Jahre später.

»Mach mir ja keinen Blödsinn und pass auf dich auf!« Lucy seufzte leise, während sie ihre Tochter noch einmal fest umarmte. Es war das erste Mal, dass Mara allein verreiste. Monatelang hatte sie ihr mit dem Kindertanzcamp auf Schloss Rotenberg in den Ohren gelegen und schließlich hatte Lucy nachgegeben und sich bei dem Organisator über das Camp und das Ferienprogramm informiert.

»Mach dir keine Sorgen«, versuchte Mara ihre Mutter zu beruhigen. »Ich ruf dich jeden Tag an, in Ordnung?«

»Koblenz ist so weit weg«, erwiderte Lucy und umarmte ihre Tochter erneut.

»Mama, ich muss jetzt los. Der Zug fährt gleich ab.«

»Schon gut. Den Fahrplan hast du? Die Fahrkarte auch? Und vor dem Bahnhof in Koblenz fährt der Bus um 15:30 Uhr zum Schloss ab.«

»Ja, ich weiß. Ich werde den schon finden. Und falls nicht, habe ich einen Mund, um zu fragen.«

Mara griff nach der Reisetasche, die neben ihr auf dem Boden stand.

»Du rufst gleich an, wenn du angekommen bist!«

»Ja, Mama. Die Telefonkarte [1] mit den fünfzig Mark Guthaben, die du besorgt hast, habe ich sicher in der Tasche verstaut.«

»Na gut, dann muss ich dich jetzt wohl gehen lassen.«

Mara lächelte ihre Mutter nachsichtig an. Dann drehte sie sich um und stieg in den ICE, der nach Koblenz fuhr.

Nach fünf Minuten verließ der Zug den Bahnhof, und Mara atmete erleichtert auf. Endlich konnte sie eine Woche mal ganz allein ihre Freizeit gestalten. Keine Mutter, die ständig Forderungen stellte und auf Regeln bestand und kein Eric Watts, der sie ärgerte. Entspannt kuschelte sie sich in ihren Sitz.

Plötzlich wurde ihr klar, dass vor ihr eine Zeit lag, in der sie keine Bandenanführerin war, sondern einfach nur Marie Raphaela Thomas, ein zwölfjähriges Mädchen, das Tanzen liebte.

Mit jedem Kilometer, dem sie sich ihrem Ziel näherte, steigerte sich ihre Vorfreude auf die kommende Woche.

Irgendwann fuhr der Zug in den Bahnhof von Koblenz ein.

Nervös nahm Mara ihre Reisetasche und stieg aus. Nachdem sie zuerst in die falsche Richtung gelaufen war, fand sie schließlich dann doch die Haltestelle, von der der Bus zum Schloss Rotenberg bald losfahren würde.

Auf Anweisung des Fahrers verstaute sie ihre Reisetasche im Laderaum und betrat dann lächelnd den schon fast vollen Bus. Ganz hinten auf der letzten langen Sitzreihe ließ sie sich neben einem Mädchen nieder, das ihr direkt auf den ersten Blick sympathisch war.

»Hallo, ich bin Mara, Marie Raphaela«, stellte sie sich vor.

»Louise, aber du kannst Lulu zu mir sagen«, erwiderte das Mädchen mit breitem Grinsen.

Mara betrachtete sie kurz. Lulu hatte bis zu den Schultern reichende dunkle Locken und ein fröhliches, herzliches Gesicht. Sie trug über dem Baseballshirt eine Latzhose, bei der nur ein Träger geschlossen war, und auf dem Kopf saß eine knallgelbe Fischermütze.

»Wo kommste her? Ich wohn in Quadrath-Ichendorf. Das jehört zu Berchheim [2].« Lulu bemerkte Maras fragenden Blick. »Köln kennste aber, oder?«

»Klar! Schon allein wegen dem Fasching.«

»Was fürne Ding [3]?«, rief Lulu empört. »Ich kenn nur Karneval.«

Mara musste lachen.

»Verzeihung, ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Ach, schon jut [4]. Ihr Preußen wisst es halt nicht besser, ne. Hauptsache du sagst Alaaf und nich Helau.«

Die Bustür öffnete sich. Automatisch blickte Mara nach vorn und erstarrte.

Stefanie Fischer stand da und sah sich neugierig um. Ihre Blicke trafen sich und die Laune der beiden Mädchen sank in diesem Moment auf den Nullpunkt.

»Das gibt es doch nicht«, murmelte Mara wütend. »Nicht mal im Urlaub ist man vor den Willems sicher.«

Lulu folgte ihrem Blick.

»Ihr kennt euch?«

Mara nickte. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Steffis Mutter vor dem Bus stand und winkte. Dann drehte sie sich um und stieg in ihr Auto.

»Oh, Madame wurde von der Mama herchauffiert.«

Stefanie suchte indes verzweifelt einen Platz möglichst weit entfernt von der Thomas, doch dort war alles schon besetzt.

Schließlich ergab sie sich ihrem Schicksal und lief nach hinten zu dem einzig freien Sitz neben dem Mädchen mit dem knallgelben Fischerhut.

»Hey, ich heiß Louise.« Lulu lächelte die griesgrämig dreinschauende Blondine an. »Aber jeder nennt mich Lulu.«

»Ich bin Stefanie.« Steffi plumpste auf den letzten freien Sitz.

»Woher kennt ihr euch denn?«, fragte Lulu dann Mara.

»Wir gehen in die gleiche Klasse.«

»Und wir sind im gleichen Ballettkurs«, ergänzte Steffi.

Dann schwiegen die beiden Mädchen.

»Okay …« Lulu lehnte sich zurück. »Ah, der Bus fährt los.«

Nun erhob sich von einem der vordersten Plätze eine junge Frau mit einem Mikrofon.

»Hallo, mein Name ist Anja. Ich bin eine von euren Betreuerinnen auf Schloss Rotenberg. In meinen Kursen könnt ihr verschiedene Tanzarten wie Salsa, Breakdance, Walzer, Disco Fox und viele weitere Stile ausprobieren.

In der kommenden Woche werdet ihr täglich bis zu sechs Stunden Tanztraining haben. In Gruppen von sieben bis acht Kindern könnt ihr eine komplette Tanzshow entwickeln. Am letzten Abend präsentiert ihr dann eure ausgearbeiteten Shows. Natürlich habt ihr auch genügend Freizeit. Direkt am Schloss gibt es einen See mit einem Sandstrand. Weiterhin haben wir Tischtennisplatten, Volleyballplätze und Fußballfelder. Die Abende lassen wir dann in der Regel alle zusammen gemütlich am Lagerfeuer ausklingen. An zwei Abenden veranstalten wir eine Disco. Wir planen auch Ausflüge in die nähere Umgebung und natürlich auch nach Koblenz. Habe ich irgendetwas vergessen? Ach ja, ihr werdet im Schloss in Drei- und Vierbettzimmern untergebracht. Falls es Fragen gibt, könnt ihr euch gerne an mich oder die anderen Betreuer wenden. Die lernt ihr dann gleich im Schloss kennen. Und nun werden wir zur Einstimmung etwas Musik hören.«

Nun erschallte aus allen Boxen in ohrenbetäubender Lautstärke No Scrubs [5].

»Wie cool!«, rief Lulu laut und bewegte sich im Takt zu dem Sound.

»Ja, total.« Mara schielte kurz zu Stefanie, die ebenfalls zum Rhythmus mitwippte.

Sie war noch immer entsetzt darüber, dass sich ausgerechnet das Mädchen, das sie am meisten verabscheute, dieses Tanzcamp ausgesucht hatte. Bestimmt hatten ihre und Stefanies Mutter darüber gesprochen und es für eine gute Idee gehalten, wenn die beiden Mädchen zusammen hier Zeit verbringen würden.

Dabei weiß Mama doch, dass die Fischer ein blöder Willem ist und wir niemals Freundinnen werden. Zum Glück war das Schloss groß, zumindest hatte es in dem Prospekt groß ausgesehen, und es würde sicher genügend Gelegenheiten geben, um sich aus dem Weg zu gehen.

Während der ganzen Busfahrt lief laute Hip-Hop-Musik und die Stimmung der Kinder war bestens.

Nach einer halben Stunde erreichten sie Schloss Rotenberg. Der Bus hielt auf einem angrenzenden Parkplatz. Alle stiegen aus und gemeinsam liefen sie zu dem großen, wie ein Märchenschloss aussehenden Gebäude.

Anja erklärte, dass dieses Bauwerk ein Beispiel für den romanischen Stil sei, aber das interessierte in diesem Moment keines der Kinder.

An der großen Treppe, die zu der gewaltigen Eingangspforte führte, warteten schon die anderen Betreuer, drei weitere junge Frauen und zwei junge Männer.

Die Jungs folgten den Männern zu dem Jungenflügel und die Mädchen wurden von den Frauen zu dem Mädchenbereich geführt.

Hier erfolgte die Verteilung auf die Zimmer. Da im Bus schon viele Freundschaften geschlossen worden waren, ging die Zimmerbelegung ziemlich schnell. Vor einem Dreibettzimmer packte Lulu Steffi und Mara an den Händen und zog sie mit sich.

»Ich wohne mit euch beiden zusammen, okay?«

Ehe die beiden Weißwalderinnen etwas sagen konnten, standen sie schon im Zimmer. Anja schaute ebenfalls hinein.

»Sagt ihr mir noch kurz eure Namen? Ich muss die in meine Liste eintragen.«

»Louise Bauer.«

»Marie Raphaela Thomas.«

»Stefanie Fischer.«

»Alles klar. Ist notiert. Eure Reisetaschen stehen im Eingangsfoyer. Die könnt ihr euch gleich holen und in Ruhe auspacken. Um achtzehn Uhr gibt es dann Abendessen im großen Speisesaal. Der Weg dahin ist ausgeschildert. Das findet ihr ganz leicht.« Dann war sie schon auf dem Weg zum nächsten Zimmer.

»Lulu, das war eine schlechte Idee«, stellte Mara nun fest.

»Du hättest uns vorher wirklich fragen sollen«, beschwerte sich auch Steffi.

»Ach was, seid nicht so fimpschig [6] Die Woche könnt ihr euren Streit doch mal vergessen, oder?«

Mara und Stefanie musterten sich feindselig.

Schließlich lenkte Steffi ein und nickte.

»Ich versuche es.«

Mara kämpfte innerlich sehr mit sich. Alles in ihr sträubte sich gegen einen Waffenstillstand mit der Fischer.

»Ich auch«, murmelte sie schließlich ein paar Sekunden später. »Aber jetzt hole ich erst mal meine Reisetasche.«

Eine Stunde später betraten die Mädchen den großen Essenssaal. Viele Tische waren in zwei längeren Reihen aneinandergestellt, eine Reihe für Mädchen und eine für die Jungen.

Am Büfett gab es eine große Auswahl an warmen und kalten Speisen und man konnte zwischen mehreren Säften, Wasser und Tee wählen.

Während des Abendessens saßen sie wieder nebeneinander, Lulu in der Mitte, rechts und links von ihr Mara und Steffi. Ihnen gegenüber saßen jüngere Mädchen. Eine erzählte von ihrem Pferd und eine andere von ihrer Tanzschule.

Mara hörte allen lächelnd zu. Sie fand die fröhliche und auch leicht überdrehte Stimmung um sich herum einfach wundervoll.

Nach dem Abendessen führten die Betreuer die Kinder hinaus zu einer großen Feuerstelle, um die herum mehrere Bänke standen. Auf denen ließen sich alle nieder. Dann wurde das Feuer entzündet.

Jemand machte den CD-Player an, und laut tönten die aktuellen Charthits durch die Nacht.

»Habt ihr schon die Jungs abgecheckt?«, fragte Lulu ihre neuen Freundinnen. »Schaut mal, der da drüben in dem blauen Footballshirt. Der ist nicht schlecht.«

»Ich finde den daneben besser«, fand Steffi.

Mara folgte dem Blick der Mädchen und sah nur ein paar Jungen in ihrem Alter, die versuchten, cool und unnahbar auszusehen.

»Geht so«, brummte sie.

Plötzlich stand Lulu auf.

»Los, wir gehen rüber zu denen. Hier auf unserer Seite sitzen doch nur die kleinen Pänz [7]. Da habe ich keine Lust drauf.«

Stefanie folgte ihr sofort. Die beiden umrundeten das Feuer, und Lulu sprach die Jungen selbstbewusst an. Die Jungen ihrerseits gingen bereitwillig auf ihre Fragen ein, und schon wenig später unterhielten sie sich und alberten miteinander herum.

Mara war ihnen in einem kleinen Abstand gefolgt. Sie ließ sich auf einer Bank, die hinter den Jungen stand, nieder. Leicht bewundernd und neidisch beobachtete Mara, wie Stefanie fröhlich lachte, während sie ihren neuen Freunden ein paar Balletttanzschritte vorführte.

Lulu versuchte, die Schritte zu kopieren, musste aber schnell feststellen, dass es gar nicht so einfach war ohne die entsprechende langjährige Ausbildung.

»Hey Mara, du bist doch im gleichen Ballettkurs wie Steffi. Zeig du doch mal ein paar Schritte.«

Alle in der Nähe Stehenden blickten nun erwartungsvoll zu Mara. Diese erhob sich und trat näher zum Feuer. Dann absolvierte sie eine Kombination an Tanzschritten.

Überall ertönten bewundernde Zurufe, nur von Steffi erntete sie einen mitleidigen Blick.

»Na ja, vielleicht bekommst du es hin, wenn du dich aufgewärmt hast.«

»Machs doch besser«, erwiderte Mara erbost.

»Klar.« Stefanie dehnte sich kurz und kopierte dann Maras Vorführung.

Zähneknirschend musste Mara sich eingestehen, dass Stefanie eine bessere Körperhaltung hatte und die Choreografie dadurch eleganter wirkte.

Das fanden auch die Kinder um sie herum. Daher ging Mara zurück zu der Bank und ließ sich wieder darauf nieder.

Einer der von Lulu angesprochenen Jungen setzte sich neben sie.

»Hey Rotschopf, ich bin Falk. Du und die Blonde da … echt cool, was ihr könnt.«

»Wir sind seit der ersten Klasse in dem gleichen Ballettkurs.«

»Ah, ihr seid Freundinnen?«

»Definitiv nicht.«

»Cool, dann wird das ein Zicken-Battle.«

Mara blickte Falk abfällig von der Seite an. Doch dann stimmte sie ihm insgeheim zu. Sie nahm sich vor, hier im Tanzlager besser als Stefanie abzuschneiden. Hier gab es keinen Eric Watts, der sich schützend vor sein Bandenmitglied stellen würde.

»Ich bin müde«, sagte sie entschlossen und erhob sich. »Wir sehen uns sicher morgen.«

»Ja, Rotschopf. Wenn wir Glück haben, kommen wir in den gleichen Kurs.«

Das fehlt mir noch, dachte Mara, während sie zu Lulu lief. Sie sagte ihr Bescheid, dass sie sich in das Zimmer zurückziehen wolle. Zu ihrer Überraschung folgten Louise und Stefanie ihr.

Am nächsten Morgen warf Lulu die Bettdecke von sich und schwang sich aus ihrem Bett.

»Man ey, der Plümo ist bei der Hitze viel zu dick.«

»Plümo [8]?«, fragte Steffi müde. »Das Wort habe ich noch nie gehört.«

»Nee?« Lulu lachte. »Ich geh jetzt duschen und mach mich dann für das Frühstück fäädig [9]. Ihr solltet auch langsam aufstehen.«

Mara und Steffi erhoben sich und liefen mit ihrer neuen Freundin in den Duschraum.

Nach dem Frühstück wurden die Kinder in verschiedene Kursgruppen aufgeteilt. Sehr zur Freude der beiden Weißwalder Mädchen kamen sie in verschiedene Teams.

Maras Kursleiterin war eine junge Frau, die sich als Kari vorstellte.

»Okay Leute«, rief sie fröhlich. »In dieser Woche werde ich euch verschiedene Moves und Styles beibringen. Anfangen werden wir mit dem für den Hip-Hop typischen Freestyle. Das heißt, dass wir Styles improvisieren. Meine Spezialität ist der Jazz-Funk. Daher werde ich euch Elemente aus dem Jazztanz lehren. Beyoncé [10] ist mit diesem Stil bekannt geworden. Also dann los! Als Erstes werden wir uns aufwärmen.«

Falk hatte sich neben Mara gestellt.

»Hey, Rotschopf«, begrüßte er sie grinsend. »Wir sind im gleichen Kurs.«

»Ja, ganz toll.« Mara imitierte die Turnübungen von Kari und verschaffte sich so etwas Abstand zu Falk.

Wie schade, dass Lulu mit der Fischer im gleichen Kurs war. Sonst hätte sie sich hinter ihr verstecken können.

Erst beim Mittagessen traf sie wieder auf die beiden.

In der Zeit tauschten sie sich über den Vormittag aus. Danach erkundeten sie zusammen das Gelände. Am Nachmittag trafen sich alle Zwölfjährigen bei den Tischtennisplatten.

Schnell hatten alle sich darauf geeinigt, im Rundlauf zu spielen.

Am Ende des ersten Spiels standen sich Mara und Lulu wie bei einem Einzel gegenüber. Mara schmetterte den letzten Ball und gewann.

»Wow!«, rief Lulu begeistert. »Du hast es ja echt drauf.«

»Langjährige Erfahrung auf dem Schulhof«, erwiderte Mara lachend und warf dann einen mitleidigen Blick zu Stefanie. Hier konnte die Konkurrentin sie nicht schlagen.

Stefanie warf ihre blonden Locken nach hinten und lächelte nur säuerlich. Sie konnte Tischtennis nicht leiden und würde sich auch nie dafür begeistern können.

Falk erinnerte sich daran, dass er einen CD-Player mitgebracht hatte. Während die anderen noch eine Runde Tischtennis spielten, rannte er schnell zu seinem Zimmer und holte ihn. Außer Atem stellte er ihn ein paar Minuten später auf eine Bank, die in der Nähe der Platte stand, und machte ihn an.

Aus der Box ertönte Bills Bills Bills [11].

Erleichtert trat Steffi zu ihm.

»Geht es noch etwas lauter?«

»Klar.« Falk drückte auf einen Knopf.

»Sehr cool!« Sie lächelte ihn begeistert an.

»Kannst du uns noch mal ein paar Ballettschritte zeigen? Das sah gestern echt genial aus.«

»Gerne.« Stefanie ging in die Ausgangsposition, bei der beide Beine gekreuzt zueinanderstanden, und beugte diese kurz. Dann sprang sie mit gestreckten Beinen, wobei diese mehrfach schnell aneinanderschlugen.

»Das nennt man Brisé [12]«, erklärte sie dabei.

»Krass«, meinte Falk.

»Passt aber nicht zur Musik«, stellte Steffi fest und begann, die Moves, die sie am Vormittag gelernt hatte, auszuprobieren.

Sofort war sie von den anderen anwesenden Campbewohnern umgeben.

Die Mitglieder ihres Kurses stellten sich zu ihr und gemeinsam begannen sie, ein paar Schritte zu tanzen.

Plötzlich blieb Stefanie vor Mara stehen.

»Und? Wie schaut es bei dir aus? Zeig doch mal, was ihr heute so gemacht habt.«

»Ich wusste es! Zicken-Battle!«, hörte Mara Falk begeistert rufen.

Was für ein Idiot!, dachte sie genervt.

Mara kreuzte die Arme vor der Brust und blickte Steffi abfällig an.

Dann ging sie ebenfalls in eine passende Ausgangsposition und sprang mit weit gespreizten Beinen im Spagat mehrmals hintereinander, bis sie wieder zum Stehen kam.

»Das ist eine Variante des Grand Jeté [13]«, sagte sie lächelnd. Dann trat sie zu den Leuten aus ihrem Kurs, und gemeinsam führten sie die vorhin einstudierten Moves aus.

»Das war mal ein cooler Nachmittag«, stellte Lulu beim Abendessen fest. »Schon allein dafür hat sich die Fahrt hierher gelohnt.«

»Ich finde Falk toll«, seufzte Steffi, während sie sehnsüchtig zum Tisch der Jungen hinübersah.

»Den Labbes [14]?« Lulu schaute nun auch zu den Jungen rüber. »Ich steh auf Kian.«

Mara schüttelte nur ihren Kopf und schwieg.

So vergingen die nächsten Tage. Mara und Stefanie ignorierten sich die meiste Zeit. Sie investieren ihre Kraft und Zeit in das Tanzen. Nur an den Nachmittagen und Abenden versuchte jede der beiden, Lulus beste Freundin zu werden.

Auch an diesem Abend fand wieder eine Disco statt, wo die Kinder ihre Lieblingssongs hörten und dazu die erlernten Tanzmoves vorführten.

In diesen Momenten brannte die alte Konkurrenz zwischen Mara und Steffi auf höchster Flamme. Sie battelten gegeneinander und warteten danach immer gespannt auf die Beurteilung der anderen Kinder.

Plötzlich ging das Licht im kleinen Discosaal aus.

»Zieht euch warm an! Wir machen jetzt eine Nachtwanderung«, rief Kari laut.

Eine halbe Stunde später liefen die Campteilnehmer mit ihren Betreuern durch den großen und dunklen Wald, der an das Schloss angrenzte.

Während die jüngeren Kinder dicht bei den Erwachsenen blieben, liefen die Älteren voran oder blieben etwas zurück.

Schmunzelnd beobachtete Mara, wie die Jungen immer wieder versuchten, sie und die anderen Mädchen zu erschrecken.

Wie albern sich die Fischer benimmt, dachte sie dann verwundert. Und wie die sich an Falk ranschmeißt.

Der Vollmond verschwand hinter einer Wolke und mit einem Mal wurde es stockfinster.