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Rund 4,5 Milliarden Jahre hat die Erde bewiesen, dass sie bestens ohne Menschen zurechtkommt. Erst vor etwa 2 Millionen Jahren tauchten die ersten Urmenschen auf. Was hat unsere Existenz damals plötzlich möglich gemacht? Ironischerweise genau das, was uns jetzt bedroht: der Klimawandel. In der Vergangenheit begünstigten Klimaschwankungen die Weiterentwicklung und Ausbreitung unserer Vorfahren. So schuf zum Beispiel die Austrocknung der Tropen während des Pleistozäns eine Nische für frühe Hominiden, die in den neu erstandenen Savannen Beute jagen konnten. Und die plötzliche Abkühlung im Nordatlantik vor 13.000 Jahren förderte die Entwicklung der Landwirtschaft. Aber: Der Temperaturbereich, innerhalb derer Menschen existieren können, ist überraschend klein. »Zu kalt« und »zu warm« ist schnell erreicht. Unser Überleben hängt daher davon ab, dass wir diese Schwellen nicht überschreiten. In dieser spektakulären Wanderung durch die Erdgeschichte stellt der renommierte Klimaforscher Michael E. Mann unmissverständlich klar, wie fragil der Moment ist, in dem die Menschheit sich gerade befindet – und dass es sich lohnt, um die Zukunft zu kämpfen. Mit einem Vorwort des Meteorologen Özden Terli.
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Seitenzahl: 527
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Vorwort
Einführung
Kapitel 1: Unser Augenblick ist gekommen
Kapitel 2: Gaia und Medea: Schneeball-Erde und die schwache junge Sonne
Kapitel 3: Das Große Aussterben war alles andere als großartig
Kapitel 4: Mächtiger Brontosaurus: Hast du keine Lektion für uns?
Kapitel 5: Treibhaus Erde
Kapitel 6: Eine Botschaft aus dem Eis
Kapitel 7: Jenseits des Hockeyschlägers
Kapitel 8: Das Vergangene ist die Vorgeschichte. Oder etwa nicht?
Danksagung
Bildnachweis
Quellenverzeichnis
Zum Autor
Impressum
Weitere Autor*innen im oekom verlag
Es ist unbestreitbar: Wir leben kollektiv in einem globalen, epochalen Umbruch, den es in der Menschheitsgeschichte mit so vielen Menschen auf der Erde noch nie gegeben hat. Acht Milliarden Menschen, die mit dem versorgt werden müssen, was überhaupt notwendig ist, um zu Leben. Die absoluten Grundlagen müssen gewährleistet sein, wie die Lebensmittelversorgung und Zugang zu sauberem Trinkwasser. Schließlich bedarf es auch einer friedvollen Umgebung, damit ein Miteinander auch in der Zukunft bestehen kann. Spätestens die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie sehr wir global aufeinander angewiesen sind. Letzten Endes stellt sich auch die ethische Frage, was es bedeutet, wenn die Existenzgrundlage der Menschheit achtlos weiter gefährdet wird, obwohl alle Fakten schon längst klar sind und die Grundlagen gar bis ins Jahr 1822 zum französischen Mathematiker und Physiker Joseph Fourier zurückreichen.
Wie kann es sein, dass wir bereitwillig alles aufs Spiel setzen, was wir lieben und schätzen? Die Klimawissenschaft ist ausgeforscht, bezogen auf die notwendigen Handlungen, um eine sich weiter fortschreitende, katastrophale Entwicklung einzuschränken. Es ist eindeutig: Wir müssen so schnell wie möglich aus den fossilen Energieträgern aussteigen und das zusätzliche CO2, was wir freisetzen, unterbinden. Denn es torpediert den natürlichen Kohlenstoffkreislauf und stört somit die Energiebilanz des Planeten. Immer mehr Wärme verbleibt im System und sorgt für Zerstörungen, die sich über Generationen fortsetzen werden. Die Veränderungen sind derart tiefgreifend und in allen Bereichen derart massiv, dass ein passives »weiter so« ein enormes Risiko darstellt, die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit zu zerstören.
Es gibt keine positiven Entwicklungen in der globalen Erhitzung, denn die Veränderungen finden rasant statt. Weder Pflanzen noch Tiere, aber auch wir Menschen können uns nicht dauerhaft an diese dynamische Entwicklung anpassen. Das ist alles bekannt. Neue Erkenntnisse aus Forschungsergebnissen bestätigen stetig bereits anerkannte und verstandene Fakten, die sich nicht ignorieren lassen. Physik ist für alle Menschen gültig, und die Veränderungen sind systematisch.
In diesem Buch reist Michael Mann aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart und zeigt die natürlichen Veränderungen auf unserer Erde und über Epochen hinweg. Der erfahrene, international anerkannte, mehrfach ausgezeichnete Klimawissenschaftler verdeutlicht, welche gewaltigen Kräften die Erde immer wieder verändert haben. Dabei legt er dar, dass wir bisher in einer stabilen Zeit im Holozän gelebt haben, die uns überhaupt die Entwicklung bis in die heutige Gegenwart ermöglicht hat.
Mit fossilen Energieträgern sind wir als Menschheit weit gekommen, haben aber den Absprung verpasst, als es optimal war, aufzuhören Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Eines ist dennoch klar: Wir Menschen bestimmen was in der Zukunft sein wird.
Wir sind die letzte Generation, die den Klimaschutz umsetzen kann. Die Generation, die jetzt gefordert ist, das Pariser Abkommen als Mindestmaß zu erfüllen, da sich bei einer Abweichung der globalen Durchschnittstemperatur um 1,2 °C bereits extreme Auswirkungen weltweit zeigen. Außerdem werden Kipppunkte immer wahrscheinlicher, einige gelten sogar als bereits getriggert.
Fundiert und sehr gut verständlich, dazu mit Lösungswegen, zeigt Professor Michael Mann, was zu tun ist und welche Veränderungen im Klimasystem es bezogen auf die kulturelle Entwicklung der Menschheit im Laufe der Zeit gab.
Es wird klar, die Natur ist zu Veränderungen im Stande, die leicht unsere Existenz gefährden können. Dass wir einfach nebenbei einen epochalen Umbruch provozieren und auf das austarierte Gleichgewicht im Erdsystem einschlagen, ist tragisch. Die komfortable Stabilität des Holozäns kommt zu einem Ende, insbesondere wenn wir nicht beginnen, uns selbst zu schützen. Es steht uns frei, welchen Pfad wir begehen wollen, denn das Großartige an uns Menschen ist: Wir können entscheiden, wie wir leben wollen.
Es ist unsere Entscheidung.
Und der »Moment der Entscheidung« ist jetzt.
Özden Terli, Diplom Meteorologe. Bluesky: @terliwetter.bsky.social Mainz im Januar 2024
Wir leben auf einem Planeten, der nicht besser sein könnte. Er hat Wasser, eine sauerstoffreiche Atmosphäre und eine Ozonschicht, die das Leben vor schädlichen ultravioletten Strahlen schützt. Er ist weder zu kalt, noch zu heiß, alles scheint genau richtig für das Leben. Trotz unserer andauernden Suche – die dank des kürzlich in Betrieb genommenen James-Webb-Teleskops nun fast 14 Milliarden Lichtjahre in den Weltraum reicht – haben wir bisher keinen anderen Planeten im Universum mit solch günstigen Bedingungen gefunden. Es ist fast so, als ob dieser Planet, die Erde, für uns geschaffen wäre. Und dennoch war sie es ursprünglich nicht.
Die Erde hat in der überwiegenden Zeit ihrer 4,54 Milliarden Jahre gezeigt, dass sie gut ohne Menschen auskommt. Die ersten Hominiden – die Urmenschen – tauchten vor etwas mehr als zwei Millionen Jahren auf. Erst vor 200.000 Jahren hat der moderne Mensch die Erde betreten. Und menschliche Zivilisationen gibt es gerade mal knapp seit 6.000 Jahren, das sind 0,0001 Prozent der Erdgeschichte – ein flüchtiger Augenblick in der geologischen Zeit.
Was hat uns diesen Zeitraum einer den Menschen freundlich gesonnenen Erde eröffnet, der zugleich so labil ist? Ironischerweise ist es genau das, was uns jetzt bedroht: der Klimawandel. Ein Asteroideneinschlag vor 65 Millionen Jahren, der einen globalen Staubsturm auslöste, kühlte den Planeten ab, tötete die Dinosaurier und ebnete den Weg für unsere Vorfahren – winzige, spitzmausgroße Ur-Säugetiere, die umher huschten und sich vor ihren saurierartigen Fressfeinden versteckten. Nun, ohne die Dinosaurier, konnten diese Tiere aus dem Schatten heraustreten, neue Nischen besetzen und sich über Generationen an diese anpassen, um Primaten, Affen und schließlich uns hervorzubringen. Ein Ereignis wie der Asteroideneinschlag wäre für die moderne menschliche Zivilisation verheerend, wenn es heute eintreten würde. Doch unsere wirkliche und akute Bedrohung geht von der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Luftverschmutzung durch Kohlenstoffdioxid (CO2) aus. Eine Erwärmung der Erde, und nicht deren Abkühlung, ist unser heutiges Problem.
Abbildung 1: Geschätzte Veränderungen der globalen Durchschnittstemperatur der letzten 24.000 Jahre. Der einzigartige Augenblick (siehe Original-Buchtitel »Our Fragile Moment«) wird durch den Zeitraum von vor etwa 6.000 Jahren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts definiert (hier: der »Nullpunkt« der Zeitachse).
Das Klima hat uns von Anfang an geprägt und geleitet. Die Austrocknung der Tropen im Zuge der Abkühlung des Planeten während des Pleistozäns vor 2,5 Millionen Jahren schuf eine Nische für frühe Hominiden, die Beute jagen konnten, als die Wälder in den afrikanischen Tropen den Savannen wichen. Doch heute drohen in vielen Regionen Dürre und Flächenbrände. Die plötzliche Abkühlung im Nordatlantik vor 13.000 Jahren, die als Jüngere Dryaszeit bekannt ist und gerade eintrat, als die Erde die letzte Eiszeit hinter sich ließ, war eine Herausforderung für die Jäger und Sammler, und trieb die Entwicklung der Landwirtschaft im sogenannten fruchtbaren Halbmond voran [Winterregengebiet am nördlichen Rand der Syrischen Wüste, gilt als Ursprungsgebiet von Ackerbau und Viehzucht, Anm. d. Ü.]. Die der mittelalterlichen Warmzeit folgende kleine Eiszeit im 16. bis 19. Jahrhundert führte später in weiten Teilen Europas zu Hungersnöten und Seuchen und trug etwa zum Zusammenbruch der grönländischen Siedlungen im Norden bei. Eine ähnliche Abkühlung des Nordatlantiks zeichnet sich heute ab, da das Grönlandeis schmilzt, das Wasser des Nordatlantiks auffrischt und das System der nordwärts gerichteten Meeresströmungen unterbricht. Dies könnte die Fischpopulationen bedrohen und damit unsere Möglichkeiten einschränken, einen hungrigen Planeten zu ernähren. Für einige, wie die Niederländer, war die kleine Eiszeit jedoch ein Segen, da sie die stärkeren Winde nutzen konnten, um ihre Seereisen zu verkürzen. Die niederländischen West- und Ostindien-Kompanien wurden zu den dominierenden Seehandelsgesellschaften und besaßen fast ein Monopol auf die europäischen Schifffahrtsrouten nach Süd- und Nordamerika, Afrika, Australien und Neuseeland. Sie schienen die Welt zu beherrschen. Eine Zeit lang. So wie es die Dinosaurier taten – eine Zeit lang.
Wie wir sehen, ist die Geschichte des menschlichen Lebens auf der Erde eine komplizierte. Klimaschwankungen haben zuweilen neue Nischen geschaffen, die wir Menschen oder unsere Vorfahren zu nutzen wussten. Sie sorgten auch für Herausforderungen, die verheerende Folgen hatten und dann zu Innovationen führten. Doch die Bedingungen, welche es den Menschen ermöglichen, auf der Erde zu leben, sind unglaublich fragil, und es gibt nur einen relativ engen Bereich an Klimavariabilität, innerhalb dessen die menschliche Zivilisation lebensfähig bleibt. Heute versorgt unsere riesige gesellschaftliche Infrastruktur mehr als acht Milliarden Menschen. Diese Größenordnung übersteigt die natürliche »Tragfähigkeit« der Erde, also die Ressourcengrenzen, die unser Planet ohne die menschliche Technologie bereitstellen könnte. Zudem ist unsere Infrastruktur nur so lange stabil, wie die Bedingungen, die während ihrer Entwicklung herrschten, unverändert bleiben.
Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist heute so hoch wie noch nie seit der Zeit, in der frühe Hominiden in den afrikanischen Savannen auf die Jagd gingen. Sie liegt jetzt schon außerhalb des Bereichs, in dem unsere Zivilisation entstanden ist. Wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe verbrennen, ist es wahrscheinlich, dass sich der Planet über die Grenze unserer kollektiven Anpassungsfähigkeit hinaus erwärmen wird. Wie nah sind wir an dieser Grenze? Auf den folgenden Seiten versuche ich, diese Frage zu beantworten.
Wir werden uns ansehen, wie wir in diese Lage gekommen sind. Und wir werden das unglaubliche Geschenk betrachten, das uns der Planet auf unserem Weg gemacht hat: Ein stabiles Klima, damit wir Menschen nicht nur überleben, sondern uns entwickeln können. Und wir werden erfahren, wie sehr wir unsere Zivilisation gefährden, wenn wir unseren derzeitigen Weg fortsetzen. Außerdem werden wir uns mit der Paläoklimatologie befassen, der Erforschung der klimatischen Verhältnisse der erdgeschichtlichen Vergangenheit. Daraus lassen sich entscheidende Lehren für die größte Herausforderung ziehen, der wir uns als Spezies stellen müssen. Denn, wie Sie zweifellos bereits wissen, stehen wir vor einer Klimakrise. Auf den folgenden Seiten werde ich Sie mit dem Wissen ausstatten, das Sie brauchen, um das Ausmaß der sich anbahnenden Bedrohung zu erkennen, und Sie gleichzeitig ermutigen, zu handeln, bevor es wirklich zu spät ist. Nur wenn wir die Klimaveränderungen der Vergangenheit verstehen und wissen, was sie uns über die Umstände sagen, unter denen wir gedeihen konnten, können wir zwei scheinbar widersprüchliche Realitäten verstehen. Auf der einen Seite ist da die absolute Zerbrechlichkeit dieses Augenblicks (siehe Original-Buchtitel »Our Fragile Moment«), die uns quasi täglich durch jeden verheerenden Flächenbrand, jeden »Jahrhundert-Hurrikan« oder jeden Tag mit Temperaturen von über 43 °C vor Augen geführt wird. All das sind Anzeichen dafür, dass wir in den Abgrund eines unbewohnbaren Planeten zu schlittern drohen. Andererseits zeigt das Studium der Erdgeschichte, dass das Klima bis zu einem gewissen Grad resilient ist. Der Klimawandel ist eine Krise, jedoch eine lösbare Krise.1
Ein wichtiger Punkt, auf den wir im Laufe dieses Buches immer wieder zurückkommen werden, ist folgender: Wir müssen die wissenschaftliche Unsicherheit akzeptieren. Der wissenschaftliche Prozess baut auf sich selbst auf. Es kommen neue Daten ans Licht, die uns helfen, unser Wissen zu präzisieren. Manchmal ändern sie unsere Auffassung. Viele Klimawandelleugner benutzen diese Ungewissheit, um Untätigkeit im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu rechtfertigen. Wir können uns nicht darauf verlassen, so die Argumentation, würden womöglich gar in einer Weise überreagieren, die etwa der Wirtschaft schaden könnte. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Viele der wichtigsten Klimaauswirkungen – die Zunahme tödlicher und verheerender extremer Wetterereignisse, der Verlust von Gletschereis und die daraus resultierende Überflutung unserer Küsten – haben die früheren wissenschaftlichen Prognosen bereits übertroffen. Die Ungewissheit ist nicht auf unserer Seite. Sie ist vielmehr ein sehr guter Grund für noch größere Vorsicht und konzertiertere Maßnahmen.
Eine Folge dieser Ungewissheit ist, wie wir sehen werden, dass die Antworten nicht immer eindeutig sind. Dies gilt insbesondere, wenn wir in der Zeit zurückgehen und die Daten sowohl spärlicher als auch unschärfer werden. Wir versuchen instinktiv, einfache Analogien zu finden und endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber so funktioniert die Wissenschaft nicht, und ein komplexes System wie das Erdklima funktioniert ganz sicher nicht auf diese Weise. Wir müssen uns also auch auf Nuancen einlassen. Denn dies ist tatsächlich eines unserer besten Werkzeuge bei der Suche nach Antworten auf die wichtigsten Fragen zu unserer Klimavergangenheit und unserer Klimazukunft.
Verschiedene wissenschaftliche Studien kommen oft zu zumindest leicht unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Nur wenn wir die kollektiven Beweise zahlreicher wissenschaftlicher Studien bewerten, kommen wir zu eindeutigeren Schlussfolgerungen und beginnen, einen wissenschaftlichen Konsens zu erzielen. Ich habe diese Geschichte von Ira Flatow, dem liebenswürdigen Moderator des NPR-Senders Science Friday, über eine Untersuchung des Kongresses zur potenziellen Bedrohung durch Flugreisen mit Überschallgeschwindigkeit in den frühen 1970er Jahren immer geliebt:
Senator Edmund Muskie aus dem US-Bundesstaat Maine war der Vorsitzende des Ausschusses, der die Antworten auf diese Fragen finden sollte. Er beauftragte seinerseits einen hochrangigen Ausschuss der Nationalen Akademie der Wissenschaften (NAS) mit der Untersuchung dieser Frage. Sechs Monate später sollten sie dem Ausschuss des Kongresses Bericht erstatten. Journalisten aller Zeitungen waren anwesend und die Kameras liefen.
Der leitende Wissenschaftler des Ausschusses sagte: »Senator, wir sind bereit auszusagen«, und Muskie antwortete: »Okay, sagen Sie mir, wie die Antwort lautet. Stellt die Sache eine Gefahr dar?« Daraufhin schlug der Wissenschaftler seinen riesigen Stapel Papiere auf den Schreibtisch und sagte: »Ich habe hier diese Dokumente, die uns eindeutig sagen, dass es gefährlich werden wird.« Muskie wollte schon die Untersuchung abschließen, doch dann warf der NAS-Wissenschaftler ein: »Andererseits habe ich hier noch eine Reihe von anderen Unterlagen, die besagen, dass diese Papiere nicht gut genug sind, um die Antwort zu kennen.« Erschöpft blickte der Senator auf und schrie: »Kann mir jemand einen einhändigen Wissenschaftler besorgen?!«2
Es ist eine niedliche Geschichte, aber mit einer ernsten Botschaft. Jeder will einen »einhändigen Wissenschaftler«, nur so funktioniert Wissenschaft nicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass Pressemitteilungen und Medienberichte dazu neigen, spektakuläre Studien hervorzuheben: Studien mit angeblich schockierenden neuen Entdeckungen, die Klicks und Seitenaufrufe erzielen. So kommt es zum so genannten Peitschenhiebeffekt. Dabei erfahren wir in einer Woche von einer Studie, die offenbart, dass es gesund ist, Schokolade zu essen oder Kaffee oder Wein zu trinken, also die guten Dinge zu genießen, die das Leben zu bieten hat. Das jedoch nur, um in der darauffolgenden Woche eine Schlagzeile über eine neue Studie zu lesen, die besagt, dass dies alles schlecht für uns ist.3
Das Ergebnis ist ein verzerrtes Bild der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Sie scheinen polarisierter und unbeständiger, als sie tatsächlich sind. Dieses Phänomen lässt sich leicht in der Klimadiskussion beobachten, wo uns beispielsweise in der einen Woche gesagt wird, dass der Grönländische Eisschild (GIS) möglicherweise am Rande des Zusammenbruchs steht und uns ein Anstieg des Meeresspiegels droht, während eine Studie in der folgenden Woche darauf hindeutet, dass es stabiler ist, als wir dachten. Wir werden häufig mit düsteren Schlagzeilen über »Weltuntergangsgletscher« und »Methanbomben« bombardiert, die das immer noch düstere, aber differenziertere und vor allem weit weniger hoffnungslose Bild verfälschen, das sich aus einer objektiven Bewertung der zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ergibt.
In Anbetracht der Ungewissheit und ihrer Auswirkungen werden wir uns mit der großen Frage befassen, die uns alle beschäftigt: Sind wir dem Untergang geweiht? Die Antwort darauf ist, dass es ganz an uns liegt. Die vielen Hinweise aus den paleoklimatischen Daten – die Belege für die bisherigen klimatischen Veränderungen auf der Erde – liefern uns sogar eine Vorlage dafür, was wir tun müssen, um unseren kritischen Zustand zu stabilisieren. Die größte Bedrohung für sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen besteht heute nicht mehr in der Leugnung, sondern in Verzweiflung und Untergangsstimmung, die auf der fehlerhaften Vorstellung beruhen, dass es zu spät sei, etwas zu tun. Unsere Überprüfung der paläoklimatischen Aufzeichnungen wird uns vom Gegenteil überzeugen.
Zwischen der menschlichen Spezies und dem Klima, das sie genießt, besteht eine Wechselwirkung. Menschliche Handlungen, insbesondere die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Luftverschmutzung durch Treibhausgase, haben die Entwicklung unseres Klimas in den letzten zwei Jahrhunderten beeinflusst, aber die längerfristige Entwicklung unseres Klimas hat auch uns beeinflusst. Das ist es, was uns in die heutige Lage gebracht hat. Wenn wir auf diese Entwicklung zurückblicken, können wir Erkenntnisse darüber gewinnen, welche Zukunft möglich ist. In meinem letzten Buch The New Climate War (dt. Ausgabe: Propagandaschlacht ums Klima) habe ich die Lobbyarbeit der fossilen Brennstoffindustrie und ihrer Förderer während des letzten halben Jahrhunderts untersucht, die uns bisher daran gehindert hat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen katastrophalen Klimawandel abzuwenden. Den gezielten Anstrengungen dieser Konzerne haben wir es zu verdanken, dass wir heute an die Grenze des für uns Menschen erträglichen Lebens stoßen.
In diesem Buch drehe ich die Perspektive um. Wir werden uns ansehen, welchen Einfluss die Klimageschichte der Erde auf uns hatte, und was wir daraus lernen können. Aber denken Sie daran, dass das Paläoklima nur eine der Argumentationslinien ist. Es kann und wird nicht alle Fragen beantworten, die wir uns in Bezug auf den vom Menschen verursachten Klimawandel stellen. Schon allein deshalb nicht, weil es in unserer Vergangenheit keine perfekte Analogie für das gibt, was uns in der Zukunft möglicherweise bevorsteht. Aber zusammen mit den Erkenntnissen aus den modernen Klimaaufzeichnungen und den Hinweisen aus neuesten Klimamodellen der Erde gibt uns die Geschichte Aufschluss darüber, wie heikel dieser momentane Zustand ist. Sie unterstreicht sowohl die Dringlichkeit von Maßnahmen, um die sich verschärfende Klimakrise abzumildern und uns anzupassen, als auch die Möglichkeiten, die wir noch haben, um eine Katastrophe abzuwenden.
Abbildung 2: Die geologische Zeitskala [Andere Begriffe: Oberkarbon für Pennsylvanium, Unterkarbon für Mississippium, Erdurzeit für Archaikum, Anm. d. Ü.]
Wir stehen an einem Scheideweg der Menschheitsgeschichte. Nie zuvor war ein Augenblick so gefährlich und zugleich so vielversprechend. Wir sind die erste Spezies, die die Evolution selbst in die Hand genommen hat.
– CARL SAGAN, Broca´s Brain
Angesichts der von uns verursachten Erwärmung des Planeten birgt unsere derzeitige Notlage eine gewissen Ironie. Denn tatsächlich verdanken wir unsere eigene Existenz einem Wandel des Klimas, wenn auch einem der natürlichen Art. Ein heftiger Asteroideneinschlag hier, ein plötzlicher Erwärmungsschub dort, dazu ein Zusammenstoß tektonischer Platten und ein kollabierendes System nordwärts gerichteten Meeresströmungen – fertig ist die Mischung. Ohne eine solche außergewöhnliche Abfolge von Klimaereignissen und -unfällen wären wir gar nicht erst in die Lage gekommen, diesen Planeten bevölkern und verändern zu können.
Unsere Entstehung
Der Klimawandel hat uns von Anfang an geprägt. Diese Aussage ist schlicht, doch die Geschichte dahinter ist es nicht. Nicht alle evolutionären oder gesellschaftlichen Entwicklungen sind auf Umweltveränderungen zurückzuführen, schon gar nicht allesamt auf den Klimawandel. Einige spiegeln lediglich das langsame, aber stetige Fortschreiten der natürlichen Auslese wider, die auf Umweltbedingungen, zufällige Erkenntnisse und Innovationen beruht. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass einige der wichtigsten Entwicklungen, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind, durch Klimaereignisse ausgelöst wurden. Fangen wir ganz am Anfang an.
Man könnte behaupten: Die theoretische Möglichkeit menschlichen Lebens eröffnete sich mit dem Hervortreten des ersten lebenden Organismus aus dem Urschlamm vor etwa vier Milliarden Jahren. Aber in Wirklichkeit fing es erst mehrere Milliarden Jahre später an – genauer gesagt vor 66 Millionen Jahren – als ein riesiger Asteroid auf der Erde einschlug. Er war fast zwölf Kilometer breit und bewegte sich mit gut 40.000 Stundenkilometern, also mehr als 30-mal so schnell wie die Schallgeschwindigkeit. Er hinterließ einen gut 150 Kilometer breiten Krater, der heute, zum Teil unter Wasser, vor der Küste der Yucatan-Halbinsel in Mittelamerika liegt. Die spektakuläre Kollision schleuderte eine riesige Trümmerwolke in die Atmosphäre, die Sonnenlicht nicht mehr durchließ und den Planeten rasch abkühlte. Etwa 80 Prozent aller Tierarten verschwanden, einschließlich der nicht-vogelartigen Dinosaurier. Die vogelartigen Dinosaurier wiederum stellten als direkte Nachfahren der Dinosaurier eine eigene Unterklasse dar, die überlebte.
Wie wir im Laufe dieser Geschichte sehen werden, liegt in dem, was für die einen eine Tragödie ist, für andere oft eine Chance. Eine wichtige Folge dieses katastrophalen Ereignisses war, dass für unsere noch sehr weit entfernten Vorfahren die wichtigsten natürlichen Feinde wegfielen. Die kleinen nagetierähnlichen Säugetiere, die sich zwischen den Felsen versteckt hatten, konnten aus ihren Verstecken hervorkommen und neue Nischen besetzen. Die Kollision markierte das Ende des Mesozoikums – dem Zeitalter der Dinosaurier – und den Beginn des Känozoikums – dem Zeitalter der Säugetiere.
Vor etwa 56 Millionen Jahren – eine in geologischen Maßstäben kurze Zeit – und etwa zehn Millionen Jahre nach dem Aussterben der Dinosaurier, stellte ein natürlich auftretender Klimawandel die Lebewesen vor eine neue Aufgabe. In diesem Fall handelte es sich um eine plötzliche Erwärmungsphase, die als »Paläozän-Eozän-Wärmemaximum« oder auch PETM, bekannt ist. Sie trat zu Beginn der 20 Millionen Jahre langen sogenannten »Eozän-Epoche« auf. Die Wärme führte zu einem evolutionären Druck, der eine Nische für eine ganz neue Ordnung von Säugetieren eröffnete – den Primaten. Der erste von ihnen war ein primitives Lemuren ähnliches Geschöpf namens Dryomomys. Es war in der Tat unser Vorfahre, auch wenn man es sich angesichts seiner Länge von gut zwölf Zentimetern und seiner frugalen Ernährung eher schwer auf einem Erntedankfest vorstellen kann1, [das Thanksgiving-Dinner, zu dem US-Amerikaner traditionell ihre Familie einladen, Anm. d. Ü.].
Die warmen, feuchten Treibhausklimata des frühen und mittleren Eozäns begünstigten auch eine Zunahme der Pflanzenvielfalt, die wiederum neue ökologische Nischen für Primaten schuf. Feuchte tropische und subtropische Wälder ermöglichten es den frühen, auf Bäumen lebenden Primatenarten, sich zu diversifizieren und in Nordamerika, Eurasien und Afrika auszubreiten. Im Laufe des mittleren und späten Eozäns, bis hin in die Oligozän-Epoche, die vor etwa 34 Millionen Jahren begann, kühlte das Klima dann langsam wieder ab.
Wie kam es zu dieser Abkühlung? In den frühen 1990er Jahren vermuteten die führenden Paläoklimaforscher Maureen Raymo und William Ruddiman, dass eine Kollision der indischen und asiatischen tektonischen Platten die Ursache dafür war, und dass diese im frühen Eozän begann. Schließlich drückte diese Kollision das tibetische Plateau nach oben und schuf so das hoch aufragende Himalayagebirge mitsamt dem majestätischen Mount Everest. Warme, feuchte Luft, die vom Indischen Ozean herkam, stieß nun auf die Gebirgskette und bewegte sich bis zu den Gipfeln hinauf. Die enthaltene Feuchtigkeit kondensierte beim Aufsteigen und Abkühlen in der Atmosphäre zu Regen. Noch heute kennen wir dieses System als den südasiatischen Sommermonsun.2
Mehr Niederschlag bedeutet mehr Verwitterung von Gestein: CO2 aus der Atmosphäre löste sich in Bächen und Flüssen, wo es zu Kohlensäure wurde und Gestein auflöst. Silikatgestein, bekannt als Feldspat, löste sich in Ton sowie Kalzium- und Karbonat-Ionen auf, also in sehr kleine, geladene Moleküle. Diese Materialien flossen mit dem Regen in Bäche und Flüsse und schließlich in den Ozean. All dieser Kohlenstoff, der aus der Atmosphäre abgezogen und im Meer versenkt wurde, schwächte den Treibhauseffekt und kühlte den Planeten ab.
Es war im frühen Oligozän, als sich die ersten Anzeichen für ein so genanntes Eishaus-Klima abzeichneten. Es formten sich Eisschilder [ausgedehnte Vergletscherung kontinentalen Ausmaßes, Anm. d. Ü.], zunächst in der Antarktis vor etwa 34 Millionen Jahren und später auch in Nordamerika und Grönland.3
Der CO2-Rückgang und die Abkühlung setzten sich in der nachfolgenden miozänen Epoche fort, die vor 24 Millionen Jahren begann. Die kühleren Bedingungen führten zum Rückgang der subtropischen Wälder, an deren Stelle offene Baumsavannen traten. In diesen Gebieten gab es Bäume, Gräser, Sträucher und andere Pflanzen, die zusammen eine Nische für diejenigen Primaten schufen, die mehr Zeit auf dem Boden verbrachten, als damit, sich von Baum zu Baum zu schwingen: Willkommen auf dem »Planeten der Affen«. Orang-Utans tauchten in der Mitte des Miozäns auf, ein paar Millionen Jahre später Gorillas. Weitere Millionen Jahre danach betraten die ersten Schimpansen die Bildfläche. Mit diesen Primaten, die teilweise aufrecht standen, primitive Werkzeuge benutzten und eine komplexere Sozialstruktur hatten – die Menschenaffen oder Hominiden – kommen wir unserer Spezies, dem Homo sapiens, immer näher.
Abbildung 3: Geschätzte Veränderungen der globalen Durchschnittstemperatur während der letzten 65 Millionen Jahre
Als die Wälder in Eurasien vor 6 bis 12 Millionen Jahren verschwanden, gingen auch die Populationen der verschiedenen Menschenaffen stark zurück. Es kam zu einem Exodus der Hominiden gen Südostasien und Afrika, wo sich einige von ihnen schließlich zu Homininen entwickelten. Sie stellen eine noch speziellere Gruppe dar, zu der wieder verschwundene Menschenarten ebenso gehören wie unsere unmittelbaren Vorfahren und der moderne Mensch. In der Zwischenzeit wurde noch mehr Kohlenstoff abgezogen und die Abkühlung setzte sich fort. Graslandschaften dehnten sich aus. Zugleich wuchsen in der nördlichen Hemisphäre, in Grönland und Nordamerika, die Eisschilder.
Vor fünf Millionen Jahren hatten wir das Pliozän erreicht. Dies war das letzte Mal, dass der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre mit dem heutigen Wert vergleichbar ist, einer Konzentration von 380 bis 420 Millionstel (ppm). Dennoch war der Planet damals 2 bis 2,8 °C wärmer als heute, und der Meeresspiegel dürfte bis zu zehn Meter höher gewesen sein. Was war da los? Dieses scheinbare Paradoxon werden wir später noch erkunden.4
Homo sapiens gab es damals noch immer nicht, wohl aber unsere direkten Vorfahren. Die ersten aufrecht gehenden Homininen wie Ardipithecus, bald auch Australopithecus, entwickelten sich aus früheren Homininen auf dem afrikanischen Kontinent. Mit weiter fortschreitender Abkühlung verdrängten subtropische Savannen und Graslandschaften Wälder und Baumsavannen. Während diese Umgebungen für die Menschenaffen nicht geeignet waren, die sich in feuchtere tropische Gebiete zurückzogen, wo sie bis heute leben, waren sie ideal für die neu entstandenen Homininen. Diese hatten sich durch den aufrechten Gang eine Nische geschaffen. Sie waren Allesfresser und ergänzten die Früchte und Nüsse, die ihre Vorfahren, die Menschenaffen, bevorzugten, mit essbaren Gräsern und Seggen. Außerdem kam Fleisch hinzu, das sie durch die gemeinsame Jagd auf Großwild in den Savannen erbeuteten.
Ein Sprung in die Zeit vor 2,6 Millionen Jahren führt uns direkt in das Eiszeitalter, das Pleistozän. Die Abkühlung setzte sich fort, und Eisflächen eroberten die Nordhalbkugel. Mehrere Arten unserer eigenen Gattung Homo durchstreiften mittlerweile die afrikanischen Savannen. Einige entwickelten sich zu schnelleren Läufern und effektiveren Jägern, die sich die ausgedehnten Grasflächen zunutze machten. Andere benutzten rudimentäre Steinwerkzeuge. Wieder andere entwickelten größere und bessere Gehirne, bis sie sich schließlich zu unserer eigenen Art, dem Homo Sapiens, weiterentwickelten.
Etwa 700.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung hatte sich das Klima noch weiter abgekühlt, und Gletscher dehnten sich bis weit nach Nordamerika und Eurasien hinein aus. Diese weiten Eisflächen verschoben den Jetstream in Richtung Äquator. Dadurch wurden die Subtropen und Tropen kühler und trockener, einschließlich großer Teile Afrikas, wo die Homininen lebten. Womöglich haben die durcheinander gebrachten Klimamuster eine Selektion zugunsten von Arten mit leistungsfähigeren Gehirnen bewirkt. Es kann sein, dass sie gezwungen waren, Strategien zu entwickeln, um mit den ernsten Herausforderungen fertig zu werden, die ein sich veränderndes Klima mit sich brachte. Dazu gehörten die Entwicklung von anspruchsvolleren Steinwerkzeugen und zunehmend komplexeren sozialen Gemeinschaften. Wie etwa Gruppen von Jägern, die, als andere Nahrungsquellen knapp wurden, bessere Speere und ausgeklügelte Strategien für die gemeinsame Jagd nutzten, um effizienter Wild zu erlegen.5
Größere Eisschilder veränderten die Dynamik des Klimasystems grundlegend. Sie führten zu einem verlangsamten Wechsel von kalten Glazialperioden (Eiszeiten) zu wärmeren Interglazialen (Zwischeneiszeiten). Diese Phasen führten abwechselnd zu ausgedehnten Eisschildern und zu stark reduzierten Eismengen. Die Schwankungen hängen mit den astronomischen Zyklen zusammen, die die Umlaufbahn der Erde im Verhältnis zur Sonne bestimmen. Dies gilt insbesondere für die Exzentrizität der Erdbahn, also den etwa 100.000-jährigen Zyklus, der vorgibt, wie kreisförmig oder elliptisch die Umlaufbahn der Erde um die Sonne im jeweiligen Jahr ausfällt. Das Ausmaß der Schwankungen bestimmt letztendlich, wie kalt und eisig der Planet werden kann.6
Der gerade beschriebene, langfristige Abkühlungstrend, der vor etwa 700.000 Jahren einsetzte, hielt für mehrere hunderttausend Jahre an. Er führte zu einem zeitweiligen Wachstum von immer umfangreicheren Eismassen, die während der darauffolgenden Glazial-/Interglazialzyklen zunehmende Störungen des Klimas in den afrikanischen Tropen und Subtropen verursachten. Der zuletzt vollendete Zyklus war dabei der größte von allen und reichte von der extremen Wärme der Eem-Periode bis zur extremen Kälte des letzten glazialen Maximums vor etwa 21.000 Jahren. Die Eem-Periode, oder auch Eem-Warmzeit, übertraf auf ihrem Höhepunkt wahrscheinlich sogar die heutige Erwärmung, zur kältesten Zeit des Zyklus war hingegen das Gebiet des heutigen New York von einem Eisschild bedeckt. Die Veränderung der globalen Durchschnittstemperatur während dieses Wechsels betrug etwa 5 °C, in den mittleren und hohen Breitengraden sogar das Doppelte, was auf die verstärkenden Effekte des wachsenden oder schrumpfenden Eises zurückzuführen ist. Es handelt sich dabei um eine so genannte positive Rückkopplungsschleife – ein Effekt, der für den Klimawandel entscheidend ist. Diese enormen Klimaschwankungen verstärkten den Selektionsdruck für immer größere und bessere Gehirne, die immer raffiniertere Mechanismen entwickeln konnten, um die Herausforderungen der Klimaextreme zu bewältigen.
Und dann war es endlich so weit. In Afrika tauchten vor 300.000 Jahren erstmals Knochen des primitiven Homo sapiens auf. Die Schädel lassen bereits auf Gehirne von ähnlicher Größe wie den unseren schließen. Der anatomisch moderne Homo sapiens erschien vor 200.000 Jahren. Und 100.000 Jahre alte Schädelfunde legen schließlich nahe, dass die Gehirne der damaligen Menschen in allen Aspekten den unseren glichen, einschließlich ihrer Form und Größe. Vor 100.000 bis 200.000 Jahren sammelte und kochten Homo sapiens Schalentiere und fertigte Angelgeräte an. Die Menschen konnten verbal kommunizieren. Sie waren »wir« geworden. Doch obwohl der moderne Mensch nach einem Asteroideneinschlag, einer langfristigen Abkühlung und den gewaltigen Erwärmungs- und Abkühlungszyklen des späten Pleistozän schließlich das Licht der Welt erblickt hatte, bedurfte es einer weiteren Reihe von Klimaereignissen und Unfällen, um die Innovationen hervorzubringen, die für das Hervorbringen der menschlichen Zivilisation notwendig waren.7
In der Wildnis
Die ersten 100.000 Jahre unseres Lebens als Art verbrachten wir buchstäblich in der Wildnis. Frühe Homo sapiens lebten in nomadischen, eigenständigen Gemeinschaften von Jägern und Sammlern. Sie wurden immer zahlreicher und breiteten sich auf andere Kontinente aus, darunter Europa und Asien, und folgten damit anderen archaischen Homo-Unterarten – den Neandertalern und Denisova-Menschen – die in diese Regionen eingewandert waren. Es gibt Beweise dafür, dass wir mit diesen anderen Unterarten gekämpft und uns zeitweise mit ihnen vermischt haben, sodass ihre Gene heute in vielen von uns weiterleben. Aber in den meisten Fällen haben wir sie verdrängt – mit etwas Hilfe des Klimawandels. Einige Archäologen glauben, dass die Ausrüstung der Neandertaler zu schlecht war, um eine längere Kälteperiode in Europa vor etwa 40.000 Jahren zu überstehen. Sie waren auf die Jagd auf bestimmte Großwildarten angewiesen, deren Bestände durch die Auswirkungen der Abkühlung zurückgingen.8
In den folgenden 40.000 Jahren nutzten wir Homo sapiens unsere großen Gehirne, um immer ausgefeiltere Steinwerkzeuge zu entwickeln, uns zu kleiden und durch komplexe Sprache miteinander zu kommunizieren. Wir führten eine zeremonielle Bestattung der Toten ein, schmückten uns mit dekorativen Halsketten und stellten Figuren her, die die menschliche Gestalt feierten. An die Höhlenwände malten wir Wandbilder, die unsere Lebensweise zeigten und insbesondere die Tiere, die wir als Nahrung jagten. Wir entwickelten die Seefahrt und wanderten in ferne Gebiete aus, die wir heute Australasien und Amerika nennen.9
Wir hatten bereits einen langen Weg hinter uns, doch wir waren noch nicht zivilisiert. Geprägt durch unseren nomadischen Lebensstil waren wir nicht in der Lage, mehr oder weniger dauerhafte Siedlungen zu errichten, komplexe soziale Hierarchien zu schaffen oder eine Arbeitsteilung umzusetzen, die eine dauerhafte Versorgung großer Populationen ermöglicht hätte. Das alles sollte sich in Folge eines klimatischen Zwischenfalls ändern, der sich während der großen Eisschmelze am Ende der letzten Eiszeit ereignete.
Es kam zu einer Art »Panne« im Klimasystem. Das kann geschehen, wenn plötzlich eine große Menge Süßwasser in die Ozeane gelangt. Der Auslöser war in diesem Fall das rasche Abschmelzen des weitläufigen Laurentidischen Eisschilds, eines Gletschers von kontinentaler Größe. Er bedeckte die nördliche Hälfte Nordamerikas und sein südlicher Rand reichte bis zu den heutigen Städten Chicago und New York. Die Schmelze begann vor etwa 15.000 Jahren, als sich das Ende der letzten Eiszeit beschleunigte, und sollte etwa zwei Jahrtausende lang anhalten. Dieses warme Intervall ist als das Bølling-Allerød-Zwischenzeitalter bekannt.
Die rasche Eisschmelze führte zu einer Reihe von massiven Süßwasserschüben, die in den Nordatlantik gelangten. Einige vermuten, dass die mythologischen Fluten verschiedener Kulturen ihren Ursprung in einem dieser Schmelzwasserereignisse haben könnten. Zu diesen Mythen gehören die laut dem biblischen Buch Genesis von Noah überstandene Sintflut und die große Flut, die im alten mesopotamischen Gilgamesch-Epos beschrieben wird. Ein besonders starker Schub, der originellerweise als »Schmelzwasserimpuls 1A« bezeichnet wird, ereignete sich vor etwa 13.500 bis 14.700 Jahren. Er führte so viel Wasser in den Ozean, dass der globale Meeresspiegel in nur 300 Jahren um satte 13 Meter anstieg.10
Ein Teil des Wassers von 1A sammelte sich allerdings in einem riesigen Gletschersee, dem Lake Agassiz, der sich im Süden der Region Laurentide im heutigen südlichen Zentralkanada bildete. Ein massiver Damm aus Eis verhinderte, dass das Wasser in den Ozean floss. Vor 12.900 Jahren brach plötzlich der Damm. Die massive Freisetzung von Gletscherschmelzwasser führte zu einer dramatischen Verdünnung des Oberflächenwassers im nördlichen Nordatlantik. Süßwasser ist leichter als Salzwasser, sodass es an der Oberfläche blieb. Auf diese Weise verhinderte die Flutwelle, dass das kalte Oberflächenwasser wie bisher in die Tiefe des Ozeans absinken konnte. Dieses ist Teil des so genannten Förderbandes der Ozeanzirkulation, einem großräumigen, bandförmigen Strömungssystem, das warmes subtropisches Oberflächenwasser nach Norden bewegt und so den Nordatlantik und die angrenzenden Regionen erwärmt. Der wohlbekannte Golfstrom ist ein Teil dieses Systems. Mit dem Zusammenbrechen der warmen Strömung kühlten sich der außerhalb der Tropen liegende Nordatlantik und die angrenzenden Regionen im Osten Nordamerikas und im Westen Europas ab, so dass fast wieder eiszeitliche Bedingungen herrschten.11
Abbildung 4: Diagramm zur Veranschaulichung der wichtigsten Komponenten der Oberflächen- und Tiefenwasserzirkulation des Ozeans, die zusammen das globale Förderband bilden, einem Kreislauf von Meeresströmungen
Wenn Sie den Film The Day After Tomorrow gesehen haben, dann kennen Sie das Szenario – oder zumindest eine gewisse Karikatur davon. Der Film geht von einer dramatisch beschleunigten, überspitzt dargestellten Version des tatsächlichen Phänomens aus. Die globale Erwärmung wird nicht dazu führen, dass Monster-Tornados Hollywood zerstören, Menschen in Bahnhöfen durch unterkühlte Luftströme erfrieren oder sich innerhalb einer Woche ein Eisschild über die Vereinigten Staaten legt. Aber es steckt dennoch ein Körnchen Wahrheit in dieser Geschichte. So deuten Klimamodelle durchaus darauf hin, dass die vom Menschen verursachte Erwärmung den Kreislauf der Meeresströmungen, der als ozeanisches Förderband bekannt ist, verlangsamen könnte. In Nordamerika gibt es heute zwar kein Eisschild, wohl aber auf Grönland. Es schmilzt aktuell immer schneller und könnte eines Tages genug Süßwasser in den Nordatlantik abgeben, um ein ähnliches, wenn auch weniger dramatisches, Stoppen des Förderbandes zu verursachen. Einige meiner eigenen Forschungen deuten darauf hin, dass eine solche Veränderung bereits im Gange ist. Meine Mitarbeitenden und ich haben gezeigt, dass sich eine kleine Region des Nordatlantiks südlich von Grönland im letzten Jahrhundert abgekühlt hat, während sich der Rest der Welt erwärmt hat. Dieses Muster der regionalen Abkühlung trägt den »Fingerabdruck« der beginnenden Verlangsamung des ozeanischen Förderbandes.12
In der Wissenschaft tätige Personen bezeichnen die Rückkehr zu eiszeitlichen Bedingungen im Nordatlantik vor 12.900 Jahren als Jüngere Dryas. »Jünger«, weil es sich um das jüngere und ausgeprägtere von zwei Kälteereignissen handelt, die gegen Ende der letzten Eiszeit auftraten, und »Dryas« nach der Tundra-Wildblume Dryas octopetala, die oft in den Sedimenten von Seen der hohen Breitengrade aus dieser Zeit gefunden wird. Das Auslaufen des Förderbandes und die damit verbundene Abkühlung des Nordatlantiks und der angrenzenden Gebiete dauerte etwa 1.000 Jahre, bevor die letzte Eiszeit endgültig zu Ende ging.
Dieses Ereignis scheint der Auslöser für eine der entscheidenden Innovationen gewesen zu sein, die letztlich die menschliche Zivilisation ermöglichten. Das Ende der Jüngeren Dryas vor 11.700 Jahren markierte den Beginn der Holozän-Interglazialepoche, unserer heutigen Warmzeit. Es war auch der Beginn dessen, was Archäologen als Neolithikum oder Jungsteinzeit bezeichnen, das letzte Stadium der Steinzeit. Man sagt, die Steinzeit sei nicht aus Mangel an Steinen zu Ende gegangen, was zweifellos stimmt. Sie endete, weil es etwas Besseres gab. Dieses Etwas wird als neolithische Revolution bezeichnet, eine Reihe bemerkenswerter, miteinander verbundener menschlicher Entwicklungen, die eine Abkehr von unserem früheren Nomadendasein hin zu dauerhaften Siedlungen, Ackerbau und Viehzucht ermöglichten.
Alles scheint in der sichelförmigen Region am östlichen Mittelmeer begonnen zu haben, die als Fruchtbarer Halbmond bekannt ist. Dieser erstreckt sich über die heutigen Länder Irak, Syrien, Libanon, Palästina, Israel, Jordanien und Nordägypten sowie über den Norden Kuwaits, den Südosten der der Türkei und den westlichen Teil des Iran. Er gilt als »Wiege der Zivilisation«, da hier zahlreiche technische Innovationen entstanden sind, darunter die Schrift, das Rad, die Landwirtschaft und die Bewässerung.
Von besonderer Bedeutung war die Natufien-Kultur in Südsyrien, die sich am Ende des archäologischen Paläolithikums vor etwa 15.000 Jahren entwickelte, als die Eiszeit gerade zu Ende ging. Ungewöhnlich war, dass die Menschen des Natufiens keine Nomaden waren, sondern größtenteils ein sesshaftes, landwirtschaftlich geprägtes Leben führten. Sie hatten kleine Siedlungen, die von den nährstoffreichen Böden, der relativen Wärme und den Niederschlägen im Fruchtbaren Halbmond zu dieser Zeit profitierten. Diese günstigen klimatischen Bedingungen ermöglichten ein beständiges Jagen und das Sammeln für den Eigenbedarf. Während sie Gazellen jagten, hatten sie Zugang zu reichlich Wildgetreide, Hülsenfrüchten, Mandeln, Eicheln und Pistazien. Sie benutzten Sicheln mit Feuersteinklingen und steinerne Mörser und Stößel zum Ernten und Zermahlen der Körner. Das waren Vorläuferwerkzeuge der Landwirtschaft, doch die Menschen von Natufien waren Jäger und Sammler. Sie waren noch keine Bauern.13
Die Jüngere Dryas verursachte eine Abkühlung und Austrocknung im Fruchtbaren Halbmond, was für die Natufier große Probleme mit sich brachte. Da die Bedingungen für die sesshaften Jäger und Sammler nicht mehr so günstig waren, sahen sie sich gezwungen, eine Vielzahl von Anpassungsstrategien zu entwickeln. Eine Gruppe der Natufier in der Negevwüste und im Norden der Sinaihalbinsel wurde nomadisch und brachte schließlich die Harifianer-Kultur hervor, die unter anderem für ihre Pfeilspitzen aus Harif bekannt ist. Andere Natufier-Gruppen verfolgten dagegen die entgegengesetzte Strategie: Sie blieben sesshaft und intensivierten ihre Jäger- und Sammlertätigkeit. Dieser Weg führte zum Ackerbau und zur Landwirtschaft.14
Die Natufier hatten bereits als sesshafte Sammler beobachtet, dass gepflanzte Samen später Wurzeln schlagen konnten. Dieses Wissen war der Grundstein für die Kultivierung von Wildpflanzen, die wohl während der Jüngeren Dryas in den nördlichen Natufier-Gemeinschaften begonnen hat. Diese Gemeinschaften haben gelernt, verschiedene Getreidearten anzubauen, um ihre Nahrungsmittelversorgung zu verbessern. Hatten Sie zum Frühstück Cornflakes oder Müsli gegessen? Danken Sie den Natufiern dafür!15
Das neu erworbene landwirtschaftliche Wissen verbreitete sich schnell in den Gemeinschaften der Natufien-Kultur des Fruchtbaren Halbmonds. Auch die weite Verbreitung von grünen Perlen als Körperschmuck in den spätnatufischen Gemeinschaften scheint die Bedeutung zu unterstreichen, die der Ackerbau für ihre Kultur erlangt hatte. Mit dem Ende der Jüngeren Dryas wurde es in der Region wieder wärmer und die Winterregenmengen waren zuverlässiger. Der Ackerbau verbreitete sich und wurde ertragreicher. Auch das Halten von Tieren setzte sich durch, als die Jagd und das Hüten von Herden auf natürliche Weise in die Domestizierung von Rindern, Ziegen, Schafen und Schweinen durch sesshafte Bauern überging.
Währenddessen spielte sich in China etwas Ähnliches ab. Und auch hier scheinen die klimatischen Einflüsse der Jüngeren Dryas eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Die wärmeren und feuchteren Bedingungen in Nordchina während der Bølling-Allerød-Periode, auch spätglaziales Zwischenstadium genannt, waren für Jäger-Sammler-Gemeinschaften in der Region günstig. Die Gemeinschaften wuchsen. Auch konnten sie sich in zuvor trockene (aride) und halbtrockene (subaride) Gebiete ausbreiten. Doch die trockeneren und kühleren Bedingungen während der Jüngeren Dryas erschwerten die Nahrungssuche, so dass die Menschen begannen, wilde Hirse anzubauen. Vieh, wie etwa Schweine, wurde gezüchtet, als Jäger zu Bauern wurden. Ebenso könnte der Reisanbau in Südchina bei den Jägern im Becken des Jangtse-Flusses um diese Zeit entstanden sein. Die Landwirtschaft entwickelte sich unabhängig voneinander und fast gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen. Das zeigt, wie weitreichende Klimaveränderungen gesellschaftliche Entwicklungen vorantrieben.16
Die Geburt der Zivilisation
Unsere Spezies, der Homo sapiens, hatte endlich den Übergang vom Nomadendasein zur Sesshaftigkeit geschafft. Wir hatten gelernt, Nutzpflanzen anzubauen und Vieh zu züchten. Gleichzeitig begannen wir, die natürlichen Landschaften der Erde zu verändern. Da wir bei der Nahrungsbeschaffung immer effizienter wurden, stieg unsere Zahl exponentiell an. Aus Siedlungen wurden Dörfer und Kleinstädte, dann größere Städte. Es bildeten sich soziale Hierarchien heraus. Die Saat der Zivilisation hatte Wurzeln geschlagen. Es dauerte jedoch mehrere Jahrtausende, bis sie Stadtstaaten als Früchte hervorbrachte – Städte mit umliegenden Gebieten, die einen unabhängigen Staat, eine rudimentäre Zivilisation bildeten.
Vor 11.000 Jahren, nur 700 Jahre nach dem Ende der Jüngeren Dryas, entstand in den halbtrockenen Hügeln des Jordantals, an der Mündung einer Quelle, östlich des heutigen Jerusalems, der natufische Prototyp einer Stadt: Jericho. Um 8500 v. Chr. wurde sie aufgegeben und anschließend in Form eines landwirtschaftlichen Dorfes aus Lehmziegeln wiederaufgebaut, das einen massiven steinernen Turm besaß und von der berühmten Steinmauer umgeben war. Es gibt aus dieser Zeit Hinweise auf die Domestizierung von Ziegen als verlässliche Fleischquelle. In Jericho lebten möglicherweise mehrere Tausend Menschen, und die Bauwerke wie der Turm und die Mauer deuten auf die Anfänge einer koordinierten Zusammenarbeit hin. Zu dieser Zeit war bereits eine Reihe ähnlicher landwirtschaftlicher Gemeinschaften entstanden.
Plötzlich, um 8200 v. Chr., wurden viele dieser Siedlungen zugunsten kleinerer, autarker Einzelhaushalte aufgegeben, als die Region erneut eine abrupte Austrocknung erlebte, die etwa zwei Jahrhunderte lang andauerte. Die paläoklimatischen Belege deuten darauf hin, dass es sich um eine Art Miniereignis der Jüngeren Dryas handelte, einen letzten massiven Schmelzwasserimpuls, als die Reste des Laurentidischen Eisschilds schmolzen. Möglicherweise war ein weiterer Eisdamm zusammengebrochen und hatte so viel Schmelzwasser aus dem verbliebenen Agassiz-See in den Nordatlantik abgegeben, dass das ozeanische Förderband erneut geschwächt wurde, wenn nicht gar zusammenbrach, der Nordatlantik abkühlte und der Fruchtbaren Halbmond austrocknete.17
Vor etwa 8.000 Jahren förderte die Rückkehr zu feuchteren Bedingungen die Besiedlung der fruchtbaren Täler des Flusssystems von Euphrat und Tigris im nördlichen Fruchtbaren Halbmond. Dort lebte eine als Halaf bekannte Bauernkultur, die wahrscheinlich Flussdeiche und saisonale Wasserbecken für eine sehr primitive Form der Bewässerung nutzte. Die ikonische Rolle dieser Region, die Teile der südöstlichen Türkei, des Nordiraks und Syriens umfasst, hat ihr einen Namen eingebracht: Mesopotamien, was auf Griechisch »das Land zwischen den Flüssen« bedeutet. Dörfer wie Jarmo waren beispielhaft für diese Kultur und wiesen bedeutende technologische Innovationen auf, wie verzierte Töpferwaren, die primitivere Korbwaren und Taschen aus Ziegenhaut ablösten. Ein Großteil der Ernährung stammte aus dem Anbau von Weizen und Gerste und der Zucht von domestizierten Ziegen. Größe, Form und Anordnung der einzelnen Häuser deuten darauf hin, dass die primäre soziale Einheit nun die Großfamilie war, während große Getreidespeicher auf eine Zusammenarbeit auf Gemeinschaftsebene schließen lassen. Eine einfache soziale Hierarchie war nun erforderlich, um zu bestimmen, wer welches Land bekam und wie es von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Irgendjemand – ein Einzelner oder eine Gruppe – musste die Entscheidungen treffen. Dies förderte komplexere soziopolitische Systeme, mehr gesellschaftliche Komplexität und Hierarchien. Jarmo wurde daher auch als frühes Stammesfürstentum interpretiert.18
Rund 2.000 Jahre später, vor etwa 6.000 Jahren, dem so genannten mittleren Holozän, entstanden in Mesopotamien die ersten echten menschlichen Zivilisationen – die Stadtstaaten. Auch hierfür können wir dem Klimawandel danken. Um zu verstehen, wie und warum, müssen wir eine weitere Eigenschaft der Erdumlaufbahn um die Sonne berücksichtigen. Dies hat nichts mit der Form der Erdbahn zu tun, sondern mit der Präzession, der Tagundnachtgleiche, also dem Taumeln der Umlaufbahn. Dieser Zyklus findet in kürzeren Zeiträumen statt – nicht in 100.000 Jahren, sondern eher in 26.000 Jahren. Die Auswirkungen auf die Tropen und Subtropen sind dabei besonders ausgeprägt.19
Zum Verständnis: Die Rotationsachse der Erde ist nicht im rechten Winkel zur Ebene der Erdumlaufbahn um die Sonne ausgerichtet, sie ist vielmehr um etwa 23,5 Grad aus der Senkrechten gekippt. Und die Erde taumelt wie ein Kreisel, der gedreht worden ist. Nur dass es etwa 26.000 Jahre dauert, bis die Erde einmal vollständig hin- und hergekreiselt ist. Heutzutage ist die Nordhalbkugel so ausgerichtet, dass sie zur Winter-Tagundnachtgleiche am 22. Dezember von der Sonne weggekippt ist. Das ist etwa der gleiche Zeitpunkt, zu dem wir der Sonne am nächsten sind. Der sonnennächste Punkt, das sogenannte Perihel, fällt momentan auf den 4. Januar. Da sich die nördliche Hemisphäre im Winter näher zur Sonne befindet, sind die Winter dort etwas weniger kalt. Ebenso ist die nördliche Hemisphäre im Hochsommer weiter von der Sonne entfernt, wodurch die Sommer etwas kühler sind. Im Allgemeinen sind die Jahreszeiten bei dieser planetaren Konstellation milder. Vor 12.000 Jahren, zu Beginn des Holozäns, war die Situation fast umgekehrt, und die Jahreszeiten waren stärker ausgeprägt. Was für unsere Geschichte hier von Bedeutung ist: Vor 6.000 Jahren – während des mittleren Holozäns – befanden wir uns auf halbem Weg zwischen den beiden Extremen und entwickelten uns langsam in Richtung einer geringeren Jahreszeitenabhängigkeit.
Ein anderer wesentlicher Aspekt ist, dass sich das Land schneller als der Ozean erwärmt. In Küstenregionen kommt es daher im Sommer am späten Nachmittag zu Seewinden. Das liegt daran, dass die Luft über dem warmen Land aufsteigt, wodurch kühlere, feuchtere Luft vom Ozean angesaugt wird. Auch ein Monsun kann als ein kontinentaler Seewind betrachtet werden. Wenn nun die Jahreszeiten ausgeprägter und die Sommer wärmer sind, kommt es zu kräftigeren Monsunen. Der indische Sommermonsun, den wir bereits im Zusammenhang mit den längerfristigen tektonischen Einflüssen auf das Klima erörtert haben, ist ein Beispiel dafür, aber es gibt auch einen verwandten Sommermonsun in Westafrika.
Beides scheint bei den Ereignissen in Mesopotamien eine Rolle gespielt zu haben. Klimamodellsimulationen und paläoklimatische Indizien, wie etwa geochemische Hinweise aus Höhlenablagerungen, deuten darauf hin, dass die Region im frühen Holozän feuchter war. Grund dafür war eine Kombination aus einem stärkeren und nördlicheren südasiatischen Sommermonsun, der mehr Feuchtigkeit aus dem Indischen Ozean in die Region brachte, und einem stärkeren westafrikanischen Monsun, der zu einem stärkeren Transport von Feuchtigkeit aus dem Atlantischen Ozean nach Nordafrika und einem Ergrünen der Sahara führte. Die zunehmende Vegetation in der Sahara könnte die Windverhältnisse in einer Weise verändert haben, die eine stärkere Verlagerung der Feuchtigkeit nach Mesopotamien begünstigte. In der Mitte des Holozäns schwächten sich die Monsune ab, da die Jahreszeiten weniger ausgeprägt waren. Ein halbtrockenes Klima etablierte sich in der Region.20
Ähnlich wie der ungünstige Klimawandel während der Jüngeren Dryas selektiven Druck auf Anpassungsstrategien ausübte, die zur Entwicklung von Ackerbau und Landwirtschaft führten, machte der Klimawandel im Mesopotamien des mittleren Holozäns die effiziente Nutzung von Wasser nötig. Das »Land zwischen den Flüssen« war ideal für die Bewässerung geeignet. Was benötigt wurde, war die gesellschaftliche Organisation, um eine weitaus raffiniertere Methode einzuführen, eine, die grundlegende wasserbauliche Prinzipien berücksichtigte. Die Stadtstaaten beherrschten diese Art der gesellschaftlichen Organisation.21
Damit war die Zivilisation in Mesopotamien geboren. Der erste Stadtstaat war Sumer, der im Süden, dem heutigen Süd- und Zentralirak, entstand und zu Beginn der so genannten Uruk-Periode von 6100 bis 4900 v. Chr., dauerhaft besiedelt war. Mit Hilfe der Bewässerungstechnik konnten die Bauern hier Getreide und andere Feldfrüchte im Überfluss anbauen. Dadurch konnten sich die übrigen Bewohner anderen Aufgaben widmen, wie zum Beispiel dem Bauwesen, was zur Entstehung der ersten echten städtischen Siedlungen führte.
Sumer war in zahlreiche unabhängige Stadtstaaten unterteilt, von denen jeder mehr als 10.000 Einwohner zählte. Die unabhängigen Staaten waren durch Kanäle und steinerne Grenzen voneinander getrennt. Zwischen ihnen fand ein reger Handel statt, wobei die Waren in der Regel über die Kanäle und Flüsse des südlichen Mesopotamiens transportiert wurden, was wiederum zu einer größeren Homogenität der Wirtschaft und der Kulturen führte. Das Fehlen von Mauern deutet darauf hin, dass es zwischen den verschiedenen Staaten im Allgemeinen keine Kriege gab, obwohl – wir befinden uns jetzt in der Kupferzeit – Messer, Bohrer, Keile, Sägen, Speere, Bögen, Pfeile und Dolche vorhanden waren. Letztere lassen zumindest auf gelegentliche Kämpfe schließen.
Es gab zahlreiche gemeinsame Merkmale, die den zunehmend »zivilisierten« Charakter dieser Stadtstaaten unterstrichen, obwohl wir hier auch einige der Schwächen sehen, die von späteren Gesellschaften übernommen wurden. Die Staaten waren theokratisch, im Zentrum stand jeweils ein Tempel, der einem Schutzgott oder einer Schutzgöttin der Stadt geweiht war. Die zentralisierten Verwaltungen beschäftigten spezialisierte Arbeitskräfte und – leider – später auch Sklaven als Hilfskräfte. Die soziale Struktur war männlich dominiert und es gab gesellschaftliche Schichten. An der Spitze stand ein Priesterkönig, der von einem Ältestenrat unterstützt wurde. Es gab ein Gesetz, das jedoch manchmal brutal und ungerecht war. Frauen, die der Untreue für schuldig befunden wurden, wurden zu Tode gesteinigt. Zu den ersten Stadtstaaten gehörten Uruk, Ur und Akkad. Uruk wurde zur größten Stadt, die die Welt bis dahin gesehen hatte, mit mehr als 50.000 Einwohnern, vergleichbar mit einer modernen Kleinstadt.
Viele der Merkmale, die wir heute mit Zivilisation in Verbindung bringen, waren bereits vorhanden. Es gab kunstvolle Töpferwaren in Form von Vasen, Schüsseln und Geschirr, die Gefäße waren mit Ton verschlossen. In ihnen wurden Honig, Butter, Öl und sogar früher Wein, der vermutlich aus Datteln hergestellt wurde, aufbewahrt. Die Menschen trugen Kopfbedeckungen und hatten Halsketten aus Gold. Es gab rudimentäre Möbel, darunter Betten, Hocker und Stühle. Die Menschen kannten Feuerstellen und Altäre. Sie benutzten eine Schriftsprache und schrieben auf Tafeln. Und sie spielten Musik auf Leiern und Flöten.
Andere Zivilisationen entstanden etwa zur gleichen Zeit in anderen Regionen des semiariden Mittelmeerraums und im Nahen Osten. Alle nutzten ausgeklügelte Bewässerungstechniken, um mit den Herausforderungen des trockenen Klimas fertig zu werden. Dies war etwa im alten Ägypten um 5000 v. Chr., in der Industal-Kultur um 4500 v. Chr. und in der minoischen Zivilisation um 4000 v. Chr. der Fall. Auch hier scheint der Klimawandel ähnliche Innovationen unabhängig voneinander und fast gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen gefördert zu haben.
Doch in Mesopotamien geschah etwas Einzigartiges. Um 4300 v. Chr. vereinigten sich die sumerisch und akkadisch sprechenden Völker unter einer Herrschaft und einem Herrscher, nämlich unter Sargon von Akkade. Damit war das erste echte Imperium der Welt geboren. Das akkadische Reich, mit dem Zentrum in der Stadt Akkad, dehnte sich auf die gesamte umliegende Region aus. Es nutzte seine gewaltige militärische Macht, um in ganz Mesopotamien und den angrenzenden Regionen, einschließlich Anatolien und dem heutigen Saudi-Arabien, Einfluss geltend zu machen.
Die soziale Organisation, die Arbeitsteilung und die soziale Hierarchie eines Reiches brachten ihm mehr Macht und Einfluss. Diese manifestierten sich in Form einer eigenen gesellschaftlichen Klasse von Soldaten und immer fortschrittlicheren und effektiveren Waffen, die von Schmieden hergestellt wurden. Die staatliche Organisation sorgte auch für eine größere Widerstandsfähigkeit in Form von ausgeklügelten Bewässerungsanlagen, welche die Landwirtschaft auch noch ermöglichten, als die Regenfälle immer unzuverlässiger und unregelmäßiger wurden, da die Region immer trockener wurde. Doch die Widerstandsfähigkeit hatte auch ihre Grenzen. Und so kommen wir zu der vielleicht lehrreichsten Lektion von allen: Dem Untergang des akkadischen Reiches um 4200 v. Chr.
Wir müssen uns jedoch vor einem gewissen Klimadeterminismus hüten, der besagt, dass jedes bedeutende historische Ereignis, jeder gesellschaftliche Anfang oder Zusammenbruch ausschließlich durch die Brille des Klimawandels interpretiert werden kann. Wir müssen immer die Komplexität des menschlichen Verhaltens und der soziopolitischen Dynamik berücksichtigen, die gesellschaftliche Veränderungen bewirken. Davon abgesehen ist es dennoch wahrscheinlich, dass ein abrupter Klimawandel und seine Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Dynamik der grundlegende Faktor für den Untergang des ersten Großreichs war.22
Der Anthropologe Harvey Weiss von der renommierten Universität Yale stellte in den frühen 1990er Jahren als erstes diese Hypothese auf, auf der Grundlage seiner detaillierten Studien der archäologischen Überreste von Tell Leilan, dem Verwaltungszentrum des akkadischen Reiches. Die Hypothese war damals sehr umstritten. Mittlerweile gibt es jedoch zahlreiche paläoklimatische Beweise, die seine Annahmen bestätigen.23
Die genaue Ursache für die Dürre ist noch nicht geklärt. Möglicherweise war es ein großer Vulkanausbruch. Eine explosive tropische Eruption, wie die des Mount Tambora auf den Philippinen im Jahr 1815, könnte genügend Partikel in die Stratosphäre schleudern, um einen erheblichen Teil des Sonnenlichts zu blockieren. Das ist zwar nichts im Vergleich zu dem Asteroideneinschlag, der vor 66 Millionen Jahren den Planeten abkühlte und die Dinosaurier tötete, aber es könnte ausreichen, um die Subtropen für mehr als ein Jahrzehnt abzukühlen und auszutrocknen. Sedimentablagerungen, die kürzlich von einer Gruppe von Geologen analysiert wurden, deuten auf einen Ausbruch des Vulkankomplexes Cerro Blanco in den tropischen Anden Nordargentiniens um 4200 v. Chr. hin, der wahrscheinlich einer der explosivsten Ausbrüche des Holozäns war.
Auch andere Zivilisationen in der Region waren von dieser ausgeprägten, großflächigen Dürre betroffen: das alte ägyptische Königreich, Erbauer der majestätischen Pyramiden, die Indus-Zivilisation beziehungsweise Harappan-Kultur wie auch die frühbronzezeitlichen Zivilisationen Palästinas, Griechenlands und Kretas. Alle litten darunter. Lediglich das akkadische Reich erlebte einen unmittelbaren Niedergang. Dies lag offenbar an der Schwierigkeit, eine derart weit verzweigte und vielfältige Zivilisation zusammenzuhalten.24
Das akkadische Reich war auf die Produktivität seines nördlichen Teils angewiesen. Die dortigen hohen landwirtschaftlichen Erträge versorgten sowohl andere Regionen mit Nahrungsmitteln als auch die riesige Armee. Die verheerenden Folgen der Dürre wurden in dem Text »Der Fluch von Akkad« beschrieben, der die Lage in aller Deutlichkeit schildert: »... die großen Ackerflächen erbrachten kein Getreide, die überschwemmten Felder keinen Fisch, die bewässerten Obstgärten keinen Sirup oder Wein, die dicken Wolken regneten nicht.« Auf den Zusammenbruch der Landwirtschaft folgte eine Massenabwanderung der nördlichen Bevölkerung gen Süden, die auf den Widerstand der südlichen Bevölkerung stieß, die sogar eine 160 Kilometer lange Mauer vom Tigris bis zum Euphrat errichtete, um Einwanderer fernzuhalten. Wenn Ihnen dieses Szenario auf beunruhigende Weise bekannt vorkommt, gibt es dafür einen Grund, auf den wir später noch eingehen werden.
Andere Zivilisationen in den Nachbarregionen kollabierten zwar nicht unmittelbar, wurden aber dennoch von der Dürre in Mitleidenschaft gezogen. So kam es, dass sie innerhalb weniger Jahrhunderte ebenfalls untergingen, weil sie zum großen Teil vom Handel mit Mesopotamien abhängig geworden waren, der mit dem Zusammenbruch des akkadischen Reiches wegbrach. Die Zivilisation im Indus-Tal verschwand innerhalb weniger hundert Jahre. Und schließlich gab es noch die minoische Zivilisation. Ich hatte das Vergnügen, Zeuge ihrer großartigen kulturellen Errungenschaften zu werden – und diese auch zu verkosten –, indem ich Ausgrabungsstätten auf den griechischen Inseln Kreta und Santorini besuchte und eine ziemlich schmackhafte Weißweinsorte namens Assyrtiko trank, die ihren Ursprung bei den Minoern hat. Die minoische Zivilisation verschwand um 3500 v. Chr., beschleunigt durch einen zerstörerischen Vulkanausbruch auf Santorini, das damals Thera hieß. Wenn Sie jemals die Gelegenheit haben, in den heißen Quellen der Vulkaninsel Nea Kameni zu schwimmen, die zum selben vulkanischen Kessel gehört wie Santorini, dann sollten Sie das unbedingt tun.
Auch wenn wir uns bisher auf Europa und Asien konzentriert haben, spielte sich in Amerika ein bemerkenswert ähnliches Szenario ab. Der Kontinent wurde zwischen 15.000 und 17.000 v. Chr. bevölkert, als asiatische Stämme die Landbrücke nach Nordamerika überquerten und den niedrigen Meeresspiegel während der späten Eiszeit ausnutzten. Innerhalb weniger tausend Jahre gelangten einige von ihnen bis nach Peru. Und dort, wiederum gegen Mitte des Holozäns, entstand die erste wahre amerikanische Zivilisation, die Caral. Der Klimawandel war wieder einmal ein Schlüsselfaktor, und zwar in Form eines Phänomens, das als El Niño bekannt ist.
Unter El Niño versteht man die periodische Erwärmung des Oberflächenwassers des östlichen tropischen Pazifiks, die heute alle drei bis fünf Jahre auftritt. Der Name El Niño – »das Kind« – leitet sich vom Christkind ab, da die Erwärmung immer um die Weihnachtszeit auftritt. Es ist zwar verlockend zu behaupten, dass die Erwärmung auf die Abschwächung der Passatwinde, also der Oberflächenwinde, die in den Tropen in der Regel aus östlicher bis westlicher Richtung wehen, zurückzuführen ist. Doch die Kausalität ist hier nicht ganz eindeutig. So führen starke Passatwinde dazu, dass im östlichen Äquatorialpazifik kaltes Wasser aus der Tiefe aufsteigt. Durch diesen Aufstieg kühlt sich die Meeresoberfläche ab. Weiter westlich am Äquator, über Indonesien, sind wärmere Gewässer zu finden. Dieses warme Wasser erwärmt die Atmosphäre und lässt warme Luft aufsteigen. Diese bewegt sich dann in östlicher Richtung entlang des Äquators, sinkt im östlichen Pazifik wieder auf die Wasseroberfläche und bewegt sich entlang des Äquators zurück nach Westen, wodurch genau die Passatwinde entstehen, mit denen wir begonnen haben. Dies vervollständigt das atmosphärische Zirkulationsmuster. Wir können daher nicht behaupten, dass der Ozean die Atmosphäre dazu bringt, so zu reagieren, wie wir auch nicht behaupten können, dass die Atmosphäre den Ozean dazu bringt, sich so zu verhalten, wie er es tut. Vielmehr handelt es sich um einen gekoppelten, voneinander abhängigen, in sich konsistenten Zustand des Systems aus Meeresströmungen und Atmosphäre.
Wenn dieser Zustand durch ein Wetterphänomen gestört wird, das die Passatwinde abschwächt, erwärmt sich das Oberflächenwasser im östlichen Äquator. Damit gehen die großen Temperaturunterschiede zum warmen Oberflächenwasser im westlichen Äquator verloren. Aber genau dieser Temperaturgegensatz treibt das atmosphärische Zirkulationsmuster an, das für die Passatwinde verantwortlich ist, so dass das gesamte Muster schwächer wird und die Passatwinde sich weiter verringern. Es ist eine sich selbstverstärkende Spirale. Das System neigt dazu, alle paar Jahre zwischen einer schwachen Zirkulation, die El Niño begünstigt, und einer starken Zirkulation, die mit La Niña verbunden ist, wenn das Oberflächenwasser im östlichen Äquatorialpazifik kalt ist, hin und her zu schwanken. Dieses Wechselspiel von Ozean und Atmosphäre ist als El Niño-Southern Oscillation (ENSO) bekannt. Die Abkühlung und Erwärmung des äquatorialen Pazifiks beeinflusst die Jetstreams in beiden Hemisphären und verändert die jahreszeitlichen Wettermuster in Nordamerika, Afrika und Australasien [Region, die während der letzten Eiszeiten mit Australien über Landbrücken verbunden war, Anm. d. Ü.]. El-Niño-Jahre bedeuten für das westliche Nordamerika oft eine relativ ruhige Saison in Bezug auf atlantische Hurrikans. La-Niña-Jahre sind in der Regel das Gegenteil: im Westen trocken und am Atlantik stürmisch.
Heutzutage sind El-Niño-Ereignisse keine Seltenheit, und wir haben in letzter Zeit einige große erlebt. Dazu gehören die Jahre 1982 bis 1983, 1997 bis 1998 und außergewöhnlich lange, 2014 bis 2016. Aber es gab auch lange Abschnitte mit kühlen La-Niña-Bedingungen im tropischen Pazifik. Wird der Klimawandel zu größeren und häufigeren El Niños führen? Oder könnte er auch das Gegenteil bewirken und uns zu einem La-Niña-ähnlichen Klimazustand treiben? Die paläoklimatischen Aufzeichnungen liefern einige Hinweise, auf die wir später noch eingehen werden.
Das Wichtigste ist nun, dass wir jetzt in der Lage sind, den möglichen Grund für die dramatische Abschwächung des ENSO-Phänomens zu verstehen, das sich im frühen bis mittleren Holozän abspielte, wie paläoklimatische Daten zeigen – darunter gut erhaltene Korallen und Meeres- und Seesedimente. Die zunehmende Jahreszeitlichkeit zu jener Zeit führte, wie bereits erwähnt, zu einer Verstärkung der Monsune. Dies wiederum begünstigte stärkere Passatwinde im tropischen Pazifik, und zwar genau in der Zeit, in der El-Niño-Ereignisse in der Regel auftreten, nämlich im Winter der nördlichen Hemisphäre. Sind die Passatwinde zu stark, wird eine abgeschwächte Zirkulation nur noch schwer ausgelöst. Mit anderen Worten, es ist für El Niño schwierig, sich zu etablieren. Mit der allmählichen Abschwächung des Monsuns und der Passatwinde ging die lange Periode der schlafenden El-Niño-Aktivität zu Ende. Um 5000 v. Chr. nahm El Niño wieder Fahrt auf.25
Entlang der peruanischen Küste befinden sich einige der Regionen, die zu den biologisch vielfältigsten zählen, die es in den Weltmeeren gibt. Zu verdanken ist dies dem durch Passatwinde verursachten Aufstieg von Tiefenwasser, der Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche pumpt. Die Nährstoffe werden von dem an der Oberfläche lebenden Phytoplankton verwertet. Diese photosynthetisierenden Meereslebewesen bilden die Grundlage für eine reichhaltige marine Nahrungskette, zu der auch große Bestände an Sardinen, Sardellen und Makrelen gehören. El-Niño-Ereignisse unterbrechen den Auftrieb und bringen diese bemerkenswerte natürliche Fischzucht zum Erliegen.
Die wiederkehrenden El-Niño-Episoden führten daher zu zeitweiligen Unterbrechungen der wichtigsten Nahrungsquelle für die einheimische peruanische Küstenfischerei. Doch während El-Niño-Ereignisse schlecht für die Fischerei waren, waren sie gut für die Landwirtschaft. Die wärmeren Küstengewässer während El-Niño-Ereignissen führten zu sintflutartigen Regenfällen in einer Region, die normalerweise eine Küstenwüste ist. Mit dem Wasser kam die Möglichkeit des Anbaus von Nutzpflanzen und der Landwirtschaft – aber nur, sofern man das Wasser speichern konnte, um die langen Trockenperioden zwischen den El-Niño-Ereignissen zu überstehen. Das erforderte Wasserspeicherung und Bewässerungstechnik. Nur die Organisationsstruktur der Zivilisation konnte solche Innovationen ermöglichen. Und so wurde die komplexe Zivilisation der Caral geboren. Sie betrieben eine zentralisierte Nahrungsmittelproduktion mit einer dualen Wirtschaft aus Fischfang an der Küste und Landwirtschaft im Landesinneren, sowie Handel zwischen beiden. Sie errichteten dauerhafte Wohnstätten, abgesenkte Plätze für Gruppenversammlungen und 25 Meter hohe Pyramiden. Die Zivilisation währte etwa 1.000 Jahre. Wenn Ihnen das kurz vorkommt, sollten Sie bedenken, dass dies ungefähr die Zeitspanne zwischen der Besiedlung Grönlands durch Erik den Roten und heute ist.26
Trotz des Verschwindens all dieser frühen Zivilisationen überlebte die menschliche Zivilisation, gedieh und breitete sich in den verschiedenen Teilen der Welt aus. In Peru baute die Chavín-Kultur im Hochland der Anden um 3800 v. Chr. Mais an. Etwa zur gleichen Zeit züchteten die Maya in Mittelamerika robuste Formen von Mais, Bohnen, Kürbissen und Chilischoten. Nach dem Untergang des akkadischen Reiches schlossen sich die Menschen in Mesopotamien schließlich zu zwei großen akkadisch sprechenden Völkern zusammen: Assyrien im Norden und Babylonien im Süden. Das alte ägyptische Reich zerfiel ungefähr zur gleichen Zeit wie das akkadische Reich. Aber es handelte sich weniger um einen »Zusammenbruch« als um ein jahrhundertelanges »Intermezzo«, als das alte Königreich in das neue überging. In Griechenland erlebte die mykenische Zivilisation ihre Blütezeit in der späten Bronzezeit (3700 bis 3100 v. Chr.), gefolgt von der antiken griechischen Zivilisation, die durch eine Reihe neuartiger politischer, philosophischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Errungenschaften gekennzeichnet war. Dazu gehörte auch die Einführung der Demokratie als Regierungssystem. Diese Errungenschaften sollten die westliche Zivilisation an der Schwelle zur Neuzeit grundlegend prägen.27
Die gemeinsame Zeitrechnung