Maria Walewska - Roland Ruisz - E-Book

Maria Walewska E-Book

Roland Ruisz

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Beschreibung

Napoleon ist der Staatsmann, der sich wohl wie kein anderer als Europäer verstand. Ihm schwebte eine Europäische Union unter französischer Vorherrschaft vor. Daher verstand er sich und gab er sich schon zeitlebens als Historische Person - und ließ über all seine Handlungen jeden Tag Aufzeichnungen anfertigen. Doch über zwei Tage seines Lebens gibt es keine Aufzeichnungen: zwei Tage auf Elba, dem Ort seiner ersten Verbannung. zwei Tage, in denen Maria Walweska, seine langjährige, polinische Liebe, ihn besucht hatte. Was dort geschah oder besprochen wurde, entzieht sich also unserer Kenntniss, doch gibt es eine politische Situation vor ihrem Besuch und eine politische Situation nach ihrem Besuch, auf den dann die 100 Tage Napoleons folgten. Diese Lücke zu füllen, war der Reiz, diese fiktive Erzählung vor dem Hintergrund geschichtlicher Recherchen zu schreiben.

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Zum Geleit und über den Autor

Gemeinhin existiert das Bild von Autoren im Elfenbeinturm. Entsprechend abgehoben erscheinen sie: weltfremd, unnahbar, unverständlich.

Für mich gehört zum Schreiben in erster Linie mein Radsport; auf dem Rennrad erfahre ich die Natur; hier sammle ich Eindrücke; hier probiere ich in Gedanken das umzusetzen, was Max Frisch Autoren auf den Weg gibt: Sie mögen "Brombeeren so im Wald verstecken, dass der Leser meint, er habe sie ganz alleine gefunden". Dazu muss ich raus aus dem Elfenbeinturm, raus in die Natur, auf‘s Rennrad, unter Menschen - auch bei kaltem Wetter und auf Kopfsteinpflaster.

In diesem Sinne wünsche ich "Guten Appetit" - und freue mich auf einen regen Austausch mit Ihnen, dem Leser, der Sie aus den Worten Ihren ganz persönlichen, inneren Film gestalten.

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Für meine Eltern

Der begleitende Mond war hinter die Wolkenfetzen zurückgetreten. Nur selten noch durchdrang sein Licht knochenweiß die herannahende Wetterfront. Der Wind hatte nachgelassen, sodass die Brigantine nurmehr geringe Fahrt machte.

Gleichgültig glucksten die Wellen gegen den Rumpf - den Rumpf, welchen sie nun schon seit Piombino begleiteten. Von dort war das neapolitanische Schiff am späten Nachmittag des ersten Septembers 1814 in See gestochen, um das im bleischweren Dunst verborgene Elba anzusteuern. Allen Warnungen der einheimischen Fischer zum Trotz war dies geschehen, denn es pflegen auf derart drückende Tage die schaurigsten Unwetter zu folgen.

Auch der Kommandant der Brigantine hatte sich lange gegen das Auslaufen bei solchem Wetter gewehrt, doch die Reisegruppe war - so dicht vor dem Ziel - merklich ungeduldig geworden und hatte auf eine rasche Übersetzung nach Portoferraio gedrängt. - Ein paar Goldstücke hatten ihr übriges getan, den armen Schiffsoffizier umzustimmen, sodass gegen Abend die Fischer von Piombino kopfschüttelnd aufgesehen und das Auslaufen der Brigantine verfolgt hatten. Erst als diese hinter der Mole verschwunden war, um südlichen Kurs auf die Insel zu nehmen, hatten sie sich wieder dem Flicken von Netzen und dem Streichen ihrer Boote zugewandt.

Die Reisegruppe war an Deck geblieben, verfolgte das Treiben der Mannschaft mit all den Handgriffen, Befehlen und Flüchen, die nötig sind, um ein Schiff auf Kurs zu bringen. Schon lange war die toskanische Küste in die bleiche Dunkelheit des Mondlichtes zurückgetreten. Nur die scharf-gekerbten Bergrücken neigten sich schwarz aus dem diffusen Knochenweiß wie Scherenschnitte herüber.

Dann schloss sich die Wolkendecke gänzlich, und unentschlossen dümpelte die Brigantine zwischen unsichtbarer Herkunft und unsicherem Ziel. Drückend trieb selbst hier über dem Meer die Schwüle des vergangenen Tages Schweiß auf die Haut. Kein Lufthauch gab Kühle. Es war, als halte die Erde inne, ebenso unentschlossen, ebenso zögerlich über das, was war, was werden würde.

In Gedanken versunken, standen die Reisenden; - darunter eine auffallend anmutige Frau, welche einen blonden Jungen von vielleicht vier Jahren an der Hand hielt. Neben ihr zur Rechten ein Offizier in polnischer Uniform, der bisweilen kurze Worte mit ihr wechselte, um sich dann wieder einer zerbrechlich wirkenden jungen Frau zu seiner Rechten zuzuwenden, wusste er doch um die Nachdenklichkeit, die seine ältere Schwester Marie Walewska nun so kurz vor ihrem heimlichen Ziel umgab. So sprach er dann mehr zu seiner jüngeren Schwester, die noch niemals eine solch weite Reise unternommen, ja bisher nicht einmal Polen für längere Zeit verlassen hatte.

Polen. - Das geliebte Land lag weit zurück und machte Marie Walewska traurig. Wie anders war es damals vor nunmehr neun Jahren, als sie ihn, Napoleon, kennengelernt hatte. Damals war er als Träger der polnischen Hoffnung ins Land gezogen, denn niemals, so ließ er erklären, habe Frankreich die Teilung Polens zwischen Russland, Preußen und Österreich anerkannt. Daraufhin marschierte er in Warschau ein, und so hoffte die große Nation, er werde den polnischen Thron wiederherstellen und das Land von der Fremdherrschaft befreien.

Doch dies lag schon weit in der Dunkelheit des nun unsichtbaren Festlandes zurück. Die Schlacht bei Eylau hatte keine Entscheidung gebracht; Napoleon hatte darauf die Freundschaft von Zar Alexander I. gesucht und lediglich eine provisorische Regierungskommission eingerichtet in einem verkleinerten Polen, das nun Herzogtum Warschau hieß. Dann erfror das Glück des Empereur mit der Grande Armee auf dem Russlandfeldzug 1812; und mit den Unglücklichen der Grande Armee versanken Marie Walewskas Hoffnungen auf ein Königreich Polen in den kalten Fluten der Beresina.

Am sechsten April des Jahres 1814 wurde Napoleon zur Abdankung gezwungen; am vierten Mai traf er auf der Insel Elba ein. Fern im südlichen Dunst konnte Napoleon seine Heimat Korsika daliegen sehen. Korsika. - Von dort hatte alles seinen Lauf genommen. Und fern im Norden schien ihm das Festland von Europa immer noch zum Greifen so nahe... Er würde zurückkehren; die große Tat wartete beharrlich auf ihn.

Marie Walewska hatte dies aus den vielen Briefen erfahren, die ihr Napoleon schon seit Jahren zusandte. Sie lächelte und strich Alexandre zärtlich über die glatten Haare. Seine Briefe! Wie viel versteckte Zuneigung konnte doch der Empfängliche aus ihnen herauslesen - hinter der Spröde und scheinbaren Kälte.

Und wehmütig dachte Marie Walewska an die ersten Zeilen zurück, die sie von Napoleon erhalten hatte. Seine unverschämte Direktheit darin. Jedem anderen hätte sie eine Belehrung erteilt oder sich solches verbeten. Sie jedenfalls überging ihn zunächst und schwieg - trotz ihrer Aufgebrachtheit, ihr, einer verheirateten Frau, ein solches Angebot zu machen.

Nicht einmal mit seinem Namen hatte er unterschrieben. 'N.'! Lediglich 'N.' - keine Titel, keine Ehren, kein Prunk zwar, aber ein 'N', das danach verlangte, alles mit aufreizender Selbstverständlichkeit erfüllt zu bekommen, 'was des Kaisers sei'.

Und dabei legte er eine Handschrift und eine Rechtschreibung des Französischen an den Tag, die ihrem Hauslehrer sicherlich Zorn über die Stirn gefaltet hätte.

Teilweise gedrängt, sich für Polen einzusetzen, teilweise berauscht von der Macht, die sie als Frau auf den mächtigsten Feldherrn des Erdkreises ausüben konnte, war sie der zu offen daliegenden Einladung gefolgt. Das Königreich retten war ihr Ziel gewesen. Doch dann war ihr der Verstand entglitten und hatte Platz gelassen für die tiefe Empfindung...

Kräftig sog Marie Walewska die nun auffrischende Seeluft ein und ließ ihre schlanke Hand auf die Schulter ihres gemeinsamen Sohnes Alexandre Graf Walewski gleiten, wo sie Ruhe und Halt fand auf dem wieder tanzenden Schiff. Befehle eilten durcheinander, Hände griffen liebevoll roh und sicher nach Tauen, umwickelten Belegklampen und setzten alles Tuch, um noch vor dem westlich heraufziehenden Gewitter die nächtlich verborgene Insel zu erreichen.

Marie Walewska machte sich frei von der Gruppe, vertraute ihren Sohn der jüngeren Schwester an und schritt trotz des ungewohnten Wogens eines Schiffes sicher in Richtung des Buges. Herausgetreten aus dem bergenden Schutz der geblähten Segel, blies ihr der Wind ins offen getragene Haar, zauste frech an ihrem schlichten weißen Reisekleid und presste es dicht auf Leib und Beine.

'Weiß zu weiß steht ihnen nicht gut, Madame.' Dies hatte Napoleon ihr damals auf jenem Empfang in Warschau gesagt, den Fürst Poniatowski Napoleon zu Ehren gab. Sie wird sich noch unter Deck begeben müssen, um sich umzuziehen.

Fröstelnd verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah hinunter in das schwarze Wasser, welches - vom Bug zerrissen weiß blutend und wütend aufschäumte. Die Dünung nahm weiter zu, und wenn sich Marie Walewska umwandte, so konnte sie den Schiffsoffizier als Silhouette erkennen. Er blickte sorgenvoll in die Wanten, als zögerte er noch, ob er wieder Tuch abnehmen lassen oder darauf hoffen sollte, dass die ersten starken Böen erst aufkämen, wenn er sich unter Land im Schutze der Insel befände. Fielen die Böen jedoch jetzt ein, die Brigantine würde sogleich umschlagen und kentern. Der Schiffsoffizier bereute schon seinen Entschluss; ihn ekelte seine Schwäche, den Versuchungen des Goldes nicht widerstanden zu haben - und er hasste deshalb diese Reisegesellschaft, die ihn zu einer solchen Torheit verführt hatte.

Indessen mochte Marie Walewska auch von diesen Gedanken nichts wissen; sie genoss es, hier auf dem Vordeck zu stehen im tosenden Wind - hier vorne, wo sie sich ihm, Napoleon, schon ein kleines Stückchen näher fühlte als wenn sie achtern oder gar unter Deck geblieben wäre.

Gleißend weiß züngelte erstes Wetterleuchten. Erstarrt verharrte ein jeder bei seiner Tätigkeit, um diese sogleich mit verdoppelter Vehemenz wieder aufzunehmen. Der Maat trat zum Schiffsoffizier, beugte sich zu diesem vor, bewegte die Lippen; Marie Walewska konnte nicht hören, was sie berieten, doch glaubte sie schließlich, ein Nicken erkannt zu haben.

Bald enterten einige Seeleute behende auf, um einen Teil der Segel zu reffen. Wie die Brigantine aufatmete unter dem nun verringerten Winddruck! Ausgelassen tanzte sie jetzt über die gischtwütenden Wellenkämme, welche in kürzer werdenden Intervallen im fahlen Licht der Blitze aufflammten.

Gräfin Marie Waleska wandte sich wieder dem zischenden Gurgeln des unter ihr dahinziehenden Wassers zu. Es war ihr als zöge das Meer unter ihr fort und flösse so der Vergangenheit entgegen...

In Finckenstein war es gewesen. Sie hatten sich dort in den letzten Februartagen des Jahres 1807 getroffen - in jenen letzten Februartagen, die sich noch an die Kälte des Winters erinnern, doch schon den Frühling ahnen. Den Jahreswechsel hatte Marie Walewska in Wien zugebracht auf allerlei Empfängen und Bällen, wobei sie lediglich die notwendigsten besuchte, um nicht unhöflich zu erscheinen, sich ansonsten zurückhielt und sich lieber der Lektüre oder Handarbeiten zuwandte.