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Georg Ebers' 'Märchen' ist eine faszinierende Sammlung von Geschichten, die sowohl junge als auch reife Leser gleichermaßen begeistern werden. Die Erzählungen entführen den Leser in eine Welt voller Magie, Abenteuer und Moral. Ebers' literarischer Stil ist flüssig und einfühlsam, wodurch er die Leser in seinen Bann zieht und sie in die wundervollen Welten seiner Märchen eintauchen lässt. Obwohl Ebers vor allem als Ägyptologe und Schriftsteller von historischen Romanen bekannt ist, beweist er mit 'Märchen' sein vielseitiges literarisches Talent und seine Fähigkeit, zeitlose Geschichten zu erschaffen, die noch lange nach dem Lesen im Gedächtnis bleiben.
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Jeder Leipziger kennt wohl das hohe Giebelhaus in der Katharinenstraße, das ich meine. Es steht nicht weit vom Markte, und dem Schreiber dieser wahrhaftigen Geschichte ist es besonders wert, weil es schon seit langer Zeit seiner Sippe eignet. Es haben sich darin auch absonderliche Dinge begeben, wohl wert, sie der Vergessenheit zu entziehen, und nun sie mich des Amtes entsetzet, weil ich mich genötigt sah, denjenigen unumwunden die Wahrheit zu zeigen, die sie zu verdunkeln trachteten, erfreue ich mich der nötigen Muße, den kommenden Geschlechtern der Ueberhell des Näheren zu berichten, was mir von ihrem Ahnherrn und dessen wunderbarem Leben und Thun durch meine Frau Großmutter und andere gute Leute bekannt ward.
So beginne denn hier meine Erzählung.
Von altersher ward das besagte Haus »zu den heiligen drei Königen« benamst; früher aber hatte es sich durch nichts von den anderen Gebäuden der Straße unterschieden als durch das Schild der Hofapotheke im unteren Stockwerk, das über der Gewölbethür angebracht gewesen war und die heiligen drei Patrone der Offizin: Kaspar, Melchior und Balthasar, in hellen Farben und schöner Vergoldung darstellte.
Obwohl nun selbiges Haus in der Katharinenstraße fortfuhr, »zu den heiligen drei Königen« genannt zu werden, war doch bald nach dem Ableben des alten Kaspar Ueberhell das Schild entfernt worden, die Apotheke eingegangen, und diese nebst dem Hause hatte mancherlei betroffen, das dem gemeinen Lauf der Dinge und dem Gefallen ehrbarer Bürger zuwider.
Es hatte schon des Geredes überviel gegeben, als noch bei Lebzeiten des alten Hofapothekers dessen einziger Sohn Melchior das Vaterhaus und Leipzig verlassen und nicht nur auf etliche Jahre nach Prag, Paris oder Italien gezogen war wie andere Söhne wohlbehaltener Eltern, wenn sie es in den Wissenschaften zu etwas Rechtem bringen wollen, sondern – so wollte es scheinen – auf den Nimmerwiedersehenstag.
In der Klosterschule und als Lehrling war Melchior einer der begnadigtsten und bestbeleumdeten gewesen, und mancher Vater, dessen Sohn an ausgelassenen und gottlosen Streichen sträfliches Wohlgefallen fand, hatte dem alten Ueberhell mit stillem Neid Glück gewünscht, in seinem einzigen Sohn und Erben ein so ausbündig wohlbegabtes, arbeitsames und züchtiges Kleinod zu besitzen. Später aber hätte kein Familienhaupt seinen ruchlosen Galgenstrick gegen das vielgepriesene Hofapothekerskind umgetauscht; denn auch ein schlimmer Sohn gefällt den meisten Vätern besser als keiner.
Der Melchior nämlich kehrte und kehrte nicht heim, und daß dies dem Alten am Herzen fraß, ja daß er sich darüber vorzeitig zu Tode härmte, war nicht zu bezweifeln; denn der stattliche Hofapotheker, dessen strotzendes Antlitz noch drei Jahre nach dem Ausbruch des Sohnes rund und strahlend gewesen war wie die Sonne, nahm von einem Dreikönigstag zum andern ab an Fülle und Glanz, bis es zuletzt fahl und gelblich aussah gleich dem blassen Halbmond, und die einst so vollen Wangen ihm wie leere Säcklein auf die Halskrause fielen. Auch mied er mehr und mehr die Rats-Trinkstube im Wagegebäude, wo er sonst gern die Abende mit anderen ehrbaren Bürgern verbrachte, und nannte sich bisweilen »einen einsamen Mann«.
Zuletzt hielt er sich völlig daheim, vielleicht weil sein Antlitz und was weiß in den Augen gewesen, sich so goldig gefärbt hatte wie der Safran in der Apotheke. Dort ließ er indes den Provisor Schimmel mit dem Gehilfen schalten, so daß, wer ihm nicht zu begegnen wünschte, ihn ebendaselbst aufsuchen mußte.
Als er dann endlich im fünfundsechzigsten Jahre seines Alters die Augen schloß, sagten die Aerzte, es sei seiner Leber und Galle, von denen so Kummer wie Groll ausgehen, allzu hart mitgespielt worden.
Freilich hatte keiner ein Wort der Klage wegen des Sohnes von seinen Lippen vernommen, ja es stand fest, daß er bis zuletzt über dessen Aufenthalt wohl unterrichtet gewesen; denn wenn man ihn darnach gefragt, hatte er anfänglich versetzt: »Er liegt zu Paris dem Studium ob,« und dann: »In Padua scheint er gefunden zu haben, wonach er sucht;« in der letzten Zeit aber: »Bald denk' ich, daß er aus Bologna zurückkehrt.«
Dabei war es aufgefallen, daß er, statt bei solchen Fragen dem Unmut Luft zu machen, mit einem zufriedenen Schmunzeln erst das volle und später das hagere Kinn gestrichen hatte – und wer da der Meinung gewesen, der Hofapotheker werde dem flüchtigen Sohne das Erbe schmälern, der sollte bald eines Besseren belehrt werden; denn der Alte hatte dem Melchior in einem zierlichen Testamente seinen ganzen reichen Besitz hinterlassen und nur der Witwe Vorkelin, die ihm seit dem Heimgang seiner Ehefrau eine treue Haushälterin gewesen, sowie dem Provisor Schimmel für den Fall, daß die Apotheke aufgegeben werden sollte, ein Jahrgeld verschrieben, das ihnen bis an ihr seliges Ende auszuzahlen war. Seiner lieben Frau Schwiegertochter, des gelehrten Doktor Vitali in Bologna preiswürdigen Tochter, hatte der Alte den gesamten Schmuck seiner seligen Hälfte, sowie das Silberzeug und Linnen des Hauses mit gar beweglichen Liebesworten verehret.
Das alles bot den Herren vom Rat, den Verwandten und Gevattern nebst deren Ehefrauen und weiblichem Anhang keine geringe Ueberraschung, und was für viele und besonders für etliche Mütter dem Faß den Boden ausschlug, das war, daß der Sohn und letzte Erbe eines ehrbaren und begüterten Geschlechtes eine Fremde, eine leichtfertige Welschländerin, und noch dazu ohne daß ihnen davon eine Mitteilung geworden, heimgeführt hatte.
Bei dem Testamente fand man auch einen Brief des Verstorbenen an sein einziges Kind und einen andern an den ehrbaren Rat, worin selbiger ersucht wurde, seinen Sohn Melchior Ueberhell von seinem Ableben zu unterrichten und ihn, falls er heimkehre, mit Gunst und Billigkeit in die Rechte einzusetzen, die ihm als Erben eines Leipziger Bürgers und als einem zu Padua graduirten Doktor gebührten.
Diese Schreiben gingen mit dem ersten Boten, der gen Süden abritt, über die Alpen, und daß sie in die Hand des Melchior gelangt waren, das sollten die neuen Ueberraschungen lehren, die sein Antwortschreiben enthielt.
Er beauftragte darin den wackeren Notarius Anselmus Winkler, der sein liebster Schulgenosse gewesen, die Apotheke aufzulösen, und was sie an Gerät enthalte, unter der Hand zu verkaufen. Nur von jeder Drogue sollte ein kleiner Teil für seinen eigenen Gebrauch zurückbehalten werden. Den hohen Rat ersuchte er in wohlgesetzten Worten, dem italienischen Baumeister Olivotti, der sich ihm bald vorstellen werde, zu gestatten, das alte Haus zu den drei Königen nach dem Riß, den er mit ihm zu Bologna vereinbart, von Grund aus umzugestalten. Die der Straße zugewandte Seite werde der Neubau nicht zur Unzier gereichen, die Einrichtung des Innern denke er aber gemäß dem eigenen Geschmack und Bedarf nach freiem Ermessen herzustellen.
Diese Verlangen mußten dem Rate billig erscheinen, und da der italienische Baumeister, der wenige Wochen später in Leipzig eintraf, einen Bauriß vorlegte, der die Vorderseite eines Bürgerhauses mit einem stattlichen Giebel zeigte, der sich in fünf Stufen nach oben zuspitzte und auf dem Gipfel die Bildsäule der gewappneten Göttin Minerva trug, zu deren Füßen die Eule hockte, konnte sich kein Einwand gegen solche Zierde der Stadt erheben, wenn gleich einige geistliche Herren ihr Mißfallen über die Verdrängung der hilfreichen Heiligen durch eine Göttin der blinden Heiden und über den mittleren Schornstein nicht zurückhalten mochten, der an Höhe sich mit den Kirchtürmen zu wetteifern vermaß.
Indessen wurde der Umbau ungehindert ins Werk gesetzt, und bevor man noch die alte Front niedergerissen hatte, war die Apotheke geschlossen worden.
Der grauköpfige Provisor Schimmel hatte die Witwe Vorkelin, die dem alten Herrn Ueberhell die Wirtschaft geführt, in die Ehe genommen. Sie hätten den Basen und Gevattern mancherlei erzählen können, doch er sprach überhaupt nichts, und ihr war das Stillschweigen so fest auf die Seele gebunden worden, und dazu hatte sie vor dem Ende des Alten so beängstigende Erfahrungen gemacht, daß sie die neugierigen Frager in einer Weise abfertigte, die ihnen das Wiederkommen versalzte.
Den Melchior, den sie auf den Armen getragen, hatte sie lieb gehabt wie ein eigenes Kind; aber sie war ihm doch gram geworden, als sie sehen mußte, wie sein vereinsamter Vater, der vormals die guten Bissen, die sie zu bereiten verstand, wohl gewürdigt, immer weniger auf Speise und Trank hielt und auch von der Sorgfalt abließ, die er sonst auf den äußeren Menschen verwandt. Auch während er anfangs immer noch dann und wann etliche Freunde zu Gaste geladen, die ihre Kochkunst lobten, zog er keinen mehr in sein wohlbestelltes Haus, seitdem auch sein Gevatter und Kollege Blumentrost von der Mohrenapotheke, der Melchiors Lehrherr gewesen, das Zeitliche gesegnet.
Diesen Rückgang des stattlichen und gastfreien Mannes verursachte sicherlich das Ausbleiben des Sohnes, jedoch in anderer Weise, als die Leute wähnten; denn wohl hatte der Alte sich nach dem einzigen Kinde gesehnt, doch war er weit entfernt gewesen, ihm zu grollen, und die Vorkelin wußte sogar, daß der Vater selbst dem Sohne widerraten, zurückzukehren, bevor er das große Ziel erreicht habe, dem er auf welschem Boden mit rastlosem Eifer entgegenstrebte.
Es war ihr auch bekannt, daß Melchior dem Alten in jedem Briefe genaue Auskunft gab, wie weit er gekommen, und wenn ihr Herr die Apotheke zuletzt dem Provisor überlassen hatte, so war es nur geschehen, weil er sich im ersten Stock eine eigene Küche errichtet, in der er – stets nach der Anleitung, die er in den Briefen des Sohnes fand – von früh bis spät mit Tiegeln und Glasblasen, Kesseln und Röhren vor dem Feuer hantirte. Doch die Wirtschafterin sah, daß trotz alledem die Sehnsucht dem Alten das Herz zerfraß, und wäre sie der Kunst des Schreibens mächtig gewesen, hätte sie Melchior kund gethan, wie es stand, und ihn nach Leipzig gerufen. Aber das alles, sagte sie sich in stillen Stunden, hätte selbiger auch ohne sie wissen müssen, und deshalb nötigte sie sich, ihm, so gut es gehen wollte, weiter zu grollen.
So vergingen Jahre, und doch war der Mißmut in alle Winde verflogen, als »der Reitende« ein Röllchen aus Welschland gebracht und der Herr sie bald darauf in die Küche gerufen hatte.
Da war denn die verdorrte alte Liebe auch schnell genug wieder ins Knospentreiben und Blütenöffnen geraten, und was ihr dort zu Gesicht gekommen, war freilich etwas Besonderes gewesen; denn der Hofapotheker hatte ihr in den säuberlich gewaschenen Händen ein graues Blatt entgegengehalten, worauf das mit Rotstift gar zierlich vollbrachte Bildnis einer lieblichen jungen Frauensperson mit einem holdseligen Knäblein auf dem Schoß zu sehen gewesen. Dann hatte er ihr gegen jedermann zu schweigen geboten und ihr vertraut, dies Weiblein sondergleichen sei das junge Ehegemahl seines Sohnes, und das Knäblein ihr erstgeborenes Kind und sein Stammhalter und Enkel. Er habe dem Melchior die Tochter seines Meisters zu Bologna heimzuführen gestattet, und nun sei er, der alte Kaspar Ueberhell, ein glückseliger Mann, und wenn der junge Herr Doktor ihm Weib und Kind zuführen und dazu das mitbringen werde, wonach er so treulich suche und trachte, dann wolle er den Kaiser auf seinem Thron nimmer beneiden. Wie dann die Vorkelin die Thränen bemerkte, so dem Herrn strömlings über die eingefallenen Wangen flossen, waren auch ihr die Augen übergelaufen, und später hatte sie sich oft genug an die Truhe geschlichen, wo das Bildnis verwahrt wurde, um das Knäblein anzuschauen und die Lippen auf dieselbe Stelle zu drücken, auf der die des Großvaters bereits etliches von dem Rotstift verwischet.
Aber so groß die Freude des Herr Ueberhell auch gewesen war, die Sehnsucht mußte ihn doch noch tiefer ergriffen haben; denn es war schnell und schneller mit ihm bergab gegangen, ohne daß die Vorkelin ihn hätte bewegen können, einen Arzt zu berufen. Nur an dem Trank, den er, mit den Briefen des Sohnes vor sich, in der Küche bereitet, hatte er bisweilen recht herzhaft gerochen, und wenn es ihm dennoch nicht wohler geworden war, hatte er ihn nur umgekocht und mit neuen Stoffen vermischt.
Eines Abends – er war den ganzen Tag in der Küche thätig gewesen – hatte er sich noch früher als sonst zur Ruhe begeben; wie aber die Vorkelin bei ihm eintrat, um ihm den Nachttrank zu reichen, hatte er seiner allezeit gütigen und höfischen Art völlig vergessen und sie unwirsch angefahren: »Wie lange bereitet sie mir nun schon das Lager, und doch bringt sie mich in Gefahr, das Gebein zu versengen. Das kommt davon, daß sie, so kurz auch ihr Verstand ist, nur zu gern auf Allotria sinnet.«
Dergleichen hatte sie nimmer aus dem Munde des freundlichen Mannes vernommen, und wie ihr vor Schreck das Brettlein in der Hand zu schwanken begann, also daß ihr ein Teil des Würzweines über den Rock lief, fuhr er ärgerlich fort: »Wo ihr die alten Gedanken nur sind! Da vergißt sie erst, die brühheiße Wärmflasche aus dem Bett zu nehmen, und nun gießt die Gans auch das gute Getränk auf den Boden!«
Aber weiter war er nicht gekommen; denn während Frau Vorkelin das Brett auf das Tischlein stellte, um die feuchten Augen mit der Schürze zu trocknen, hatte er, ganz entgegen seiner züchtigen Weise, die Füße aus dem Bett geschnellt und mit leuchtenden Augen gerufen: »Hat sie die Worte vernommen, so mir von den Lippen geflossen?«
Da war die Witwe verschämt zurückgetreten und hatte schluchzend erwidert: »Wie sollt' ich wohl nicht? Und wenn Ihr es über Euch bringt, eine schutzlose Witwe, obgleich sie Euch lange getreulich gedienet, also zu schmähen . . .«
»Ich that es, ich hab' es gethan!« unterbrach sie der Alte, und die Augen leuchteten dabei in so freudigem Stolz, als sei ihm eine große Heldenthat bestens gelungen. »Die ›Gans‹ ist mir leid, und was den kurzen Verstand angeht, so mißt er doch immerhin etliche Spannen; doch – daß sie's weiß: brav ist sie und treu und versteht ihre Sache, und wenn sie mir so gut ist, wie ich ihr allezeit gewesen . . .«
»Ach, Herr –« fiel ihm hier die Wittib abermals ins Wort und bedeckte das Antlitz verschämt mit der Schürze; er aber ließ sie nicht ausreden und fuhr, so groß war seine Bewegung, mit heiserer Stimme fort: »Gut muß sie mir sein, Vorkelin, nach so vielen Jahren, und wenn es an dem ist, so nehmet dies Fläschlein und riechet recht herzhaft hinein, und wenn Ihr' s gethan habt, so laßt mich Euch etliches fragen.«
Da hatt' es denn anfangs ein langes Sträuben gegeben; endlich aber war die Haushälterin dem Herrn zu Willen gewesen, und während sie noch die Nase mit dem Aether sättigte, der der Phiole entstieg, fragte der Hofapotheker sie hastig: »Meint sie, ich hätte allezeit wie ein Mann gehandelt, der auf sein und seines Hauses Wohl weislich bedacht ist?«
Nun aber ging in der Vorkelin etwas Seltsames vor; denn sie stemmte ganz unehrerbietig, wie sie es sonst nur that, wenn sie die Magd oder den Markthelfer schalt, die Fäuste auf die Hüften und rief, nachdem sie laut und fast spöttisch gekichert: »O nein! Ihr habt zwar einen weiten Sack voll nutzbaren und unnützen Wissenskram mir Alten voraus, – aber ich zähle ja noch gar nicht recht zu den Alten; – doch trotz der ›Gans‹ und meines ›kurzen Verstandes‹ bin ich allezeit klüger gewesen denn Ihr und habe besser gewußt, wo Barthel den Most holt. Mein! Läßt sich wohl etwas Törichteres denken als den Vater des allerbesten Sohnes, der allein sitzt und sich braun und klapperdürr, ja aus einem stattlichen Mannsbild bis zur Vogelscheuche abhärmt, obzwar es ihn nur ein Wort kostete, um das einzige Kind zurückzubekommen und sich mit ihm, seinem Weib und dem süßesten Enkelkind des Daseins zu freuen? Wenn das keine blöde Narretei ist, kein Frevel und Unrecht wider die eigene Person . . .«
Hier hielt sie inne; denn der sonst so ehrbare Mann stand im Nachthemd und barfuß vor ihr und lachte so hell und laut und fröhlich und schlug sich dabei so toll und wild bald auf den eingefallenen Leib, bald auf die hageren Stöcklein, die das leichte Gewicht seines Körpers trugen, daß die sittsame Wittib, der dazu die kühne Rede, die ihr, sie wußte selbst nicht wie, über die Lippen gekommen, aufs Herz fiel, sich schwer entsetzte. Sie schickte sich auch an, nach entschuldigenden Worten zu suchen; doch war sie derselben mit nichten bedürftig, denn der Hofapotheker rief ein »Herrlich!« und »Prächtig!« und »Alle lieben Heiligen seien gelobt, wir haben's gefunden!« hinter einander, und bevor die ehrbare Frau sich dessen versah, hatte der graue sieche Mann sie herzhaft auf beide Wangen geküßt. Dann aber war es der wonnesamen Bewegung zu viel geworden, und leise stöhnend hatte er sich auf den Rand des Bettes niederlassen müssen und dort gar bitterlich geschluchzet.
Da war die Vorkelin ängstlich geworden; denn sie mußte billig vermuten, der Verstand ihres guten Herrn habe gelitten; doch wurde sie bald eines Bessern belehrt; denn nachdem er sich rechtschaffen ausgeweinet, hatte Herr Ueberhell ungesäumt eine Probe der wiederkehrenden Gesundheit und der alten Verständigkeit gegeben, indem er sie so gütig und höfisch wie in früheren Tagen ersuchte, ihm eine Flasche vom besten alten Bacharacher in die Küche zu stellen.
Dort hatte er ihr geboten, zu dem einen Becher einen zweiten zu stellen und sie aufgefordert, mit ihm zu trinken und anzustoßen, maßen ihm heute das höchste Glück widerfahren, das einem Menschenkinde die Gnade der lieben Heiligen zu gewähren vermöge. Er, der Vater, habe in Leipzig gefunden, wonach der Sohn auf den hohen Schulen Welschlands vergeblich geforschet, und wenn noch ein weiterer Schritt gelinge, werde der Ruhm des Ueberhells wie weiland der des Römers Horatius den Himmel erreichen.
Dann war er ernster geworden und hatte eingestanden, daß er sich doch recht matt und gebrochen fühle, und als er sich heute zeitig zur Ruhe begeben, schon gewähnt habe, das letzte Stündlein sei ihm nicht fern. Zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebe bisweilen der Tod. Solches sei schon den heidnischen Weisen bewußt gewesen, und wenn er abgerufen werde, bevor er den Melchior wiedergesehen, dann möge sie sein Bote sein und ihm künden, daß er den Teil des weißen Löwen, der weißen Tinktur, des argentum potabile oder trinkbaren Silbers gefunden, auf dessen Spur ihn des Sohnes Briefe geleitet. Der wisse schon, was er meine, und morgen werde er ihm auch das Nötige schreiben, wenn es ihm in dieser Nacht gelinge, den Stoff wiederzufinden, durch den er am heutigen Nachmittag zu dem größten Wunder gelangt sei, so die Wissenschaft seit Adam erzeuget.
Dabei hatte er ein Glas nach dem andern geleeret und wohl ein dutzendmal mit der Vorkelin angestoßen, der solche seltene Huld so gut that, als streichle man sie mit dem weichesten Sammet.
Hienach war er ihr näher getreten, um ihr einzuschärfen, was sie dem Melchior mitzuteilen habe. Zwar, hatte er begonnen, könne sie nie und nimmer die volle Bedeutung des Geschehenen begreifen, doch dürfe sie ihm glauben, daß er zum Entdecker eines Elixires geworden, dessen Wirkung eine ausbündige und bestimmt sei, die ganze Welt in neue Bahnen zu lenken. Von nun an sei die Lüge von der Menschheit genommen, die Herrschaft der Wahrheit werde beginnen, und die Arglist habe die Schlupfwinkel verloren.
Wie sie aber darauf, immer noch zagend, vor ihm zurückgetreten war, hatte er sie feierlich gefragt, ob sie je, wenn sie nicht an der Phiole gerochen hätte, sich erkühnt haben würde, ihm, ihrem langjährigen Herrn, so unumwunden zu vermelden, was sie von ihm hielt, wie sie es vor einer Stunde gethan.