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Marta erzählt - Erinnerungen an die schweren Jahre - Das Furchtbare begann am 20. Januar 1945 Es war der 83jährigen schon seit längerer Zeit ein großes Bedürfnis ihrem Sohn von der Flucht aus Schlesien im Januar 1945 und den 15 schweren Jahren nach Beendigung des 2. Weltkrieges zu erzählen. Sie wollte, dass es nicht in Vergessenheit gerät.
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Seitenzahl: 140
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Das Furchtbare begann am 20. Januar 1945
Die furchtbare Meldung kam völlig überraschend
Im letzten Moment
Dresden
Fremd in Braunschweig
08.Mai 1945 -Kriegsende-
Die Zeit auf der Honigsburg
Wir machten Sirup
Ich kann Gertrude nicht vergessen
Es waren doch deine Freunde
Beruflicher Neuanfang in Kreiensen
Wieder eine Heimat
Immer häufiger kommen die Gedanken
An einem sonnigen Nachmittag im Spätherbst 2004 saß Marta schweigend auf ihrer Terrasse in Bremen. Nachdenklich wirkte sie die ganze Zeit. Sie sah aus als grübele sie und mache sich viele Gedanken. Ihren Kaffee in der Tasse vor ihr hatte sie offensichtlich schon vergessen, nun ist er kalt geworden.
Ihr gegenüber hatte es sich ihr Sohn Wolfgang bequem gemacht. Immer wieder schaute er abwechselnd auf die teilweise schon vergilbten Fotoalben die wie zufällig vor ihm auf dem braunen Eichentisch lagen und auf seine Mutter. Vielleicht hat sie die Alben ganz bewusst dorthin gelegt, dachte er sich im Stillen. Vielleicht möchte sie, dass ich darin blättere. Bestimmt ist es ihr Wunsch. Anfangs allerdings etwas oberflächlich, doch schon nach kurzer Zeit entwickelte er ein durchaus großes Interesse. Interessant und hübsch anzusehen waren sie wirklich die alten Bilder aber leider, wie er schnell feststellte, ohne einen wirklichen Erkennungswert für ihn. Ich werde Mutter einfach fragen, um Erklärung bitten.
Marta freute sich sehr als sie bemerkte, dass ihr Sohn Interesse zeigt. Sogleich begann die 83 jährige über die alten Fotos aus Lengefeld zu reden, das Abgebildete zu erklären und so ganz langsam von der Flucht aus Schlesien zu erzählen. Es war der Beginn einer langen, für den Sohn aufregenden Erzählung.
Wolfgang erinnerte sich in diesem Moment oberflächlich, dass sie vor Jahrzehnten oft von ihrer alten Heimat in Schlesien gesprochen hat. Inzwischen aber, seit langer Zeit eigentlich nicht mehr.
„Weißt du, begann sie sehr zögerlich und ein wenig stockend, ich war doch damals, an diesem furchtbaren Tag der Vertreibung, erst 23 Jahre alt. Zu dieser Zeit war ich aber schon verwitwet und seit sechs Monaten zum zweiten mal verheiratet.
Trotzdem war ich mit dir schon eine ganze Weile allein, denn Eberhard, mein zweiter Mann, war noch vor unser Hochzeit zur Wehrmacht eingezogen worden“.
„Du kannst mir glauben, dass das Leben damals wirklich nicht leicht für mich war. Ich war doch ganz allein, meine Eltern waren schon verstorben und so hatte ich doch nur dich. Es war manchmal recht einsam hier im Dorf, dass ich bisher kaum verlassen hatte“.
Marta und Eberhard 1944
Gerade begann ich mir in Lengefeld wieder ein kleines Familienleben aufzubauen als die Zeit in Schlesien am 20. Januar 1945 ganz plötzlich zu Ende war. Diese Tragödie kam für mich ohne Vorwarnung und verlief unheimlich schnell, sie kam total überraschend. Ich konnte die Situation in diesem Moment gar nicht so schnell begreifen und wusste überhaupt nicht wie ich mich verhalten sollte. Ich zweifelte, nein das kann es doch nicht geben, dachte ich. Lengefeld, mein Heimatdorf, auf der Stelle für immer verlassen, unfassbar, ich konnte es einfach nicht begreifen. Diese furchtbaren Gedanken und die immer stärker aufkommende unheimliche Angst verunsicherten mich. Diese Unruhe konnte ich nicht mehr verdrängen“.
„Ich weiß aber gar nicht ob ich dir diese lange Geschichte erzählen soll, fragend schaut sie ihren Sohn an. Vielleicht interessiert dich das was ich von damals erzählen möchte überhaupt nicht. Es sind ja Dinge und Gegebenheiten die so viele Jahrzehnte, die so weit zurück liegen. Aber, ich werde sie dir trotzdem erzählen. Es tut mir nämlich gut nochmal darüber zu sprechen und wenn es dich langweilt musst du mir einfach ein Zeichen geben, dann höre ich sofort auf“.
Schnell fügt sie noch hinzu: „Mir fällt gerade ein, dass du doch so gut schreiben kannst, ich würde mich sehr freuen wenn du alles auf Papier festhalten könntest, das was ich dir jetzt erzähle und es dadurch für die Nachkommen verewigst“.
Wolfgang bemerkte natürlich gleich, als er seine Mutter ansah, dass es ihr wohl ein großes Anliegen ist von dem furchtbaren Ereignis, der langen Flucht aus der Heimat, aus Schlesien und den schwierigen Nachkriegsjahren zu erzählen.
„Doch, doch erzähle nur, ich höre dir gern zu“, zustimmend nickte Wolfgang ihr zu.
Ein wenig stockend und immer nur satzweise begann sie, langsam und leise von der furchtbaren Katastrophe zu erzählen, ihren Sohn immer wieder dabei ein wenig ängstlich und fragend ansehend.
„Weißt du, der 20. Januar 1945 war ein Sonnabend und er war für mich ein Tag wie jeder andere. Von der furchtbaren Meldung an diesem Mittag, die wohl schon seit Stunden im 10 Minuten Takt, wie ich später erfuhr, als Warnung aus den Volksempfängern erscholl hatte ich ja überhaupt noch nichts mitbekommen. So ein Radio besaß ich doch nicht. Ich konnte es mir nicht erlauben, es war einfach zu teuer für mich. Ich musste doch allein schon 9,-- Reichsmark monatlich für Wohnungsmiete kalt bezahlen. Es blieb kaum Geld übrig, so dass ich an so ein modernes Gerät überhaupt nicht gedacht habe“.
„Später hat man mir mal erzählt, dass der Reichssender Breslau bereits seit Stunden über Mittelwelle pausenlos diese Schreckensnachricht gesendet hat: „Achtung, die östlich der Oder lebende Landbevölkerung, und das gilt auch für die Breslauer Stadtteile, Karlowitz, Rosenthal und Hundsfeld, müssen wegen der anrückenden russischen Front bis 14.oo Uhr ihre Dörfer und Häuser in Richtung Westen verlassen haben“.
Die Besitzer eines Volksempfängers erfuhren so frühzeitig diese furchtbare Nachricht und konnten sich rechtzeitig auf das kommende Ereignis, die Flucht aus der Heimat vorbereiten, ein wenig planen. Doch Ruhe hatten sie bestimmt nun auch keine mehr.
Sicherlich haben sie in fieberhafter Hast sofort das Nötigste, das Liebste, ihre Habseligkeiten zusammen gesucht. Wahrscheinlich nur die wichtigsten, persönlichen Dinge natürlich, nur Kleinigkeiten. Es verblieb ja kaum Zeit zum überlegen und sortieren. Viel konnte sowieso niemand mitnehmen.
Die Schlesier die einen Volksempfänger besaßen hatten diese Meldung immer wieder über den Rundfunk gehört aber recht glauben konnten sie es nicht. Es war doch alles ruhig, man bemerkte nichts. Und viele vertrauten wohl auch der Versicherung der Reichsführung die pausenlos die Rundfunkmeldung herausgab dass es bald gelingen werde den russischen Vormarsch aufzuhalten. Sie machten sich bestimmt keine Gedanken und hatten deshalb nichts für eine Flucht vorbereitet.
„Auch ich wusste zu diesem Zeitpunkt nichts von der sich anbahnenden Katastrophe, wusste zum Beispiel auch nicht, dass fast nur noch Frauen mit ihren Kindern und alte Menschen im Dorf waren die sich nun auf die Flucht vorbereiten mussten. Denn die jungen Männer waren doch alle im Krieg“. Und viele von den älteren Männern, auch die die kurz vor der Rente standen, sind auf behördlichen Befehl hin ohne Vorwarnung einfach aus dem Dorf abgeholt worden, der Volkssturm wartete auf sie.
Viele Frauen waren deshalb auf sich allein gestellt und mussten ihre Flucht in Richtung Westen ohne Hilfe organisieren. „Du kannst dir sicherlich vorstellen was das für eine unfassbar schwere Aufgabe für sie war. Sie standen doch allein hilflos vor diesem schweren Problem“. „Aber Sorge und Angst verleiht ja gewaltige Kräfte, das habe ich selbst erlebt“.
Viel Zeit zum Grübeln, oder zum planen, blieb aber nicht. Es hieß für alle auf der Stelle Abschied zu nehmen von der Heimat, von zu Hause, auch von den Gräbern der Eltern. Panisch mussten alle ihre Dörfer verlassen und in Richtung Westen flüchten. Nur wenige hatten wohl die Möglichkeit ein Auto zu benutzen. Glücklich waren sicherlich auch die, die eigene Pferde vor einen Ackerwagen spannen konnten oder auch die die einen Bahnhof im Ort hatten, wie in Tschirne. Sie hatten dadurch wohl die Möglichkeit mit dem Zug zu flüchten.
„Die rote Armee marschierte ja bereits quer durch Polen und Schlesien und wer das wusste brach sicherlich in Hektik aus. Nur ich bekam zu diesem Zeitpunkt von der großen fieberhaften Unruhe, die überall im Dorf bereits herrschte, gar nichts mit. Ich hatte doch noch nichts vom Kriegsgeschehen gehört, es war für mich völlig neu. Auch von Eberhard hatte ich lange nichts mehr erfahren, wusste nicht mal wie es ihm geht. Und die Schreckensrufe die nun überall erschollen: „Wir müssen weg, die Russen kommen“, waren mir zu diesem Zeitpunkt deshalb völlig unbekannt, ich hatte sie noch nicht gehört“.
„Ja, ich war in diesem Moment total ahnungslos und stand gerade in meiner kleinen Küche am Herd und bereitete für uns beide etwas zu Mittag vor, als mich die Schreckensmeldung völlig unvorbereitet an meiner Wohnungstür erreichte. Erschreckt hörte ich es stürmisch und laut an ihr klopfen. Als ich vorsichtig öffnete stand dort zu meiner Überraschung, total außer Atem und aufgeregt, meine Tante Agnes, die Schwester meiner verstorbenen Mutter, die nur 100 m entfernt von mir wohnte. Sie bekam vor lauter Aufregung und wohl auch vom Rennen kaum noch Luft. Das Reden fiel ihr aus diesem Grund sicherlich unheimlich schwer. Sie grüßte mich nicht mal und ihre Stimmte schnappte regelrecht über als sie nur die wenigen Worte rief: „Martel, packe schnell einige Sachen für dich und für den Jungen zusammen, nimm den Wolfgang und suche dir ein Transportmittel. Wir müssen alle bis 14 Uhr Lengefeld verlassen haben, die Russen kommen“. Dann war sie schon wieder verschwunden.
„Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass ich total durcheinander war und diese Meldung überhaupt nicht einordnen konnte, ich begriff sie nicht so schnell. Ich hatte doch bisher noch nichts von den Ausmaßen des Krieges gehört.
Diese Schreckensnachricht die mich gerade an meiner Wohnungstür überraschte konnte ich wirklich nicht richtig begreifen. Ich stand minutenlang, wie gelähmt, ganz still und versuchte zu überlegen. Eine unheimliche Verwirrung hatte mich inzwischen ergriffen. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
„Du musst sofort Lengefeld verlassen“, ganz bestimmend klang ihre Stimme als sie schon auf dem Rückweg war und sie sich nochmals kurz umdrehte. Nur wie soll ich denn mit dir von Lengefeld wegkommen, das hatte sie nicht gesagt. Ich hatte doch kein Fahrzeug mit dem wir beide flüchten konnten. Und wohin sollen wir flüchten. Schwere Gedanken arbeiteten in diesem Moment in meinem Kopf.
„Natürlich war es mir sofort klar, dass ich eine Mitfahrgelegenheit suchen muss. Nur wie, und bei wem konnten wir beide mitfahren, wer hatte noch einen Platz frei und was muss und kann ich alles mitnehmen. Unbedingt natürlich warme Kleidung für uns zwei, es war doch mitten im Winter und bitterkalt. Minus 20° zeigte das Thermometer an diesem Tag an meinem Fenster.
Marta und Wolfgang 1944
Und ganz wichtig war etwas zu essen und zu trinken einzupacken.
Man weiß doch nicht wie lange so eine Flucht dauert und wo sie endet. Ganz allein stand ich hilflos vor diesem großen Problem. Niemand war doch da den ich um Rat fragen konnte. Immer wieder überlegte ich, aber mir fiel nichts ein. Vielleicht sollte ich auch die alten Fotoalben als Erinnerung an Zuhause mitnehmen, spontan kam mir der Gedanke. Doch lange überlegen konnte ich nicht, Zeit blieb doch keine mehr“.
Ein Griff genügte und ich hatte sofort meine beiden alten Koffer vom Schrank geholt. Hektisch und in Windeseile packte ich ein wenig unterschiedliche Kleidung für uns beide und einiges aus dem Sanitärbereich schnell hinein.
Dabei vergaß ich aber in der Aufregung die wirklich wichtigen Dinge, nämlich unsere Geburtsurkunden und meinen Ausweis mitzunehmen. Aber ich konnte wirklich keinen klaren Gedanken fassen, ich war so furchtbar durcheinander. Aber an den schönen Kinderwagen, er sah doch noch wie neu aus, dachte ich sofort, den musste ich auf jeden Fall mitnehmen. Und natürlich das große Federbett für dich, es war doch so wichtig, du warst doch erst 3 Jahre alt und es war so bitter kalt, an jenem Januartag“.
„Total kopflos bin ich schließlich mit dir, den beiden Koffern und dem Federbett auf dem Kinderwagen aus dem Haus gelaufen. Hilflos und unruhig stand ich am Rand der Dorfstraße die nach Breslau führt. Verwirrt sah ich den vollgepackten Ackerwagen die in einer langen Schlange das Dorf verließen und pausenlos an mir vorbeifuhren hinterher. Zu jedem winkte ich hinauf, gab ein Handzeichen und rief dem Kutscher zu: „Hast du noch Platz für uns zwei“. Aber meine Frage mitfahren zu können blieb jedes mal erfolglos. Keiner reagierte, keiner antwortete, keiner hielt an“.
Ich war inzwischen total verzweifelt, große Angst und Panik überwältigten mich. Ich war doch ganz allein und konnte mit niemanden reden, meine Sorgen teilen, Rat holen. Wenn doch nur mein Bruder Paul bei mir wäre, dachte ich immer wieder, es würde alles bestimmt erleichtern. Aber Paul war ja nicht mehr in Lengefeld, auch er war bei den Soldaten. Bei der Marine war er und irgendwo auf dem Meer unterwegs.
Manchmal sprach ich auch leise mit Muddel, meiner Mutter. Ich sah sie immer wieder vor mir obwohl sie bereits vor 20 Jahre gestorben ist. Ich wusste mir keinen Rat mehr, ich konnte doch nichts weiter machen, nur warten. „Was soll ich nur tun. Meine letzte Hoffnung war mein Nachbar, der Bauer Nagel“. „Aber vielleicht ist er gar nicht mehr hier und hat das Dorf auch schon lange verlassen“. „Diese schlimmen Gedanken nagten pausenlos“.
„Ich musste immer wieder in Richtung Breslau sehen. Sah ganz deutlich in der Ferne die unendlich lange Schlange der Wagenkolonne die Richtung Hauptstadt strebte. Immer westwärts, der erste Wagen gab wohl die Richtung an, alle anderen folgten offensichtlich voller Zuversicht“.
„Immer wieder schaute ich auf die noch vereinzelt vorbei kommenden Wagen hinauf und versuchte zu erkennen ob es Bekannte aus dem Dorf waren, ich hoffte innigst einen zu erkennen. Aber die Wagen waren alle voll beladen, nein das sah ich sofort, sie hatten keinen zusätzlichen Platz mehr. Rufen und fragen ob noch Platz für uns da wäre war sinnlos. Die Bauern mussten doch auch an Futter und Wasser für ihre Pferde denken und konnten deshalb aus Platzgründen nur ihre eigenen Familienangehörigen mitnehmen. Du kannst mir glauben, dass ich langsam mutlos wurde.
Es kam mir vor als säßen die Menschen jetzt schon wie betäubt auf ihren Wagen, eingehüllt in warme Decken. Oft habe ich mich in späteren Jahren gefragt ob sie wohl ahnten, dass es für sie eine Fahrt ohne Wiederkehr werden wird, und dass sie in diesem Moment nicht nur ihren Hof, auch ihr Hab und Gut verloren haben. Ob sie wohl daran dachten dass sie ihre restlichen Tiere unversorgt zurück gelassen haben.
Aber sie waren schon zu weit vom Dorf entfernt um wohl das Brüllen ihrer Kühe noch zu hören. Niemand war doch da der sich um sie kümmern, der sie melken konnte. Sie waren ihrem furchtbaren Schicksal überlassen, verhungerten und verdursteten in ihren Stallungen oder starben am Milchbrand.
„Weißt du, in den inzwischen vergangenen Jahrzehnten habe ich immer wieder einmal über die Flucht nachgedacht. Dabei ging mir die Situation der Lengefelder Dorfbewohner und auch die meiner Flucht durch den Kopf. Man hatte doch wirklich keine Chance vernünftig zu planen. Jedem blieb doch nur ganz wenig Zeit um richtige Vorbereitungen für die Flucht zu treffen. In großer Hektik wurde doch nur ein wenig Hausrat, Bekleidung und Verpflegung auf den Ackerwagen geladen. Schnell war dadurch das nicht so große Platzangebot erreicht. Nur wenige persönliche Dinge konnte jeder mitnehmen“.
Aber die Menschen hatten ja die Hoffnung, dass die Flucht sicherlich nur ein kurzes Intermezzo ist und dass das Leben bald wieder normal verläuft. Wir müssen doch nur für eine kurze Zeit von zu Hause weg, trösteten sie sich. Denn sie glaubten und vertrauten fest an das was ihnen die Propagandamaschinerie der NSDAP pausenlos über den Rundfunk versprach. Es waren immer die gleichen Worte: Die Bevölkerung möge sich nur keine schweren Gedanken über die Flucht machen, sie ist bald vorbei, sie dauere nur ein paar Tage. Dann könnten alle wieder in ihre Häuser zurück. Denn die deutsche Wehrmacht habe doch eine neue Wunderwaffe, die V1 Rakete, und die käme sogleich zum Einsatz und dann ist der Krieg schnell zu Ende und jeder kann dann wieder zurück in die Heimat.
„Furchtbar frierend und total verunsichert stand ich mit dir am Straßenrand. Ich weiß heute gar nicht mehr wie lange. Aber es muss eine unendlich lange Zeit gewesen sein. Dich hatte ich zwischen meine Beinen geklemmt, zum Schutz vor der beißenden Kälte und die Koffer links und rechts daneben, sie sollten ein wenig den kalten Ostwind abhalten“.
„Sporadisch, nur vereinzelt fuhren noch einige Wagen vorbei. Verzweifelt winkte ich, und rief immer die selben Worte fragend hinauf: „Hast du noch Platz für uns zwei“.
Doch die Reaktion war jedes mal gleich. Sie schüttelten immer nur den Kopf. Nervös und ratlos schaute ich ihnen hinterher. Die Wagen waren wirklich voll bepackt. Ich sah nirgends einen freien Platz für uns.
„Ich wusste mir keinen Rat mehr. Du kannst dir bestimmt vorstellen wie verzweifelt ich war. Hoffnung kam auf als in diesem Moment mein Nachbarn, der Bauer Walter Nagel mit seinem Gespann langsam heran gefahren kam“.