Medien in der Klima-Krise - Michael E. Mann - E-Book

Medien in der Klima-Krise E-Book

Michael E. Mann

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Beschreibung

Stellen wir uns vor, die Welt geht unter – und keiner redet darüber. Was dramatisch klingt, geschieht im Kern beim Thema Klimawandel. Denn einerseits warnt die Wissenschaft seit Jahrzehnten vor der Klimakatastrophe, andererseits fällt es der Politik schwer, etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen. Und die Medien, die eine Debatte in die Öffentlichkeit tragen sollten? Sie verhalten sich seltsam passiv. Wie kann das sein angesichts der größten Herausforderung in der Menschheitsgeschichte? Die Klimakrise geht uns alle an. Ebenso werden Fernsehen und Hörfunk, Zeitungen und Zeitschriften, Podcasts und Onlinemagazine für jede:n von uns produziert, und wir alle haben ein Recht auf umfassende und gute Berichterstattung. 28 namhafte Autor:innen, vorwiegend aus Kommunikationswissenschaft und Journalismus, belegen eindrucksvoll, wie und warum die Medien in ihrer eigenen Klima-Krise stecken. Sie zeigen auf, warum der Klimawandel eine journalistische Herausforderung ist, und stellen Lösungen, Ideen und Erfahrungen vor, wie Medienschaffende besser in der Krise handeln können.

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KLIMA° vor acht e.V. (Hrsg.)
Medien in derKlima-Krise
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2022 oekom verlag, Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Herausgeber: KLIMA° vor acht e.V.inhaltliche Bearbeitung: Darius Harwardt, Leon Barthel, Norman Schumann, Ralph Brix, Thomas BöttigerLayout und Satz: Reihs SatzstudioKorrektur: Maike SpechtUmschlaggestaltung: Michael Flammer, Mirjam HöschlUmschlagmotiv: ruthe.de
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-954-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber
Michael Flammer
Vorwort
Mojib Latif
Wir sehen das Klima vor lauter Bäumen nicht
Ein Appell zum Umdenken
Ralph Brix
Zwischen Unterlassung und ökologischer Verantwortung
Klimajournalismus in Zeiten kognitiver Dissonanz
Michael Brüggemann und Susan Jörges
Das letzte Gefecht
Michael E. Mann
Klimakrise und öffentlich-rechtlicher Auftrag
Die Versäumnisse der öffentlich-rechtlichen Medien
Robert Krieg
Vom Verständnis und der Vermeidung von False Balance in der Medienberichterstattung über den Klimawandel
John Cook
Wieso Medien die Strategien der Klimaschmutzlobby (er)kennen müssen
Annika Joeres und Susanne Götze
Relevanz, Framing und Konstruktiver Journalismus
Warum der Journalismus sich so schwer damit tut, die Klimakrise adäquat zu adressieren
Maren Urner
Warum Klima und Wetterbericht zusammengehören
Ein Appell aus Sicht eines TV-Meteorologen
Özden Terli
Die vierte Gewalt und ihr Versagen beim Klimawandel
Sara Schurmann
Klimawandel und Artensterben – gemeinsam gedacht, gemeinsam publiziert
Tanja Busse
Was für eine Nachricht ist das denn?
Roland Koch
Klimakrise und Bildung
Gudrun Spahn-Skrotzki
Wie wir ohne Panik aus dem brennenden Haus kommen
Plädoyer für einen konstruktiven Klimajournalismus
Marcus Maurer
Hören, was ist
Über einen zugewandten und empathischen konstruktiven Journalismus
Ellen Heinrichs
Transformativer Journalismus
Ein neues Berichterstattungsmuster für das Anthropozän
Uwe Krüger
Klima ins Programm
Das »Klima Update« bei RTL und ntv
Clara Pfeffer und Maik Meuser
Senderstrategien für junge Zielgruppen im Klimajournalismus
Vanessa Kokoschka und Joelle Wörtche
»Der neutrale, objektive Journalismus ist eine Fata Morgana«
Interview mit Jürgen Döschner
Friederike Mayer
Kein Thema
Dimensionen des Journalismus in der Klimakrise
Carel Mohn und Sven Egenter
Grenzüberschreitender Journalismus
Warum Klimajournalismus nationale Perspektiven überwinden muss
Milou Dirx
Qualität im Klimajournalismus – und was die Journalistenausbildung dazu beitragen kann
Holger Wormer und Wiebke Rögener
Transformation und Wiederverortung in der Zwillingskrise
Artensterben und Klimanotstand fordern vom Journalismus und von dessen Theorie ein, sich Ort, Landschaft und Natur mit neuen Ethikkonzepten, Rollenbildern und Sprachgewohnheiten zu öffnen
Torsten Schäfer
Lebensdienlicher Journalismus – ein notwendiger Paradigmenwechsel
Claus Eurich
Über die Autorinnen und Autoren
Vorwort der Herausgeber
»Finden Sie, dass die Medien nur über die Klimakrise berichten müssen, oder sollten sich die Medien auch für die Bekämpfung der Klimakrise einsetzen?« Diese Frage richtete Tagesthemen-Moderatorin Caren Miosga bereits 2020 an Greta Thunberg und griff damit ein Thema auf, das auch aktuell häufig debattiert wird: Welches Selbstverständnis haben die Medien eigentlich in Sachen Klimakrise? Oft gibt es aus Medienkreisen dann eine Antwort in Anlehnung an Reporterlegende Hanns Joachim Friedrichs’ viel zitierten Satz: »Gute Journalisten erkennt man daran, dass sie sich nicht gemein mit einer Sache machen, auch nicht mit einer guten Sache.« Leider wird diese Aussage bis heute meines Erachtens oft missverstanden, denn sie wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Spiegel-Autor Cordt Schnibben, der das Interview, in dem dieser Satz einst fiel, führte, kommentierte dies später so: »Aus diesem Satz zu machen, dass Journalisten quasi haltungslose, emotionslose Journalisten sein sollten, denen man ihre Haltung nicht anmerkt, ist eine Pervertierung.«
Greta Thunberg antwortete auf Caren Miosgas Frage übrigens, dass die Medien überhaupt erst mal anfangen müssten, ausreichend zu berichten. Damit unsere Demokratien gut funktionieren, müssten die Menschen über die für sie relevanten Gefahren aufgeklärt werden. Und in der mangelhaften Aufklärung hinsichtlich der Klimakrise bestehe ein Versagen der Medien.
Bereits seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft eindringlich vor den Folgen des menschengemachten Klimawandels. Eine weitgehend unbegrenzte Erwärmung könnte das Ende menschlichen Lebens, wie wir es heute kennen, bedeuten. Und selbst eine halbherzige Begrenzung der Erwärmung könnte dazu führen, dass Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden, die dann unumkehrbar sind und die globale Erhitzung noch weiter beschleunigen würden.
Wie kann es da eigentlich sein, dass sich die deutschen Medien angesichts dessen so seltsam passiv verhalten und übers Klima meist nur am Rande oder stark anlassbezogen berichten, zum Beispiel wenn gerade mal wieder eine Weltklimakonferenz stattfindet oder es eine Katastrophe direkt vor unserer Haustür gibt? Würde man nicht Berichterstattung, Aufklärung und Einordnung einer Krise, die alles und jeden massiv bedroht, omnipräsent auf Titelseiten und täglich zur besten Sendezeit im Fernsehen erwarten? Muss die mediale Aufmerksamkeit stets anderen Themen weichen, die gerade kurzfristig relevanter erscheinen, und wenn ja, wie weit?
Und ist eine regelmäßige Klimaberichterstattung gleichzusetzen mit Aktivismus oder gar Alarmismus? Wenn Klima kein Spartenthema ist, gehört dann nicht echte Klimaexpertise in jede Redaktion, um klug und konstruktiv Bezüge herzustellen? Ist es nicht an der Zeit, dass auch kluge Wirtschaftsnachrichten, Seifenopern und Nachmittagsformate den Zusammenhang zur Klimakrise miterzählen? Und was ist mit den Chancen für unsere Lebensqualität, die uns ein nachhaltiges Leben bringen kann – wo sind die Beiträge dazu?
Mit all diesen Fragen und weiteren beschäftigen sich die Beiträge in diesem Buch. Zusammengestellt und herausgegeben wurde es von KLIMA° vor acht e. V., einem gemeinnützigen Verein, gegründet mit dem Ziel, angemessene Berichterstattung zur Klimakrise zu fordern und zu fördern. Die Idee kam mir 2019 an einem dieser Tage, an dem im Ersten Deutschen Fernsehen wieder mal nichts über die Folgen der Klimakrise berichtet wurde, obwohl es, wie so häufig, ganz aktuelle Anlässe gegeben hätte. Stattdessen informierten Primetime-Formate wie »Börse vor acht« eine große Zuschauerschaft völlig unkritisch über die Börsenkurse von Kohlekonzernen und »Wissen vor acht« über das Geheimnis des perfekten Milchschaums. Einzig einige Wettermoderatoren trotzten dem medialen Schweigen und flochten wichtige Hintergrundinformationen zum Klimawandel in ihre ohnehin schon knappe Sendezeit ein.
Auf Twitter trendete bald erstmalig der Hashtag #KlimaVor8. Die Idee zur täglichen Klimaberichterstattung zur besten Sendezeit war geboren, und ein paar Monate später fand sich eine Reihe Menschen über soziale Netzwerke zusammen, um auch die öffentlich-rechtlichen Sender von der Notwendigkeit einer häufigeren Klimaberichterstattung zu überzeugen. Da schnell klar war, dass dies kein einfaches Unterfangen werden würde, entstand die Idee, beispielhafte Klimasendungen selbst zu produzieren. Getreu dem Motto: Vormachen ist besser, als einfach nur zu fordern. Zur Finanzierung startete im September 2020 eine Crowdfunding-Kampagne. Die volle Finanzierung war in weniger als vier Stunden erreicht, was uns verdeutlichte, dass wir hier einen Nerv getroffen hatten. Die daraus entstandenen sechs professionell produzierten Pilotfolgen sind auf unserer Website und auf YouTube frei verfügbar.
Es folgten konkrete Gespräche mit den Programmverantwortlichen der ARD, die jedoch schließlich dem Wunsch nach einer dem Klima gewidmeten Sendung zur besten Sendezeit eine Absage erteilten. Stattdessen signalisierte der Privatsender RTL Interesse an unserer Idee. Gemeinsam mit RTL und der GEO-Redaktion erarbeiteten wir mögliche Themen. Und seither produziert RTL zweimal wöchentlich das »Klima Update«, das direkt im Anschluss an die RTL-Hauptnachrichtensendung läuft. Die Sendung wird regelmäßig von Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern verfolgt und wurde (Stand Februar 2022) für den Grimme-Preis nominiert. Reinschauen lohnt sich. Mehr über die Aktivitäten von KLIMA° vor acht erfahren Sie auf unserer Website klimavoracht.de.
Doch all das war nur der Anfang: Denn nach wie vor ist Klimaberichterstattung selten, kommt gar nicht vor oder wird auf schlechten Sendeplätzen versteckt. Das kritisieren wir regelmäßig und öffentlich. Und wie genau qualitativ hochwertiger Klimajournalismus aussehen kann, können Sie auf den folgenden Seiten erfahren.
Bei dem Buch, das Sie nun in den Händen halten, handelt es sich um eine Sammlung ausgewählter Texte von Klimaexpert:innen und Kommunikationsprofis, die fast alle exklusiv für dieses Buch entstanden sind. Im ersten Teil ist nachzulesen, wie es aktuell um die Berichterstattung zum Klimawandel steht. Ein zweiter Teil im Buch widmet sich der Frage, wo die Probleme für Journalist:innen zu finden sind, die die Arbeit mit diesem Themenumfeld schwierig machen. Der letzte Teil zeigt Lösungsansätze auf: Vorschläge zum journalistischen Handeln ebenso wie Best-Practice-Beispiele, und folgt damit dem Prinzip, konstruktiv an der Debatte teilzunehmen. Mit diesem Buch möchten wir zudem die intramediale Auseinandersetzung mit der Klimakrise greifbarer machen und Sie dazu anregen, die aktuelle Klimaberichterstattung mit ganz neuen Augen zu sehen.
Sicherlich werden Sie auf den folgenden Seiten manch Neues erfahren oder Aha-Effekte erleben, vielleicht bereitet Ihnen aber der eine oder andere Beitrag auch einfach Freude. Wir von KLIMA° vor acht freuen uns nach einem Jahr intensiver Arbeit, mit diesem Buch die Debatte zur Aufgabe und Verantwortung journalistischer Arbeit in der Klimakrise voranzubringen, und versprechen: Sie werden noch mehr von uns hören und lesen.
Im Namen des Vorstands danke ich allen Teammitgliedern von KLIMA° vor acht, die ehrenamtlich an diesem Buchprojekt gearbeitet haben, und natürlich den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge zu dieser Anthologie und wünsche viel Vergnügen beim Lesen.
Michael FlammerVorstandsvorsitzender KLIMA° vor acht e.V.
Hinweis:
Einige der folgenden Texte nehmen Bezug auf die ARD-Sendung »Börse vor acht«. Nach Redaktionsschluss der Beiträge dieses Buches gab die ARD bekannt, dass »Börse vor acht« nach mehr als 20 Jahren abgesetzt und durch eine neue Sendung namens »Wirtschaft vor acht« auf dem gleichen Sendeplatz ersetzt werden soll. Die entsprechenden Beiträge konnten diesbezüglich nicht mehr angepasst werden.
In allen Beiträgen zu dieser Anthologie wurde gegendert. In den drei Beiträgen, die von englischsprachigen Autor:innen verfasst wurden, wurde in der Übersetzung darauf verzichtet.
Vorwort
Mojib Latif
Wir leben in Zeiten eines beispiellosen Wandels. Noch nie zuvor hat sich die Welt so schnell verändert. Die Menschheit sieht sich heute gewaltigen Umweltproblemen gegenüber, die sie schleunigst lösen muss. Es stehen nicht weniger als die Lebensgrundlagen unserer Erde auf dem Spiel. Die Klimakrise in Form der globalen Erwärmung und das Artensterben sind nur zwei Beispiele.
Obwohl das Wissen über die drohenden Umweltprobleme und deren Ursachen seit vielen Jahren vorhanden ist – der Club of Rome hatte schon 1972, also vor nunmehr einem halben Jahrhundert, mit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums auf die Gefahren hingewiesen –, kommen wir nicht vom Wissen zum Handeln. Ganz im Gegenteil, die Menschen beschleunigen die Umweltzerstörung. So steigen die Emissionen von Treibhausgasen global immer noch, obwohl sich die Klimakrise in den letzten Jahrzehnten verschärft hat und deren Auswirkungen unübersehbar sind.
Woran liegt es, dass die Menschen nicht vernunftgesteuert agieren, wenn es um die globalen Umweltprobleme geht? Die Ursachen für das Versagen der Menschheit, den Planeten vor sich selbst zu schützen, sind vielfältig. Anhand der Klimakrise lassen sich einige der Gründe benennen. So bleibt das Klimaproblem trotz der sich weltweit häufenden Wetterextreme und der zunehmenden Schäden für die allermeisten Menschen abstrakt, weil sie bisher nicht direkt betroffen sind. Außerdem stellen sich viele Auswirkungen der globalen Erwärmung erst mit einer beträchtlichen Zeitverzögerung von einigen Jahrzehnten ein. Vorausschauendes Handeln ist bei der Begrenzung des Klimawandels geboten. Warten die Menschen in Sachen Klimaschutz zu lange, könnten bestimmte Prozesse bei Überschreitung einer bestimmten Erwärmung nicht mehr aufzuhalten sein, selbst wenn dann keine Treibhausgase mehr ausgestoßen würden. In diesem Zusammenhang ist in der Wissenschaft von Kipppunkten oder Kaskadeneffekten die Rede, wenn ein Kipppunkt einen weiteren oder mehrere Kipppunkte auslösen sollte. Es ist gerade diese Komplexität der dem Klimasystem unterliegenden Prozesse, die viele Menschen überfordert, einschließlich der Akteure in Politik und Wirtschaft. Und schließlich belohnt unser Wirtschaftssystem Umweltzerstörung und bestraft Nachhaltigkeit, weil das kurzfristige Gewinnstreben das Handeln bestimmen darf.
Die Klimaproblematik steht seit vielen Jahren auch im Fokus der Medien. Ich möchte an das Titelbild des Magazins Der Spiegel aus dem Jahr 1986 erinnern, auf dem der Kölner Dom in einer Fotomontage halb unter Wasser steht, was die Polschmelze und den dramatischen Anstieg der Meeresspiegel als Folge einer ungebremsten globalen Erwärmung verdeutlichen sollte. Wenn es jedoch um die Vermittlung komplexer Zusammenhänge und Hintergründe der Krise geht, scheinen viele Medienschaffende regelmäßig überfordert.
Obwohl es seit den 1990er-Jahren einen weltweiten Konsens in der Wissenschaft darüber gibt, dass die Menschen für die globale Erwärmung verantwortlich sind, kamen trotzdem bis vor einigen Jahren sogenannte Klimaskeptiker nahezu gleichberechtigt zu Wort, was zu einer enormen Verunsicherung über die Ursachen der globalen Erwärmung in der Bevölkerung geführt hat. Aus meiner Sicht wurde zu Beginn der Klimadebatte die Wissenschaft auf dem Altar der Quote geopfert. Das hat sich zwar seit einigen Jahren geändert. Klimaskeptiker haben keinen Platz mehr in Talkshows. Das hindert sie aber nicht daran, ihre kruden Thesen weiterhin in die Öffentlichkeit zu kommunizieren – und das mit einigem Erfolg.
Denn wir stehen heute vor einem weiteren Problem, das die Wissenschaftskommunikation erheblich erschwert. Durch die neuen Kommunikationsformen, allen voran die sozialen Netzwerke, entsteht eine Flut von Informationen, seriösen und unseriösen, die sich in Windeseile um den Globus verbreiten. Fake News und »alternative Fakten« bombardieren die Menschen rund um die Uhr, Emotionen treten an die Stelle von Wissen. Was soll man noch glauben? Politiker wie der ehemalige Präsident der USA Donald Trump, machen sich die neuen Medien zunutze, bezichtigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Lüge und des Betrugs. Klimawandel und Corona seien dummes Zeug. Damit erringen diese Leute Wahlerfolge, nicht nur in den USA. Auch in Deutschland gibt es diese Tendenzen, was man an der AfD und deren Positionen erkennen kann. Zudem nehme ich eine Verrohung der Gesellschaft wahr, die gerade bei der sogenannten Querdenker-Bewegung besonders offensichtlich wird. Ich selber bekomme inzwischen regelmäßig Hass-E-Mails.
Es scheint sich in Teilen der Bevölkerung eine Wissenschaftsfeindlichkeit breitzumachen. Das Narrativ, dass es sich bei der Klimakrise um eine große Verschwörung der Klimaforschenden handelt und dass sie frei erfunden wäre, findet Anhänger. Gerade in der heutigen Zeit kommt also der Wissenschaftskommunikation eine entscheidende Bedeutung zu. Neben den Umweltkrisen erleben wir allerdings zugleich eine Krise der traditionellen Medien, was zur Unzeit kommt. Das Zusammenkommen von Umweltkrisen und Medienkrise führt zu einer gewissen Neutralisierung in dem Sinne, dass die gravierenden Umweltprobleme leicht relativiert oder aus dem Bewusstsein verdrängt werden können. Die Wissenschaft muss jedoch einen festen Platz in der Gesellschaft behalten.
Die Medien müssen dafür sorgen, dass die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft nicht nur erhalten, sondern gestärkt wird. Dabei ist darauf zu achten, dass nur solide Information aus der Forschung und nicht Meinung kommuniziert wird. Das erfordert einigen Rechercheaufwand, Personal und erhebliche finanzielle Mittel. Leider ist der Journalismus im Allgemeinen und der Wissenschaftsjournalismus im Speziellen in den letzten Jahren ein Stück weit unter die Räder gekommen, hauptsächlich durch eine massive Unterfinanzierung.
Eine freie und erfolgreiche Gesellschaft braucht starke Medien und starke Wissenschaften. Worauf sollen sich politische Entscheidungen stützen, wenn nicht auf die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse? Wir dürfen die Welt nicht an die Rücksichtslosesten von allen herschenken, die kein Interesse an einer intakten Umwelt haben. Deswegen bedarf es einer starken Wissenschaftskommunikation.
Hier sind einerseits die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst gefordert, vor allem aber die Medien. Wie die Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Journalismus im vorliegenden Buch veranschaulichen, bedarf es dazu eines Umdenkens. Sie zeigen, dass und warum journalistisches Handwerk, Selbstverständnis und Handeln angesichts der Komplexität des Themenbereichs Klimawandel (und der dramatische Verlust von Biodiversität muss da mitgedacht werden) hinterfragt werden sollten. Die Autorenschaft fordert aber nicht nur. Dieses Buch zeigt zudem konkrete Lösungsansätze auf, um angesichts sich zuspitzender Entwicklungen auch dauerhaft sicherstellen zu können, dass wir alle über diese Krisen und ihre Folgen informiert bleiben, aufgeklärt werden und so durch faktenbasierte Meinungsbildung einen nötigen Wandel mitgestalten können. Wer, wenn nicht die Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, wäre hierzu imstande?
Wir sehen das Klima vor lauter Bäumen nicht
Ein Appell zum Umdenken
Ralph Brix
»10.000 Klimabäume für die Metropole Ruhr« – diese Headline prangte im März 2021 über einer Pressemitteilung des Regionalverbands Ruhr (RVR). »Mehr Bäume für ein besseres Klima«, heißt es darin.1 Interessierte Bürger:innen sollen sich melden und erhalten dann für ihr Grundstück kostenlos einen Obstbaum.
So eine positive Pressemitteilung kommt in Redaktionen gut an. Eine große und regional bedeutende Institution (Relevanz) verschenkt etwas an potenziell alle (Betroffenheit), und obendrauf machen alle Beteiligten damit Klimaschutz (Aktualität und Relevanz). Das kann man schon mal so melden.
Hand aufs Herz! Ist Ihnen der Haken an der Sache aufgefallen? Denn es gibt ihn. Die Behauptung, 10.000 Obstbäume seien klimarelevant, muss man nämlich durchaus kritisch sehen. Darauf werde ich später auch detailliert eingehen. Doch vorab: Natürlich gilt, dass jeder gepflanzte Baum prinzipiell eine gute Tat ist. Der RVR betont aber die Klimawirkung seiner Aktion. Sollte diese Wirkung tatsächlich aber sehr gering sein, darf man getrost von »Greenwashing« sprechen – also eine PR-Masche, mit der sich Unternehmen und Institutionen zu Unrecht als klima- und umweltfreundlich profilieren wollen. Das ist gerade heutzutage gut fürs Image. Wenn man aber mal genauer hinschaut, entpuppen sich viele solcher angeblichen Klimaschutzcoups leider als Etikettenschwindel. Tja, wenn! Denn für viele Journalist:innen sind Pressemeldungen wie die vom RVR unverdächtig. Wer so eine Meldung dann ohne kritische Einordnung veröffentlicht, ist auf eine PR-Strategie hereingefallen und mitverantwortlich dafür, dass zum Beispiel die Öffentlichkeit nicht erfährt, was es zum Beispiel mit Greenwashing auf sich hat und wo es uns begegnet.

Der Blick über den journalistischen Tellerrand

Das Themenfeld »Klimawandel« ist umfangreich und ziemlich komplex. Auch Journalist:innen scheitern schon mal an der Differenzierung von »Klima« und »Wetter«, halten Mülltrennung für eine Klimaschutzmaßnahme. Dazu kommen auf den ersten Blick widersprüchliche wissenschaftliche Prognosen und Unmengen an Daten. Nicht zuletzt betrifft Klimawandel alle Lebensbereiche: Politik, soziales Miteinander, Ökonomie, Ökologie, Technik und vieles mehr. Das macht es nicht leicht, sich in dem Themendickicht zurechtzufinden. Hinter einer vermeintlich harmlosen Pressemitteilung einen Anlass für kritische Berichterstattung zu sehen ist aber nur möglich, wenn ein:e Journalist:in das nötige Basiswissen hat, um überhaupt zu merken, was an einer Pressemitteilung wie der vom RVR möglicherweise nicht stimmen könnte.
Das RVR-Beispiel ist nur eines von mehreren, die mich seit einiger Zeit nachhaltig beschäftigen. Ich selbst arbeite seit mehr als zwei Jahrzehnten als freier Journalist, Autor und Filmemacher und glaubte, mit einem gesunden Maß an Allgemeinwissen gut über die Runden zu kommen – fehlendes Wissen eigne ich mir themenbezogen mittels Recherche an. Dann wurde ich ab Herbst 2020 bei der Initiative KLIMA° vor acht ehrenamtlich aktiv. Zur Mitgliedschaft war ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen: Es gab einen persönlichen Kontakt, und die Initiative suchte jemanden mit TV-Erfahrungen. Dass ich in dem Themenfeld »Klimawandel« geradezu unbeleckt war – privat wie beruflich –, war kein Problem.
Allein dadurch, nun Teil einer Community zu sein, die sich seit Jahren mit Klima, Klimawandel, seinen Auswirkungen und dem öffentlichen Diskurs dazu intensiv auseinandersetzt, erhielt ich ohne aktive Eigenrecherche immer mehr Informationen. Ich bekam Kontakte zu Natur- und Kommunikationswissenschaftler:innen sowie zu Fachjournalist:innen. Nach und nach blieb quasi im Vorbeigehen auch immer mehr Wissen im Klimawandelkontext hängen: Fakten, Zusammenhänge, Fehlerquellen.
Ein Tag Anfang 2021 veränderte dann einiges in meinem Denken. Ich hatte kurz zuvor begonnen, das Buch Klimaschmutzlobby von Annika Joeres und Susanne Götze*) zu lesen, in dem die Autorinnen Lobbyist:innen auf der Spur sind, die systematisch versuchen, Klimaschutz zu verhindern. Mir wurde bewusst, dass angesichts der Bedeutung des Themenfelds »Klimawandel« Bücher wie dieses Basislektüre für alle (!) Journalist:innen sein sollten. Denn wenn es tatsächlich Thinktanks gibt, die von fossilen Energieunternehmen Millionen Dollar oder Euro erhalten, um gezielt wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel zu torpedieren und infrage zu stellen, indem sie Zweifel säen, Fake News verbreiten und die Öffentlichkeit vorsätzlich täuschen, dann müssen Medienschaffende das wissen und darauf vorbereitet sein. Wir müssen uns angesichts der Bedeutung des Klimawandels mehr denn je bewusst sein, dass es »da draußen« Personen, Agenturen, Institutionen gibt, die gezielt Desinformationen für die Medien produzieren und viel Aufwand betreiben, um ihre »Sicht« in Publikationen und Sendungen zu platzieren.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Öffentlichkeitsarbeit stets darauf ausgelegt ist, die Wahrheit so zurechtzulegen, dass die Unternehmen, Behörden etc. in möglichst gutem Licht erscheinen. Es ist klar, dass vor allem bei Skandalen oder gar illegalen Praktiken die PR-Abteilungen immer wieder versuchen, Fakten zurückzuhalten und zu verschleiern oder Berichterstattung möglichst zu verhindern. Doch gerade beim Klimawandel haben es Industrielobbyist:innen leicht. Wissenschaftliche Prognosen können nie eindeutig sein (dafür braucht es Hellseher:innen, keine Wissenschaftler:innen). Diese Unschärfe spielt aber der Lobby in die Hände: Sie kann Zweifel an den Prognosen säen. Allein diese Zweifel journalistisch fundiert zu zerstreuen ist angesichts der bereits beschriebenen Komplexität des Themenfeldes schwierig, weil aufwendig. Und der »Kampf« um die Deutungshoheit in Sachen Klimawandel ist nur eine der zahlreichen Herausforderungen, die das Problem für uns Journalist:innen mit sich bringt.
Und so reifte in mir, während ich weiter Die Klimaschutzlobby las, eine Überzeugung: Alles, was ich innerhalb kurzer Zeit erfahren hatte – und in meinem beruflichen Alltag erlebte und erlebe –, kann auch für Kolleg:innen hilfreiches Wissen sein. Mehr noch: Ich kam zu dem Schluss, dass sich unser Beruf, unser Berufsfeld und -umfeld bewegen, sich ändern muss. Dabei war und ist mir auch bewusst, damit eine Transformation zu fordern, die weder kurzfristig noch einfach zu realisieren ist: eine Transformation des journalistischen Selbstverständnisses und des Medienbetriebs im Allgemeinen.
Kein einfaches Vorhaben angesichts der Herausforderung. Denn der Alltag im journalistischen Tagesgeschäft und die Komplexität des Themenfelds »Klimawandel« widersprechen einander im Grunde. Ein Widerspruch, den es zu überwinden gilt.

Der Klimawandel und der Redaktionsalltag

Veränderungen von Abläufen und Strukturen hat es im Journalismus immer wieder gegeben. Nicht erst mit dem Beginn der Digitalisierung vor etwa 20 Jahren hat sich so auch nach und nach die »Schlagzahl« und damit der Arbeitsdruck auf die Autor:innen erhöht.
Informationstransfer war lange eine Frage von Zeitaufwand. Anfangs schrieben Printjournalisten (Zeitungsredaktionen waren Männerdomänen) ihre Texte auf Schreibmaschinen, Setzer mussten anschließend die Texte von Hand für den Druck vorbereiten. Für das Fernsehen wurde zunächst auf Film aufgezeichnet, der zwischen den Aufnahmen und dem Schnitt erst noch entwickelt werden musste. Ab den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts änderten sich die Produktionsprozesse radikal. Seinerzeit hielt die Magnetbandaufzeichnung (MAZ) Einzug bei audiovisuellen Medien. Diese Videobänder konnten unmittelbar nach dem Filmen an sogenannten Drei-Maschinen-Schnittplätzen weiterverarbeitet werden, was den Workflow erheblich beschleunigte. Mit der Computerisierung in den 1980er-Jahren wurde in der Zeitungsbranche das Desktop-Publishing eingeführt: Autor:innen erstellten ihre Texte fortan in einem digitalen Layoutumfeld, und diese Daten landeten dann direkt bei der Druckerei – der Satz hatte sich erübrigt. Und im Hörfunk starb wenig später das Tonband als Aufnahmemedium aus und wurde durch digitale Aufzeichnungsmöglichkeiten ersetzt. Jede Entwicklung war vorteilhaft für die aktuelle Berichterstattung: Der Zeitraum zwischen einem Vorkommnis und seiner medialen Verbreitung war signifikant geschrumpft (und die Kosten sanken).
Drei »Ereignisse« veränderten (nicht nur) die deutsche Medienwelt noch massiver. 1987 einigten sich die Regierungschefs der damaligen elf Bundesländer auf das duale System:2 Nun durften neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch private TV-Sender auf dem Markt mitmischen. Fernsehen war fortan diverser, bunter, lauter und … schneller. Nicht zuletzt auch, weil etwa zeitgleich Computer massentauglich wurden: Der einst analoge Film-, Video- und Audioschnitt war wenig später komplett digitalisiert (nonlinear) und erlaubte vereinfachte – und damit weniger zeitaufwendige – Postproduktionsprozesse. Mit dem Start des World Wide Web 1991 etablierte sich schließlich ab Ende des Jahrzehnts neben den traditionellen Medien das Internet als neue Informationsplattform und setzte Maßstäbe für die Nachrichtenverbreitung nahezu in Echtzeit.
Seither hat im Aktuellen der Druck auf die Redaktionen sukzessive zugenommen: Denn wer eine Nachricht als Letzter veröffentlicht, hat im Ringen um die Leser- bzw. Zuschauerschaft »verloren«. Immer schneller müssen frische Informationen verarbeitet und veröffentlich werden. Logisch, dass dadurch weniger Zeit für gründliche Recherche bleibt. Zugespitzt gilt: Aktualität ist der natürliche Feind gründlicher Recherche.
Das wäre kein Problem, solange Medienbetriebe einen gut ausgebildeten Stab von Mitarbeiter:innen unterhielten, die aufgrund ihrer Expertise stets in der Lage wären, auch aktuelle Informationen kurzfristig in den korrekten und umfassenden Kontext einzuordnen. Doch last, but not least hat der Kostendruck (für den es je nach Medium unterschiedliche Ursachen gibt, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann) dazu geführt, dass Redaktionen kleiner wurden (vor allem Fachredaktionen) und dass gleichzeitig die Zahl der Generalist:innen wuchs – Autor:innen also, die möglichst jedes Thema »irgendwie« bearbeiten können. Eine folgenreiche Entwicklung. So wurde zum Beispiel der »Waschzettel« (ein despektierliches Synonym für Pressemitteilungen) von einer Primärquelle zunehmend zur einzigen Recherchequelle – schlicht weil die Zeit und das Personal fehlen, bei der Vielzahl der Themen in die Tiefe zu gehen und selbst zu recherchieren. Die Gegenseite, also PR-Agenturen oder Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit, weiß das natürlich zu nutzen.
Als ein Freund von mir vor einigen Jahren ein neues Geschäft eröffnete, schickte ich dazu eine Pressemitteilung an alle relevanten Redaktionen vor Ort. Für die Zeitungen hatte ich den Text bereits wie ein journalistisches Produkt verfasst – von hinten kürzbar, kostenlose Fotos inklusive. Damit schaffte es mein Artikel als wortwörtliche, halbseitige Veröffentlichung in die beiden größten Tageszeitungen vor Ort. Eine Kennzeichnung, dass es sich um Werbung handelte, gab es nicht.
Verschärft wird die personelle Situation seit Jahren, weil Verleger:innen, Herausgeber:innen und Produzent:innen, um Kosten zu minimieren, Journalist:innen dazu drängen, Aufgaben zu übernehmen, die originär nichts mit ihrem Beruf zu tun haben. Printmitarbeiter:innen liefern nun auch Fotos, Fernsehautor:innen drehen selber und schneiden auch vermehrt (im Hörfunk übrigens ist die Eigenproduktion schon seit mehr als zwei Jahrzehnten üblich). Angesichts des Multitaskings liegt auf der Hand, dass darunter die Sorgfaltspflicht leiden kann: Die steigende Arbeitsbelastung wird zum Risiko für die journalistische Qualität. Zudem steigt aktuell das Arbeitsaufkommen erneut, weil die Redaktionen der klassischen Medien auch online Präsenz zeigen wollen und müssen. Eine Mehrarbeit und -belastung, die allein aus Kostengründen unmöglich durch entsprechende Neueinstellungen ausgeglichen werden kann.
Dem gegenüber steht nun der Klimawandel als aktuelle, dauerhafte und größte Herausforderung der Menschheit. In diesem Kontext spreche ich bewusst nicht mehr von einem Thema, sondern einem Themenfeld. Wer sich mit dem Klimawandel dezidiert auseinandersetzen will, muss bereit sein, in zahlreiche Disziplinen inhaltlich einzutauchen. Denn das Themenfeld berührt politische Entscheidungen und deren Folgen, Auswirkungen auf soziale, ökonomische und ökologische Systeme, Fachbereiche wie die Meteorologie oder die Attributionsforschung und vieles mehr. Die Klimakrise betrifft alle Lebensbereiche, ist grenzüberschreitend, allumfassend und nicht umkehrbar. Sie wirkt auf alle Gesellschaften und Lebensräume. Damit fordert sie die Menschheit heraus, und wir müssen handeln. Wie genau, ist unklar. Nicht ohne Grund gibt es dazu einen – sagen wir mal – »Diskurs«. Wann was nötig ist: Auch dazu gibt es verschiedene Meinungen. Und in der Frage, wer was tun muss, gibt es erst recht keinen Konsens.
Für uns Medienschaffende heißt das: Wir haben es mit einem enorm komplexen Themenbereich zu tun, der uns weit über unser Allgemeinwissen hinaus viel abverlangt. Wir können nicht mehr so weitermachen, wie wir es jahrzehntelang gewohnt waren. Es ist sicherlich auch frustrierend, wenn klar wird, dass uns Profis die Themenbreite und sowohl die schiere Menge als auch die Qualität der Informationen zum Klimawandel maximal und bislang ungekannt herausfordern. Dies führt uns an die Grenzen (und darüber hinaus) dessen, was wir im beruflichen Alltag lange als »normal« betrachteten.
Es ist festzustellen: Wir sind angesichts seiner Komplexität gar nicht vorbereitet auf den Umgang mit diesem Themenfeld. Wir haben (bisher) die Ressourcen nicht. Es fehlt uns in Breite und Tiefe noch am nötigen Wissen und der nötigen Bewusstheit. Wir sind nicht dafür geschult, eine – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht enden wollende Krise journalistisch aufzuarbeiten. Zudem zeigt diese Krise noch ein weiteres Problem auf: Eine Klimaberichterstattung die nur drohende Auswirkungen berücksichtigt, stumpft Leser:innen, Zuschauer:innen und Zuhörer:innen im besten Fall nur dauerhaft ab. Schlimmstenfalls schreckt sie auch ab. Wir erreichen unsere Empfänger:innen dann nicht mehr. Andererseits können wir nicht tatenlos zusehen, uns schulterzuckend zurücklehnen und beim »Weiter so« bleiben. Der Klimawandel ist viel zu bedeutungsvoll für unser aller Schicksal. Deshalb werden seit einiger Zeit Überlegungen diskutiert, wie das Themenfeld auch konstruktiv bearbeitet werden kann.*)

Wissen macht was

Ich hatte bereits zu Anfang erwähnt, dass ich die RVR-Baumpflanzaktion als Greenwashing-Versuch im Verdacht hatte. Und so will ich korrekterweise auch aufschlüsseln, wie ich zu dieser Annahme kam – und wie das mit dem geforderten Problembewusstsein zusammenhängt.
Ich hatte dank meiner Tätigkeit bei KLIMA° vor acht inzwischen so viel Grundwissen und Bewusstsein erlangt, dass ich bei der RVR-Pressemitteilung zumindest schon mal stutzig wurde: »Sind 10.000 Bäume wirklich klimarelevant?« Allein dass ich mir diese Frage stellen konnte, führte dazu, dass ich – tatsächlich nur kurz – recherchierte. Und siehe da: Grundsätzlich sind Baumpflanzaktionen ein sinnvoller Ansatz. Aber sie wollen gut durchdacht sein. Positive ökologische Auswirkungen und ein nachhaltiger Effekt hinsichtlich des Klimas hängen nämlich von zahlreichen Faktoren ab: Welche Baumarten werden gepflanzt – auch in Hinblick auf ihre Anpassungsfähigkeit angesichts des Klimawandels –, und an welchen Standorten stehen diese künftig? Wichtiger aber noch: Die Abholzung des Regenwaldes weltweit ist derart massiv, dass singuläre Baumpflanzaktionen selten mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sind und den Verlust der Urwälder nicht annähernd kompensieren können.3
Laut der früheren Bundesregierung betragen in Deutschland die jährlichen Pro-Kopf-CO2-Emissionen 9,7 Tonnen.4 Ein Hektar Wald speichert jährlich den Kohlenstoff aus sechs bis elf Tonnen Kohlendioxid (die Aussagen dazu variieren).5,6 Aber deutlich wird, dass allein für jährliche Pro-Kopf-Emission eine Waldfläche von etwa einem Hektar nötig ist, um diese zu kompensieren. Also die Größe von anderthalb Bundesliga-Fußballfeldern. Je nach Baumart passen darauf abhängig von den Baumarten im Mittel etwa 200 ausgewachsene Bäume.7 Nun könnte man meinen, dass die 10.000 Obstbäume also die CO2-Bilanz von 50 Menschen neutralisieren würden. Tun sie aber nicht. Denn erstens gilt die Rechnung nur für ausgewachsene Bäume. Zweitens basieren die Zahlen auf Berechnungen für Bäume im Wald. Bei der RVR-Baumpflanzaktion landen die Bäume jedoch als Solisten in Gärten und Vorgärten. Dort aber sind sie weniger gut vor Hitze und Austrocknung und somit vor Stress geschützt. Zugegeben: Da sie freistehend größere Kronen entwickeln können, speichern sie verhältnismäßig viel Kohlenstoff – auch weil viele Obstbaumarten sehr hartes (dichtes) Holz haben (vor allem Apfel und Pflaume). Doch im Gegensatz zu vergleichbaren Harthölzern wie Buche oder Eiche, die bis auf 40 Meter Höhe wachsen, bleibt ein Obstbaum deutlich kleiner. Nicht zuletzt weil der Mensch sie für die einfache Ernte beschneidet und so bewusst klein hält. Damit produziert ein Apfel- oder Birnbaum deutlich weniger Holz (die Hälfte besteht aus Kohlenstoff)8 als seine Waldnachbarn. Kurzum: Es gibt zahlreiche Faktoren, die die CO2-Bilanz von Obstbäumen im Verhältnis zu anderen Baumarten deutlich schmälern. Und somit ist es vermessen, die RVR-Aktion als ernst zu nehmenden Klimaschutz zu verkaufen. »Obstbäume für die Metropole« wäre eine gute und korrekte Meldung gewesen.
Ein Jahr zuvor wäre mir nicht mal die Idee gekommen, diese Pressemitteilung auf ihre Grundaussage hin zu überprüfen, und ich hätte sie daher höchstwahrscheinlich auch als Klimaschutzprojekt akzeptiert und journalistisch verarbeitet. Denn allein die Komplexität der oben beschriebenen Erklärung macht es nicht gerade leicht, die Aktion für die Zuschauerschaft als PR-Coup zu entlarven. Für einen gut verständlichen und leicht zu rezipierenden Beitrag oder Artikel sind derart viele Zahlen und Fakten halt nicht geeignet. Hier ist – wie so oft – die entsprechende journalistische Aufarbeitung der Schlüssel. Das Wichtigste aber ist, dass das Publikum überhaupt Informationen bekommt, die ihm helfen, eine solche Aktion jetzt und künftig einordnen zu können.

Einladung zum Transformieren

Diese Anthologie will daher ein Anstoß sein. Sie will die Aufmerksamkeit auf den Status quo unserer deutschen Berichterstattung lenken. Sie lässt Expert:innen zu Wort kommen, die einen Eindruck vermitteln, wo Fallstricke und Minenfelder im Themenbereich Klimawandel zu befürchten sind. Und sie versucht auf die Frage »Wie sollen wir im Journalismus weitermachen?« erste Antworten zu finden.
Damit macht sie mit den vielfältigen Themenansätzen der hier publizierten Aufsätze zugegebenermaßen bestenfalls einen Auftakt im intrajournalistischen Dialog. Denn die Medien und wir Medienschaffenden stehen erst am Anfang eines Prozesses. Eines Prozesses, in dem Kommunikationswissenschaftler:innen alte Muster infrage stellen und neue Wege diskutieren und aufzeigen werden; eines Prozesses, der parallel zum Klimawandel verläuft, der durch ihn geprägt wird, der entsprechend dynamisch ist und flexibel bleiben muss. Und es wird ein Prozess sein, auf den sich die meisten Journalist:innen überhaupt erst mal einlassen müssen, bevor sich dessen Ergebnisse auf den Medienalltag flächendeckend auswirken.
Die Leser:innen werden in dieser Anthologie mehrfach mit der Forderung konfrontiert werden, dass wir eine gesellschaftliche Transformation benötigen, um den Herausforderungen des Klimawandels effektiv begegnen zu können. Das bedeutet natürlich auch für die Medien und die Medienschaffenden, Teil dieser Transformation im Allgemeinen und im Besonderen ihres ureigenen Paradigmenuniversums von journalistischen Regeln, Qualitätsansprüchen und Produktionsgewohnheiten zu sein. Wir können nicht jahrzehntelang tradierte Muster, Gewohnheiten und ein entsprechend tief in uns verwurzeltes Selbstverständnis unseres Berufs von heute auf morgen über Bord werfen. Allerdings braucht es als ersten Schritt das Bewusstsein, dass wir das dennoch nach und nach werden tun müssen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben – der Klimawandel wartet nicht.
Und so richtet sich dieses Buch zwar in erster Linie an Medienschaffende: an Autor:innen, Redakteur:innen, Redaktionsleiter:innen. Und es will auch Medienverantwortliche erreichen: Verleger:innen, Politiker:innen und Mitglieder der Rundfunkräte. Doch darüber hinaus soll es auch einer breiten Öffentlichkeit Gelegenheit geben, am Diskurs um die Gegenwart und die Zukunft des Journalismus vor dem Hintergrund der Klimakrise mit all ihren Herausforderungen teilzunehmen, einen Einblick zu erhalten. Denn diese Öffentlichkeit ist es, für die die Medien arbeiten und vor der sie sich nicht zuletzt auch verantworten müssen.
Ich bin Journalist aus tiefster Überzeugung. Ich bin dankbar, in einem Land zu leben, dessen Gesetze nicht nur die freie Rede ermöglichen, sondern in dem freier Journalismus eine wichtige Säule im demokratischen Gefüge ist. Insofern ist die Anthologie auch ein Appell an alle Kolleginnen und Kollegen: Lasst uns dessen bewusst sein und der Verantwortung vor allem angesichts des Klimawandels und seiner Folgen für Umwelt und Gesellschaft als »vierte Gewalt« in der Bundesrepublik dauerhaft gerecht werden.

Epilog

Mitte September 2021, also viele Wochen nach der Pressemitteilung des RVR, entdeckte ich den Facebook-Post einer TV-Redaktion zum Thema. Auf einer Fotokachel war zu lesen: »Das freut Klimaschützer.«
Nein! Tut es eben nicht!

Anmerkungen

1 Wenning, T. (2021): 10.000 Klimabäume für die Metropole Ruhr [https://www.rvr.ruhr/themen/oekologie-umwelt/gruene-infrastruktur/news-gruene-infrastruktur/news/10000-klimabaeume-fuer-die-metropole-ruhr/].
2 Rundfunkstaatsvertrag von 1987: [https://www.urheberrecht.org/law/normen/rstv/RStV-00a-1987/text/].
3 Siehe beispielsweise »Bäume pflanzen für den Klimaschutz – eine einfache Lösung oder Greenwashing?« [https://naturschutz.ch/hintergrund/meinung/baeume-pflanzen-fuer-den-klimaschutz-eine-einfache-loesung-oder-greenwashing/159794].
4 Welke, M./Beck, M. (2020): Broschüre Klimaschutz in Zahlen – Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.), S. 6.
5 Stiftung Wald: Wie viel Kohlendioxid (CO²) speichert der Baum bzw. der Wald [https://www.wald.de/waldwissen/wie-viel-kohlendioxid-co2-speichert-der-wald-bzw-ein-baum/].
6 Bayerische Staatsforsten: Wald und CO² [https://www.baysf.de/de/wald-verstehen/wald-kohlendioxid.html].
7 Landwirtschaftskammer Niedersachsen: Schätzhilfen: Wieviel Festmeter und Bäume stehen in meinem Wald? [https://www.lwk-niedersachsen.de/lwk/news/36164_Schätzhilfen_Wieviel_Festmeter_und_Bäume_stehen _in_meinem_Wald].
8 Stiftung Wald: Wie viel Kohlendioxid (CO²) speichert der Baum bzw. der Wald [https://www.wald.de/waldwissen/wie-viel-kohlendioxid-co2-speichert-der-wald-bzw-ein-baum/].
*) Siehe dazu auch den Beitrag von A. Joeres und S. Götze in diesem Buch.
*) Siehe hierzu auch die Beiträge von Ellen Heinrichs und Marcus Maurer in diesem Buch.
Zwischen Unterlassung und ökologischer Verantwortung
Klimajournalismus in Zeiten kognitiver Dissonanz
Michael Brüggemann und Susan Jörges
Mehr als eine Dekade der Nichtkommunikation, der Untätigkeit und des Verdrängens liegt hinter uns. Heiße, trockene Sommer, grenzüberschreitende Jugendproteste und eine »Jahrhundertflut« im Westen Deutschlands haben den Klimawandel in das öffentliche Bewusstsein gedrängt und gezeigt: Klimawandel passiert hier vor Ort, vor der Haustür jedes und jeder Einzelnen. Expert:innen weltweit sind sich einig: Eine sofortige Reduktion von Emissionen ist längst überfällig. Vor und neben dem Handeln steht aber eine Verständigung über Probleme, Verantwortlichkeiten, angemessene Reaktionen und Ziele im Klimaschutz. Und dafür ist Klimakommunikation so wichtig, verstanden als das öffentliche Selbstgespräch der Gesellschaft über das Thema Klimawandel. Wir zeichnen die großen Linien dieses Gesprächs nach, werfen einen Blick in Richtung USA, diskutieren blinde Flecken des Journalismus und erklären, wie der Berufsstand seiner ökologischen Verantwortung gerecht werden könnte.
Schon 1896 vermutete der schwedische Physiker Svante Arrhenius, dass Kohlendioxid die globale Atmosphäre erwärmt. Seit den 1980er-Jahren haben sozial engagierte Klimawissenschaftler öffentlich vor den Gefahren des Klimawandels gewarnt. Dass der Klimawandel menschengemacht ist und gewaltige Risiken birgt, ist spätestens seit dem vierten Bericht des Weltklimarats, dem Intergouvernemental Panel on Climate Change (IPCC), aus dem Jahr 2007 klar.1 Der erste Teil des fünften Berichts des Weltklimarates ist im Sommer 2021 erschienen. Der Bericht macht nochmals deutlich, dass sich die Situation im Klimasystem weiter verschlechtert hat. Überraschend ist das nicht, denn das Jahrzehnt 2011 bis 2020 war das bisher wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.2 Die Risiken und Auswirkungen einer Erderwärmung von mehr als zwei Grad bis zum Jahr 2100, etwa ein deutlicher Meeresspiegelanstieg oder häufigere und intensivere Extremwetterereignisse, lassen sich nur reduzieren, wenn der menschengemachte Treibhausgasausstoß schon in den nächsten zehn bis 20 Jahren drastisch verringert wird.3 Doch der Ausstieg aus der massenhaften Emission von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen erfordert einen Wandel, der in alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche hineinreicht. Während Expert:innen schon lange Dokumente mit Visionen für diese große Transformationen vorgelegt haben,4 so ist die Debatte immer noch nicht in der politischen Öffentlichkeit angekommen, wie der deutsche Bundestagswahlkampf 2021 gezeigt hat: Praktisch alle Wahlkämpfenden hatten suggeriert, dass Klimaschutz ohne weitreichende Veränderungen und Konsequenzen für Bürger:innen möglich sei. Dass Politiker:innen im Wahlkampf so kommunizieren, ist erklärbar. Doch statt kritisch nachzufragen, haben Journalist:innen in TV-Wahlkampf-Triellen Themen wie ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen oder eine CO2-Bepreisung von Benzin und Diesel erfolgreich skandalisiert. ZDF-Chefredakteur Peter Frey und seine Stellvertreterin Bettina Schausten sprachen im Wahlkampfformat »Was nun, Frau Baerbock« zum Beispiel wiederholt von »Zumutungen« für Bürger:innen, die die Klimapolitik der Grünen mit sich bringen würde. Das Netzwerk Klimajournalismus hat daraufhin einen Brief an die Intendant:innen aller Fernsehsender geschrieben, in dem die Moderation der Wahlkampf-TV-Debatten im Hinblick auf das Thema Klimawandel kritisiert wird. Die Autor:innen bemängelten, dass gerade die Moderator:innen immer wieder nur nach den Kosten des Klimaschutzes gefragt und darüber unterschlagen haben, dass der ungebremst fortschreitende Klimawandel die viel größeren Kosten verursachen wird.5 Statt den Wahlkampf mittels oberflächlicher Schlagworte (Markt vs. Verbote; Freiheit vs. Verzicht; Klimapolitik vs. Sozialpolitik) zu befeuern, wäre ein hart nachfragender Journalismus wünschenswert, der zum Beispiel herausarbeitet, wie denn »der Markt« Klimaschutz hervorbringen sollte und ob das effizienter ist als das Ordnungsrecht.

Fridays for Future holt Klimawandel in die Mitte der Gesellschaft

Angesichts der wiederholten, deutlichen und ernüchternden Worte des Weltklimarates sollte man meinen, dass der Klimawandel in den vergangenen Jahren ein Dauerthema ganz oben auf der Agenda der Medien gewesen wäre. Doch dem war lange nicht so. Lange wurden die Anwesenheit und die Risiken des Klimawandels von Politik und Öffentlichkeit verdrängt, um Unbehagen und längst überfälligen Handlungen aus dem Weg zu gehen. Erst im Spätsommer 2018 lief in Deutschland eine intensive Klimawandeldebatte an (siehe Abbildung 1), angestoßen durch den langen Dürresommer mit neuen Rekorden an Hitzetagen. Der Spiegel titelte »Der Sommer, der nie endet« (Nr. 32/2018), und auf allen Kanälen diskutierten die Medien die Folgen für Bürger:innen, Landwirtschaft und Ökosysteme. Bilder von verbranntem Rasen, vertrockneten Flüssen und um ihre Ernte bangenden Bauern führten uns die Wirkungsmacht von Hitze und Trockenheit vor Augen. Zur allgemeinen Aufmerksamkeit entscheidend beigetragen hat auch die soziale Bewegung Fridays for Future. Greta Thunbergs Streik vor dem schwedischen Parlament im August 2018 und ihre Ansprache auf der Weltklimakonferenz in Katowice 2018 gingen durch die Medien und lösten zunächst lokale und regionale, später nationale und globale Streiks von Schüler:innen aus. Die Jugend hat erkannt, was viele bis heute verdrängen: Jetzt ist allerhöchste Zeit zu handeln. Greta Thunberg gab dem abstrakten Thema Klimaschutz ein Gesicht und eine persönliche Geschichte, die dem journalistischen Nachrichtenfaktor Personalisierung entspricht und leichter erzählt werden kann als zum Beispiel die komplexen Hintergründe globaler Klimapolitik.
Abbildung 1: Entwicklung der Klimaberichterstattung, USA und Deutschland.6

Klimakonferenzen schaffen punktuelle Aufmerksamkeit

Schon das Jahr 2007 hätte mit den deutlichen Warnungen der Klimawissenschaft den Beginn einer großen weltweiten Debatte über die Transformation unserer Lebensweise markieren können. Zugleich hat der ehemalige amerikanische Vizepräsident Al Gore mit dem Dokumentarfilm »An Inconvenient Truth« (»Eine unbequeme Wahrheit«, 2006) das Thema Klimawandel in die Öffentlichkeit gebracht. Der Weltklimarat und Al Gore erhielten für ihr Engagement im Jahr 2007 den Friedensnobelpreis. Das Thema Klimawandel wurde zu dieser Zeit auch intensiv und grenzüberschreitend diskutiert, intensiver als je zuvor und danach, wie sich aus einem Monitoring der weltweiten Zeitungsberichterstattung zum Thema ablesen lässt (Abbildung 2).
Abbildung 2: Weltweite Zeitungsberichterstattung über den Klimawandel oder die globale Erwärmung (2004 bis 2022) in 127 Quellen aus 59 Ländern, Zeitungen, TV, Agenturen.7
In ähnlichen Zeiträumen zeigten auch die Google-Nutzer:innen ein besonders intensives Interesse am Thema Klimawandel. Abbildung 3 zeigt die gebündelten Suchanfragen aus dem Themenfeld Klimawandel in Deutschland.
Abbildung 3: Gebündelte Suchanfragen aus dem Themenfeld »Klimawandel« für Deutschland.8
Der Gipfel bisheriger medialer und damit öffentlicher Aufmerksamkeit für das Thema Klimawandel war die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009, auf der große Hoffnungen auf einen verbindlichen Vertrag ruhten, der dann erst 2015 in Paris zustande kam.9 Mehr als tausend nach Kopenhagen angereiste Journalist:innen fuhren nach Hause, ohne über nennenswerte Beschlüsse berichten zu können. Das Thema Klimaschutz verschwand von der Medienagenda.
Bis weit in den Hitzesommer 2018 hinein vernachlässigten führende deutsche Onlinemedien (zum Beispiel Spiegel Online, Tagesschau.de), deren Berichterstattung wir im »Online Media Monitor on Climate Change« (OMM) verfolgen, das Thema und erwähnten nur in unter zwei Prozent der Beiträge das Wort »Klimawandel« (Abbildung 4). Einzelne engagierte Fachjournalist:innen schrieben in den großen Tageszeitungen zwar Analysen zu den alljährlichen Klimagipfeln der Vereinten Nationen und den Berichten des Weltklimarates, der öffentlich-rechtliche Rundfunk produzierte vereinzelt Dokumentationen und tiefer gehende Hintergrundstücke, doch eine kontinuierliche Berichterstattung in der Breite der Medienlandschaft, die das Bewusstsein der Bevölkerung schärft, sieht anders aus.
Die Auswirkungen der Trockenheit im Jahr 2018 gaben der Klimaberichterstattung in Deutschland neuen Anschub. Die Anzahl an Artikeln mit Bezug zum Klimawandel nahm stetig zu und erreichte zunächst ihren Höhepunkt im Spätsommer 2019 (Abbildungen 1 und 4), als die Große Koalition ihr sogenanntes Klimaschutzpaket verabschiedete. In Gegenüberstellung zu Politik- und Wirtschaftsthemen standen Klimathemen jedoch weiterhin in zweiter Reihe: Selbst im Dürrejahr 2018 ging es in den deutschen Polit-Talkshows »Anne Will«, »Maybrit Illner«, »Hart aber fair« und »Maischberger« 44-mal um Wahlkampf- und Politikthemen, aber nur dreimal um das Klima und neunmal um Umwelt- und Energiethemen.10
Abbildung 4: Entwicklung der Klimaberichterstattung in verschiedenen deutschen Onlinemedien.11

Klimaberichterstattung schafft kein Klimawissen

Die Häufigkeit von Klimaberichterstattung ist die eine Frage. Ob Berichterstattung auch zu Aufmerksamkeit und Sensibilität bei Rezipienten führt, ist die andere, möglicherweise noch sehr viel wichtigere Frage, für die sich Klimakommunikationswissenschaftler:innen interessieren. Ergebnisse zeigen, dass selbst kurzfristige und intensive Spannen der Medienaufmerksamkeit, etwa rund um den wichtigsten aller Klimagipfel in Paris 2015, die breite Öffentlichkeit nicht für das Thema engagieren können. Drei Viertel der deutschen Bevölkerung erfuhren laut unseren Befragungen aus den Medien zwar etwas über den Klimagipfel in Paris 2015.12 Doch es kam zu keiner tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema, zum Beispiel in Gesprächen, Google-Suchen, Onlinekommentaren oder ähnlichen Aktivitäten. 70 Prozent der Befragten taten 2015 während des Klimagipfels nichts dergleichen.
Das hat sich inzwischen geändert: Die deutsche Bevölkerung sprach während des UN-Klimagipfels 2019 öfter über den Klimawandel und die Klimapolitik als im Jahr 2015. Während des Paris-Gipfels 2015 sprachen nur 25 Prozent der Befragten in der Familie oder mit Freund:innen (mindestens einmal in der Woche) über den Klimawandel. 2019 waren es immerhin 51 Prozent. Auch gaben die Menschen an, ihr Konsumverhalten klimafreundlicher ausrichten zu wollen.13 Nach wie vor fehlt, wie die gestellten Wissensfragen zeigen, aber ein Grundverständnis von Klimapolitik. Die nur punktuelle Berichterstattung hat kein Hintergrundwissen zu Klimapolitik vermittelt. Zum Beispiel wussten die (befragten) Deutschen nicht, ob wir oder nicht doch eher Indien weniger Emissionen pro Kopf verantworten. Auch die Tatsache, dass die weltweiten Emissionen keineswegs rückläufig waren (bis auf ein kurzes Zeitfenster in der Coronapandemie), war unbekannt. Ohne Basiswissen über den Klimawandel können die Menschen Klimapolitik jedoch nicht angemessen beurteilen. Da der Journalismus als Brücke zwischen Wissenschaft, Politik und Bürger:innen die zentrale Quelle von Klimapolitikwissen ist, kann bisher nur konstatiert werden: Entweder wurden zentrale Dinge nicht erklärt oder aber nicht so erklärt, dass die Menschen die Relevanz für ihr Leben erkannt und sich entsprechend intensiver damit beschäftigt haben.
Dafür lief und läuft bis heute eine andere Art der Klimakommunikation ungebremst weiter: Werbung für klimaschädliche Produkte, vom SUV über das superbillige Rindersteak bis zur Kreuzfahrt, umrahmt online und im Print die journalistischen Artikel über die Risiken des Klimawandels. Perfide wird diese Art der Klimakommunikation, wenn Unternehmen im Rahmen von Greenwashing-Kampagnen mittlerweile den Kauf eines überdimensionierten und übermotorisierten E-Autos als einen ökologischen Akt darstellen.

Das Schweigen der deutschen Medien als Echo unterlassener Klimapolitik