Märchen 2 - Hans-Manfred Milde - E-Book

Märchen 2 E-Book

Hans-Manfred Milde

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Beschreibung

Auch in diesem Märchenbuch 2 finden Märchen und Geschichten aus uralten Zeiten ihren Platz. Ob über- oder untertage, ob hoch in einem der schlesischen Gebirge, ob in den Weiten der Ebenen rechts und links der Oder, überall im Schlesierland geschahen Dinge, die die Menschen verwunderten; manchmal flößten sie ihnen Angst ein, mitunter brachten sie die Geschehnisse aber auch zum Lachen. Könige, Fürsten und Ritter wohnten in Schlössern und Burgen; es lebte aber auch einmal eine Prinzessin, die so hässlich war, dass kein Prinz um sie freien wollte. Nicht anders war das Leben der einfachen Leute. Auch unter ihnen gab es leißige und faule, ehrliche und Betrüger, traurige und glückliche. Oft waren es Tiere, die traurigen oder verzweifelten Menschen zu Hilfe kamen - echte Tiere - manchmal aber auch solche, die von einem Zauberstab berührt worden waren und auf ihre Befreiung warteten. Im Schlesischen ließ es sich gut leben - denn Rübezahl wachte von der Koppe herab und mischte sich ein, wenn es die Menschen zu arg trieben. Wer heute an Schlesien denkt, dem fallen wohl zuerst die drei Worte ein, die allen Märchen voran stehen: Es war einmal…

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Inhaltsverzeichnis:

Das Märchen vom Zwerg Runkel

Cunrod

Was heller strahlt als die Sonne

Die Macht der Krone

Das Märchen vom feuerroten Papagei

Wie Luzifer um eine Seele kämpfte

Das Märchen vom kalten Stern

Wie Rübezahl einen faulen Sägemüller bestrafte

Der König, der seine Zukunft aus den Sternen lesen wollte

Das Märchen vom kleinen Wolf, der die Welt in Unordnung brachte

Das Märchen vom König, dem alles Bunte zuwider war

Das Märchen vom alten Fischer

Das Märchen von der Strohgeige

Die hässliche Prinzessin

Das Märchen vom Mann im Mond

Das Märchen vom Zwerg Runkel.

Unter dem Heuscheuergebirge, im Reich des Zwergenkönigs Arrogant, lebte einmal ein Zwerg, der hieß Runkel. Zusammen mit anderen Zwergen schlug er Gold, Silber und Edelsteine aus den Felsen. Runkel war sehr fleißig. Der Zwergenkönig hatte ihn deshalb schon mehrfach gelobt, was den anderen weniger gefiel. Sie nannten ihn deshalb spöttisch Rübe, was Runkel gar nicht gern hörte.

Eines Tages kam die Tochter des Königs bei einem Spaziergang genau an der Stelle vorbei, an der Runkel soeben eine neue Goldader entdeckt hatte. So sehr das Gold auch funkelte und glänzte, für Runkel strahlte die Schönheit der Prinzessin tausend Mal heller. Ihre zauberhaften Augen, ihr dunkles Haar, ihre zarten Hände, das alles verwirrte den kleinen Zwerg. Sein Herz begann wie wild zu pochen, das Blut schoss ihm in den Kopf und ließ ihn erröten. Und in all seiner Verwirrung tat er plötzlich etwas, was er nie hätte tun dürfen. Runkel kniete vor der Prinzessin nieder und gestand ihr mit einem Lied seine Liebe.

Die Königstochter errötete.

Noch nie hatte ihr jemand ein solch schönes Lied gesungen. Die tiefblauen Augen des Sängers und die Reinheit seiner Stimme drangen tief in ihr Herz. Am liebsten hätte sie ihn umarmt - doch dann durchfuhr sie ein großer Schreck. Ein einfacher Zwerg sang ihr ein Liebeslied, das würde ihr Vater nicht dulden. Die Prinzessin wusste, dass auf Geheiß des Königs bereits Kundschafter in andere Zwergenreiche unterwegs waren, die nach einem Prinz für sie suchen sollten.

„Du bist eine Prinzessin“, hatte der Vater immer wieder zu ihr gesagt. „Nur ein echter Prinz ist deiner würdig.“

So schenkte sie Runkel nur ein zärtliches Lächeln und machte sich auf den Heimweg.

Kaum vom Spaziergang zurückgekehrt, sah der König die Röte im Gesicht seiner Tochter.

„Mein Kind, was ist dir geschehen?“, fragte er erschrocken.

„Ach mein Vater, freut euch. Eine neue Goldader wurde entdeckt. Der Zwerg, der sie fand, hat mir vor lauter Freude ein wunderschönes Lied gesungen.“

„Was hat er gesungen?“

„Schöner sei ich als Gold, meine Augen leuchtender als Edelsteine.“

Als der König das hörte, wurde er zornig.

„Ein einfacher Zwerg hat dir… ein solch frevelhaftes Lied gesungen? Bringt den Unverschämten sofort hier vor meinen Thron. Ich will ihm eine Lektion erteilen.“

Als Runkel die Nachricht erhielt, er solle sofort zum König kommen, glaubte er, die Prinzessin habe dem König von der neuen Goldader erzählt, nun werde er dafür wieder ein großes Lob erhalten. Doch kaum stand er vor seinem König, hallte es laut in seinen Ohren.

„Was fällt dir ein, meiner Tochter, einer Prinzessin, ein Liebeslied zu singen! Bist du vielleicht ein Prinz?“

Eingeschüchtert von dem königlichen Geschrei versuchte Runkel sich noch kleiner zu machen, als er schon war.

„Verzeiht, mein König, ich bin nur…“

König Arrogant ließ ihn nicht ausreden.

„Wie heißt du?“

„Mein Name….“, stotterte der Beschuldigte, „mein Name…“

Noch bevor er antworten konnte, riefen die anderen Zwerge:

„Rübe! – Rübe heißt er!“

Runkel schämte sich, so genannt zu werden, und das vor dem König. Zu allem Übel hatte nun auch die Prinzessin seinen Spottnamen gehört. Deshalb schluckte er schnell seinen Ärger hinunter und antwortete:

„Ich heiße Runkel.“

Mit dem linken Ohr hatte der Zwergenkönig das Wort Runkel vernommen, mit dem rechten Ohr Rübe.

„Aha, Runkelrübe heißt er. Was für ein hässlicher Name. Ich will dich hier in meinem Zwergenreich nicht mehr sehen. Schnüre dein Bündel und verschwinde!“

Nun war es gar arg um Runkel bestellt.

Sein schönstes Liebeslied brachte ihm den Rauswurf aus seiner vertrauten Höhle. Wohin sollte er nur gehen? Aber unumstößlich lag fest: der Befehl eines Königs muss befolgt werden. So nahm er das Wenige, was er besaß, band es in ein Tuch und kletterte dem Höhlenausgang entgegen.

Je näher er der Außenwelt kam, umso stärker wurde seine Trauer. Auch seine Angst wuchs von Schritt zu Schritt. Er wusste ja nicht, wie es draußen sein würde. Unter den Zwergen wurde viel von der anderen Welt erzählt, aber nie war es Runkel gelungen, Wahrheit und Märchen auseinander zu halten.

Als er den Höhlenausgang erreicht hatte, verharrte er noch einmal. Das Klopfen der Hämmer war noch immer aus der Tiefe zu hören. Nun würden die anderen Zwerge die von ihm gefundene Goldader aus dem Fels schlagen und vom König dafür mit Lob überschüttet.

„Ungerecht ist es, das Leben“, klagte Runkel. „Für das Singen eines Liebesliedes werde ich so hart bestraft.“

Er trocknete seine Tränen und öffnete den engen Felsspalt, der vom Zwergenreich hinaus in eine Vorhöhle führte.

Erstaunt sah sich Runkel um.

Wie groß hier alles war. Die Felsen über seinem Kopf waren so hoch, drei Zwerge müssten übereinanderstehen, um sie zu berühren. Wasser tropfte herab.

Plötzlich hörte Runkel fremde Stimmen. Groß gewachsene Gestalten mit ellenlangen Beinen kamen in die Höhle. Einige mussten sich bücken, um nicht mit den Köpfen an die Felsdecke zu stoßen. Alle trugen Schaufeln und Hacken über der Schulter.

„Ihr werds schun sahn, mir finda doas Guld1“, sagte der, der der Gruppe voran ging. „Ich hoatte nämlich eenen wunderscheenen Troom2 ei derr letzta Nacht. Gesahn hoab ich, wies gefunkelt hoat hinger den Felsen. Gloobt mersch.“3

Als Runkel das hörte, vermischten sich in seinem Kopf Angst und schlimme Rachegedanken. Zuerst fürchtete er, diese sonderbaren Wesen würden das Zwergenreich entdecken, vielleicht sogar zerstören. Dann aber dachte er: ‚Sollen sie nur graben, die riesenlangen Geschöpfe. Von mir aus können sie dem König Arrogant, der mich rausgeschmissen hat, alles Gold und Silber stibitzen. Ebenso die Edelsteine. Mir soll es egal sein.’

Und während er so hin und her überlegte, wurden seine Rachegedanken immer stärker. Ein richtiger Verräter wollte er jedoch nicht sein, er könnte aber den Felsspalt, durch den er soeben aus der Höhle herausgeschlüpft war, ein kleinwenig geöffnet lassen - - - dieser Versuchung konnte er nicht widerstehen.

Es dauerte auch gar nicht lange, da entdeckte einer der Langbeinigen den schmalen Spalt. Neugierig schaute er hinein. Als er all das Funkeln und Glitzern sah, stieß er einen Ruf des Erstaunens aus.

„Nee, weeßte, ich gloobs nich! Kummt amol haar!4 Asu woas Scheenes gibt’s doch goarnichte nich. Kummt amol und guckt. Hier, genau hier ies ar, der richtige Einstieg. Etz ham mern gefundn!“

Schnell eilten alle herbei, jeder wollte einen Blick in die Schatzhöhle werfen.

Der Obersteiger musste gar kein Wort sagen, schon begannen die Langbeinigen mit ihren Pickeln wie wild auf den Felsen einzuschlagen. Versteckt hinter einem Stein sah Zwerg Runkel dem Geschehen zu.

Während die Bergleute hart arbeiteten, huschte Runkel hinaus ins Freie. Die frische Waldluft, die er plötzlich einatmete, angefüllt mit den Gerüchen von Kräutern und Blumen, war er nicht gewohnt. Er wurde schläfrig und legte sich in eine kleine

Mulde, in der wunderbares weiches Moos wuchs, und schlief ein.

Wie lange er geschlafen hatte, wusste der Zwerg nicht. Als er seine Augen öffnete, begann er zu rätseln, wo er sich wohl befände. Über ihm glitzerte und funkelte es, als läge er wieder in seiner vertrauten Höhle. Doch etwas war anders als im Zwergenreich. Eine große, gelbe Scheibe stand über ihm. Ihre dunklen Flecken erschienen ihm wie ein Gesicht.

‚Vielleicht ist das der König, der in dieser Welt regiert’, ging es Runkel durch den Kopf. ‚Ob der mich in seinem Reich dulden wird?’

Ihn jetzt schon anzureden traute er sich nicht. Weil es auch einem Zwerg nicht möglich ist, sich noch kleiner zu machen als er schon ist, schloss Runkel die Augen und hoffte, der neue König werde ihn nicht entdecken. Dabei schlief Runkel wieder ein.

Als er viel später erwachte, hatte sich das runde Gesicht über den Bäumen gewandelt. Grelle Strahlen sandte es auf ihn herab, die ihn blendeten.

„In was für eine verrückte Welt bin ich nur geraten“, murmelte Runkel vor sich hin und versteckte sich unter einem Fels. Wieder hörte er die fremden Stimmen. Zwischen den unendlich hohen Bäumen näherten sich die Langbeinigen der Höhle, jeder trug eine Holzkiste auf seinem Rücken.

„Vorsichtig!“, mahnte der, der voran ging.

„Mir wulln die Felsen uffsprenga, aber nich ins selber ei die Luft joagen. Hinger dem Spalt, den mer gestern entdeckt ham, hinger dem liegt Guld. Alleene mit der Hacke kumma mir doo nich nei. Aber der Sprengstoff, der werd ins doas Luch5 schun weit genug uffmacha. Gloobt mirsch, baale sein mer reich.6 Also, passt gutt uff! Ihr wisst, wie schnell doas Zeug explodiern tutt.“

Als Runkel diese Worte hörte, erschrak er sehr.

Ein alter Zwerg hatte einmal erzählt, wie schlimm es für ein Zwergenvolk sei, wenn Felsen zerbersten. Der feine Staub verstopfe die Münder und Nasen, und viele Zwerge müssten sterben. Ob Runkel um König Arrogant in Sorge sein sollte, das wusste er in diesem Moment nicht. Vielleicht war es für ein Zwergenvolk wichtig, einen König zu haben, doch darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.

Die schöne Prinzessin und alle seine Freunde würden aber auch ihr Leben verlieren. Das stimmte Runkel traurig. So vergaß er seine Verärgerung; vergaß allen Zorn, der in ihm aufgestaut lag; vergaß sogar die Wut auf den König, der ihn vertrieben hatte.

Jedes Versteck ausnützend, schlich Runkel den Langbeinigen nach. Er sah, wie sie vor dem Eingang zur Zwergenhöhle ihre Kisten vorsichtig öffneten und Päckchen herausnahmen, an denen lange Schnüre hingen. Die Männer sprachen dabei kein einziges Wort, Runkel schien es, als wagten sie kaum zu atmen.

Nachdem alle Päckchen rund um den Eingangsspalt verteilt waren, krochen die Männer rückwärts zum Ausgang der Höhle und wickelten dabei die Schnüre ab.

Runkel überlegte, was jetzt zu tun sei.

Sollte er versuchen, die Schnüre mit seinen kleinen Zähnen abzubeißen? Was er auch tun würde, die Langbeinigen kämen zurück, würden den Schaden beheben und nach dem Übeltäter suchen. Fänden sie ihn, nicht nur sein Leben wäre beendet, sondern auch das des gesamten Zwergenvolkes.

Vor lauter Nachdenken wurde Runkels Kopf knallrot. Nichts wünschte er sich mehr, er könnte ihn in kaltes Wasser stecken. Bei dem Gedanken an ‚Wasser’ schreckte er auf. Mühsam versuchte er sich zu erinnern.

Vor langer, langer Zeit war er einmal der Prinzessin, die er so verehrte, heimlich nachgeschlichen, bis dicht an die königlichen Gemächer heran. Gerade in diesem Moment vertraute der König seiner Tochter ein Geheimnis an.

„Mein Kind“, hatte der König damals gesagt, „höre mir gut zu. Sollte einmal eine Wasserader in unsere Zwergenhöhle eindringen und unser Leben bedrohen, kann sie von jedem, der eine Krone trägt, mit einem geheimen Zauberspruch in eine andere Bahn gelenkt werden. Deshalb musst du immer deine Krone tragen, sonst hat der Spruch keine Wirkung. Und merke dir den Zauberspruch gut.“

Soweit konnte sich Runkel an das belauschte Gespräch erinnern. Den geheimen Spruch wusste er aber nicht mehr. Er hatte sich damals gedacht: Ich werde nie eine Krone tragen, deshalb muss ich mir das auch nicht merken. Jetzt aber wäre es gut, diesen Zauberspruch zu wissen.

Runkel begann nachzudenken.

Bald neigte er seinen Kopf auf die linke Schulter, dann auf die rechte. Seine Gedanken purzelten wie wild durcheinander. Weil ihm aber keine Lösung einfallen wollte, riss er voller Verzweiflung seine Zipfelmütze vom Kopf und kratzte sich in den Haaren.

Plötzlich hielt er inne. Kratzen! War da nicht etwas mit kratzen gewesen? Wie wild begann er erneut seinen Kopf zu kratzen, und er kratzte und kratzte – da fiel ihm der Zauberspruch des Zwergenkönigs wieder ein.

„Kratze kratze, kritze, kritze,

in diese Ritze

fließe der Strom.

Meine Kron’

sei dafür der Lohn.

Runkels Freude über den wiedergefundenen Zauberspruch hielt aber nicht lange an. Er besaß ja keine Krone, die er dem, der das unterirdische Wasser leitet, hätte geben können.

Vom Höhleneingang drang jetzt lautes Lachen an sein Ohr. Die Langbeinigen schienen mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein.

In seiner Verzweiflung begann Runkel den Zauberspruch laut aufzusagen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Es kam kein Wasser geflossen.

Da sah er plötzlich einen abgeschlagenen Stein liegen, der hatte so viele Zacken, man konnte ihn glatt für eine Krone halten. Und er glänzte und blinkte und funkelte, auch wenn das keine echten Edelsteine waren, die ihm dieses Leuchten gaben.

Runkel hob ihn trotzdem auf, balancierte ihn auf seinen Kopf und sprach laut und deutlich den Zauberspruch, den er dem König abgelauscht hatte.

„Kratze kratze, kritze, kritze,

in diese Ritze

fließe der Strom.

Meine Kron’

sei dafür der Lohn.“

Würdevoll, als wäre er ein König, nahm Runkel seine Steinkrone vom Kopf und legte sie mitten in die große Eingangshöhle, direkt neben die braunen Päckchen. Dann huschte er schnell durch den engen Spalt ins Zwergenreich zurück und verschloss den Eingang.

Es dauerte gar nicht lange, da hörte Runkel hinter der Felswand ein leises Rauschen, das stärker wurde und immer stärker. Gewaltige Wassermassen mussten es sein, die in die Vorhöhle fluteten. Erschöpft, aber auch glücklich hockte sich Runkel auf den Boden. Es war ihm gelungen, die Sprengung zu verhindern. Das Zwergenreich war gerettet!

Doch sein Glücksgefühl dauerte nicht lange.

Aufgeschreckt durch das Rauschen des Wassers eilten die Zwerge herbei. Als sie Runkel am Boden hocken sahen, rief einer:

„Ist das nicht Rübe?“

Andere stimmten ein:

„Ja, das ist Rübe! Unsere Runkelrübe!“

„Der König hat ihn verstoßen.“

„Was will er hier?“

„Wir müssen ihn zum König bringen!“

„Ja, bringen wir ihn zum König.“

So nahmen sie Runkelrübe in ihre Mitte und führten ihn vor den Thron.

Der Zwergenkönig sah ihn voller Zorn an.

„Du wagst es aus der Verbannung zurückzukehren?“

„Mein König, verzeiht“, hauchte Runkel ganz leise. „Ich war in der Verbannung, in die ihr mich geschickt habt. Aber draußen… draußen…“, hilflos ruderte er mit seinen Armen herum und begann zu stottern.

„Langbeinige Männer… Kisten… lange Schnüre dran… wollten aufsprengen… unsere Höhle… da hab ich… das Wasser… umgeleitet.“

„Du hast eine Wasserader umgeleitet? Wie? Du kennst die Zauberformel?“

Voller Reue kniete Runkel vor König Arrogant nieder und beichtete.

„Verzeiht, mein König. Allein um die Schönheit der Prinzessin zu betrachten, habe ich mich einmal heimlich in ihre Nähe geschlichen. Unglücklicherweise war es gerade jener Tag, an dem ihr, Herr König, eurer Tochter die geheimnisvolle Zauberformel anvertraut habt. Gleich wieder vergessen habe ich eure Worte, aber in der Stunde der großen Not sind sie mir wieder eingefallen.“

Voller Missmut sah ihn der König an. „Der Wassergeist will eine Krone als Geschenk, sonst leitet er die Wasserströme nicht um. Hast du mich nicht nur belauscht, sondern auch bestohlen?“

Zwerg Runkel befürchtete nun das Allerschlimmste.

Wenn der König ihn neben dem Singen eines Liebesliedes jetzt auch noch des Geheimnisverrats und sogar des Diebstahls einer Krone bezichtigten würde, musste er wohl mit der Todesstrafe rechnen. Darum war Runkel plötzlich alles gleich. Mutig erhob er sich, stellte sich aufrecht vor seinen König und streckte seine rechte Hand zur Höhlendecke.

„Schuldig bin ich, weil ich der Prinzessin ein Liebeslied gesungen habe. Aber ich schwöre, nie gestohlen zu haben; schon gar keine Krone. Die geheime Zauberformel, die ich unfreiwillig erlauschte, habe ich nur benützt, um das Zwergenreich zu retten. Das schwöre ich, mein König, bei der Schönheit eurer Tochter.“

Der König wusste einen kleinen Moment lang nicht, was er sagen sollte.

Das nutzte Runkel aus und erzählte von dem gezackten Felsgestein, das wie eine Krone ausgesehen habe. Reines Katzengold sei es gewesen, habe aber gefunkelt, als sei es echt.

Als der König das hörte, begann er zu lachen. Und er lachte und lachte, dass bald alle Zwerge herbeiliefen und sich um den Thron drängten. Solch lautes Lachen hatte es im Zwergenreich noch nie gegeben.

Nachdem sich der Zwergenkönig Arrogant seine Lachtränen aus den Augen gewischt hatte, erhob er sich von seinem goldenen Sessel und sagte so laut, dass alle es hören konnten:

„Ein wahrlich kluger und tapferer Zwerg bist du. Wie ein König hast du gehandelt und unser Zwergenreich gerettet. Von nun an sollst du nicht mehr Zwerg Runkelrübe heißen, sondern für immer und alle Zeit bist du jetzt: Prinz Katzengold.

Wenn deine Liebe zu meiner Tochter noch nicht erloschen ist, soll sie, wenn sie es auch will, deine Frau werden.“

Als die Prinzessin das hörte, sprang sie herbei, stellte sich neben Runkel und drückte ihren Kopf ganz fest an den seinen.

So legte König Arrogant seine Hände auf beide Köpfe und segnete sie. Und während der Zwergenkönig noch ein Gebet sprach, flüsterte die Prinzessin Runkel ins Ohr:

„Du musst mir noch viele Liebeslieder singen.“

Als Runkel das hörte, wäre er fast gestorben… vor Glück.

***

 

1 Gold

2 Traum

3 Glaubt es mir

4 Kommt einmal her

5 Loch

6 Glaubt es mir, bald sind wir reich

Cunrod.

Es gab einmal eine Zeit, in der waren die Städte zum Schutz vor Räubern von einer Mauer umgeben. So auch die kleine schlesische Stadt Freiburg.

Gleich hinter dem Stadttor, in einer der kleinen engen Gassen, lebte einmal eine Familie, die war sehr arm. Oft wussten die Eltern nicht, wie sie ihre große Kinderschar ernähren sollten. So gab der Vater seinen ältesten Sohn, der auf den Namen Cunrod getauft war, bei einem Bäcker in die Lehre. Dort erhielt er zwar für die Arbeit keinen Lohn, konnte sich aber jeden Tag satt essen.

Der Bäcker war ein sehr strenger Mann. Machte Cunrod alles richtig, bekam er kein einziges Wort des Lobes. Unterlief ihm aber mal ein Fehler, dann konnte der Meister schreien und toben, dass es über den ganzen Ring7 zu hören war.

An einem Wochenende geschah etwas, das den Bäckermeister besonders wütend machte. Abgelenkt von den vielen Arbeiten, die Cunrod gleichzeitig machen sollte, hatte er vergessen, die Brezeln rechtzeitig aus dem Ofen zu holen. Nun war ihre Oberfläche von recht dunkelbrauner Farbe.

„Du weeßt genau, die Brezeln sein fier inseren Bürgermeester, weil der heute seinen Geburtstag feiern tutt. Sull ich mich wegen dir verspotten lassen? Haderlump, elendiger, hau ab! Ich will dich ei meiner Backstubn nich mehr sahn nich. Hoostes8 verstanden? Hau ab!“

Und während der Bäcker das sagte, hob er seine riesengroße Pratze und drohte, sie dem Buben mitten ins Gesicht zu schlagen. Ängstlich duckte sich Cunrod, drehte auf dem Absatz um und rannte aus der Backstube.

Aber wo sollte er hin? Nach Hause? Dazu war seine Scham zu groß. Mutter würde weinen, die kleinen Geschwister ihn als Nichtsnutz verspotten. Und der Vater, was würde der mit ihm machen? Auf alle diese Fragen fand Cunrod keine Antwort und meinte, es wäre am besten, kein Mensch bekäme ihn je wieder zu sehen.

Mit großen Schritten lief er zum Stadttor, wollte aus der Stadt flüchten, irgendwohin, nur weg von hier.

Das mächtige Tor war jedoch wegen umherziehender Räuberbanden auch am Tag geschlossen. Enttäuscht hockte sich Cunrod unter einen Krämerwagen und begann zu weinen. Als er aber plötzlich ein lautes „Hüh!“ hörte und die Räder sich zu drehen begannen, wischte er sich schnell die Tränen aus dem Gesicht und kroch unter dem Wagen hervor. Verdeckt durch dasgroße Hinterrad gelang es ihm, an der Torwache vorbei zu huschen.

Zum Glück war es bis zum Waldrand nicht weit.