Märchen und Jugenderinnerungen - Ernst Moritz Arndt - E-Book

Märchen und Jugenderinnerungen E-Book

Ernst Moritz Arndt

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Beschreibung

Diese Märchen, sagt Arndt, hat er größtenteils in frühester Jugend aus dem lebendigen Mund älterer Menschen gewonnen und erlebt. Sie sind durch mehrere Menschenalter wieder und wieder erzählt worden, Märchen gewesen und Märchen geworden, manche wohl auf die Weise, wie man in gewöhnlicher Rede zu sagen pflegt: "Er hat die Geschichte (und Lüge) so lange erzählt, dass er sie nun selbst glaubt"; und einigen hat das fortwandelnde Leben des Erzählers vielleicht nicht mehr das echte Märchenkleid anziehen können. Es sind fünfzig Erzählungen, von welchen beinahe die Hälfte in plattdeutscher Sprache geschrieben wurden. Dieses Plattdeutsch ist die altsächsische Mundart, die längs den Küsten der Ostsee, in Holstein, Mecklenburg, Rügen, Vorpommern und im nordwestlichen Westfalen gesprochen wird. Wir werden in den Märchen nur selten ins Morgenland geführt, sondern bleiben zumeist im Abendland, in Schweden, Rügen, Sachsen, Pommern usw.

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Seitenzahl: 889

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Märchen und Jugenderinnerungen

 

Band 1 und 2

 

ERNST MORITZ ARNDT

 

 

 

 

 

 

Märchen und Jugenderinnerungen Band 1 und 2, Ernst Moritz Arndt

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663124

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

An Gottsgab. 1

1. Geschichte von den sieben bunten Mäusen.3

2. Prinzessin Svanvithe.7

3. Der Wolf und die Nachtigall, oder wie zwei arme Königskinder verwandelt und zuletzt nach vieler Noth doch wieder zu Menschen geschaffen wurden.16

4. Der Wolf und die Nachtigall. (Schwedisches Volksmährchen.)28

5. Klas Avenstaken.31

6. Paiwai und Paiwuzzo.58

7. Die Neun Berge bei Rambin.72

8. Schneeflöckchen.140

9. Erdwurm.152

10. Rattenkönig Birlibi.162

11. Der Schlangenkönig.169

12. Das brennende Geld.179

13. Halt den Mittelweg!181

14. Mieskater Martinchen.183

15. Der große Jochen.188

16. Der Wiedehopf.193

17. Rothkehlchen und Kohlmeischen.195

18. Die Seekönigin.198

19. Der Baurendom.203

An Adelheid.218

Van dem Ossen un Perd.219

De Köninge van den Deerden.220

De Blagfoot.228

De Eek un de Grashalm.230

De Steen, de de Klock slan hürt.231

De Brügg bi Slemmin.233

Van Friedrich Arndt un Polluce un van Hunden un Katten.235

Paulmann un de Hester.241

Kringelkranz de Wide.246

Schipper Gau un sin Puk.251

De spökenden Buren.254

De frame Bur.256

De bekehrde Vörwalter.257

De Grising un de Schatz.259

De witte Fru to Löbnitz.262

De Prester un de Düwel.264

De Wewer un de Steen.267

De krassende Hahn.270

De Raw de Ringdeef.272

Witt Düweken. 275

Dom büst du då?. 292

Ick bün de Ridder Unvörzagt un sla der Säwen mit eenem Slag.316

Das schneeweiße Hühnchen. (Erzählt von Hinrich Vierk.)335

Der starke Hans.340

Aschenbrödel.368

Die alte Burg bei Löbnitz.389

Der Freischuß.395

Thrin Wulfen. 400

Der Rabenstein.404

Das Lügenlied.[1]416

An Gottsgab

Du schreibst mir, mein süßes Kind! „Ach! wenn das schöne Rügenland und der schöne Rhein doch so leicht zusammenkommen könnten, als die Gedanken!“

Ja wohl es ist traurig, daß was sich lieb hat oft so fern von einander wohnen muß und sich bloß durch geistige meistens unsichtbare Boten noch erreichen kann. Ich gebe dir hier ein Bündelchen Gedankenspiele, die auch als solche leicht geflügelte Boten kommen und gehen mögen. Du kennest viele davon, du hast viel mit darin gespielt. Andere, die auch mit dabei gewesen, blinzeln nun nicht mehr durch den oft verdunkelten gläsernen Berg der Erde, nein sie schauen schon mit himmlischen Augen aus dem reinen hellen Firmament auf das blinde Maulwurfsgewimmel dieser Erde herab. Diese sind auch jetzt ein wenig mit dabei gewesen und sie sollen dich mit den schönsten Gütern segnen, welche die irdische Welt geben kann.

Wie diese Mährchen zur Welt kommen? Zufällig, wie so viele Dinge dieser Welt. Meine Bücher waren auf einer Seereise von der Ostsee zu dem Zuydersee größtentheils im Wasser ersoffen: ich konnte und ich mogte nichts Ernstes und Schweres anfassen. Da musste ich denn, damit ich meinen Kummer und Verdruß tröstete, versuchen, ob ich mir die Welt und ihre Dinge noch in das leichte Spiel verwandeln könnte, was sie sind und billig immer seyn sollten: und so habe ich diese leichten Träume und Kinderspiele der Jugend zusammengelesen, die theils auf dem Papiere theils in dem Kopfe lange fertig lagen.

Weiter ist über sie nichts zu sagen; aber ein Wörtchen sollte ich über meine Sprache sagen.

Weise Meister werden kommen und sprechen: dies ist nicht richtig, und das ist nicht teutsch, und jenes ist veraltet. Ich antworte diesen weisen Meistern kurz: Ich werde auch wohl einmal Rede und Antwort geben, wie ich seit zwanzig Jahren teutsche Sprachstudien getrieben habe. Hier sage ich nur, daß die meisten der weisen Meister nur Büchermeister sind, und wenige unter ihnen Lebensmeister, und daß das das magerste und schlechteste Teutsch ist, was sich allein aus Büchern lernt.

Mit boshaften Wortverdrehern und Misbrauchern der Sprache, während sie andere des Misbrauchs beschuldigen, mit solchen, die, damit sie ehrlichen Leuten etwas anhängen, sich noch dummer gebärden, als sie sind, werde ich mich nie einlassen, weil ich gern über den Schmutz der Bosheit hinschwebe und in dem kurzen Leben heitere Gedanken zu hoch anschlage.

Den Dritten endlich, die es mit der Muttersprache treu und redlich meinen und das Löbliche wollen, sage ich nur, sie sollen manches Wort etwas näher betrachten und ihm länger bis zu seiner Quelle nachjagen, ehe sie das Zeter wälsch und fransch darüber schreien.

Geschrieben zu Bonn den dritten des Christmondes 1817.

 

 

1. Geschichte von den sieben bunten Mäusen.

 

Vor langer Zeit wohnte in Pudmin[1] ein Bauer, der hatte eine schöne und fromme Frau, die fleißig betete, und alle Sonntage und Festtage zur Kirche ging, auch den Armen, die vor ihre Thüre kamen, gern gab. Es war überhaupt eine freundliche und mitleidige Seele und im ganzen Dorfe und Kirchspiele von allen Leuten geliebt. Nie hat man ein hartes Wort von ihr gehört, noch ist ein Fluch und Schwur oder andere Ungebühr je aus ihrem Munde gegangen. Diese Frau hatte sieben Kinder, lauter kleine Dirnen, von welchen die älteste zwölf und die jüngste zwei Jahr alt war: hübsche lustige Dingelchen. Diese gingen alle übereins gekleidet, mit bunten Röckchen und bunten Schürzen und rothen Mützchen, Schuhe aber und Strümpfe hatten sie nicht an, denn das hätte zu viel gekostet, sondern gingen baarfuß. Die Mutter hielt sie nett und reinlich, wusch und kämmte sie Morgens früh und Abends spät, wann sie aufstanden und zu Bett gingen, lehrte sie lesen und singen, und erzog sie in aller Freundlichkeit und Gottesfurcht. Wann sie auf dem Felde was zu thun hatte oder weit ausgehen mußte, stellte sie die älteste, welche Barbara hieß, über die andern; diese mußte auf sie sehen, ihnen was erzählen, auch wohl etwas vorlesen. Nun begab es sich einmal, daß ein hoher Festtag war – ich glaube, es war der Charfreitag – da ging die Bauerfrau mit ihrem Manne zur Kirche, und sagte den Kindern, sie sollten hübsch artig seyn, der Barbara aber und den nächsten älteren gab sie ein paar Lieder auf aus dem Gesangbuche, die sie auswendig lernen sollten. So ging sie weg. Barbara und die andern Kinder waren anfangs auch recht artig, die älteren nahmen die Bücher und lasen, und die kleinsten saßen still auf dem Boden und spielten. Als sie so saßen, da erblickte das eine Kind etwas hinter dem Ofen, und rief: O seht! seht! was ist das für ein schöner und weisser Beutel! Es war aber ein Beutel mit Nüssen und Aepfeln, den die Mutter des Morgens da hingehängt hatte und den sie des Nachmittags einem ihrer kleinen Paten bringen wollte. Die meisten Kinder sprangen nun alsbald auf und kuckten darnach, und auch Barbara die älteste stand auf und kuckte mit. Und die Kinder flüsterten und sprachen dies und das über den schönen Beutel und was wohl darin seyn mögte. Und es gelüstete sie so sehr, es zu wissen; und da riß eines den Beutel von dem Nagel, und Barbara öffnete die Schnur, womit er zugebunden war, und es fielen Aepfel und Nüsse heraus. Und als die Kinder die Aepfel und Nüsse auf dem Boden hinrollen sahen, vergaßen sie alles und daß es Festtag war und was die Mutter ihnen befohlen und aufgegeben hatte: sie setzten sich hin und schmausten Aepfel und knackten Nüsse und aßen alles rein auf. Als nun Vater und Mutter um den Mittag aus der Kirche zu Hause kamen, sah die Mutter die Nußschalen auf dem Boden liegen, und sie schaute nach dem Beutel und fand ihn nicht. Da erzürnte sie sich und ward böse zum ersten Male in ihrem Leben, und schalt die Kinder sehr und rief: Der Blitz! ich wollte, daß ihr Mausemärten[2] alle zu Mäusen würdet! Der Schwur war aber eine große Sünde, besonders weil es ein so heiliger und hoher Festtag war; sonst hätte Gott es der Bäuerin wohl vergeben, weil sie doch so fromm und gottesfürchtig war. Kaum hatte die Frau das schlimme Wort aus ihrem Munde gehen lassen, so waren alle die sieben niedlichen Kinderchen weg, als hätte sie ein Wind weggeblasen, und sieben bunte Mäuse liefen in der Stube herum mit rothen Köpfchen, wie die Röcke und Mützen der Kinder gewesen waren. Und Vater und Mutter erschracken so sehr, daß sie hätten zu Stein werden mögen. Da kam der Knecht herein und öffnete die Thüre, und die sieben bunten Mäuse liefen alle zugleich hinaus, und über die Flur auf den Hof hin; sie liefen aber sehr geschwind. Und als die Frau das sah, konnte sie sich nicht halten, denn es war ihr im Herzen, als wären die Mäuse ihre Kinder gewesen; und sie stürzte sich aus der Thüre heraus, und mußte den Mäusen nachlaufen.

Die sieben bunten Mäuse aber liefen den Weg entlang aus dem Dorfe heraus, immer sporenstreichs; und so liefen sie über das Pudminer Feld und das Günzer Feld und das Schoritzer Feld und durch die Krewe[3] und durch die Dumsewitzer Koppel. Und die Mutter lief ihnen ausser Athem nach, und konnte weder schreien noch weinen, und wußte nicht mehr, was sie that. So liefen die Mäuse über das Dumsewitzer Feld hin, und in einen kleinen Busch hinein, wo einige hohe Eichen standen und in der Mitte ein spiegelheller Teich war. Und der Busch steht noch da mit seinen Eichen, und heißt der Mäusewinkel. Und als sie in den Busch kamen und an den Teich im Busche, da standen sie alle sieben still und kuckten sich um, und die Bauerfrau stand dicht bei ihnen. Es war aber, als wenn sie ihr Adje sagen wollten. Denn als sie die Frau so ein Weilchen angekuckt hatten, plump! und alle sieben sprangen zugleich ins Wasser, und schwammen nicht, sondern gingen gleich unter in der Tiefe. Es war aber der helle Mittag, als dies geschah. Und die Mutter blieb stehen, wo sie stand, und rührte keine Hand und keinen Fuß mehr, sie war auch kein Mensch mehr. Sie ward strax zu einem Stein, und der Stein liegt noch da, wo sie stand und die Mäuslein verschwinden sah; und das ist dieser große runde Stein, an welchem wir sitzen. Und nun höre mal, was nach diesem geschehen ist und noch alle Nacht geschieht. Glocke zwölf, wann alles schläft und still ist und die Geister rundwandeln, da kommen die sieben bunten Mäuse aus dem Wasser heraus, und tanzen eine ganze ausgeschlagene Stunde, bis es Eins schlägt, um den Stein herum. Und sie sagen, dann klingt der Stein, als wenn er sprechen könnte. Und das ist die einzige Zeit, wo die Kinder und die Mutter sich verstehen können und von einander wissen; die übrige Zeit sind sie wie todt. Dann singen die Mäuse einen Gesang, den ich dir sagen will, und der bedeutet ihre Veränderung, oder daß sie wieder in Menschen verwandelt werden können. Und dies ist der Gesang:[4]

 

Herut! herut!

Du junge Brut!

Din Brüdegam schall kamen;

Se hebben di

Doch gar to früh

Din junges Leben namen.

Sitt de recht up’n Green,

Watt he Flesch un Been,

Un wi gan mit dem Kranze:

Säven Junggesell’n

Uns führen schäl’n

Juchhe! to’m Hochtidsdanze.

 

Und nun will ich dir sagen von dem Gesange, was er bedeutet. Die Mäuse tanzen nun wohl schon tausend Jahre und länger um den Stein, wann es die Mitternacht ist, und der Stein liegt eben so lange. Es geht aber die Sage, daß sie einmal wieder verwandelt werden sollen, und das kann durch Gottes Gnade nur auf folgende Weise geschehen:

Es muß eine Frau seyn gerade so alt, als die Bäuerin war, da sie aus der Kirche kam, und diese muß sieben Söhne haben grade so alt, als die sieben kleinen Mädchen waren. Sind sie eine Minute älter oder jünger, so geht es nicht mehr. Diese Frau muß an einem Charfreitage grade um die Mittagszeit, als die Frau zu Stein ward, mit ihren sieben Söhnen in den Busch kommen und sich auf den Stein setzen. Und wenn sie sich auf den Stein setzt, so wird der Stein lebendig und wird wieder in einen Menschen verwandelt, und dann steht die Bauerfrau wieder da, leibhaftig und in eben den Kleidern, die sie getragen, als sie den Mäusen nachgelaufen zu diesem Mausewinkel. Und die sieben bunten Mäuse werden wieder zu sieben kleinen Mädchen in bunten Röcken und mit rothen Mützen auf dem Kopf. Und jedes kleine Mädchen geht zu dem kleinen Knaben hin, der sein Alter hat, und sie werden Braut und Bräutigam. Und wann sie groß werden, so halten sie Hochzeit an Einem Tage und tanzen ihre Kränze ab. Und es sollen die schönsten Jungfrauen werden auf der ganzen Insel, sagen die Leute, und auch die glücklichsten und reichsten, denn alle diese Güter und Höfe hier umher sollen ihnen gehören. Aber ach du lieber Gott! wann werden sie verwandelt werden?

 

 

 

1.        Ein Dorf auf Rügen im Swantower Kirchspiele.

2.        Mausmarten: ein kleiner Dieb, Mauser.

3.        Ein kleiner Wald.

4.        Die Erzählung war im ehrlichen Plattdeutsch.

 

 

2. Prinzessin Svanvithe.

 

Du hast wohl von der Sage gehört, daß hier bei Gartz[1], wo jetzt der Wall über dem See ist, vor vielen tausend Jahren ein großes und schönes Heidenschloß gewesen ist mit herrlichen Häusern und Kirchen, worin sie ihre Götzen gehabt und angebetet haben. Dieses Schloß haben vor langer, langer Zeit die Christen eingenommen, alle Heiden todtgeschlagen und ihre Kirchen umgeworfen, und die Götzen, die darin standen, mit Feuer verbrannt; und nun ist nichts mehr übrig von all der großen Herrlichkeit als der alte Wall und einige Leuschen[2], welche die Leute sich erzählen, besonders von dem Mann mit Helm und Panzer angethan, der auf dem weissen Schimmel oft über die Stadt und den See reitet. Einige, die ihn nächtlich gesehen haben, erzählen, es sey der alte König des Schlosses, und er habe eine güldene Krone auf. Das ist aber alles nichts. Daß es aber um Weihnachten und Johannis in der Nacht aus dem See klingt, als wenn Glocken in den Kirchen geläutet werden, das ist wahr, und viele Leute haben es gehört, und auch mein Vater. Das ist eine Kirche, die in den See versunken ist, andere sagen, es ist der alte Götzentempel. Das glaub’ ich aber nicht; denn was sollten die Heiden an christlichen Festtagen läuten? Aber das Klingen und Läuten im See ist dir gar nichts gegen das, was im Wall vorgeht, und davon will ich dir eine Geschichte erzählen. Da sitzt eine wunderschöne Prinzessin mit zu Felde geschlagenen Haaren und weinenden Augen, und wartet auf den, der sie erlösen soll; und dies ist eine sehr traurige Geschichte.

In jener alten Zeit, als das Gartzer Heidenschloß von den Christen belagert ward und die drinnen in großen Nöthen waren, weil sie sehr gedrängt wurden, als schon manche Türme niedergeworfen waren und sie auch nicht recht mehr zu leben hatten und die armen Leute in der Stadt hin und wieder schon vor Hunger starben, da war drinnen ein alter eisgrauer Mann, der Vater des Königs, der auf Rügen regierte. Dieser alte Mann war so alt, daß er nicht recht mehr hören und sehen konnte, aber es war doch seine Lust, unter dem Golde und unter den Edelsteinen und Diamanten zu kramen, welche er und seine Vorfahren im Reiche gesammelt hatten, und welche tief unter der Erde in einem schönen aus eitel Marmelsteinen und Krystallen gebauten Saale verwahrt wurden. Davon waren dort ganze große Haufen aufgeschüttet, viel größere, als die Roggen- und Gerstenhaufen, die auf deines Vaters Kornboden aufgeschüttet sind. Als nun das Schloß zu Gartz von den Christen in der Belagerung so geängstet ward und viele der tapfersten Männer und auch der König, des alten Mannes Sohn, in dem Streite auf den Wällen und vor den Thoren der Stadt erschlagen waren, da wich der Alte nicht mehr aus der marmornen Kammer, sondern lag Tag und Nacht darin, und hatte die Thüren und Treppen, die dahin führten, dicht vermauern lassen; er aber wußte noch einen kleinen heimlichen Gang, der unter der Erde weglief, viele hundert Stufen tiefer, als das Schloß, und jenseits des Seees einen Ausgang hatte, den kein Mensch wußte als er und wo er hinausschlüpfen und sich draussen bei den Menschen Speise und Trank kaufen konnte. Als nun das Schloß von den Christen erobert und zerstört ward und die Männer und Frauen im Schlosse getödtet und alle Häuser und Kirchen verbrannt wurden, daß kein Stein auf dem andern blieb, da fielen die Thürme und die Mauern über einander, und die Thüre zu der Goldkammer ward gar verschüttet, auch blieb kein Mensch lebendig, der wußte, wo der todte König seine Schätze gehabt hatte. Der alte König aber saß drunten bei seinen Haufen Goldes und hatte seinen heimlichen verborgenen Gang offen, und hat noch viele hundert Jahre gelebt, nachdem das Schloß zerstört war; denn sie sagen, die Menschen, welche sich zu sehr an Silber und Gold hängen, können vom Leben nicht erlöst werden und sterben nicht, wenn sie Gott auch noch so sehr um den Tod bitten. So lebte der alte eisgraue Mann noch viele viele Jahre und mußte sein Gold bewachen, bis er ganz dürr und trocken ward wie ein Todtengerippe. Da ist er denn endlich gestorben und auch zur Strafe verwandelt worden, und muß nun als ein schwarzer magerer Hund unter den Goldhaufen liegen und sie bewachen, wenn einer kommt und den Schatz holen will. Des Nachts aber zwischen zwölf und ein Uhr, wann die Gespensterstunde ist, muß er noch immer rund gehen, als ein altes graues Männlein, mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopf und einem weißen Stock in der Hand. So haben die Leute ihn oft gesehen im Gartzer Holze am Wege nach Poseritz; auch geht er zuweilen um den Kirchhof herum. Denn da sollen vor Alters Heidengräber gewesen seyn, und die Heiden haben immer viel Silber und Gold mit sich in die Erde genommen. Das will er holen, darum schleicht er dort, kann es aber nicht kriegen, denn er darf die geweihte Erde nicht berühren. Das ist aber seine Strafe, daß er so rundlaufen muß, wann andere Leute in den Betten und Gräbern schlafen, weil er so geitzig gewesen ist.

Nun begab es sich lange nach diesen Tagen, daß in Bergen ein König von Rügen wohnte, der hatte eine wunderschöne Tochter, die hieß Svanvithe; und sie war die schönste Prinzessin weit und breit, und es kamen Könige und Fürsten und Prinzen aus allen Landen, die um die schöne Prinzessin warben. Und der König, ihr Herr Vater, wußte sich kaum zu lassen vor allen den Freiern, und hatte zuletzt nicht Häuser genug, daß er die Fremden herbergte, noch Ställe, wohin sie und ihre Knappen und Staller ihre Pferde zögen; auch gebrach es fast an Hafer im Lande und an Raum für alle die Kutscher und Diener, die mit ihnen kamen, und war Rügen so voll Menschen, als es nie gewesen seit jenen Tagen. Und der König wäre froh gewesen, wenn die Prinzessin sich einen Mann genommen hätte und die übrigen Freier weggereist wären. Das läßt sich aber bei Königen nicht so leicht machen, als bei andern Leuten; und muß da alles mit vieler Zierlichkeit und Langsamkeit hergehen. Die Prinzessin, nachdem sie wohl ein ganzes halbes Jahr in ihrer einsamen Kammer geblieben war und keinen Menschen gesehen, auch kein Sterbenswort gesagt hatte, fand endlich einen Prinzen, der ihr wohlgefiel und den sie gern zum Mann haben wollte, und der Prinz gefiel auch dem alten Könige, daß er ihn gern als Eidam wollte. Und sie hatten einander Ringe geschenkt und war große Freude im ganzen Lande, daß die schöne Svanvithe Hochzeit halten sollte, und hatten alle Schneider und Schuster die Fülle zu thun, die schönen Kleider und Schuhe zu machen, die zur Hochzeit getragen werden sollten. Der verlobte Prinz aber und Svanvithens Bräutigam hieß Herr Peter von Dänemarken, und war ein über die Maaßen feiner und stattlicher Mann, daß seines Gleichen wenige gesehen wurden.

Da, als alles in lieblicher Hoffnung und Liebe grünete und blühete und die ganze Insel in Freuden stand und nur noch ein paar Tage bis zur Hochzeit waren, kam der Teufel und säete sein Unkraut aus, und die Lust ward in Traurigkeit verwandelt. Es war nämlich allda an des Königs Hofe auch ein Prinz aus Polen, ein hinterlistiger und schlechter Herr, sonst schön und ritterlich an Gestalt und Gebehrde. Dieser hatte manches Jahr um die Prinzessin gefreit und sie geplagt Tag und Nacht; sie hatte aber immer nein gesagt, denn sie mogte ihn nicht leiden. Als dieser polnische Prinz nun sah, daß es wirklich eine Hochzeit werden sollte, und daß Herr Peter von Dänemarken zum Treuliebsten der schönen Svanvithe erkohren war, sann er in seinem bösen Herzen auf arge Tücke und wußte es durch seine Künste so zu stellen, daß der König und alle Menschen glaubten, Svanvithe sey keine züchtige Prinzessin und habe manche Nächte bei dem polnischen Prinzen geschlafen. Das glaubte auch Herr Peter, und reiste plötzlich weg; und der polnische Prinz war zuerst weggereist, und alle Könige und Prinzen reisten weg. Und das Schloß des Königs in Bergen stand wüst und leer da, und alle Freude war mit weggezogen und alle Geiger und Pfeifer und alles Saitenspiel, die sich auf Turniere und Feste gerüstet hatten. Und die Schande der armen Prinzessin klang über das ganze Land; ja in Schweden und Dänemark und Polen hörten sie es, wie die Hochzeit sich zerschlagen hatte. Sie aber war gewiß unschuldig und rein wie ein Kind, das aus dem Mutterleibe kommt, und war es nichts als die gräuliche Bosheit des verruchten polnischen Prinzen, den sie als Freier verschmäht hatte.

So ging es der armen Svanvithe, und der König, ihr Vater, war einige Tage nach diesen Geschichten wie von Sinnen und wußte nicht von sich, und ihm war so zu Muthe, daß er sich hätte ein Leid anthun können von wegen seiner Tochter und von wegen des Schimpfes, den sie auf das ganze königliche Haus gebracht hatte. Und als er sich besann und wieder zu sich kam und die ganze Schande bedachte, worein er gerathen war durch seine Tochter, da ergrimmte er in seinem Herzen, und ließ die schöne Svanvithe holen und schlug sie hart und zerraufte ihr Haar, und stieß sie dann von sich, und befahl seinen Dienern, daß sie sie hinausführten in ein verborgenes Gemach, daß seine Augen sie nimmer wieder sähen. Darauf ließ er in einem mit dichten Mauern eingeschlossenen und mit dunklen Bäumen beschatteten Garten hinter seinem Schlosse einen düstern Thurm bauen, wo weder Sonne noch Mond hinein schien, da sperrte er die Prinzessin ein. Der Thurm, den er hatte bauen lassen, war aber sehr fest und dicht und hatte nur ein einziges kleines Loch in der Thüre, wodurch ein wenig Licht hineinfiel und wodurch der Prinzessin die Speise gereicht ward. Es war auch weder Bett noch Tisch oder Bank in dem traurigen Gefängniß, sondern auf harter Erde mußte die liegen, die sonst auf Sammet und Seiden geschlafen hatte, und baarfuß mußte die gehen, die sonst in goldenen Schuh[en] geprangt hatte. Und Svanvithe hätte sterben müssen vor Jammer, wenn sie nicht gewußt hätte, daß sie unschuldig war, und wenn sie nicht zu Gott hätte beten können. Sie war aber war ein sehr junges Kind, als sie eingesperrt ward, erst sechszehn Jahre alt, schön wie eine Rose und schlank und weiß wie eine Lilie, und die Menschen, die sie lieb hatten, nannten sie nicht anders als des Königs Lilienstängelein. Und dieses süße Lilienstängelein sollte so jämmerlich verwelken in der kalten und einsamen Finsterniß.

Und sie hatte wohl drei Jahre so gesessen zwischen den kalten Steinen, und auch der alte König war nicht mehr froh gewesen seit jenem Tage, als der polnische Prinz sie in die große Schande gebracht hatte, sondern sein Kopf war schneeweiß geworden vor Gram, wie der Kopf einer Taube; aber vor den Leuten gebehrdete er sich stolz und aufgerichtet und that, als wenn seine Tochter todt und lange begraben wäre. Sie aber saß von der Welt ungewußt in ihrem Elende und tröstete sich allein Gottes und dachte, daß er ihre Unschuld wohl einmal an den Tag bringen würde. Weil sie aber in ihren einsamen Trauerstunden Zeit genug hatte, hin und her zu denken, so fiel ihr die Sage ein von dem Königsschatze unter dem Gartzer Walle, die sie in ihrer Kindheit oft gehört hatte, und sie gedachte damit ihre Unschuld und daß der polnische Prinz sie unter einem falschen Schein schändlich belogen hatte, sonnenklar zu beweisen. Und als darauf ihr Wächter kam und ihr die Speise durch das Loch reichte, sprach sie zu ihm: Lieber Wächter, gehe zu dem Könige, meinem und deinem Herrn, und sage ihm, daß seine arme einzige Tochter ihn nur noch ein einziges Mal zu sehen und zu sprechen wünscht in ihrem Leben, und daß er ihr diese letzte Gunst nicht versagen mag.

Und der Wächter sagte ja und lief, und dachte bei sich: wenn der alte König ihre Bitte nur erhört! Denn es jammerte ihn die arme Prinzessin unaussprechlich, und sie jammerte alle Menschen; denn sie war immer sehr freundlich gewesen gegen Jedermann, auch hatten die meisten von Anfang an geglaubt, daß sie fälschlich verklagt war, und daß der polnische Prinz einen argen Lügenschein auf sie gebracht hatte: denn sie hatte sich immer aller Zucht und Jungfräulichkeit beflissen vor Jedermann.

Und als der Wächter vor den König trat und ihm die Bitte der Prinzessin anbrachte, da ward der alte Herr sehr zornig und schalt ihn und drohete ihm, ihn selbst in den Thurm zu werfen, wenn er den Namen der Prinzessin vor ihm je wieder über seine Lippen laufen lasse. Und der erschrockene Wächter ging weg. Der König aber legte sich hin und schlief ein. Da soll er einen wunderbaren Traum gehabt haben, den kein Mensch zu deuten verstanden hat, und er ist früh erwacht und sehr unruhig gewesen und hat viel an seine Tochter denken müssen, bis er zuletzt befohlen hat, daß man sie aus dem Thurm heraufbrächte und vor ihn führte.

Als Svanvithe nun vor den König trat, war sie bleich und mager, auch waren ihre Kleider und Schuhe schon abgerissen, und sie stand fast nackt und baarfuß da und sah einer Bettlertochter ähnlicher, als einer Königstochter. Und der alte König ist bei ihrem Anblick blaß geworden vor Jammer wie der Kalk an der Wand, aber sonst hat er sich nichts merken lassen. Und Svanvithe hat sich vor ihm verneigt und also zu ihm gesprochen:

Mein König und Herr. Ich erscheine nur als eine arme Sünderin vor dir, als eine, die an der göttlichen Gnade und an dem Lichte des Himmels kein Recht mehr hat. Also hast du mich von deinem Angesicht verstoßen und von allem Lebendigen weggesperrt. Ich betheure aber vor dir und vor Gott, daß ich unschuldig leide, und daß der polnische Prinz aus eitel Tücke und Arglist all den schlimmen Schein auf mich gebracht hat. Und nun hat Gott, der sich mein erbarmen will, mir einen Gedanken ins Herz gegeben, wodurch ich meine unbefleckte Jungfrauschaft beweisen und dich und mich und dein ganzes Reich zu Reichthum und Ehren bringen kann. Du weißt, es geht die Sage, unter dem alten Schloßwalle zu Gartz, wo unsere heidnischen Ahnen weiland gewohnt haben, liege ein reicher Schatz vergraben. Diese Sage, die mir in meiner Kindheit oft erzählt ist, meldet ferner, dieser Schatz könne nur von einer Prinzessin gehoben werden, die von jenen alten Königen herstamme und noch eine reine Jungfrau sey: wenn nemlich diese den Muth habe, in der Johannisnacht zwischen zwölf und ein Uhr nackt und einsam diesen Wall zu ersteigen und darauf rückwärts solange hin und her zu treten, bis es ihr gelinge, die Stelle zu treffen, wo die Thore und Treppen verschüttet sind, die zu der Schatzkammer hinab führen. Sobald sie diese mit ihren Füßen berühre, werde es sich unter ihr öffnen und sie werde sanft heruntersinken mitten in das Gold und könne sich von den Herrlichkeiten dann auslesen, was sie wolle, und bei Sonnenaufgang wieder herausgehen. Was sie aber nicht tragen könne, werde der alte Geist, der den Schatz bewacht, nebst seinen Gehülfen nachtragen. Hierauf habe ich nun meine Hoffnung eines neuen Glückes gestellt, ob es mir etwa aufblühen wolle; laß mich denn, Herr König, mit Gott diese Probe machen. Ich bin ja doch einer Todten gleich, und ob ich hier begraben bin oder dort begraben werde, kann dir einerlei seyn.

Sie hatte die Gebehrde, als wolle sie noch mehr sagen, aber bei diesen Worten stockte sie und konnte nicht mehr, sondern schluchzete und weinte bitterlich. Der König aber winkte dem Wächter leise zu, der sie herein geführt hatte, und alsbald kamen Frauen und Dienerinnen herbei und trugen sie heraus von dem Könige weg in ein Seitengemach. Und nicht lange, so ward der Wächter wieder zu dem Könige gerufen, und er brachte ihr Speise und Trank, daß sie sich stärkte und erquickte, und zugleich die Botschaft, daß der König ihr die gebetene mitternächtliche Fahrt erlaube. Bald trugen Dienerinnen ihr ein Bad herein nebst zierlichen Kleidern, daß sie sich bedecken konnte, denn sie war fast nackend. Und sie lebte nun wieder wie in Freuden, obgleich sie ganz einsam saß und gegen niemand den Mund aufthat – auch den Dienern und Dienerinnen war das Sprechen zu ihr verboten, sie wußten auch nicht, wer sie war noch wie sie in das Schloß gekommen: denn von denen, die sie kannten, ward niemand zu ihr gelassen, denn allein der Wächter, der ihr immer die Speise gebracht hatte im Thurme. Und ihre Schöne fing wieder an aufzublühen, wie blaß und elend sie auch aus dem Thurm gekommen war; und alle, die sie sahen, entsetzten sich über ihre Huld und Lieblichkeit, und sie däuchte ihnen fast einem Engel gleich, der vom Himmel in das Schloß gekommen sey.

Und als vierzig Tage vergangen waren und der Tag vor Johannis da war, da ging sie zu dem Könige ihrem Vater ins Gemach und sagte ihm Lebewohl. Und der alte Herr neigte noch einmal wieder seinen weissen Kopf über sie und weinte sehr; und sie sank vor ihm hin und umfaßte seine Kniee und weinte noch mehr. Und darauf ging sie hinaus und verkleidete sich so, daß niemand sie für eine Prinzessin gehalten hätte, und trat ihre Reise an. Die Reise war aber nicht weit von Bergen nach Gartz; und sie ging in der Tracht eines Reiterbuben einher. Und in der Nacht, als es vom Gartzer Kirchthurm zwölf geschlagen hatte, betrat sie einsam den Wall, that ihre Kleider von sich, also daß sie da stand, wie Gott sie erschaffen hatte, und nahm eine Johannisruthe in die Hand, womit sie hinter sich schlug. Und so tappte sie stumm und rücklings fort, wie es geschehen mußte. Und nicht lange war sie geschritten, so that sich die Erde unter ihren Füßen auf, und sie fiel sanft hinunter, und es war ihr, als würde sie in einem Traum hinabgewiegt; und sie fiel hinab in ein gar großes und schönes und von tausend Lichtern und Lampen erleuchtetes Gemach, dessen Wände von Marmor und diamantenen Spiegeln blitzten und dessen Boden ganz mit Gold und Silber und Edelsteinen beschüttet war, daß man kaum darauf gehen konnte. Sie aber sank so weich auf einen Goldhaufen herab, daß es ihr gar nicht weh that. Und sie besah sich alle die blitzende Herrlichkeit in dem weiten Saale, wo die Schätze und Kostbarkeiten ihrer Ahnherren von vielen Jahrhunderten gesammelt und aufgehängt waren; und da sah sie in der hintersten Ecke in einem goldenen Lehnstuhl das kleine graue Männchen sitzen, das ihr freundlich zunickte, als wolle es mit der Urenkelin sprechen. Sie aber sprach kein Wort zu ihm sondern winkte ihm nur leise mit der Hand. Und auf ihren Wink hob der Geist sich hinweg und verschwand, und statt seiner kam eine lange Schaar prächtig gekleideter Diener und Dienerinnen, welche sich in stummer Ehrfurcht hinter sie stellten, als erwarteten sie, was die Herrin befehlen würde. Svanvithe aber säumte nicht lange, bedenkend, wie kurz die Mittsommersnacht ist, und sie nahm die Fülle der Edelsteine und Diamanten und winkte den Dienern und Dienerinnen hinter ihr, daß sie eben so thäten; und auch diese füllten Hände und Taschen und Zipfel und Geren der Kleider mit Gold und edlen Steinen und kostbaren Geschirren. Und noch ein Wink, und die lange Reihe wandelte, und die Prinzessin schritt voran der Treppe zu, als wenn sie herausgehen wollte; jene aber folgten ihr. Und schon hatte sie viele Stufen vollendet und sah schon das dämmernde Morgenlicht und hörte schon den Lerchengesang und den Hahnenkrei, die den Tag verkündeten – da ward es ihr bange, ob die Diener und Dienerinnen ihr auch nachträten mit den Schätzen. Und sie sah sich um, und was erblickte sie? Sie sah den kleinen grauen Mann sich plötzlich in einen großen schwarzen Hund verwandeln, der mit feurigem Rachen und funkelnden Augen gegen sie hinaussprang. Und sie entsetzte sich sehr und rief: O Herr Je! Und als sie das Wort ausgeschrieen hatte, da schlug die Thüre über ihr mit lautem Knalle zu und die Treppe versank und die Diener und Dienerinnen verschwanden und alle Lichter des Saales erloschen, und sie war wieder unten am Boden und konnte nicht heraus. Der alte König aber, da sie nicht wieder kam, grämte sich sehr; denn er dachte, sie sey entweder umgekommen bei dem Hinabsteigen zu dem Schatze durch die Tücke der bösen Geister, die unter der Erde ihre Gewalt haben, oder sie habe sich der Sache überhaupt nicht unterstanden und laufe nun wie eine arme verlassene Streunerin durch die Welt. Und er lebte nur noch wenige Wochen nach ihrem Verschwinden, dann starb er und ward begraben.

Der Prinzessin Svanvithe war dieses Unglück aber geschehen, weil sie sich umgesehen hatte, als sie weggehen wollte, und weil sie gesprochen hatte. Denn über die Unterirdischen hat man keine Gewalt, wenn man sich umsieht oder spricht, sondern es geräth dann fast immer unglücklich ; wovon man viele Beispiele und Geschichten weiß.

Und es waren viele Jahre vergangen, vielleicht hundert Jahre und mehr, und alle die Menschen waren gestorben und begraben, welche zu der Zeit des alten Königs und der schönen Svanvithe gelebt hatten, und schon ward hie und da von ihnen erzählt wie von einem alten alten längst verschollenen Mährchen; da hörte man hin und wieder, die Prinzessin lebe noch und sitze unter dem Gartzer Wall in der Schatzkammer und müsse nun mit dem alten grauen Urgroßvater die Schätze hüten helfen. Und kein Mensch weiß zu sagen, wie dies hier oben bekannt geworden ist. Vielleicht hat der kleine graue Mann, der zu Zeiten rund geht, es einem verrathen, oder es hat es auch einer der hellsichtigen Menschen gesehen, die an hohen Festtagen in besondern Stunden gebohren sind und die das Gras und das Gold in der Erde wachsen sehen und mit ihren Augen durch die dicksten Berge und Mauern dringen können. Und es war viel erschollen von dieser Geschichte und von dem wundersamen Versinken der Prinzessin unter die Erde, und daß sie in der dunkeln Kammer sitze und noch lebe und einmal erlöst werden solle. Sie kann aber, sagen sie, erlöst werden, wenn einer es wagt, auf dieselbe Weise, wie sie einst in der Johannisnacht gethan hat, in die verbotene Schatzkammer hinabzufallen. Dieser muß sich dann dreimal vor ihr verneigen, ihr einen Kuß geben, sie an die Hand fassen und sie still herausführen ; denn kein Wort darf er bei Leibe nicht sprechen. Wer sie herausbringt, der wird mit ihr in Herrlichkeit und Freuden leben und so viele Schätze haben, daß er sich ein Königreich kaufen kann. Darin wird er dann fünfzig Jahre als König auf dem Throne sitzen und sie als seine Königin neben ihm, und werden gar liebliche Kinder zeugen; der kleine graue Spuk wird dann aber auf immer verschwinden, wann sie ihm die Schätze weggehoben haben. Nun hat es wohl so kühne und verwegene Prinzen und schöne Knaben gegeben, die mit der Johannisruthe in der Hand zu ihr hinabgekommen sind; aber sie haben es immer in etwas versehen, und die Prinzessin ist noch nicht erlöst. Ja wenn das ein so leichtes Ding wäre, wie viele würden Lust haben, eine so schöne Prinzessin zu freien und Könige zu werden! Die Leute erzählen aber, der gräuliche schwarze Hund ist an allem schuld ; keiner hat es mit ihm aushalten können, sondern wenn sie ihn sehen, so müssen sie aufschreien, und dann schlägt die Thüre zu und die Treppe versinkt, und alles ist wieder vorbei.

So sitzt denn die arme Svanvithe da in aller ihrer Unschuld, und muß da unten frieren und das kalte Gold hüten, und Gott weiß, wann sie erlöst werden wird. Sie sitzt da über Goldhaufen gebeugt, ihr langes Haar hangt ihr über die Schultern herab, und sie weint unaufhörlich. Schon sitzen sechs junge Gesellen um sie herum, die auch mithüten müssen. Das sind die, denen die Erlösung nicht gelungen ist. Wem es aber gelingt, der heirathet die Prinzessin und bekommt den ganzen Schatz und befreit zugleich die andern armen Gefangenen. Sie sagen, der letzte ist vor zwanzig Jahren darin versunken, ein Schuhmachergesell, der Jochim Fritz hieß. Das war ein junges schönes Blut und ging immer viel auf dem Wall spazieren. Der ist mit einem Male verschwunden, und keiner hat gewußt, wo er gestoben und geflogen war, und seine Aeltern und Freunde haben ihn in der ganzen Welt suchen lassen, aber nicht gefunden! Er mag nun auch wohl da sitzen bei den andern.

 

1.        Kleines Städtchen in Rügen.

2.        Hübsches Wort für Mährchen.

 

 

3. Der Wolf und die Nachtigall, oder wie zwei arme Königskinder verwandelt und zuletzt nach vieler Noth doch wieder zu Menschen geschaffen wurden.

 

In alten Zeiten, da es alles noch ganz anders war in der Welt als jetzt, lebte ein König in Schottland, der hatte die schönste Königin in allen Landen, von einer so seltenen Schönheit und Lieblichkeit, daß sie weit und breit als die Allerschönste besungen und von Dichtern und Erzählern der schottische Vogel Phönix zugenannt ward. Diese schöne Königin gebahr dem Könige zwei Kindlein, einen Sohn und eine Tochter, und starb dann in ihrer Jugend hin. Der König trauerte viele Jahre um sie und konnte sie nie vergessen, sagte auch, er wolle nimmer wieder heirathen. Aber der Menschen Sinn ist wankelmüthig und kann sich auf sich selbst nicht verlassen; denn als viele Tage

vergangen und die Kinder schon groß waren, nahm er sich doch wieder eine Frau. Diese Frau war sehr bös und eine schlimme Stiefmutter gegen die Kinder des Königs. Es waren aber der Prinz und die Prinzessin rechte Spiegel der Huld und Lieblichkeit, und der Haß der Stiefmutter gegen die Kinder kam auch daher, daß die Leute, bei welchen die verstorbene Königin in gutem Andenken stand, immer noch von dieser sprachen, sie aber verschwiegen, und daß sie, wenn sie mit der jungen Prinzessin erschien, gegen diese aufjauchzeten und riefen: sie ist gut und schön, wie ihre Mutter war. Das verdroß sie, und sie ergrimmte in sich und sann auf arge Tücke, barg aber ihr böses Herz unter Freundlichkeit. Denn sie durfte sichs vor dem Könige nicht merken lassen, daß sie den Kindern gram war, und das Volk würde sie gesteinigt und zerrissen haben, wie sie ihnen ein Leides gethan hätte.

Die Prinzessin, des Königs Tochter, welche Aurora hieß, war nun fünfzehn Jahre alt geworden und blühete wie eine Rose und war die schönste Prinzessin weit und breit. Und es zogen viele Königssöhne und Fürsten und Grafen her und buhlten um sie und begehrten sie zum Gemal; sie aber sprach zu ihnen : mir gefällt die fröhliche und ledige Jungfrauschaft besser, als alle Freier, und damit mußten sie wieder hinreisen wo sie hergekommen waren. Endlich aber kam der Rechte: es war ein Prinz aus Ostenland, ein gar schöner und stattlicher Herr. Diesem verlobte sie sich mit Einwilligung des Königs und ihrer Stiefmutter. Und schon war der Hochzeitkranz gewunden und die Spieler zum Tanze bestellt, und alles Land war in Freude ob der Vermälung der schönen Prinzessin Aurora. Aber die Stiefmutter dachte ganz anders in ihrem Sinn, als sie sich gebehrdete, und sprach: Ich will Spielleute bestellen, die sollen zu einem andern Tanze ausspielen, und die Füße sollen anderswohin tanzen als ins Brautbett. Denn sie sprach bei sich: Diese verdunkelt mich ganz und wird mich noch mehr verdunkeln, und vor dieser Aurora muß meine Sonne untergehen, zumal wenn sie einen so stattlichen Mann zum Gemal bekommt und dem Könige ihrem Vater Enkel bringt; denn ich bin unfruchtbar und kinderlos. Auch hangt das Volk ihr an und schreit ihr nach, mich aber kennen sie nicht und wollen sie nicht kennen; und doch bin ich die Königin: ja ich bin die Königin! und bald sollen sie es alle wissen, daß ich es bin und nicht Aurora. Und sie sann nun auf viele arge Listen Tag und Nacht hin und her, wie sie die Prinzessin und ihren Bruder verderben wollte; aber es wollte ihr keine einzige gelingen: denn sie waren zu gut bewacht und behütet von den Dienern und Dienerinnen, die sie hatten. Diese sahen auf sie wie auf ihren Augapfel und wichen Tag und Nacht nicht von ihnen wegen der Liebe, die sie zu ihrer Mutter, der seligen Königin, trugen. Als nun keine Zeit mehr übrig und der Hochzeittag schon da war und sie sich nicht mehr zu helfen wußte, gedachte sie der allerbösesten Kunst, die sie wußte, und kam zu den Kindern mit der leidigsten Freundlichkeit und bat sie, einen Augenblick mit ihr in ihren Rosengarten zu kommen, sie wolle ihnen eine wunderschöne Blume zeigen, die eben aufgebrochen sey. Und sie gingen gern mit ihr, denn der Garten war hart hinter dem Schlosse; auch konnte niemand an etwas Arges denken, denn es war der helle Mittag, und der König und die Prinzen und Prinzessinnen des Landes waren alle in dem großen Schloßsaale versammelt, da gleich die Vermälung geschehen sollte. Und sie führte die Kinder in die hinterste Ecke des Gartens, wo ihre Blumen standen, unter einen dunkeln Taxusbaum, als wollte sie ihnen da etwas Besonderes zeigen. Sie aber murmelte einige leise Worte für sich hin, brach dann einen Zweig von dem Baum, und gab dem Prinzen und der Prinzessin einige Streiche damit auf den Rücken. Und alsbald wurden sie in Thiere verwandelt: der Prinz sprang als ein reissender Wolf über die Mauer und lief in den Wald, und die Prinzessin flog als ein kleiner grauer Vogel, der Nachtigall heißt, auf den Baum, und sang ein trauriges Lied.

Die Königin spielte ihr Spiel so gut, daß auch kein Mensch etwas merkte. Sie lief laut schreiend dem Schlosse zu und sank mit zerrissenen Kleidern und zerrauften Haaren an den Stufen des Saales hin, als sey ihr ein großes Leid geschehen, und der König hieß sie von den Kammerfrauen wegtragen. Es verging wohl eine gute Viertelstunde, ehe sie wieder zu sich kam. Da gebehrdete sie sich sehr traurig und weinte und schrie: Ach! du arme Aurora, welchen Brauttag hast du erlebt! ach du unglücklicher Prinz! So schrie sie einmal über das andere, und erzählte dann, ein Schwarm Räuber sey plötzlich hinten in den Garten gedrungen und habe die beiden Königskinder mit Gewalt von ihrer Seite gerissen und entführt; sie aber haben sie zu Boden geschlagen und halb todt liegen lassen ; und sie zeigte eine Beule an der Stirn, die sie sich absichtlich an einem Baum gestoßen hatte. Und alle glaubten ihren Worten, und der König hieß alle seine Herren und Grafen und Ritter und Knappen aufsitzen und den Räubern nachjagen. Diese durchritten nach allen Seiten den Wald und alle Schlüchte und Klippen und Berge rings um das Schloß wohl zwei drei Meilen weit, aber von den Räubern und von dem Prinzen und von der Prinzessin fanden sie auch nicht die geringste Spur. Und der König ruhete nicht und ließ weiter suchen und forschen viele Wochen und Monate, und sandte Boten und Kundschafter aus in alle Länder ; aber sie kamen immer vergebens zurück, und mit dem Prinzen und der Prinzessin war es, als ob sie nie gelebt hätten: so ganz waren sie verschollen. Der alte König aber glaubte, die Räuber hätten sie wegen der kostbaren Juwelen und Edelgesteine entführt, die sie am Hochzeittage trugen, und hätten sie beraubt und dann todt geschlagen und irgendwo eingescharrt, damit man ihnen nie auf die Spur kommen könnte; und er grämte sich so sehr, daß er bald starb. Bei seinem Sterben übergab er, weil er keine Kinder hatte, der Königin das Reich, und bat seine Unterthanen, daß sie ihr treu und gehorsam seyn mögten, wie sie ihm gewesen waren. Sie thaten es auch und erkannten sie als ihre Königin, mehr aus Liebe zu ihm als aus Liebe zu ihr.

So waren vier Jahre verschienen und der König schon das andere Jahr todt, und die Königin fing an mit großer Gewalt über die Länder zu herrschen, und kaufte sich für die Schätze, die der alte König ihr hinterlassen hatte, viele fremde Soldaten, die sie über das Meer kommen ließ und die ihre Krone und ihr Schloß bewachten. Denn sie wußte, daß sie von den Unterthanen nicht geliebt war, und sprach: Nun mögen sie aus Furcht thun, was sie aus Liebe nicht thun würden. So geschah es, daß sie von Tage zu Tage bei jedermänniglich mehr verhaßt ward, aber keiner durfte es sich merken lassen, denn auf das leiseste Geflüster gegen die Königin war der Tod gesetzt. Aber die Leute lassen das Wispern und Flüstern darum doch nicht, und weil das Sprichwort wahr ist: Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen, so hatte es von Anfang an gemunkelt *)[1], als die Königskinder verschwunden waren: kein Mensch könne wissen, was der Spaziergang der Königin bedeutet habe. Denn es waren Leute genug, die ihr wegen ihrer scharfen Augen und ihrer unnatürlichen Freundlichkeit böse Künste zutraueten. Diese Munkelung unter dem Volke dauerte nun immer fort und nahm noch zu; sie aber kümmerte sich darum nicht, und dachte: die werden schon Thiere bleiben, was sie sind, und mir wird keiner die Königskrone nehmen. Aber es begab sich alles ganz anders, als sie gedacht hatte.

Den armen Königskindern ging es indessen doch recht schlecht.

Der Prinz war als ein brauner Wolf in den Wald gelaufen, und er mußte sich gebehrden wie ein Wolf und heulen wie ein Wolf und durch die öden und wüsten Orte laufen bei Tage und bei Nacht, und wie ein Dieb einhergehen; denn auch die wölfische Furcht war in ihn gefahren. Und er mußte sich nähren wie die andern Wölfe von allerlei Raub von Wild und Vögeln, auch mußte er in der traurigen Winterzeit zuweilen wohl mit einem Mäuschen vorlieb nehmen und den Bauch einziehen und zähneklappen und zwischen den harten und kalten Steinen sein Lager nehmen. Und dies war gewiß keine prinzliche Lebensart, wie er sie vorher geführt hatte, ehe er aus der königlichen Pracht und Herrlichkeit in dieses wilde Elend verstoßen war. Das war aber das Besondere an ihm, daß er allein Thiere angriff und zerriß und nie nach Menschenblut gelüstete. Doch nach einer hätte ihn wohl gelüstet, nach der bösen Frau, die ihn verwandelt hatte; aber diese hütete sich wohl, dahin zu kommen, wo sie den Zähnen dieses Wolfes begegnen konnte. Man soll aber nicht glauben, daß der Prinz, der nun ein Wolf war, noch menschliche Vernunft hatte; nein es war sehr finster in ihm geworden, und mit dem Bilde des Thieres, in welchem er durch die Wälder laufen mußte, hatte er auch nicht viel mehr als thierischen Verstand. Das ist wahr, ein dunkler Trieb trieb ihn oft gegen das Schloß und den Schloßgarten hin, als hätte er dort einen Fang zu holen; doch hatte er keine deutliche Erinnerung der Vergangenheit: wie hätte er es dann auch in der Wolfshaut aushalten sollen? In den Augenblicken, wo er diesen Trieb fühlte, war er mit einem besondern Grimm behaftet; aber immer, wie er ihnen auf tausend Schritt nahe kam, fuhr ein kalter Schauder in ihn und jagte ihn zurück. Und die Königin hatte dies mit ihrer Hexerei verschuldet, daß sie ihn bis so weit gebannt hatte; denn weiter hatte sie nicht gedurft. Sie aber stellte dem Wolfsprinzen nach dem Leben und ließ viel jagen in dem Forst, der sich um das Schloß herumzog, weil sie dachte, daß er wohl darin seyn mogte. Deswegen ward fast alle Woche zweimal eine große Schalljagd und Klapperjagd auf Wölfe und Füchse angestellt; und damit sie einen fleißigeren Vorwand dazu hätte, hatte die Königin viele niedliche Dammhirsche in diesen Forst ausgesetzt, von welchen unser königlicher Wolf allerdings manchen verzehrte. Aber er rettete sich immer aus aller Gefahr, wie oft die Hunde ihm mit ihren Rachen auch das Haar auf dem Rücken schon zerbließen und wie oft die Jäger auf ihn schossen. Er wich dann für den Augenblick abseits, und wann der Schall sich gesänftet hatte und die Jagdhörner verstummt waren, kam er in das Dickicht zurück, welches dem Schlosse nahe war, und sonnte sich häufig auf Plätzen, wo er als Knabe und Jüngling zuweilen gespielt hatte. Er wußte aber nichts mehr von der Vergangenheit, sondern es war eine verborgene Liebe, die ihn dahin lockte.

Die Prinzessin Aurora hatte als ein kleines Vögelein auf den Baum fliegen müssen und war in eine Nachtigall verwandelt worden. Ihr aber war in ihrem leichten und dünnen Federkleide die Seele nicht so verdunkelt, als dem Prinzen in der Wolfshaut, sondern sie wußte viel mehr von sich und von den Menschen und Dingen; nur sprechen konnte sie nicht. Dafür aber sang sie desto schöner in ihrer Einsamkeit, und oft so wunderschön, daß die Thiere vor Freuden hüpften und sprangen und die Vögel sich alle um sie versammelten und die Bäume dazu rauschten und die Blumen nickten. Ich glaube, auch die Steine hätten vor Lust getanzt, wenn sie so viel Liebe in sich hätten; aber deren Herz ist zu kalt. Auch die Menschen hätten wohl bald auf den kleinen Vogel gemerkt als auf einen besonderen Vogel und wäre wohl ein Gerede und Gemunkel davon unter den Leuten entstanden, wenn nicht etwas sie abgehalten hätte von dem Walde, daß sie die Nachtigall nie singen hörten. Es verhielt sich damit folgendergestalt:

Wie die Königin dem armen verwandelten Prinzen mit den vielen Schall- und Klapperjagden gern das letzte wölfische Lebenslicht ausgeblasen hätte und wie er dadurch über die ganze Wolfsfamilie großes Unglück brachte, habe ich schon erzählt. Aber auch über die kleinen Vögel ging es schlimm her, und in diesen Tagen der Tyrannei war es ein Unglück, in der Gegend des Schlosses als Amsel Grasmücke und Nachtigall gebohren zu seyn. Die Königin nemlich, nachdem der alte Herr gestorben war und sie die Gewalt allein hatte, gebehrdete sich plötzlich, als habe die Krankheit sie befallen, daß sie nicht allein das Geschrei und Gekrächze und Geschnatter unleidlicher Vögel nicht ertragen könne, sondern daß selbst das lieblichste Geklingel und Gezwitscher der lustigen kleinen Singvögelein sie unangenehm bewege. Und damit sie das allen Menschen glaublich machte, war sie bei solchen Gesängen, deren sich sonst alle Welt zu freuen pflegt, ein parmal in Ohnmacht gefallen. Das war aber nur ein Schein, sie wollte eine böse That, sie wollte den Tod der kleinen Nachtigall, wenn sie etwa in diesen Hainen und Gärten herumflatterte. Das wußte sie aber wohl, daß das Vögelchen dem Schlosse auf tausend Schritt nicht nahen durfte, denn sie hatte es unter denselben Hexenbann gelegt, als seinen Bruder. Unter dem Titel dieser Unleidlichkeit und Empfindlichkeit gegen zarte und feine Klänge und Schalle ward denn freilich nicht bloß der kleinen liebenswürdigen Nachtigallprinzessin sondern allen andern Vögeln nach der Kehle gegriffen; sie waren alle in die Acht und Aberacht gethan, sie waren alle für vogelfrei erklärt, und die Förster und Jäger der Königin erhielten den strengsten und gemessensten Befehl, auf alles, was Federn trägt, Jagd zu machen, und auch das Rotkehlchen ja nicht einmal den Zaunkönig zu verschonen, auf welchen ein guter Jäger sonst nie einen Schuß verliert. Dieser schreckliche Zorn der Königin ward ein Unglück für das ganze befiederte Volk, nicht bloß für die, welche im Freien flogen oder in Forsten und Hainen lebten, sondern auch für die, welche auf Höfen und in Zimmern gehalten werden. In der Hauptstadt und in der Umgegend des königlichen Schlosses blieb auch nichts Gefiedertes leben; denn die Leute meinten sich bei der Königin sehr einzuschmeicheln und ihre Gunst zu gewinnen, wenn sie es ihr nachmachten. Es war ein Schlachten und Morden der Unschuldigen wie der bethlehemitische Kindermord des Königs Herodes weiland. Wie vielen tausend Kanarienvögeln und Zeisigen und Nachtigallen und Distelfinken, ja selbst wie manchen ostindischen und westindischen Papageien und Kakadus wurden da die Hälse umgedreht ! Schreihälsen und Liederkehlen, Schwätzern und Verschwiegenen drohete Ein Schicksal, und das sogar war ein Verbrechen, als Gans oder Puter oder Hahn gebohren zu seyn, und die gemeinen Haushühner fingen an so selten zu werden als chinesische Goldfasane. Und hätte die Königin noch einige Jahrzehende so gewüthet gegen das Federvölkchen, so wäre es allmälig ausgestorben in dem Königreiche. Das war die Ursache, warum die Vögel nicht allein gemordet wurden sondern auch fast kein Mensch mehr in den Wald spazieren ging, weil es so hätte gedeutet werden können, als wollten sie da Vogelgesang hören. So kam es denn, daß niemand die Wundertöne der kleinen Nachtigall belauschen konnte, als etwa hie und da ein einsamer Jäger. Der ließ sich aber nichts merken, damit er von der Königin nicht gestraft würde, daß er den Vogel nicht geschossen. Denn das muß man zur Ehre der Weidmänner sagen, daß sie doch meistens ihrer wackern Natur folgten und selten einen der kleinen Vögel schossen; aber platzen durch den Wald mußten sie, daß es knallte. Und dadurch schon ward es still von Gesängen und auch viele Vöglein zogen weg aus dem unaufhörlichen Getümmel und kamen nimmer wieder. Die kleine Nachtigall aber, welche Gott behütete, daß sie sich von allen diesen Nachstellungen rettete, konnte den grünen Wald hinter dem Schlosse nicht lassen, wo sie in ihrer Kindheit so viel gespielt und gesprungen hatte, sondern wenn sie auch wegflog, so bald die Jagdhörner anbliesen und es mit Hurra und Wo Wo durch die Büsche tosete, kam sie doch immer bald wieder. Und obgleich ihre Liedlein, als aus einem traurigen Herzen klingend, meistens traurig und kläglich waren, däuchte es ihr doch recht anmuthig, so unter den grünen Bäumen und bunten Blumen zu leben und dem Mond und den Sternen etwas Süßes vorzuklingen ; und nur wenige Monate war sie unglücklich. Dies war die Zeit, wo der Herbst kam und wo sie mit den andern Nachtigallen in fremde Länder ziehen mußte, bis es wieder Frühling ward.

Das kleine Prinzessinvögelein hielt sich nun meist zu den Bäumen Angern und Auen, wo sie als Kind gespielt oder als Jungfrau mit Gespielen ihres Alters Kränze gewunden und Reigen aufgeführt hatte, oder wo sie gar in den glücklichsten Tagen ihres Lebens mit dem Geliebten die Einsamkeit gesucht hatte. Am liebsten und am meisten wohnte sie in einer dichten grünen Eiche, die sich über einen rieselnden Bach beugte und oft das süße Geflüster der Liebe in ihren Schatten geborgen hatte. An dieser Stelle sah sie denn auch oft den Wolf, den ein dunkles Gefühl der Vergangenheit dahin führte; aber sie wußte nicht, daß es ihr armer Bruder war. Doch gewann sie ihn lieb, weil er sich so oft unter ihren Gesängen hinstreckte und lauschte, als verstände er etwas davon; und sie beklagte ihn wohl zuweilen, daß er ein zorniger und harter Wolf seyn mußte und nicht flattern konnte und fliegen von Zweigen zu Zweigen, wie sie und andere Vögelein. Und nun muß ich auch noch von einem Manne erzählen, der in dem einsamen Walde zuweilen der Zuhörer der kleinen Nachtigall war. Dieser Mann war der Prinz aus Ostenland, ihr Bräutigam, als sie noch Prinzessin war.

Der König, dieweil er noch lebte, hatte diesen Prinzen wegen seiner Tugend und Tapferkeit vor allen Männern geliebt und ihn auf seinem Todbette der Königin empfohlen als einen Rath und Helfer in allen schlimmen und gefährlichen Dingen, besonders als einen frommen und trefflichen Kriegsmann. Auch war er nach des Königs Tode bei der Königin geblieben bloß aus Liebe zu dem seligen Herrn. Doch ward er bald inne, daß die Königin ihn haßte, ja daß sie ihm nach dem Leben trachtete, und entwich daher plötzlich von ihrem Hofe und aus ihrem Lande. Sie aber ließ ihm nachsetzen als einem Verräther und Flüchtling und ließ einen Bann ausgehen, wodurch sie ihn für vogelfrei erklärte, daß jeder, wem es beliebte, ihn erschlagen und ihr seinen Kopf bringen mogte, worauf sie einen hohen Preis gesetzt hatte. Er entwich wieder in das Land seines Vaters, das viele hundert Meilen gegen Osten von dem Schlosse der Königin lag, und wohnte bei ihm. Aber im Herzen hatte er keine Ruhe noch Rast und die Trauer um die verschwundene Prinzessin wollte ihn nie verlassen. Ja das Wunder begab sich mit ihm, daß er alle Jahre einmal heimlich verschwand, ohne daß ein Mensch wußte, wohin. Er sattelte aber dann sein Roß und rüstete sich in unscheinbarer Rüstung, und ritt plötzlich davon, so daß niemand seinen Pfad kannte. Er mußte aber in das Land der Königin reiten, die ihn vogelfrei gemacht hatte, und jenen Wald besuchen, worin die Prinzessin verschwunden war. Dieser gewaltige Trieb kam ihm jedes Jahr kurz vor der Zeit, in welcher die Prinzessin verschwunden war, wo er durch wilde wüste und verborgene Orte traben mußte, bis er zu wohlbekannten Stätten gelangte, wo er einst mit seiner Braut gewandelt hatte. Und da war auch ihm die grüne dunkle Eiche am Bache die Lieblingsstelle. Da brachte er dann vierzehn Nächte in Thränen und Gebeten und Klagen um die Geliebte zu; die Tage aber verbarg er sich in dem entlegeneren Dickicht. Da hat er die kleine Nachtigall oft gesehen und gehört und sich ihres wundersamen und wunderlieblichen und fast übervögelischen Gesanges erquickt. Sie haben aber nichts weiter von einander gewußt. Doch hatte das Vögelchen immer eine große Sehnsucht im Herzen, wann der Ritter wieder geritten war, sie wußte aber nicht, warum; und auch ihm klang ihr tiefes und schmachtendes Tiu! Tiut! lange nach, wann er wieder in das Land seines Vaters ritt. Es ging ihm aber wie den meisten Menschen, die etwas Geheimes thun oder haben, worüber andere Leute sich viel die Köpfe zerbrechen, daß er um sein eignes Geheimniß nicht wußte. Denn daß er jedes Jahr einmal heimlich wegritt, das wußte er wohl; warum er aber reiten mußte, das wußte er nicht.

Und es waren manche Tage vergangen seit dem Tode des alten Königs und es ging in das sechste Jahr seit dem Verschwinden der Kinder, und die Königin lebte herrlich und in Freuden, und ließ die Thiere jagen und auf alle Vögel schiessen, und war auch gegen ihre Unterthanen nicht weniger hart, als gegen das Wild und Gefieder des Waldes. Sie däuchte sich fast allmächtig und meinte, ihr Glück und ihre Herrschaft könne kein Ende nehmen. Doch hatte sie seit jenem Tage den Wald nicht betreten um das Schloß und den Schloßgarten, sondern eine heimliche Furcht hatte sie davon zurückgehalten. Sie ließ sich aber nicht merken, was es war, und daß eine Hexenangst dahinter steckte. Nun begab es sich, daß sie einmal ein großes Fest und Gastmal angestellt hatte, wozu alle Fürsten und Fürstinnen des Reichs und alle Großen des Landes und alle vornehmsten Diener und Dienerinnen geladen waren, und es war den Nachmittag eine große Wolfsjagd beschlossen in dem Forst, und die Fürsten baten sie, daß sie mitgehen mögte. Sie weigerte sich lange unter allerlei Vorwänden, endlich aber ließ sie sich bereden. Sie setzte sich aber auf einen hohen Wagen und hieß drei ihrer tapfersten Kriegsmänner sich wohlbewaffnet neben sich setzen ; zugleich hieß sie viele hundert gewaffnete und gerüstete Reisige vor neben und hinter dem Wagen reiten, und eine lange Reihe Wagen voll Herren und Frauen folgten ihr nach. Und ihr war der Wolf immer im Herzen, doch dachte sie bei sich: laß den Wolf nur kommen, ja laß hundert Wölfe zugleich kommen, diese tapfere Schaar wird ihnen wohl das Garaus machen. So verblendet Gott auch die Klügsten und Feinsten, wann sie zur Strafe reif sind; denn ihr war geweissagt worden von andern Meistern ihrer losen Kunst, sie solle sich vor dem sechsten Jahre in Acht nehmen. Daran hatte sie heute nicht gedacht.

Und es war ein schöner heiterer Frühlingstag, und sie fuhren mit Trompeten und Posaunen in den Forst, und die Rosse wieherten und die Rüstungen klirrten und die gezückten Speere und Degen funkelten in der Sonne; die Königin aber funkelte am hellesten, mit ihren prächtigsten Kleidern und all ihrem Juwelenschmuck hoch im Wagen thronend. Und schon schallte ihnen die Jagd entgegen mit Hussa und Hurra und den schmetternden Hörnern der Jäger und den gellenden Stimmen der Hunde. Und es lief ein Löwe vorüber und ein Eber fuhr durch die Reihen; und sie erschracken nicht sondern hielten und standen ein jeglicher fest auf seinem Stand, und machten die Ungeheuer nieder. Aber nicht lange, und es ergab sich ein Schrecken, das ihnen zu mächtig war. Ein fürchterlicher Wolf fuhr aus dem Dickicht hervor auf einen grünen Anger, und heulte so gräßlich, daß Jäger Hunde Reiter vor ihm ausrissen. Der Wolf lief, wie man einen Pfeil vom Bogen schießt, nein er lief nicht sondern flog durch die Männer und Rosse dahin, und keiner dachte daran, daß er Bogen, Spieß und Eisen trug, so schrecklich war des Unthiers Ansehen und so wüthig bleckte er den funkelnden Rachen auf. Die Königin, die ihn auf ihren Wagen zuspringen sah, schrie Hülfe! Hülfe! die Weiber schrieen und fielen in Ohnmacht, viele Männer schrieen auch wie die Memmen: Keiner wehrte dem Wolf, er sprang mit Einem langen weiten Sprung auf den hohen Wagen, riß das stolze Weib herunter, und wusch sich Zähne und Rachen in ihrem Blute. Die andern waren alle geflohen oder standen und hielten von ferne.

Und o Wunder! als sie sich ermannen wollten und das Thier anfallen, sahen sie es nicht mehr, sondern, wo es eben noch gestanden hatte, erhob sich die Gestalt eines schönen und reisigen Jünglings. Die Männer staunten ob dem Zauber, doch zuckten einige die Waffen, als wenn sie ihn als ein zweites Ungethüm jagen und fällen wollten. Da sprang plötzlich ein Greis vor, der mit im Zuge war, der Kanzler des Reichs, und verbot es ihnen, und rief überlaut: bei meinem grauen Haar, Männer, haltet ein! ihr wisset nicht, auf wen ihr stoßen wollet – und, ehe sie sich besinnen konnten, lag er schon vor dem Jünglinge auf der Erde, und küßte ihm Kniee und Hände und rief: Sey uns gegrüßt, du edle Blume eines edlen Vaters, die du wieder aufgegangen bist in deiner Schöne! und freue dich, o Volk, dein rechter Königssohn ist wieder gekommen, und dies ist jetzt dein König. Und auf diese Worte liefen viele herzu und erkannten den Prinzen wieder und huldeten ihm als ihrem Herrn, und die übrigen thaten desgleichen. Und alle waren zugleich voll Schrecken und Staunen und Freude, und dachten nicht mehr an die zerrissene Königin noch an den Wolf; denn daß er der Wolf gewesen, das wußten sie nicht.

Der junge König aber gebot allen, daß sie ihm nachfolgeten und mit ihm in das Schloß seines Vaters zögen; er hieß auch sogleich die Jagd stillen und die Hörner und Trompeten, welche eben noch den Wald und das Wild aufgeschreckt hatten, seinem fröhlichen Einzuge voranblasen. Und als er daheim war und von den Zinnen seiner Väter schauete, da traten ihm die Thränen in die Augen und er weinte beides schmerzlich und fröhlich; denn er gedachte nun alles Jammers wieder und der zu schweren Vergangenheit, wo es wie ein dumpfer und thierischer Traum auf ihm gelegen hatte. Und nun ward es ihm plötzlich hell, und er konnte es dem Kanzler und den Vornehmsten melden, wie es mit ihm geschehen war und daß er nur durch das Herzblut der alten gräulichen Hexe, die seine Stiefmutter und ihre Königin geheißen, wieder hatte verwandelt werden können. Und das Gerücht von diesem erstaunlichen Wunder ging alsbald in die ganze Stadt und unter alles Volk aus; und sie freueten sich, daß der geliebte Königssohn wiedergekommen und daß die Königin, welche alle hasseten, von Wolfszähnen, die sie selbst geschaffen, zerrissen war.

Aber als der Prinz sich nun allmälig wiedergefunden und über sich besonnen hatte, da fiel es ihm schwer auf das Herz, wo die königliche Prinzessin Aurora seine geliebte Schwester wohl seyn mögte und ob sie auch noch wohl unter irgend einer Thierhaut oder Federdecke steckte; denn nun fiel ihm ihr trauriger Hochzeittag ein. Und er fragte und ließ fragen; aber alle schwiegen und keiner konnte von ihr etwas melden. Da ward der Prinz wieder sehr traurig und sorglich, aber Gott wandelte diese Traurigkeit auch bald in Freude.