Markus Söder - Politik und Provokation - Roman Deininger - E-Book

Markus Söder - Politik und Provokation E-Book

Roman Deininger

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Beschreibung

"Markus Söder – Politik und Provokation": Diese gründlich recherchierte und vorzüglich geschriebene Biographie zweier preisgekrönter Journalisten der Süddeutschen Zeitung leuchtet Charakter, Aufstieg und Politikstil des starken Mannes der CSU aus. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef hat eine wundersame Wandlung hinter sich: Einst galt er als politischer Hallodri und Scharfmacher – heute gibt er den Landesvater und wird als Kanzlerkandidat der Union gehandelt. Sein Management der Corona-Krise wird selbst von früheren Gegnern gelobt. Doch bei vielen bleiben auch Zweifel: Was ist echt an Markus Söder, und was ist Inszenierung? Wer ist dieser Mann wirklich? Antworten darauf liefert die erste Söder-Biographie. Roman Deininger und Uwe Ritzer zeichnen Söders Weg aus kleinen Verhältnissen in Nürnberg an die Spitze des Freistaats nach. Sie beschreiben, wie Söder als CSU-Generalsekretär durch laute Wortmeldungen bundesweit für Aufregung gesorgt hat. Söder hat lange polarisiert, innerhalb wie außerhalb der CSU. Warum er immer wieder Konflikte gesucht hat – etwa das erbitterte Duell mit Horst Seehofer – erklären die Autoren ebenso wie Söders politische Arbeit jenseits des Scheinwerferlichts. Mit unbedingtem Machtwillen, strategischem Blick und fleißigem Netzwerken hat er alle Konkurrenten um die Münchner Staatskanzlei aus dem Feld geschlagen. Nur aus dieser Vergangenheit kann man den Söder der Gegenwart verstehen: den Bienenfreund und Baumumarmer, den Macher-Typ in der Corona-Krise. Deininger und Ritzer ergründen, was diesen Mann geprägt hat und antreibt, abgesehen vom ehrgeizigen Ziel, den Gipfel der Macht zu erklimmen. Die beiden Autoren haben lange und intensiv im politischen und privaten Umfeld Söders recherchiert, mit Feinden und Freunden des Politikers, sowie den relevanten Protagonisten der bayerischen Politik und der CSU gesprochen. Sie zeichnen in ihrem Buch das differenzierte Bild eines modernen Politikertypus: ehrgeizig, ich-fixiert, lösungsorientiert, der das traditionelle politische Handwerk ebenso beherrscht wie die digitale Kommunikation mit den Wählern. Wer wissen will, wie Politik heute gemacht wird, der findet hier Antworten, die nicht immer beruhigend wirken.

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Roman Deininger / Uwe Ritzer

Markus Söder

Politik und Provokation

Knaur e-books

Über dieses Buch

»Markus Söder – Politik und Provokation«: Diese gründlich recherchierte und vorzüglich geschriebene Biographie zweier preisgekrönter Journalisten der Süddeutschen Zeitung leuchtet Charakter, Aufstieg und Politikstil des neuen starken Mannes der CSU aus.

Als Nachfolger Horst Seehofers im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten und Spitzenkandidat der CSU für die Landtagswahl steht Söder im Jahr 2018 im Mittelpunkt des politischen Geschehens. Der Mann, der als Vorsitzender der Jungen Union in Bayern, als Generalsekretär der CSU und als Minister durch provokative, laute Wortmeldungen bundesweit für Aufmerksamkeit und Aufregung gesorgt hat, wird beweisen müssen, was er wirklich kann. Söder polarisiert, innerhalb wie außerhalb der CSU. Warum und wie er während seiner gesamten politischen Laufbahn immer wieder Konflikte gesucht und für sich entschieden hat – zuletzt das jahrelange Duell mit Horst Seehofer – beantworten die Autoren Roman Deininger und Uwe Ritzer ebenso, wie die Frage nach Söders politischer Arbeit jenseits des gleißenden Scheinwerferlichts.

Söder, der aus kleinen Verhältnissen stammt und in Nürnberg großgeworden ist, hatte außer Edmund Stoiber kaum einen Förderer – aber zahlreiche erbitterte Gegner. Mit unbedingtem Machtwillen, strategischem Blick und fleißigem Netzwerken hat Söder seinen Aufstieg in der Politik gestaltet und alle Konkurrenten geschlagen. Deininger und Ritzer erklären, was diesen Mann antreibt, abgesehen vom ehrgeizigen Ziel, den Gipfel der Macht zu erklimmen, was ihn geprägt hat und was nun von ihm zu erwarten ist. Die beiden Autoren haben lange und intensiv im politischen und privaten Umfeld Söders recherchiert, mit Feinden und Freunden des Politikers, sowie den relevanten Protagonisten der bayerischen Politik und der CSU gesprochen. Sie zeichnen in dieser ersten Biographie Söders das differenzierte Bild eines modernen Politikertypus: ehrgeizig, ich-fixiert, lösungsorientiert, der das traditionelle politische Handwerk ebenso beherrscht wie die digitale Kommunikation mit den Wählern. Wer wissen will, wie Politik heute gemacht wird, der findet hier Antworten, die nicht immer beruhigend wirken.

Inhaltsübersicht

PrologEinleitungI. Teil1. Der Cowboy aus dem braven WestenBaustellenZwischen Knast und Brauerei2. Strauß überm BettIm politischen SandkastenGute Freunde kann niemand trennen – oder doch?Die Nürnberger Mauer3. Der UnverhinderbareSensation im Bernhardsaal4. Ein Kopf größerEin Asylbewerberheim in NürnbergDer SchwarzfunkerFahrradwahlkampf5. Sturm und DrangBreitbeinigNürnberger VerhältnisseStahlbürste und GreisenkammerWiederholungssiegerDer Herr Doktor: Zweifel an Söders TitelAuf dem SprungII. Teil1. Der Mann fürs GrobeFachbereich AttackeEin Team für den EinzelkämpferDie verlorene Seele der MainzelmännchenStoibers BodyguardVon New York nach PassauExperimente mit SubstanzUnter SchwesternEinmal Berlin und zurückDie GabiDas Drama von KreuthLanger AbschiedVater und Sohn2. ResozialisierungEin Maibaum in BrüsselPolitische FernreisenEnde einer Ära3. MarkenbildungAn der schönen blauen DonauDer Ärzte-VersteherDie zwölf ApostelVogelrettung am GardaseeAbschied vom BaronFukushima4. Beinahe ein StaatsmannForscher AnfangBayerische SonderwegeDie LandesbankDie undurchsichtige PatriziaDer Gondel-SchauklerDie neue Heimat»Paris ändert alles«III. Teil1. Die Schmutzelei als KunstformFerndiagnosenMysterienspielStille NachtEruptionenStaatsschauspielerIch bin kein BerlinerKönig HorstVerlängerung2. Unterwegs mit einem politischen TierAlles Kampf3. Erster unter den KronprinzenAufstieg und Fall der Ilse AignerDer Sommer des Joachim HerrmannIm Spiegel des gefallenen Apostels4. Das EndspielIn DeckungAuf Kriegspfad»Horst, es ist Zeit«ZwergenaufstandHeldengeschichtenSchildbürgerTäuschungsmanöverFünferrundeGlatteisfragenAm ZielHarmonieSchlussDie VerwandlungAltlastenBildteilDank
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Prolog

In der Leberkäs-Etage

Markus Söder faltet sich aus seiner schwarzen Dienstlimousine, er ist 1,94 Meter groß und damit – darauf legt er Wert – einen satten Zentimeter größer als ein gewisser Horst Seehofer. Er ist ein Mann, den man kaum übersehen kann. Aber kann man ihn durchschauen?

Ein Sommerabend im Juni 2016, Eitensheim bei Ingolstadt. Es ist die Zeit, als Söder sich nicht einfach nur warm läuft für das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten. Er läuft heiß. Seine Mitarbeiter haben das mal ausgerechnet: mehr als 1000 Termine im Jahr, mehr als 100000 gefahrene Kilometer.

Jetzt warten 800 Menschen im Bierzelt, der Sportverein Eitensheim wird 70 Jahre alt, und Söder ist zum Gratulieren gekommen. Wenn irgendwer in Bayern einen einigermaßen runden Geburtstag hat und sich nicht schnell genug ins Ausland absetzt, dann schaut der reisefreudige Finanzminister Söder vorbei, auf einen kurzen Glückwunsch und einen längeren Bericht zur Lage des Landes.

Den Sog der Macht spürt man bereits am roten Teppich vor dem Zelt und an der besonderen Unterwürfigkeit der örtlichen Honoratioren. Die Parteifreundin aus dem Landtag zum Beispiel, die von ihm schwärmt, als wäre sie hoffnungslos verknallt. Markus Söder sei »mehr als ein Politiker, mehr als ein Minister, mehr als ein Mann«. Söder hat große Routine in der Entgegennahme von Huldigungen, auch eine große Offenheit dafür, aber das hier wird selbst ihm fast zu viel.

Söder, beiger Trachtenjanker, blaue Krawatte, geht vor seiner Rede noch auf die Toilette, das ist relevant. Vor dem Toilettenwagen kramt er so lange in seiner Hosentasche, bis auch der letzte Beobachter mitbekommt, dass der Minister der Klofrau Trinkgeld gibt. Schon hat man einiges über das Prinzip Söder gelernt: Er tut viel Gutes, wirklich. Er will aber auch gesehen werden dabei.

Das Bierzelt ist für Söder so etwas wie ein zweites Wohnzimmer, »ein Politiktempel«, wie er sagen würde. Das hat auch deshalb Bedeutung, weil das Bierzelt für viele seiner Konkurrenten in der ausgenüchterten Gegenwarts-CSU ja nur noch so was wie das Treppenhaus ist: Da müssen sie halt durch.

Die Blaskapelle prustet los, Söder marschiert ins Zelt, Servus hier, Grüß Gott da. Man sagt ja, sein Gang sei so breit wie der von Cristiano Ronaldo, das stimmt aber nicht; im Vergleich mit Söder ist dieser Ronaldo ein Pimpf, dem ein bisschen die Körperspannung fehlt. Söder, der seine knapp zwei Meter immer leicht nach vorn beugt, als könne er die Zukunft gar nicht erwarten, packt sich mit beiden Händen das Pult, er hält Reden, wie andere Leute Ringkämpfe führen.

Das Bierzelt ist eine Prüfung für jeden Politiker. Hier stellt er sich dem Volk, und entweder wird er angenommen oder abgelehnt. Es ist auch im Internet-Zeitalter immer noch der Ort, an dem in Bayern die politische Wahrheit liegt. Wenn Edmund Stoiber, der ehemalige Ministerpräsident, über Markus Söder schwärmt, der Ziehvater über den Ziehsohn, dann kommt er meistens auf das Bierzelt zu sprechen.

Die Leute, die vorn im Zelt sitzen, sagt Stoiber, das seien ja jene, die eh schon politisch interessiert sind. Die Honoratioren und die eigenen Parteifreunde – die erreiche ein ordentlicher Redner immer, die klatschen in jedem Fall. Aber das sei nicht genug, nicht für den Anspruch der CSU. »Sie müssen auch die Leute in den hinteren Reihen überzeugen können.« Die Leberkäs-Etage, die »normalen« Leute, die einfach mal reinhören wollen bei einer Maß Bier und einem halben Hendl. Reinhören, was der da vorne zu sagen hat, und dann erst entscheiden, ob sie Beifall spenden oder nicht. Stoiber sagt: »Die ebenfalls zu erreichen, das macht eine Volkspartei aus. Und das kann Markus Söder.«

In Eitensheim ist Söder vom Bundestagsabgeordneten der Region überschwänglich begrüßt worden. Nun sagt Söder: »Herzlichen Dank für die lobenden Worte. Sie waren angemessen.« Eine einzige Bierzelt-Rede verrät ziemlich viel über den Politiker Markus Söder. Zunächst mal, dass es ihm an Selbstbewusstsein keinesfalls mangelt. Und an Witz auch nicht. Bei Söder ist es sogar so: Der Witz nimmt dem Selbstbewusstsein die scharfe Kante. Das Publikum schneidet sich nicht daran.

Söder sagt: »Es ist mir eine Freude und Ehre, heute bei vernünftigen Leuten zu sein.« Eitensheim ist eine kleine Gemeinde, 3000 Einwohner. Unvernünftige Leute, so darf man Söder wohl interpretieren, sind dagegen in den Großstädten zu finden, in München, Berlin und Brüssel, und dort vor allem in den Parlamenten und Kabinetten. Auch das ist eine Botschaft, die der Politikprofi Söder gern sendet: Ich bin einer von euch. Nicht einer von denen.

Weiter im Repertoire. Maßlose Bayern-Liebe: »Der Freistaat ist das schönste und stärkste Land der Welt.« Hemmungsloser Berlin-Spott: »Wir wissen ja, dass die keine Flughäfen bauen können.« Populistische Logik: »Bayerisches Geld ist am besten in Bayern aufgehoben und nicht in Berlin.« Der Redner Söder unterhält seine Zuhörer, er schmeichelt ihnen und wiegelt sie auf. Er verlangt ihnen nichts ab. Er bedient sie nur. Und die Leute sind begeistert. Auch die hinten im Zelt.

So ein Bierzelt ist ja im Grunde nichts anderes als ein riesiger Stammtisch, hier verbinden sich der alkoholische und der politische Rausch. Das Bierzelt reduziert automatisch die Komplexität, hier gibt es nur schwarz oder weiß, falsch oder richtig. Diese Bereitschaft zur Vereinfachung, die muss man erst mal haben. Söder hat sie: »In Bayern gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia!« Er klingt, als stünden die ersten öffentlichen Steinigungen hier auf dem Eitensheimer Festplatz unmittelbar bevor.

Zwischendrin macht Söder Sachen, die deutsche Politiker kaum machen. Er redet über seinen Vater, den fleißigen Maurermeister Max Söder, und über seine Kindheit in der nicht gerade glamourösen Nürnberger Weststadt. Söder erzählt eine beinahe amerikanische Aufstiegsgeschichte. Das Private wird politisch: »Sparen muss sich wieder lohnen«, sagt er, das ist ein Leitsatz, den sein Vater unterschrieben hätte.

Und wenn man genau aufpasst, hört man sogar heraus, was diesen Söder so antreibt. »Ich habe meinen Doktor gemacht«, sagte er. Pause. »Und bis heute behalten.« Der CSU-Mann, der seinen Doktor verloren hat, Karl-Theodor zu Guttenberg, ist während einiger Jahre Söders ärgster Rivale gewesen. Vielleicht, weil er mit einer Weltläufigkeit gesegnet ist, die Söder erst inszenieren muss. Söder ist ein Freund des Wettbewerbs, er braucht immer einen Gegner, und den hatte er in Guttenberg. Jetzt ist er weg. Aber in Söders Reden ist er noch da.

In einem Moment verdichtet sich im Bierzelt von Eitensheim alles, was den Politiker Markus Söder ausmacht. Kurz nachdem er auf der Bühne seine Rede begonnen hat, kommt ein netter älterer Herr vom SV Eitensheim und bringt ihm ein Kaltgetränk. Hier kurze Unterbrechung, denn wenn man diesen Söder länger begleitet, weiß man: Er trinkt keinen Alkohol, fast keinen. Er trinkt Wasser, bevorzugt still, oder vielleicht mal Cola, gerne light. Er trinkt Wasser und Cola nicht etwa, weil er muss, sondern weil er mag. Wenn seine Mitarbeiter bei einer Veranstaltung gefragt werden, was ihr Chef trinken will, sagen sie: Wasser.

Der Kellner stellt nun ein Wasser aufs Pult. Söder hält inne, drei Sekunden, vier, er starrt den Kellner an, dann das Wasser, er lächelt wie ein Räuberhauptmann im Spessart, der nächtens die Kutsche nahen hört. Er ruft: »Habt ihr nicht was Anständiges zu trinken?« Das Publikum, das sein eigenes Bekenntnis zum Alkohol schon längst abgelegt hat, johlt vor Begeisterung. Ein besonderer Bekenner sagt später: »Stell’n de Deppn eam a Wasser hi!« Söder kriegt dann eine Mass Bier, er prostet ins Zelt, das er mit einem Schlag erobert hat. Er führt die Mass Richtung Mund, vielleicht befeuchtet er sogar die Lippen mit Schaum. Dann stellt er die Mass wieder hin und rührt sie nicht mehr an.

Es ist eine Demonstration. Eine Demonstration von Schamlosigkeit, und eine Demonstration von Cleverness. Es gibt in der Politik ja eigentlich diese Regel, eine Übung in Demut: Das Amt kommt zum Mann. Markus Söder sagt mit jedem Atemzug: Bitte keine Mühe, ich bin schon unterwegs.

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Einleitung

Schamlos und clever

Anruf bei Renate Blank. Ein paar Fragen zu Markus Söder? »Nein«, sagt sie höflich, aber mit schneidender Stimme. »Ganz sicher nicht.« Kein Treffen, nicht einmal ein Telefongespräch, überhaupt kein Wort mehr. »Meine Lebenszeit ist zu kostbar, als dass ich auch nur noch eine Minute an den verschwende.« Renate Blank reichen aber auch wenige Sekunden, um in ein paar Halbsätzen alles zu sagen. »Egomane«, »hat sich nicht im Griff«, »machtgierig«, »denkt nur an sich«. Selbst als Renate Blank einen Atemzug lang schweigt, hört man Verachtung. »Fragen Sie doch den Beckstein, warum er so blöd war, den Söder zu unterstützen.« Dann ist das Gespräch vorbei.

Markus Söder ist ein Mann mit vielen Feinden. Die ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Renate Blank, die wie Söder aus Nürnberg kommt, ist kein Einzelfall. Blank und Söder haben sich jahrelang ignoriert und bekämpft, offen und verdeckt. Nun ist Renate Blank im politischen Ruhestand und Markus Söder bayerischer Ministerpräsident.

Markus Söder ist schamlos, und er ist clever, er ist schamlos clever. Diese furchterregende Kombination hat ihn weit gebracht, Söder kennt man in Herne und in Husum, auch wenn man ihn nicht unbedingt mag. Er war schon als kleiner Landesminister eine große Provokation, er hat Feinde fast mit Lust gesammelt. Jetzt ist er endgültig ein neuer Hauptdarsteller im bayerischen Welttheater, das in ganz Deutschland die Zuschauer fesselt.

Söder. Mit wem man auch redet, der Name provoziert. Er provoziert Abscheu und Bewunderung. Für die einen ist er ein eiskalter Machtmensch und ein heißblütiger Populist – die Verkörperung all dessen, was ihnen nicht geheuer ist an der Politik. Für die anderen ist er ein leidenschaftlicher Konservativer, der sich nicht hat glatt feilen lassen von den Gesetzen der politischen Korrektheit, einer, der aufweckt, statt einzuschläfern – die Verkörperung all dessen, was Politik für sie ausmacht.

Auf jeden Fall verkörpert Söder die CSU, deren Faszination sich von jeher auf aufreizende Selbstgewissheit und unverhohlene Rauflust gründet. Er verkörpert sie mit Haut und Haar, gerade ihren bayerischen Exzeptionalismus. Er ist Kind und Produkt dieser Partei, er hat ihre Geschichte eingesogen und angenommen. Wie sie ist Söder zugleich selbstgewiss und nervös, stolz und verletzlich. Die CSU schaut vom Gipfel der absoluten Mehrheit auf die Welt, aber sie weiß auch, dass der kleinste Fehltritt den Absturz bedeuten kann.

In gewisser Weise rückt Söder die CSU sogar ins Extreme, er merkelt nicht lange umeinander, er will sich einen Wahlsieg nicht mühsam von Demoskopen herbeikonstruieren lassen. Er bemüht sich gar nicht erst um rote oder grüne Wähler. Er will schlicht: die bürgerlich-konservative Mehrheit. Er steht für die CSU, die ihre Anhänger von Herzen lieben; er steht für die CSU, die ihre Gegner von Herzen hassen.

Er hat ja sogar seine eigene Partei gespalten, in einem episch langen Machtkampf mit Horst Seehofer, der selbst vor dem Hintergrund der CSU-Geschichte als hässlich gelten muss. Noch vor wenigen Monaten haben viele Christsoziale gewarnt, dem Polarisierer Söder dürfe man die CSU nicht anvertrauen, er würde sie zerreißen. Diese Leute können jetzt nur hoffen, dass sie sich gründlich getäuscht haben.

Die Christlich-Soziale Union ist eine Partei mit Hang zur Anarchie, aber sie kann die Reihen hinter ihrem Anführer auch schließen wie keine andere. Nachdem im Dezember 2017 feststand, dass Söder Ministerpräsident werden würde, machte sie die Schotten dicht. Wir haben das bei der Recherche für dieses Buch gemerkt – und waren froh, dass wir schon mehr als zwei Jahre zuvor begonnen hatten, uns mit Markus Söder zu beschäftigen. Söder-Skeptiker sprachen plötzlich nicht mehr, aus Parteiräson oder aus einer Sorge, die sie nicht näher bestimmen wollten. Es meldeten sich alte Gesprächspartner, um uns wortreich zu erklären, dass sie den Markus nun doch nicht mehr so kritisch sähen wie noch vor einem halben Jahr. Oder dass man sie damals einfach nur komplett falsch verstanden habe. So schlimm sei er nämlich gar nicht, der Markus.

Markus Söder hat diese Biografie nicht autorisiert und vor ihrem Erscheinen auch nicht gelesen. Er stand uns aber für mehrere lange Gespräche zur Verfügung, bei denen er seine Sicht der Dinge darstellen und zu etwaigen Vorwürfen Stellung nehmen konnte. Für den Bildteil dieses Buches hat er zudem einige Privatfotos zur Verfügung gestellt.

Und mit Bildern muss man sich befassen, wenn man Söder verstehen will. Denn er macht mit Bildern Politik, er wirft mit ihnen um sich in den sozialen Netzwerken. Söder mit großem Hund, Söder mit kleinem Hund, aber auch Söder mit ernstem Gesicht und einem Statement zur Flüchtlingspolitik. Schon bei der Jungen Union in Nürnberg hat er gelernt, dass er mit einem netten Foto mehr Menschen erreicht als mit einer langen Pressemitteilung. Söder hat Facebook-Politik gemacht, als es Facebook noch gar nicht gab. Er ist ganz alte Schule, nur halt bei Instagram. Man fragt sich ständig, ob mit ihm eine politische Traditionslinie endet – oder ob eine beginnt.

Altmodisch ist sein unbändiger Fleiß. Er betreibt an 365 Tagen im Jahr Politik, von morgens halb sechs bis Mitternacht. Den »Immer-da-Söder« nannten sie ihn schon in JU-Tagen, er war immer da, selbst bei der kleinsten Veranstaltung – wenn sie seinem Fortkommen diente. In Nürnberg erzählen sie diese Geschichte: Der junge Wahlkämpfer Söder rief bei einem Kleingartenverein an, er habe da von einem Grillfest gehört. Ob er da nicht das Fass anstechen könne? Die Kleingärtner meinten, das sei ein nettes Angebot, aber man habe beim Grillfest kein Fass. Söder sagte, er werde das Fass mitbringen.

Söder hat sich seiner Partei und dem Land regelrecht aufgezwungen. Mit 16 Jahren trat er in die CSU ein, über seinem Bett hing ein Strauß-Plakat. Mit 27 Jahren zog er als damals jüngster Abgeordneter in den Bayerischen Landtag ein. Mit 36 wurde er Generalsekretär, mit 40 Landesminister, erst für Europa und den Bund, dann für Umwelt und Gesundheit, schließlich für Finanzen und Heimat. Und mit 51 Jahren ist er am Ziel, Ministerpräsident, der jüngste in Bayern.

Söder hat zwar nie – wie der Sozialdemokrat Gerhard Schröder am Zaun des Kanzleramtes – am Tor der Bayerischen Staatskanzlei gerüttelt und gebrüllt: »Ich will da rein.« Aber im Grunde war seine ganze Karriere ein einziges Rütteln und Brüllen. Er ist fast immer gegen das Establishment der CSU aufgestiegen, das war schon bei der Jungen Union in Nürnberg so, da gab Söder den Rebellen in Cowboystiefeln. Er ist bis heute ein Politiker, der den Konflikt sucht und Gegner braucht. Und er hat die Entschlossenheit und die Robustheit, sich am Ende durchzusetzen. Man wird eines Tages dem Politikrentner Söder kaum nachsagen können, dass er an dieser oder jener Wegscheide zu weich war.

»Blöd, blöder, Söder«, spotten die Verbitterten. Aber gar so blöd kann er ja nicht sein angesichts dieser Laufbahn. »Er hat den Schuss Brutalität, der es leichter macht«, sagt ein erfahrener CSU-Mann über Söder. Er hat aber auch enormes politisches Geschick. Er hat immer und überall seine Netze geknüpft und Hausmachten gebildet, Alliierte für sich gewonnen und Abhängigkeiten geschaffen. Er hat sich in alle seine Ämter schnell eingearbeitet, sich bei den relevanten Themen sattelfest gemacht und sich bei der täglichen Arbeit kaum eine Blöße gegeben. Er kann gut reden, und er hat in all den Jahren weiter an sich gearbeitet. Er hat sich etwa Charme angeeignet, der ihm nicht in die Wiege gelegt war.

Markus Söder erkennt und bedient die Bedürfnisse der Wähler oft früher als andere – Bedürfnisse, aber auch Ressentiments. Er hat die Gabe, seine Standpunkte in einprägsamen Formeln zu verdichten. Er schaut stets auf den eigenen Nutzen, aber er bemüht sich um einen Kollateralnutzen fürs ganze Land. Er ist schmerzfrei, wenn es um billige PR geht und um krasse inhaltliche Vereinfachung, was gewiss keine Tugend ist, aber in der politischen Debatte ein Vorteil. Er differenziert selbst da kaum, wo Differenzierung dringend nötig wäre, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik.

Markus Söder ist hochintelligent, aber kein Intellektueller. Er spricht konsequent die sogenannten kleinen Leute an und schert sich um die großen einfach nicht. Er macht Politik für jene und nur für jene, die ihn wählen. Er macht Beute für Bayern und für niemanden sonst. So ist er der Unverhinderbare geworden in der CSU. Nicht einmal der vergleichbar wehrhafte Seehofer hat ihn aufhalten können, obwohl er es jahrelang fieberhaft versucht hat. Markus Söder hat die Macht bekommen, weil er sie mehr wollte als jeder seiner Konkurrenten.

Söder ist nicht wirklich beliebt, er ist eher geachtet und bisweilen gefürchtet. Er befriedigt die Sehnsucht der CSU nach einem, der auch dann stehen bleibt, wenn es scharfen Gegenwind gibt. Der berechenbar ist, wenn auch auf seine ganz eigene Art. Wie hat das ein niederbayerischer Delegierter kurz vor Weihnachten 2017 auf Söders Nürnberger Krönungsparteitag gesagt? Söder bekomme seine Stimme, »weil es endlich aufhören muss, dass wir am Abend bei CSU-Versammlungen im Wirtshaus den Leuten unsere Positionen mühsam erklären, und am nächsten Morgen hören sie im Radio, dass wieder alles anders ist, weil Seehofer es sich wieder anders überlegt hat«.

Horst Seehofer ist noch da, als Bundesinnenminister in Berlin, aber Markus Söder ist das neue Gesicht der CSU. In Talkshows ist er das schon lange, er wird dort für seinen »konservativen Klartext« eingeladen, so nennt das ein Talkshow-Redakteur. Nicht zuletzt seine Fernsehpräsenz hat es Söder erlaubt, in eine Lücke im konservativen Lager vorzustoßen, die Roland Koch und Friedrich Merz hinterlassen hatten, als sie sich von Angela Merkel aus dem Spiel drängen ließen. Söder, sagen Weggefährten, wolle nicht unbedingt Kanzler werden. Aber er wäre schon sehr gern der große Konservative in Deutschland.

Nur, wie konservativ ist er eigentlich? Wenn man seine Positionen zu einem Weltbild zusammennagelt, hat man am Ende ein schiefes Gebilde. Söder war auch schon einmal der grüne Schwarze, der Eisbären rettete und nach langen Jahren als Kernkraft-Cheerleader plötzlich befand, dass Fukushima alles ändere. Praktisch über Nacht ließ er 2011 den Atommeiler Isar I abschalten. Wieder etwas später war vom Öko-Markus nicht mehr viel übrig, im Landtagswahlkampf 2018 wird der Hauptvorwurf der Opposition wohl sein, dass der ehemalige Heimatminister Söder die Heimat mit Gewerbegebieten zubetoniere. In Sachen sexueller Toleranz wiederum ist der vierfache Vater für CSU-Verhältnisse fast ein Freigeist: »Ich finde, jeder sollte sein Leben leben dürfen.«

Seine Anhänger halten das für pragmatisch, seine Gegner für opportunistisch. Im Zweifel hat, wie immer bei Söder, der Gottvater Strauß das Wort: »Man muss die Grundsätze so hoch hängen, dass man bequem unten durchkann.« Auf keinen Fall ist Söder bisher als Visionär aufgefallen, der tiefe Gedanken wälzt, wie man die Welt besser machen könnte. Für Söder ist Politik zuvorderst Management. Ein Problem? Her mit den Lösungsvorschlägen, entscheiden, durchziehen. So hat er das von Edmund Stoiber gelernt, der ihn einst zum CSU-Generalsekretär machte und dann zu seinem politischen Ziehsohn.

Als Generalsekretär war Söder ein Spaß- und Brachialpolitiker, seit mehr als einem Jahrzehnt schult er um auf Staatsmann. Es ist ein quälend langer Prozess, anderseits hat sich Söder immer behände seinen Ämtern angepasst. Um nicht zu sagen: sich ganz neu erfunden. »Der Markus lässt sich gerade wieder einen neuen Anzug schneidern«, sagt einer aus der CSU, der selbst schon höchste Ämter innehatte. »Er wird bald als Landesvater auf die Bühne spazieren.« Die Verwandlung hat schon begonnen.

Die Opposition hält den Ministerpräsidenten Söder für ein Geschenk. »Söder verhindern«, damit hat der Wahlkampf der in Bayern oft irrlichternden Roten und Grünen plötzlich eine klare Richtung. Es sollte aber auch keiner glauben, dass es das Bedürfnis nach klarer, kraftvoller Führung nur unter CSU-Mitgliedern gibt.

Fakt ist: Die absolute Mehrheit, der Fetisch der CSU, war in den Umfragen selten zuvor so weit weg wie in dem Moment, in dem Söder als Spitzenkandidat antritt. Er hat viel zu tun. Rechts außen muss er die AfD einfangen und zugleich in der CSU die misstrauischen Liberalen von sich überzeugen. Der Spagat zwischen den Milieus war schon immer die Pflichtübung dieser Partei, Söder muss Grenzzaunfans und Flüchtlingshelfer unter ein Dach bringen. Er muss die CSU einen und wiederbeleben, diesen vom Machtkampf zwischen ihm und Seehofer zerstrittenen und erschöpften schwarzen Haufen. Und wenn er die absolute Mehrheit verpasst, muss er in einer Koalition regieren.

Viele trauen das einem Mann nicht zu, der sich nicht gerade aufdrängt, wenn ein Sachverständiger für Integration und Ausgleich gesucht wird. Einem Mann, der sich lange nur um sich selbst drehte und das Wort »Kompromiss« erst spät und widerwillig lernte. Über dessen persönliche Abgründe viel geraunt wird in der CSU und der bayerischen Verwaltung, etwa über die unangemessene Art, wie er Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behandelt haben soll.

Aber die CSU hat nun mal ein sehr pragmatisches Verhältnis zu den persönlichen Defiziten ihrer Anführer. Sie honoriert Stärke, und manchmal verwechselt sie Stärke auch mit Härte. Söder ist jemand, dem man viel zutraut. Quasi alles, und das finden manche unheimlich. Was wird die Würde des Amtes machen mit diesem Mann? Und was dieser Mann mit der Würde des Amtes?

Söder ist Fan des 1. FC Nürnberg, aber er vergleicht die CSU gerne mit dem FC Bayern München. Auch der sei zum Siegen verdammt, Platz zwei ist da kein Betriebsunfall, sondern ein Scheitern. Und mit den Anführern der CSU ist es wie mit den Trainern beim FC Bayern: Wenn sie nicht liefern, fliegen sie. Und zwar schnell.

Die CSU ist eine bayerische Dynastie, ihr Erbe ist die Macht. Sie vertraut sich stets dem Anführer an, dem sie die Sicherung dieser Macht zutraut. Das ist jetzt Söder. Zumindest bis zur Landtagswahl im Herbst.

Der Freistaat Bayern wird seit dem 16. März 2018 geführt von einem Mann mit fulminanten Stärken und verstörenden Schwächen. Wenn man über den Erfolgsweg des Markus Söder nachdenkt, denkt man auch über die CSU nach und über Bayern. Und fast automatisch am Ende über die Frage, ob das alles dem großen Ego Söders nicht doch irgendwann zu klein werden könnte.

»Ich bin der Markus, und da bin ich daheim«, das sagt er gern auf bayerischem Boden. Aber wenn er eines fernen Tages doch nach Berlin gerufen werden sollte von der ganzen Union? Oder wenn er sich irgendwann selbst berufen fühlt wie vor ihm Strauß und Stoiber? Er wird den verehrten CSU-Ahnen viel nachmachen wollen, nur eines eher nicht: eine Kanzlerwahl verlieren.

Aber das ist alles weit weg und Spekulation. Um zu ermessen, wie weit dieser Mann noch kommen kann, muss man erst einmal verstehen, wie er überhaupt so weit kommen konnte.

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I. Teil

Lehrjahre eines politisch Halbstarken

1. Der Cowboy aus dem braven Westen

Eine Aufstiegserzählung

Nach und nach trudeln sie ein, die meisten huschen erst im letzten Moment in den Bernhardsaal. In den ungemütlichen Ecken von Nürnberg hält man sich nicht länger auf als nötig. Muggenhof ist ein einfaches Viertel, manche sagen auch: eines zum Durchfahren. Der Bernhardsaal, der hübscher klingt, als er aussieht, liegt in einem Hinterhof, in dem sich der Lärm der vierspurigen Fürther Straße fängt. An ihr entlang reihten sich einst die großen Namen des deutschen Wirtschaftswunders wie Perlen an einer Schnur: AEG, Quelle, Triumph-Adler, die Mopedwerke von Zündapp und Hercules.

Jahrzehntelang war Nürnberg ein industrielles Zentrum Süddeutschlands, und im Südwesten der Halbmillionenstadt stand eine Fabrik neben der anderen. Und mitten rein nach Muggenhof setzten Zisterzienser-Mönche in den Fünfzigerjahren den Bernhardsaal, einen schmucklosen, eingeschossigen Zweckbau mit Flachdach, für die katholische Jugendarbeit in der Pfarrei Zum Heiligen Schutzengel. Mit einer großen Fensterfront seitlich und einem mächtigen Kruzifix vorne an der Wand. Das ist der Ort, an dem eine streitbare, aber unbestreitbar große politische Karriere beginnt.

Es ist der 12. Oktober 1993, ein Dienstag. Die 77 Männer und Frauen, die sich an jenem Abend im Bernhardsaal versammeln, ahnen nicht, dass man sich einmal ihrer Zusammenkunft erinnern wird. Als Delegierte ihrer CSU-Ortsverbände sollen sie den Direktkandidaten der Partei für die Landtagswahl 1994 im Stimmkreis Nürnberg-West nominieren. Der bisherige Amtsinhaber Heinz Leschanowsky ist im Alter von 59 Jahren gestorben. Nun stehen drei Bewerbernamen für seine Nachfolge auf den Stimmzetteln: Karin Goller, 50 Jahre alt und aktiv in der Frauen-Union. Ihr wird nicht der Hauch einer Chance eingeräumt. Ganz im Gegensatz zu Franz Gebhardt, ebenfalls 50 Jahre alt, seit 15 Jahren Mitglied des Nürnberger Stadtrates und ein profilierter Kommunalpolitiker. Gebhardt ist der klare Favorit, er weiß das ganze Nürnberger CSU-Establishment hinter sich. Und dann ist da noch ein weiterer Außenseiter: Markus Söder, 27 Jahre alt, Fernsehjournalist. Er hat in der Jungen Union, der CSU-Nachwuchsorganisation, schon für einigen Wirbel gesorgt. Er gilt als ehrgeizig und fleißig, aber auch als etwas unangenehm.

Ein forscher Typ, dieser junge Söder. Ein paar Jahre zuvor, im Frühjahr 1986, hatte die Nürnberger »Abendzeitung« Abiturienten gefragt, was sie denn anfangen wollen mit ihrem Leben. Sechs junge Leute kamen zu Wort. Fünf davon sagten, was man von Menschen um die 20 erwartet. Dass sie erst einmal reisen oder jobben wollen, dass sie hoffen, einen Studienplatz oder eine Lehrstelle zu bekommen.

Nur einer fällt aus dem Rahmen. Denn er redet nicht nur von sich, sondern gleich vom großen Ganzen. Als fühle er sich irgendwie dafür zuständig. Es ist ein Teenager, für den beides untrennbar zusammengehört, der eigene Lebenslauf und der Lauf der Welt. Also diktiert der Abiturient »Markus Söder, 19 Jahre« der Reporterin in den Block: »Zuerst einmal ruft die Bundeswehr. Anschließend werde ich Jura und Geschichte studieren. Mein Berufswunsch ist es, Staatsanwalt oder Angestellter der NATO zu werden. Ich bin der Meinung, dass aufgrund unseres Gesellschaftssystems das Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen ist. Man muss nur genügend Engagement für seinen Beruf mitbringen.«

Da spricht einer, der es gar nicht erwarten kann, hineinzuwachsen ins System. 1986 ist das Jahr des Reaktorunglücks in Tschernobyl, europaweit fürchten die Menschen die nukleare Katastrophe. Bei Wackersdorf, nur 100 Kilometer von Nürnberg entfernt, protestieren gleich zweimal binnen weniger Monate mehr als 100000 Menschen gegen die geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage. Zeitweise kommt es an fast jedem Wochenende zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen meist jungen Kernkraftgegnern und der Polizei. Ökologie und Frieden sind die großen Themen, Friedensdemos sind Massenevents.

All das markiert den Mainstream unter politisch interessierten Jugendlichen Mitte der Achtzigerjahre. Wer sich politisch engagiert, tut das eher links. Jedenfalls definitiv links von der NATO und der bayerischen Justiz, wo Markus Söder seine Zukunft sieht, der Abiturient vom Albrecht-Dürer-Gymnasium in Nürnberg. Acht Jahre später wird der Journalist Jan Engelhardt im linksalternativen Nürnberger Stadtmagazin »Plärrer« im ersten nennenswerten Söder-Porträt bei dem Jungpolitiker »einen Hang zur Biederkeit« feststellen und von ihm Argumente hören »wie von einem Siebzigjährigen, dem nach einem entbehrungsreichen Leben die Welt gedanklich mehr und mehr aus dem Ruder läuft«.

Baustellen

Markus Thomas Theodor Söder wird am 5. Januar 1967 in Nürnberg geboren. Als Sohn von Max, Jahrgang 1930, und seiner acht Jahre jüngeren Frau Renate Söder. Die Familie lebt im Stadtteil Sündersbühl unweit der Stadtgrenze zu Fürth in einer Doppelhaushälfte, die sie gekauft und erweitert hat. Für Max Söder kein Problem, schließlich ist er vom Fach. Dem Maurermeister gehört eine kleine Baufirma in der Adam-Klein-Straße im Nachbarviertel Gostenhof. Fünf bis zehn Arbeiter beschäftigt er, je nach Auftragslage, und ist spezialisiert auf Abbruch- und Renovierungsarbeiten. Nach Sündersbühl war die Familie aus der Nürnberger Südstadt gezogen, nachdem Heike geboren und die vorherige Wohnung zu klein geworden war. Heike Söder, das ist Markus’ jüngere Schwester.

 

Das Wohngebiet, in dem die Söders nun leben, ist damals ein Kleine-Leute-Viertel. Kleine Leute allerdings, die es schon zu etwas gebracht haben und darauf stolz sind. Sie haben es nicht ganz nach oben geschafft, aber sie sind die soziale Leiter doch ein, zwei Sprossen hochgestiegen. Sie müssen nicht mehr zur Miete leben, sie haben ihr eigenes Häuschen, das sich die meisten von ihnen vom Mund abgespart haben.

Das ist das Milieu, das den Politiker Markus Söder sein Leben lang prägen wird. Das er auch dann weder vergisst noch abschüttelt, als er längst in Dienstlimousinen chauffiert und von Leibwächtern begleitet wird. Als er mit einer reichen Frau aus bestem Nürnberger Industrieadel in einem großen, schönen Haus lebt, im Osten der Stadt, in einem der sprichwörtlich besseren Viertel. Der Politiker Markus Söder macht nicht viel Aufheben um seinen sozialen Aufstieg, er protzt nicht, nicht mit Kleidung, nicht mit teuren Hobbys, nicht mit fetten Autos.

Es heißt, er gehe akribisch mit Abrechnungsbelegen um, trenne selbst bei kleinsten Beträgen penibel zwischen Ausgaben für Privates, Ministeramt und Partei. Er zahle im Zweifel lieber etwas aus eigener Tasche, als sich angreifbar zu machen. Nichts würde er sich weniger verzeihen, als über so einen Fehler zu stolpern. Und er leidet auch nicht erkennbar daran, dass die feine Gesellschaft der vormaligen Reichs- und Kaiserstadt Nürnberg lange mit ihm fremdelt. Die Arrivierten sehen in ihm den Emporkömmling und Straßenkämpfer. Aber um materiellen und sozialen Aufstieg geht es Markus Söder nicht, das ist für ihn nur ein angenehmer Nebeneffekt. Es geht ihm immer um Macht.

Dazu gehört auch die Macht über seine eigene Geschichte. Die Geschichte, die der Politiker Söder mit viel erzählerischer Freiheit Stück für Stück zusammenpuzzelt, ist die vom wundersamen Aufstieg eines Maurersohns aus Nürnberg-West. Wenn man ein wenig Zeit mit ihm verbringt, hört man von ihm vermutlich den Satz: »Der kleine Markus aus der Westvorstadt, und jetzt sitze ich hier als Finanzminister.« Mittlerweile kann man »Finanzminister« streichen und »Ministerpräsident« einfügen. »Dafür bin ich dankbar«, sagt Söder. »Das war nicht vorgesehen.« Seinen Weg in die Münchner Staatskanzlei will er besonders gewürdigt sehen, weil er im biederen Sündersbühl begann: »Hier kriegt man nichts geschenkt. Hier gibt es keinen billigen Schnaps.«

Söder tut im Wahlkampfjahr 2018 alles, um seine Version seiner Geschichte unter die Leute zu bringen. Er will sein Image als Machtmensch und Urheber von »Schmutzeleien« korrigieren, deshalb erlaubt er mehr private Einblicke als die meisten anderen deutschen Politiker. Seine Kinder hält er zwar strikt vor der Öffentlichkeit verborgen, aber er spricht über seine Eltern und seine Frau, seinen Glauben und seinen Hund. Selbst in der CSU schütteln da viele den Kopf, »infantil« sei das, er solle sich »auf Sachthemen konzentrieren«. Doch Söder hat sich sogar ein eigenes Veranstaltungsformat für seine selbstbezüglichen Plaudereien ausgedacht, »Söder persönlich«. Die CSU lädt dazu in Kinosäle zu Popcorn und Cola. Schon auf dem Plakat wird Söder inszeniert wie ein Hollywoodstar. Und der Abend folgt dann natürlich einem sehr genauen Drehbuch. Umso interessanter ist es, Söders Geschichte mal sehr nüchtern zu erzählen.

 

Mit Politik hat man im Hause Söder in der Manteuffelstraße wenig am Hut. Sich engagieren und einmischen bringe nur Ärger, predigt der Großvater, ein Autohändler. Geradezu demonstrativ unpolitisch ist die Familie. Es wird nicht groß debattiert, dennoch ist völlig klar, dass ein Söder niemals Sozialdemokrat oder – Gott bewahre – Kommunist sein könnte. Markus Söder erzählt die Geschichte, wie er als Bub vom Spielen einen roten Aufkleber heimbrachte, »Willy wählen« stand darauf, es lief der Bundestagswahlkampf 1972. Sein Vater, sagt Söder, habe ihn so richtig ins Gebet genommen: »Seitdem weiß ich: SPD bedeutet Ärger.« Max Söder ist überzeugter CSU-Wähler, Ehefrau Renate ist sogar Mitglied der Partei, wenn auch rein passiv. Sie wird den Aufstieg ihres Sohnes bis zu ihrem frühen Tod mit mehr Euphorie und Stolz begleiten als der Vater.

Wenn Markus Söder seine Kindheit und Jugend schildert, dann überzieht er die kleinbürgerliche Welt mit weichen Farben. »Ich wuchs sehr behütet auf«, sagt er. Seine Mutter sei eine fürsorgliche und liebevolle Frau gewesen. Der Vater habe ihm immerhin seine ersten »Fix und Foxi«-Comics geschenkt und ihn die ersten beiden Male ins Fußballstadion »zum Club« mitgenommen, zum 1. FC Nürnberg. Beides, Fan von Comics und vom 1. FC Nürnberg, ist Söder bis heute. Beim »Club« saß er sogar einige Jahre im Aufsichtsrat. Seinen Vater, sagt er, habe er aber »eigentlich immer arbeitend erlebt«.

Wer Söders Erzählungen mit den Erinnerungen alter Bekannter, Freunde und Nachbarn abgleicht, erhält ein vielschichtiges, härteres Bild vom Leben im Hause Söder. Dort sind demnach die Rollen klar verteilt, wie bei vielen deutschen Kleinfamilien in den Siebzigerjahren. Gesellschaftliche Umwälzungen machen vor der Haustür halt. Die Studentenbewegung und die Hippies, überhaupt die neue gesellschaftliche Liberalität, sind auch gedanklich weit, sehr weit weg von Nürnberg-Sündersbühl. Renate Söder, eine gelernte Bankkauffrau, kümmert sich um die Familie und den Haushalt. Max Söder verlässt frühmorgens nach Kaffee und der Lektüre der Lokalzeitung das Heim in Richtung Betrieb oder Baustelle. Abends kommt er selten vor 19 Uhr nach Hause.

Der Vater ist der Patriarch. »Chef« soll ihn die Mutter sogar genannt haben, wenn er nicht dabei war und sie vor den Kindern über ihn sprach. Es heißt, Max Söder wäre am liebsten Lateinlehrer geworden. Er war selbst Schüler am Dürer-Gymnasium wie später sein Sohn, doch auf ihn warteten – wie auf viele junge Menschen seiner Zeit – unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg andere Aufgaben. Nürnberg war zerbombt, was reichlich Aufbauarbeit für den elterlichen Maurerbetrieb bedeutete. Also stieg Max Söder nach der Schule in das Geschäft ein und übernahm es später.

»Markus stammt nicht aus so kleinen Verhältnissen, wie er immer behauptet«, sagt einer, der ihn lange kennt. Der Familienbetrieb sei im Wirtschaftswunder ziemlich gut gelaufen. Nürnbergern sagt man nach, ihre Pelzkragen in protestantischer Bescheidenheit nach innen zu tragen, um nur ja nicht zu zeigen, wie gut es ihnen geht. Auch die Söders führen ihren Wohlstand nicht vor. Unter der Woche wird gearbeitet, und am Sonntag geht es hinaus ins Umland. Zum Spazierengehen in die Wälder bei Heroldsberg und zum Abendessen im Gasthof »Rotes Ross«, bevorzugt fränkischen Sauerbraten oder Stadtwurst. Oder zu Verwandten nach Wilhermsdorf im heutigen Landkreis Fürth. Und einmal im Jahr steht Familienurlaub an, in Aschau im Chiemgau und selbstverständlich immer im selben Hotel.

Markus Söder erzählt viel und gerne davon, wie es so mit 16, 17 Jahren bei ihm zuging – über seine Kindheit erzählt er fast nichts. Auch Jugendfreunde und Bekannte der Familie wissen kaum etwas – oder geben sich verschlossen. Manche sagen, der kleine Markus sei ein Einzelgänger gewesen, ein Außenseiter gar, pummelig, unsicher, mit nur wenigen Freunden, verhätschelt von der gütigen Mutter und streng angefasst vom rauen Vater. Viele Jahre später wird »Die Zeit« frühere Nachbarn zitieren, der kleine Markus sei als ganz kleiner Junge schon auffallend zappelig gewesen, habe sich nie dreckig gemacht, selten mit anderen Kindern gespielt und sich überhaupt um Spielkameraden bemühen müssen.

Ein Rätsel ist bis heute das Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester Heike. Lange schon ist sie aus Nürnberg fortgezogen und lebt heute mehrere Hundert Kilometer entfernt. Selbst bei gründlicher Recherche findet man kein Foto der Geschwister, nicht einmal einen Schnappschuss, kein Bild, auf dem beispielsweise die stolze Schwester mit dem erfolgreichen Bruder einen Wahlsieg feiert. Nichts deutet darauf hin, dass sie Anteil nahm oder nimmt an seiner Karriere.

Umgekehrt wird Markus Söder – der gern redet und am liebsten über sich selbst – einsilbig, wenn er auf seine Schwester angesprochen wird. Sie habe mit seiner politischen Arbeit nichts zu tun, wolle Privatperson bleiben, und das solle man respektieren. Jede Nachfrage, jeden Versuch einer gesprächsweisen oder tatsächlichen Annäherung an die Schwester blockt er kategorisch ab. Es gibt alte politische Freunde, die sich nicht daran erinnern, Heike Söder jemals gesprochen zu haben. Andere versichern, sie wüssten nicht, was aus ihr geworden sei. »Er tut manchmal so, als gäbe es Heike gar nicht«, sagt einer.

Weit komplizierter noch als das Verhältnis unter Geschwistern ist bekanntlich jenes zwischen Vätern und Söhnen. Psychologen kennen unzählige Beispiele bedeutender Männer, die als Kinder unter ihren dominanten Vätern litten oder ehrfurchtsvoll zu ihnen aufblickten. Für sie waren die Väter Hassobjekte oder Helden, gegen die sie aufbegehrten oder denen sie es einfach beweisen wollten. Oft mussten diese Söhne hart um die Anerkennung der Alten ringen und litten darunter, dass genug in ihrem Fall nicht genug war, und gut nie gut genug. Es geht da auch um verletzten Stolz, um wechselseitig unerfüllte Erwartungen. Und oft tun sich gerade dominante Väter schwer damit, dass da an ihrer Seite einer heranwächst, der selbst einmal führen will. Vater-Sohn-Beziehungen sind nicht selten von Rivalität bestimmt und konfliktreich.

»Söder definiert sich nicht über seine Herkunft oder seine Familie, sondern ausschließlich aus sich selbst heraus«, sagt jemand aus Nürnberg, der ihn näher kennt. Doch auch bei Markus Söder ist in seinem Verhältnis zum Vater ein Schlüsselthema seines Lebens zu sehen, das naturgemäß in die politische Karriere abstrahlt. Und das zum Teil seinen unbändigen Ehrgeiz und Fleiß, seine Ungeduld und Umtriebigkeit erklären könnte, die ihm keine Ruhe gelassen haben, bis er zum Ministerpräsidenten aufstieg. So lassen sich auch viele Aussagen von Markus Söder selbst deuten. Er hat das Bild seines Vaters immer wieder auf Facebook oder Instagram gepostet, er hat ihn in Reden und Interviews erwähnt, ungewöhnlich oft für die Sitten der deutschen Politik, die das Private weitgehend aus dem öffentlichen Raum verbannen.

Für eine besondere Rolle des Vaters sprechen auch Söders Empfindlichkeiten. Er kann sich zwar über negative Medienberichte kolossal aufregen, aber als einer, der gern austeilt, ist er schon auch hart im Nehmen. Er muss ja praktisch pausenlos Unfreundliches über sich lesen, sehen und hören. Söder beteuert, er wandle Angriffe in positive Energie für sich um. Er wolle sich mediale Kritik wirklich nicht auf den Buckel laden, denn dann würde er irgendwann ja gebeugt durchs Leben gehen, sagt er oft. Mit einer Ausnahme.

Das »SZ-Magazin« karikierte im Januar 2005 in einem scharfen Beitrag am Beispiel des damaligen Stoiber-Adlaten Söder, »wie man in der bayerischen Staatspartei ganz nach oben kommt«. Die entsprechende »Anleitung in zehn Schritten« war satirisch und ernst zugleich, und sie enthielt eine Passage, die Söder bis heute nicht abhaken kann. Er entrüstet sich immer noch furchtbar darüber. Und es geht ihm da nicht um den boshaften Hinweis auf seine karrierefördernde Heirat mit einer Frau aus bestem Hause – geschenkt. Es geht ihm um einen Halbsatz, sechs Worte, die ihn bis heute auf die Palme treiben: »Ihr Vater nannte Sie einen Taugenichts«, stand da, auf Markus Söder gemünzt. Bodenlos, eine Unverschämtheit, unter Gürtellinie und Geschmacksgrenze, überhaupt das Übelste, was jemals über ihn verbreitet wurde, wütet Söder, wenn das Gespräch darauf kommt. Niemals habe ihn sein Vater für einen Taugenichts gehalten.

Nun gibt es aber Menschen in Nürnberg, die behaupten, der Vater habe im handwerklich unbegabten Sohn zumindest ein Weichei gesehen. Und der Sohn wiederum wolle deshalb sein ganzes Leben schon dem dominanten Vater das Gegenteil beweisen, sogar posthum noch. Max Söder ist 2002 gestorben, ein Jahr, bevor sein Sohn CSU-Generalsekretär wurde und damit vom kleinen Abgeordneten zum Spitzenpolitiker aufstieg. War der Vater womöglich der Grund dafür, dass der Junge irgendwann in der Pubertät den Ehrgeizturbo anwarf und seither Unmengen an Kraft für etwas freisetzt, das dem Vater suspekt war?

Richtig näher kommen sich Vater und Sohn wohl erst in der letzten Lebensphase von Max Söder, als er bettlägerig war. Auf einer Reha hätten er und sein Vater die ersten tiefgründigen Gespräche geführt, sagt Markus Söder. Freunde aus Junger Union und CSU, die den Halbwüchsigen besuchten und Kontakt zu seiner Familie fanden, beschreiben Max Söder als einen »toughen, handfesten Handwerker vom alten Schlag«. Was in dieser Zeit hieß: Leistung zeigen, etwas erreichen wollen, etwas Sichtbares schaffen und aus sich etwas machen – das seien Werte gewesen, die im Hause Söder ungeheuer präsent gewesen seien, erzählt einer. Der Vater ist keiner, der lachend mit den Kindern im Garten spielt oder viel mit ihnen unternimmt. Kein Kumpel-Daddy also, sondern einer dieser Väter, die, als der Fernseher noch keine Fernbedienung hat, den Söhnen vom Wohnzimmersessel aus befehlen, aufzustehen und das Programm umzuschalten. Keiner, der seine Kinder mit seinen Gefühlen wärmt. Sondern eben: der Chef.

Viele aus dem Umfeld des Sohnes sagen heute, das sei für den Jungen prägend gewesen. Vielleicht wünscht sich der Patriarch insgeheim tatsächlich, dass der Sohn ins Baugeschäft einsteigt und die Firma übernimmt. Doch in handwerklichen Dingen zeigt Stammhalter Markus weder Neigung noch Talent. Das Baugeschäft wird vom erstrebenswerten Ziel sogar zum Druckmittel degradiert, als die Schulnoten des Sohnes in der achten, neunten Klasse pubertätsbedingt schwanken. »Entweder du schaffst die Schule, oder du gehst auf den Bau«, soll der Vater gesagt haben.

»Er hat mir letztlich beruflich keine Vorgaben gemacht oder gesagt, was ich werden soll. Aber Leistung war ihm wichtig«, sagt Markus Söder. Der elterliche Betrieb war nie ernsthaft ein Thema für ihn. Er ist schnell im Kopf und nicht flink mit den Händen. Max Söder raunzte dann mehr oder weniger liebevoll, Markus könne ja mal Pfarrer werden. Oder Politiker, denn die reden ja auch dauernd. Als der Sohn älter wird, so mit 17, 18 Jahren, und das Nachfolgethema erledigt ist, darf Markus bei Familienfeiern schon mal anstelle des wortkargen Vaters kurze Ansprachen halten. Sogar bei der Trauerfeier für den verstorbenen Großvater.

Zwischen Knast und Brauerei

Abseits der Familie stolziert der junge Söder in Jeans, Cowboystiefeln und weiten Hemden durch die Nürnberger Weststadt. Fotos seines damaligen Styles hat der Politiker Söder inzwischen gewohnt freigiebig bei Instagram geteilt – gleichermaßen zu Begeisterung und Entsetzen des Publikums. Die Cowboystiefel, sagt ein alter Bekannter, habe Söder noch lange getragen, was nicht zwingend nur modische Hintergedanken gehabt haben muss: »Er hat bei der Jungen Union sicher auch Stimmen gekriegt, weil er cooler rüberkam als die anderen.«

Am Wochenende hängt Teenager Söder im »Dröhnland« ab oder im »Boot«, einem Discoschiff mit ausrangierten Kinosesseln und hölzernen Barhockern, das im Nürnberger Binnenhafen vor Anker liegt. Söder ist ein Rockabilly-Typ, der gern alte Rockmusik hört und Neue Deutsche Welle. Mit seinen knapp zwei Metern fällt er auf im »Boot«. Ein Vorteil, den Söder später auch in der Politik zu schätzen weiß: »Ich bin groß gewachsen, mit 1,94 Meter und über 100 Kilogramm erkennt man mich sofort.«

Daneben spielt er als Jugendlicher Tennis, damals der Sport der bürgerlichen Aufsteiger. Fußball soll der Mutter zu gefährlich gewesen sein, zu dreckig vielleicht und womöglich sogar zu proletarisch. Wie Schwester Heike schwingt Markus Söder den Schläger beim ATV Nürnberg, gibt zeitweise sogar Tennisstunden und bringt es immerhin bis in die vierthöchste Liga in Bayern. Natürlich wird Boris Becker einer seiner Helden, der 17-jährige Wimbledon-Sieger des Jahres 1985. Und er hat etwas für den Amerikaner Brad Gilbert übrig, der bekannt dafür ist, seine Gegner zu zermürben. Gilbert wird nach seiner Karriere ein Buch schreiben, es heißt: »Winning Ugly«, hässlich gewinnen.

Ein anderer Held ist Lothar Matthäus, der im Nachbarort Herzogenaurach geborene Mittelfeldmotor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, der auf dem Spielfeld mehr mit Willen und Strategie erreicht als mit Technik und Eleganz. Und dann ist da Michael Groß, der vielfache Weltmeister und Olympiasieger im Schwimmen, bewundernd »Albatros« genannt. Kein Idol aber ist so groß wie jenes, dessen Poster sich der Teenager Markus Söder an die Dachschräge über sein Bett hängt: Franz Josef Strauß.

Markus Söder wird später selbst zu Protokoll geben, eine Kundgebung von Franz Josef Strauß am Nürnberger Hauptmarkt sei sein persönlicher politischer Urknall gewesen. Der ihn direkt in die Politik katapultiert, aus seinem Schülerleben heraus, in dem er es nie zum Klassensprecher bringt und erst recht nicht zu einem der Schülersprecher des Dürer-Gymnasiums. Dafür ist er einfach zu unbeliebt und zu sehr politischer Außenseiter.

1833 als Gewerbeschule gegründet, liegt das Gymnasium eingebettet zwischen einer Justizvollzugsanstalt, einer Brauerei und dem Pegnitzufer. Das Sagen unter den politisierten Schülerinnen und Schülern haben zu Söders Schulzeit jene mit Palästinensertuch um den Hals, die zu Friedensdemos oder zum Protestieren nach Wackersdorf fahren oder zumindest mit den Demonstranten dort sympathisieren. Nicht selten argumentativ und intellektuell unterstützt von ihren Lehrern.

Linke Lehrer gehen Markus Söder auf die Nerven, mehr noch als seine Mitschüler. Aber er sieht in den Lehrern auch eine Herausforderung, sieht sie als altersmäßig überlegene Kontrahenten, die es in der Diskussion niederzuringen gilt. Sie zwingen ihn, präzise zu argumentieren, seine Positionen klar zu fassen und auch gegen Widerstände zu verteidigen. Gegenwind drückt ihn nicht nieder, Gegenwind richtet ihn auf. Da kämpft einer um Anerkennung, indem er seine Außenseiterrolle pflegt. Da lebt einer am liebsten im Konflikt.

In den letzten Schuljahren bis zum Abitur 1986 findet er sich in einem dauernden ideologischen Wettstreit mit dem linken Mainstream wieder, obwohl »das Dürer« in Nürnberg sicher kein radikalisierter Ort ist. Den Noten nach ist Söder ein Musterschüler. Der »Zeit«-Journalist Henning Sußebach wird drei Jahrzehnte später für ein ausführliches Söder-Porträt einen seiner alten Lehrer besuchen, der dessen »hohes intellektuelles Potenzial« und seine exzellenten schulischen Leistungen über den grünen Klee lobt. Der Söder aber auch »einen Mangel an Empathie« bescheinigt. Am meisten habe sich der Schüler Söder gefreut, wenn zwischen seinem Einser und den Noten der anderen ein möglichst großer Abstand war. Die Mitschüler hätten ihn auch nie um Hilfe gebeten, womöglich weil sie gar nicht erwarteten, dass er ihnen hilft. Von Sußebach darauf angesprochen, sagt Söder, die Darstellung des Lehrers sei Quatsch.

Das Dürer-Gymnasium selbst scheint die Ära der Schülers Markus Söder aus seinen Annalen gestrichen zu haben. Nein, lässt die Schulleitung auf Anfrage mitteilen, es gebe nichts im Archiv, was das Schülerleben des prominenten Absolventen etwas transparenter machen würde. Kein Jahresbericht, keine Abiturzeitung, nichts. Der Direktor lässt sich gar nicht erst sprechen, und die Reaktionen seiner Mitarbeiter erwecken den Eindruck, dass die Schule sich nicht wirklich damit schmücken möchte, einen späteren Ministerpräsidenten zum Abitur geführt zu haben.

2. Strauß überm Bett

Ein Teenager wird aufgesaugt von der Politik

Franz Josef Strauß kommt, und Markus Söder ist elektrisiert. Sein Held wird leibhaftig am Hauptmarkt sprechen, dort, wo wenige Wochen zuvor noch die Buden des Nürnberger Christkindlesmarktes standen. Andere in seinem Alter hängen Poster von Popstars, Fußballspielern oder dem Revolutionär Che Guevara in ihr Jugendzimmer. Bei Markus Söder hängt Strauß überm Bett. Jahre später wird er Aufsehen erregen, als er ein Foto aus jener Zeit ins Internet stellt. Im Hintergrund zeigt es Strauß, der vom Poster an der Dachschräge lächelt, und davor den jungen, sauber frisierten Söder in blauem Sakko, weißem Hemd und mit akkurat gebundener Krawatte. Mit einem Finger deutet er auf Strauß, den Daumen der anderen Hand reckt er für die Kamera nach oben.

An jenem Tag Anfang 1983 kommt Strauß als Wahlkämpfer nach Nürnberg. Er wirbt um Stimmen für die vorgezogene Bundestagswahl am 6. März. Sie ist nötig geworden, weil im Herbst zuvor vier FDP-Minister die sozialliberale Bundesregierung verlassen und sich mit ihrer Partei auf die Seite der Union geschlagen haben. Anschließend hat die neue konservativ-liberale Mehrheit im Deutschen Bundestag mit einem konstruktiven Misstrauensvotum den SPD-Kanzler Helmut Schmidt gestürzt und durch CDU-Chef Helmut Kohl ersetzt. Nun sollen die neuen Machtverhältnisse in einer vorgezogenen Bundestagswahl legitimiert oder korrigiert werden.

Markus Söder steht gleich in der ersten Reihe hinter dem Absperrgitter am Hauptmarkt. Schon Stunden bevor die CSU-Kundgebung beginnt, ist er gekommen, um sein Idol aus größtmöglicher Nähe zu erleben. Das Wetter ist schlecht, aber das stört ihn nicht. Er ist hibbelig, voller Vorfreude. Wie fast überall, wo der CSU-Chef, bayerische Ministerpräsident und gescheiterte Kanzlerkandidat des Jahres 1980 auftritt, erwarten Strauß allerdings auch in Nürnberg nicht nur glühende Verehrer, sondern viele Gegner, die seinen Auftritt mit Pfeifen, Buhs und Zwischenrufen begleiten. Strauß stachelt das an. Es gehört zum Inventar jeder Strauß-Rede, demonstrierende Gegner als Chaoten, Anarchisten, Linksradikale, Idioten oder Gesindel zu beschimpfen. Ein Ritual, das die Gegner in Rage und die eigenen Leute noch enger zusammenbringt.

Auch der Teenager in der ersten Reihe jubelt ihm frenetisch zu. Noch Jahre später wird Markus Söder von der »fulminanten Rede« schwärmen, die er an jenem Januartag am Nürnberger Hauptmarkt gehört haben will. Sie hat ihn angefixt, sie lieferte ihm Stichworte für den Kampf gegen Sozis, Grüne und alle anderen Linken: Ja zur NATO, zur deutschen Wiedervereinigung und zum Bündnispartner USA, nein zur unfähigen Sozialdemokratie und zu Krawallmachern. Die übliche Strauß-Palette. Wenige Wochen später holt die CSU bei der Bundestagswahl 59,5 Prozent der Stimmen in Bayern. Die Union wird stärkste Partei im Bundestag, regiert weiter mit der FDP, und Helmut Kohl bleibt Kanzler.

Man kann, wie bei Söders Beziehung zum Vater, auch hier spekulieren, weshalb ein Teenager ausgerechnet einen Mann von bald 70 Lebensjahren als Vorbild anhimmelt, noch dazu in den friedens- und ökologiebewegten Achtzigerjahren. Gewiss, Strauß ist seit Jahrzehnten ein Großkaliber der deutschen Politik, das Idol aller Konservativen, autoritär, rücksichtslos, hochgebildet, rhetorisch brillant. Er lässt niemanden gleichgültig, und er kennt beim Durchsetzen seiner Ziele und auch eigener Interessen keine Schranken, wie man heute weiß und damals schon wissen konnte. Mag sein, dass es genau das war, was den jungen Markus Söder beeindruckt hat. Dass da einer war, der allen Anfeindungen zum Trotz stehen blieb. Der sich von Gegnern und Medien nicht umwerfen ließ.

Wenige Tage vor der Kundgebung ist Markus Söder 16 Jahre alt geworden. Er ist jetzt alt genug, um nicht nur in die Junge Union (JU), sondern auch die CSU einzutreten. Also geht er ins »Meisterlein«, ein Nürnberger Gasthaus, das auch die JU-Geschäftsstelle beherbergt, und wird Doppelmitglied. In den folgenden Jahren wird er innerhalb der Jungen Union und der Nürnberger CSU einen Aufstieg hinlegen, der sich als Blaupause für seinen späteren Weg an die Spitze des Freistaats erweisen wird. Wie er sich in München nach oben boxt, das wird dem gleichen Drehbuch folgen wie einst in Nürnberg. Unbändiger Fleiß und bedingungsloser Einsatz, ein unglaublich geschicktes Knüpfen von Netzwerken und Seilschaften, ein uneingeschränkter Wille zur Macht und die fast völlige Abwesenheit von Skrupeln: Das sind die Zutaten der Ursuppe, in welcher der Politiker Markus Söder gedeiht.

Und dann ist da noch etwas, eine ganz eigene Spielart von Rebellentum. Söder gehört weder in Nürnberg noch in München zum Establishment seiner Partei. Er reibt sich an bestehenden Strukturen, er ist immer der stürmische Junge, der die Alten so lange nervt, bis sie endlich den Weg frei machen. Er zieht sein Ding durch, ohne Rücksicht auf Verluste.

Nur ein einziges Mal in seiner Karriere wird Markus Söder ein politisches Amt erhalten, weil er protegiert wird – von CSU-Chef Edmund Stoiber nämlich, der ihn 2003 zum CSU-Generalsekretär beruft. Stoiber leistet zwar auch bei späteren Karrieresprüngen Hilfe, aber da nährt sich Söder schon von seiner eigenen Stärke. Die CSU kommt nicht mehr an ihm vorbei. Seine persönliche Hausmacht ist schon so groß, dass man ihn nicht mehr loswird. Es ist immer die Parteibasis, die ihn trägt, die er auch lange genug beackert hat dafür. In diese Einsicht wird sich 34 Jahre nach dem Parteieintritt des Markus Söder auch Horst Seehofer fügen, als er 2017 nach einem schier ewigen Machtkampf kapituliert und Söder das Amt des Ministerpräsidenten überlässt. Im CSU-Vorstand sitzen viele, die Söder nicht mögen und seinen Politikstil ablehnen. Aber sie kommen nicht an ihm vorbei.

Im Juni 1983 besucht das Neumitglied Markus Söder erstmals eine Hauptversammlung des JU-Ortsverbandes Gostenhof-Schweinau im Kulturladen an der Rothenburger Straße. Der Neuling setzt sich nach hinten – und landet gleich vorne. Als noch Beisitzer für den Vorstand gesucht werden, fragt einer den schlaksigen Neuen, ob er nicht Lust hätte. Natürlich hat er – und wird gewählt. Man ist schließlich froh um jeden Mann.

JU-Ortsvorsitzender ist damals Peter Dilling, sieben Jahre älter als Markus Söder. Er wird bis heute häufig als dessen »Mentor« bezeichnet, was Dilling mit gemischten Gefühlen hört. »Irgendwie stimmt das schon«, sagt er dreieinhalb Jahrzehnte später. Aber er sei es leid, »ständig auch von CSU-Mitgliedern angesprochen zu werden und den Vorwurf zu hören: Du hast uns den eingebrockt.« Denn Peter Dilling, ein gestandener Mann mit großem politischem Wissen und Interesse, der klar und pointiert zu argumentieren weiß, hat längst mit Markus Söder gebrochen. »Ich halte ihn für einen skrupellosen Machtmenschen, Intriganten und Opportunisten«, sagt Dilling. Und dieser Eindruck gründe sich wesentlich auf Erfahrungen mit Söder in den Untiefen der Jungen Union Nürnbergs in den Achtziger- und Neunzigerjahren.

Der JU-Ortsverband Gostenhof-Schweinau und der JU-Kreisverband Nürnberg-West werden die Spielwiese, auf der Markus Söder sich all das antrainiert, was auch später als Spitzenpolitiker seinen Instrumentenkasten füllen wird. Dass er schon als Teenager eine politische Karriere fest geplant hatte, glauben Weggefährten von damals indes nicht. Die Entscheidung, Berufspolitiker zu werden, war wohl vielmehr ein Prozess über einige Jahre hinweg. Und für Söder doch ein logischer Schritt. Ihn nerven die Friedensbewegten und die Ökos, er findet ihr Nein zum NATO-Doppelbeschluss und ihre Angst vor der Kernkraft schlicht naiv. Sein CSU-Beitritt ist auch ein Schritt der persönlichen Abgrenzung. Auch in der Schule, wo er als Strauß-Fan auf einsamem Posten steht.

Im politischen Sandkasten

Max Söder reagiert reserviert, als er vom Eintritt des Sohnes in JU und CSU erfährt, aber er lässt ihn gewähren. Er hätte es lieber gesehen, wenn sich der Sohn mehr um die Schule kümmern würde. Stattdessen hackt Markus nun in seinem Mansardenzimmer bevorzugt abends politische Texte, Briefe, Pressemitteilungen oder Anträge in eine mechanische Schreibmaschine. Oder er hängt am Telefon. Mobile Apparate gibt es damals noch nicht, aber immerhin verfügt man im Hause Söder über zwei feste Telefone, eines im Büro des Vaters und eines im elterlichen Schlafzimmer. An einem davon hängt nun ständig der Sohn, um Gespräche über Politik zu führen.

»Die Junge Union war der politische Sandkasten, in dem wir alle übten«, sagt Roland Fleck. Er ist nur wenige Jahre älter als Markus Söder, auch er hat aus der JU heraus Karriere gemacht. Fleck wird später städtischer Wirtschaftsreferent in Nürnberg und anschließend Chef der örtlichen Messegesellschaft. Söder fiel ihm schon in JU-Zeiten als umtriebig und fleißig auf. »Markus hat schnell einen Plan für sich entwickelt, wie er in JU und CSU etwas werden kann. Schon damals hat er sich auf die Landesebene konzentriert.«

»Er war bald der Immer-da-Söder«, erinnert sich Peter Dilling. Präsent bei jeder Sitzung, beim JU-Bowlingwettbewerb und auch beim JU-Minigolfturnier. Selbst bei bestem Freibadwetter – auf Söder ist Verlass. Und wenn niemand anderer die Würste für das Grillfest besorgen will, dann macht er das eben. Papiere schreiben, Veranstaltungen organisieren – der Maurersohn ist stets bereit. »Solche Leute waren bei der JU wie in jeder Organisation dünn gesät«, sagt Dilling. Er war froh über den eifrigen Neuling, der einige Male auch seine Schwester Heike mitbringt und sie sogar zur Mitgliedschaft überredet.

Wenige Monate nach Söders Eintritt organisiert sich die Nürnberger JU neu, die Ortsverbände gehen in Kreisverbänden auf. Peter Dilling wird Kreisvorsitzender. Und er ist bereits Schatzmeister der nächsthöheren JU-Ebene, des Stadtverbandes Nürnberg, zu dem fünf Kreisverbände gehören. Da dort die Mitgliedsbeiträge und alle anderen Finanzen verwaltet werden, ist das ein einigermaßen einflussreiches Amt, bei dem viele Stränge zusammenlaufen. In den folgenden Jahren wird Markus Söder in beiden Positionen Peter Dilling beerben, im Kreisvorsitz und als Schatzmeister. Jeweils auf Vorschlag von Dilling selbst. Persönliche Freunde seien sie allein schon des Altersunterschiedes von sieben Jahren wegen nicht gewesen, sagt Dilling. »Wir hatten aber ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, und ich war überzeugt, dass er ein loyaler Mitstreiter ist. Sonst hätte ich ihn nicht nachgezogen.«

Und fleißig ist dieser Söder ja. Schreibt und verschickt Pressemitteilungen, ruft in der Redaktion der Stadtteilzeitung »Stadtanzeiger« an, um auf Themen und natürlich auch auf sich aufmerksam zu machen. Mit der Zeit erwirbt er sich in der Redaktion den Ruf, nahe an den Menschen im Nürnberger Westen und ihren Problemen zu sein. Auch in der CSU bringt er sich zunehmend ein, und nicht einmal sein erster Abend im Ortsverband St. Leonhard-Schweinau kann ihm den Enthusiasmus rauben.

Die Versammlung findet im »Schloss Egg« statt, einer Arbeiterkneipe an der Schweinauer Straße im Stadtteil St. Leonhard, den die alten Nürnberger nur »Loonhard« aussprechen. Die CSU tagt dort in einem verrauchten Hinterzimmer, und Söder erlebt zu seinem Entsetzen, wie eine Gruppe fast ausschließlich alter Männer, die laut Tagesordnung die Kindergartensituation in Schweinau diskutieren soll, ziemlich schnell zum Ergebnis kommt, dass der Gaddafi an allem schuld ist, der libysche Diktator. Woraufhin das Neumitglied Söder für sich nur eine Alternative sieht: Sein lassen – oder selber machen. Also legt er los.

Zunächst aber steht noch das Abitur an. Eine lästige Angelegenheit, denn Politik ist jetzt sein großes Hobby. Also hält er im Sozialkunde- und Geschichtsunterricht immer hartnäckiger dagegen, legt sich mit allen an, die links von ihm stehen – also den meisten. Der Diskutant tritt schneidig auf, argumentiert klar, polemisiert aber auch, stichelt und provoziert ohne jede Zurückhaltung. Ob in der Schule, bei JU oder CSU – Söder hat am meisten Spaß, wenn er Sozis und Grüne ärgern kann. Je lauter sie aufschreien, desto besser. Für die letzten beiden Jahre am Gymnasium wählt er Mathematik und Geschichte als Leistungskursfächer. Sein Abitur legt er mit Notendurchschnitt 1,3 ab. »Das war harte Arbeit«, sagt er, »in der Mittelstufe sah es noch schlechter aus.« Am Ende der achten Klasse etwa standen am Jahresende vier Vierer (in Mathe, Englisch, Latein und Sport) und kein einziger Einser im Zeugnis. »Verhalten: lobenswert, Mitarbeit: anerkennenswert«.

Die Abifeier schwänzt er, weil gleichzeitig der Arbeitskreis Entwicklungspolitik der Jungen Union tagt. Ausgerechnet im KOMM, im links-alternativen, selbst verwalteten Jugendzentrum Nürnbergs gleich gegenüber dem Hauptbahnhof, dessen bloße Namensnennung dem Bürgertum Stresspickel ins Gesicht treibt. Hier tummeln sich normalerweise solche Jugendliche, die Söder politisch ablehnt oder verachtet. Ausgerechnet dort eine JU-Veranstaltung – das war an sich schon die Provokation schlechthin, Ärger mit linken Gruppen war vorprogrammiert. Also geht er lieber ins KOMM, als mit den Abiturienten zu feiern. Bis ein anderer JUler eine Ohrfeige von einem Linken kassiert und die Polizei anrückt. Der junge Söder verbucht die Sache trotzdem als Erfolg. Die Provokation war ja gelungen.